[308] [307]Verlegenheit und List
Lustspiel von Kotzebue
Kotzebue ist ein Wucherer, der ein kleines Kapital durch große Zinsen verhundertfacht; ein guter Wirtschafter, der mit wenigem ausreicht; ein geschickter Frauenschneider, der das nämliche Kleid nach jeder wechselnden Mode umgestaltet. Er macht schneller ein Lustspiel als die Welt den Stoff dazu. Er ist leichter zu übertreffen als zu ersetzen. Was Verlegenheit und List darbietet, genießt man zum tausendsten Male mit ungeschwächter Lust. Eine Gasthausstube mit zwei Flügeltüren – ein Onkel – das Schicksal der Christen: die Polizei – ein Kammerdiener und eine Kammerjungfer – viel Liebe und wenig Geld – eine Heirat. Zwei Dinge sind mir in unsern Komödien unerklärlich. Erstens, daß die Hauptgeschichten in Wirtshäusern vorfallen. Ich bin viel gereist, habe aber in der Heimat immer mehr Abenteuer als im Gasthofe erlebt. Es ist natürlich, der Wechsel der Gasthäuser ist zu [307] groß, als daß sich zwei Fremde mehr als streifen können. Wie gelangt man dort gar zu einer Frau? Zweitens fällt mir auf, daß die bedeutendsten Herzens- und Familiengeheimnisse in Gegenwart der Bedienten besprochen werden. Ich kenne die große Welt wenig, die von liebender Beschaffenheit gar nicht; aber bei uns Bürgerlichen ist es nicht Sitte, daß Liebender und Geliebte im Beisein des Kammerdieners und der Kammerjungfer ihre Herzen ineinandergießen, während jene, gleich den Bildern im Spiegel, die rührendsten Gebärden nachäffen. Im gegenwärtigen Lustspiele geschieht es; ja, während der junge Baron seinem Onkel flehentlich zu Füßen liegt und um Vergebung seiner Schuld und Schulden bittet, ist die ganze Hausdienerschaft Zeuge der Rührung. Haben vielleicht die vornehmen Leute weniger Stolz und mehr Menschenliebe als die gemeinen, und behandeln sie ihre Diener wie ihresgleichen, oder sehen sie aus Hochmut die Bedienten als Zimmermöbel, als Gipsfiguren an, die man nicht zu beachten brauche?
[308][309][314]