35. Der Welthund.

Mündlich in Ribbesbüttel.


So wohlhabend Ribbesbüttel jetzt ist, so arm und elend war es vorzeiten; aller guter Grund und Boden gehörte dem adeligen Gute, und dazu mußten die Bauern nicht nur den Zehnten geben von allem, was ihnen wuchs an Thier und Kraut, sondern sie mußten auch Herrendienst thun, so oft es den Herren beliebte. Einst war der Herr nach dem gelobten Lande gereist und hatte einem Verwalter sein Gut übergeben. So mild nun jener immer gewesen war, so hartherzig war dieser: war der Zinshahn nicht fett genug, so drehte er ihm den Hals um und verlangte einen beßern; holte er den Zehnten vom Felde, so suchte er sich die dicksten Garben aus und trat die übrigen mit Füßen; hörte er, daß ein Bauer einfahren wolle, so bestellte er ihn zum Herrendienst, und so wüthete er, als ob kein Herr auf Erden und keiner im Himmel über ihm gewesen wäre. Nun kam ein schwerer Krieg über das ganze Land, und während derselbe die Bauern gänzlich ruinirte, füllte er dem Verwalter Kisten und Kasten: bei ihm wohnten die Offiziere, die viel Geld hatten, bei den Bauern die Soldaten, die viel verzehrten und nichts bezahlten; und wenn ein Bauer die Kriegessteuer bezahlen sollte und sie nicht anschaffen konnte, gieng er zum Verwalter und lieh sich die Summe, und [113] wenn er sie nicht zur rechten Zeit zurückzahlen konnte, wurde ihm das Vieh aus dem Stalle genommen. Dadurch bekam der Verwalter zuletzt fast alle Kühe, Schafe und Schweine aus dem ganzen Dorfe in seine Ställe, und er benutzte die großen Heerden dazu, seine Schätze zu mehren. Hört aber, wie es ihm ergieng!

Einst war er nach Braunschweig gereist, um ganze Wagen voll Wolle zu verkaufen; da zur Nachtzeit kam die Pest ins Dorf und tödtete ihm alle seine Heerden. Als er am andern Abend wiederkam und auf dem Felde die Zeitung vernahm, wurde er wüthend, ballte die Faust gegen den Himmel, an welchem eine schwarze Wolke hieng, und sprach: »Du hast meine Heerden getödtet, so friß sie auch!« Und der liebe Gott antwortete ihm aus der Wolke, donnerte und verwandelte den Bösewicht in einen großen schwarzen Hund; dieser lief alsbald zu dem todten Vieh und sättigte sich daran. Seit der Zeit nun geht der »Welthund« noch alle Nacht im Dorfe um, besonders häufig wird er in der »Twetje« gesehen; sein Auge, das er mitten vor dem Kopfe hat, ist so groß wie ein Butterteller und leuchtet erschrecklich, aber bellen hören hat ihn noch niemand; und wenn jemand sterben will, so läuft er in der Nacht vorher dreimal um das Haus und von da zum Kirchhofe; und wenn lange niemand gestorben ist, so sieht er mager und hungerig aus; wenn hingegen ansteckende Krankheiten unter Menschen oder Vieh sind, so ist er dick und fett.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Colshorn, Carl und Theodor. Märchen und Sagen. Märchen und Sagen aus Hannover. 35. Der Welthund. 35. Der Welthund. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-571A-3