[208] Eine Begegnung mit Herrn Ich oder die Stinktiere

Als ich heut nacht beim schönsten Sonnenschein
In meinem großen Traumpark promenierte,
Den Lindenweg entlang, vorbei dem Haus,
In dem ich Audienz zu geben pflege,
Wenn meine Freundin mir, die Kaiserin
Von Lubidinien, Ambassade schickt,
Sah ich inmitten der Ranunkelwiese
(Der grün und gelbe Glanz ist wunderbar)
Gemächlich schreitend meinen Freund Herrn Ich.
Durchaus in Weiß gekleidet – um den Bauch
Den breiten schwarzen Seidengürtel – kam
Mein alter Freund, wie seine Art so ist,
Sehr langsam und zuweilen stehen bleibend,
Grad auf mich zu, durchaus sich nicht beeilend.
Sein breiter Strohsombrero fächelte
Mit schwanken Krempen dem verehrten Haupt,
Das für die Hitze nicht geschaffen ward,
Erwünschte Kühlung um die vollen Backen.
Doch trotzdem hielt mein alter Kamerad
Noch einen roten seidnen Sonnenschirm
(Türkisch gemustert, riesigsten Formats)
Mit seiner Linken sorgsam über sich,
Indes die Rechte den gewohnten Kodak,
Den stets verzeichnenden, behutsam trug.
Da ich bei Tage nie dem Freund begegne,
Freu ich mich stets, ihn nachts im Park zu sehn,
In dem zuweilen Sonn und Mond zugleich scheint,
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Sommer und Winter ist an einem Tag
Und Zukunft und Vergangenheit sich eint
Zu einem Heute von besonderem Glanz.
Wir sprechen uns dann miteinander aus,
Wie Freunde tun, die sonst entfernt sich sind
(Doch immer nahe im Gefühl), und stets
Erfahr ich Neues von ihm, das mich wundert.
So ging ich denn mit schnellen Schritten ihm
Die Hand ausstreckend, seine zu ergreifen,
Entgegen, als, pfui Kuckuck, ein Gestank
Höchst penetranter Art mich stehen hieß.
Die Nase klemmend rief ich: »Lieber Freund,
Was für ein scheußlicher Gestank ist das?
Riechst du ihn nicht? Dann bist du arg verschnupft!
Schindanger duften lieblicher; es scheint
Von faulen Eiern und verwestem Fleisch
Ein fürchterlich Gemisch. Bist du vielleicht
In was getreten, das von Übel ist?«
Da lachte schallend auf mein Freund, wie kaum
Ein anderer lachen kann, denn darin hat
Er Übung. Und er rief: »Du irrst, du irrst!
Dies süße Düften hab ich mir gekauft
Für schweres Geld in einer Menaschrie.
Zwei holde Musteliden kauft ich mir,
Stinktiere heißt der Laie sie, jedoch
Der Zoologe Chinqua oder Skunk.
Ich führe eben zur Dressur sie aus,
Daß auf Kommando sie zu stinken lernen.
Verzeih, ich sah dich nicht, sonst hätte ich
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Nicht eben grade jetzt: Stinkt! kommandiert.
Denn, wenn ein guter Freund mir naht, solln sie
Natürlich nicht die Afterdrüsen öffnen.
Dies soll (und wird! verlaß dich drauf!) nur dann
Mit Präzision geschehn, begegnet mir
Ein Exemplar der bösen Spezies
Homo calumnians, so ein Stück Vieh,
Das aus dem ewig lügenfeuchten Maul
Verleumdung stinkt, erlogne Schändlichkeit
Ausdünstet und den guten Namen mir
Mit niederträchtgem Klatsch besudelt, oder
Ein falscher Freund, der, weil es ihm behagt,
Als Alleswisser interessant zu sein,
Freundschaftlich ihm Vertrautes ausstreut und
Zugleich verhöhnt, in seinem flachen Sinn
Gekitzelt, wenn der Hörer nur geruht,
Beifall zu lächeln. Stinken solln sie auch,
Wenn Neidische in meiner Nähe sind,
Von deren bloßem Atem ringsumher
Die Luft morastig müfft, Verkleinerer
Und darum Lügner, immerfort bereit,
Mit Wenns und Abers leiser Andeutung
Verdacht zu säen. Kurz: Die Niedertracht
Will ich vom Leib mir halten durch Gestank.«
So sprach mein Freund und dünkte sich sehr klug.
Ach Gott, so klug! – Der Gute tat mir leid.
Und, weil ich nahe ihm verbunden bin
Und es nicht gerne sehe, haut er so
Mit voller Armauslage in die Leere
(Wobei man, wie ein jeder Fechter weiß,
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Das Gleichgewicht sehr leicht verlieren kann
Und auf die Nase fallen), sagte ich:
»O welch ein Erzkamel du bist, mein Freund!
Du legst dein Geld an, wie ein Idiot.
Viel besser, wahrlich, hättest du getan,
Hättst statt des Stinktierduos du ein Paar –
Was weiß ich, Metzgerhunde dir gekauft.
Weißt du denn nicht, daß eben der Gestank
Das Lebenselement der Schufte ist, die du
Damit nur anziehst, wie der Baldrian
Die Katzen anzieht? Ist denn das Vernunft,
Sich mit den Stänkern durch Gestank gemein
Zu machen, sei es auch nicht eigenem?«
Da schämte sich mein Freund und ging davon,
Den Sonnenschirm geschultert. Seine Skunks
Verwandelten sich in zwei Collies, die
Mit edlem Anstand ihn begleiteten.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Bierbaum, Otto Julius. Gedichte. Ausgewählte Gedichte. Eine Begegnung mit Herrn Ich. Eine Begegnung mit Herrn Ich. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-3360-5