[117] Fünfundzwanzigstes Kapitel:
Dem vorigen gleichend
Ihr werdet mir nach dem, was ich Euch von Scholuchern gesagt habe, leicht einräumen, daß meine Neigung für ihn hinlänglichen Grund hatte. Ein einziger seiner Blicke wäre hinreichend gewesen, dem am wenigsten leidenschaftlichen Frauenzimmer den Kopf zu verdrehen, sonach darf es niemand wundernehmen, wenn seine Vorzüge auf mich so lebhaften Eindruck machten. Es gründen sich so viele Leidenschaften nur auf Kapricen, daß es mir sehr lieb ist, daß nichts weniger als ein Nichts die meinige bestimmte.
Das erste Mal, da ich ihn sah (und Liebe entsteht nur vom ersten Augenblick), wie hätte ich ihn da nicht gleich lieben sollen! Er war im Zirkel der Barbacela. Die galantesten Männer des Hofes waren von unseren Damen über die Wahl des Putzes, über die Moden und über die Schwierigkeit, neue zu ersinnen, um Rat gefragt worden. Die Materie war wichtig, wie Ihr seht. Jeder bestrebte sich, zu glänzen. Der Prinz, der nur eben bei Hofe angelangt war, löste die schwierigsten Fälle, die ihm vorgelegt wurden, mit so vieler Gründlichkeit auf, erfand so artige Moden, daß jedermann seine Weisheit und Einbildungskraft bewunderte.
Ich meinesteils wurde von allem unbemerkt bis in das innerste meines Herzens getroffen. Eine besondere Aufmerksamkeit, die er mir zu weihen schien, festigte die Neigung, die ich bereits für ihn fühlte; und ich half mir mit meinen Reflexionen so gut, daß meine Leidenschaft, wie ich ihn den Abend verließ, nicht mehr zunehmen konnte. Die Annehmlichkeiten seines Witzes, die sich in den zwanglosen Tafelgesprächen entwickelten, vollendeten meine Niederlage. Einige verbindliche Dinge, die er mir über meine Schönheit sagte, das Stillschweigen, das er gegen alle übrigen beobachtete, überzeugten mich, daß sein Herz nicht [118] mehr unbefangen wär. Das merkt man leicht. Die Liebe ist eine Empfindung, die die Seele in Unordnung bringt, und, um sich ganz gemächlich darin festzusetzen, sich aller Kräfte der Seele bemächtigt und nur zu ihrem Besten handeln läßt.
Mein Herz, das sich mit dem seinigen vom ersten Anblick an zu verstehen schien, entsagte feierlich allem Anstände und trat aus unbegreiflicher Unachtsamkeit alle Vorstellungen der Vernunft, die ihm hätten widersprechen können, mit Füßen. Wir trafen einander zugleich bei Seufzern an; und wären wir diesen Abend noch länger zusammen gewesen, so würden unsere Begierden in minderer Unschuld voneinander geschieden sein als geschah.
Was er mit seiner Nacht anfing, weiß ich nicht; was mich anlangt, so suchte der Schlaf vergeblich sich meiner Sinne zu bemächtigen. So viele und gute Ratschläge er mir auch gab, folgte ich doch der Liebe weit lieber, die, ganz neu in meinem Herzen, es unstreitig auf eine angenehmere Art beschäftigte, als der liebenswürdigste Traum getan haben würde.
In der Tat, was ist Schlaf, wenn man verliebt ist? So viele Süßigkeiten er auch gewährt, kommt er wohl der zusammenhangvollen Unordnung der Einbildungskraft gleich? Zumal wenn man der Gegenliebe versichert ist und die schmeichelnde Hoffnung die Gegenstände ganz nach Euren Wünschen ordnet? Bei einem Traum hat man nur undeutliche Vorstellungen, die freilich zuweilen schwanger von Seligkeiten sind, oft aber deren Quellen ganz entgegen laufen. Hingegen, wenn man sich wachend mit dem Gegenstand seiner Liebe beschäftigt, ordnet man sich alles, wie man es will, und die Leidenschaft, die da im Spiele ist, weiß sodann den größten Zeitvertreib daraus zu bereiten.
Kaum war ich aufgestanden, als Scholuchern in mein Appartement kam. Ich befand mich eben in einem abgelegenen [119] Kabinett. Er wagte es, meine Einsamkeit zu stören. Die Unruhe und die Begierde in seinen Augen, seine schüchterne Ernsthaftigkeit bewiesen mir, wie sehr ich geliebt wurde. Ich muß es gestehen, ich hatte nicht die Kraft, ihm seine Eroberung beschwerlich zu machen, und überdies nötigte mich mein Rang, ihm die ersten Schritte entgegenzutun.
Ein günstiger Blick gab ihm sonach wieder Mut, ohne meine Tugend dabei zu sehr ins Spiel zu bringen; dazu hilft einem Weltkenntnis. Ohne daß ich's zu wünschen schien, führte ich ihn bis dahin, daß er mir seine Erklärung tat. Ich erinnere mich jetzt der Wendung nicht mehr, womit er sie vortrug, allein sie war dermaßen deutlich, daß es nur auf mich ankam, mich zu stellen, als ob ich darüber böse würde.
Es ziemte sich nicht für mich, ihm gleich darauf zu antworten, ebensowenig aber wollte ich ihn zur Verzweiflung bringen; daher drückte ich ihm die Hand; eine im Grunde gleichgültige Sache, und worüber man sich immer entschuldigen kann, wenn sie nicht glückt. Mehr wollte ich nicht wagen, wiewohl ich gewiß war, daß er mich liebte. Das erste Entgegenkommen muß gemäßigt sein. Ein Liebhaber, der nur etwas Kopf hat, versteht sie, ist er aber dazu nicht imstande, so ist es erlaubt, ohne Schonung für sich darin zu Werke zu gehen. Ich hatte dies bei Scholuchern nicht nötig. Er wußte, daß jede Hand, die drückt, einen Kuß verlangt, und so nahm er ihn sich. Er errötete über das Vergnügen, das er dadurch empfand, ich errötete auch, aber darüber, daß er es bei einem Kuß beließ.
Ich warf einen Blick auf ihn, der mir entsetzlich sauer ward, der gar zu gern zärtlich gewesen wäre. Es war mir nicht unlieb, daß er es war, doch zeigen durfte er's nicht. Ich machte es so, daß es nur ein Blick des Befremdens sei und die Entrüstung hätte ausdrücken sollen, worin ich mich hätte befinden müssen, allein es wollte mir nicht gelingen, [120] und die Liebe, die ihn leitete, machte ihn gleichsam fähig, bevor ich nur daran gedacht hatte, den Ausdruck zu verbessern. Hätte ich mit jemandem zu tun gehabt, der weniger scharfsichtig war, so hätte ich mich bald herauswinden können; allein der kleine Bösewicht Scholuchern nahm ihn ganz richtig für das, was er war; was ich nicht inneward. Um mir dafür zu danken, küßte er mir nochmals die Hand, die ich aus der seinigen zurückzuziehen vergessen hatte. Sein Inneres war in Aufruhr; ich war nicht mehr in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen, und fühlte bloß; er lag zu meinen Füßen; eine Attitüde, die immer Eindruck macht und einem nicht gleichgültig ist; wenn sie Ehrerbietung beweist, so lädt sie auch zugleich ein, sie zu vergessen.
Ich bückte mich, bloß um Scholuchern zum Aufstehen zu nötigen; diesen Augenblick ergriff er, einen Kuß von mir zu erhaschen, der mir bis ins Innerste drang. Alle meine Sinne waren verwirrt, und mein Kopf blieb wider Willen auf den seinen gebeugt. Es war der erste Kuß, den ich in meinem Leben empfangen hatte! Seit der Zeit habe ich öfter Wollust empfunden, sie ist mir immer teuer gewesen, solchen Eindruck hat sie aber nie mehr auf mich gemacht. Ich weiß nicht, wie es in diesem Augenblick mit Scholuchern war; ich glaube, ich wäre verloren gewesen, wenn er sich in weniger Zerstreuung befunden hätte.
Als ich mich von meiner Verwirrung erholt hatte, war der Prinz noch in der seinigen. Ein zärtliches Schmachten hing in seinen Augen, seine Seufzer waren unterbrochen, nur mit Mühe wanden sie sich aus seinem gepreßten Herzen herauf. Welch ein Glück, daß er damals nichts unternehmen konnte. Der Augenblick, da er seine Erklärung tat, würde auch der seines Glücks gewesen sein. Dies war bei Hofe etwas Gewöhnliches; ich aber wollte mich diesem Gebrauche nicht unterwerfen. Ich kannte die Männer genug, um zu wissen, daß sie eine zu schnelle Eroberung weniger der Liebe zuschreiben, [121] die man für sie hat, als der Gewohnheit, sich zu ergeben, und daß sie ihre Eitelkeit gern gedemütigt sehen, wofern sie nur die unserige beugen können. Dieser Grund hielt mich zurück, wo die Scham es nicht mehr zu tun vermocht haben würde.
Ach, Prinz, sagte ich zu Scholuchern, laßt mich! Ziemt es sich nicht für Euch, mich gegen meine Schwäche zu verteidigen? Vermehrt die Schwäche meiner Vernunft nicht, kommt wieder zu Euch und gebt mich mir selber wieder. Ach! ich liebe Euch; Ihr könnt daran nicht zweifeln; die Beweise meiner Zärtlichkeit sind Eurem Geständnis zuvorgeeilt. Wie süß ist es mir, Euch nicht alles gegeben zu haben und zu denken, daß meine Liebe Euch noch tausend Geschenke machen kann. Genießen wir das Vergnügen, uns anzubeten; überlassen wir uns ihm ganz! O daß unsere Tage in voller Glut der Liebe verströmen, daß jeder neugeborene Tag uns so wiederfinden möge; daß der gegenwärtige, wenn er uns an den vergangenen erinnert, uns Mut gebe, uns unaufhörlich zu lieben; und könnten wir doch in der Zukunft keine andere Glückseligkeit erblicken, als die uns jetzt durchwallt! Selig, unsterblich zu sein! Noch weit seliger, daß wir unsere Liebe so ewig machen als unsere Existenz.
Ach! göttliche Fee! rief Scholuchern, ich muß meinen Entzückungen erliegen! Eure Güte setzt mich in die äußerste Beschämung. Daß ich Euch meine Erkenntlichkeit nicht auszudrücken vermag, ist ja wohl ein deutlicher Beweis, wie sehr ich davon durchdrungen bin? Aber Ihr begreift selbst noch nicht, in wie hohem Grade ich Eure Huld schätze. Zufrieden damit, Euch anzubeten, wenn Ihr auch selbst durch Eure Strenge mich niedergedrückt hättet, könnt Ihr womöglich mein Entzücken beurteilen, als ich Euch meine Leidenschaft teilen sah! Glücklich, wenn ich leben darf, um Euch anzubeten, um jeglichen Augenblick meines [122] Lebens Euch zu weihen; aber wie höchst unglücklich, nicht sterben zu können, wenn Ihr je Eure Gesinnungen gegen mich ändert! Gleichwohl liebt Euch Schonkilje. Was für ein Nebenbuhler! Und brauche ich mich auch nicht um Eure Unbeständigkeit zu sorgen, was habe ich nicht alles von seiner Macht und vielleicht von seinen Reizen zu fürchten?
Ich muß gestehen, sagte ich zu ihm, er hat sich für mich erklärt, allein, ich werde nicht lange mehr meiner Liebe Zwang antun und die seinige ertragen dürfen. Ich will soviel Sorgfalt anwenden, ihn zurückzuscheuchen und Euch glücklich zu machen, daß er ebensosehr vor Schmerz als Ihr vor Freuden seufzen soll. Eine hoffnungslose Leidenschaft erhitzt sich schnell, wird aber bald wieder kalt. Verdrießlich, daß seine Aufmerksamkeit so wenig Erfolg hat, wird ihn sein Stolz – das könnt Ihr mir glauben – zuverlässig dahin bringen, seine verschmähte Liebe einer anderen zum Opfer zu bringen.
Doch wir wollen uns bezwingen. Wenn Ihr auch Genius seid, wißt Ihr doch, wie weit seine Macht über der Eurigen ist. Eure Tage freilich kann er Euch nicht abkürzen, aber er kann sie doch unglücklich machen. Unstreitig würden wir uns nicht mehr wiedersehen. Ah, ohne Schauder kann ich daran nicht denken! Wir wollen zufrieden sein, uns öffentlich durch unsere Augen zu sagen, daß wir uns lieben; die Beweise hiervon aber für dort aufheben, wo wir sicher sind. Doch begebt Euch fort von hier. Ich befürchte, man möchte uns überraschen und die Ursache der Verlegenheit erraten, worin wir uns befinden. An einem Hofe, wo Liebe die Hauptangelegenheit der Höflinge ist, würde unsere Verlegenheit nicht zweideutig sein.
Der Prinz, in Besorgnis, daß die Liebe, die ich für ihn äußerte, Kaprice sei, hätte gern gesehen, wenn vor seinem Weggehen bestimmte Gunstbezeugungen sein Glück verwirklicht hätten; aber es war nicht meine Absicht, meine [123] Schwachheit so weit zu treiben. Aus Tugend, kann ich mir wohl vorstellen, war ich nicht so zurückhaltend; ob aus Delikatesse, weiß ich nicht; aber ich kann mir kaum denken, daß ich mit Scholuchern dort haltgemacht hätte, wo wir waren, wenn ich ihn nicht hätte weggehen heißen. Seine Augen waren so zärtlich, und ich war so schwach; überdies hätte er für eine Kleinigkeit so feurige Aufwallungen gegen mich geäußert, daß ich gern hätte sehen mögen, wie überschwenglich seine Erkenntlichkeit sein würde, wenn ich ihr zu vollerem Ausbruch Anlaß gegeben. – Er ging höchst ungern weg, und ich verbarg ihm, daß ich ihn auch höchst ungern gehen ließ.
Kaum war ich allein, als ich mir Vorwürfe machte, nicht über das, was ich getan, sondern darüber, daß ich ihn so vergnügt zurückgeschickt hatte. Ich würde in Verzweiflung gewesen sein, wenn er an der Stimmung meines Herzens gezweifelt hätte, und doch fand ich es nicht für ratsam, daß er dessen so gewiß sein sollte. Obwohl ich noch nicht bestimmt wußte, was wir alles bei einem Manne verlieren, wenn wir dessen Begierden befriedigt haben, vermutete ich doch, daß er, so glühend verliebt er auch immer sein möchte, wenigstens das Vergnügen der Neugier verloren habe, und ich wußte aus eigener Erfahrung, daß dies Vergnügen einen Platz in der Seele einnimmt und daß es für eine Person nur einmal daselbst stattfinden kann. Ich hatte trotz meiner Leidenschaft für Scholuchern beschlossen, ihn lange wünschen zu lassen und bisweilen zweideutig mich gegen ihn zu benehmen. Meine Liebe litt dabei, dergleichen Politik zu ersinnen; aber sie schien mir so notwendig, daß ich meinen Widerwillen überwand.
Als ich ihn am nämlichen Tage wiedersah, waren meine Augen stummer, als sie am Morgen gewesen waren; ich gab ihnen sogar einen Ausdruck von Kälte, der ihn in Verzweiflung setzte; doch suchte ein feuriger und zärtlicher [124] Blick, den ich auf ihn heftete, weil ich überzeugt war, daß ich ihm Kummer gemacht hatte, seine ersten Hoffnungen ihm wiederzugeben. Ich weiß, daß die Männer von Welt dies Benehmen Koketterie nennen; doch für wen anders als für sie arbeiten wir? Was für Reize würden sie nicht bald schal finden, wenn wir uns nicht bemühten, ihre Herzen anzuspornen? Lieben sie uns denn stets gleich zärtlich? Sind sie gewiß, uns stets in gleicher Gemütsverfassung zu finden, so verlangen sie nichts weiter. Eine Kaprice, die sie nicht erwarteten, zieht sie aus ihrer Lethargie; sie sehen sich mit Verzweiflung auf dem Punkte, ein Gut zu verlieren, dessen sie bisher als selbstverständlich genossen; die Bemühungen, die sie sich um dessen Wiedererlangung geben, erneuert ihre Empfindungen. Sie erinnern sich nicht mehr, daß wir die ihrigen sind, sie trachten, daß wir es werden. Unser nahender Verlust allein läßt sie bemerken, wie notwendig wir ihnen waren; sie lieben uns deshalb um so mehr, und wir werden ihnen deshalb wieder teuer.
Das Herz gewinnt von beiden Seiten dabei; es erlangt mehr Zärtlichkeit. Wenn ein Liebhaber keine Grillen und Launen zu erdulden, keinen Nebenbuhler mehr zu fürchten hat, glaubt er entweder, gar nicht mehr zu lieben, oder wenigstens nur aus Gewohnheit oder Erkenntlichkeit. Tun wir ihm nicht einen größeren Dienst, wenn wir ihm einen Irrtum nehmen, der seine Freuden erlöscht? Der zärtliche Liebhaber kehrt wieder zurück, wenn die empfindungsvolle Gebieterin sich vor ihm verbirgt. Die Gunstbezeigungen, die er ganz frostig empfing, werden für ihn viel anziehender als das erste Mal, sobald er glauben muß, daß sie ihm geraubt werden würden. Er begreift dann sogar nicht einmal, wie er sie zu vernachlässigen imstande gewesen ist.
Welch ein Triumph für uns, welch ein Reiz für ihn, wenn man mitten in einer unerwarteten Aussöhnung in seinem Herzen eine Empfindung wieder aufleben fühlt, die man [125] darin nicht mehr zu erkennen vermochte! Die Liebe ist nur das, was wir aus ihr machen. Wollten wir sie so lassen, wie die Natur sie uns gibt, so würde sie zu einfach sein. Ohne Delikatesse enthielte sie keine Wollust. Wir verdanken dies Gut nur uns selbst. Man mußte es mit Schwierigkeiten umringen, um es kitzliger zu machen. Unsere Herrschaft über die Männer hängt von uns selbst ab; und büßen wir sie ein, so haben wir dies lediglich unserer geringen Geschicklichkeit beizumessen; rauben sie sie uns, so ist die Schuld nicht ihre. Ach! die armen Geschöpfe! sie würden von selbst nie daran denken. Zur Sklaverei einmal bestimmt, lassen sie sich, sobald sie die einen abgestreift haben, andere Fesseln anlegen. Sie fühlen, daß sie geboren sind, beherrscht zu werden. Wollen wir sie auf immer an unserer Kette behalten, so müssen wir ihnen nie ein vollkommenes Glück gewähren; ihre Begierden zwar immer anstacheln, sie aber nie vernichten. Mitten unter den lebhaftesten Freuden muß ihnen etwas fehlen, wäre es auch nur ein Seufzer. Die Begierden ersterben nur, wenn man sie ihr höchstes Ziel erreichen läßt; und diese Krankheit wandelt sie nur dann an, wenn wir sie damit nicht verschonen wollen.
Ach! wie bezaubernd das ist! rief Neadarne. – Auf Ehre! lieber Maulwurf, sagte Tanzai, ich habe in meinem Leben nicht so etwas Außerordentliches gesehen, als Ihr seid. – Allerliebste Bemerkungen! sagte Neadarne abermals.
Wären sie auch wirklich so schön, als Ihr sagt, versetzte Tanzai, so würden sie mir dennoch darum nicht besser gefallen. Ich finde sie langschweifig und übel angebracht. Ich weiß nichts Lächerlicheres, als Geist und Witz zur Unzeit auskramen. Die teure Zwickelbart hält uns nun schon wenigstens drei Stunden mit einer Geschichte in Atem, die ich in einer Viertelstunde zu Ende gebracht hätte. Ich glaube, um angenehm zu erzählen, muß man naiv sein. Gibt ein Faktum von ungefähr eine Bemerkung an die Hand, [126] nun gut, so mache man sie, verliere darüber aber die Hauptsache nie aus den Augen. Sie sei kurz und führe den Zuhörer wieder zu der Aufmerksamkeit zurück, die er für die Erzählung haben soll. Vor allen Dingen aber hüte man sich vor jener Sucht zu glänzen, die dem Witz Zwang antut und ihn unnatürlich macht. Dies ist für jede Art des Vortrags eine so notwendige Eigenschaft, daß ich ohne sie keine wahren Schönheiten finde.
Ich mache der Zwickelbart, fuhr er fort, keine Vorwürfe weiter über ihre Sprache, weil ich sehe, daß sie ihr angeboren ist. Aber weil wir bei dem Punkte sind, so sagt mir doch: wozu jene Wirrnis von Ideen, die immer dieselben sind, obwohl ihr Vortrag anders ist? Wozu jene hundertmal bereits gesagten Sachen, die, um wieder zu erscheinen, in einen Geschmack eingekleidet sind, der sie zwar possierlich aber nicht neu macht? Was hilft mir's, der ich Lust habe, schnell Eure Geschichte zu erfahren, alle Betrachtungen und Bemerkungen zu wissen, die Ihr hinterdrein über Eure Abenteuer angestellt habt? Lieber Herzensmaulwurf, ich bitte nochmals und zwar zu allerletzt, gebt uns Tatsachen und keinen Wortkram weiter!
Ihr könnt recht haben, versetzte die Zwickelbart; aber das Wesentliche muß gleichwohl nicht wie Unbedeutsamkeiten behandelt werden! – Nun glaubt sie doch wirklich, mir geantwortet zu haben, entgegnete der Prinz. – Das hat sie auch wirklich, erwiderte Neadarne. Sie spricht sehr gut. Ich weiß nichts Entzückenderes, als zwei Stunden über Sachen sprechen zu können, worüber andere Euch kaum eine Minute unterhalten können. Was liegt daran, wenn man sich wiederholt, wenn man nur einen Anstrich von Neuheit dem zu geben versteht, was man sagt. Überdies blendet jene vortreffliche Art sich auszudrücken, die Ihr Jargon nennt; sie gibt mehr nachzudenken. Glücklich derjenige, aus dessen Unterhaltung ein so feiner Geschmack hervorleuchtet! [127] Weshalb soll man immer einerlei Phrasen beibehalten, es nicht wagen, die voneinander zu trennen, die nebeneinander zu stehen gewohnt sind? Warum sollte es verboten sein, Wörter miteinander Bekanntschaft machen zu lassen, die sich nie gesehen haben oder die glauben, daß sie nicht zusammen passen werden? Ist das Erstaunen, worin sie sich alsdann befinden, sich nebeneinander zu erblicken, nicht eine Sache, die uns auf den Gipfel des Entzückens führt? Und wenn sie über dieses Erstaunen hinaus, das Euch amüsiert, noch Schönheiten hervorbringen, wo Ihr Fehler zu finden vermeintet, werdet Ihr Euch nicht sonderbar überrascht finden? Und muß ein Vorurteil ...
Beim Großen Affen! rief Tanzai, Ihr überrascht mich wahrhaftig; ich wundere mich, daß es nur so kurzer Zeit bedurft hat, Euch mit diesem verderbten Geschmack anzustecken. Doch wir wollen darüber nicht weiter diskutieren. Die Zwickelbart ende, wenn möglich, ihre Geschichte, verlasse mir aber ihren Scholuchern nicht mehr, um unnützen Abschweifungen nachzueilen.
Nun so erzählt denn weiter, liebe Zwickelbart, sagte Neadarne zu ihr, und gebt mir vor allen Dingen genaue Rechenschaft, nicht nur von dem, was Ihr getan, von dem, was Ihr gedacht habt, sondern auch von dem, was Ihr hättet denken wollen. Mit einem Worte, vergesset nicht den kleinsten Umstand. Ihr erzählt so gut.