[538] 4

Morgenlicht um die weichen Glieder, schleichen Knaben, Mägde nieder vom Wald.
Schwarz lagert Granit, stürzt breit in Stufen,
Die Greise, die blinden, finden nur tastend den Schritt,
Frühlicht sticht in die Wunden.
Weiter, weiter lockt dunkel der Weg, funkelt vom schwarzen Gestein.
Kein Baum mehr, kein Halm kein Gras,
Salzbitter duftet die Luft,
Donner zittert im Fels, senkrecht stürzen die Stufen,
Donner rufen im Stein, unten kracht brandend die Flut,
Unten im Nachtschattenschein ruht dunkel das Meer.
Das Meer eine mächtig blauende Flamme, flachgereckt,
Leckt drohend zum Rande des Himmels.
Schwer stockt der Schritt. Die Greise greifen mit steifen Armen.
Am nassen Granit fault dunkel der Tang, die Mägde bücken sich nieder.
Gürten den kalten blutroten Tang um die eisblassen Glieder.
Düster die Knaben äugen lüstern zur Flut.
Die Flut schwemmt Stämme zum Strand, rostrote Kiefern,
Tot prallt das Holz an die Stufen.
Wellen rufen und stürzen. Mit eisigen Augen glotzt brausend der Schaum.
Weiß funkeln Möwen. Schreie gellen. Dunkel unersättlich wiegt sich der Meerraum.
Die Knaben fangen die Stämme. Schälen Rinden, langen Bast,
Binden Stämme und Stangen zum Floß.
Greise, Knaben, Mägde besteigen schweigend das Holz,
Sie stoßen vom schaukelnden Strand,
Gierig strahlen die Blicke, draußen glüht finster der Meerrand.
[539]
Die Sonne rückt weiß zum Zenith.
Ein graues gleißendes Auge das Meer und zückt nach der Sonne.
Schattenschwarz hocken Klippen nachtfinster im Mittaglicht,
Auf den sargschwarzen Brocken kauern Meervögel, dunkel, rucken und lauern mit Hälsen und Krallen.
Wellenan, wellenab stürmt das Floß.
Weiß, schaumbespritzt, Salzkristalle im Haar, sitzt die Menschenschar,
Die Augen geweitet, dunkel lustgroß.
Grab an Grab brechen die Wellen, die Gräber leben und sprechen.
Greisenweiß liegen unter den Greisen die Knaben und Mägde,
Brust, Gesicht, Arme biegen sich über das Floß,
Lippen und Augen saugen die Tiefe.
»Kommt zum Dunkel hinab,
Sonne blüht dunkel im glühenden Grab,
Dunkel löschen die Wunden.«
Schwarzgroß gähnt eine Welle empor. Schwarz funkelt die Mähne,
Stößt dunkel zum Himmel, deckt dunkel die Sonne,
Nacht fällt über das Floß.
Mägde, Knaben, Greise beugen singend den Nacken,
Die Woge stürzt klingend,
Frohlockend gellt der Gesang,
Die Woge zerschellt.
Singen schwingt brausend im Wasser,
Singen im sausenden Schaum,
Haar, Tang, Kränze versinken,
Wellen trinken den Schaum,
Dunkel fliegt Welle zu Welle.
Dunkel unersättlich wiegt sich der Meerraum.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Dauthendey, Max. Gedichte. Die schwarze Sonne. 4. [Morgenlicht um die weichen Glieder]. 4. [Morgenlicht um die weichen Glieder]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-74F2-C