Übungen im Stil
a) Naiver Stil.

Urian

an die – Rezensenten der ersten bei Perthes hinter dem breiten Giebel herausgekommenen Ausgabe seiner Nachricht: von der Neuen Aufklärung.


Ihr geht gar unbarmherzig dran,
Und schmähet alles um und an,
Schmäht den Poeten und den Mann,
Und Perthes und den breiten Giebel –
Nehmt doch die Wahrheit nicht so übel!

[461] b) Verhaltener Stil.

Der Literatus N.N.


Als er geboren war, und in der Wanne lag;
Da klapperte der Storch entsetzlich auf dem Dach,
Und seine Mutter rief und sprach:
»Das gibt einmal 'n großen Mann,
Hör einer doch den Storch nur an!«

c) Bedenklicher Stil.

Der Mensch, liebes Kind, hat eine Erkenntnis a priori und eine a posteriori, Vernunft und Erfahrung. Diese beide arbeiten sich einander in die Hand, und bringen denn ebensoviel zuwege, als der Mensch zur Leibesnahrung und Notdurft braucht. Denke gern über beide, und ihre gemeinschaftliche Arbeit und Verbesserung nach. Nur trenne sie nicht; denn sie sind Mann und Frau, und müssen beisammen sein zu einer vernünftigen Haushaltung und wenn legitime Kinder sollen geboren werden.

Sie, die Frau oder Modifikation dein selbst, ohne den Mann: ist eine hölzerne Servante, die nichts kann, und nichts ist; und er, der Mann ohne die Frau: ist ein alter Junggesell, der am Fenster sitzt und die Kinder winseln hört die er hätte haben können. Oder, wenn dir vielleicht, weil du doch eines Fabrikanten Sohn bist, ein ander Gleichnis besser paßt; die Erfahrung liefert die rohen Materialien, und die Vernunft macht die Fabrikware daraus. Wenn keine Materialien geliefert werden; so steht die Fabrike still, oder kann höchstens nur Formen machen.

So fein und schwürig auch die Einsicht in den Methodum der Warenfabrikation ist; so geht es doch mit der Sache selbst so leicht und natürlich vonstatten, als mit dem Luftholen.

Und man holt recht gut Luft, ohne zu wissen wie sie geholt werden muß und geholt wird.

Ein alter Brahmine sagt über die Allwissenheit des Brahm: »Von allen vielbegreifenden Eigenschaften ist die Allwissenheit die größte. Von eigner Eingebung – ist sie keinem Zufalle der Sterblichkeit, der Leidenschaft und des Bösen unterworfen. Für sie gibt es keine dreifache Zeit, keine dreifache Art des Seins. Von der Welt getrennt – ist sie von allem unabhängig.«

Mit unsrer Wissenheit ist es anders beschaffen. Sie ist von der Stirne bis zur Brust unterworfen und abhängig, und ihre Füße [462] liegen in dem Stock der Zeit und des Raums. Aber unser Scharfsinn und Indüstrie sind unerschöpflich. Wir suchen zu entfliehen, über Land oder über Meer – und wenn wir auch den Stock selbst zum Kiel eines Dreimasters brauchen sollten.

Doch, liebes Kind, so entkommen wir nicht, und unsre selbstgeschäftige Vernunft ist jener leibhafteLord, der, nachdem er sein großes Vermögen durchgebracht hatte, schuldenhalber festgesetzt war, und nun im Turm Projekte machte, die Nationalschuld abzutragen.

d) Planer Stil.

Was ist, das ist. Und was nicht ist, das ist nicht.

e) Kinderstil.

Brief


Meine liebe Mama, ich grüße Dich. Mein lieber Papa, ich grüße Dich. Mein lieber Hans, ich grüße Dich.

Ich grüße Euch, so viel als ich kann.

Mein lieber Papa und Mama, ich danke Euch für den Brief, als ich danken kann.

Nun ist es schlechtes Wetter, und gestern auch; die zwei Tage gehen immer kalt weg.

Ich bin sehr lustig. Ich denke, daß ich nicht unartig bin. –

Ich habe Dich viel tausendmal lieb, alle drei.

Wenn Du wieder zu Hause kommst, so denke ich wohl, daß ich schon einen a auf der Rechentafel machen kann, und vielleicht auch einen c.

Ich will mich üben auf das Lernen allein.

Lieber Hans, es ist erstaunlich, erstaunlich mit die Fliegen.

Ich weiß gar nicht mehr, wie der Hans aussieht.

Aber meine liebe Mama, ich kann mir noch gut vorstellen, daß ich Dich leiden mag, und Papa und Hans auch, wenn sie auch nicht hier sind, und gar wenn sie hier sind.

Ich grüße noch einmal.

Es ist wohl zu viel, aber ich muß doch noch einmal grüßen.

Es regnet.

Ich will eben zu Tische gehen. Wir haben nichts als gelbe Wurzeln, nichts anders. Das ist ein unmenschlich elendig Essen; und so geht es meist alle Mittag.

Das ist das letzte Mal, daß ich schreiben kann.

Den 18. August.

[463] f) Galanter Stil.

Eine gewisse Anmerkung betreffend.


Die hohen Götter zuweilen geruhn
Herabzulassen sich, und Menschenwerk zu tun.
So sahn wir jüngst den großen kritischen Poeten
Aus dem Kategorienhimmel in den Hühnerhof treten,
Und freundlich Hekatomben wie Haber streuen
Für die Hühner des griechischen Leuen.

g) Nachbarlicher Stil.

Am Geburtstag eines langen Emigranten.

(NB. Der Marsch aus Henri IV. muß dazu gehen.)


Sir Prinz Heraklius schickt seine Musikanten
Zum langen Emigranten,
Ihm zu spielen diesen Tag
Was der Orient vermag
Mit Reigen,
Mit Pfeifen,
Schellentrommel,
Vox humana,
Triangel
Und Becken- und Rutengetös.
Auch hätt er für sein Leben
Gern etwas mitgegeben;
Aber, aber,
Aber, aber, da gebricht's.
Denn Seiner Hoheit haben nichts;
Auch heute nichts,
Und nimmer nichts.
Sir Prinz Heraklius schickt seine Musikanten
Zum langen Emigranten:
Daß er überglücklich sei,
Alles Kummers frank und frei!
Er lebe hoch!
Er lebe lebe hoch!
Der liebe Lange lebe hoch!
Und aber hoch,
Aber hoch!

[464] h) Pikanter Stil.

Über die wiederholt und von so vielen Seiten her geäußerte Politessen gegen den Brummelbären und den Urian.


Die Wahrheit bleibt doch Wahrheit, wie ich sehe;
Gut eingerieben tut sie wehe.

i) Freundlicher Stil.

>

An den Brunnen zu Pyrmont, den 4. August 1797.


Fern aus einer kleinen Hütte
Komm ich her zu dir. Ich hör, du machst gesund.
Lieber Brunnen, schön und rund,
Bitte dich aus Herzensgrund,
O du lieber Brunnen! Bitte, bitte!
Mache mir mein Liebchen doch gesund!

k) Konfuser Stil

Deficit. Ist auch so leicht zu treffen.

l) Brillanter Stil

Ehrwürdiger,

lieber Herr Bruder,

Ich wohne am Wasser, und nehme mir die Freiheit, einige Bewohner dieses schönen Elements, durch meinen Freund N.N. der bei Ihnen durchreiset, an Ihre Küche abliefern zu lassen. Sie sind ein kleines Opfer, das Ihrem Namen gebührt, und das ich, als eine Captatio Benevolentiae, meinem neuen Nachbar mit Vergnügen bringe.

Ich brenne schon lange, Ihre Bekanntschaft zu machen, und mich mit Ihnen über die itzige Gestalt der Theologie zu unterhalten. Wer in aller Welt hätte, vor Semlers Zeiten, sich solche Riesenschritte, und eine solche transzendentale Veränderung in unsrer Kunst auch nur ahnden lassen? Zeit war's indes, und würklich hohe Zeit. Die Philosophen, und man kann sagen ein jedweder in seinem Fach, fingen seit lange an, auf den Grund zu gehen und Perlen zu fischen; und der Kirchen-Lugger trieb sich auf der Oberfläche herum, und machte mit seiner altfränkischen Parlamentarflagge eine traurige Figur dazu. Nun die [465] Bahn einmal gebrochen und die Theologie hinüber ins philosophische Klima gebracht und gebettet ist, haben wir keine Not weiter, und können alle, ein jeder seines Orts, ruhig fort und vorwärts arbeiten.

Erlauben Ew. Ehrwürden, daß ich Sie mit meiner besondren Denkart und Methode etwas näher bekannt machen darf.

Auf der einen Seite war, sowie ich auf der Universität die gehörige Richtung und Weisung erhalten hatte, gleich mein Entschluß gefaßt: mich aus demtheologischen Heerrauch ganz und gar herauszuziehen. Ich merkte mir deswegen alles in der Bibel was die Probe nicht aushält sorgfältig an, und hatte mir, schon als Kandidat, eine Liste über die Hauptpassus und -aberglauben gemacht – die ich denn, gleich in den ersten Amtsjahren, einen nach dem andern mit der Vernunft angegriffen und herausgehoben habe; und seitdem immer und bei aller Gelegenheit daran erinnere und sie gleichsam als eine Reihe Zähne beständig um den Hals trage.

(Im Vertrauen gesagt, ist mir und meinem Kollegen, dem Syrer und Chaldäer, diese Arbeit sauer genug geworden, und hat uns oft viel Kopfbrechens gekostet. Und noch sind einige Dinge übrig, denen wir weder durch Akkommodation noch durch den damaligen Sprachgebrauch etc. etwas anhaben können. Doch diese Bucephale werden mir einige berühmte Männer, die ich auf einer projektierten Gelehrtenreise bald zu sprechen hoffe, schon bändigen helfen.)

Auf der andern Seite habe ich mich ganz in Moral und Menschenglück hineingeworfen; bleibe aber in abstracto und fasse alles à jour, doch bald so bald so und immer anders; damit einesteils das Einerlei nicht ermüde, und andernteils damit die feste Form nicht nach und nach Ahnenrechte erwerbe, und sich so die Vernunft selbst nicht zu Aberglauben verhärte.

Das wären etwa die Hauptlinien einer Methode, darüber ich, wenn ich es sagen darf, schon von manchem Gelehrten ein Kompliment erhalten habe.

Ich sehe auch davon die ersprießlichsten Folgen. Das Bewußtsein, und der edle Trotz auf die schönste Gabe des Himmels lebt und webt in meiner Gemeine. Der gemeinste Kerl fodert hier Gründe, lacht über Glauben und Vertrauen; und will sehen.

Von den leeren Zeremonien sage ich Ihnen nichts. Ich mache keine mehr. Ich mache fast nichts mehr. Der ich die Ehre habe etc.

[466]

m) Schlichter Stil

Antwort


Sie werden dahin kommen, daß Sie würklich nichts mehr machen, lieber Herr Bruder.

Warum wollen Sie keine Zeremonien machen? Unser Herr Christus selbst hat alle Gerechtigkeit erfüllt; so können Sie es wohl auch tun. Wir wissen alle, daß in dem Äußern nichts liege; aber Zeremonien können gute Rührungen veranlassen, und auf gute Gedanken bringen. Auch sind sie bisweilen ein Fähnlein über dem Wasser, das uns anzeigt, wo der Schatz gewesen und versunken ist. Lassen Sie das Fähnlein stehen. Es ist übrigens schlimm genug, daß Ihre Zeremonien so leer sind. 59

Und was haben Sie anzugreifen, und herauszuheben? Sie sind berufen, das Evangelium zu lehren, und dürfen nicht daran ändern noch rühren.

Sie sind kein Perlenfischer und Bijoutier, der seine und überhaupt keine gleißende Ware zu Markt bringen soll. Sie sollen Gottes Wort predigen, ein Tröster in Not und Tod sein, und sich selbst und Ihre Gemeine selig machen.

Ich widerrate Ihnen deswegen auch die projektierte gelehrte Reise. Bleiben Sie zu Hause, und suchen das Böse, was Sie bisher gestiftet haben, so viel möglich wiedergutzumachen.

Ich danke Ihnen für die Fische, und habe die Ehre etc.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Rechtsinhaber*in
TextGrid

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Claudius, Matthias. Gedichte und Prosa. Asmus omnia sua secum portans. Sechster Teil. Übungen im Stil. Übungen im Stil. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-559D-B