Untertänigster Bericht an eine hochlöbliche Schützengesellschaft über das verordinierte Konzert
Ich eile, einer höchlöblichen Schützengesellschaft meine wunderbare Zufälle in dem mir ordinierten Konzert mitzuteilen, und möge sie über mich beschließen, was sie für gut hält, doch ersuche ich dieselbe, einigermaßen zu meinem Vorteil sprechen zu lassen, daß ich zwar den Kopf verloren, aber alle meine Taschen-Uhren mit herausgebracht, welche zu Hause abzählend und richtig befindend, ich mit meinen fünf Sinnen verglichen und, Gott sei Dank! mich annoch komplett erhalten sehe.
Mein Herz pochte, alle meine Pulse schlugen, meine ganze Person knisterte von den gehenden Taschenuhren, die Musikanten stimmten, die Lichter blitzten, die Menge summte, man wich aus meiner Nähe, man hielt mich für die geladene Flasche einer Elektrisiermaschine, der Saal drehte sich mit mir, aus allen Instrumenten brach ein Orkan von Tönen, ich drückte die Augen zu, die Knie zusammen, die beiden Hände in den Rocktaschen, meine Uhren fassend, adieu Welt! der Sturm einer [883] Haidnischen Symphonie griff in meine dünnen Haare, mein Gehirn schlupfte mit allen seinen Fähigkeiten zu den Ohren heraus, tat sich auseinander wie zwei Segeltücher, die der Wind aufbauchte, der mich durch Himmel und Erde, Wasser und Feuer trug, und einigemale an Felsen schleuderte, ach, meine Uhren! Wehe! Wehe! ein Leck, ein Leck, wir gehn unter! Die Elemente drangen an allen Seiten herein, die Segel zerrissen, und durch meine Ohren strömte ein Strudel Musik, ganz schmeckend wie der feurige zehnmal abgezogene Alkohol, stieg, stieg, füllte das Haupt, unter ging die Welt, aus den Augen brannte, weinte ich. Ich war auf dem Abgrund eines Meeres, alle Leute waren Fische, ich selbst eine Art Hering, ich sah mich tausendmal, da rührte Musika gewaltig, ein Walfisch erhob sich, vor uns sprangen Todesfantasien aus seinen Nüstern, ein Schlag mit seinem Schwanz, ein Strom, hin fuhren wir alle in seinen Rachen, da saß Jonas, der sang und lobte Gott; ich sagte ihm, daß ich ein Uhrmacher sei, und daß es eben halb sieben geschlagen. »Gut«, sagte er, »nun werde ich gleich ausgespien; ich will Sie mit nach Ninive nehmen und für Geld sehen lassen.« Ich warf mich ihm um den Hals, das Tier hob sich empor, blauer Himmel, grünes Land, schnalz eine Wasserwolke schleuderte uns ans Ufer; es ward ruhiger, mir war, als sei der Saal das Heidelberger Faß, und das Publikum und ich lauter kleine Essigschlangen. Oben dem Spundloch hinein hing brennender Schwefel, der mich mit süßem blauem gelbem Giftlichte täubte, alle Lichter des Saals hatten große violette Höfe, kleine feuchte Flämmchen leckten an den Wänden hinauf, da schossen plötzlich aus allen Violinen Myriaden brennender Zinnoberschlangen hervor, züngelten, ringelten, webten einen feurigen Teppich, aus dem wieder tausend goldne Ähren und Blumen sproßten, im Hintergrund ging Ninive unter, Simson sprang rasselnd aus den Pauken und zuckte nieder, aus den Trompeten stürzten Füchse, Feuerbrände an den Schweifen, hervor, in die Ähren, alles brannte nieder. Da saß ein Hirtenknabe, Klarin genannt, in der glimmenden Asche, und klagte rührend: »Wehe, wehe, ich verschmachte!« und hatte eine Wünschelrute, die schlug an, die Flöten gossen Ströme süßen Mandelöls, und auf ihnen schwamm eine liebliche, schlanke [884] Sirene heran, sie näherte sich dem Hirten, und reichte ihm einen Trunk aus dem Becher von Thule, und wiegte und drehte das wunderschöne Haupt, schaute dann still und groß vor sich hin, und blickte den Hirtenknaben an, und sang zu ihm, und sprach zu ihm, da wuchs das Herz ihm sehnsuchtsvoll, wie bei der Liebsten Gruß, die Woge rauscht, die Woge schwoll, netzt ihm den nackten Fuß, sie sang zu ihm, sie sprach zu ihm, da wars um ihn geschehn, halb zog sie ihn, halb sank er hin, und ward nicht mehr gesehn; und es stürzten tausend Flammen aus den Violinen, und tausend Salamander badeten sich in ihnen, und aus den Bratschen und Violoncellen stiegen tausend Philister, aber Simson sprang wieder aus den Pauken und erschlug sie mit dem Kinnbacken, und wie sie sanken, stand Abendrot am Himmel und erlosch, und Nordschein goß sich aus den Trompeten; da stieg eine ernste schwarze Sphinx aus dem Basse und sang im Grabeston, und im Nordschein zog alles leise hinunter. Die Symphonie war aus, der Kopf der Sphinx war wieder der Knopf der Baßgeige. Der ganze Bienenkorb begann nun zu schwärmen, es war ein groß Gesumme, und jede Drohne wollte eine Königin sein, ich selbst kam zu Verstand, meine um die Uhren geklammerten Fäuste taten sich auf, und zählten bange wieviel Stück, und alle waren vorhanden. Nun erst ließ ich die Blicke schweifen, da stand dicht neben mir, Gott weiß es, der selige Schelmuffski, dessen elendige Ermordung durch den holländischen Generalstaaten ich oben erwähnt, mir schauderte die Haut, denn sein Mörder selbst stand in bester Freundschaft neben ihm; ich traute meinen Augen nicht, sollte es noch Folge der Musik gewesen sein? sie warens beide, die Dame Charmante saß auch da, und der Herr Bruder Graf hatte ein Fäßchen Klebebier, woraus er von Zeit zu Zeit der ganzen Compagnie Bescheid tat; als der von Schelmuffski die Uhren so knistern hörte, trat er zu mir und sprach: »O Sapperment, Salzsack, gehe aus dem Feuer, ich glaube, deine Seele ist eine harte Brotkruste, und die Musculi deines Leibes sind Mäuslein, welche daran knuspern« (er meinte die Uhren). Ich fragte darauf meinen Nachbar, der von der löblichen Schützengesellschaft sein mußte, ob er die Geschichte von der Ratte, oder den einunddreißig Pumpelmäusen, die dem Herrn Bruder Grafen [885] so trefflich wohl geschmeckt, nicht kenne, denn war jenes der von Schelmuffski, so hatte er gewiß die Geschichte von seiner wunderlichen Geburt schon erzählt; aber der Mann wußte nichts davon, und sagte, der Kerl dort sei ein Bilderhändler vom Comersee aus Tremezzo, der nicht an den Takt glaube, und sich studierenshalber hier aufhalte über die Leute, der andre aber sei ihm unbekannt und esse gern weiße Bohnen, doch lieber noch grüne Erbsen, und als ich eben Mut fassen wollte, den vermeinten Schelmuffski anzureden, ging der Zauber wieder los.
Fliegende Sonnen schwebten aus allen Violinen und glänzten im Sonnenstrahl. Da trat eine klare nette Jungfrau auf, sie weinte und sang, daß Klarin in den Fluten ertrunken, und wollte in ein Kloster gehen, und löste die braunen Locken, die ringelten sich nieder, und spielten duftend in der Luft, da hob sie eine kleine goldne Scheere und sprach: »Ach ist dann keiner da, dem ich die Locken gebe, daß er meiner gedenke?« Da flatterten viele, viele Engel, blonde, braune Liebes-Engel, aus ihren Locken und wollten alle die Locken, und spielten und gaukelten, aber sie klagte und rief: »Klarin, höre mich, dir weihe ich die Locken«, und die goldne Scheere schnitt, die Locke fiel, die Engel baten, aber sie war ernst, und trat ans Meer, das aufschwoll, und die Locke empfing, dann sah sie gen Himmel, die Engel aber scherzten und sammelten den fliegenden Sommer und webten singend einen blinkenden Schleier, den senkten sie über ihr Haupt, und verhüllten sie. Dann breiteten sie den Mantel der Jungfrau auf den Wellen aus, sie trat darauf, die Engel spannten die Flügel aus und standen auf dem Mantel; da zogen sie in ein fernes Land, und sangen: »Wohl über das Land, und wohl weiter, wohl gar über die weite See.« Aber es entstand ein Sturm, die Schiffsengel wurden uneins; sie stritten und versanken. Ich war sehr traurig um die schöne Gesellschaft, da heiterte sich die Luft, und auf einem einsamen Felsen stand ein weißer und ein schwarzer Engel, die stritten um die Seele Klarinettens, die zu ihren Füßen verschied; und da sie nicht einig werden konnten, riefen sie die Sirene zu Hülfe, die stieg aus den Wellen und Klarin mit ihr; als dieser seine Geliebte sterben sah, weinte er sehr, und sie faßte Mut und redete, und freudiger und [886] immer freudiger und richtete sich auf, und in ihrer Hand war ein Schwert, und sie schlug den bösen Engel, und der Himmel tat sich auf, und eine Leiter kam herab, und alles wimmelte mit Engeln, die die Jungfrau umfaßten und emporhoben. Klarin aber blieb zurück und klagte, da sang die Sirene wieder und verführte ihn, und er sank unter in den Schoß der Luft. Mir aber knackte es im Genicke, als ich wieder zu Sinnen kam, denn es war mir gewesen, als hebe mich der musikalische Zauber mit beiden Händen an den Schläfen empor, wie mein Großvater tat, da ich noch Knabe war, um mir die lieben Engel zu zeigen, wie er sagte, bei welchem ich aber nie dergleichen gesehen. Hier aber schneite es Engel mehrere Schuh hoch übereinander, sie warfen sich mit Schneeballen und machten große Schnee-Engelmänner aus sich selbst, und da sie endlich wieder verschwanden, sangen sie: »Drei Wochen nach Ostern da geht der Schnee weg, da heurat ich mein Schätzel, und du hast den Dreck«; andre: »Zu Koblenz auf der Brücken, da liegt ein tiefer Schnee, der Schnee, der ist zerschmolzen, das Wasser läuft in See.« Ich glaube, wenn es noch lange gedauert, und ganz Engelland nicht verschwunden wäre, wir hätten alle die englische Krankheit gekriegt und wären auch so herumgeflackert und hätten uns die Köpfe eingestoßen. Ich erwachte in solchem Entzücken, daß ich eine meiner Sackuhren hervorzog, und das neben mir stehende Schützenmitglied fragte (welchen ich an einem Bandelier aus zehn zinnernen Suppentellern, das er bei dem letzten Vogelschießen herausgeschossen und um den Hals trug, er kannte), ob er die goldne Uhr nicht kaufen wolle, um den Künstler damit zu belohnen. Er fragte, wofür? »Ei, für die vielen Engel, die er um uns her hat fliegen lassen.« – »Haben Sie dergleichen gesehen?« sagte der Schütze. »Und Sie nicht?« – »Nein«, sprach er gutmütig lächelnd, und kneipte mir in die Backen, »Lieberchen, ich will Ihnen nur sagen, was es ist; sehn Sie, dieses Tellerbandelier, das ich trage, ist englisch Zinn, und die Engel darauf haben das all getan. Sie sind irre, und mir gebührt die Uhr, die ich untertänig annehme.« Und krapsch schnappte er mit fünf Fingern darnach; aber prost die Mahlzeit, ich hatte die Faust schon wieder in der Tasche, und er ward rot wie ein Zinshahn. »So haben wir nicht gewettet, hier gehts [887] nicht, wie bei der Äpfelfrau«; da hörte ich plötzlich hinter mir sagen: »o Sapperment! dergleichen Blasen hab ich noch nicht gehört, das war, der Tebel hol mir, grade wie zu Akra, als ich beim großen Mogol obenan zu Tische saß, die große Mogolin saß zur Rechten, und drückte mir immer die Fäuste und gab Freiens bei mir vor, da ging auch solch herrliches Gebläse an.« Das ist, das ist mein Schelmuffski, er lebt, er ist vielleicht lebendig begraben gewesen; ich wollte mich umdrehen, aber mir schwindelte, ich sah keinen Menschen; geschwind die Uhren wieder gepackt, es ging abermals los, das mir eben nicht zum Angenehmsten war, denn ich war bereits von den vielen Strapazen der Empfindung halb verschmachtet, meinem Gemüte hing die Zunge aus dem Maule, wie einem durstigen Windhund, und weil mir solche immer einem eleganten Stückchen Schinken ähnlich erschienen, wässerte mir der Mund darnach und dürstete mich wieder mehr darauf. Da sprangen plötzlich viele Fontänen und kreuzten ihre brillantenen kühlen Bogen zur Laube, die wie ein chinesisches Feuerwerk hinauffunkelte, und mitten in die Laube trat eine Stimme, gestaltet wie eine Jungfrau, sie trug eine kristallne Vase voll Orangen und Apfelsinen, in kühlendem Eise eingemacht, und schritt mit festem wohlgebildeten Fuß über uns her, auf der Luft wie auf einem Golddrahte, und warf uns die Früchte herab. Da ich aber der Sackuhren wegen die Hände nicht aus der Tasche tat, sperrte ich bittend den Mund auf, und sie warf mir ein Apfelsinen-Schnitzchen nach dem andern mit den schönen Fingerchen hinein. Aber plötzlich wuchs blanker Stahl unter ihren Füßchen, sie lief Schlittschuhe an den Bogen der Laube hinauf und hinunter, und bog dieselben mit ihren zierlichen Füßen, sich schnell und kräftig leicht bewegend, wie ein Glasblaser seine Röhren vor der Flamme verwandelnd dreht; bald hatte sie die Laube in die zwei x eines Seiltänzers verwandelt, oben über spannte sich ein glänzender Strahl, die Stimme tanzte zum Entzücken ohne Balancier-Stange mit zierlich ausgespannten Armen das Gleichgewicht des schlanken Leibes wiegend, Schnee- und Eisblumen schossen zu ihren Füßen auf, die sie pflückte, Kränze wand, und schwang und immer schneller, schneller und mehr, und da sie ganz wie ein großer, blitzender Kristall geworden, schliff sie [888] einen blanken Spiegel und schaute hinein und ward ruhig. Sie kämmte sich mit brillantenen Kämmen, und Perlen fielen aus den Strahlen der Haare; aber es stieg eine Sonne hinter ihr aus Tönen empor, die schaute ihr wie ein feuriger Kavalier über blanke Schultern in den Spiegel und ihr Antlitz zerfloß in Liebestränen, und immer leiser, leiser, runder und farbiger floß es nieder an den Wangen. Zu ihren Füßen sammelten sich die Tropfen in einen; der wuchs in eine bunte leichte Seifenblase, sie zuckte mit dem Füßchen, der Ballon riß sich los, hob sie empor, und stieg, da schwenkte sie eine Fahne hoch in der Luft, ließ einen Fallschirm herab, die Leute stürzten drüber her; aber es sprangen eine Menge weiße Häschen heraus, die legten brillantene Ostereier unter allen Stühlen und Bänken, und flüchteten sich, von unzähligen klatschenden Händen wie auf einer Klapperjagd verfolgt, alle in die Baßgeige hinein, der sie ein angenehmer Bissen mögen gewesen sein. – Ich war recht herzlich durch die gesunde, feste, kecke, jugendliche Stimme entzückt, und wischte wieder mit meinen Taschenuhren hervor; das Mitglied der Schützengesellschaft rümpfte die Nase, und sagte, wie er damals zu Akra bei dem Mogol eine Sängerin gehört habe, die viel besser den Generalbaß auf der Leier gespielt, und eine Arie von den schwarzen Backen und roten Augen bis ins zwanzigmal gestrichene Ypsilon hinein gesungen; der habe er einen ganzen Waschkorb voll Schnupftabaksdosen dafür geschenkt, Uhren schenke er überhaupt nicht, er schenke nur Schnupftabaksdosen. Da merkte ich gleich, daß das Mitglied gelogen, und daß Schelmuffski da sein müsse, dem er diese Begebenheiten abgehorcht, um damit zu prahlen. Aber es war ein rechtes Elend, immer wenn ich mich zu dem verblichenen Freunde umwenden wollte, ging die Musik wieder an, und faßte mich der Wahnsinn. »Jetzt kömmt ein Duett für Fagott und Klarinett«, sagte man neben mir, aber du lieber Himmel, ich sah nichts davon.
Eine dunkle Wolke zog wie ein Gewitter über den See, es herrschte tiefe bange Ruhe, leichte Blitze zuckten über die graue Flut und den Felsen hin, von dessen Stirne Klarinettens Seele auf der Tonleiter zum Himmel gestiegen war. Ihr Leib lag noch unbegraben, und ihr Schleier wehte von einer Felsenspitze [889] ins Meer herab, die dunkle Wolke zog näher. Gleich einem Schiffe mit schwarzen Segeln legte es sich an den Felsen, auf dem Schiffe kam der besiegte schwarze Engel, Klarinettens Leib zu rauben, aber bei diesem kniete schon Klarin und balsamierte ihn mit Wohlgerüchen und wusch ihn mit seinen Tränen, färbte ihn mit Purpur und bestreute ihn mit Goldflittern und Korallenstaub, daß er schimmerte wie ein Rubin. Dazu sang er in den zuckenden Blitz klagende Lieder, die der Felsen von allen seinen Spitzen widergellend brach, und weiße, traurige Vögel klagten mit ihm, und kreisten in den Wetterstrahlen, bald glänzend, bald verschwindend, in bangem Flug um sein Haupt. Die dunkle Meerflut aber hob leise wachsend an dem Felsen das schwarze Schiff empor, das murrte und an den Klippenzacken seinen erzenen Bauch donnernd streifte; da es oben war, stürzten die weißen Vögel sich in seine Segel, und sein Tauwerk verschwand: denn über ihnen kreisten dunkle Adler. Von dem Schiffe sprang der schwarze Engel auf den Felsen, und Klarin rang mit ihm um den schimmernden Leib seiner Geliebten; es donnerte heftig, und ein Blitz entzündete den Scheiterhaufen, auf dem Klarin das Totenopfer vollbringen wollte, die Flamme schlug empor, und in wunderbarer Beleuchtung rang der Hirtenknabe mit dem Riesen, auch stieg Sirene über die Flut und stieß zuweilen einen bangen Schrei aus, um ihren Buhler zu ermutigen, das donnernde Schiff wankte in den tönenden Wellen, Klarin riß einen Feuerbrand empor und warf ihn nach dem Riesen, aber er fehlte und blieb in den Segeln des Schiffes hängen, das er entzündete, Sirene zerriß im Grunde das Ankertau, die Flut spielte zischend mit dem lodernden Ungeheuer, wie mit einer Fackel, bald nah, bald fern, dem ungleichen Kampfe Licht gebend. Da der dunkle Riese zürnend dem Schiffe nacheilte, verwandelte er sich plötzlich in ein schwarzes geflügeltes Roß, auf seinem Rücken lag eine schimmernde Golddecke, es stampfte die Erde und knirschte die Zähne, seine Mähne sträubte sich und seine Nüstern schnaubten Feuer, und Klarin riß den schimmernden Leichnam der Geliebten empor und warf ihn in die Flammen, da wieherte das Roß dreimal: »o wehe, wehe, wehe mir!« und alle Felsen, und alle Wellen, und alle Vögel schrien: »o wehe dir!« Klarin [890] aber riß den Schleier der Geliebten vom Felsen, und wollte ihn auch in die Flammen werfen, da schrie das Roß gar traurig, und kniete nieder, und weinte aus den wilden Augen und war mild wie ein schwarzes Lamm. Klarin warf ihm den Schleier um den Hals und schwang sich auf seinen Rücken, es trug ihn geduldig rings um den brennenden Scheiterhaufen, bald mutig trabend, bald traurig wandelnd, Klarin aber sang Klagelieder und Siegeslieder, und der Scheiterhaufen brannte nieder; Sirene aber rief gar liebend und Klarin ward unsinnig und trieb das Flügelroß gewaltig gegen den Rand des Felsen, da bäumte es sich und schleuderte ihn in die Flut, wo er mit Sirene küssend unterging. Das Roß aber blieb traurig stehn und senkte das Haupt und klagte und scharrte ein Grab mit den Hufen und wehte die Asche Klarinettens, den schwarzen Flügel senkend, in das Grab, da ward es einsam und legte sich nieder und klagte leiser, leiser, und eine dunkle Wolke bedeckte den Felsen, der Schleier aber wehte über das dunkle Meer hin, und das brennende Schiff schimmerte immer ferner, und alles ward stille.
Aber es erhob sich plötzlich eine solche Klatscherei, als wären alle Hände des Publikums deutsche Journale, und alle Finger Mitarbeiter; ich kam wieder zu Verstand, und schüttelte mich wie ein Gaul, dem nach vierzehn Tagen der Sattel wieder einmal abgenommen worden ist. Um recht zu wissen, woran ich sei, zog ich ein Kartenblatt aus der Tasche und stach mit einem Zahnstocher ein Löchelchen hinein und guckte dadurch nach dem Orchester und nach den Leuten, aber ich sah nichts als Geigen und Hörner und Musiker und andre brave Menschen. Auch guckte ich nach dem vermeinten Schelmuffski und dem holländischen Generalstaaten, und dem Bruder Grafen, das waren aber wildfremde Leute, und mochte das Schützenmitglied recht gesagt haben; auch war es ja möglich, daß er seine Redensarten aus der Wunderbarlichen Reise zu Wasser und zu Land, die Schelmuffski herausgegeben, auswendig gelernt hatte, um sich ein wenig mit gelehrten Anspielungen zu brüsten. Übrigens kann ich meine einfache Kartenbrille allen Schwärmern und visionären Herren und Damen rekommandieren. Doch ist es noch besser, das Löchelchen mit einer Stecknadel als mit dem Zahnstocher zu machen; mit einem Ohrlöffel aber geht [891] es gar nicht, teils weil das Blatt zu dick, teils weil das Instrument zu stumpf ist, teils weil die Öffnung zu groß würde. Auch muß ich protestieren gegen die mögliche Meinung, ich sei ein Spieler, da ich eine Karte bei mir führte, und erkläre hier feierlich, daß ich mich deren allein bediene, meine Zunge damit zu schaben. Auch guckte ich noch mit und ohne die Brille in die Höhe und herum, ob kein Enthusiast im Luftballon herumfahren wolle und Sackuhren brauchen könnte, aber es war nichts zu sehen als eine Fledermaus, oder Schwalbe, die sich in den Saal verloren hatte und scheu herumschweifte; vielleicht daß diese mir in meiner Vision als der schwarze Engel oder als das geflügelte Pferd, und dann die weiße Brust der Schwalbe wieder als der wehende Schleier erschienen war; so ist Vernunft der Mühe wert, beim Licht besehen kömmt alles heraus, Herr Schops besteigt ein Flügelpferd, und reitet eine Fledermaus. Ich wollte diesen kleinen Epigrammetsvögel einen ganzen Spieß machen, aber drei Waldhörner kündigten eine nahe Jagd an, und ich mußte die fettsten Leipziger Lerchen und Sinngedichte streichen lassen, und selbst meine Seele in die Flucht geben. Waldnacht in der Musik und leises Baumgeflüster, Quellenmurmeln, grüner Mut, grünes Blut in allen Adern rinnt; der Jäger aus Kurpfalz, der schnallt auf seinen Mantelsack und reitet durch den grünen Wald als Jäger aus Kurpfalz, ju ja ju ja lustig wollen wir leben, allhier auf grüner Heid. Fort, fort den Hörnern nach, den Jägern nach, Trarah, Trarah über Berg und Tal, schürz dich, Gredelchen, schürz dich, über Bäche, über Gräben, über Stock, über Stein, springen die Hasen und Hirschelein, und das Publikum hinterdrein, in die Waldnacht hinein. Rezensieren, kritisieren soll dir aus dem Kopf spazieren, wann ich sag, es bleibt dabei, es leb die edle Jägerei, he he he, Hirsch und Reh, sind nicht frei, vor dem Blei meiner Jägerei, so rief Frau Echo nach und der Kuckuck mit seinem Schreien macht fröhlich jedermann. Da tat sich auf ein Feld von Schmaragd und an kristallnen Quellen erkühlte die Jagd, gegrüßet seid ihr Waldgebäu, bei hochbelaubten Eichen, o Mägdlein, setz dich neben bei, tu mir den Becher reichen, und den vergoldeten Sonnenglanz laß in den Becher schauen, und flicht mir einen Blumenkranz, und wolle mir vertrauen. Weil die [892] Sonne heißer scheint, komm in die tiefen Lauben, wo die wilde Rebe weint, da lachen die Turteltauben. Sie bringt den Wein in Bechersglanz, aus Veilchen und Narzissen, reicht sie ihm einen süßen Kranz in Waldes Finsternissen. Da kräuselt und säuselt der Schall, seine Stimme will übersteigen, da lispelt und wispelt die Nachtigall, Orgel, Lauten, Geigen, aber du Liebe, du Liebe, du Liebe, vor dir muß alles schweigen. Da tat sie den Jäger wohl fragen, ob sie einen grünen Kranz dürft tragen in ihrem goldfarbenen Haar? Grün Kränzlein darfst du nicht tragen wie eine Jungfräulein trägt, ein schneeweiß Häublein sollst du tragen, wie eine junge Jägersfrau trägt. Und drüben überm Berge, da stand der rote Mond, Feinslieb dreh dich herumme, beut mir den roten Mund, so ging die Nacht herumme, da billt des Jägers Hund, der Jäger sieht ob ihrem Haupt einen schwarzen Vogel wiegen, er nahm sein Flintlein aus dem Laub, Feinslieb, bleib ruhig liegen, bleib ruhig liegen in dem Moos, du brauchst dich nicht zu schämen, ich will den schwarzen Vogel dir vom Haupt herunter nehmen, Feinslieb erwacht so nackt und bloß, und weint und tut sich schämen, – Feinslieb, sitz still im grünen Moos, der Vogel fällt in deinen Schoß, in deinem Schoße stirbt sichs gut. Sie wollte nicht trauen auf sein Wort, brauns Mädel wollt springen fort, der Schuß schlug sie darnieder, der schwarze Vogel ob ihrem Haupt schwang aufwärts sein Gefieder. Da schwang der Jäger ins Jammertal sein Horn, sein Horn, sein traurig Horn, durch Weh und Zorn und Distel und Dorn. Feinslieb, wie bleich, dein Blut wie rot, dein Mund wie rot, Feinslieb, dreh dich herumme, der Mond wie rot, Feinslieb, dreh dich herumme, Feinslieb liegt still im grünen Moos, im roten Moos, so rot von Blut, in deinem Schoße stirbt sichs gut, du kannst dich nicht mehr schämen, o Jammer, Jammer, Jugendblut, er tat sichs Leben nehmen. Und immer leiser, leiser sangen die Töne, als wollten sie die beiden Toten nicht erwecken, und das Hündlein lag auf dem Grab und starb, und weiße Hirsche und junge Rehe kamen heran und schauten die zwei Liebenden an, und weinten, und die Turteltauben lachten nicht mehr, aber die wilde Rebe weinte nieder und rankte heran und flocht eine grüne Laube über ihr Grab. Es wuchsen drei Lilien auf ihrem Grab, auf ihrem Grab, die wollte [893] ein Engel wohl brechen ab, ach Engel laß die drei Lilien stahn, die Lilien stahn, es sollen sie drei Waldhornisten han, sie bliesen so freudig, so traurig ins Horn und alles was sie bliesen, das war verlorn. Da ward ich dermaßen gerührt und fing selbst an zu singen: Ach soll denn euer Blasen verloren sein, so mögens auch meine Sackuhren sein, Sackuhren sein, und riß eine heraus, und wollte hin, die Künstler zu belohnen, aber in der Angst drückte mich einer, die Uhr, die ich hielt, repetierte, ich hatte mich vergriffen, welch Glück, daß ich noch zu Verstand kam, das Konzert war aus, aber ich war doch in einer solchen Hitze, daß ich auf einen Stuhl stieg und folgendermaßen die Künstler anzureden begann, um sie auf verständige Gesinnungen zu bringen:
»Ihr armen Künstler, was habt ihr doch für all die Mühe und die Arbeit, die euch das kostet, in einer Zeit, die nicht dergleichen mag, die Nachtigallenzungen in Pasteten frißt, und den großen Dudelsack, den Magen, allein nur kultiviert. Wie arme Buttervögel, die den Frühling und den Sommer verpaßt, seid ihr zu spät aus eurer Verpuppung ausgebrochen, und da habt ihr nichts gefunden als kalten Giftnebel, der eure Flügel verklebt, und allen Honig von den Blumen haben die Wespen und Lebküchler auch schon weggestohlen. Aus euern Engelsköpfen macht Rumfortische Suppe und Tischlerleim, euern Klarin, der Talent zum Reiten und überhaupt Courage hat, steckt unter die Husaren, eure Klarinette laßt Amme werden, das schwarze Flügelroß tut in eine Stuterei, und macht, daß man euch nicht mehr auf der Jagd ertappt, denn da dergleichen mit dem Forstwesen sich nicht vertragen, so könnte euch leicht der Förster einmal pfänden, oder gar den Hut nehmen. Legt ab, legt ab eure Füllhörner, Wunderhörner, Zauberhörner, euer Treiben ist nicht gut, werdet Uhrmacher, kommt bei mir in die Lehre, ich will euch ein Lehrjahr schenken« – aber man stieß mich an und fragte mich, ob ich hier schlafen wollte; ich kam zu mir, alle Leute waren fort, ein Diener putzte die Lichter aus, ich mußte entzückt gewesen sein, ich griff nach meinen Uhren mit großer Angst, ich zählte, sie waren es alle, Gott sei Dank! aber mein Hut war nicht da, man hatte ihn mir verwechselt, [894] und statt dessen einen alten Schabbesdeckel hingelegt, ich setzte ihn endlich auf, und ging nach Haus; auf der Treppe, wo ich nur ging, lachten mir die Mägde ins Gesicht, alle meine Gesellen kicherten, meine Frau, meine Kinder lachten, ich guckte in den Spiegel und pfui Teufel sie hatten mir einen großen Schnurrbart mit Lichtschnuppen gefärbt. Nachdem ich mich nun gewaschen und meinen verlornen Hut habe ins Wochenblatt setzen lassen, eile ich einer hochlöblichen Schützengesellschaft alles dieses zu berichten in Hoffnung eines gnädigen Verfügens.
BOGS Uhrmacher.
Nun lief das Gutachten des Schützenkorps dahinaus, daß ich meiner Visionen wegen leicht jemand totschießen könnte, der nicht auf der Liste stehe, etwa gar Pränumeranten, oder Lustspieldichter, oder Satirenschreiber, oder die Madame Eudoxia, oder den Buchhändler Dyk, ihren Taufpaten, und deswegen sei mir alles Schießen ohne mein Kartenblatt auf der Nase verboten. Weil ich zwar den Kopf verloren, aber die Uhren behalten, solle man mich dem Consilio medico teils zur Beförderung der Wissenschaft, teils zur Untersuchung übergeben, und auf ihr Gutachten solle man ein Weiteres entscheiden; vor allem solle ich mein Portrait einsenden zur Beilage ins Morgenblatt, wie die andern Uhrmacher, welche vor mir aufgenommen worden, unter der Rubrik: Stadtsoldaten, bereits getan. Folgendes ist nun das verfluchte Ding, und der Kerl liegt mir quer vor der Nase, ich muß immer niesen, und kann doch nicht.