[219] An einen Jüngling

1764.


Mein junger Freund! die schnellen Jahre weichen.
Des Lebens Lenz ist kürzer, als man glaubt.
Der Wangen Zier, die Morgenrosen gleichen,
Kaum aufgeblüht, wird von der Zeit geraubt.
Und dennoch nimmt kein and'rer Wunsch dich ein,
Als wohlgeputzt und schön zu seyn.
Pomadeduft und Pudersturm umschweben
Dein Haupt, das noch von Krausezangen raucht.
Wer kann Geduld, so lang zu sitzen, geben,
Als ein Frieseur, um schön zu krausen, braucht?
Wer, als der Wunsch sich schön gekraust zu seh'n,
Noch eh' man will zu Bette geh'n?
Wie niedlich glänzt von deinem kleinen Hute,
Den erst dein Schnitt zur Artigkeit gebahr,
Das Quästchen her! Du drückst ihn nun mit Muthe
Den Kopf hinauf. Er sieht dein lockig Haar.
[220]
Er staunt es an. Sein aufgesperrter Mund
Macht Jedem sein Entzücken kund 1.
Wie lockt das Band, um deinen Hals gezogen,
Sobald ein West vertraut durch selbes rauscht!
Dein Krägelchen! wer ist ihm nicht gewogen
Dem Hinterhalt', in dem die Charis lauscht!
Des Aufschlags Reiz, der Knöpfe Reih' und Zahl,
Die siegen täglich hundertmal.
Wie klingt die Welt der gold'nen Kleinigkeiten,
Die von der Uhr an blankem Stahle fließt!
Dir folgt Geruch, der, Anmuth zu verbreiten,
Aus Pölsterchen und Flächen sich ergießt.
O Werth, der sonst nur todte Fürsten ziert!
Mein Freund ist lebend balsamirt.
Wer spricht wie du, von Agremens, Chemisen,
Von à la Grecque, Eau sans pareil, Joujoux?
[221]
Wer wählt so reich die Farbe für Soubisen,
Für Rodingots, für Polissons, wie du?
Wer trägt Chignons – doch still, du fremd Geschwirr!
Die deutsche Muse brennt vor dir.
Freund! waren die, vor deren Muth' im Kriegen
Gerechte Furcht das Capitol umflog,
Die schöner Ruhm, und edle Lust zu siegen,
Und Frömmigkeit nach Palästina zog,
Vor derer Faust sich Stambul oft gebückt,
Freund! waren die, wie du, geschmückt?
Wirf deinen Blick, wo Schauer ihn empfangen,
Wo dein Geschlecht in Marmorurnen ruht,
Hin in die Gruft! Der Ahnen Bilder prangen
Geharnischt dort, und du – du bist ihr Blut?
Wie wenn ein Schall aus ihrer Asche bricht,
Und zeuget laut, du seyst es nicht?
Ihr Name tönt in ewigen Geschichten;
Die Nachwelt horcht, und spricht ihn heilig nach.
Das Vaterland, der Zeug' erfüllter Pflichten,
Wird jedesmal zum neuen Danke wach.
[222]
Dieß giebt nicht Pferd, nicht Wagen, noch Frisur,
Vernunft und Tugend gibt es nur.
Gott unterthan, erfüllt von Fürstenliebe,
Durch Wohlthun groß, und alt durch Mäßigkeit,
Freund' ohne Falsch, Bezwinger ihrer Triebe,
Im Rathe klug, und unverzagt im Streit',
Erkenntlich, treu, gerecht zugleich, und mild;
Dieß, Freund ist deiner Ahnen Bild.
Von ihnen kömmt dein Adel, deine Güter.
Grab jeden Zug tief ins Gedächtniß ein,
Und laß ihr Bild in Zukunft deinen Hüter,
Dein bestes Erb', und deinen Spiegel seyn.
Ja, nimm, o Freund! der Ahnen Moden an,
Du wirst gewiß ein schöner Mann.

Fußnoten

1 Das Rad der Moden hat sich nun freilich sehr gedreht, jedoch bleibt die Tendenz dieses Gedichtes immer heilsam. –

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Denis, Michael. Gedichte. Gedichte. An einen Jüngling. An einen Jüngling. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-7E32-A