[87] 29. Zwerg Holzrührlein Bonneführlein.
Mündlich in Weibeck.
In einem großen Walde lebten einmal ein Kuhhirt und ein Schäfer, und sie halfen einander in allen Nöthen. Der Hirt aber hatte eine Tochter, der Schäfer einen Sohn, und diese Kinder waren von Jugend auf unzertrennlich, und je größer sie wurden, je lieber hatten sie sich; als sie deshalb herangewachsen waren, hielt der Schäferssohn um die Hirtentochter an, und sie wurde ihm zur Frau versprochen. Nach einiger Zeit kam zum Hirten ein häßlicher Zwerg, der bat auch um die schöne Hirtentochter und brachte deshalb für Mutter und Tochter sehr viele und kostbare Geschenke mit. Doch die Tochter mochte den Zwerg nicht leiden, weil er so häßlich war, und sie überhaupt keinen Zwerg heiraten wollte; und die Mutter konnte ihn auch nicht gut »verputzen«, wenngleich sie seine Geschenke nicht ausschlug. Eines Tages kam der Zwerg wieder mit vielen kostbaren Sachen; die Mutter aber sagte: »Meine Tochter bekommt ihr doch nicht, und wenn ihr noch so viele Geschenke mitbringt«; und die Tochter setzte hinzu: »Ich will deine Geschenke nicht und dich gar nicht!« Da wurde der Zwerg sehr erbost, warf die kostbaren Sachen auf den Fußboden und er widerte der Mutter: »So leicht ist's nicht abgemacht! Ihr habt früher meine Geschenke angenommen, und dafür will ich meinen Lohn. Morgen Mittag komme ich wieder; wenn ihr bis dahin meinen Namen wißt, behaltet ihr eure Tochter, wißt ihr ihn aber nicht, so nehm' ich sie mit Gewalt!« Damit war der Zwerg verschwunden; beim Hirten aber war große Noth im Hause. – Der Schäferssohn, wenn er die Schafe im Walde hütete, hatte den Zwerg schon häufig gesehen; indes so oft er ihm auch nachgegangen war, jedesmal war er ihm aus den Augen verschwunden. An diesem Tage hütete er gerade in der Nähe einer Höhle, und das war die Zwerghöhle. Der Schäferssohn stand [88] auf seinen Hirtenstab gelehnt; da plötzlich kam der Zwerg wie vom Sturmwind getrieben durch den Wald gesetzt und verschwand in der Höhle. Am Eingang derselben stand eine gelbe Blume, welche der Schäferssohn schon oft bewundert hatte, weil ihre Farbe und Gestalt so ganz eigner Art war; diese Blume hatte der Zwerg erst angerührt, bevor er in die Höhle gegangen war. Weil es so laut im Berge wurde, horchte der Schäferssohn, und da hörte er denn, wie der Zwerg vernehmlich sang:
»Hier sitz' ich,
Gold schnitz' ich,
Mein Nam' ist
Holzrührlein Bonneführlein.
Wenn das die Mutter wüßt',
Behielte sie ihr Mägdelein!«
Der Schäferssohn merkte sich die Namen, da sie ihm gar zu merkwürdig vorkamen, und als er abends zu seiner Liebsten gieng und von ihr den Jammer vernahm, da erzählte er alles und tröstete sie. Die Mutter wiederholte sich die Namen so lange, bis sie ihr ganz geläufig waren, und nun sahen sie der Ankunft des Zwerges ruhig entgegen. Am andern Tage um die Mittagszeit erschien er richtig, trat vor die Mutter und sagte in spöttischem Tone: »Nun, herzliebe Frau Mutter, wißt ihr meinen Namen schon?« Diese stellte sich ängstlich und erwiderte: »Ach, wie mögt ihr doch nur heißen? Ihr nennt euch doch wohl nicht Mäuserich?« Der Zwerg lachte und sagte: »Weit gefehlt!« »Heißt ihr denn vielleicht Ruppsteert?« »Wieder gefehlt!« lachte der Zwerg. »Ach, wie nennt ihr euch denn? Holzrührlein Bonneführlein heißt ihr doch gar nicht!« Augenblicklich war der Zwerg verschwunden, und man hörte und sah ihn nimmer wieder; der Schäferssohn aber bekam die Hirtentochter, und sie haben lange glücklich und zufrieden mit einander gelebt.