Pfarrhausidyll

Der Samstagabend dämmert. Draußen flockt
Der Schnee herab. Im Zimmer dunkelt's tief,
Und nur des Ofens Flackerschein umspielt
Den großen Schreibtisch und den Bücherschatz,
Der Band an Band sich an den Wänden reiht.
In seinem Armstuhl ruht zurückgelehnt
Der junge Prädikant und übersinnt
Den Text noch einmal, den er andern Tags
Erläutern soll. Die Predigt hat er schon
Vollendet in der Früh', und eben jetzt
Schwebt ihm der Übergang zum Amen vor,
Der Segensspruch, mit dem er schließen will,
Wie wohl ein Gärtner den gelungnen Strauß
Zuletzt noch krönt mit einer Lilie.
Bewegt in tiefster Seele findet er
Das rechte Wort, und hoch und höher trägt
Ihn des Gedankens Adlerflug hinan:
Da tritt sein junges Weib herein mit Licht.
Doch wie sie des geliebten Mannes Stirn
Vom Strahl des Geistes überleuchtet sieht,
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Erscheint er plötzlich schöner ihr wie sonst,
Voll fremder Hoheit, fast wie ein Prophet,
Und zaudernd bleibt sie auf der Schwelle stehn.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Geibel, Emanuel. Gedichte. Spätherbstblätter. Nachlese älterer Gedichte. Pfarrhausidyll. Pfarrhausidyll. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-BE60-6