Eine Korrespondenz mit mir selbst

Lieber Freund,

Ich habe etwas das ich Ihm in den Schoß schütten muß, weil ich's sonst nirgend zu lassen weiß.

Sieht Er, wenn ich die Welt und das Leben, wie es darin geführt wird, ansehe; so gehen mir alle Kinder und sonderlich meine eigne, die da hinein und da durch sollen, im Kopf herum, und ich möchte siewohl gegen das Verderben einbalsamieren und feuerfest machen können. Wahrlich die Leute haben nicht unrecht, die darüber in Ernst nachsinnen und in sich zu Rat gehen.

Er wird sagen, daß, dem Vernehmen nach, heutzutage darüber ja genug geschrieben werde; und darin hat Er auch nicht unrecht. Aber sieht Er, Schreiben ist Schreiben. Wer handeln will und kann, der hat, wenige Ausnahmen abgerechnet, nicht Zeit noch Lust zu schreiben. Und wenn die Sachen so recht in die Feder treten, so pflegen sie aus dem Menschen heraus zu sein. Und der dagegen meint, wenn sie auf dem Papier stehen, so hätte er sie.

Auch kann auf dem Papier dies und das aussehen als wenn's [310] was wäre, und ist doch nur ein gewöhnlich Backwerk. Laß Er sich davon ein Exempel erzählen. Ich schenkte, wie Er weiß, der seligen Gertrud zur Hochzeit das Schwedische Koch- und Haushaltungsbuch von der Christina Warg. Einmal, als wir zusammen bei ihr waren, holte sie das Buch her und las daraus vor, unter andern, pagina mihi 383, ein Rezept zu Luftmunken. Er kann denken, was die Luftmunken bei uns allen für Sensation machten! und wie wir die Ohren spitzten! die Gertrud selbst nicht ausgenommen, die doch in dergleichen Dingen sehr bewandert war. Ja, sie hatte ihre Nücken die selige Frau, das ist nicht zu leugnen; aber gutes Backwerk konnte sie machen. Und wie man sich nicht schwer zu einer Generosität entschließt die in unser Talent einschlägt, so versprach sie, auf der Stelle und mit dem Buch in der Hand, uns den Abend noch mit dem neuen Gebacknen zu regalieren. Mir ist in meinem Leben kein Nachmittag so lang geworden, als der. Wir standen auf und setzten uns nieder, und machten allerlei Erfindung, die Zeit zu vertreiben; aber sie wollte sich nicht vertreiben lassen, und blieb wie angenagelt immer auf demselben Fleck. Endlich mußte sie doch weichen, und es ward würklich Abend, der Tisch gedeckt, und – die Luftmunken wurden aufgetragen! Und siehe da, es war ein ganz bekanntes Ding, das die Gertrud unter dem Namen Schneeballen hundertmal gemacht, und wir hundertmal bei ihr gegessen hatten.

Sieht Er, so kann das auf dem Papier triegen. Darum kann, versteht Er wohl von selbst, viel Gescheutes und Nützliches geschrieben werden und geschrieben sein. Meine Skrupel gehen nur wider das Schreiben und den Schreibegeist überhaupt, und Er wird finden daß viel Wahres darin ist.

Nun sage Er mir Seine Meinung von der verbesserten Erziehung, und von einer guten. Ich kann nichts anders aussinnen, als daß man selbst sein muß, was man die Kinder machen will. Sage Er mir was Bessers. Weiß Gott, ich will mir einen Finger abhauen, wenn Er mir was Probates sagen kann.


Sein Diener etc.

Asmus.


N.S. Ich kann Ihm in andern Stücken wieder dienen, wenn Er z.E. etwas von dem verbesserten Kalender wissen will. Denn das versteh ich aus dem Grunde: wie da nämlich die Sonne Fehler über Fehler gemacht, und ganze Stunden und Tage von abhänden hat kommen lassen, ohne daß es ein Mensch gemerkt[311] hatte, bis endlich der Papst Gregorius XIII. Nachricht davon erhalten, und, mit Hülfe der höchsten Reichsgerichte, alles wieder hineingeschaltet, und die Ordnung hergestellet hat.

ut supra.

Antwort

Lieber Freund,

Er hat sich nicht an den unrechten Schoß gewandt; ich stütze meinen Kopf seit einiger Zeit auch nicht umsonst. Übrigens hau Er ja den Finger nicht ab, denn ich kann Ihm nicht mehr sagen, als was Er weiß.

Grade das vom verbesserten Kalender versteh ich auch. Aber Er hat hier in petto behalten, oder Er versteht die Sache doch nicht recht aus dem Grunde wie Er sagt. Denn der Papst Gregorius XIII. hat die Ordnung weder allein noch ganz wiederhergestellt. Sieht Er, es war ein alter Schaden, und der Kardinal Julius Cäsar etc. hat schon geschaltet, und wir und unsre Kinder müssen immer noch schalten, und können es doch nicht einmal in Ordnung halten. Und in Rußland, wo die höchsten Reichsgerichte nichts zu befehlen haben, sind die von abhänden gekommnen Tage noch immer nicht wieder herbeigeschafft, deswegen auch die Russen niemals so viel schreiben können, als wir.

Ja wohl konnte die selige Gertrud gutes Backwerk machen, und ich habe ihr das Kochbuch auch geschenkt, und der Nachmittag ist mir auch lang geworden, und der Schreibegeist mir ebenso verdächtig als Ihm.

Überhaupt ist alles, was Er sagt, als wenn es mir aus dem Herzen gestohlen wäre. Ich habe auch, wenn man andre gut machen will, keinen andern Rat, als daß man erst selbst gut sei.

Und, wenn man weiß was das kostet, und denn die Welt und das Leben das darin geführt wird, wo die Kinder hinein und durch sollen, dazunimmt; so ergibt sich, was das Gegengewicht sein müsse. Wahrhaftig, kleine luftige Künste wollen's nicht tun. Auch wo ich Effekt gesehen habe, da liegt Religion zum Grunde, die alte nämlich, und so wird Er es auch finden. Leb Er wohl.

Sein Diener etc. Asmus. [312]

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Claudius, Matthias. Gedichte und Prosa. Asmus omnia sua secum portans. Fünfter Teil. Eine Korrespondenz mit mir selbst. Eine Korrespondenz mit mir selbst. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-547D-E