38. Die Räuberbraut.

Mündlich in Altenhagen.


Es waren einmal ein Mann und eine Frau, denen hatte der liebe Gott eine wunderschöne Tochter geschenkt; und Eltern und Kind beteten und arbeiteten und lebten rechtschaffen und frisch. Eines Tages, als die Tochter gerade ihr funfzehntes Jahr antrat, [125] fuhr ein prachtvoller Wagen vor die kleine Hütte, aus demselben stieg ein vornehmer Herr, und dieser sagte zu den Eltern: »Habt ihr keine Tochter für mich zur Frau?« »Nein«, war die Antwort, »wir haben zwar eine Tochter, die soll aber noch nicht heiraten.« Damit indes ließ der Herr sich nicht abspeisen; er ließ abspannen und blieb drei Tage da. Und während dieser drei Tage war er so gefällig und fromm, auch hatte er so viel Gold und andere Kostbarkeiten, daß er zuerst und zwar schon am ersten Tage die Einwilligung der Mutter, am zweiten die der Tochter und endlich am dritten auch die des Vaters erhielt; dieser hatte zwar wiederholt zu seiner Frau gesagt: »Mir ahnt nichts Gutes dabei!« sie aber hatte ihn zu trösten und endlich sein Jawort zu erschmeicheln gewußt. Gegen Abend des dritten Tages entließen sie die Tochter, baten noch, er möge sie ja gut behandeln; und während der vornehme Herr es versprach, jagte er mit der schönen Braut davon.

Es war nun aber dieser vornehme Herr ein wilder Räuber und Menschenfreßer; unterwegs schon erzählte er dem armen Kinde lauter gräuliche Geschichten, und als er es aus dem Wagen riß, sagte er lachend zu ihm: »Willst du nun lieber in Öl gebraten oder lieber in Waßer gekocht werden? Du bist immer ein leckerer Bißen, und weil ich dich gar zu lieb habe, laße ich dir freie Wahl.« Die Braut konnte vor Schrecken nicht antworten, und der Menschenfreßer stieß sie in die Höhle, sagte noch: »Bitte den lieben Gott, daß er dir einen guten Gedanken giebt, und bereite dich während der Nacht zum Tode!« und gieng in eine Nebenhöhle. Als jene wieder zur Besinnung kam, hörte sie nebenan einen fürchterlichen Lärm: der Räuber schlug seine Haushälterin, und diese schimpfte und zerkratzte ihn. Sie war aber eine alte Hexe, und als sie gesehen, daß er ein junges Mädchen mitgebracht hatte, war sie giftig geworden und bekam nun dafür eine tüchtige Tracht Hiebe. So war es Sitte unter den beiden.

Des Nachts schlief der Menschenfreßer allein in seiner Höhle; die alte Hexe war bei der jungen Braut. Diese aber schloß kein Auge zu, sondern betete und weinte in einem fort. Ärgerlich darüber, daß sie nicht schlafen konnte, auch wohl etwas gerührt, [126] dazu noch wegen der Schläge erbost auf den Menschenfreßer, krächzte die alte Hexe endlich: »Nun laß das Greinen! Was hat das Unthier dir gesagt?« Jene antwortete: »Ob ich lieber wolle in Öl gebraten oder in Waßer gekocht werden.« Die Hexe lachte und erwiderte: »Und du hast wohl zu keinem von beidem Lust, arm Närrchen!« dieß aber klang so herzlos, daß es der armen Braut die Kehle zuschnürte. »Nur nicht so empfindlich!« fuhr das Scheusal fort, als keine Antwort erfolgte; »soll ich dich einmal kitzeln?« und sie kratzte das Mädchen, daß es laut aufschrie. »Hast ja eine recht helle Stimme!« spottete jene und fuhr fort: »Was ich dir jetzt sage, das danke den Schlägen des Wütherichs; wenn er dich morgen früh wieder fragt, so antworte, du wollest lieber in Waßer gekocht werden. Alsdann mußt du selber das Waßer tragen, denn er ist zu stolz dazu, und ich stelle mich krank; beim Brunnen ziehst du dich aus, hängst dein Zeug dem Brunnenpfahl um, als kleidetest du einen Menschen an, und versteckst dich in den hohlen Baum, den siebten am Wege rechter Hand. Nun aber laß mich in Ruhe, sonst verrathe ich selber den Plan.«

Am andern Morgen ganz früh kam der Menschenfreßer in die Höhle, und als er auf seine Frage die Antwort bekommen hatte, sie wolle lieber in Waßer gekocht sein, trat er die Hexe mit dem Fuße, um sie zu wecken, und rief: »Trag Waßer, ich schlachte derweil mein Täubchen.« »Hole dir selber Waßer!« kreischte die Hexe; »mir hast du beide Arme gelähmt.« Der Menschenfreßer fluchte und befahl der Braut: »Nimm den Krug und trag Waßer, damit ich dich koche!« Sie nahm den Krug, zog dem Brunnenpfahl ihre Kleider an und kroch in den hohlen Baum. Als sie nicht wiederkam, rief der Räuber: »Erwartest du deinen Schatz am Brunnen, daß du da so unbeweglich stehst? Nun, kehrst du nicht gleich zurück, so kann sich's recht gut treffen, daß er zu dir kommt!« Der Pfahl achtete nicht im geringsten auf den Spott, kehrte sich auch nicht daran, als der Menschenfreßer zu toben und zu drohen anfieng, und als endlich gar ein Schuß aus der Höhle ihn traf, da weinte er weder, noch fiel er um. »Ist das Mädchen kugelfest?« schrie der Menschenfreßer, nahm [127] sein breites Schwert und lief hin; wie aber kochte es in ihm, als er näher kam und die seltsame große Puppe fand! Rasend vor Wuth, sprang er mit wenigen Sätzen in die Höhle zurück, gürtete sich das Schwert um, bestieg sein treues Ross, rief der Hexe zu: »Fülle die Pfanne mit Öl und bring es ins Sieden!« und jagte davon, begleitet von seinem großen Spürhunde. Bald kam er an den hohlen Baum, und als hier der Hund stehen blieb und bellte und kratzte, zog der Räuber sein gutes Schwert, hieb durch die Rinde und spaltete der Jungfrau den rechten großen Zeh; das helle Blut spritzte heraus und auf das Schwert, doch als er's wieder herauszog, war das Blut verschwunden. So ritt er denn weiter, und als das Mädchen kein Getrappel und Gebell mehr hörte, stieg es aus dem Baume und kroch in eine tiefe Grube, wo es sich mit Zweigen zudeckte. Nach einer halben Stunde kehrte der Räuber ingrimmig zurück; der Hund blieb bei der Grube stehen, jener schlug mit dem Schwerte durch das Gezweig und spaltete denselben Zeh von der andern Seite. Wieder sprang Blut hervor; das Schwert jedoch, als es zurückkam, war blank wie zuvor. Die arme Braut legte ihr Ohr an die Wand der Grube, und als sie die Erde nicht mehr dröhnen hörte, kletterte sie mühsam heraus und hinkte dem Brunnen zu, um sich ein wenig anzukleiden. Sie hatte sich eben gewaschen, da kam der Räuber zurück, und als er sie sah, jauchzte er laut auf, und gerade hatte er sein gutes Schwert gezogen, um ihr das Haupt abzuschlagen, da kam eine Kugel vom Walde her und streckte ihn nieder. Der Königssohn nämlich jagte in dieser Gegend, und er war's, der den Menschenfreßer erschoß. Als er nun aber herzukam und die wunderschöne Jungfrau erblickte, da entbrannte sein Herz in Liebe zu ihr; den Räuber, der sich fluchend in seinem Blute wälzte, ließ er in die Pfanne voll Öl werfen, die Jungfrau aber führte er auf sein Schloß und nahm sie zur Gemahlin, und da haben sie lange glücklich mit einander gelebt.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Colshorn, Carl und Theodor. Märchen und Sagen. Märchen und Sagen aus Hannover. 38. Die Räuberbraut. 38. Die Räuberbraut. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-5746-E