[231] Mutterlehren an einen reisenden Handwerksbursch

1761.


Mein Sohn! sprach Gertraud schwer von Jahren:
Du zeuchst von mir.
Auf Reisen wirst du viel erfahren.
Ach, merk' es dir!
Die Lehren aus der Mutter Munde
Schlag' nicht in Wind!
Du bist (gesagt zur guten Stunde!)
Ein Sonntagskind.
Führt einst um Mitternacht die Reise
Dich durch den Wald,
So kreuze dich, und horche leise,
Wenns Hifthorn schallt.
Dann mußt du dich zur Erde werfen.
Nur nicht verzagt!
So wird sie dir nicht schaden därfen
Die wilde Jagd.
[232]
Der Böse treibt bei manchen Flüssen
Auch oft sein Spiel!
Drum wirst du dich hübsch kreuzen müssen,
Nie wirds zu viel.
Er schreit (so sagt mir meine Baase.
Was willst du mehr?)
Er schreit gewaltig durch die Nase
Am Ufer her.
Oft fährt er dir auf off'nen Strassen
Die Post, mein Sohn!
Du mußt ihn immer fahren lassen.
Nur weit davon!
Man hört der Peitsche leibhaft Knallen,
Des Posthorn's Ton.
Wer frevelt, muß in Sümpfe fallen.
Du nicht mein Sohn!
Sollst du bei Nacht durch Felder reisen,
Nimm dich in Acht!
Da pflegt ein Licht den Weg zu weisen,
Das irre macht.
Oft tanzen sie in bunter Menge
Ums Hochgericht.
[233]
Entferne dich von dem Gepränge,
Und frevle nicht!
Auf Aeckern wird dir oft begegnen
Ein Feuermann.
Dann hilft kein Beten, und kein Segnen!
Er rauscht heran.
Du mußt ein ander Mittel suchen
In dieser Noth.
Ein Feuermann weicht nur durch Fluchen.
Verzeih dirs Gott!
Aus zweien sieht man einen werden,
Aus einem zwei,
Die stürzen mit des Zorns Geberden
Zum Kampf, herbei.
Es flammt! o welche Gegenwehre!
O welcher Kampf!
Der laue Christ (den Gott bekehre)
Nennts einen Dampf.
Erscheint dir ein Pallast von weiten
In vollem Glanz,
Es ist (o laß dich nicht verleiten!)
[234]
Ein Hexentanz.
Denn würde dir dabei entrinnen
Ein Wort von Gott,
Schnell wäre der Pallast von hinnen,
Du tief im Koth.
Im Gasthof' ist der Alp zu scheuen.
Er schleicht daher.
Und liegt er nun, man kann nicht schreien.
Er drückt so sehr.
Wirf, wenn er kömmt, geschwind ein Kissen
Vom Bett' ihm zu!
Er wird darauf sich setzen müssen,
Dann hast du Ruh.
Mein Sohn! ich will dir nichts vergrößern,
Doch sey bedacht!
Jetzt sag' ich dir von alten Schlössern.
Dort spuckt's bei Nacht.
Gespenster ohne Kopf erscheinen
Sechs Ellen lang.
Man hört um zwölf Uhr kläglich weinen
Im öden Gang.
[235]
Oft hört man an der Thüre klopfen.
Wer wird es seyn!
Man bebt und schwitzet große Tropfen,
Und sagt – Herein!
Da kömmts, als ein Barbier, ins Zimmer,
Und man erstarrt
Mein Urgroßvater sagt' es immer.
Ihm schor's den Bart.
Wie wollen wir's auch anders haben?
Nur dieß bedenkt!
So mancher Schatz liegt hier begraben,
Und tief versenkt.
Drum hat der Böse seine Possen,
Und schreckt uns ab.
Doch liebes Kind! bleib unverdrossen,
Und such' und grab'!
Oft liegt ein Schatz auf freien Wegen,
Und brennt, wie Glut.
Sei flink, ein Heilthum drauf zu legen!
Dein ist das Gut!
Studirte wissen noch ein Mittel,
Ein schön Gebet.
[236]
Ich glaube fast daß auf dem Titel
Sanct Christoph steht.
Jüngst hab' ich dir vom schweren Wagen,
Mein Sohn! erzählt.
Ich soll dir noch vom Teufel sagen,
Der Schildwach' hält,
Von schwarzen Katzen mit drei Füßen –
Doch sey's genug!
Du wirst es selbst erfahren müssen,
So wirst du klug.
Traun! Mutter! sprach der Sohn vermessen:
Ihr seid gereist!
Doch habt ihr einen Geist vergessen,
Den Branntweingeist.
Ich seh', er fährt aus eurem Munde.
Ich bin nicht blind,
Und wär' ich auch (zur guten Stunde)
Kein Sonntagskind.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Denis, Michael. Gedichte. Gedichte. Mutterlehren. Mutterlehren. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-7E69-0