Erdeinsamkeit

Oh, wir sind einsam –
Grenzenlos einsam!
Brüder! Meine Brüder!
Habt ihr bedacht schon:
Wie einsam wir sind?
Wir rollen dahin
In engen Bezirken,
Und ob wir auch tasten –
Mit pochendem Geistesfinger tasten
An die Pforten des Alls:
Unserer Weltennachbarn
Kein einziger spürt uns ...
Sie kreisen und kreisen –
Und ob wir auch träumen,
[54]
Daß durch die Himmel
Ein einiges Ahnen
Geflügelt sich schwingt –
Auf Strahlenbrücken
Von Stern zu Stern
Bewußtsein trägt
Und brünstig wirbt,
Tiefen erwühlend,
Um der Botschaft Erhörung:
Brüder! O meine Brüder!
Es ist nur ein Traum,
Und keine der Leuchten,
Der Myriaden Leuchten,
Die unser Auge gebiert,
Erhört unserer Träume
Rauschenden Flügelschlag ...
Sie sind alle so blind ...
Sie sind alle so taub ...
Und der sie bewegt,
Der urgeborene Geist,
Gab ihnen das Leben, –
Doch Leben heißt Grenze ...
Aber der Tod ist der Meister,
Der da säet Staub und erntet Staub,
Und über uns alle,
Die menschengezeugt,
Hat sich der Zypresse Trauerlaub
Herabgebeugt! ...
[55]
Und wir trauern ...
Wir trauern.
Denn die Himmel sind leer,
Ob sie auch leuchten ...
Wir wollen uns lieben, meine Brüder,
Denn wir sind einsam ...
Wohl leuchten die Himmel,
Und ihr Leuchten berückt
Uns die Seele so ganz.
Und sie heben hinaus uns
Ueber irdische Kleinheit,
Den Engpaß des Lebens ...
Doch wir sind sterblich.
Drum wollen wir heimkehren, meine Brüder,
Und wollen uns lieben
Mit geläuterten Sinnen ...
Denn wir sind einsam ...

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Conradi, Hermann. Gedichte. Lieder eines Sünders. Inferno. Erdeinsamkeit. Erdeinsamkeit. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-579F-8