Valet an meine Leser

Und somit will ich Feierabend machen, und von meinen Lesern Abschied nehmen, und zu guter Letzt noch einmal Hand geben.

Ich entschuldige mich über meine Werke bei Ihnen nicht. Ich bin kein Gelehrter und habe mich nie für etwas ausgegeben. Und ich habe, als einfältiger Bote, nichts Großes bringen wollen, sondern [598] nur etwasKleines, das den Gelehrten zu wenig und zu geringe ist. Das aber habe ich nach meinem besten Gewissen gebracht; und ich sage in allen Treuen, daß ich nichts Bessers bringen konnte.

Das meiste ist Einfassung und Spielewerk, das als ein Blumenkranz um meinen »Becher kaltes Wassers« gewunden ist, daß er desto freundlicher ins Auge falle.

In diesem siebenten und letzten Teil habe ich desErnstes etwas mehr getan, und die Fahne etwas höher aufgezogen, daß man am Ende sehe, von welcher Seite die Luft geht. Sollte ich nun damit unter den Herren Gelehrten und Wortführern wieder böse Leute gemacht haben; so wäre mir das leid. Aber ich konnte mich doch ihretwegen nicht genieren. Ichmußte tun was recht ist, und was ich gleich in der Dedikation vor dem ersten Teil dem bewußten Freund versprochen habe; er soll nun bald kommen, und ich darf es mit ihm nicht verderben. Am Ende wird ja was wahr und nützlich ist, auch wohl wahr und nützlich bleiben, wenn es von den Gelehrten auch nicht gelobt wird.


Man ist nur einmal in der Welt, und ist nicht darin, ihr nach dem Sinn zu reden, und Häckerlinge zu schneiden. Es schafft nicht, daß der Mensch mit niedergeschlagenen Augen sitze, und sich räuspere und seufze; er soll die Augen frei aufschlagen und frisch und fröhlich um sich sehen. Aber man kleinmeistert und lacht sich nicht durch die Welt, und die sind übel berichtet, die da glauben und lehren, daß die Menschen hier nichts anderes zu tun hätten und daß sie hier so recht à leur aise wären.

Sehe doch einer nur an, wie sie in die Welt hereinkommen und wie sie wieder hinausgehen, wes Standes und Ehren sie sind! – Wer dazu lachen und sich das aus dem Sinn schlagen, oder sich darüber mit denKategorien etc. trösten kann, der mag ein Philosoph sein; aber ein vernünftiger Mensch ist er nicht.

Und auch zwischen dem Herein und Hinaus, selbst wenn es am besten geht, was ist denn der Mensch, und was hat er? – Er hat Himmel und Erde, Meer und Land, Berg und Tal, Sonne und Mond etc. und die sind groß und herrlich; aber, recht beim Licht besehen, ist alles, was man sieht, doch nur äußere Rinde und Kruste, schöne Kisten und Kasten mit Kleinodien, zwischen denen der Mensch herumgeht wie einKnecht vor dem der Herr sie verschlossen hat. Er fühlt wohl, daß es anders sein könnte; denn was sind seine kühne Vermutungen und seine Träume über [599] den inwendigen Zusammenhang und die verborgenen Triebfedern der Natur anders, als Zeichen und Beweise seines Anrechts an ihre Erkenntnis? – Aber sein Anrecht ist sequestriert, und er geht, neben dem Born des Lichts, hungrig und durstig nach Erkenntnis und muß es sich kalt und warm um die Nase wehen lassen und mit allen Elementen kämpfen bis sie ihn wieder verschlungen haben.

Man tröstet sich mit der innerlichen Größe des Menschen, und gloriiert über das Hohe und Göttliche seines Verstandes und seiner Vernunft. Ja wohl, ist der Mensch groß und göttlich; aber grade hier ist es, wo einem das Gloriieren vergeht und die Tränen in die Augen treten, wenn man sieht und gewahr wird, daß das Große und Göttliche wider seine Natur in uns gehemmt ist; und es sollte walten.

Der Weg, den der Mensch in dem, was Künste und Wissenschaften heißt, dazu einschlägt, ist lobenswert und edel; aber sie sind höchstens, wofür sie auch in alten Zeiten nur gegolten haben, ein Weg und nicht das Ziel; und wer sie für das Ziel nimmt und darin hängenbleibt, der verkauft seine Erstgeburt um ein Linsengericht, der sattelt in der Wüsten ab, um das Pferd zu bewundern und bewundern zu lassen, mit dem er weiter und ins Gelobte Land reiten sollte, wo der Almosenpfleger wohnt.

Die Reinigung kann ja nicht in dem Gebrauch des Ungereinigten bestehen, und wenn der Eimer von eigner Weisheit voll ist, kann ja keine andre hinein. Und darum muß, wenn was Gescheutes werden soll, alle eigne Weisheit und aller Selbstdünkel zu Kreuze kriechen und der sokratischen Unwissenheit Platz machen. Nur in der Niedre sammlet sich das Wasser und dem Almosen gebührt ein Mann in Lumpen, wie auch Ulysses erfahren hat; denn nicht als Held und Feldherr, sondern in Bettlersgestalt fand er seine Penelope wieder.

So ist das Denken und die Denkraft ja auch nur die Hälfte des Menschen, und noch dazu die unrechte Hälfte, mit ihr die Veränderung und Besserung des Ganzen anzufangen, weil sie an und in sich selbst fest steht. Sowenig es von mir abhängt, Schwarz als Schwarz zu sehen, ebensowenig hängt es von mir ab, den Pythagorischen Lehrsatz z.E. wahr oder nicht wahr zu finden. Aber der Wille, der kann wollen und sich ändern und so auf die Denkkraft influieren. Und wer wie Gott wollen kann, der wird auch wie Gott denken lernen, er sei gelehrt oder ungelehrt, ein Polyhistor oder ein Schuster.

[600] Also auf eine gewisse Gestalt des inwendigen Menschen kommt es an, auf eine gewisse innerliche Denkart, Fassung, Haltung etc. die man sich vorsetzen und darnach man streben muß.

Und da ist es, dünkt mich, von allem übrigen abgesehen und wes Glaubens man sonst auch sei, ein vernünftiger Rat: daß man sich eine Gestalt vorsetze, die standhält und die man unter allen Umständen festhalten kann. Was vorübergeht, ist ohne Zweifel nicht so gut, als was währt; und es schickt sich für den Menschen nicht, andern und andern Sinnes zu werden, und wie ein Chamäleon die Farbe zu ändern, je nachdem die Lichtstrahlen auf ihn fallen.

Aber über eine Gestalt, die standhalte und sich unter allen Umständen festhalten lasse, sind die Meinungen sehr verschieden, und ein jeder denkt sie sich auf seine Art, der Weltbiedermann so und der Gymnosophist anders; und a priori und ohne Erfahrung hat wohl noch niemals ein Mensch die rechte getroffen. Man stimmt immer zu hoch oder zu tief, und muß denn, wenn die Erfahrung eintritt, umstimmen, und das gibt viel Sorge und Mühe.

Doch es ist ein köstlich Ding, daß das Herz, oder diese Gestalt, fest sei; und man kann sich um eine solche nicht zu viel Mühe geben. Die Leser werden aber finden, daß sie desto unfester ist, je mehr Sinnlichkeit in ihr obwaltet, und daß man sich also sauer werden lassen und manches versagen und aus dem Sinn schlagen muß, um sie nach und nach davon zu säubern und fest zu machen.

Diese Welt und die Dinge die darin sind und zu ihr gehören, liegen uns nahe, und die Natur hängt sich gerne an und sammlet sie; aber sie sind nur ein luftig Wesen und ein trüglicher Schatz. Auch das Zeitliche und Sichtbare an uns selbst hat nicht Bestand und Wert, ist nur ein brechlicher Verschlag und inwendig wohnen wir.

Was unsichtbar und geistig ist, das nur ist fest und ewig. Und der Art sind auch die rechten Schätze, die der Rost nicht frißt, und die jene Gestalt unbeweglich und feuerfest machen. Und die sammlet der Glaube.

Aber Glaube ist in der gelehrten Welt ein unbekannt Ding. Er existiert nicht in abstracto, und wo er in die Hand genommen wird, um besehen zu werden, da gebiert er nichts als Hader und Zank; wo er aber in seinem natürlichen Acker, in einem Menschenherzen, wohnet und wurzelt, da zeigt er wohl,[601] was er ist und was er kann, und wie er hier dem Menschen konveniere.

Sehen wir's doch im Kleinen und in Dingen dieser Welt, wie ein Mensch, der Glauben und Vertrauen zu sich und seiner Sache hat, mit Vollherzigkeit und Sicherheit fährt, wie ihm alles von der Hand geht, und es mit ihm, gegen den dürren hagern unschlüssigen Klügler, gar ein ander Leben und Wesen ist.

Was wird es denn sein mit einem, der ewigen unvergänglichen Dingen vertraut, der an einen allgegenwärtigen souveränen Tröster, einen Stiller alles Haders, glaubt, und eines neuen Himmels und einer neuen Erde wartet? – Der wird, auf dieser Erde, den Fuß in Ungewittern und das Haupt in Sonnenstrahlen haben, wird hier unverlegen und immer größer sein als was ihm begegnet, der hat immer genug, vergibt und vergißt, liebt seine Feinde und segnet die ihm fluchen; denn er trägt in diesem Glauben die beßre Welt, die ihn über alles tröstet und wo solche Gesinnungen gelten, verborgen in seinem Herzen, bis die rechten Schätze zum Vorschein kommen.


Wir sind nicht umsonst in diese Welt gesetzt; wir sollen hier reif für eine andre werden, und man kann unsern Körper als ein Gradierhaus ansehen, wo das wilde Wasser von dem guten geschieden werden soll. Es ist nur Einer der dazu helfen kann, und dem sei Ehre in Ewigkeit.

Gehabt Euch wohl.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Claudius, Matthias. Gedichte und Prosa. Asmus omnia sua secum portans. Siebenter Teil. Valet an meine Leser. Valet an meine Leser. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-5506-0