20. Die verrätherischen Weiberohren.

Im Frühling 869 befahl Wlatislaw, Herzog zu Sotz, allem seinem Volke, in guter Bereitschaft zu sitzen, und sobald er ihnen aufgebieten würde, daß sie sich auf dem Felde Lotzdiechow versammeln und von dannen, dahin es die Noth erfordern würde, rücken sollten. Sandte demnach seine Boten zu dem Neklan, dem Sohne des Krzesomysl, mit Vermeldung, seiner den 10. Mai auf dem Felde, welches Turske Pohle genannt, zu warten. Der viel mehr andächtige, denn beherzte Neklan, sobald er diesen [97] Gesandten ersah, und seine Botschaft vernahm, erschrack ganz unmäßig. Doch ließ er dem Wlatislaw, aus Anregung seiner Räthe, wieder sagen: »er sollte nur kommen, er wollte ihm selber mit seinem Schwerdte den Kopf abhauen.«

Des anderen Tages erforderte Neklan alle Edelleute, Bürger und Bauern und geboth ihnen, daß sie alle bereit sein sollten; da rüsteten sie sich sämmtlich in ihre Pechwämster und Pickelhauben, mit Schwerdtern, Schilden, Bögen, Pfeilen und anderer Rüstung aufs zierlichste und lagerten sich den 8. Mai auf der Ebene, über dem Orte Brusky genannt. Und sie sagten allesammt dem Herzoge zu, daß sie sich standhaftig und männlich wehren wollten. Eben desselben Tages lagerte sich Wlatislaus mit seinem Haufen bei der abgebrannten Stadt Budecz. An dem Morgen stieg er auf einen hohen Ort, hielt in seiner Hand ein bloßes Schwerdt und ermahnete sein Volk mit diesen Worten:

»Nun wohlan, ihr, liebe Ritter und streitbare Kriegsleute. Ihr wisset wohl, daß wir diesem verzagten Volke nunmehr zu etlichenmalen obgesiegt und unsere Schwerdter mit ihrem Blute gefärbt haben. Deshalb streitet männlich; denn ihr sollet diese Tage den Sieg erlangen. Ich weiß gewißlich, daß die Götter mit diesem Volke zürnen und der Gott Mars hat uns nicht allein die Gnade, [98] sondern auch Hülfe und Beistand zugesagt. O! hättet ihr nicht allein diese Habichte, Sperber, Falken und Raben, sondern auch Trappen, Adler und Greifen mit euch genommen, daß ihr sie mit unserer Feinde Fleisch hättet speisen können. Ich schwöre heutiges Tages, durch des Gottes Mars Würdigkeit und durch dieses Schwerdt, so ich in meiner Hand halte, daß, sobald ich werde obgesiegt haben, ich aus dem männlichen Geschlechte nicht einen will leben lassen, es müssen mir auch die Kinder herhalten. Ich will den Müttern, anstatt ihrer Kinder, die jungen Hunde an ihre Brüste legen und die Erschlagenen unbegraben liegen lassen, damit die Hunde von ihrem Fleische ersättiget werden. Und will also die bösen und unnützen Nachbaren zu Grund ausrotten und euch mit ihrem Golde und Silber reich machen, welches euch morgen um diese Stunde soll wahrgemacht werden.«

Zu der Zeit war in dem Sotzer Herzogthum ein Weib, dieselbe hatte einen Stiefsohn, mit Namen Straba. Als derselbe auch in den Streit ziehen sollte, rufte sie ihn beiseits und redete mit ihm heimlich also: »Straba, mein lieber Sohn, wiewohl den Stiefmüttern nicht angeboren, daß sie den Stiefkindern Gutes thun, aber dieweil ich meinen frommen Mann, deinen Vater, im Gedächtniß habe, so will ich dir diese Warnung geben. [99] Wirst du nun meinem Rathe folgen, so bleibst du gewißlich beim Leben und kommst in diesem Streit nicht um. Ich sage dir vertraulich, daß die Prager den Sieg erlangen werden und die Unseren werden allesammt ermordet, es käme denn jemand Geringes davon. Deswegen, welchen du in diesem Streit zum ersten antreffen wirst, so gieb ihm mit deinem Schwerdte einen starken Schlag oder Stich. Alsdann wird er vom Rosse fallen, spring du auch behende hinunter, schneide ihm beide Ohren ab und stecke sie in deine Tasche. Mache nachmals mit deinem Schwerdte, vor deines Rosses vorderen Füßen, ein Kreuz, sitze behend wieder auf, eile davon und siehe dich nicht um, obgleich noch ein größer Getümmel hinter dir wäre. Also wirst du, wenn die andern fast alle erschlagen sind, mit Noth davon kommen; denn die Götter, so euch hingeleiten, werden sich im Streite von euch zu euren Feinden wenden.« Straba, als einer, der da wohl wußte, daß seine Stiefmutter allerlei Zauberei voll war, sagte zu: er wolle ihrem Rathe folgen.

Neklan, der Herzog zu Prag, der, wie oben gemeldet, übermäßig verzagte Herr, berief den Stier von Cheinow, einen sehr beherzten und kriegeserfahrnen Mann und vertrauete ihm heimlicher Weise seines Herzens Blödigkeit und bat ihn, er sollte seinen blanken Harnisch anlegen und an seiner [100] statt des Volkes Führer sein. Da fragte der Stier den Herzog: was er ihm für seine Mühe und Leibesgefahr geben wolle? Der Herzog antwortete und sagte zu ihm: was er Billiges begehren würde, dasselbe sollte ihm werden. Da sprach der Stier: »Wenn ich wieder komme, was ich alsdann verdient habe, dasselbe wirst du mir widerfahren lassen. Werde ich aber an deiner Stelle daselbst umkommen, so bitte ich, du wollest mir ein Grab an derselben Höhe machen lassen, da man Cheinow ersehen kann.« Der Herzog versprach ihm solches.

Da nahm der Stier die fürstliche Rüstung an sich, saß auf des Herzogen köstliches Roß, und ritt mit etlichen vom Adel von Wischerad bis auf die Bruska. Damals brachen der Prager Haufen auf und zogen dem Stier, ihrem Führer, nach und er vor ihnen hin mit fröhlichem Gemüthe. Und als sie an das Wasser kommen, da stund ein Weib auf einem großen Felsen, und rufte mit hoher Stimme also: »folget meinem Rathe, so werdet ihr einem großen Ungemach entgehen können; denn, wollt ihr den Sieg erlangen, so müßt ihr der Götter Willen erfüllen. Derowegen schlachtet den Göttern eine Eselin, also werdet ihr den Göttern ein angenehmes Opfer verbracht haben. Denn der oberste Jupiter und Mars, desgleichen seine Mutter Ceres [101] und Bellona mir dieses auch zu melden befohlen haben!«

Alsobald tödteten sie eine Eselin, zerhieben dieselbe auf viele tausend Stücklein, und ein jeder Kriegesmann aß einen Bissen davon. Sobald solches geschehen, empfanden sie an ihnen eine ungewöhnliche Mannheit, zogen also sämmtlich, mit fröhlichem Gemüthe, an den gelegensten Ort, lagerten sich bei Turske auf eine Höhe, bestellten auch die Wacht und waren daselbst die ganze Nacht fröhlich und guter Dinge. Auf den Morgen, ehe dann die Sonne aufging, ließen sich des Wlatislaw Haufen sehen, lagerten sich an einem niedrigen Ort, schickten sich auch alsbald wider die Prager zur Schlacht und erzeigten sich in ihrer Rüstung sehr zierlich.

Der Stier that an die Seinen eine kurze Vermahnung und sprach: »Meine allerliebsten Brüder sehet, wie stolz und übermüthig sich jene wider uns bereitet haben, denn sie gedenken, wegen ihrer Hoffahrt, mit uns zu fechten. Wir aber wollen mit ihnen, von unseres Vaterlandes und Lebens wegen, dieselben beide zu erhalten, streiten. Deshalb ermuntert euch und seid Männer; denn ihr die Götter, welche euch zuvor ungnädig gewesen, euch mit dem, womit sie gestillet sein wollten, geneigt und gnädig gemacht habet. Werdet ihr euch als die Männer erzeigen, so wird euch dieselbe Mannheit [102] nicht anders sein, als eine Mauer; denn die Götter stehen den Starken und Kühnen bei, die Verzagten aber pflegt die Furcht zu plagen. Werdet ihr fliehen, so entfliehet ihr gewißlich dem Tode nicht, sondern müßt denselben gedoppelt empfinden. Der eine Tod wird sein, wenn ihr eure Kinder vor eurem Angesichte werdet sehen ermorden, dann, wie sie zu den Brüsten euerer Weiber junge Hunde, wie sie sich vermessen, legen werden, welches euch ein überschmerzlicher Tod sein wird. Und endlich werden sie es mit euch, als den Verzagten, gut machen haben. Aber diesem zuvorzukommen, wollen wir lieber allen Fleiß anwenden, und sie allesammt, bis auf einen Mann, todt schlagen. Solches wird uns Ehre, Freude und Ruhm bringen. Ich weiß es gewißlich, daß wir heute das Sotzer Herzogthum erlangen.«

Wlatislaw aber rückte mit seinem Volke stracks wider die Prager. Und als er gesehen, daß sie sich von der Stelle nicht verwendeten, hieß er die Seinen ein wenig stille halten, stellte sich vor ihnen, als hätte er mit den Feinden ein Mitleiden. Und damit er seines Volkes Mannheit ermunterte, sprach er: »o ihr armen Leute und verzagten Herzen, diese Höhe, die ihr aus Furcht eingenommen habt, wird euch gar wenig helfen.« Wandte sich hiermit zu den Seinen und sagte: »seht ihr nun, [103] daß sie uns in der Ebene nicht begegnen dürfen? Schauet doch, mich bedünkt, sie wollen allbereit die Flucht geben, und sobald wir nur etwas näher an sie kommen, werden wir mit niemand zu treffen haben. Ich glaube, sie haben sich daselbst mit den Füßen angebunden. Werden sie nun unserer erwarten, so schlaget sie nicht mit den Schwerdtern, sondern tretet sie allein mit Füßen, gleich wie eine Stoppel, damit ihr weder euch selbst, noch eure Schwerdter und Pfeile, mit dieses verzagten Volkes Blute nicht verunreiniget. Nun lasset eure Vögel, die ihr habt, fliegen, mit diesen wollen wir sie vollends zu Tode schrecken.«

Und als sie dieses thaten, da wurde von den Vögeln der Sonnenschein nicht anders, wie von einer dunkeln Wolke verfinstert. Nachdem dies der unerschrockene Stier gesehen, sprach er: »meine liebe Ritter, ich weiß es gewißlich, daß ihr siegen werdet. Und im Falle es sich begäbe, daß ich auf der Wahlstatt sterben müßte, so bitte ich, lasset mich auf dieser Höhe begraben und machet mir ein Grab, welches eine lange Zeit währen kann zum Gedächtniß; denn ich heute allhier viel Sotzer tödten und den Wlatislaus, ihren Herzog, vor euren Augen mit meinem Schwerdte erlegen muß.«

Mittlerweile kamen sie gar nahe an einander. Und als der Stier die Gelegenheit ersah, schrie er [104] die Seinen an und sprach: »nun ihr, meine Lieben, schlaget nun getrost drein.« Sprengte hiermit unter den Feind. Die Prager folgten ihm nach, nicht anders, wie Bienen ihrer Weisel nachzufliegen pflegen. Also sprengten sie die Sotzer von der Höhe an und schlugen alles darnieder, was ihnen unter die Hände kam. Der Stier arbeitete mit seinem Schwerdte nicht anders, als wenn einer mit der Sense Gras hiebe; also kehrte er dem Feind den Staub von den Köpfen, daß ihnen das Gesicht und das Gehör verging.

Die Schlacht währete lange und der Sieg wankte von einer Seite auf die andere. Da hörete man von dem Volke ein Geschrei, ein Geklirre von Schwerdtern und ein Getümmel der Rosse. Und unter dem Haufen der schönsten Reisigen und gewappnetsten Kriegsleute ersahe der Stier einen Mann, von schöner Gestalt, in einem zierlichen Harnisch, welcher einen vergüldeten Helm auf seinem Haupte hatte und auf den die andern Achtung gaben. Verstund derhalben wohl, daß es der Wlatislaw sein müßte und gedacht' ihm beizukommen. Aber seine Ritterschaft beschützte ihn dermaßen, daß der Stier wohl in zweien Stunden nicht zu ihm kommen konnte. Mittlerweile aber, ehe denn er sich zu ihm arbeitete, mußten in die hundert Sotzer von seinem guten Schwerdte niederfallen; dennoch [105] entwich der Wlatislaw vor dem Stier und verbarg sich hinter die andern. Da schrie ihn der Stier an und sprach: »ich sehe dich gar wohl, du blutgieriger Tyrann; du bist derselbe, der du deine Vögel mit unserem Fleische hast speisen wollen. Du sollst kurz erfahren, daß du deinen Vögeln selbst zur Speise werden mußt; ich will bald mein Schwerdt mit deinem Blute tränken und die fliegenden Vögel mit deinem Fleische speisen.«

Drang also auf ihn zu, hieb ihm seinen Schild entzwei und in dem andern Streich spaltete er ihm den Kopf, sammt dem Helm, von einander, daß er von dem Roß auf die Erden todt nieder fiel. Bald machten sich viele der Sotzer über den Stier, hieben, stachen und schossen auf ihn los und fügten ihm viel Schaden zu. Die Prager retteten ihn auf's beste, aber sie schaften wenig. An diesem Orte lag ein großer Haufen der Ermordeten, auf dieselben fiel der Stier auch nieder und starb. Wer ihn aber tödlich verwundet hatte, kann niemand eigentlich wissen. Also blieb des Neklans Volk viel auf der Wahlstatt, von des Wlatislaus sind ihrer wenige entkommen.

Der erste aus den Flüchtlingen ist der obgedachte Straba gewesen, welcher durch Lehr und Unterweisung seiner Stiefmutter heim kam. Er fand sein Weib gleich mit dem Tode ringend, hatte [106] an ihrer Brust einen großen Schaden, welchen sie von einem Schwerdte empfangen. Er besah den Schaden mit Fleiß und konnte spüren, daß er ihr denselben zugefüget; verwunderte sich darüber und sprach: »ich will noch besser auf den Grund kommen;« zog hiemit beide Ohren aus der Tasche, hielt ihr dieselben an den Kopf und befand also gründlich, daß sein Weib derjenige Feind war, welchen er in der Schlacht geschlagen; und sie verschied zur selben Stunde. Also konnte Straba verstehen, daß sein eigen Weib den Pragern zu Hülfe wider ihn gezogen war; denn sie war der Geburt von Prag und hatte in des Neklans Herzogthum viel Freundschaft. Deswegen sie denn ihren Freunden zu Hülfe ziehen und ihren Mann heimlich umbringen wollen.

Nach solchem Siege wurden alle die Leute, welche bei den Erschlagenen gefunden, in die kleine Stadt Prag geführt und daselbst unter die Kriegesleute zugleich getheilt. Auf den Morgen begrub man der Freunde und Feinde Körper auf der Wahlstatt. Aber dem Stier wurde auf Befehl Neklan's ein Grab an dem höchsten Orte, über Cheinow, bei einer Eiche, köstlich und herrlich zubereitet, welcher Ast bis auf den heutigen Tag die Eiche des starken Ritters genannt wird.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Büsching, Johann Gustav. Märchen und Sagen. Volkssagen, Märchen und Legenden. 2. Sagen und Mährchen aus Böhmen, Mähren, Ungarn und Oesterreich. 20. Die verrätherischen Weiberohren. 20. Die verrätherischen Weiberohren. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-4921-2