Der Liedsprecher 1

1.

Und wo ein tüchtig Leben,
Und wo ein Ehrenhaus,
Da geht der Sänger eben
Gern gastlich ein und aus.
Der freudige Geselle
Grüßt Pfaff und Rittersmann,
Und frische Morgenhelle
Weht all' im Liede an.
Und kühn im Rossesbügel
Der Ritter waldwärts zieht,
Und das Gebet nimmt Flügel
Und überfliegt das Lied.
Denn ob's mit Schwert, mit Liedern
Sich Bahn zum Himmel schafft;
[169]
's ist eine Schar von Brüdern
Und eine Liebeskraft.
Wo die vereint, da ranken
Sich willig Stein und Erz,
Da pfeilern die Gedanken
Sich freudig himmelwärts.
Die haben diese Bogen
Kühn übern wilden Strom
Empörter Zeit gezogen
Zum wunderbaren Dom.
Die Burgen sahn wir fallen,
Die Adler zogen aus,
Wehklagend durch die Hallen
Gehn Winde ein und aus.
Doch droben auf der Zinne
Steht noch der Heldengeist
Der – was die Zeit beginne –
Still nach dem Kreuze weist.
Es wechseln viel Geschlechter
Und sinken in die Nacht –
Steh fest, du treuer Wächter,
Und nimm dein Land in acht!
Schon hat zum Kreuzeslichte
Dein Volk sich ernst gewandt,
Im Sturm der Weltgerichte
Tief schauernd dich erkannt.
Nun hebt sich wieder fröhlich
Dein Haus im Morgenschein,
Die Jungfrau minneselig
Schaut weit ins Land hinein.
Gesänge hör ich schallen,
Durchs Grün geschmückte Gäst
Wallfahrten nach den Hallen –
Wem gilt das frohe Fest?
[170]
Der Königssohn, ihr Preußen,
Weilt auf dem Ritterschloß,
Das ist nach Adlers Weisen,
Daß er der Höh Genoß.
Das ist des Königs Walten,
Was herrlich, groß und recht,
Im Wechsel zu erhalten
Dem kommenden Geschlecht.
Er hob die Heldenmale
Zu neuer Herrlichkeit,
Damit das Volk im Tale
Gedenk der großen Zeit.
Das ewig Alt und Neue,
Das mit den Zeiten ringt,
Das, Fürst, ist's, was das treue
Herz deines Volks durchdringt.
Wo das noch ehrlich waltet,
Da ist zu Gottes Ruhm
Die Kreuzesfahn entfaltet,
Und rechtes Rittertum.
Oh, reicht dem Liedersprecher,
Bevor er scheiden muß,
Den hochgefüllten Becher
Zu seinem besten Gruß!
Doch einzeln nicht verhallen
Darf, was ich jetzt gedacht.
Was jeder meint, von allen,
Sei's freudig auch gebracht!
All ritterliche Geister
Umringen fest den Thron,
Und auf zum höchsten Meister
Dringt treuer Liebe Ton:
Dem ritterlichen König
Heil, und dem Königssohn!

Fußnoten

1 Das vorstehende Lied wurde am 20. Juni 1822 während der Tafel, welche des damaligen Kronprinzen von Preußen, jetzigen Königs, Majestät, in dem großen Rempter des Marienburger Ritterschlosses gab, von einem Freunde des Verfassers in dem Kostüm der alten Liedsprecher gesungen.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Eichendorff, Joseph von. Gedichte. Gedichte (Ausgabe 1841). 3. Zeitlieder. Der Liedsprecher. 1. [Und wo ein tüchtig Leben]. 1. [Und wo ein tüchtig Leben]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-9B4E-6