[290] Schönheit der zur Abend-Zeit hinter einem Gebüsche hervorstrahlenden Sonne

Ey sehet! seht doch dort um Gottes willen
Die güld'ne Gluht, den Rosen-farb'nen Glantz,
Die dort des Waldes Nacht, und grüne Schatten gantz,
Mit einer himmlischen, nicht ird'schen Schönheit, füllen!
Hat wohl ein menschlich Aug' ein holders Licht erblickt,
Was schöners je gesehn? Es dringt mir in die Seele
Dieß helle Freuden-Feu'r: sie wird fast als entzückt,
Und fühlet, wie mit ihr ein Etwas sich vermähle,
Das überirdisch ist. Sie senckt in diesen Schein,
Dem Urquell dieses Lichts, dem grossen All zu Ehren,
Sich, als ein Opfer, selbst hinein.
Ach, möchte diese reine Gluht
Das, was an ihr nicht gut,
Verbrennen und verzehren,
Damit, wenn das, so bös' an ihr, vergienge,
Sie dir, o Schöpfer aller Dinge,
Möcht' ein gefälligs Opfer seyn!

Aria.

Seligs All! selbstständ'ge Wonne,
Heller Abgrund ew'ger Lust!
Aller Sonnen Licht und Sonne,
Füll', erleuchte meine Brust!
[291]
Laß mich deine Wunder mercken,
Mache mir, in deinen Wercken,
Deine Lieb' und Macht bewußt!
Da Capo.

Wenn Moses einen Busch, der brannt' und nicht verbrannte,
In heil'ger Ehrfurcht, sah; so stellt sich mir
Die Gluht, so diesen Busch erfüllt,
Recht als ein Bild
Von jenem Wunder für.
Mich deucht, ich könn' hier, in des Himmels Gluht,
Das Licht, so alles schafft und ewig Wunder thut,
Durch welches alles schön, was schön,
Den Schöpfer im Geschöpfe, sehn.
Ach, laß mich denn, o HERR! von deinem Ruhm nicht schweigen,
Laß mich dieß Sonnen-Licht auch andern würdig zeigen!
Der angenehme Wald,
So sonst ein dunckler Aufenthalt
Der Lichtscheu- grün- und falben Schatten,
Ist jetzo gantz
Mit einer hellen Gluht, mit einem güld'nen Glantz,
Verwunderlich erfüllt. Es scheinen sich zu gatten
Das Gläntzen von Smaragd, von Gold und von Rubin.
Man glaubt ein grünes Feur, wodurch die Lüfte glüh'n,
Bald einen güld'nen Wald zu sehen.
Aus Höhlen, welche grün und klein,
Dringt, schimmert, funckelt, strahlt und bricht,
Von einem Glantz, der groß und allgemein,
Bald hier, bald dort, ein klein-getheilter Schein,
Ein kleines blitzend Licht,
[292]
Fast einer kleinen Sonne gleich,
Aus deren klein- doch heller Ründe,
Als einem Mittel-Punct, viel tausend Strahlen schiessen,
Den uns die Dunckelheit des Baumes deutlich zeiget,
Wie ihre bunte Meng' von innen auswärts steiget,
Und, wie ein Meer von Licht, sich rings im Kreis' ergiessen.
Ein über Wunder-schöner Krantz,
Von Millionen bunten Spitzen,
Die all', in stetiger Bewegung, feurig blitzen,
Umgiebt, auf einer jeden Stelle,
Des kleinen Lichtes helle Quelle,
Die das Gesicht, durch's Dunckel-Grün gestärckt,
Auf ihrem duncklen Grund bemerckt.
Arioso.

Lässt man allhier die Sonne, die so schön,
Die Gottes Werck, des Abends nicht vergebens,
Nicht unbewundert untergehn;
So werden wir, am Abend unsers Lebens,
Der Sonnen Sonne, GOTT, im ew'gen Morgen, sehn.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Brockes, Barthold Heinrich. Gedichte. Irdisches Vergnügen in Gott. Schönheit. Schönheit. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-44E3-3