Alcandor und Angelica

[135] [137]Die liebliche Frische des Morgens wehte durch alle Bäume, die Blumen richteten sich aus dem Schlafe auf, und falteten ihre glänzenden Blätter sorgfältig auseinander. Angelica stand als Pilgerin gekleidet auf dem Gipfel eines Berges, sie schaute hernieder in das Thal, wo die bunten Blumen sich durch einander bewegten, und sich in kindischen Spielen zu vergnügen schienen, dann hob sie die Augen auf zu dem blauen, in Gold und Purpur prangenden Himmel: O segne meine Wallfahrt! rief sie aus; belohne die treueste Liebe, daß sie den Liebsten findet. Jetzt ging sie den Berg hinunter, und als sie das Thal erreicht hatte, nahte sich ihr ein Greis. Er richtete mit Mühe seine gebückte Gestalt [137] auf, und betrachtete die schöne Angelica, die über seinen Anblick verwundert da stand, und sich nicht zu bewegen getraute. Nachdem er sie genau betrachtet hatte, redete er sie mit sanfter Stimme an: Sage mir an, wohin du wandelst, Pilgerin! – Ach, seufzte Angelica, dein Anblick erweckt Ehrfurcht und Vertrauen in mir, und ich will dir meine Leiden erzählen. Die Liebe hat sich von mir abgewendet, Alcandor hat mich verlassen; seitdem ist mein junges Herz voll Trauer, und mein Auge voll Thränen. Ich gehe nun als Pilgerin nach allen Capellen und heiligen Orten, um entweder Ruhe, oder den verlohrnen Geliebten zu finden. Der Greis deutete mit der Hand nach einem Walde, der das Thal begränzte, und sagte:


In des Waldes Rauschen schwimmen
Süße wunderbare Stimmen,
Vöglein fliegen aus und ein:
Drinnen wird die Liebe seyn.

Als er diese Worte gesagt hatte, wendete er sich um, und verließ die schöne Angelica, die mit sehnsüchtigen Blicken den Wald betrachtete. [138] Neue Hoffnung wurde in ihrem Busen rege, sie verdoppelte ihre Schritte, und eilte den hohen, rauschenden Bäumen zu.

Ein junger Ritter sprengte den Hügel herunter, der Morgenwind spielte mit seinem reichen Mantel, düster blickte er in die freundliche Welt hinein. O gieb mir Ruhe, so rief er aus, du frisches blumenreiches Thal! Laß mich sie wieder finden, gütiger Himmel; oder quäle nicht mit ihrem Angedenken mein Herz, laß nicht die Blumen mich an meine holde Rose erinnern, laß nicht die Bäume ihren Namen rauschen! Ein altes Mütterchen trat dem Ritter entgegen, sie faßte den Zügel seines Pferdes und sagte: Willkommen junger Herr, Alcandor wohl mit Namen. Woher weißt du meinen Namen? fragte der Ritter. Ein Mägdlein nannt' euch mir, die weinend über diese Wiese zog, sagte die Alte. O sage, rief Alcandor aus, wo kann ich die Geliebte finden?

Die Alte antwortete:


Im Walde die Schäfchen auf der Weide gehn,
Schäferinnen dort in Lieb'sgedanken stehn,
[139]
Ein grüner Platz umschlossen dicht von Buchen:
Dort magst du deine Liebe suchen.

Als sie diese Worte gesagt hatte, ließ sie den Zügel seines Pferdes los, und der Ritter sprengte ohne zu antworten über die Wiese; er hatte bald den Wald erreicht, und verlohr sich in seinem Schatten.

Angelika wanderte durch den Wald, sie hoffte jeden Augenblick, Alcandor würde ihr begegnen, ihr Verlangen ihn zu sehen wurde immer heißer; sie dachte sich ihn so lebendig, den stolzen Wuchs, das dunkle befehlende Auge, die braunen Locken, die um seine Stirne wehten.

Sie glaubte, ihr inbrünstiges Verlangen müßte ihn herbeiziehen, aber unbefriedigt blieb ihre Sehnsucht. Der Tag begann sich zu neigen, die Schatten wurden dunkler, jetzt ergriff Angst und Furcht die Arme, allein im Walde, ohne Nahrung, ohne Schutz, ermüdet, und nirgends, so weit ihr Blick reichte, ein Obdach! Sie wünschte nur eine Höhle zu finden, in der sie sich die Nacht hindurch verbergen könnte.

[140] O Liebe! rief sie aus, willst du mich denn nimmer belohnen? Wie manche mühevolle Tage habe ich in deinem Dienst verlebt, wie manchen dornigen Pfad habe ich betreten! Wirst du mir denn nimmer den Kranz der Siegerin reichen?

Sie hatte jetzt einen offnen Platz im Walde erreicht, in der Mitte desselben stand ein Berg, auf dessen Gipfel sie einen Pallast erblickte der ringsum von weißen schimmerndern Säulen umgeben war. Sie nahte dem Eingange, und eine leise Musik kam ihr entgegen. Bebend näherte sie sich der Pforte, und pochte leise an das Thor. Eine Stimme von innen fragte: Wer kommt noch so spät zu diesem Hause? Eine arme Pilgerin, antwortete Angelica, die um ein Obdach bittet. Das Thor öffnete sich, und Angelica trat ein; mit einem heftigen Schlage fielen die Thüren wieder zu, und sie stand im Finstern allein. Kein Mensch kam, sie zu empfangen, sie wagte es endlich, leise zu rufen, und eine Musik in der Nähe antwortete mit freundlichen Tönen. Angelica ging dem Schalle [141] nach, sie fand eine Thür, die sie öffnete, und ihr Auge wurde von dem Glanze, der sie plötzlich umgab, geblendet. Flammen zuckten glänzend in allen Farben auf und nieder, es schienen die Töne zu seyn, die auf und nieder wogten. Sie faßte Muth, und ging durch diesen Saal voll Klang und Farben; die Töne begleiteten sie; sie öffnete die Thür zu einem andern Gemach, und trat hinein. Ein Ritter saß an einem Tische, und stützte sein Haupt in seiner Hand, sein reich gestickter Mantel hing nachläßig von den Schultern zurück. Angelica betrachtete ihn genau, sie kannte den Mantel, den Hut mit der Schleife von glänzenden Steinen. Alcandor! rief sie aus, finde ich dich endlich wieder! Niemals sollst du mich nun wieder verlassen. O wende dich um, du Geliebter, und erkenne mich, deine Angelica! Sie eilte mit offnen Armen auf den Ritter zu, der, als sie nahe bei ihm war, sich rasch umwendete, und sie in seine Arme schloß. Lächelnd rief er aus, indem er sie fest an sich drückte:


Du bist nun gefangen, und ewig mein,
Sollst Königin von diesem Schlosse seyn!

[142] Angelica sank ohnmächtig zu Boden, sie hatte den Ritter erkannt, es war der Greis, der ihr am Morgen auf der Wiese begegnet war.

Alcandor spornte sein Roß, er durchirrte den Wald, aber kein menschliches Geschöpf zeigte sich feinen Augen. Angelica! rief er aus, und ein vielfaches Echo rief ihm den Namen zurück. Endlich hatte er einen schmalen Pfad erwählt; er mußte sein Pferd führen, und sich mühsam durch das dichte Gesträuch winden. Die sinkende Sonne, die wie feuriges Gold hinter den Büschen brannte, schien ihm immer vorwärts zu winken. Jetzt bog er ein Gebüsch aus einander, und trat auf einen grünen Platz, den die Sonne noch ganz erleuchtete. Uralte hohe Buchen schlossen ihn ringsum ein, in der Mitte stand eine Linde, woran sich eine Schäferin lehnte, die den Rücken nach Alcandor wendete, in dem hohen grünen Grase lagen weiße Schäfchen, die den Ritter freundlich anblickten. Alcandor betrachtete die Schäferin, Freude und Liebe bewegten seine Brust, er erkannte sie an den [143] reichen blonden Locken, die von ihren Schultern herab und um ihren weißen Nacken wehten. Er näherte sich ihr, und schloß sie in seine Arme. O blicke du Geliebte, rief er aus, hold auf deinen Gefangenen! Die Schäferin wendete sich um, und sahe dem Ritter ins Gesicht, darauf sagte sie mit lauter Stimme:


Du bist gefangen, und ewig mein,
Und sollst nun Hüter der Schaafe seyn!

Alcandor ließ seine Arme sinken, und betrachtete die Gestalt, es war die Alte, die ihm am Berge begegnete. Er suchte die blonden Locken, aber einzelne graue Haare sahe er durch den groben Schleier. Er wollte sich entfernen, aber er glitt aus, und sank zu den Füßen der Alten nieder, die ihn lächelnd betrachtete, und sich dann zu ihm setzte, die Schaafe waren näher gekommen, und lagerten sich um Alcandor. Nachdem die Alte den Ritter lange betrachtet hatte, sing sie an zu sprechen:

Es war ein Schäfer, der war schön und artig, kleidete sich zierlich, und trug immer [144] bunte Bänder am Hute, und einen Strauß von frischen Blumen an seiner Brust. Das alles that er aus Liebe zu einer jungen Schäferin, der er zu gefallen wünschte, und konnte doch den Muth nicht fassen, ihr seine Liebe zu sagen. Endlich fiel ihm ein Mittel ein, er schrieb mit zierlichen Worten auf ein Blatt alles was er wünschte, das die Geliebte wissen sollte, und faltete es wie ein Herz zusammen, dann legte er es unter einem Baume hin, wo er wußte, daß seine schöne Schäferin in der Mittagshitze zu ruhen pflegte, dann entfernte er sich. Nicht lange, so kam die Schäferin im weißen zierlichen Gewande, und setzte sich unter den Baum. Sie fand das Herz, das treu die treueste Liebe bewahrte und ihr offenbarte, und ihr Herz wurde dadurch zur Liebe bewegt, und Thränen der Lust flossen auf ihre Brust. Am andern Mittage kam der Schäfer und hoffte die Geliebte, oder doch ein Blatt von ihrer Hand im Sande zu finden, sie war aber nicht da, und auch kein Zeichen ihrer Liebe nah. Da wurde der Schäfer betrübt, und fing aus vollem Herzen mit [145] Schmerzen zu weinen an. Nachdem er lange geweint hatte, fielen seine Augen zu, die Blätter rauschten über ihm in allen Zweigen, und er schlief fest am Fuße des Baumes ein. Da öffnete sich der Baum, und die Fee, die ihn bewohnte, trat heraus. Sie wollte durch den Wald spatzieren, da erblickte sie den Schäfer und die bunten Bänder an seinem Hute, die frischen Blumen an seiner Brust. Die rothen Lippen und die geschlossenen Augen gefielen ihr so wohl, daß sie ihn zu lieben beschloß, und wie sie den Willen gefaßt, wurde ihr Herz von der süßen Gewalt der Liebe gefangen, sie küßte den Schäfer auf den Mund, hob ihn auf, und trug ihn in ihre Wohnung. Als der Schäfer erwachte, blickte er um sich, und konnte nicht begreifen, wo er sich befand. Er war in einem kleinem Gemach, die engen Wände waren glatt polirt, ein weiches Lager, ein kleiner Tisch und zierliche Sessel waren sein Hausrath; seine Wohnung war eng und hoch, und oben durch eine schmale Oeffnung sah er den blauen Himmel, und oft bogen sich, vom Winde bewegt, grüne [146] Zweige über sein Gemach. Er betrachtete alles in diesem kleinen Hause, und hatte eine rechte Ruhe des Gemüths. Wie die Fee ihn küßte, so hatte sie das Andenken an seine geliebte Schäferin in ihm ausgelöscht, und er schaute nun mit rechter Freude sein Haus, die grünen Zweige, die ihm oft den Himmel verbauten, und dann wieder das liebliche Blau, und konnte sich kaum erinnern, wie draußen die Welt aus sah. Wenn er in der Nacht schlief, dann kam die Fee, und setzte sich auf sein Lager, und sah ihn mit sehnsüchtiger Liebe an, aber sie hatte nicht den Muth sich ihm zu zeigen, sie dachte, er möchte sie vielleicht nicht achten, und ihre Liebe verschmähen, und dann glaubte sie, müßte sie an dem Feuer vergehen, das sie erst selbst in ihrem Busen angezündet hatte. So vergingen manche Tage und Nächte, und der Schäfer war ruhig, und die Fee verliebt; da saß er eines Tages und betrachtete das Blau des Himmels, ihm schien es, als hörte er ein Rauschen, aber nicht die grünen Zweige bogen sich über seine Wohnung, sondern ein junges[147] Gesicht blickte mit blauen Augen auf ihn hernieder. O Doris! rief er aus, und alle Erinnerungen der vergangenen Zeit kamen ihm auf einmal wieder; er suchte ängstlich einen Ausgang, er bestrebte sich zu dem Gesicht empor zu klimmen, aber vergeblich. Endlich verschwand es, und er fing zu schreien und zu weinen an. Die junge Schäferin war, seitdem sie den Brief des Schäfers gefunden hatte, alle Tage emsig zu dem Baume gekommen, und am Abend betrübt zurück gekehrt, wenn sie keine Spur von ihrem Geliebten fand. So saß sie auch, harrte und vertiefte sich in schwermüthige Gedanken, da kam ein Bär aus dem Walde, und eilte gerade auf die Schäferin zu, in der Angst stieg sie auf den Baum, und als sie oben die Oeffnung erblickte, bog sie neugierig ihr Gesicht hinein und sahe ihren Geliebten. Als es Nacht geworden, kam die Fee in ihre Wohnung, und meinte, sie wollte auf ihres Geliebten Lager sitzen, und den schönen Schäfer betrachten, aber wie erstaunte sie, als sie hereintrat, und fand daß er auf dem Boden [148] lag, und in der Verzweiflung sich die Haare ausraufte. Sie ging hinaus und befragte den Baum, was während ihrer Abwesenheit geschehen sey. Der Baum rührte seine Zweige verständig, und erzählte ihr den Vorfall. Da wurde die Fee betrübt, und überlegte was sie nun thun sollte, sie gebot endlich dem Baume, mit seinen Zweigen die Oeffnung oben zu verdecken, so daß der Schäfer den blauen Himmel nicht mehr sehen könnte. Dadurch hoffte sie, würde sich die Sehnsucht verlieren. Der Schäfer konnte nun den blauen Himmel nicht mehr sehen, da fing er recht an, sich nach den blauen Augen der Schäferin zu ängstigen; so sehr daß seine Augen matt wurden; seine rothen Lippen wurden bleich, und es sahe aus, als wenn er in dem Baume sterben wollte. Die Fee wurde immer betrübter, so oft sie ihn ansahe, sie wußte endlich kein Mittel mehr ihm zu helfen, so ließ sie ihn einschlafen, und legte ihn in der Mittags-Wärme hinaus vor den Baum. Als er nun so lag, und die helle Sonne ihn beschien, da war ihm, als träumte er, wie er [149] seine Schäferin aus dem Walde kommen sähe, die ihn unter dem Baume schlafend erblickte. Freudig sah er sie ihre Arme ausbreiten, um ihn damit zu umschließen; da kam von der andern Seite eine graue Gestalt, die gebückt ging, und wie eine alte Frau aussah, diese trat der jungen Doris in den Weg. Sie richtete sich auf, da war sie sehr groß, von ihrem Haupte fiel ein grauer Schleier herunter, und verhüllte die Schäferin, und der Schäfer konnte sie nicht mehr sehen, die alte Frau blieb stehen, wie er sie aber genau betrachtete, war es ein Berg, auf dem wenige Grasspitzen mit Mühe hervorkeimten. Die Fee trug nun den Schäfer wieder in den Baum, und er wurde gesunder. Am andern Mittag trug sie ihn wieder hinaus, und wie er im Sonnenscheine schlief, sahe er eine andere Schäferin, die mit ängstlichen Gebehrden die schöne Doris suchte, und laut klagte, daß man sie nirgends finden könne; da trat ihr die graue Alte entgegen und sagte:


Du wirst die Schwester nimmer finden,
Die eitle Hoffnung laß verschwinden.
[150]
Sie brachte heißer Liebe bittern Schmerz,
Darum verschließt sie nun ein treues Herz.
Sie soll der Sonne nie sich wieder freun,
Als Echo mag sie dort im Berge seyn.

Als das Mädchen diese Worte gehört hatte, verließ sie die Alte, und hörte auf, die Schäferin zu suchen. Die Fee trug den Schäfer, der nun ganz gesund war, wie der in den Baum. Als es Nacht war, legte sich der Schäfer auf sein Lager und schlief, die Fee kam und setzte sich zu ihm, Sie betrachtete ihn, und wie sie ihn ansah, bemerkte sie, daß er noch weit schöner geworden. Sie konnte ihrer Liebe nun nicht länger widerstehen, sondern küßte ihn auf den Mund, davon erwachte der Schäfer und betrachtete die Fee mit Erstaunen. Sie sagte ihm nun, wie sehr sie ihn liebe, aber der Jüngling antwortete: Geh, du Traumgesicht! ich weiß wohl, daß du in deinen Schleier meine Doris hüllest, aber ich bin doch ruhig dabei; und hiemit drehte er sich um, und entschlief von neuem.

Die Fee war über seine Antwort erzürnt, [151] sie legte aber ihre Hand auf sein Herz, da fühlte sie, daß er ihre Liebe niemals erwiedern würde, und nun flossen die Thränen aus ihren Augen. Sie stand auf und verließ ihre Wohnung, verschloß aber den Schäfer darin. Nun geht sie niemals wieder hinein, betrachtet aber oft den Baum von außen, und weint, wenn sie hört, daß die Seufzer des Knaben leise in den Blättern flüstern.

Jetzt hörte die Alte auf zu sprechen, und Alcandor konnte nicht mehr daran denken zu entfliehen, er sahe die Schaafe an, und sie gefielen ihm, er hob eine Schäferflöte vom Boden auf, und versuchte darauf zu spielen. Die Alte sah ihn lächelnd an und sagte:


Du sollst von eitler Pracht dein Aug' entfernen,
Es dünke dir dein vorig Thun ein Träumen;
Du sollst nun süße Liebeslieder lernen,
Die Flöte spielen unter diesen Bäumen.
Siehst du den Himmel glühn mit seinen Sternen,
So führe du mit Lust und ohne Säumen
Die kleine Heerde in des Mondes Schimmer,
Gedenk dabei der vor'gen Zeiten nimmer.

Ich soll vergessen, rief Alcandor, vergessen alles vorige Glück? Des Mondes Strahlen [152] sollen auf mich niederfließen, und ich sollte nicht an meine sanfte Angelica denken? Ja, ich bin gefangen, sagte er klagend, und kann dir nicht entrinnen, aber ich werde sie niemals vergessen. Die Alte sahe ihn mit Betrübniß an, dann brach sie in die Worte aus:


Ich will, ihm soll Erinnerung erbleichen,
Kühn soll er, frei von thörichtem Verlangen,
Das schönste Glück so ich ihm biet', umfangen:
Und er verschmähet meiner Liebe Zeichen!
Wie konnte so mir aller Sinn entweichen?
Erwachen mußte, wie die Wort' erklangen,
Nur zu Angelica sein Lieb'sverlangen,
Die gern zum Bund die Hand ihm wollte reichen.
Zerstöret hab' ich nun zum eignen Wehe,
Was ich mit Mühe künstlich mir erbauet;
Noch mehr verlohren, was noch nie das meine.
Ich will zum Freunde hin, damit ich sehe,
Wie weit mein Werk ist, das ich ihm vertrauet,
Ob seiner Kunst beglückter Lohn erscheine.

Alcandor wunderte sich über die zornigen Gebehrden der Alten, mit denen sie ihn verließ. Er sah die Schaafe und sie gefielen [153] ihm von neuem, so, daß er sein Gemüth beruhigte, er ergriff die Flöte, und wie er zu spielen anfing, drängte sich die kleine Heerde um ihn, er ging über den Rasenplatz, und der Mondschein ruhte lieblich auf den weißen Schäfchen. Einen kleinen Hügel ging er vorüber und stand still, denn ein Echo gab hier die zärtlichen Töne so klagend zurück, daß es Alcandor's Herz bewegte. Er näherte sich dem Hügel, und wie er ihn genau betrachtete, daß er dürr war, und nur wenige Gräser sich auf ihm hervordrängten, kam ihm die Geschichte, welche ihm die Alte erzählt hatte, dunkel in sein Gedächtniß zurück, wie im Traume war es ihm, und doch fragte er: Echo im Berge, bist du die Schäferin? und das Echo rief klagend zurück: Die Schäferin! und Alcandor fragte weiter: Trieb Liebesglut dich zu dem Baume hin? Hin sagte das Echo fast schluchzend.


In seinem Schatten wolltest du den Liebsten finden?
finden.
Da mußte dir statt Liebe, Haß begegnen;
begegnen.
[154]
Und Hasses Macht dich fesi im Kerker binden;
binden.
Wie würdest du den Tag der Freiheit segnen?
segnen.

Alcandor fragte noch weiter, aber das Echo schien so von Wehmuth besiegt, daß es keine Antwort mehr gab; und nun nahm er sich vor, die Unglückliche aus dem Berge und den Schäfer aus dem Baume zu befreien. Er trieb seine Schaafe weiter und sahe bald einen Pallast, den glänzend weiße Säulen umgaben. Oben am Fenster stand Angelica in reichem Schmucke, sie stützte das Haupt mit ihren Händen, und sah trauernd nieder in das Thal, aber Alcandor erkannte sie nicht, und sie erkannte ihn nicht, wie er mit seinen Schäfchen unter ihrem Fenster vorüber zog. Ach! seufzte Angelica, könnte ich frei seyn, und dürfte diese Heerde, diese frommen Schäfchen auf die Weide führen, abwerfen diesen lästigen Schmuck, der sich so wenig für meine Trauer ziemt, und im kurzen Kleide durch die Thäler schweifen, das freundliche Rauschen der Bäume hören und [155] den Gesang der Vögel. Alcandor stand und betrachtete die schöne Angelica. Diese Dame, sagte er, ist betrübt, sie scheint mir gefangen; o dürfte ich mein Schicksal mit dem ihrigen vertauschen! Ich bin ja auch gefangen, und weit schmählicher als sie, ich kann aus diesem Walde nicht entfliehen, o wäre ich doch lieber von hohen Marmorwänden eingeschlossen, schmückten mich reiche Gewänder, damit ich lebendig an mein verflossenes Leben gedächte. Dann schritte ich muthig durch den weiten Saal, blickte auf die mich umgebende Pracht, und dürfte nicht wie ein Knecht diese Thiere hüten.

Die Alte hörte die Rede der beiden Liebenden, und sagte zu dem Greise, ihrem Freunde: Laß uns ihr Schicksal vertauschen, vielleicht daß wir sie früher gewlnnen. Der Alte war es zufrieden, und als die Sonne die Schläfer erweckte, blickte Angelica und Alcandor erstaunt um sich. Prächtig geschmückt lag der junge Ritter auf einem Ruhebett, der Saal schimmerte von Gold und hell polirtem Marmor, und hohe Spiegel warfen sein Bild [156] vielfach zurück. Mit Zufriedenheit schaute er um sich; reich gekleidete Diener traten herein und waren bemüht ihm aufzuwarten, und alle seine Befehle wurden mit Schnelligkeit vollzogen. – Angelica erwachte unter der Linde auf weichem Rasen, ein kurzes weißes Gewand bekleidete ihren Körper, zu ihren Füßen lag ein Schäferstab und eine Flöte. Sie richtete sich freudig empor, und schaute nach allen Seiten um; sie hielt es für einen Traum, der schmeichelnd ihre Sinne umgab. Sie hob die Augen auf zu der hohen Linde, unter der sie ruhte, da bewegten sich mit leisem Rauschen die Blätter, und ihr war, als wenn traurige Seufzer dazwischen flüsterten. Ach Alcandor! rief sie aus, wie erinnert dieser Baum mich auf einmal so lebendig an dich! Ach welch böses Schicksal hemmt meine Schritte, daß ich nicht hinaus kann aus dem Walde, dich zu suchen! Ja ich fühle es, die heiße Sehnsucht nach dir hat mein Leben schon zerstört, unter diesem Baume werde ich sterben, und darum soll meine matte Hand deinen Namen in diesen Baum graben, [157] und meine letzten Worte, die letzten Zeichen meiner Liebe.

Sie hatte kaum den Namen Alcandor und noch einige Worte in den Baum geschnitten, so fing er an, sich in allen Zweigen zu rühren, ein heftiges Rauschen, aus dem sich eine Stimme zu entwickeln strebte, erschreckte Angelica. Endlich wurde der Baum still und ein leises Flüstern näherte sich und sprach zu ihr:


Ein treues Herze hält mein Stamm verschlossen,
Wodurch schon mancher bittre Schmerz geflossen.
Es wollte die Gebiet'rin mein
Gerne die Geliebte seyn,
Doch er mußt' ihre Gunst verhöhnen,
Und mit Thränen
Sich nach einer andern sehnen.
Da hat sie ihre Liebe abgewandt
Und die Gefangenschaft ihm zuerkannt:
Daß ich des Schäfers Hüter sey,
Hat sie in ihrem Sinn bedacht.
Mich besiegt der Liebe Macht,
Ich gebe den Gefangnen frei.

Der Baum öffnete sich, ein schöner junger Schäfer trat heraus, und knieete vor Angelica nieder, er wollte reden, aber heiße [158] Thränen flossen über sein Gesicht. Angelica tröstete ihn, und er klagte nun, wie er so lange in dem Baume verschlossen gewesen sey, und eilte fort, um seine geliebte Doris zu suchen. Angelica hörte noch das Flüstern, das sich wieder in des Baumes Rauschen verlohr.

Es war Mittag geworden, und Angelica trieb ihre Heerde tiefer in den Wald hinein, sie rief Alcandors Namen, der Anblick des Schäfers hatte die Sehnsucht und die Hoffnung ihn zu finden erneut, es wurde schon Abend, als sie über den Hügel zog, hier fand sie den Schäfer wieder, wie er kniete, und in beweglichen Worten zu seiner schönen Doris sprach. Das Echo im Berge antwortete mit klagender Stimme. Angelica stand jetzt oben auf dem Hügel, da bemerkte sie in der Ferne einen See. Sie dachte an des Baumes geheimnißvolles Flüstern, das ihr zuletzt unverständlich geworden war, und ihr schien es jetzt, als wären es Worte gewesen, die sie aus ihrer Noth befreien könnten. Sie betrachtete noch den See, da fingen seine Wellen an sich [159] lauter zu bewegen, ein leichter Wind spielte um Angelica's Wangen, und schien ihr Worte zu sagen, und sie rief voll Wonne und Schmerz:


O könnten diese Winde
Gelinde,
Von des Berges Höhen
Mich in die Tiefe wehen,
Wo sanfte Wellen
Schwellen!
Ein klarer Wasserbogen,
Ueber meinem Haupt gezogen,
Giebt treuer Liebe Schutz,
Beut Feinden Trutz.

Kaum hatte Angelica diese Worte gesprochen, als sich der Wind stärker erhob, sie fühlte, daß sie empor schwebte und bald rauschten die Wellen über ihrem Haupte zusammen. Sie blickte um sich, und fand sich in einem Gemach, dessen Wände mit vielen bunten Muscheln, Korallen und Edelgesteinen geziert waren, ein altes Mütterchen saß in einer Ecke des Zimmers und spann, ihre langen weißen Haare hingen auf den Boden. Sie sah so emsig nach ihrer Arbeit, daß sie[160] Angelica nicht zu bemerken schien, endlich blickte sie auf und fragte, ob sie ihr nicht helfen wolle, zugleich stand sie auf und brachte einen Spinnrocken. Angelica setzte sich in eine andere Ecke des Gemachs, der Alten gegenüber, und beide spannen mit großer Emsigkeit. Als sie eine Zeitlang ruhig gesessen hatten, fingen die Wände des Gemachs an zu klingen und zu zittern. Die Alte sah hinauf und lächelte: So siegen wir doch endlich, rief sie aus, und trat zu einem Fenster hin; sie winkte Angelica, die ihr stillschweigend folgte.

Blicke auf, sagte die Alte, und Angelica schaute empor. Durch die hellen Wasserbogen sah sie den reinen blauen Himmel, zu dem sich die Wellen zu erheben schienen, um ihn liebend zu umschließen. Sie sah die weißen Marmorsäulen des Pallastes, der vor kurzen ihr Gefängniß gewesen war, oben am Fenster stand Alcandor, der tiefsinnig in die Wellen hinein blickte. Alcandor! rief sie aus, o folge mir, du Geliebter, hieher, wo dich und mich die silbernen Wellen beschirmen.

Mit lieblicher Musik begannen die Wellen [161] sich zu heben, Stimmen flüsterten leise, und Angelica sahe, wie Alcandor sich aus dem Pallast herunter in die Fluten stürzte, die ihn sanft umschlossen, und ihn niedersenkten, so daß er sich bald in einem Gemache befand, in welchem er die Geliebte sehen konnte. Beide sahen sich lächelnd an, doch hatte keiner den Wunsch, zu dem andern hinüber zu gelangen.

Sie standen noch und betrachteten sich mit Wohlgefallen, als die Wellen anfingen heftig zu rauschen, und sich schwarz zu färben, aber doch ihre Durchsichtigkeit behielten. Angelica und Alcandor blickten verwundert empor, und das Blau des Himmels war verdeckt und ihren Blicken entzogen. Aengstlich fing ihr Herz an zu pochen, eine dumpfe Schwüle beklemmte ihre Brust, da fuhr ein goldner Schein durch die schwarzen Wellen, und wie sie es genau betrachteten, war es ein goldner Nachen, der sich auf dem See bewegte, und seinen Lauf nach Angelica richtete; von der andern Seite schwamm ein anderer Kahn herbei, der sich zu Alcandor wendete, auf jedem Schiffe hob sich eine weiße Gestalt empor, und Angelica erkannte [162] den Alten, der ihr freundlich zulächelte, und eine Angel, welche er in der Hand hielt, in die Fluten senkte. Wie ein blendender Stral schoß sie hernieder, und Angelica bemerkte, daß sich Rosen und Lilien in dem Wasser entfalteten, die ihr alle freundlich zu winken schienen. Eine unnennbare Sehnsucht faßte ihr Herz, sie hatte Alcandor vergessen, nur der Besitz dieser Blumen war das, was ihr einzig wünschenswerth schien. Die Alte schüttelte den Kopf, und deutete mit der Hand nach Alcandor. Angelica sahe hin und bemerkte, wie von der andern Seite sich die Fee in dem Nachen erhoben hatte, ein blendender Stral ging von ihrer Hand in die schwarzen Wellen, in denen Gold und reiche Edelgesteine glänzten. Alcandor's Blicke waren auf die Steine geheftet; die Begierde nach ihrem Besitz konnte Angelica deutlich in seinen Blicken lesen, die Fee stand triumphirend in dem Nachen, und die Angel in ihrer Hand bog sich nach des Ritters Herzen. Alcandor! rief Angelica schmerzlich aus, und er hob die Augen auf, und begegnete den ängstlich [163] flehenden Blicken seiner Geliebten. Angelica! sagte er mit zärtlichem Ton, nein ich verschmähe alle Pracht der Erde, die man mir bieten mag, Gold und glänzende Steine, wenn ich dich nur besitzen darf. Und für mich, sagte Angelica, hören alle Blumen auf zu blühen, wenn ich deine glänzenden Augen betrachte.


So ist denn unser Thun vergebens?
Gold, Ehre, alle Lust des Lebens,
Sie müssen thöricht es verschmähn,
Weil sie sich nur mit Liebesblicken sehn;
Vereinigt euch, ich kann es nicht verhindern,
Noch eurer Liebe Glück vermindern.

Die Fee sprach diese Worte mit zornigen Gebehrden, der Nachen, auf welchem sie stand, fing an zu schwanken, und der goldne Schein fuhr wie Blitze in die Wellen, die Edelgesteine und die Blumen waren verschwunden, der Alte wandte seine Bücke von Angelica weg, deutete mit der Hand in die Ferne und sagte:


Es öffnet sich der Berg und läßt das Echo fliehn,
Horch, Flötentöne schon durch blaue Lüfte ziehn,
Es ist der Schäfer, der die Liebste lang' beweint,
Sie kennt den Ton, und eilt entgegen ihrem Freund.

Die Alte, welche neben Angelica stand, betrachtete lächelnd die Fee und den Greis, [164] sie schüttelte den Kopf, und ihre weißen Haare bewegten sich wunderbar, endlich öffnete sie die Lippen und sagte:


Der Jugend Liebe hat des Alters List bezwungen,
Und so für sich den schönsten Kranz errungen;
Du mußt den jungen Liebsten nun entbehren,
Du magst dem alten Freund nicht die Umarmung wehren!

Die beiden goldnen Nachen schwammen zu einander hin, der Greis reichte der Fee die Hand, beide bogen sich zu einander um sich zu umarmen. Wie sie sich umschlossen hielten, waren die Nachen unter ihren Füßen verschwunden, und Angelica und Alcandor konnten auch die Gestalten der beiden nicht mehr sehn, sondern sie schwammen nur wie ein grauer Nebel auf dem Wasser, das nun wieder, ein krystallener Bogen, über ihr Haupt gezogen war.

Wie eine ferne Musik klang es Alcandor'n, die ihn aus einem sanften Schlummer erweckte; er öffnete die Augen, und fand sich ausgestreckt auf frischem grünem Rasen am Ufer eines klaren Baches, in dem die kleinen Fische sich munter bewegten. Ihm gegen über saß ein Schäfer, der seine Geliebte in den [165] Armen hielt, in einiger Entfernung von ihm schlummerte eine Pilgerin. Alcandor näherte sich der Schlafenden. Angelica! rief er aus, finde ich dich, theure Geliebte, endlich wieder? O erwache und komm an meine Brust, die geheilt ist von allen thörichten Wünschen, und nur die Liebe für dich bewahrt.

Angelica erhob sich, als sie die geliebte Stimme hörte, und sank an des Ritters Brust. Der Schäfer und die Schäferin waren näher gekommen, und der Schäfer sagte: Ihr, schöne Pilgerin, habt uns eine große Wohlthat erzeigt, die uns lebenslang euch zu dienen zwingt, doch weiß ich mich ihrer nicht zu erinnern. Ich kenne dich wohl, sagte Angelica, und doch weiß ich nicht woher.

Wir sind, sagte Alcandor, durch eine unsichtbare Macht mit einander verbunden, es ist der schönste Bund der Liebe und Freundschaft, wir können uns nicht wieder von einander trennen. Sie fühlten alle die Wahrheit seiner Worte, und der Schäfer und die Schäferin beschlossen gern ihm nach seinem Schlosse zu folgen.

[166]

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Bernhardi, Sophie. Erzählungen. Wunderbilder und Träume. Alcandor und Angelica. Alcandor und Angelica. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-2EBD-D