Charles Bawdins Tod und Begräbnis
1471
(Nach Thomas Chatterton)
Auf dämmert der Tag, der Hahn kräht hell,
Blaß schimmert des Mondes Horn,
Und im Morgenrote der Tropfen Tau
Glitzert am Hagedorn.
[312]
König Edward aber, nicht Hahnenschrei
Rief ihn vom Schlummer wach;
Drei Raben weckten ihn mit Gekreisch
Oben am Wetterdach.
Und der König fuhr auf: »Beim ew'gen Gott,
Ich versteh' euer Mahnen und Schrei'n;
Charles Bawdin, der soll sterben heut
Und eure Speise sein.
Verräter war er. Er hat seine Hand
In das Blut des Yorks getaucht,
Nicht eher hab' ich Rast und Ruh,
Bis seines gen Himmel raucht.«
Da sprach Ritter Canning: »Mein König und Herr,
Vergieße nicht Bawdins Blut,
Was immer er dir Böses tat,
Ihm galt es brav und gut.
Dem Lankasterkönig hat er gedient
Offen und sonder Scheu,
König Edward, an deinen Feinden auch
Ehre Mut und Treu.
Laß Gnade walten, nur Gnad' allein
Machet des Siegs dich wert,
Den Oelzweig und die Palme nimm,
Nicht aber das Racheschwert.
Gedenke, wir Menschen allzumal
Sind nur an Sünde groß,
Ein einziger auf Sankt Petri Stuhl
Ist schuld- und fleckenlos.
Vergib! das festiget dir aufs Haupt
Die kaum gewonnene Kron' ...«
[313]Umsonst, die rostigen Angeln drehn
Sich schrill im Tower schon.
Und bei Tagesfrüh', in des Kerkers Tor
Der Sheriff die Botschaft trug,
Und ein Stündlein, und zum Richtplatz hin
Bewegte sich der Zug.
Der Zug war so: der Richter vorn
In seines Amts Geschmeid',
Hell glitzerte das Quastengold
An seinem Scharlachkleid.
Zwölf Augustiner kamen dann
In härenem Gewand,
Mit Rosenkranz und Geißelstrick
In recht- und linker Hand.
Bußpsalmen sangen finster sie,
Und finster die Wolken ziehn,
Und dazwischen schrillte Glöckleinklang
Vom Turme Sankt Marien.
Den Mönchen folgte, festen Schritts,
Ein Bogenschützenhauf,
Die Sennen waren all gespannt,
Die Pfeile lagen auf.
Wohl mochte versteckt lankastrisch Volk
Den Ritter noch befrein,
Es mochte Charles Bawdins letzter Gang
Der seiner Feinde sein.
Dann kam er selbst: zwei Rappen vorn
In schwarzer Decken Putz,
Auf ihren Köpfen bewegte sich
Ein Straußenfederstutz.
[314]
Und wieder dann kam festen Schritts
Ein Bogenschützenhauf,
Die Sennen waren all gespannt,
Die Pfeile lagen auf.
Zwölf Augustiner wieder dann
Mit Psalmenmelodien –
Und immer noch scholl Glöckleinklang
Vom Turme Sankt Marien.
Und nun zum Schlusse, straßenbreit
Des Volkes dicht Gedräng,
Von allen Dächern folgte man
Dem traurigen Gepräng.
Zuletzt an Christi Kreuz vorbei
Bewegte sich der Zug,
Hernieder schaute still das Lamm,
Das unsre Sünden trug.
Charles Bawdin aber betete leis:
»Heiland, erbarm dich mein
Und wasch auch meine Seele heut
Von aller Sünde rein.«
Und die Thems' entlang und das Schloß vorbei,
Und nun waren sie zur Stell':
Verhangen schwarz war das Schafott,
Das Beil, es blitzte hell.
Rings Stille. Da sprach Charles Bawdin laut:
»Blutacker bleibt dies Land,
Solange Schwert und Zepter bleibt
In dieses Edwards Hand.
Vergehn vor Gram wird manches Weib
Und manche junge Braut,
[315]Eh' dieses Land den ersten Strahl
Des Friedens wieder schaut.«
Und rasch an Priesters Seite dann
Hin kniet' er aufs Schafott,
Und betend still die Seele sein
Empfahl er seinem Gott.
Hin floß sein Blut. Laut weinend stand
Das Volk im Kreis umher,
Wieviel auch roten Blutes floß,
Der Tränen flossen mehr.
Der Henker dann, mit scharfer Axt,
Vierteilte Bawdins Rumpf,
Und jeder Teil ward aufgesteckt
Auf einen Lanzenstumpf.
Der eine tät als Wetterfahn'
Auf dem Tower-Turm sich drehn,
Ein zweiter war als Gitterschmuck
Vor Edwards Schloß zu sehn.
Der dritt' und vierte, samt dem Haupt,
Bei fahlem Mittagsschein
Von dreien Toren blickten die
Weit in das Land hinein.
Da wurden sie, bei Tag und Nacht,
Umkrächzet und umkreist,
Das Raben- und das Krähenvolk
Hat alles aufgespeist.
Das war das End' von Bawdins Treu
Und seiner Ehren Ziel ...
Gott schenk' dem König, unsrem Herrn,
So treuer Diener viel.
[316]