[32] 2. Von Leichengedichten

Dem Wolgebornen, Hochedeln Herrn Philipp Scheiding auf Schedwy, Arno und Kegel, des Königreichs Schweden Rat und Gubernatoren des Fürstentum Ehsten auf Reval und des Königl. Hof-Gerichts zu Dorpt hochansehentlichen Präsidenten, meinem hochgeehrten Herrn.

2. Auf eines von Grünental Leichbestattung

Die Zeit, in der der Mensch sein Leben pflegt zu führen,
ist wie ein grüner Tal, den frische Blätter zieren,
da Blumen aller Art im kühlen Grunde stehn
und um den lautren Quell und stillen Bach aufgehn
in ungezählter Zahl. Itzt, wenn die Schoß der Erden
von einer manbarn Luft geschwängert pflegt zu werden,
gebiert manch schönes Kind; wenn das verlebte Jahr
ein Jüngling wieder wird, da schlägt das junge Haar
den Lindenbäumen aus. Der angenäme Reif
macht bei gesunder Nacht die schwachen Gräser steif,
die Sonne wirkt die Frucht: stets wird was Neues funden,
das Jahr ist niemals leer, es tauschet alle Stunden.
Eins kan nicht allzeit sein, wie denn auch Alles nicht.
Wenn sich der Hyacinth mit seiner Zier entbricht,
da sind die Tulpen dar. Wenn diese sind vergangen,
da stehn Paeonien und Rosen in dem Prangen.
Itzt schosset diß herfür, itzt fället jenes ab;
was Eines wieder war, das ist des Andern Grab.
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Bald kömpt der fröde Herbst mit seinen kranken Lüften,
mit den er alle Zier weiß tötlich zu vergiften.
Die Schwind- und Gelbesucht greift Bäum' und Blätter an,
der Saft vertrucknet aus, der matten Erden Man,
der müde Himmel greist. Die Mutter, die veraltet,
wird runzlicht an der Haut, die Fruchtbarkeit erkaltet.
Der halb erfrorne Nord weht durch das schwache Tal,
macht das Gefelde bloß, die kranken Bäume kahl,
reißt alles mit sich hin, verbläst dem stillen Quelle
den sonst gewohnten Paß, daß er nicht von der Stelle,
nicht vor sich rinnen kan. Wo ist alsdenn die Zeit,
die Zier, die schöne Lust mit aller Fröligkeit?
So ist es auch bewandt um aller Menschen Sachen;
ihr Leben ist der Tal, der uns itzt Freude machen,
itzt Unlust geben kan. Die Blumen sind selbst sie
mit aller Zier und Pracht, da diese balde früh'
und jene spat verfällt. Hier gilt es nicht zu bauen
auf seiner Jugend Zeit. Die Jungen, wie die Grauen
sind stets dem Tode reif. Die Veilge, die schlug aus
vor sieben Tagen schon, und die kaum halb ist raus,
meit eine Sichel ab. Die flüchtigen Narcissen
sind drum geringer nicht, ob sie schon bald hin müssen,
als etwan Roßmarin, die zwar sehr lange steht,
doch, wenn der Frost beißt an, zugleich auch untergeht.
Wir haben nur ein Ziel, wie auch die Blumen haben:
es sei früh oder spat, wir werden doch vergraben
in unser Mutter Schoß. Diß fehlet uns allein,
daß wir geringer noch als alle Blumen sein.
Die Zeit, die itzt verschleißt, kan sich an sich erholen,
das Laub schlägt wieder aus, die sterbenden Violen
bekommen ihren Geist, die Wasser tauen auf.
Sind wir nur einmal hin, da gilt kein Wiederlauf,
wir bleiben, wo wir sein. Diß haben wir zu hoffen,
daß noch ein grüner Tal uns allen stehet offen,
da zwar auch Blumen sein, nicht aber die vergehn;
daselbsten sollen wir auch unvergänglich stehn,
den Amaranthen gleich. In diesen ist versetzet
auch unser Grünental; er ists, der sich ergetzet,
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der fromme Gottes-Freund, in einer solchen Lust,
die er zwar oft genant, doch aber nie gewust.
Da grünt der Grünental, da wird er nicht verwelken,
gibt einen Ruch von sich, wie die gesunden Nelken,
an die Gott täglich reucht, nach welcher schönen Blum'
auch reucht des Edelen gelobter Nam' und Ruhm.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Fleming, Paul. Gedichte. Deutsche Gedichte. Poetische Wälder. 2. Von Leichengedichten. 2. Auf eines von Grünental Leichbestattung. 2. Auf eines von Grünental Leichbestattung. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-AC28-4