Ich
Nun denn so viel verspreche ich Ihnen; aber sehen Sie nur, mein Vetter gähnt; er hat Schlaf. - Bona sera! – sagte ich zu meinem Nachbar zur Linken, der bei meinem lezten Wort tief seufzete, und gieng dann mit meinem Vetter nach Hause. –
Der ganze Vorfall war mir des andern Morgens aus dem Kopfe verschwunden; als auf einmal mein Vetter lachend mit drei Briefen in der Hand bei mir erschien. –
»Da lesen Sie einmal Bäschen! - Lesen Sie doch! Ich habe diese Briefe aus Spaß am dritten Orte abholen lassen. –«
Er drang so launigt in mich; ich mußte sie erbrechen. – Zween von diesen Briefen enthielten lauter unsinnige Schmeicheleien; aber geschwind flogen sie dann auch aus meiner Hand ins Kaminfeuer. – Nur der lezte hielt mich seiner sonderlichen Sprache wegen für die übrigen schadlos. – Hier hast Du ihn; – ich habe seinen Inhalt ins Teutsche übersezt. –
[97] Verehrungswürdige Dame!
»Die vielen kriechenden Schmeichler, die gestern um Sie herum flatterten, machten mich an Ihrer linken Seite stumm. – Sie müßen mein Stillschweigen bemerkt haben, sonst wären Sie die Denkerin nicht, die Sie sind. – Nur im Stillen überströmte mein Herz von der Hochachtung, die ein Jeder Ihren Vorzügen schuldig ist. – Ein biederer Mann, der sich in den Augen einer solchen Menschenkennerin nicht verdächtig machen will, konnte bei dieser Gelegenheit nichts anders thun, als schweigen und fühlen. Ich trage ein redliches Herz im Busen; bin Advokat; wohne bei meinen Eltern in Campo Sant Crisostomo. Wollen Sie mir auf diese Versicherung hin das Glük Ihrer Bekanntschaft schenken, so verbinden Sie durch dieses Zutrauen unendlich«
Ihren
ehrfurchtsvollsten Diener
Geronimo Lustrini, Avocato.
Ist dieser Brief nicht allerliebst naiv? – Lies einmal meine Antwort! –
Mein Herr!
»Mit Mitleid sah ich gestern auf die Schmeichler herab, die durch alltägliche Kunstgriffe meiner Eitelkeit Schlingen legten, um dadurch ihre lüsterne Neugierde zu befriedigen. – Ich kenne die Welt, und halte aus Erfahrung mehr auf Gefühl, als auf leere Worte. – Hätte ich nun das Glük ein erträglicheres Gesicht zu besizzen, so würde ich keinen Augenblik anstehen, ihre Bekanntschaft zu machen. – Aber leider, so flüstert mir meine weibliche Eitelkeit ins Ohr, daß ich bei diesen traurigen Umständen in Ihren Augen unendlich verlieren würde. – Die meisten Männer hangen doch am Sinnlichen, und blose Seelenvorzüge machen [98] Sie über kurz oder lang kalt. - Um also diesem empfindlichen Streich auszuweichen, muß ich mir die Ehre ihrer Besuche verbitten. –«
Amalie von ***
Nicht wahr, Fanny, das heißt fein gequält? – Aber genug, ich bleibe bei diesem Vorwand; und eh er nicht die Probe ausgehalten hat, soll er mit keinem Fuß mein Zimmer betretten. Lies folgenden Briefwechsel, und dann urtheile von meiner Standhaftigkeit!
Madame!
»Sie rechnen mich also auch unter die Wollüstlinge, die der blosen Schönheit nachjagen? – Hab ich dies wohl bei meinem ernsthaften Betragen um Sie verdient? – Was kümmert mich Ihr Gesicht, wenn ich in Ihrem Umgang Nahrung für meinen Kopf und mein Herz finde? – Ich dünke mich Philosoph genug, um es der weiblichen Eitelkeit nie fühlen zu lassen, daß ihr Gesicht von der Natur ist vernachläßigt worden. – Und warum wollen Sie mir demungeachtet ein Vergnügen versagen, das meine Glükseligkeit ausmachen würde? – Empfangen Sie mich zu allen Zeiten, maskiert, wenn Sie wollen, und ich willige ein; – wenn Sie aber über diesen Vorschlag meinen feurigsten Wunsch noch länger nicht befriedigen, so bringen Sie mich auf den Gedanken, daß Sie auf Ihre Seelenvorzüge sehr neidisch sind. – Sie haben das Wort Mann misbraucht! – Nicht Männer, sondern Lekker hängen blos dem Körperlichen an, und werden kalt, wenn eine andere Neuheit sie reizt. – Doch ist ungefähr meine Meinung mit der wärmsten Bitte vereinigt, mich nicht länger nach ihrem liebenswürdigen Umgang ringen zu lassen, den Sie einem jeden Rechtschaffenen gönnen müßen, wenn Sie anders nicht als Nonne sterben wollen. –«
Ihr ergebenster Verehrer,
G. Lustrini.
[99] Mein Herr!
»Ich bin sehr weit davon entfernt, Sie für einen Wollüstling zu halten; sonst würde ich wahrlich nicht gesäumt haben, Ihren Brief mit den übrigen ins Feuer zu werfen. - Ihr Betragen hat das Ansehen eines Denkers, der mich verstehen kann, wenn er mich anders verstehen will. Nur müßen Sie mich dann auch gründlicher zu überzeugen suchen, daß Ihnen an meinem Gesichte sehr wenig gelegen ist, denn daß Sie aus bloser Gefälligkeit meiner weiblichen Eitelkeit schonten, könnte meinen Stolz doppelt schmerzen. – Was sagen Sie? – Ich sollte Sie beständig in der Maske empfangen? -Bedenken Sie einmal die große Unbequemlichkeit, die damit verknüpft wäre; und könnten Sie denn über alles das so unartig seyn, und mir durch diese Verkappung das Andenken meiner Häßlichkeit fühlbarer machen? – Wer weis, ob Sie selbst Ihre Philosophie schon auf eine so schlüpfrige Probe stellten? – Oder wollen Sie den Triumph genießen, sich mit eigenen Augen von meiner unglüklichen Gestalt zu überzeugen, damit Sie mir nach der Hand Ihr philosophisches Mitleiden zuwerfen könnten? – Ist es etwa für ein weibliches Herz nicht genug, mit Aufrichtigkeit gegen sich selbst zu sprechen? – Könnten Sie wohl um Ihres Wunsches willen fodern, daß ich Sie gar der Gefahr aussezte, bei meinem ersten Anblik aus dem Zimmer zu fliehen? – Ich bin auf meine Seelenvorzüge nicht neidisch, aber außer der Maske weis ich sie in der großen Welt nirgends hinzustellen, wo sie nicht eine barmherzige Figur machen würden. Ohne körperlichen Empfehlungsbrief prellen sie gewis überall an der menschlichen Thorheit ab, die so sinnlich selbst bei manchem Philosophen ihren Wohnsiz hat. – Man hat wenig Beispiele, daß Philosophen sich an ein verunstaltetes weibliches Gesichte nahten, um seine Abscheulichkeit [100] zu lieben. – Diese Herren lieben entweder gar nicht, oder suchen doch wenigstens ein mittelmäßiges Gesicht; – wenn ich es mit meinen Seelenvorzügen nur so weit bringe, in der Entfernung von einem Philosophen geliebt zu werden; wäre ich dann nicht eine Thörin, auf Unkosten meiner Eitelkeit mehr zu fodern? – Was kann ich für das Wort Weib, dessen Loos es ist, durchaus gefallen zu wollen? – Stekt nun hinter Ihren Wünschen keine sinnliche Neugierde, so werden Sie mit meinem Briefwechsel eben so zufrieden seyn, als ich es mit dem Ihrigen bin. – Philosophen sollen ja so leicht ihre Sehnsucht unterjochen können, hat man mir gesagt. – Uebrigens denke ich, nicht als Nonne, sondern vielmehr als Philosophin zu sterben. –«
Ihre Ergebenste
Amalie von ***.
Madame! –
»Sie sind eine schalkhafte Sophistin, die mich ganz aus meiner philosophischen Ruhe herausschleudert! – Wären Sie minder Spötterin, so wollte ich Ihnen von einem Gefühl vorsagen, welches Sie überzeugen könnte, wie äußerst nöthig Ihr Umgang für meine Glükseligkeit ist. – Noch einmal beschwöre ich Sie, mir nichts ferner von Ihrer unglüklichen Gesichtsbildung vorzusagen! – Ich ertrage sie gerne, sie mag aussehen, wie sie immer will! – Lieben könnte ich sie so gar bei ihren andern bessern Vorzügen, wenn ich die Erlaubnis dazu erhielte. Mein Herz ist gewohnt, in solchen Fällen willig meinem Kopf zu folgen. Seyen Sie versichert, Madame, Sie sollen mein Mitleiden nicht erbetteln! – Bald werde ich aber wohl das Ihrige anflehen müßen, so sehr erhizzen Sie durch Ihren Widerstand meine feurige Einbildungskraft! – Ha! mit welcher Zufriedenheit würde ich vorbereitet zu Ihnen eilen! – Ihr Herz, Ihr Verstand, Ihr Wiz, sind [101] Verdienste, die mich weit über die Gestalt Ihres Gesichts erheben! – Lassen Sie doch auch einmal für mich Ihr Gefühl sprechen, und sorgen Sie dann nicht um das Uebrige! – Ich wäre glüklich genug, Sie lebenslänglich blos mit verbundenen Augen schäzzen zu dürfen; wenn mir dann nur Ihr Mistrauen nicht vergönnte, an Ihrer Seite zu sizzen, Sie zu hören – und zu bewundern! – Warum verdammen Sie mich eigensinnig zu einer Entfernung, die mir täglich bitterer wird? – O, gelänge es mir doch Sie zu überzeugen, daß ich nur ihre schöne Seele anbete! – Wollen Sie denn unerbittlich meinen sehnsuchtsvollen Kummer Ihrer grausamen Eitelkeit opfern? – Gott sey mein Zeuge, daß ich es nie an der gehörigen Hochachtung werde gegen Sie ermangeln lassen! – Das versichert Sie mit wahrem Gefühl«
Ihr
redlicher Freund und wahrer Verehrer
G. Lustrini.
Mein Herr!
»Kann man wohl in diesem flatterhaften Jahrhunderte Sophistin genug seyn, um nicht betrogen zu werden? – Wie konnte ich Sie aus Ihrer Ruhe herausschleudern, da ich nichts von Ihrer Liebe wußte? – Nie werde ich über Gefühl spotten; nur ist es mir unbegreiflich, daß Sie sich täglich mehr nach meinem häßlichen Gesichte sehnen. – Könnte ich doch mein Gesicht während Ihres Umgangs in ein Winkelchen hinlegen, dann würden wir heute noch einig! – Aber so bin ich verzagt genug, zu glauben, daß Sie wohl keinen zweiten Besuch mehr bei mir machen würden, wenn Sie mich gesehen hätten. – Und überdenken Sie dann den Zustand, in dem Sie mich zurükließen? – Hätte ich nicht Ursache meine unbesonnene Leichtgläubigkeit zu verwünschen? – Nein, mein Herr! so weit soll meine Uebereilung nicht gehen, so sehr Sie sich [102] auch darum mit Feinheit bemühen. Sagen Sie mir doch, wie kann ich durch einen Widerstand Ihre Einbildungskraft erhizzen, da es Ihnen doch blos um meine moralischen Verdienste zu thun ist? – Können Sie diese nicht hinlänglich auch abwesend schäzzen? – Ich glaube nicht, daß Herz, Vernunft und Wiz Sie an meiner Seite so zufrieden stellen könnten, als es meine weibliche Eitelkeit verlangen würde, wenn Sie mir auch gleichwohl zuvor Ihr Wort gegeben hätten, an meiner Seite ganz auf mein Gesicht zu vergessen. Mein Gefühl würde dann von Ihnen Nachsicht fodern, und das Ihrige mir Sie gerne gewähren, wenn... ja, wenn Ihre andern Sinnen sich nicht so mächtig gegen diese Nachsicht sträubten. Wissen Sie nicht, daß das Auge sehr stark auf die übrigen Sinnen wirkt? – Es kann freilich beim Philosophen durch die Einbildungskraft viel nach seinen Wünschen geleitet werden; – wenn aber die Einbildungskraft gar nichts in einem entstellten Gesichte findet, woran sie sich halten kann, dann muß sie nebst dem Auge bis zum Ekkel scheitern. – Opfern Sie Ihren Kummer der Klugheit auf, ich will den meinigen der Vorsichtigkeit opfern; und so werden wir immer bei aller Entfernung die beßten Freunde bleiben. –«
Amalie von ***.
Madame!
»Kann man wohl ein grillenhafteres Frauenzimmer finden, als Sie sind? – So bald Sie mir den Karakter eines ehrlichen Mannes zutrauen, so muß die Furcht, betrogen zu werden, bei Ihnen auch wegfallen. – Ich Thor, habe Sie meine Liebe schon zu viel merken lassen, um nicht tirannisirt zu werden! – Sie befriedigen mit Herzenslust ihre unersättliche Eitelkeit an meinem Gram! – Alle meine Gründe werden auf Worte geschraubt und fein abgewiesen. – Immer geben Sie die Häßlichkeit Ihres [103] Gesichtes vor, wenn ich Sie gleich immer mit Wärme versicherte, daß mein Herz diesem unerachtet schon so leidenschaftlich an Ihnen hängt! – Laben Sie sich nur ferner an meiner marternden Sehn sucht; es liegt in der weiblichen Natur, Unschuldige aus Eigensinn zu kränken! – Noch einmal betheure ich Ihnen, daß, wenn Sie auch bis zum Abscheu häßlich wären, so würde mich doch Ehre zurükhalten, Sie nur mit einem Schatten zu beleidigen! – Ihr Mistrauen kränkt meine Seele, und doch sehnt sie sich noch mitten unter dem Schmerz nach Ihrem Umgange! – Sie zertretten bei Gott ein Herz, dessen Werth Sie nicht einmal kennen! – Schäzte ich Ihren Karakter nicht so unendlich hoch, bald würde ich vermuthen, daß kokettische Kunstgriffe Sie so hart machten. – Gott! – was fuhr mir da über die Zunge! – Verzeihen Sie es einem Gepeinigten, der wie verloren herumirrt! –«
G. Lustrini.
Nun hatte ich Zeit einzulenken; der junge Herr fieng an trozzig zu werden; und da es mir doch in etwas um seine Beruhigung zu thun war, so schrieb ich ihm folgendes Briefchen:
Mein Herr! –
»Um Ihre Achtung nicht zu verlieren, die Sie mir schenkten, muß ich wohl ihrem Troz nachgeben. So schwer es mich auch ankömmt, mein Gesicht Ihrer Entscheidung darzustellen. – Bringen Sie ja eine starke Porzion Philosophie mit, damit ich nicht Ursache haben möge, mein Geschik zu beklagen. – Und nun leben Sie wohl, bis ich Ihnen mündlich sagen kann, mit welcher Achtung ich bin
Ihre Ergebenste
Amalie von ***.
[104] Kaum erhielt er diese wenige Zeilen, so eilte er zu mir, mit der völligen Gewisheit, die häßlichste Gestalt auf Gottes Erdboden zu finden! – Noch sehe ich ihn an meiner Zimmerthür staunen über ein Gesicht, das eben nicht schön, aber doch auch nicht häßlich ist. –
»Und Sie konnten mich so auf die Probe stellen? – So konnten Sie mich hintergehen?«– rief er mir entgegen.
Ich mußte laut lachen, unterhielt ihn aber dafür mit einer guten Laune, die ihn hinlänglich für meine Schäkkerei zu entschädigen schien. – Innigste Zufriedenheit lächelte auf seinem Gesichte; – und doch war er so bescheiden, seinen ersten Besuch abzukürzen. – Aber ich, meine Fanny! ich muß wohl diesen Brief auch abkürzen, sonst wird er zu lange.
Deine Amalie.