[176] 63. Hackelnberg.

Nach der mündlichen Erzählung eines Köhlers.


Tief im Gewalde des Harzgebirges, in einem engen Thale, weit von allen menschlichen Wohnungen entfernt, stand am Ufer eines Gießbachs eine einsame Hütte. Einige Stangen, welche mit ihren Spitzen in die Erde gesteckt, oben zusammengebunden und mit Strauchwerk und Rasen bedeckt waren, bildeten das kunstlose Gebäude; vier oder fünf Ziegen weideten in der Nähe, und mehrere rauchende Meiler umher bezeichneten die Hütte als den Aufenthalt von Köhlern. Und so war es auch. Hans und Ernst, Vettern und treue Freunde, hatten sich in diese ferne Gegend begeben, um den Sommer hindurch emsig ihrem Gewerbe nachzugehen. Sie waren kräftige Jünglinge, durch die Sonne gebräunt und durch Ruß geschwärzt. Mit mächtigen Schürbäumen in den Händen und in tiefe Gedanken versunken, standen sie und warteten ihrer Meiler. Hans, der ältere von beiden, hatte daheim eine Braut, bei welcher er mit seinem Sinnen verweilte, während die Phantasie des jüngern nach den fernen Ruinen des »Acker« hinüberschweifte, und er von Schlößern und Burgen und deren Insaßen träumte. Er war hochfahrenden Sinnes und hätte gar zu gern den Schürbaum mit dem Schwert vertauscht und wäre ein Ritter und Buschklepper geworden wie jene, von denen er so oft gelesen. So verschieden aber auch die Gemüther der Vettern waren, in einem Punkte stimmten ihre Wünsche überein: reich hätten sie sein mögen, recht reich, um zur Erfüllung ihrer Wünsche zu gelangen; jener, um seine Geliebte heimzuführen, dieser, um ein vornehmes Leben zu führen. Wenn sie mittags oder nach vollbrachtem Tagewerk ihr einfaches Mahl zusammen verzehrten, dann pflegten sie wohl öfter ihre Gedanken auszutauschen und ihre Sehnsucht einander mitzutheilen und sich entweder die Zukunft mit glänzenden Farben zu malen, oder über [177] die trüben Bilder der Wirklichkeit zu seufzen. So geschah es auch heute.

Die Sonne näherte sich ihrem Untergange, ihre letzten Strahlen vergoldeten die Bergkuppen rings umher, während es im Thale allgemach dämmerte. Noch einmal giengen die Jünglinge von Meiler zu Meiler, dieselben sorgfältig untersuchend, ob alles in Ordnung sei; dann warfen sie die Schürbäume bei Seite, wuschen sich Gesicht und Hände im Bach, lockten die Ziegen zusammen, banden sie fest und eilten nun dem Eingange der Hütte zu. Neben demselben war eine Bank; auf diese ließen sie sich nieder und träumten. Als der Abend kühler wurde, rafften sie dürres Reisig zusammen, legten einige Scheite darauf und zündeten ein Feuer an, das lustig emporpraßelte und die Umgebung erhellte; sie aber saßen wieder und schauten trübsinnig hinein.

Endlich brach Hans das Schweigen. »Höre, Ernst,« sprach er, »dieses Leben ertrage ich nicht länger; die Sehnsucht nach meiner Elsbeth zehrt schier an meinem Leben. Tag und Nacht denke ich an sie; ich mag nicht ohne sie sein, und doch weiß ich nicht, wann und wie sie die Meine werden soll. Das elende Kohlenbrennen fristet kaum mein eigenes kümmerliches Dasein! Tausend Pläne haben schon meinen armen Kopf durchkreuzt; aber der eine ist am Ende so unausführbar wie der andere.«

»Nun nun«, erwiderte Ernst, »meinst du etwa, mir wär's Honigseim, hier einsam meine Tage zu verlungern, Holz zu fällen und zu spalten und die schwarzen Dinger daraus zu schwelen, ob ich gleich fühle, daß ich Größeres leisten könnte? Zwar sind deine Wünsche nicht die meinigen, aber dennoch haße ich unser Gewerbe. Täglich gemahnen mich die verfallenen Gemäuer der alten Burgen, die du dort herüberwinken siehest, daß es noch Gegenden giebt, wo der Ritter auf sein gutes Schwert vertrauen darf und Recht hat, weil er der Stärkste ist. Ach, ein herrliches Leben! – – Ich wüßte wohl einen, der uns helfen könnte, aber ...«

»Halt«, unterbrach ihn Hans, »male den Teufel nicht an die Wand! Auch ich habe schon oft in schlafloser Nacht an ihn gedacht, [178] verzeih mir's Gott! doch möchte sein Gold uns leicht Fluch statt Segen bringen.«

»Possen«, lachte Ernst, »Gold ist Gold, wenn es nur gediegen ist; und Hackelnberg's Gold ist reiner, als das beste aus dem Rammelsberge! Hätten wir nur genug davon; werden's in Goslar schon nehmen, und die Goldschmiede verachten's auch nicht.«

Während die Freunde solche und ähnliche Gespräche führten, brach die Nacht herein. Das Feuer war fast erloschen; frisches Reisig und andere Scheite warfen sie hinein, und es loderte von neuem hell auf und warf seinen Schein weit umher. – Die Nacht war prachtvoll, Sagen und Märchen hiengen an allen Ästen, zahllose Sterne leuchteten am tiefblauen Himmel, kein Lüftchen regte sich; nur hin und wieder wurde diese feierliche Sabbathstille durch das Rauschen eines Nachtvogels unterbrochen. Dieß alles bemerkten die Freunde nicht; in sich gekehrt, saßen sie wieder da, jeder über seinen eignen Gedanken brütend. Urplötzlich drangen wunderbare Töne zu ihnen herüber und schreckten sie aus ihren Träumen. Aus weiter, weiter Ferne, hoch oben aus der Luft schallte es wie Rüdengebell, das Hifhorn tönte dazwischen, die Hetzpeitsche knallte, und deutlich hörten sie den Jagdruf des Jägers. Da merkten sie, Hackelnberg sei im Anzuge mit seinem Heer, liefen bestürzt in ihre Hütte und wagten kaum zu athmen. Und immer näher und näher kam die wilde Jagd, lauter schallte das Gekliffe und Geheul der Meute, heller tönte das Hifhorn, heftiger knallte die Peitsche, und deutlicher wurde der Ruf: »Hiho! hiho! hallo!« Jetzt war sie über ihnen, und rund um ihre Hütte rischelte und raschelte es im Grase und Untergebüsch, wie wenn Hunderte von Teckeln die Fährte des Wildes verfolgten. Eiskalt lief es ihnen den Rücken hinunter, und ängstlich lugten sie durch die Fugen ihrer Hütte. Da sauste es plötzlich durch die Luft, und sie sahen Knochen dahergeworfen, groß und dick wie starke Pferdeknochen, die flogen gerade in ihr Feuer, daß die Lohe hoch auffuhr, und die Funken weit umherstoben. – Weiter und weiter zog der Hackelnberg mit seinem Gefolge, und endlich war alles wieder still wie zuvor. Neugierig traten die Jünglinge aus [179] der Hütte, nach den hingeworfenen Knochen zu schauen. War es ein Blendwerk des Bösen, oder war es Wahrheit? Kaum hatten sie das Feuer aus einander geworfen, so blinkten ihnen Goldbarren entgegen, rein und gediegen, als kämen sie eben aus dem Treibofen, und blendeten das Auge mit ihrem Glanze.

»Herr, führe uns nicht in Versuchung!« betete Hans, während Ernst in ungemeßnen Jubel ausbrach. »Meine Träume, meine Träume!« jauchzte er, »endlich sind sie erfüllt! Bruder, Herzensbruder, jetzt sind wir reich genug, überreich; jetzt können wir leben nach unsers Herzens Gelüsten! Komm, laß uns theilen; unser Jammerleben hat ein Ende, und man soll sehen, daß wir ebenso gut den großen Herrn spielen können wie andere Leute!«

»Da sei Gott vor«, erwiderte Hans, »daß mir das Metall ein Fallstrick zum Bösen werde! Nein, Ernst, ich mag des vielen Goldes nicht; nur so viel begehre ich, mir ein Häuschen und einen kleinen Acker zu kaufen, wo ich, vereint mit meiner Elsbeth, mich meiner Hände Arbeit ernähren und dem Dürftigen ein Almosen reichen kann; das übrige behalte dir.«

»Wie du willst«, sagte Ernst, bei dem schon die Habsucht sich regte, »steht dein Sinn nicht höher, mag's so sein; je weniger du nimmst, desto mehr bleibt mir; will's schon gebrauchen, daß es eine Freude sein soll.«

Unter solchen Reden brach der Tag an. Und sie ließen Kohlen Kohlen und Meiler Meiler sein, nahmen ihren Schatz, den sie kaum zu tragen vermochten, wanderten fröhlich und wohlgemuth Goslar zu und trugen ihn geraden Weges zur Münze, wo ihnen viele tausend blanke Goldstücke dafür ausgezahlt wurden. Nur um eine Tasche voll bat Hans, die übrigen ließ er seinem Vetter. Dann nahmen sie unter Thränen und Glückwünschen Abschied von einander, und jeder zog seines Weges.

Ins Thüringerland begab sich Ernst, kaufte sich Land und Leute, baute sich hoch oben auf einem Berge eine stolze Burg, hielt sich viele Mannen und begann sein Ritterleben. Wie er vorher geträumt, so that er nun: mit eiserner Faust herrschte er über seine Unterthanen, in wildem Übermuth lagerte er sich an[180] die Landstraßen und plünderte die friedlichen Kaufleute, die arglos ihres Weges zogen. Die Drohungen des Landgrafen verlachte er in seinem Felsenneste und lebte mit seinen Genoßen in Saus und Braus. Bald war sein Name berüchtigt im Lande, und er ein Schrecken für jedermann. Doch nur wenige Jahre währte seine Herrschaft; der Kaiser selbst legte sich ins Mittel. Er forderte den stolzen Ritter vor seinen Richterstuhl, und als er nicht erschien, that er ihn in die Reichsacht und schickte ein Heer aus, dieselbe zu vollziehen und ihn todt oder lebendig auszuliefern. Die Burg wurde erobert und dem Erdboden gleich gemacht; den Ritter selbst aber bekamen sie nicht in ihre Gewalt: er war verschwunden; niemand wußte, wo er geblieben.

Ganz anders ergieng es dem ehrlichen Hans. Kaum hatte er sich von seinem Vetter getrennt, so fiel ihm ein: »Der Gerechte erbarmet sich auch seines Viehes.« Er gedachte seiner Ziegen, die sie ohne Futter verlaßen hatten, kehrte zunächst nach der einsamen Hütte zurück, und während die Thiere die gereichte Nahrung verzehrten, übersah er noch einmal gerührten Sinnes den Schauplatz seiner bisherigen Thätigkeit. Dann führte er die zutraulichen Geschöpfe mit sich und gieng dem Dorfe Sieber zu, wo Elsbeth ihn freudig empfieng. Er erzählte ihr sein Glück, und beide dankten Gott in innigem Gebete und flehten zugleich um Beistand, des Schatzes wohl zu gebrauchen. Und ihr Gebet fand gnädige Erhörung. Nachdem der Segen der Kirche sie vereinigt, kauften sie ein Gütchen bei Herzberg und schafften und wirkten in Gottseligkeit mit treuem Fleiße. Und siehe, was sie vornahmen, gedieh ihnen zum Segen, so daß sie bald zu den wohlhabendsten Leuten der Gegend gehörten. Das erfuhren denn auch die Armen und Nothleidenden in reichlichem Maße; mit vollen Händen theilten jene ihnen Spenden, und die besten Segenswünsche begleiteten die Wohlthäter auf ihren Wegen. Und der liebe Gott schenkte ihnen zwei süße Kinder und damit viele Freude. Oft nach vollbrachtem Tagewerke unterhielten sie sich über ihr Glück und priesen den Hackelnberg ob seines herrlichen Geschenkes.

[181] So saßen sie auch eines Winterabends in traulichem Gespräch. Draußen heulte der Sturm, daß die benachbarten Eichen krachten, und die Fenster von Zeit zu Zeit klirrten, wenn Schnee und Regen gegen dieselben schlug. Im Stübchen aber war's behaglich: ein lustiges Feuer loderte im Kamin und verbreitete seine erquickende Wärme; zwei bequeme Lehnseßel standen daneben, zwischen denselben ein sauber gedeckter Tisch, und auf dem Tisch das dampfende Abendbrod nebst einer Kanne Warmbier. Die Kinder waren schon zu Bett, und die Eltern ließen abermals Vergangenheit und Gegenwart an ihren Blicken vorübergleiten und machten Pläne für die Zukunft. Auch des fernen Vetters gedachten sie, und wie es ihm ergehen möge; denn keine Kunde von ihm war zu ihren Ohren gekommen. Da vernahmen sie plötzlich ein Klopfen an der Hausthür, das immer ungestümer wurde. »Wer mag zu solcher Zeit und bei solchem Wetter noch wandern?« sprach Hans, indem er die Lampe vom Tische nahm, um nach dem Pocher zu sehen. »Wer da?« rief er auf der Hausflur, und eine klägliche Stimme antwortete: »Ach, ein armer, sehr armer Wanderer, der euch für eine Nacht um ein Obdach bittet; ich kann nicht weiter in dieser stürmischen Nacht!« »Glaub's wohl!« entgegnete Hans und öffnete mitleidig die Hausthür. Herein trat ein Mann, in Lumpen gehüllt. Er war noch in den besten Jahren, aber Kummer und Noth hatten tiefe Furchen über sein Gesicht gezogen, das bei dem ungewissen Scheine des Lichtes geisterbleich erschien. »Wer seid ihr?« fragte Hans erschrocken; aber stumm stand der Fremde und stierte ihn an. »Kommt herein«, fuhr Hans fort; »ihr seid durchnäßt und vom Wetter verklamet; ein war mer Trunk und trockene Kleider werden euch wohlthun.« Und er ergriff den Wanderer bei der Hand und führte ihn ins warme Zimmer, wo er sogleich seine Kleider wechseln und den einen Seßel am Kamin einnehmen mußte. Jetzt wiederholte Hans seine Frage, und »Hans, kennst du mich denn gar nicht mehr?« war die Antwort, die der andere hervorschluchzte. »Ich bin dein reicher Vetter Ernst, jetzt der Ärmste in Gottes weiter Welt, arm an Geld, arm an Freunden, ohne Heimat, [182] ohne Ehre, ohne Frieden in der Brust!« Weinend fiel ihm Hans um den Hals, und Ernst erzählte ihm nun seine ganze Geschichte wahr und offen. »Ja«, so schloß er seine Erzählung, »mag ich auch alles verloren haben; doch ist mir das Gleichnis vom verlornen Sohn im Gedächtnis geblieben, und meine höchste Noth brachte auch in mir den Entschluß hervor: ›Ich will umkehren und zu meinem Vater im Himmel gehen, ihm meine schweren Sünden bekennen und fortan ein Leben führen, das ihm geweiht sein soll.‹ Dich, Hans, wollte ich aufsuchen, damit du mir zur Ausführung meines Vorhabens behülflich sein möchtest, und nun führt mich der Herr selbst durch sein Wetter so unvermuthet in deine Behausung. Ach, Hans, hilf mir, wenn du es vermagst!«

Hoch erfreut sah Hans die Umkehr seines Freundes und erwiderte: »Bleibe bei uns, Ernst, wir haben gottlob! genug für uns alle, und du kannst mir die Wirthschaft führen helfen.« Auch Elsbeth bat ihn darum.

Dankbaren Herzens schlug Ernst in die dargebotene Rechte des Freundes und führte, geheilt von seinem Stolze, noch viele Jahre ein stilles, heiteres und glückliches Leben im Kreise ihm befreundeter Seelen. So war das Geld doch ein Segen für alle geworden, und noch die spätesten Enkel und Urenkel erzählen ihren Kindern die Geschichte vom Schatze des Hackelnberg.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Colshorn, Carl und Theodor. Märchen und Sagen. Märchen und Sagen aus Hannover. 63. Hackelnberg. 63. Hackelnberg. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-56DA-C