[84] Abenteuer der achten Amme

Insichgebückt wie Knäule
Ein Kreuz schnell Jede macht.
Endlos ist's Hundsgeheule.
Ja, Jemand stirbt heut Nacht.
Sie tun den Ofen füllen,
Der Ofen, der wird schwer.
Tun sich in Tücher hüllen
Und Eine redet mehr:
»Ich war beim Heinz die Ammen
Und sprech mich nicht gern aus.
Doch sitzt man so zusammen,
Dann muß es mal heraus.«
Sein Vater hatte Minen
Und war einst reich und schwer.
Gar hart ist ja's Verdienen,
Und leichter gibt man's her.
Die Mutter, klug wie Raben,
Jetzt alt und reich an Harm,
Vergötterte den Knaben.
Er war ihr rechter Arm.
Sie hat darauf gehalten,
Daß Heinz kein Weib sich nahm.
Sie litt durch ihren Alten,
Dem Ehe nicht bekam.
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Nicht Jeder ist geschaffen
Zur Ehe, und manch Blut
Springt wilder als die Affen
Und bringt die Frau in Wut.
Da war die Arabella,
Die Solotänzerin.
Ein Jeder auf der Stell sah,
Durch's Tanzen riß sie hin.
Den alten Heinz entzückte
Die Arabella so,
Daß sie sein Herz verrückte,
Lief nach inkognito.
Die schöne Frau Gisela,
Des alten Heinz Gemahl,
Sie schminkt sich auf der Stell da,
Denn Gram, der macht sie fahl.
Die Heinzens hatten immer
Den Abenteurerblick.
Doch's Ehefrauenzimmer
Liebt nur das Eheglück.
Und Gisela, sie hatte
Kraftblut. Denn, Saperment!
Sie war 'ne wilde Ratte
Aus Adelspergament.
[86]
Lud Arabell entschlossen
Zum Minenwerke hin.
In einem Brief 'nem großen
Stand die Erwartung drin:
Es möchte Arabella
Nur einen Nachmittag
Vortanzen Frau Gisela,
Weil's ihr am Herzen lag.
Sie möchte sie befreien
Von Kummer und von Schmerz.
Haß sollt' sie nicht entzweien,
Denn dann ging's niederwärts.
Sie wollt' die Schöne schauen,
Die ihren Mann entzückt.
Und unter klugen Frauen
Da wär das nicht verrückt. –
Wißt, zwischen Kohlenminen,
Die Papa Heinz besaß,
Da lag das Wohnhaus drinnen,
Und drinnen saß der Haß.
Der Haß der Frau Gisela,
Er lockt zum Tode hin
Die arme Arabella,
Die Solotänzerin.
[87]
Um's Wohnhaus, wie 'ne Insel,
Grün man den Garten sieht.
Und drin wie kühne Pinsel
Ein Pappelweg sich zieht.
Heinz sitzt in Pappeln oben,
Weil sich ihm Aussicht bot.
Sein junges Herz tat toben,
Er hält sich nur mit Not.
Denn er sieht Arabella,
Sie tanzt in dem Salon.
Sein Heinzenherz brennt hell da;
Er ist des Vaters Sohn.
Er sieht nicht die Pistole,
Die Jemand heimlich hält.
Sein Auge wie 'ne Kohle
Für Arabella schwält.
Die Arabell, entkleidet,
Sie tanzt, und weil sie nackt,
Der Heinz besonders leidet –
Sein Puls kommt aus dem Takt.
Mit seinen neunzehn Jahren
Beschleunigt sie sein Blut.
Sie tanzt mit offnen Haaren –
Dem Jüngling ist nicht gut.
[88]
Er sieht die Mutter eben
Beim allerschönsten Pas
Pistolenschüsse geben –
Und dann war nichts mehr da.
Heinz hängt am Pappelbaume
Bis sich der Rauch verzieht.
Im Hause wie im Traume
Er Zweie liegen sieht.
Mit einem Schuß zwei Leichen! –
Das ist doch viel zu viel!
Ein Weilchen tut verstreichen,
Dann Eine aufstehn will.
Die Eine war es eben,
Auf die er sehr erpicht.
Die Arabell tut leben,
Sie, die ihm viel verspricht.
Die Arabell reißt's Fenster
Zum Garten fast heraus,
Als sähe sie Gespenster,
So springt sie nackt hinaus.
Doch ach, die Mutter drinnen,
Die Schuld von dem Malheur,
Sie läßt sie nicht entrinnen
Und stürzt sich hinterher.
[89]
Ins Knie sinkt Arabella
Und bettelt um Pardon.
Ins Knie sinkt Frau Gisela,
Ruft: »Gehn Sie nicht davon!
Ich kann ja gar nicht töten.
Ich wäre doch ein Schuft.
Mein Mut, der ging mir flöten.
Ich schoß nur in die Luft.
Ich sag' es unumwunden:
Sie tanzten wunderbar.
Von allen Lebensstunden
Dies meine Beste war.
Nichts tun wir uns einander;
Ich muß gestehen laut:
Sie sind wie 'n Salamander,
Anders bin ich gebaut.
Wohl! Ich gesteh es gerne
Daß ich auf Rache sann,
Doch jetzt liegt sie mir ferne,
Ihr Tanzen mich gewann.
Ach, nehmen Sie die Kleider
Und Ihre Stiefel schnell,
Kalt ist der Juli leider.
Ich bitt' Sie, Arabell.«
[90]
Die Arabell geladen,
Bleibt noch bis morgen da.
Heinz zittern beide Waden –
Zu viel ihm heut' geschah.
Nachts, wie 'ne dritte Leiche,
Liegt Jungheinz in dem Park,
Anstöhnend eine Eiche –
Der Tag war ihm zu stark.
Wie Feuerwürmer irren,
Irrt er von Baum zu Baum.
Er hört 'nen Rocksaum schwirren –
's ist Arabell, sein Traum.
Auch sie will nach dem Schrecken
Im Dunkeln sich ergehn.
Im Herzen dunkle Flecken –
Zu viel ist heut geschehn.
Heinz wirft sich in die Kniee,
Fleht mit erwürgtem Hals:
»O Arabell, nicht fliehe!
Dein bin ich jedenfalls.«
Die Arabell, verwirret,
Erkennt des Vaters Sohn.
Sieht, daß sie sich nicht irret,
Erkennt ihn gleich am Ton.
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Sie braucht nicht lang' vergleichen,
Denn Liebe ist nicht fern.
Heinz, blasser als die Leichen,
Fragt: »Hast Du mich nicht gern?«
»O«, stöhnt die Arabella
Und wirft sich ins Geschirr,
»Ich tanz' Dir auf der Stell da,
Doch mehr tu' ich nicht hier.
Ich darf Dich ja nicht küssen,
Am Vater wär's ein Mord,
Lieg' nicht zu meinen Füßen!
Ich muß noch heute fort.«
Der Mond wirft sich hernieder,
Die Rosen werden blau,
Und tanzend rührt die Glieder
Die Salamanderfrau.
Die schöne Arabella
Tanzt wild in der Allee.
Dem Heinz wird auf der Stell da,
Als ob er's brennen seh!
Ihm tut der Garten kreisen,
Er zuckt bei jedem Satz,
Er fühlt sich wie auf Reisen,
So wechselt stets den Platz
[92]
Sein Herz. Bald sitzt's im Nacken,
Bald in der Fingerspitz',
Bald tut's am Rumpf ihn packen,
Und Arabell mit Hitz'.
Und Arabell, ohn' Enden,
Sie tanzt sich fast zum Mond,
Bald aufrecht bald auf Händen,
Weiß nicht mehr, wo sie wohnt.
Bald wird aus Arabella
'ne Arabellenschar,
Es drehen sich so schnell da
Tausend und mehr sogar.
Erst als der Tag schon anfing,
War Arabella tot.
Der Heinz wußt' nicht, wie's zuging,
War ganz bespritzt mit Kot.
Erwacht wie aus 'nem Schlummer,
Steigt wie vom Karussell.
Sein Blick war niemals dummer –
Vor ihm lag Arabell,
Verdreht wie eine Winde.
Auch pfiff mit viel Geschmatz,
Gleich wie von einer Linde,
Auf ihrer Nas' ein Spatz.
[93]
Es tanzte sich zu Tode
Die schöne Arabell.
Dies wurde nachher Mode,
Bei Liebe ganz speziell.
Der Heinz war lang noch blöde
Nach dieser Schreckensnacht.
Das hat ihn zur Einöde,
Wo Rosa war, gebracht.
Doch bald tat er genesen,
War blöd' nicht von Natur.
Gleich darnach ist's gewesen,
Daß sie ihm Treue schwur.
Doch stets sprach Frau Gisela:
»Laß sie nur Treue halten!
Bei Dir Heinz ich stets hell sah,
Du bleibst nicht lang beim Alten.«
»Nie glaubte doch die Gute,
Rosa werd' Heinzens Tod.
Jetzt ist's ihr schlimm zu Mute,
Da Ehe sie verbot.
Gar öfters muß sich rächen,
Was schön man arrangiert.
Man fordre nie Versprechen,
Weil keiner weiß, was wird.« –
[94]
Endlos tönt's Hundsgeheule –
Wer stirbt nur heute Nacht?
Insichgebückt wie Knäule,
Ein Kreuz schnell Jede macht.
Keins gerne Abschied nähme.
Horch! Jemand klopft ans Haus.
Wenn Heinz jetzt wiederkäme!
Vielleicht steht er schon draus.
Die Ammen, angstbetrunken,
Stehn auf wie Schilf im Wind,
Denn draußen hat gewunken
Am Tor ein Findelkind.
Sein Zettel sagt: Ein Erbe
Des Heinz sitzt an der Tür.
Ach, daß er nicht verderbe!
Er könne nichts dafür.
Es tragen die acht Ammen
Das Kind zum Ofen gleich
Und rücken eng zusammen –
Ein neuer Heinzenstreich!
Denkt Jede. Doch geschwollen
Vom Wachen sind sie sehr,
So daß sie schlafen wollen.
Und morgen spricht man mehr
[95]
Denkt Jede. Denn im Munde
Geht gern die Zunge um.
Und dann in frühster Stunde
Erfährt's das Publikum!
Denkt Jede. Die Geschichten,
Die dieser Heinz gemacht,
Sie lassen fort sich dichten –
Vorläufig weiß man acht.
So sitzen sie zusammen,
Teilweis' mit offnem Mund.
Es schnarchen die acht Ammen
Nichtsahnend und gesund.
Gefüllt mit Redestoffen,
Geht mancher Mund nicht zu.
Und darum bleibt er offen,
Doch Jedem schmeckt die Ruh'.
Das Kind auf fremdem Schoße
Sieht Schatten an der Wand.
Es hält neun Todeslose
Des Findelkindes Hand.
Es tut am Ofen spielen,
Denn das ist Kindermod'.
Die Ofenklappen fielen
Zu – und jetzt kommt der Tod.
[96]
Der Tod kommt aus dem Ofen
In der Gestalt von Gas.
Rettung wär' noch zu hoffen –
Doch keiner tut ja was.
So sitzen die acht Ammen
Entstellt im Morgengrau.
Der Tod hält sie zusammen.
Früh sieht's die Bäckersfrau.
Brigitt, Bonaventura
Und Fanny eilen bei,
Martha und die Aurora,
Babett und dann noch zwei,
Rosalie und die Mutter,
Sie ringen all' die Händ'.
Die Ammen, blaß wie Butter,
Man kaum noch wiederkennt.
Das Kind, auf fremdem Schoße,
Lehnt auch tot an der Wand.
Wie eine Todesrose
Den Frauen unbekannt.
Jetzt wird auch keine Ammen
Mehr den Kaffee einschenken.
Bald drauf, mit Heinz zusammen,
Muß man neun Särg' versenken.
[97]
Geschlossen war den Ammen
Jetzt ewiglich der Mund.
Nie mehr klatscht man zusammen
Nach dieser letzten Stund'.
Sonst könnt' ich mehr berichten,
Was sich um Heinzen webt.
Doch aus ist die Geschichten. –
Seid froh, daß Ihr noch lebt

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Dauthendey, Max. Gedichte. Die Ammenballade. Abenteuer der achten Amme. Abenteuer der achten Amme. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-75BF-9