Über den Vorzug der Gelehrten

mit einer langen Note aus'm Baco


Da hab ich mich neulich gezankt, und das ist mir recht ärgerlich. Unserein'm ist's wohl so sehr nicht zu verdenken; man versteht nichts Rechts, und dazu haben wir gemeinen Leut unsre Leidenschaften, die uns oft bei'n Ohren weiter ziehn als man gern wollte, ja wohl als man gern wollte; aber 's ist doch ärgerlich, und es fällt ein'm unterwegs immer wieder ein. Der Bach so ruhig, denk ich denn wenn ich übern Steg geh, und du hast so gezankt!

[92] Hmm! 's ist 'n rechtes Leid mit den Leidenschaften! man könnt in der Welt leben wie 'n Kind an Mutterbrust, wenn sie uns das Spiel nicht verderbten; aber sie verderben's! Am Mastbaum gebunden und Kütt in'n Ohren ist mühsam und umständlich, und das Harfenstückchen ist schwer zu treffen. 2 – Ja, aber das ist recht kuriös, daß die Gelehrten auch zanken! die kennen doch was Bessers, und können mit der Philosophie 'n Stück aufspielen, daß Tiger und Löwen Hände lecken, und Klötz und Stein' anfangen zu tanzen. Das können die Gelehrten, das hat schon vor tausend Jahren einer getan, und was werden sie sint der Zeit nicht für Paspagees gelernt haben. Sans Compraison! Neid, Eitelkeit, Geiz, Wollust und wie's Ungeziefer weiter heißt, da weiß 'n Gelehrter nicht von, das muß alles h'raus, und das ist nur noch erst so das Stimmen zur Musik, das Kämmen und Waschen zur Audienz beim Schnittermädchen des Himmels. Und doch zanken sie so viel und gewaltig untereinander, und das kann ich man eben nicht so recht begreifen, und da pflegt mir denn allerlei dabei einzufallen, so allerlei Gleichung usw. z. Ex. Als ich noch Knab war mit den andern Knaben, war in unserm Dorf auch 'n Mädchen, hieß Rebekka. Sie hatt ein Paar blaue Augen und ihr Gesicht war weiß und rot, und alle wir Knaben buhlten um sie. Wie's manchmal trifft daß 'n blindes Huhn auch 'n Korn findet, so ging's auch [93] hier. De gustibus non est disputandum, kurz und gut sie drückte mir einmal unter vier Augen die Hand, und sagte, daß ich's sei und daß ich's immer bleiben solle. Ich kann nicht genug sagen, was mir da für 'n Stein vom Herzen fiel, und wie mir nun Tag und Nacht so kurz, und alles so leicht ward. Mich verdroß keine Mühe, ich ließ fünf immer grade sein und war immer gutes Muts; und wie mir war, wenn die andern von dem Mädchen und ihrer Gunst disputierten und sich unter 'nander zankten, wie mir denn war, und wie wenig ich Lust hatte mitzuzanken, das weiß ich wohl.

So will ich nur soviel sagen, 's sei recht albern, daß ich hier so 'n alt Schäferdönchen erzähle, das hier gar nicht hergehört; aber wenn einer beim Schnittermädchen des Himmels so stünde als ich bei der Rebekka, der würde gewiß nicht zänkisch und brummsch sein! und manchmal kann's einem würklich so vorkommen, als ob's mit den Herren Gelehrten und dem Kämmen und Waschen und der Audienz nicht so allerdings richtig sein möchte.

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TextGrid Repository (2012). Claudius, Matthias. Gedichte und Prosa. Asmus omnia sua secum portans. Erster und zweiter Teil. Über den Vorzug der Gelehrten. Über den Vorzug der Gelehrten. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-5523-E