[160] Der neunte Abschnitt.
Von der Kunst gemeinen Dingen das Ansehen der Neuheit beyzulegen.
Pflicht des Poeten, denen Dingen, die an sich eine geringe Schönheit haben, oder selbst verächtlich und widrig sind, durch die Kunst ein Ansehen mitzutheilen. Eintheilung der Vortheile, die zu diesem Ende dienen, in solche, welche der Poet in seiner Scharfsinnigkeit findet, und andere, die er von der Mischung der poetischen Farben erhält. Worinnen das Neue bestehe, welches die poetische Kunst bekannten Dingen mittheilen kan. Von dem Wunderbaren, das in einem Betrug der Sinne besteht. Wie die Poeten sich dieses Scheines bedienet, den Wechsel des Tages und der Nacht, die Entfernung eines Schiffes von dem Gestade, Gemählde, auf eine wunderbare Weise vorzustellen. Verteidigung des homerischen Schilds des Achilles. Hyperbolische Bilder, die sich auf den Wahn der Sinne gründen, der himmelstützenden Berge, des Atlas, der Centauren, der Schiffe als schwimmender Inseln. Von dem Wunderbaren, das in einem Betrug der Affecte besteht. Hyperbolische Redens-Arten der Furcht in einem Sturm zur See. Wie sie die Umwelzung des Felsens vor Cacus Höle, und die nunmehr offen stehende Höle beschreibet. Wie Opitz nach Homer die Einbildung durch die Vergrösserung der Gefahr der Schiffenden in Furcht gesetzet. Wie die Traurigkeit die Sachen auf eine seltsame Weise vorstellet, vornehmlich bey Verliebten. Wie die erhizte Phantasie Dinge sieht, die nirgend, oder weit entfernet sind; daher Longin solche Phantasie-Bilder vor ein Mittel den Geist zu erheben angepriesen. Wie König nach dieser Art die Früchte einer milden Regierung, Gottsched die Sehnsucht nach dem Frieden vorstellet. Trefflichkeit der heroischen Ode Königs auf die Geburt einer Churfürstlichen Printzessin, in dieser Absicht. Daß der Enthusiasmus der Alten nichts anders gewesen. Maaß und Ziel, das in dergleichen Verzückungen zu halten ist. Von dem Wunderbaren, das sich auf einen allgemeinen Wahn gründet. Ansehn der gemeinen Meinungen. Behutsamkeit, so in Anwendung derselben zu gebrauchen ist. Vertheidigung der Verwandlung der Pfeile Polymnestors,[160] und der verbrandten Schiffe des Eneas, ingleichem des güldenen Zweyges des Eneas. Die truckene Erzehlung wird durch Einstreuung solcher Fabeln vor Mattigkeit bewahret. Wie Opitz solches bewerckstelliget habe. Daß unsre Poeten ihre Materie durch die Hinuntersetzung der historischen Wesen der heidnischen Poeten in allegorische, in angenehme allegorische Fabeln einkleiden können. Fruchtbarkeit der Allegorie, die auf die alte Mythologie gegründet ist. Wie Opitz auf diese Weise die allgemeine Freude bey der Geburt des Herzogs von Holstein beschrieben habe.
Die Poesie ist eine Nachahmung der Natur: Nun muß man bey einer jeden Nachahmung zwo Sachen absonderlich in Betrachtung ziehen, eine ist dasjenige, so nachgeahmet wird, die andere, wie und auf was vor eine Weise es nachgeahmet wird; jenes ist die Materie, dieses die Weise und Kunst der Nachahmung. In beyden, so wohl in der Materie der poetischen Nachahmung, als in der Kunst derselben muß das verwundersame Neue herrschen, als welches die einzige Quelle des poetischen Schönen ist. Ist die Materie, die der Poet erwehlet hat, mit einer eigenthümlichen verwundersamen Neuheit begabet, so wird sie das Gemüthe durch ihre eigene Kraft, auch ohne die Hülfe der Kunst, einnehmen und entzücken, wenn sie in ähnlichen Bildern und übereintreffenden Ausdrücken nur einfältig vorgestellet wird. Weil aber der Poet nicht immer neue und ungemeine Dinge findet, oder vorzustellen Gelegenheit hat; so muß er auch wissen, gemeinen und bekannten Wahrheiten durch die Kunst der Nachahmung ein neues Ansehen mitzutheilen, und sie in ihrem vortheilhaftesten Licht vorzustellen. Er muß hierinnfalls den Frauenspersonen folgen, die entweder durch die angebohrne oder durch eine angenommene Schönheit den Männern zu gefallen suchen. Also kömmt eine mittelmässige, ja eine geringe Schönheit dem Mangel derselben durch den prächtigen Zusatz eines entlehnten Schmuckes verständig zu Hülfe, und macht sich durch die Kunst angenehm, mit welcher sie die Fehler der Natur auf eine geschickte Weise verbirgt, und den angenommenen [161] Glantz eines auswärtigen Zierrathes sich ganz gerecht und zu eigen machet: Hingegen haben diejenigen, die von Natur schön sind, eines solchen geborgten Glantzes nicht vonnöthen, ihre nackende Schönheit hat ohne fremde Hülfe für sich selbst Kraft genung sich der Hertzen zu bemeistern; und der überflüssige Gebrauch eines fremden Schmuckes würde dem natürlichen Ansehen der Schönheit nur nachtheilig seyn, und sie verdunckeln. Eben diese Bewandtniß hat es auch mit den unedlern mechanischen Künsten, die so wohl als die höhern in einer Nachahmung der Natur bestehen; ihre Wercke können entweder durch den Zeug oder durch die Kunst schätzbar werden; wenn jedoch der Werth von beyden in einem Wercke vereinigt ist, so bekommen sie eine gedoppelte Kraft die Gemüther zu entzücken, und mit Verwunderung einzunehmen. Also preiset der Schäfer Menalcas in der dritten Ecloga des Virgilius v. 36. das hölzerne Trinckgeschirr, das er zum Gewinn aufsetzet, alleine der Kunst halber, von welcher es seinen gantzen Werth empfangen hat:
– – – – – – Pocula ponam
Fagina, cælatum divini opus Alcimedontis:
Lenta quibus torno facili superaddita vitis
Diffusos hedera vestit pallente corymbos.
In medio duo signa, Conon; & quis fuit alter,
Descripsit radio totum qui gentibus orbem,
Tempora, quæ messor, quæ curvus arator haberet?
Necdum illis labra admovi, sed condita servo.
Wiewohl aber unwidersprechlich der Verdienst eines Poeten vornehmlich in der geschickten Wahl und Erfindung solcher Materien besteht, welche vor sich selbst gantz neu, fremd und wunderbar sind, und ohne die Hülfe der Kunst durch ihre eigene Kraft die Gemüther [162] einnehmen und entzücken, von welcher Art alle diejenigen sind, die der Poet aus der Welt der möglichen Dinge mittelst der Erdichtungs-Kraft nach den Regeln des Wahrscheinlichen hervorholet, so ist dieses dennoch nicht genung, das Lob des Dichters vollkommen zu machen, sondern da die poetische Kunst vermögend ist, die wesentliche Schönheit der Dinge durch die Art der Vorstellung augenscheinlich zu erhöhen, ja auch schlechten und durch die Gewohnheit in Verachtung gekommenen Dingen ein wunderbares und herrliches Ansehen mitzutheilen, so wird überdieß noch erfodert, daß ein solcher die Schönheiten seiner erwehleten Materie durch die Kunst der Nachahmung in ihrem rechten Licht und Vortheil vorzustellen, und auch den gewöhnlichsten und unachtbarsten Wahrheiten und Umständen einen solchen verwundersamen Glantz beyzulegen wisse, daß der dadurch entzückte Leser sich nicht erwehren kan, seinen Vorstellungen alle Aufmercksamkeit und Bewunderung zu gönnen. Wer besagte beyden Stücke in seinem Vermögen hat, und dieselben geschickt zu vereinbaren weiß, der hat das poetische Schöne zu seinem Dienst bereit, und kan mit Recht versichert seyn, daß seine Schriften, in welchen er die poetischen Schönheiten weißlich ausgespendet hat, jedermann gefallen werden, weil die menschliche Natur darinnen unveränderlich ist, daß das Schöne ihr niemahls mißfallen kan.
Nachdem ich denn in unterschiedenen Abschnitten von der Materie der Nachahmung, ihrer Erfindung und Wahl, ausführlich gehandelt, und absonderlich gezeiget habe, welches die Fontes inventionis oder die Mienen des poetischen Schönen seyn, und wie diesen Nahmen nichts verdienet, was sich nicht auf die Wahrheit gründet, was nicht die Aufmunterung zur Tugend und guten Sitten zum Zweck hat, was nicht das Auge der Seele durch den Glantz einer verwundersamen Neuheit auf eine angenehme Weise entzücket, und das Gemüthe mit einer [163] süssen Unruhe anfüllet: So ist es nun an dem, daß ich ferner die Vortheile und Geheimnisse der poetischen Mahler-Kunst in Absicht auf die Art und Weise der Nachahmung entdecke, mittelst deren der Poet alle seine Vorstellungen beleben, ihnen ein wunderbares Ansehen und eine entzückende Kraft mittheilen, oder zum wenigsten ihren eigenen Werth um einige Grade erhöhen und in das rechte Licht sezen kan. Nun sind diese Kunstgriffe und geheimen Vortheile der poetischen Mahler-Kunst von zweyerley Gattung; einige rühren von der eigenen Scharfsinnigkeit des Poeten her, welche ihm hilft, in allen Dingen, so er sich vorstellet, verborgene Schönheiten zu entdecken, und diese regieren ihn in der Anordnung und Ausführung seines Plans; die andern Vortheile gehören zu der mechanischen Kunst des poetischen Mahlers, und entstehen von der Kundschaft in der Sprache und der Mischung der poetischen Farben. Mit diesen leztern gedencke ich eine eigene Untersuchung anzustellen, wenn ich zuerst die Kunst-Streiche der erstern Gattung werde angezeiget haben, welche dem Poeten dienen, theils bekannten und unachtbaren Dingen ein herrliches Ansehen zu lehnen; theils alle seine Vorstellungen ohne Absicht auf ihren innerlichen Werth nach einem so vortheilhaftigen Licht aufzuführen, bey welchem man ihre vollkommene Schönheit nicht ohne Verwunderung erblicken muß. In der gegenwärtigen Abhandlung will ich erstlich erklären, wie die Kunst des Poeten auch bekannten und täglich vorkommenden Dingen ein gantz neues und verwundersames Ansehen beyleget.
Ich verstehe durch bekannte und unachtbare Dinge solche Sachen in der materialischen, der historischen, und der moralischen Welt der Würcklichen Dinge, welche nicht bloß eine gewisse Wahrscheinlichkeit, sondern das Siegel und Zeugniß der Wahrheit selbst haben, und uns durch den täglichen Umgang und Gebrauch so bekannt und gewöhnlich worden, daß sie in ihrer nacketen Vorstellung [164] weder Aufmercksamkeit noch Verwunderung erwecken könnten, sondern gantz unachtsam und kaltsinnig vorbeygegangen würden. Da nun der Poet sich unmöglich entschlagen kan, von solchen Dingen zu reden, und dergleichen Umstände in den Zusammenhang seiner Erzehlung einzutragen, so muß er die Kunst lernen, wie dem Eckel vorzubauen sey, den eine solche Vorstellung gewöhnlicher Dinge, die entweder durch den beständigen Gebrauch, oder in dem Munde des Pöbels etwas verächtliches an sich genommen haben, nothwendig verursachen muß. Ich habe an seinem eigenen Orte die Anmerkung gemachet, daß der Poet, dessen Kunst in einer geschickten Nachahmung der Natur bestehet, sich wenig darum bekümmert, daß seine Vorstellungen vor wahrhaft und würcklich angesehen werden; er kan diese Sorge dem Geschichtschreiber überlassen, weil er seinen Zweck erreichen, und durch die blosse Ähnlichkeit seiner Vorstellungen mit der Wahrheit ein nützliches Ergetzen verschaffen kan, wenn solche sich nur auf die Wahrscheinlichkeit gründen, und nicht unglaublich sind. Sein gantzes Vermögen bestehet in der geschickten Verbindung des Wunderbaren mit dem Wahrscheinlichen; dieses erwirbt seiner Erzehlung Glauben, und jenes verleihet ihr eine Kraft, die Aufmercksamkeit des Lesers zu erhalten, und eine angenehme Verwunderung zu gebähren. Wie nun das Wunderbare ohne die Wahrscheinlichkeit abentheurlich und unglaublich wird, so hat andern Theils das Wahrscheinliche, wenn es von dem Verwundersamen nicht unterstüzet wird, keine genugsame Kraft auf das menschliche Gemüthe, selbiges angenehm zu rühren, oder mit Ergetzen anzufüllen. Darum muß der Poet wissen, diejenigen Dinge, die das Zeugniß der Wahrheit und Würcklichkeit haben, von dem Ansehn der Wahrheit bis auf einen gewissen Grad zu entfernen, und ihnen eine wunderbare aber dabey unbetrügliche Gestalt anzuziehen. Dieses geschieht, wenn [165] er die Sachen vorstellet, nicht wie sie würcklich sind, sondern wie sie uns in verschiedenen Gesichts-Puncten vorkommen. Diesemnach bestehet das Wunderbare, welches die poetische Kunst bekannten und würcklichen Dingen zulegen kan, in einem angenommenen unbetrüglichen Schein der Falschheit, der entweder in einem angenehmen Betrug der Sinne, oder in einem Betrug der Affecte und Gemüthes-Leidenschaften, oder endlich in einem Betrug einer allgemeinen Sage oder eines eingewurtzelten Wahnes beruhet. Der erstere dienet die bekanntesten Phänomena aus der materialischen Welt, der andere diejenigen, welche in der moralischen Welt, und der dritte die so in der historischen Welt der würcklichen Dinge vorkommen, wunderbar vorzustellen.
Was denn zum ersten das Wunderbare anlangt, so in einem Betruge der Sinnen bestehet, so ist aus der Erfahrung bekannt, daß uns öfters die äusserlichen Sinne eine Sache gantz anderst vorstellen, als der Verstand sie einsiehet; dieses äusserlichen Scheines der Falschheit weiß sich nun die poetische Kunst meisterlich zu bedienen, damit sie eine gar bekannte Wahrheit auf eine wunderbare und ergetzliche Weise vorstelle. Wenn die Poeten den Wechsel des Tages und der Nacht durch den Aufgang und den Untergang der Sonnen anzeigen wollen, so sagen sie:
Oceanum interea surgens aurora reliquit.
Virg. L. IV.
Quaque patent ortus, & qua fluitantibus undis
Solis anhelanteis abluit amnis equos.
Tibull. L. II. Eleg. 5.
Welches Opitz in dem ersten B. seiner Trost-Gedichte dergestalt gegeben:
[166]– – – – – – – – – Es gieng in ihrem Reiche
Zu Abend in die See der göldnen Sonnen Lauf,
Und stuhnd zu Morgen auch in ihrer Herrschaft auf.
Und von dem Untergang des Mondes saget Postel im dritten B. des Wittekindes; p. 537.
So bald nach Mitternacht zum Untergang sich lenkte
Der weiß-gehörnte Mond, und seine Pferde tränkte
Im Spiegel-hellem Flach der grünen Abend-See.
Nun scheinet es ja gantz wunderbar und in dem Verstande recht widersinnig, daß der feurige Cörper der Sonne sich alle Abende ins Meer versencken, und gleichwohl jeden Morgen heller und reiner aus demselben wieder hervorsteigen sollte. Diese Vorstellung verbindet unsren Begriffen nach zwey gantz widerwärtige und streitende Dinge, nemlich Glut und Flut. Nichtsdestoweniger gründet sich dieses nach dem ersten Anschein unglaubliche Phänomenon auf das Zeugniß der Sinne. Die Seefahrer, die jezo auf dem hohen Meer nichts anders vor sich sehen, als die unermeßliche See rund herum mit dem Himmel begräntzet, würden betheuren, daß die Sonne des Morgens aus dem Wasser aufsteiget, und des Abends an dem Ende gegenüber in das Meer sincket. Und weil nach des Herrn Brockes Worten
Wann ein schnelles Schiff der Wellen Fläche theilet,
Und neben einem Strand mit vollen Segeln eilet,
Der unbewegte Strand sich zu bewegen scheint;
so bedienet sich der Poet dieser sinnlichen Vorstellung eine bekannte Sache und Wahrheit, nemlich die Entfernung von dem Gestade und die Veränderung des Ufers recht wunderbar vorzustellen:
[167]Provehimur portu, terræque urbesque recedunt.
Und Seneca in den Trojanerinnen:
Cum semel ventis properante remo
Prenderint altum, fugietque littus.
– – – – – – – – – – Aut terras procul
Quantum recedunt vela, fugientes notat.
Ausonius in seiner Mosel redet von einem andern wunderbaren Phänomenon:
Quis color ille vadis, seras quum protulit umbras
Hesperus, & viridi perfundit monte Mosellam?
Tota natant crispis juga motibus: & tremit absens
Pampinus, & vitreis vindemia turget in undis:
Adnumerat virides derisus navita vites. etc.
Also wenn Herr Brockes in der Betrachtung des Mond-Scheines in einer Frühlings-Nacht sagt, es habe sich gleich nach eingebrochener Nacht ein neuer Tag sehen lassen, so ist diese Vorstellung, die selbst die Nacht gleichsam in den Tag verwandelt, wunderbar. Auf denselben Grund und nach dem Scheine des Gesichtes sagen die Poeten von den Figuren eines Gemähldes, sie leben und reden, die Mahlerey und die Bildhauerey, schrieb einer, sind zwar stumm, und haben doch eine Sprache; und Plinius sagt von Apelles: Pinxit quæ pingi non possunt; und von Timanthes: In omnibus ejus operibus intelligitur plus semper quam pingitur; & cum ars summa sit, ingenium tamen ultra artem est. Wenn denn ein Poet ein vortreffliches Werck und Meisterstück dieser Künste beschreiben soll, so erzehlet er nicht bloß, wie die [168] Figuren in der That beschaffen sind, sondern wie sie einem aufmercksamen Zuschauer wahrscheinlich vorkommen. Die gemahlete Bilder haben freylich kein wahres Leben, noch eine wahre und würckliche Bewegung; es stehet nicht in dem Vermögen der Kunst, diese ihren Wercken mitzutheilen, aber sie kan ihnen dennoch den Schein eines Lebens und einer Bewegung mittheilen. Die Zeichen, durch welche ein Mahler seinen in dem Kopf wohl eingerichteten Plan andern offenbaret und erkläret, sind die Farben und die mahlerische Vorstellung; da nun reden nichts anders ist, als seine Begriffe und Gedancken durch Zeichen zu verstehen geben, so kan man von einem jeden wohlgemachten Gemählde im eigentlichen Sinne sagen, es rede, und alles was ein verständiger und aufmercksamer Kenner aus desselben Betrachtung anmercket und lernet, hat der Mahler in demselben auch würcklich vorgestellet. Also beschreibet der Poet, wenn er von einem Gemählde redet, nicht nur id quod pingitur, sondern auch quod intelligitur; und dieses machet seine Beschreibung und die Kunst des Mahlers zugleich recht wunderbar. So wenn Virgilius in der Beschreibung des Schildes seines Helden unter anderm sagt,
Atque hic auratis volitans argenteus anser
Porticibus, Gallos in limine adesse canebat;
beschreibet er damit, was keine Kunst einiges Mahlers erreichen, oder genugsam ausdrüken kan; aber was die Betrachtung dieser künstlichen Vorstellung auf Eneas Schilde dennoch nicht undeutlich zu verstehen giebt; und gleichwie Virgil in dieser Dichtung von Eneas Schild das homerische Schild des Achilles zum Muster genommen, also lieget in der eben angeführten Anmerckung der Grund zu der bündigen Vertheidigung dieses kunstvollen Schildes von göttlicher Arbeit wider die übereilten Criticken des gelehrten Scaligers, wie solche von dem [169] verständigen Herrn Dacier in seinen Anmerckungen über Aristoteles Poetick gründlich ausgeführet worden; daher es mir nicht wenig anstössig vorgekommen, als ich in einem neuen critischen Wercke eines deutschen Kunstrichters diese Anklage Scaligers unbedachtsamer Weise wieder aufgewärmet fand, wo sie mit ungemeiner Dreistigkeit also beschlossen wird: Kurtz, Homer hat sich versehen, und die Wahrscheinlichkeit nicht recht beobachtet. Opitz hat die Verwunderung, die ihn bey der ersten Erblickung eines Conterfeys von einer Frauensperson überfallen, welches von der kunstreichen Hand des berühmten Strobels verfertiget war, in einer Aufschrift sehr natürlich also ausgedrücket:
Wem seh' ich, oder wer sieht mir vom Bilde zu?
Hats die Natur gemacht, Herr Strobel, oder du?
O Bild! o nicht ein Bild! dieß lieblich seh'n, dieß Lachen,
Den Hals, dieß Haar, den Mund, kan dieß der Pinsel machen?
Wo bleibet dann der Geist? Das Antlitz ist allhier;
Der Geist sey wo er will, das Mensch steht doch bey mir:
Es lebet! oder muß ja etwas in ihm leben.
Bistu Bild, oder Mensch? Willstu nicht Antwort geben?
Auf diesen Grund sind viele hyperbolische Bilder erwachsen, welche auf einem Wahn der Sinne beruhen. Der Herr Brockes sagt in dem ersten Th. des Ird. Verg. von den Gipfeln der Berge, daß sie
Wenn sie voll Wolcken hangen,
Nach dem blöden Augenschein
Selbst des Himmels Stützen seyn.
[170] Daher Virgilius in dem ersten B. der Eneis noch ziemlich bescheiden, aber ungemein nachdrücklich sagt:
Hinc atque hinc vastæ rupes, geminique minantur
In coelum scopuli. – – – –
Welches Amthor in seiner Übersetzung sehr matt also giebt:
Das Ufer zeiget sich von Felsen aufgeführet,
Wovon das höchste Paar bis an den Himmel rühret.
Wo das Wunderbare zwar beybehalten, aber der Nachdruck des Wortes minantur, welches das erschreckliche Aussehen dieser ungeheuren Felsen kräftig bezeichnet, übel aus der Acht gelassen wird. Und aus diesem optischen Betrug ist die Fabel von dem Atlas entsprungen, welche Opitz in dem Lob des Krieges-Gottes v. 648. in dem schertzreichen Einfall angeführet hat:
– – – – Es trug vor dieser Zeit
Den grossen Himmels-Bau der Atlas, wie sie sagen:
Jezt wird auf einer Hos' ein gantzes Dorf getragen,
Die Bauren und der Schultz. – – –
Wie auch einige davor halten, ist die Fabel von den Centauren, einem Volck in Thessalien, aus einem solchen Betrug entstanden, weil diese Leute zuerst die Pferde gebändiget, und zum Reuten abgerichtet haben, da der unwissende Zuseher anfänglich nach dem ersten Anschein den Reuter und das Pferd vor ein Stücke genommen hat. Wenn Virgil im achten B. der Eneis von den Flotten Marc-Antons und Augusts in der Schlacht bey Actium gedencket:
[171]– – Pelagoque credas innare revulsas
Cycladas. – – –
So gründet sich dieser vorgegebene Wahn ebenfalls auf einen Betrug der Augen, indem unstreitig ist, daß die schwimmenden Inseln dem Auge in einem gewissen Gesichtes-Punct nicht anderst vorkommen, als eine Schiffs-Flotte; und hinwiederum wird einem Menschen, der eine Flotte zum ersten mahl siehet, solche ins Auge fallen, wie schwimmende Inseln. Ich könnte noch einen reichen Vorrath von dergleichen Beyspielen zusammentragen, wenn ich nicht die schon angeführten vor zulänglich hielte, diesen Kunstgriff der poetischen Mahler-Kunst deutlich zu erklären.
Ich gehe darum weiter fort, eine andere Quelle des Wunderbaren in der Kunst der Nachahmung zu entdecken, die aus einem angenehmen Betruge der Begierden oder Gemüthes-Neigungen entspringet. Von dieser hat schon Aristoteles in dem zweyten B. seiner Rede-Kunst angemercket, daß liebende und hassende, entrüstete und gesezte Menschen eine Sache nicht auf einerley Weise ansehen, sondern daß sie ihnen entweder gantz anderst, oder in einem andern Grade der Grösse vorkommt. Durch einen Affect in Verwirrung gesezte Gemüther hören den Verstand nicht, und sind zu ungedultig, sich der Leitung desselben zu unterwerffen; je heftiger die Leidenschaft ist, desto schwerer kan die Vernunft Gehör erlangen; die erhizte Phantasie ist von ihrem Gegenstande so sehr eingenommen, und damit so starck beschäftiget, daß sie auch der Vorstellung der Sinnen, die von aussen auf sie eindringet, nichts achtet; sie ist von dem Verstande und den Sinnen gantz abgezogen, und in sich selbst hinein gekehret, sie hänget ihren Träumen nach, und stellet sich die Gegenstände ihrer Betrachtung vor, nicht wie sie an sich selbst und in ihrer Natur beschaffen [172] sind, oder wie sie von den Sinnen und dem Verstande eingesehen werden, sondern wie sie dieselbigen wünschet. Man saget darum mit Recht, daß die Leidenschaften alles mit eigenen und gantz andern Augen anschauen, als ein geseztes und der Leitung seiner Vernunft gehorchendes Gemüthe: Und wie Aristoteles in der angeführten Stelle anmerket, so ändert sich die Vorstellung eines gleichen Gegenstandes ab, je nachdem die Phantasie von einer Regung aufgebracht und entzündet worden; Die Liebe sieht die Vollkommenheiten durch ein Vergrösserungs-Glaß an; hingegen kehret der Haß den Tubum opticum um, und sieht dieselben in der Entfernung gantz verkleinert; die Liebe ist blind, wenn es die Fehler und Gebrechen ihres geliebten Gegenstandes angehet, eben wie der Haß hingegen blind ist, wenn er die Vollkommenheiten desselben Gegenstandes der Liebe wahrnehmen soll. Kurtz, die Phantasie, die durch die Leidenschaften erhitzet ihren Träumen nachhängt, sieht die Dinge, die vor Augen liegen, entweder gar nicht, oder in einer gantz andern Grösse, Figur und Gestalt, als sie haben: Hingegen bildet sie sich ein, daß sie dasjenige würcklich sehe, was sie wünschet oder fürchtet, wenn es schon nicht vorhanden ist, und daher entstehen die wunderbaren und seltsamen Vorstellungen der Phantasie, die poetischen Entzückungen, Gesichter, Weissagungen, Träume, welche vornehmlich in der Ode herrschen, und von dem poetischen Enthusiasmo oder der Begeisterung herrühren. Da nun dem Poeten sehr viel daran gelegen ist, daß er das Gemüthe des Lesers mit seiner Materie und dem Schicksal seiner Personen einnehme, und in einer beständigen Unruhe unterhalte, so muß er in beschreibung der Umstände, in die er seine Personen versetzet, die Sachen nicht immer in ihrer wahren und natürlichen Grösse vorstellen, wie sie demjenigen vorkommen, der keinen Antheil an einer Begebenheit hat, sondern er muß sie nach dem Maasse künstlich vergrössern [173] oder verringern, wie sie denen Personen, für die er seine Leser einnehmen will, nach ihrem Gemüthes-Zustande wahrscheinlicher Weise vorkommen mußten; und durch diese kunstreiche Anwendung des Betrugs der Affecte werden seine Vorstellungen nicht alleine wunderbar, sondern auch hertzrührend.
Wenn Virgil im dritten B. der Eneis v. 564. seinen Helden einführet, wie er die Gefahr beschreibet, in welcher die Flotte bey der Charybdis geschwebet, so sagt er:
Tollimur in coelum curvato gurgite, & idem
Subducta ad maneis imos desedimus unda:
Ter scopuli clamorem inter cava saxa dedere;
Ter spumam elisam & rorantia vidimus astra.
Diese hyperbolische Redens-Arten der Furcht, welche gleichsam mit der Gefahr anwachsen, erwecken bey dem Leser nicht alleine einen lebhaften Begriff von der Grösse der Gefahr, mit der die schiffenden umgeben waren, sondern entdecken uns zugleich, wie solche ihrer mit Furcht eingenommenen Phantasie vorgekommen sey. Opitz sagt im vierten B. der Poet. W. in dem Gedichte an Nüßlern von einem Sturm nach einem gleichen Betrug der Einbildung:
– – Wie die grüne See, im Fall sie durch Gewalt
Des Nordens wird gezwängt, bald ihre trüben Wellen
Bis an die Wolcken führt, bald an den Schlund der Höllen
Das Hofnungs-blosse Schiff mit Sturm und Brausen schlägt.
Und wenn Virgil im achten B. der Eneis v. 240 die Aufschliessung der ungeheuren Höle des Cacus beschreiben will, so sagt er erstlich von der Wegweltzung des Felsen-Stückes, womit der Eingang verschlossen war:
[174]– – Impulsu, quo maximus intonat æther!
Dissultant ripæ, refluitque exterritus amnis.
– – – – – – – – – – – – – Aller Grund erzittert,
Die Wasser fürchten sich, und fliehen von dem Lande.
Hernach wenn er die erschreckliche Gestalt der nunmehr offen stehenden Höle, wie sie Leuten beym ersten Anblicke vorgekommen, beschreibet, so sagt er:
Non secus, ac si qua penitus vi terra dehiscens
Infernas reseret sedes, & regna recludat
Pallida, DIs invisa; superque immane barathrum
Cernatur, trepidentque immisso lumine manes.
So wenn Opitz in dem Lob des Krieges-Gottes v. 749. demselben die Erfindung der Schiffahrt zuschreibet, sagt er:
Du hast den Fichten-Baum zuerst geheissen hauen,
Hast unsern Muth gereizt ein Holtz-Pferd aufzubauen,
Das Segel hoch zu zieh'n, zu reisen durch den Wind,
Wo Meer und Tod von uns in gleicher Weite sind.
Hier ist zwar die lezte Anmerckung, daß das Meer und der Tod gleich nahe bey den Eingeschiffeten stehn, nicht von der Phantasie, sondern durch den überlegenden Verstand erfunden worden, nichts destoweniger ist sie wunderbar, und dienet vortrefflich, die Einbildung durch die Vergrösserung der Gefahr in Furcht zu setzen, wie Homer in dem vierzehnten B. der Ilias v. 624. zu erkennen giebt: »Die Schiffenden zittern in ihren Hertzen vor Furcht, weil sie nur einen Schritt weit von dem Tode fahren.« Auch kan die aus Opitz angeführte Stelle die [175] Gründlichkeit der Critick, die Longinus in der zehnten Abtheilung über eine Stelle aus einem gewissen Gedichte, Arimaspia genannt, gemachet hat, genugsam erweisen, massen der einzige Umstand, den er von Homer glücklich hinübergetragen,
Wo Meer und Tod von uns in gleicher Weite sind,
die Grösse der Gefahr, und hiemit die kühne Verwegenheit der Seefahrenden weit erschrecklicher und erstaunlicher machet, als alle die daselbst angebrachte kleinen Umstände und spitzfündige Gegensätze, welche mehr von dem spielenden Witz des Poeten, als einer von Furcht eingenommenen Phantasie und richtigen Urtheile Anzeige geben.
Gleichwie die Furcht das vergangene und das zukünftige Übel, also siehet hingegen die Traurigkeit das gegenwärtige immer vor grösser an, als es an sich selbst ist; diese beredet die Einbildung, daß allemahl das gegenwärtige Leid das schwerste und schmertzlichste sey, und daß beynahe die gantze Natur Theil daran nehme: Ein Gemüthe, das von Traurigkeit gantz eingenommen ist, sieht alles mit andern Augen an, es hat keine Empfindlichkeit für das Angenehme und Ergetzliche, auch der helleste Tag düncket ihm mit einer traurigen Finsterniß umnebelt zu seyn, daher auch die Vorstellungen dieser Leidenschaft sehr seltsam herauskommen. Opitz sagte unter anderm in seinem Trauergedichte des dritten B. der Poet. W. wo er die allgemeine Trauer über den tödtlichen Abschied Ertz-Herzog Carls von Österreich beschreibet:
– – – – – – – – – – – Die Donau schwellt sich auf,
Der Wasser Königin, und ändert ihren Lauff:
Der strengen Multe Strohm scheint röther noch zu fliessen,
[176]Als damals wie man sah' in solcher Menge schiessen
An seinem Ufer her so vieler Menschen Blut.
– – – – – – – – – – – – – – – Die Felsen in Tirol
Und Hügel allesamt sind grossen Traurens voll.
Und in einem andern Gedichte, über das Absterben einer hochgebohrnen Fürstin:
Und unser Lignitz auch, die sonst so schöne Stadt
Verbirget ihre Zier: die Oder will nicht fliessen
So klar mehr als zuvor: die Najades begiessen
Ihr weisses Angesicht aus grosser Traurigkeit
Mit Zehren mannigfalt: das Feld sieht weit und breit
Öd' und verwüstet aus: Pandions Tochter singet
Mit kläglichem Geschrey, daß Wies' und Wald erklinget:
Wo die Violen vor bey solcher Frühlings-Zeit
Im grünen Hessen seh'n ihr Wolken-blaues Kleid,
Wächst Raut und Wermuth auf: Ein jedes ist verzaget
Um diesen Todes-Fall. – – – –
Welches mit folgender Stelle in der zehnten Ecloge des römischen Poeten übereinkömmt:
Illum etiam lauri, illum etiam flevere myricæ;
Pinifer illum etiam sola sub rupe canentem
Mænalus, & gelidi fleverunt antra Lycæi.
Wie nun die Traurigkeit nichts anders ist, als die lezte Wuth der Liebe über den Verlust eines besessenen Gutes, so ist keine Leidenschaft unter allen fruchtbarer an Bildern, als die Liebe. Diese füllet die Einbildung gäntzlich mit dem geliebten Gegenstande an, und mahlet ihr dessen [177] Schönheit und Vollkommenheit in einem solchen Lichte vor, daß sie dadurch gantz entzücket, denselben als den einzigen Mittelpunct und die Quelle aller Schönheit, alles Ergetzens, aller Glückseligkeit ansiehet, und sich darum nach ihm alleine sehnet, alles andere in Vergleichung mit dem einig geliebten Gegenstand verachtet, und einen Eckel davor empfindet, und nichts anders, als nur um desselben Willen liebet. Diese Liebe hat eine verwundersame Kraft, welche Opitz in der Hercynia also beschrieben hat: »Sie will über alle Furcht und Notwendigkeit siegen, und ihre Freyheit unbeleidiget wissen. Sie verwundert sich über keinen Reichthum, sie fürchtet keinen König, scheuet kein Gerichte, und pfleget keinen Tod zu fliehen: Sie läßt sich durch kein Feuer, kein Wasser, keinen Degen, kein Thier, noch Menschen, keine Hoffnung des Glückes, noch Verlust der Wohlfahrt von ihrem Vorsatz bringen: Was andere meiden, das verachtet sie; und was andern schwer fürkommt, das macht sie ihr leichte. Sie schwimmet durch die Tieffe der Flüsse, segelt im Ungewitter und klettert über alle Berge. Sie hat alles in ihrer Gewalt, und macht ihr alle Gewalt unterwürffig. Ein herrliches Wesen, wenn dieses alles aus einem Muth der Tugend, und nicht aus Verwegenheit, oftmahls auch aus Verzweiffelung herrührete; wenn ihre End-Ursache mit den Umständen übereinstimmete, ja wenn sie nicht eben diejenige wäre, darüber so viel Hirten-Gedichte schreyen, welche auf allen Schauplätzen gezeiget, und in allen Fabeln verklaget wird, voll Wütens, voll Ungedult, voll Weinens, und Jammers ist.« Wenn diese Liebe der Vernunft nicht mehr gehorsamt, und sich nur von dem Glantz einer betrüglichen Schönheit beherrschen läßt, wird sie toll und ausgelassen, sie verfällt in alle Ausschweifungen, sie vereiniget sich mit allen andern Leidenschaften, Schmertz, Verachtung, Furcht, Verzweifelung sind ihre beständigen Gefährten und Hencker; mit einem Wort, sie macht den Menschen zum Narren. Cornelius [178] Gallus hat einige dergleichen wunderbare Würckungen der sinnlichen Liebe in seiner vierten Elegie beschrieben:
Singula visa semel semper memorare libebat,
Hærebatque animo nocte dieque meo.
Sæpe velut visæ lætabar imagine formæ,
Et procul absenti voce manuque fui.
Sæpe velut præsens fuerit, mecum ipse loquebar:
Cantabam dulceis, quos solet illa modos.
O quoties demens! quoties sine mente putabar!
Nec puto fallebar, nec bene sanus eram.
Und Propertius hält seine geliebte Schöne in der vierten Elegie des ersten B. vor unvergleichlich:
Tu licet Antiopæ formam Nycteidos, & tu
Spartanam referas laudibus Hermionem,
Et quascunque tulit formosi temporis ætas,
Cynthia non illas nomen habere sinet.
In der achten und der neunten Elegie sieht er sie vor die Quelle aller Freude an, ohne welche ihm Rom, seine Freunde, seine Ältern, ja das Leben selbst verhaßt seyn könnte:
Illi carus ego, & per me carissima Roma
Dicitur, & sine me dulcia regna negat.
An mihi sit major caræ custodia matris?
Aut sine te vitæ cura sit ullæ meæ?
Tu mihi sola domus, tu Cynthia sola parentes,
Omnia tu nostræ tempora lætitiæ.
[179] In diesen beyden leztern Stellen wird Herr Heinecken das Original von dem Besserischen Gedancken finden: »Sie hatten weder Vaterland noch Freundschaft, aber sie waren sich das alles.« Welchen er in seiner eigenen Untersuchung vom Erhabenen Bl. 346. nicht genung zu bewundern weiß, und bey Sophocles und Ovidius vergeblich gesuchet hat; woraus er leicht erkennen wird, daß dießfalls dem deutschen Poeten nicht mehr gebührt, als das Lob einer nicht unglücklichen Nachahmung. Aber auch unser Opitz hat die wunderbaren Würckungen der Liebe an seiner eigenen Person, in dem Gedichte an Nüßlern ausführlich beschrieben; in dem vierten B. der Poet. W.
– – – – – – – – – – – – Mir graut vor allen Dingen
Die sonst die Jugend liebt: der Tantz, das Spiel, der Wein,
Der Freunde Gegenwart, die sonst pflegt lieb zu seyn,
Ist lauter Gall und Gift: Die Einsamkeit, die Wüsten,
Ein melancholscher Berg, ein Thal, da Eulen nisten,
Ein trüber Fluß, ein Ort, da nichts als trauren ist,
Dieß hab ich einig mir zu lieben auserkießt.
Hier ist mein Aufenthalt; Hier irr ich hin und wieder,
Und rede mit mir selbst: dann setz' ich bald mich nieder,
Bald steh' ich wieder auf, und wann ich müde bin
Vom klagen und vom geh'n, so streck ich dann mich hin
Bey einem dicken Baum, erseufze mit Verlangen,
Bis an statt Flavien mich pfleget zu umfangen
Der Schlaff des Todes Bild, des Todes den ich mir
Gezwungen durch Gewalt der närrischen Begier
Von Hertzen wünschen muß.
Und gleich darauf beschreibet er uns seinen Gemüthes-Zustand überaus nachdrücklich, und mit solchen Zügen, [180] daß man glauben könnte, er hätte zum Theil die berühmte Ode der Sappho, die Catullus in Latein übersetzet hat, vor Augen gehabt:
Ich fürcht' und hoffe doch, ich bitt' und schweig auch stille,
Ich bin wie kaltes Eys und fühle Gluth die Fülle,
Ich löß und binde mich, ich wünsche frey zu seyn,
Und wenn ich denn frey bin, so geh' ich wieder ein.
Wie einer dem der Trunck den Kopf gantz eingenommen,
Und nun nicht ist sein selbst, wenn er das Schwert bekommen,
Läufft rasend in den Feind, und fühlt die Wunden nicht:
So bin auch eben ich dem Rath und Sinn gebricht.
Ich eil', ich wart', ich zörn', ich weiß nicht was ich treibe,
Was mein Begehren ist, zugleich in einem Leibe
Haß' ich die Härtigkeit, und Liebe die Gestalt. etc.
Eben dieser ruhmwürdige Poet soll uns auch einige Exempel von dem wunderbaren Betrug seiner von Liebe entzündeten Phantasie lehnen. In dem ersten B. der Poet. W. sagt er über die Zurückkunft der Herzogin von Braunschweig:
O Bluhme dieser Zeit! O Fürstin aller Frauen,
So Titan irgend kan von seiner Bahn beschauen!
O edle Halb-Göttin! Kommt der gewünschte Tag
Da uns're Erde dich nun wieder sehen mag,
Die sonst in Trauren stuhnd? Als des Geblütes Liebe
Dich vormahls von uns trug, war alles öd und trübe,
Du andre Morgen-Röt': Es lag das bleiche Land
Mit strengem Schnee bedeckt, und deiner Oder Strand
[181]Trug fort bereifftes Eyß auf seinem grauen Rücken;
Es ließ kein Thal sich mehr, und kein Gefilde blicken;
Der Wald war ohne Wald: Jetzt mehret seine Zier
Das ungedeckte Dach des Himmels über dir:
Wir seh'n das göldne Licht der Sonne besser blincken,
Den sanften West-Wind geh'n, die Sternen auf dich winken:
Dir grünet Berg und Thal, dir läutert sich die Luft,
Die Brunnen fliessen mehr.
Womit übereinstimmet, was Virgil in der siebenten Ecloge sagt:
Omnia tunc rident: At si formosus Alexis
Montibus his abeat, videas & flumina sicca.
Phyllidis adventu nostræ nemus omne virebit,
Jupiter & læto descendet plurimus imbri.
Auf denselben Thon singt Opitz in dem vierten B. der Poet. W. in der dreyzehnten Ode:
Allhier in dieser wüsten Heyd'
Ist gar kein Mensch nicht weit und breit,
Die wilden Thier allein
Die seh' ich selbst Mitleiden tragen;
Die Vögel traurig seyn,
Und mich mit schwacher Stimme klagen,
Die kalten Brunnen stärker fliessen,
Viel Thränen gleichfalls zu vergiessen.
Stein, Wälder, Wiesen, Feld und Thal
Hör' ich beklagen meinen Fall;
[182]Sie fühlen meine Pein;
Die Schafe wollen gar nicht weiden:
Du Delia allein
Wirst nicht beweget durch mein Leiden.
Und wie seltsam, ja närrisch lauten nicht die Wünsche in dem Gedicht an die Jungfrauen in Deutsch land, welches Opitz aus Daniel Heinsius Holländischem übersetzet hat:
O daß ich Sonne wär', und ihren hohen Wagen
Einmahl regierete nach meinem Wohlbehagen;
Daß ich nur von der Luft herab recht schauen kunt
Auf derer Angesicht, die mich so sehr verwundt!
O daß ich Sonne wär', ich wollt' ihr' Augen machen
Zu Sternen in der Luft, sie frölich anzulachen,
Und jederzeit zu sehn; sie sollte nahe stehn
Dem Monden, und mit ihm doch nimmer untergehn.
Wie oft hab' ich gewünscht, wie ofte dörffen sagen,
Daß ich wär' eine Bien und Honig sollte tragen
Aus ihrem rothen Mund. etc.
Ach Amor daß ich mögt' als eine Fliege werden,
Mich dünckt ich stühnde wohl am besten hier auf Erden;
Ich wollt' ein Häusichen aufbauen bey dem Mund
Derjenen, die ich weiß, darinn ich wohnen kunt.
Bey dieser Stelle muß ich die Anmerckung hinzuthun, daß die Leidenschaft der Liebe sich von der Art der Traurigkeit unter anderm darinnen unterscheidet, daß sie sich an seltsamen Einfällen des Witzes belustigen kan. Wenn ein verliebter Mensch Geist besitzet, so suchet er sich auch dadurch bey seiner Geliebten in Gunst zu setzen, daher sagte Propertius in der ersten El. des zweyten B.
[183]Seu quicquid fecit, sive est quodcunque locuta,
Maxima de nihilo nascitur historia.
Da hingegen die Traurigkeit nur bemühet ist sich selbst zu erkennen zu geben, und alle Spiele und Einfälle des Witzes, als die einen freyen und ausgeklärten Sinn erfodern, gäntzlich verwirfft.
Ich habe Aristoteles Anmerckung von dem wunderbaren Betrug der Gemüthes-Leidenschaften so viel erweitert, daß ich mit wenigem angedeutet habe, wie der Geist, der durch eine heftige Leidenschaft aufgebracht ist, die Dinge nicht nur in einer andern Gestalt, Figur, und Grösse sehe, sondern auch durch die Hitze der Gemüthes-Bewegung öfters so gar getäuschet, und verblendet werde, daß er sich beredet, solche Dinge zu sehen, die nirgend sind, oder wenigstens von dem Gesicht weit entfernet und erst noch zukünftig sind. Dem ist auch in der That also; die aufgebrachte, und durch eine strenge anhaltende Leidenschaft erhizte Phantasie wird öfters so sehr verzücket, daß sie ihre lebhaften Einbildungen von den Empfindungen gegenwärtiger Dinge nicht wohl unterscheiden kan; der Poet, der das Wort für sie führet, wird daher in währender Entzückung von solchen als von würcklich gegenwärtigen Dingen reden, und sie dem Leser gleichsam mit dem Finger zeigen; er wird sie anreden, als ob sie ihm vor Augen stühnden, sie werden eben dieselben Empfindungen bey ihm erregen, und er wird euch mitten in dem Irrthum zu Zeugen nehmen, und sich auf eure eigenen Empfindungen beruffen; seine Aussprüche werden von ihm nicht als blosse Wünsche und Muthmassungen vorgetragen, sondern sind den Weissagungen ähnlich, und sie schliessen das künftige Geschicke auf eine sichtbare Weise auf, und legen es vor Augen; die sehnliche Hoffnung stellet sich das zukünftige und gewünschte Gut als gegenwärtig vor, und belustigt sich an [184] dessen Genuß in dem süssen Traume ihrer Einbildung; die verzagte Furcht holet nicht alleine alles mögliche Unglück, das noch ferne von uns ist, auf die Stelle herbey, sondern jagt sich selber durch die Vorstellung scheußlicher Gespenster und Plage-Geister, die nirgends sind, Angst und Schrecken ein; die Eifersucht hält ihre Träume vor unfehlbare Wahrheiten; und die brünstige Liebe, die unter allen Leidenschaften die verwegenste, mächtigste, und in ihrem Betragen die wunderlichste ist, wird ihren geliebten Gegenstand, seiner Abwesenheit und Entfernung ungeachtet, niemahls aus dem Gesichte verliehren. Der berühmte griechische Lehrer des Erhabenen hat daher in der fünfzehnten Abtheilung diese Phantasie-Bilder als ein nahmhaftes Mittel den Geist zu erheben angewiesen, da er insbesondere den Euripides als einen solchen kunstreichen Phantasierenden rühmet, und desselben Geschicklichkeit mit vielen Exempeln erweiset. Seine Lehre davon beruhet hauptsächlich auf folgendem: Die Einbildungen in der Rede seyn ein vornehmer Kunstgriff, die Rede zu erheben, prächtig und nachdrücklichlebhaft zu machen. Er verstehe durch das Wort Einbildungen in einem engen Verstand diejenigen Reden, die eine ungewohnte Bewegung und Verzückung in der Seele zu erkennen geben, da es das Ansehen hat, als ob die Sache, von der sie gerühret wird, würcklich gesehen, und den Zuhörern vor Augen gestellet würde. Die Einbildungen werden zu einem andern Ende von den Rednern, zu einem andern von den Poeten gebraucht. Diese brauchen sie, das Gemüthe in Bestürtzung zu setzen, jene die Sachen deutlich zu schildern: Beyden müssen sie dienen, das Hertz zu rühren. Gleichwie man sich von demjenigen gerne einnehmen und an sich ziehen lasse, was einen vortrefflichen Schein von sich giebt, also werde das Gemüthe durch eine solche Einbildung, die man ihm vorleget, leicht gerühret; das grosse Ansehn, womit sie die Rede umgebe, bemächtige sich des Gemüthes so vollkommen, [185] daß es uns auch hindere, auf die Richtigkeit eines Beweißthums, wo es um einen solchen zu thun ist, Achtung zu geben. Und dieses sey etwas natürliches, weil unter zweyen Dingen, so zusammen gefüget werden, allemahl das schwächere das stärckere an sich reisset.
Lasset uns diesen Schwung der Einbildungs-Kraft, der von der höchsten Stärcke derselben Anzeige giebt, mit etlichen Exempeln aus unsern einheimischen Poeten erläutern. Wenn der Herr Cerimonien-Rath J.U. König in dem Glückwunsch-Gedichte an den Königl. Printzen Friederich August am Tage der Dreßdnischen Erbhuldigung die gesegneten Früchte der künftigen Regierung desselben vorstellen will, so schleußt er also:
Ich sehe schon voraus, daß Zweytracht sammt dem Kriege
Gefesselt am Altar des Friedens künftig liege.
Es stellt die güldne Zeit mit dir sich wieder ein.
*
Was aber fliehet dort für eine wilde Schaar?
Mit blassem Angesicht und mit zerstreutem Haar?
Es ist der Laster Schwarm, den du nicht kanst ertragen,
Und den dein blosser Blick von hinnen wird verjagen
Und wenn Hr. Prof. Gottsched die Sehnsucht nach friedlichen Zeiten in dem Gedicht, das er bey demselbigen Anlaß verfertiget hat, lebhaft ausdrücken will, so singet er:
Wenn wird das menschliche Geschlecht
Doch endlich seiner Wuth vergessen,
[186]Und sich nach Billigkeit und Recht,
Nicht nach der blinden Macht gestählter Fäuste messen!
Zurück, ihr Furien, zurück!
Verbergt nur euren finstern Blick
In des Avernus Pfuhl, und räumt den Kreis der Erden:
Irenens Gottheit zeigt sich schon,
Sie pflanzt sich unter uns den Thron,
Und gantz Europa soll ein Friedens-Tempel werden.
Insbesondere muß ich in dieser Absicht die heroische Ode loben, welche der Herr Hofrath König 1725. auf die Geburt einer Chursächsischen Printzessin herausgegeben, in welcher durchgehends eine künstliche Verwirrung und durch den Verstand geleitete Entzückung herrschet. Die gantze Ode verdienete vor ein Muster hier ausgesetzet zu werden, alleine Weitläuftigkeit zu vermeiden, muß ich mich begnügen lassen, ein paar Stellen daraus anzuführen:
Du aller Schönheit reinste Quelle,
Du besserst den Geschmack, du leitest den Verstand,
Daß ich nicht, als berauscht, mich aus mir selbst verliere,
Noch auch mit Flitter-Gold den falschen Einfall ziere,
Du Wahrheit! Doch was seh ich da?
Was für ein Aufzug kommt uns nah?
*
Wer ist die, die hier in der Mitte
Bey so viel Pracht und Majestät,
Doch mit so Demuths-vollem Schritte
In einer langen Ordnung geht?
[187]Zu deren Seiten man die Tugenden erblicket,
Die bey so keuscher Fruchtbarkeit,
Und edler Eingezogenheit,
Sich mehr mit Gottesfurcht, als reichen Steinen schmüket.
Seht wie die Laster flieh'n vor ihrem Angesicht!
O! wer erkennt sie wohl im ersten Anblick nicht!
Josepha kommt in diesem Reihen
Den ersten Ausgang Gott zu weihen.
Nachdem der Poet voll von der Hoheit und Wichtigkeit seiner Materie den Geist angespornet, und statt der Muse die Wahrheit um ihren Beystand angeruffen, damit er sein Vorhaben nach Würde ausführen mögte, und jezo der Erhörung vergewissert, die strengen Triebe derselben nicht ohne Verwunderung inwendig fühlete, welchen er sich auch gäntzlich überließ, reißt ihn die erhizte Phantasie plötzlich aus sich selbst, und stellt ihm die königliche Wöchnerin, die im Begleit der Tugenden nach dem Tempel gehet, gleichsam auf eine sichtbare Weise vor Augen; der majestätische Aufzug setzet ihn in eine solche Verwunderung, daß er eine Zeitlang diejenige nicht zu kennen scheinet, welche niemand mißkennen kan, und dieses giebt ihm Gelegenheit, ihr dasjenige wahre Lob beyzulegen, welches sie vor allen andern Frauen kenntlich machet, und euch durch die Betrachtung derselben in eine gleiche Verwunderung zu setzen. In der folgenden Strophe, wo er die Kraft der allgemeinen Fürbitte für die neugebohrne Prinzessin vorstellen will, sagt er in einer prophetischen Entzückung:
Ich seh schon auf und ab, mit jauchzendem Gethön,
Die ihm zum sichern Schutz bestellten Engel fliegen,
Und dieses Töchterchen auf ihren Armen wiegen,
Sie lächeln es holdselig an,
Und singen: Folg der Mutter Bahn!
[188] Und wenn er weiterhin die Zurückkunft dieser königlichen Mutter aus dem Tempel nach vollendeter Einsegnung beschreiben will, so stellet er euch alle Dinge so sichtbar vor Augen, als ob er euch ein Schauspiel geben wollte:
Macht Platz! Es kommt schon mit Vergnügen
Zurück die hohe Wöchnerin:
Man legt jezt wieder in die Wiegen
Die kleine zarte Prinzessin.
Schlaff wohl, holdseligs Kind, damit nichts möge stören
Die dir so nöthig-süsse Ruh,
So deckt dich selbst die Liebe zu.
Weil du mein Lied noch nicht verstehen kanst und hören,
Hingegen unser Hof solch einen Künstler nährt,
Den in der Thon-Kunst selbst ein jeder Meister ehrt,
So mag, dich in den Schlaff zu bringen,
Von ihm ein Wiegen-Lied erklingen.
*
Wie ist mir? Hör ich dich nicht schon?
Du, der sich selbst nur zu vergleichen,
Du weltberühmter Pantalon.
*
Hört' doch wie fremd, wie sanft, wir rein,
Wie süß! Doch still! sie schläft schon ein.
Noch ein poetisches Gesicht findet sich in dem Verfolge dieses Gedichtes:
Wohin? wohin, ihr jungen Krieger?
Wohin du Paar von grossem Muth?
[189]Man sieht es wohl, ihr frühen Sieger,
Ihr stammt aus Wittekindens Blut.
Ihr eilt des Erbfeinds Sitz im Aufgang zu bestreiten,
Und für uns Christen wiederum
Von Roms zerstückten Kayserthum
Den abgerißnen Theil zurücke zu erbeuthen.
Nur fort! Nur frisch gewagt! der Pforte Fall ist nah.
*
Die Flucht vor euch ist allgemein.
Ihr brecht mit unzertrenntem Hauffen
Als eine Straff- und Sünd-Fluth ein.
Seht! Seht, wie die Beschnittnen lauffen!
Nur Muth! Seht, wie es euch als Siegern schon gelingt,
Daß aus des Nils fruchtbaren Wellen
Von euren tapfern Spieß-Gesellen
Ein deutscher Kürassier aus seinem Sturmhut trinckt. etc.
Die Alten haben diese äusserste Bestrebung einer aufgerührten und durch die Leidenschaften erhizten Phantasie einer göttlichen Begeisterung zugeschrieben, und in der That geglaubt, daß ihre Poeten von Apollo, oder den Musen, oder einer andern Gottheit gantz angefüllet und gleichsam aus sich selbst verzücket würden, da sie dann solche wunderbare Dinge sähen, höreten, und nach der göttlichen Eingebung auch redeten, und aussprächen. Plato und Democritus selber stuhnden nach Cicerons Zeugniß in diesem Wahn, wie er uns in dem zweyten B. von dem Redner, und in dem ersten B. von der Wahrsagung berichtet: Illa concitatio declarat vim in animis esse divinam; negat enim sine furore Democritus quemquam Poetam magnum esse posse. Quod idem dicit Plato. Daher sie auch, wenn sie etwas wichtiges besingen wollen, den Apollo, die Musen, oder irgend eine [190] höhere Gottheit um ihre Hülfe angeruffen haben. Ja auch einige unserer heutigen Scribenten, die von dem Enthusiasmo reden, schwatzen auf eine Weise davon, als ob sie selber in der Verwirrung stühnden, von der sie uns eine Erklärung geben wollen. Sie kommen mit lauter prächtigen Wörtern von einem heiligen Rausch, einer göttlichen Raserey, Licht, Verzückungen des Gemüthes, Aufwallungen, aufgezogen, welche neben einander gesetzet vortrefflich klingende Sätze machen, aber in dem Gemüthe keinen deutlichen Begriff hervorbringen. Aber dieses alles giebt uns alleine zu verstehen, daß die Poeten bey der alten Welt in einem nicht geringern Ansehen gestanden, als die Wahrsager und Propheten, und daß die Leichtgläubigkeit ihnen mächtig dazu behülflich gewesen; und wenn die neuern Scribenten von dieser poetischen Begeisterung mit eben so hochtrabenden Worten reden als jene, muß man sich dadurch nicht blenden lassen, und sie vor nichts anders, als vor freye Metaphoren ansehen, die sich auf eine Vergleichung der erhizten Phantasie mit der Raserey der Priester gründen, wenn diese von ihrem Gott entzündet wurden, und ihre Orackel aussprachen; gestalt Herr Gottsched solches in der Ode, der wahre Held Friederich August betitelt, auf eine geschickte Art ausgeführet hat:
Wie dort Apollens Priesterin,
Wenn unter ihr die Klüfte keichen,
Sich selber fast vergißt, indem ihr schwacher Sinn
Der stärckern Gottheit Kraft muß weichen;
Gantz Delphos bebt, der Tempel kracht,
Aus Ehrfurcht vor den höhern Sprüchen:
So ist mein blöder Geist den Musen jezt gewichen,
Er fühlt der hohen Triebe Macht,
Und kan sich selber dem, was sie ihn singen heissen,
So wenig als den Kiel entreissen.
[191] Kurz, das Geheimniß, so darunter verborgen liegt, will nichts weiters sagen, als eine Hize der Einbildungskraft, in die man sich selber jagt, und der man sich gerne ergiebt, woraus Schönheiten und Fehler entspringen können, je nachdem sie blind oder scharfsichtig ist. Es ist auch so ferne, daß diese poetische Begeisterung von einer übernatürlichen Kraft und Entzückung herrühre, daß sie vielmehr nichts anders ist, als eine künstliche Nachahmung der Reden und Aussprüche solcher Personen, die sich himmlischer Erscheinungen und prophetischer Eingebungen rühmen. Auf diesem Grund beruhet die Verwirrung, welche die Kunst in der Ode erfodert; der Enthusiasmus mag da noch so starck seyn, so muß er doch allezeit von der Vernunft geleitet werden, und der erhizteste Poet muß sich öfters fassen, damit er von den Dingen, die ihm die Einbildung vorleget, ein gesundes Urtheil fällen möge; und die Kunst muß selbst die Unordnung in der Ode in Schrancken fassen. Also siehet man, daß die Begeisterung zur Kunst des Poeten gehöret, und das Ansehen von etwas göttlichem dadurch erworben, weil sie die göttlichen Begeisterungen geschickt nachzuahmen gewußt, hat. Damit nun der Poet die Phantasie mit dergleichen Raserey anfülle, muß er bey sich selbst einen Affect der Materie halber, die er vor sich hat, rege machen, indem er sie als etwas gutes oder schlimmes, etwas vortreffliches oder schnödes betrachtet, so ferne die Materie nicht selbst schon zuvor in dem Gemüthe eine von diesen verschiedenen Bewegungen erzeuget hat, wie bey verliebten Poeten zu geschehen pfleget. Ferner wird er unter den Bildern der Phantasie diejenigen auslesen müssen, welche ihm anmuthiger, oder prächtiger, oder schnöder, oder lächerlicher, oder erschrecklicher, oder lebhafter vorkommen werden, mit einem Wort, welche die absonderliche Art und Beschaffenheit der Materie, von der er handelt, am besten ausdrücken können. Wie nun gewiß ist, daß wir die Affecte in unserer Brust [192] natürlicher Weise aufwecken können, und daß eine jede Sache, die uns vorgeleget wird, in uns Liebe, oder Furcht, oder Zorn, oder Verwunderung, oder einige andere Leidenschaft gebähren kan, also ist nichts gewisser, als daß eine jede Materie unsre Phantasie auf gewisse Weise entzünden, und uns folglich in Raserey versetzen, und mit einem guten Vorrath von Bildern versehen kan. Derowegen müssen die Poeten Fleiß anwenden, daß sie mittelst der Kunst einen Affect in Absicht auf die Materie, von der sie handeln wollen, bey sich rege machen. Die Seele muß ihrer Einbildungs-Kraft befehlen, den vorgelegten Gegenstand zu besichtigen, alle Eigenschaften, Umstände, Zufälligkeiten desselben zu betrachten, wenn sie dann von dem Affecte mit aller Macht angespornet, und in eine starcke Bewegung gebracht worden, wird sie neue und wunderbare Bilder hervorbringen, welche, so ferne wir sie mit einer verständigen Wahl auserlesen haben, der Materie ein ungewöhnliches Licht und Leben mittheilen werden.
Alleine in der Anwendung dieser seltsamen Vorstellungen, deren Wahrscheinlichkeit in einem Betruge der Affecte gegründet ist, kömmt es hauptsächlich darauf an, daß man das rechte Maaß nicht übersteige; der Poet soll zwar die Natur in ihrem Betragen künstlich nachahmen, aber er muß dabey immer in Obacht nehmen, wie weit er die Affecte seinen besondern Absichten gemäß zu führen habe, damit er sie in ihrer erfoderlichen und wahrscheinlichen Grösse vorstelle. Derjenige würde thörigt handeln, der seinen verliebten Personen alle die lächerlichen Einfälle in den Mund legete, welche den Leuten in diesem Gemüthes-Stande in den Sinn kommen können, und der sie auf alle die Ausschweifungen führete, womit dieselben sich thörigter Weise vergehen; so wohl als ein anderer, der in seinen Trauer-Elegien alle die gekünstelten Seufzer und gezwungenen Klagen, die man oft in dergleichen Fällen hören muß, anbringen; oder der bey[193] allen Anlässen sich zu Entzückungen, Gesichtern, Träumen versteigen wollte. Cicero hat in dem zweyten B. von dem Redner weißlich erinnert: In parvis rebus non sunt adhibendæ dicendi faces. Wer etwas von dieser Art vorzustellen hat, der muß sich selber fragen: Wenn ich diese Person wäre, in diesem Affecte stühnde, in solchen Umständen schwebete, könnte ich auf diese Weise reden? Würde ich so starck nachsinnen, damit ich diesen Gedancken so spitzfündig vortragen könnte? Oder würde ich ihn lieber auf eine einfältigere Art ausdrücken? Würde mir die Leidenschaft solche Künsteley erlauben? Solche und dergleichen Fragen soll der Poet in allen Affecten, die er seinen Personen zuleget, an ihn selbst thun, also daß er allezeit die Natur im Gesichte habe, welche von ihm nachgeahmet, nicht verwirret werden muß. Quintilianus hat dieses gantze Kunst-Geheimniß, insofern es dienet der Rede einen bewegenden Nachdruck zu geben, und den Richter einzunehmen, in dem dritten Cap. des sechßten B. so deutlich vorgestellet, daß ich mich nicht enthalten kan, die gantze Stelle hier auszuschreiben: Si mihi tradita sequi præcepta sufficeret, satisfeceram huic parti, nihil eorum, quæ legi, didici, quod modo probabile fuit, ommittendo. Sed mihi in animo est, quæ latent penitus, ipsa hujus loci aperire penetralia; quæ quidem non aliquo tradente, sed experimento meo, ac natura ipsa duce accepi. Summa enim, quantum ego quidem sentio, circa movendos affectus in hoc posita est, ut moveamur ipsi. Nam & luctus & iræ & indignationis, aliquando ridicula fuerit imitatio, si verba, vultumque tantum, non etiam animum accommodaverimus. Quid enim aliud est causæ, ut lugentes utique in recenti dolore disertissime quædam exclamare videantur; & ira nonnunquam indoctis quoque eloquentiam faciat, quam quod illis inest vis mentis & veritas ipsa morum? Quare in iis, quæ verisimilia esse volumus, simus ipsi similes eorum, qui vere patiuntur affectibus, & a tali animo proficiscatur [194] oratio, qualem facere judicem volet. An ille dolebit, qui audiet me, cum hoc dicam, non dolentem? irascetur, si nihil ipse, qui in iram concitat, idque exigit, simile patietur? siccis agens oculis lacrymas dabit? fieri non potest. Nec incendit nisi ignis, nec madescimus nisi humore, nec res ulla dat alteri colorem, quem ipsa non habet. Primum est igitur, ut apud nos valeant ea, quæ valere apud judicem volumus, afficiamurque, antequam afficere conemur. At quomodo fiet, ut afficiamur? Neque enim sunt motus in nostra potestate. Tentabo etiam de hoc dicere, quas φαντασίας græci vocant, nos sane visiones appellemus, per quas imagines rerum absentium ita repræsentantur animo, ut eas cernere oculis, ac præsentes habere videamur. Has quisquis bene conceperit, is erit in affectibus potentissimus. Hunc quidam dicunt εὐφαντασίωτον, qui sibi res, voces, actus secundum verum finget, quod quidem nobis volentibus facile continget. Nam ut inter otia animorum & spes inanes, & velut somnia quædam vigilantium, ita nos hæ, de quibus loquimur, imagines prosequuntur, ut peregrinari, navigare, prœliari, populos alloqui, divitiarum, quas non habemus, usum videamur disponere; nec cogitare, sed facere; hoc animi vitium ad utilitatem non transferemus? Ut hominem occisum queror, non omnia, quæ in re præsenti accidisse credibile est, in oculis habebo? non percussor ille subitus erumpet? non expavescet circumventus? exclamabit? vel rogabit? vel fugiet? non ferientem, non concidentem videbo? non animo sanguis, & pavor, & gemitus, extremus denique hiatus exspirantis insidet? Insequetur ἐνάργεια, quæ a Cicerone illustratio & evidentia nominatur, quæ non tam dicere videtur, quam ostendere, & affectus non aliter, quam si rebus ipsis intersimus, sequentur. Ubi vero miseratione opus erit, nobis ea, de quibus querimur, accidisse credamus, atque id animo nostro persuadeamus. Nos illi simus, quos gravia, indigna, tristia passos queramur. Nec agamus rem quasi alienam, sed assumamus parumper [195] illum dolorem. Ita dicemus, quæ in simili nostro casu dicturi essemus. Vidi ego sæpe histriones atque comoedos, cum ex aliquo graviore actu personam deposuissent, flentes adhuc egredi. Quod si in alienis sola pronuntiatio ita falsis accedit affectibus, quid nos faciemus, qui illa cogitare debemus, ut moveri periclitantium vice possimus? Sed in schola rebus quoque ipsis affici convenit, easque veras sibi fingere, hoc magis, quia illic ut litigatores loquimur frequentius, quam ut advocati. Orbum agimus, & naufragum, & periclitantem, quorum induere personas non adtinet, nisi affectus assumimus. Hæc dissimulanda mihi non fuerunt, quibus ipse quantuscunque sum, aut fui (nam pervenisse me ad aliquod nomen ingenii credo), frequenter motus sum, ut me non lacrymæ solum deprehenderent, sed pallor, & vero similis dolor. Zu dieser weitläuftigen Stelle habe ich nichts weiter als die kurtze Anmerckung hinzuzufügen; weil die Einbildung der Poeten heftiger soll und muß erreget werden, als der Redner, so kan deßwegen der Poet künstlichere, fremdere und ungewöhnlichere Bilder, als die einfältigen sind, formieren, damit er mittelst derselben nach Belieben diesen oder jenen Affect in das Gemüthe der Leser oder Hörer mit Gewalt hineindrücke.
Ich habe noch die dritte Quelle des Wunderbaren in der Kunst der Nachahmung zu untersuchen, welche auf einem angenehmen Betrug einer alten Sage und eines allgemein angenommenen Wahnes beruhet. Die Sage ist eine After-Historie, die nichtsdestoweniger bey dem grösten Haufen der Menschen mehr Glauben findet, als die wahrhafte Historie, indem sie ihre Nachrichten durch solche Personen, die bey uns gleichsam in einem heiligen Ansehen stehen, zu einer Zeit, da wir noch keine eigene Einsicht haben, und zwar von Mund mit einem gebietenden Thone fortzupflantzen pfleget. Was vor seltsame Meinungen haben nicht bey gantzen Geschlechtern und [196] Völckern einen allgemeinen Beyfall erhalten, und sich durch die Verjährung ein solches Ansehen erworben, daß die Vernunft, da sie sich unterstanden, diese so tief eingewurtzelten Meinungen zu bestreiten, dadurch eine allgemeine Empörung des menschlichen Geschlechts wider sich veranlasset, und sich in den verhaßten Ruf einer abgesagten Feindin der Religion gesezet hat. Man erinnere sich nur, was vor Lermen sich in der gelehrten Welt selbst wider diejenigen erhoben, welche sich erkühnet haben, die durchgängige Meinung von den Gegenfüssern, von dem Umlaufe der Sonnen um die Erden, von den Cometen, als Weissagern allgemeiner Land-Plagen, und andere dergleichen anzutasten. Die Unwissenheit und der Aberglaube sind die Zeuge-Mütter dergleichen seltsamen Meinungen, daher solche auch in denen Zeiten, da sie die Welt beherrscheten, ihre Brut am meisten vermehret haben. Schon in den ältesten Zeiten mag die hieroglyphische und allegorische Lehrart, in welche die göttlichen und die natürlichen Wahrheiten eingehüllet wurden, erstlich Anlaß zu den Fabeln der heidnischen Mythologie gegeben haben, indem der Aberglaube die Personen, die zuerst bloß allegorisch waren, hernach in historische verwandelte. Da nun die gemeine Sage bey dem grösten Haufen der Menschen in einem so grossen Ansehen stehet, und ihre Lehren und Meinungen so leicht Eingang finden, so ist es sich nicht zu verwundern, daß die poetische Kunst der Nachahmung, die sich begnüget, ihre Vorstellungen wahrscheinlich zu machen, sich öfters der Sage mit gutem Nutzen bedienet, damit sie ihre Erzehlungen und Beschreibungen recht wunderbar mache, ohne Besorgniß, daß sie die Wahrscheinlichkeit verlieren. Indessen ist in dem Gebrauche dieses Kunstgriffes grosse Behutsamkeit nöthig; ich wollte nicht, daß die Poesie mißbrauchet würde, den Aberglauben in seinen abentheurlichen Träumen zu besteifen, und dieselben noch weiter auszubreiten. Der Poet muß sich freylich [197] die Historie des Aberglaubens und die verschiedenen Meinungen, die von Zeit zu Zeit einen allgemeinen Glauben bey den Leuten erhalten haben, bekannt machen, damit er das Wunderbare in seinen Vorstellungen nach Beschaffenheit der Materie allemahl auf solche Meinungen gründen könne, die zu der Zeit, da die Personen, die er aufführet, gelebet, einen durchgehenden Beyfall gehabt hatten. Die Meinung, die er ihnen zuschreibet, muß zu derselben Zeit allgemein gewesen seyn, keine geschickter erklärte und besser bekannte Wahrheiten müssen damahls mit ihr im Widerspruche gelegen haben, sonst würden diese wunderbaren Vorstellungen alle Glaubwürdigkeit verlieren, und also gantz abentheurlich werden.
Aristoteles hat in seiner Poetick, im sechs und zwanzigsten Cap. §. 9. die Götter Homers gegen die Beschuldigungen Platons damit gerettet, daß er zeiget, dieses sey zur selben Zeit das allgemein angenommene Systema gewesen, Orpheus und andere Poeten haben schon vor Homer dieselben Fabeln von den Göttern in ihren Gedichten eingestreuet, und dieser habe ihnen lediglich gefolget. Die Lehren und Meinungen, welche durch die Sage fortgepflantzet, und von der Unwissenheit und dem Aberglauben unterstützet werden, bleiben nicht immer in einerley Ansehen, sie sind einer beständigen Veränderung unterworffen. Unsere erleuchteten Zeiten haben einer unzehlbaren Menge dergleichen wunderbaren Meinungen den Glauben gäntzlich verderbet; die abentheurlichen Geschichten von den weisen Frauen, den Zauberern, von der Verwandlung in andere Gestalten, und dergleichen, haben wenig Beyfall mehr; daher man sich nicht verwundern muß, daß die Erzehlungen beym Virgil von der Verwandelung der Pfeile Polymnestors in die Äste eines Baumes, im dritten B.; von der Verwandelung der verbrannten Schiffe des Eneas in Meer-Nymfen, im eilften B.; und das Wunder in dem sechsten B. da ein [198] güldener Ast an einem Baum hervorgewachsen, einigen philosophischen Köpfen unserer Zeiten gantz unwahrscheinlich und lächerlich vorgekommen; welches Urtheil aber nicht auf Virgil und die Zeiten desselben zu erstreken ist, gestalt dergleichen Legenden in denselben einen so grossen und allgemeinen Beyfall gefunden haben, daß Ovidius sich getrauet, den Römern ein gantzes langes Werck von dergleichen wunderbaren Verwandlungen vor Augen zu legen, und dabey nicht gefürchtet hat, daß es ihnen wegen Mangel der Wahrscheinlichkeit, als etwas abentheurliches, mißfallen würde. Ja was noch mehr ist, die Geschichtschreiber selbst, Herodotus, Livius und andere, haben dergleichen seltsamen und wunderthätigen Begebenheiten, welche die gemeine Sage aufhebenswürdig gemacht, ohne Bedencken neben ihren wahrhaften Erzehlungen einen Platz gegönnet. Wie es nun recht lächerlich wäre, wenn man zum Exempel den Livius tadeln wollte, daß er den Aberglauben so beschrieben hat, wie er solchen in den alten Urkunden und der gemeinen Sage gefunden; so würde man sich noch weit mehr zum Gelächter machen, wenn man den Poeten im Ernst tadeln wollte, daß er in der poetischen Erzehlung der Geschichten weit älterer und leichtgläubigerer Zeiten einige wenige Beyspiele von dergleichen ausserordentlichen Begebenheiten einfliessen lassen; angesehen der Poet durch das Wunderbare in seinen Erzehlungen die Aufmercksamkeit und die Verwunderung des Lesers beständig unterhalten muß. Wiewohl nun solche wunderthätige Erzehlungen uns bey dem Licht unsrer erleuchteten Zeiten nicht mehr glaubwürdig vorkommen, und es also den Anschein hat, als ob diese Quelle von Wunderbarem nunmehro gäntzlich verfallen und mit Schutt verworffen wäre, so ist nichtsdestoweniger gewiß, daß auch dieselbe unsren heutigen Poeten trefflich zu statten kommen kan, indem sie die truckene Erzehlung durch die geschickte Einstreuung dergleichen angenehmer [199] Fabeln vor Mattigkeit bewahren können, welches sie vornehmlich dadurch zuwegebringen, daß sie ihre Gedancken und ihre Materie in allegorische Fabeln einkleiden, wenn sie die historischen Personen der heidnischen Gottheiten wieder in ihren ersten Stand allegorischer Wesen hinuntersezen. Macrobius hat in dem sechszehnten Cap. des fünften B. seiner Saturnalien angemercket, daß schon Homerus sich der Eintragung fremder Fabeln auf eine geschickte Art bedienet habe, seinen geographischen Erzehlungen ein angenehmes poetisches Aussehen zu geben, welche dem Leser ohne diese Auszierung wegen ihrer Gleichförmigkeit verdrüßlich gefallen wären. Homerus, sagt er, inter enumeranda regionum & urbium nomina facit locum fabulis, quæ horrorem satietatis excludant. – – Et sie amoenitas intertexta fastidio narrationum medetur. Demselben ist Opitz gefolget, wenn er in seinem Vesuvius die Landschaft Campanien beschreibet:
Der Himmel lacht dich an, die Lüfte so hier streichen
Sind nimmer ungesund; hier will noch Ceres weichen,
Noch Bachus, jene rühmt ihr Korn, der seinen Wein;
Und Flora heisset es zweymahl hier Frühling seyn,
Beblühmet zwier das Feld. Kein Meer ist mehr bebauet,
Kein Hafen weit und breit wird schöner nicht geschauet,
Als um Cajeta her, um den Misener-Strand,
Und wo Anchisen Sohn den Weg zur Höllen fand
Durch stilles Finsterniß geführet von Sibyllen:
Auch wo das Römer-Volck der schönen Bäder Willen
In voller Üppigkeit die lange Zeit vollbracht,
Und selbst der Hannibal verlohren seine Macht,
Durch Laster nicht durch Krieg. An Büschen zwar und Wilde
[200]Sind viel Gebirge reich; hier stehn die Wein-Gefilde,
Der edle Massicus, das trächtige Surrent,
Und Gaurus, welchen Pan vor allen Klippen kennt,
Wo oftmahls Nereis bey stiller Nacht gegangen,
Und in ein Reben-Blat die Thränen aufgefangen
Für Liebe, die sie trug, und etwan Galathee
Den wilden Satyren nebst dem Lucriner-See
Durch List entgangen ist. – – – –
Wahrhaftig, es scheint nicht anderst, als wenn der Poet mit dem Leser an diese Örter gereiset wäre, und als derselbigen kundig ihn bey einem jeden erinnerte, was sich vor Zeiten daselbst merckwürdiges zugetragen habe. Wenn eben dieser vornehme Poet die Lage des herzoglichen Meyerhofes Vielgut beschreiben will, so weiß er seine Beschreibung durch die Einstreuung solcher Allegorien und Fabeln überaus angenehm zu machen:
– – – – – – – – – – – Hier ziert der Herr das Haus,
Das Haus, so ferne liegt von Falschheit, von dem Neide,
Der in Pallästen wächßt. Der stille Strom die Weide
Läufft ringes hier umher, und wird doch kaum gehört;
Und dieses hat ihn auch sein Herzog selbst gelehrt,
Das Bild der Gütigkeit. Hier wohnen die Najaden,
Der keuschen Nymphen Chor, so mit den Schwanen baden:
Die unser Phöbus liebt, weil keiner, wie man sagt,
Wenn Zeit zu sterben ist, sich über dieß beklagt,
Was Tod genennet wird; sie fangen an zu singen
Ein süsses Grabe-Lied, und gehn von diesen Dingen
Mit solcher Fröligkeit, ob ihnen auch bewußt
Wie uns und kündig sey, daß dieser Erden Lust
Zergeht und eitel ist.
[201] Vornehmlich aber gewinnen die Gedancken eine recht wunderbare Gestalt, wenn der Poet sie, mittelst der Verwandlung der historischen Wesen in allegorische Wesen, in Fabeln dieser allegorischen Art einkleidet. Auch dieser Handgriff der Kunst war den alten Poeten nicht unbekannt; die Geschichte des Narcissus warnet vor übermässiger Eigenliebe; die Erzehlung von Midas zeiget, wie thörigt die Gold-Begierde sey; des Bacchus Auferziehung von den Nymfen sollte die Mässigkeit im trincken anbefehlen; Phaetons Fall sollte lehren, wie übel es ausfalle, wenn die Regierung unerfahrnen und ungeschickten Jünglingen anvertrauet wird; die Verwandlungen der Circe sollten die verderbliche Zauberey der fleischlichen Wollüste anzeigen: Und es ist längst bekannt, daß nicht alleine die alten sondern auch die neuern Critici viele Stellen der homerischen Gedichte mittelst der Allegorie wider die Beschuldigung der Unwahrscheinlichkeit retten. Auf diese Weise ist auch die Allegorie, die auf die alte Mythologie gebauet ist, eine der reichsten und fruchtbarsten Quellen des poetischen Schönen, inmassen sie dem Poeten eine Menge wunderbarer Bilder an die Hand giebt, durch die er gantz bekannte Gedancken auszieren und erheben kan. Wenn er sagen will, ein König sey allezeit sieghaft, so drücket er diesen nicht ungemeinen Gedancken durch das Bildniß aus, daß der Sieg ihm aller Orten auf dem Fuß nachfolge; will er die gottesvergessende Boßheit der Menschen beschreiben, so leihet ihm die Fabel von den Aloiden oder Riesen ein edeles Bildniß, auf welches Horatius mit den Worten gesehen hat: Coelum ipsum petimus stultitia. Will er die allgemeine Freude beschreiben, die über die Geburt eines klugen und dapfern Feldherrn entstanden war, so sagt er, wie Opitz an den Hertzog Ulrichen zu Holstein:
Ich glaube für gewiß, es ist an allen Seiten
Die Enge des Codans mit Bluhmen überseet
[202]Gestanden, Zephyrus hat um und um geweht,
Der weisen Nymfen Schaar ein Freuden-Lied gesungen,
Davon die reiche See durch Grund u. Strand erklungen,
Als du, o Hulderich, bist kommen auf die Welt,
Die dich für ihre Zierd und Lust der Menschen hält.
Du hast den Wunder-Muth bald mit der Milch gesogen,
Bist zu der Tapferkeit von Kindheit an erzogen:
Mars kam zur Wiegen hin und gab dir seine Kraft,
Latonen weiser Sohn den Preiß der Wissenschaft,
Mercur den freyen Sinn, der nie kan stille stehen,
Pflegt, wie sein erstes Quell, der Himmel umzugehen,
Ist lebhaft, starcker Art, als eine schnelle Bach,
Die alles, was sie rührt, zeucht hinter sich hernach.
Wenn Besser die Vereinigung der Schönheit mit der Dapferkeit vorstellen will, so sagt er nach dieser Weise:
Den ihr jezt seht Pfeile tragen,
Der wie seine Mutter schön,
Wird bald mit des Vaters Wagen
Auch als Mars zu Felde gehn.
Er redet von eines Helden noch jungem Sohne, der in einem Lustspiele in einen Cupidon verkleidet, und mit dessen Pfeil und Bogen ausgerüstet worden. Und Postel giebt diesen Gedancken im achten B. seines Wittekindes also:
– – – – – – – – So daß ihm nichts zu gleichen,
Was Saracenisch war, und dabey mußt ihm weichen
Der Frauen Lieblichkeit. Wer ihn gewaffnet sah
Vermeinte Venus stühnd' in Pallas Kleidern da.
[203] Wenn der Poet nur bloß gesagt hätte, wenn ihr ihn in einer Schlacht sehet, so erkennet ihr ihn vor den dapfersten, und wenn ihr sein Angesicht sehet, so haltet ihr ihn vor den schönsten; so würde es keine ausserordentliche Artigkeit haben. Doch kan ich nicht unangemercket lassen, daß diese Vorstellung ungemein mehr Nachdruck hat, wie der Italienische Tasso sie ausgebildet hat:
Se 'l miri fulminar trà l'arme avvolto,
Marte il diresti, Amor, se scopre il volto.
[204]