Jesus

Der hi ilische Purpurwurm

Zusingen nach der Weise: Da Jesus an dem Creutze stund, usw.

1.
Was ist das vor ein Jammerbild,
Das dort in Purpur eingehüllt
Am Creutzesholtze klebet?
Ein Bild mir so die Augen füllt –
Doch nein, es lebt und bebet.
2.
Ist das ein Mensch? ich gläub es nicht:
Ein Wurm mir hänget im Gesicht,
In Purpurfarb geschwämmet.
Ein stilles Leid mein Hertz anficht,
Der Schmertz die Trehnen stämmet.
3.
Was hör ich? seine Stimm erschallt.
Ist diß ein Mensch? in der Gestalt
Ward keiner je gesehen.
Seht, wie das Blut doch quillt und wallt:
Ich muß mich näher nähen.
4.
Wer ist allhier doch, den ich frag,
Der mir deß Menschen Namen sag?
Dort seh ich was geschrieben.
Was? ist diß Jesus? – ach der Plag!
Ich sterbe vor Betrüben.
5.
Gott ist es, nicht ein Mensche nur,
Der Herr und Meister der Natur,
Der Schöpfer aller Sachen.
Darff den die schnöde Creatur
Zu solchem Bilde machen?
6.
Fährt so mit ihrem Gott die Welt?
Ist daß der Printz vom Sternenzelt?
Der König aller Ehren,
Wird der hin an ein Creutz gestellt,
Kan er sich schmähen hören?
7.
Die Allmacht schwebt ohnmächtig hier,
Die Schönheit selbst ist sonder zier,
Der Helffer muß verschmachten.
Der Artzt ist kranck und stirbet schier:
Wer kan das recht betrachten?
8.
Die Striemen voller Striemen stehn,
Auff Wunden kan man Wunden sehn,
Der Leib ist lauter Schrunden,
Die stets mit Eiter übergehn
Und bluten unverbunden.
9.
Schau, welch ein Mensch, O Menschen-Kind,
Und der von wegen deiner Sünd
Ein solcher Mensch ist worden;
Er trat, daß er dich deß entbind',
In solchen Elends-Orden.
10.
Ist daß der Gott vom Himmelreich,
Der keinem Menschen sihet gleich?
Ein Wurm ist er zunennen,
Der, gantz zerquäthscht, gekrümmt und bleich,
Fast nicht mehr ist zu kennen.
[63] 11.
Herr, meine rothe Sünd hat dich
Gefärbet so erbärmiglich,
Sie ward auff dich geleget.
Ach deine Schulter büst vor mich,
Die meine Schulden träget.
12.
Die Zorneskelter tritst du heut,
Du hast schon deiner Menschheit Kleid
Im Weinbeerblut gewaschen;
Es färbet dich der rohte Streit,
Die Feinde zu erhaschen.
13.
Ja waltze dich im Elendskoth,
Ichnevmon, alsdann spring dem Tod
Dem Crocodil, in Rachen
Und beiß dich durch, die Todesnoth
Und Sünde todt zu machen.
14.
Die Sonn, deß Himmels Aug und Liecht,
Kan ihrem Gott und Schöpffer nicht
Die Augen brechen sehen;
Sie lässt, verbergend ihr Gesicht,
Die Welt im dunckeln stehen.
15.
Ich kan auch nicht mehr schauen an
Dich, du zerquälter Jammerman.
Fahr wohl! ich geh von hinnen.
Doch soll üm dich so mancher Thran
Als Blut von dir abrinnen.
16.
Stirb du, mein Leben, fahre wol,
Wann ich dich nimmer sehen sol:
Dort sprechen wir uns wieder,
Da ich dir meinen Danck für voll
Bezahle durch Loblieder.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Birken, Sigmund von. Gedichte. Geistliche Lieder. Jesus. Jesus. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-35AC-B