[107] 13.

Einstmals hab' ich ein Lied gewußt,
Einst in goldenen Stunden
Sang ich's, da ich ein Kind noch war;
Aber mir ist's entschwunden.
Lieblich schwebte die Weise hin,
Weich wie Schwanengefieder;
Ach, wohl such' ich durch Feld und Wald,
Finde nimmer sie wieder.
Manchmal mein' ich, es wogt ihr Laut
Über der Flur in den Winden,
Aber er ist verhallt im Nu,
Will ich ihn greifen und binden.
Oft auch, wenn ich bei Nacht entschlief,
Streift urplötzlich und leise
Über mein Herz mit Traumeshand
Die verlorene Weise.
Aber fahr' ich vom Kissen auf,
Kann ich mich nimmer besinnen;
Nur vom Auge noch fühl' ich sacht
Brennende Tränen rinnen.
Und doch mein' ich, fänd' ich den Klang:
All die heimlichen Schmerzen
Könnt' ich wieder, wie einst als Kind,
Mir wegsingen vom Herzen.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Geibel, Emanuel. Gedichte. Gedichte und Gedenkblätter. Lieder aus alter und neuer Zeit. 13. [Einstmals hab' ich ein Lied gewußt]. 13. [Einstmals hab' ich ein Lied gewußt]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-C0F9-0