[259] Siebenter Auftritt.
Die Indianer. Die Vorigen.
BENASCAR
zu den eintretenden Indianern, die sich beim Anblick des Paria nicht zu nähern wagen.
Ergreift dies Weib!
ERSTER INDIANER.
Des Paria Weib?!
BENASCAR.
Wer murrt hier?
Zum Sklavendienst erkor ich sie. Hinweg!
GADHI
zu Maja.
Umklamm're dich nur fester, fester noch.
BENASCAR
zu den Indianern, indem er Maja aus ihres Gatten Armen reißt.
Was zögert ihr?
GADHI
vor ihm niederstürzend.
Barmherzigkeit! ich flehe;
Ich lieg' im Staub vor meines Glückes Räuber,
Ich habe Haß mit Liebe dir vergolten,
Und wie vergiltst du meine Liebe mir?
Eindringst du in des Bettlers arme Hütte,
[260] Das letzte Kleinod ihm hinweg zu stehlen.
Nichts nenn' ich mein auf dieser weiten Welt,
Als dies geliebte Weib – –
BENASCAR.
Du nennst nichts dein!
Du bist ein Paria.
GADHI.
Ha! ist's dies allein,
Was dir zur Schandthat Muth giebt, so vernimm –
MAJA
zu Gadhi.
Was willst du thun?
GADHI.
Dich retten und mich tödten.
Vernehmt, sie ist aus meinem Stamme nicht.
Frei laßt sie, Sklaven, werft euch bebend nieder
Und fleht im Staube, daß sie euch vergebe:
Denn eines Rajahs Tochter nennt sie sich.
BENASCAR.
Was hör' ich!–
GADHI.
Wahrheit – und die Wahrheit tödtet:
Denn wie die Flamme der verschwieg'nen Erde
Den Mutterschooß zerberstend auf sich wälzt,
So wird das Wort der lang verschloss'nen Brust,
[261] Das jetzt verräth'risch von den Lippen flieht,
Mich selbst verdammend, mir den Tod bereiten.
BENASCAR.
Sprich! sprich! mich foltert grauenvolle Ahnung.
GADHI.
Ihr seht dies Weib –
Von Rührung überwältigt.
O komm an dieses Herz!
Vergönnt mir nur noch einmal, sie zu drücken
An diese Brust.
MAJA.
O mein geliebter Freund!
GADHI.
Mein Weib! – einst hatt' ich Muth, dich zu erretten;
Dich zu verlieren, fühl' ich mich zu schwach.
Gefaßter zu Benascar.
Verflucht ist mein Geschlecht. Wo sich das Leben
In friedlicher Gemeinschaft fröhlich eint,
Wo Haus an Haus, wo Mensch an Mensch sich reiht,
Wo sich der Tempel heil'ge Dächer wölben,
Darf nimmer ein Verworfener sich nah'n.
Mir hat der Tag nur in der Wälder Nacht,
Nur in der Höhlen dunkelm Grund geleuchtet,
Doch drängend zog mich's zu des Lebens Freuden;
Denn menschlich wie mein Antlitz ist mein Herz.
Und wenn des Tags verrätherischer Glanz
[262] Erlosch, die Nacht sich hüllend niedersenkte,
Dann schlich ich bebend in der Städte Nähe,
Und weilte gern, wo auf dem Feld des Friedens
Die Menschen schlummern sonder Lieb' und Haß
Den Schlaf des Todes in dem dunkeln Bette.
Einst – –
MAJA.
Weh' uns!
GADHI.
Heil uns, ruf' ich, Heil!
Wir haben einen kurzen Tag gelebt,
Doch war's ein Tag an heißer Liebe reich.
Einst ruht' ich so; die Nacht war rein und mild,
Und vor den Blicken weitgebreitet lag
Das herrliche Benares, leicht verhüllt
Vom Silberschleier der gestirnten Nacht.
Erstorben war das tosende Gewühl,
Und tiefe Stille herrschte rings umher.
Selbst die geschwätz'ge Luft entführte leise
Dem vollen Kelche reich durchwürzte Düfte.
Nur ferne her aus leuchtenden Pagoden
Klang der Braminen nächtliches Gebet,
Und friedlich an die blüh'nden Ufer trieb
Des Ganges edler Strom die Silberwellen,
Treu in der vielbewegten Wogenbrust
Das ew'ge Bild des bleichen Lichtes tragend.
So trug auch ich ein ewiges Gefühl
In dem zerriss'nen Herzen. Sehnsucht war's
[263] Nach Liebe und Erbarmen. Diese Schöpfung,
Die mich verwarf, war so unendlich schön!
Ich war ein Fremdling unter gleichen Wesen,
Und doch vertilget, wie mit einem Hauch,
War all mein Haß – mein ganzes Wesen Liebe.
Ein Thränenstrom drang aus dem heißen Aug',
Da blickt' ich auf, und vor mir hingegossen
In tiefem Schmerz, auf einem Grabe seh' ich
In namenloser Schönheit – dieses Weib.
MAJA.
Halt ein!
Die Wunden bluten der gequälten Brust.
Entsetzliche Erinn'rung! Meine Mutter!
Auf ihrem Grabe war's, wo er mich sah.
Verloren früh hatt' ich die Eltern beide,
Und war verbunden einem greisen Gatten,
Dem Pflicht, nicht Liebe mich zu eigen gab.
Krank lag er mir daheim. Ein gräßlich Uebel
Brach ihm die morschen Glieder, und der Tod
Traf uns, nach furchtbarem Gesetz, vereint.
Ich sah das Flammengrab, die frische Jugend
Dahingegeben gräßlicher Verwesung,
Und in der stillen Nacht, mit heißen Thränen,
Verzweiflungsvoll, netzt' ich der Mutter Grab.
Da sah ich ihn. Nur einen Augenblick
Entsetzte mich die angeborne Scheu
Vor der Verworf'nen Stamm. Der Wahrheit Licht
Traf sonnenhell den nachtumhüllten Blick.
Bald, bald erkannt' ich dieses schöne Herz.
[264] Und wie den innersten Gedanken schnell
Das Wort zurückgiebt mit beredtem Flügel,
So leuchtete die Liebe wahr und hell
Aus seines Auges demantreinem Spiegel.
Allnächtlich schmückt' er mir mit frischen Blumen
Der Mutter theures Grab, und bebend wand ich,
Bethaut vom Perlenschmucke meines Jammers,
Die stillen Zeichen edler Lieb' zum Kranz,
Mein elend Haupt zu krönen in der Stunde,
Die mich zum Tode rief mit glüh'ndem Munde.
Neun Nächte harrt' ich – und die Stunde kam,
Mein Gatte starb –
BENASCAR.
Und du, Unglückliche,
Du lebst?
GADHI.
Entsetzlicher! klagst du sie an,
Daß sie des Daseins allgewalt'gem Ruf,
Dem ew'gen Trieb gehorcht der ird'schen Brust?
Durchspähe die Natur: welch ein Geschöpf
Verleugnete in wüthender Verblendung
Der Selbsterhaltung angeborne Wehr? –
Sie kam in jener Nacht, ein bleiches Bild
Des blühenden Entsetzens. Dunkle Locken,
Gelöst von der Verzweiflung Schreckenshand,
Umschlugen, Geißeln ähnlich, ihr die Brust,
Und hoch auf wallte der empörte Busen,
Und schlug im Wettstreit mit den frechen Lüften
[265] Zurück des Hauptes fessellose Zier.
Das glüh'nde Auge starrte kalt und todt
In die erhellte Nacht, und lautlos zuckten
Die bleichen Lippen – da erblickt sie mich,
Und plötzlich in gewalt'gen Jammerschrei
Löst sich der starre Schmerz – »Mein Gatte starb!«
Ruft die Unglückliche – »und ich, Geliebter,
Ich sterbe mit ihm!«
Zu Benascar.
Zücke deinen Dolch,
Zeig mir den Tod in jeglicher Gestalt;
Was ich empfand bei jenem Schreckenswort,
Empfind' ich nie mehr – nie. Kein Laut, kein Wort
Erschütterte die grauenvolle Nacht;
Mit stummen Thränen netzten wir das Grab.
Da schwand das Dunkel, – und mit glüh'nden Sohlen
Und Purpurwangen, wie ein festlich Kind
Beschritt der Tag die Höh'n, mit heißen Lippen
Hinweg die nächt'gen Thränen alle küssend
Der lichtberaubten Erde. Wir allein
Wir blickten weinend noch empor – da strahlte
Mit blut'gem Schein, das heit're Licht entsetzend,
Ein zweiter, ferner, dampfumhüllter Tag.
Der Holzstoß flammte, er schlug empor,
Und schien hochlodernd zu begehren
Die köstliche Beute zu verzehren. –
Schauerlich hallten die Todtengesänge,
Aber schon wogte in gräßlichem Chor
Fernher die Opfer suchende Menge,
Listige Priester mit heiligem Munde
[266] Luden segnend zum feurigen Bunde,
Und die Weiber mit jubelndem Schrei'n.
Drängen sich in die entsetzlichen Reih'n,
Alle umschlungen die wallenden Locken
Mit dem fröhlichen Immergrün.
Aber wir sehen sie näher zieh'n,
Und fühlen das Blut uns wie Flammen glüh'n,
Und fühlen's wie Eis in den Adern stocken.
Sie erbleichte und wankte und stöhnte: »Erbarmen!«
Da rief ich ihr zu: »Genügt dir ein Herz
Voll unendlicher Lieb' und ein Dasein voll Schmerz,
So trag' ich dich fort mit männlichen Armen.«
Sie blickte empor, sie sprach keinen Laut,
Doch fühlt' ich's lebendig, sie hatte vertraut.
Fest umschlang ich den sinkenden Leib,
Rettend entführt' ich die Flammengeweihte,
Und mir gehörte, mir die Befreite,
Sie ward mein – ward mein liebendes Weib.
BENASCAR.
Sie ward dein Weib, und Brama's Rache schwieg!
Wie durch des Himmels Plan die Wetterwolke,
Durchzieht ein Unheil kündendes Gefühl
Die ahnungsvolle Brust. – Verworf'ner, nenne
Den Namen ihres Vaters mir. –
MAJA.
Halt ein!
In dunkeln Kreisen wälzet nah und näher
Sich die Erinn'rung lang vergang'ner Zeit.
[267] Die Ahnung ist ein dräuendes Gespenst,
Sie ist der Tod, wenn sie die Wahrheit ist.
O schweig, Geliebter, nenn' den Namen nicht!
BENASCAR
zu Gadhi.
Nenn' ihn! soll ich nicht eitel Truggespinnst
Die list'ge Rede halten.
GADHI.
So vernimm:
Die ich mein Weib mit stolzer Liebe nenne,
Des Rajahs Tochter ist's – Delhi-Benascar.
BENASCAR
stößt einen Schrei des Entsetzens aus.
DIE INDIANER
wenden sich bestürzt ab.
MAJA
verhüllt sich.
GADHI
zu Benascar.
So groß einst – jetzt so elend, und du willst
Sie tiefer stürzen in unnennbar Leid?
Dich rührt, ich seh's, der Treue heil'ge Macht,
Du bist gerührt –
BENASCAR.
Gerührt? – es ist die Wuth,
Die auf den Lippen mir das Wort erstarrt.
Zu Maja.
Verruchte, rede: lebt denn Keiner dir,
[268] Der Rechenschaft von deinem Handeln fordern
Und deiner Väter Ehre rächen darf?
MAJA.
Was fragst du?
Die Eltern starben früh; den einz'gen Bruder
Entführte mir in früher Kindheit schon
Ein ferner Krieg, ich sah ihn niemals wieder.
BENASCAR.
Wenn du ihn wiedersähest, wenn er käme
Und fragte: »Weib! was hast du mir gethan?
Wo ist das Kleinod meiner Ehre? Wo
Der unbefleckte Name meiner Väter?«
MAJA.
Mein Blut erstarrt.
BENASCAR.
Laß seine rothen Wellen
Den Frost des Todes überfliegen. Rede,
Gieb Antwort, wenn du kannst, – ich bin dein Bruder.
MAJA
stürzt zu Boden.
GADHI
nach einer Pause zu Benascar.
Herr, ich bin schuldig, tödte mich!
BENASCAR.
Das will ich.
[269]GADHI.
Doch rasch, eh' sie erwacht!
BENASCAR.
Der Rath ist gut,
Er sei dein letztes Wort!
Indem er mit gezücktem Dolche auf Gadhi eindringen will, erwacht Maja.
MAJA
abwesend, starr auf Benascar blickend.
Wo bin ich? Weh'!
Die Gräber geben ihren Raub zurück,
Mit bleichem Antlitz, zürnend naht mein Vater,
Das ist sein Geist!
Mit zurückkehrendem Bewußtsein.
Mein Bruder – ja – mein Bruder!
O wie so süß der ungewohnte Klang
Des theuren Namens mir zum Herzen dringt!
Mein Bruder, du wirst menschlich sein –
Den Dolch in seiner Hand erblickend.
Weh' mir!
Dein Herz ist Eisen, deine Blicke Mord,
Und dein Umfangen Tod.
GADHI
zu Benascar.
Was zögerst du?
Ich bin bereit zu sterben.
BENASCAR.
Ich zu tödten.
Empfange deinen Lohn!
[270]MAJA
sich zwischen Beide werfend.
Entsetzlicher!
Halt' ein! was willst du thun?
BENASCAR.
Die Gottheit rächen,
Die du geschändet hast, wie meine Ehre.
MAJA.
Entweiht' ich diesen Gott durch Lieb' und will
Er Blut dafür, so sag' dich los von ihm
Und stell' dir in dein gold'nes Heiligthum
Ein friedlich Lamm, es knieend anzubeten.
Es ist mehr Göttliches in ihm als in
Dem Rachedürstenden, den du verehrst.
DIE INDIANER.
Weh'!
BENASCAR.
Fluch dir!
MAJA.
Ja, auf mich die Flüche!
Auf mich die Rache! mein ist das Verbrechen!
Und freveln werd' ich, ist die Liebe Sünde,
So lang' ein Hauch des Lebens mich beseelt!
Denn dieses Herz ist ein unsterblich Buch,
Deß voller Inhalt Liebe ist für ihn,
[271] Für ihn, für den Verworf'nen. Hörst du's, Bruder?
Triff rasch und räche deine Schmach.
GADHI
zu Benascar.
Sie ras't.
O höre sie nicht an! Mein ist der Frevel.
Beredet hab' ich sie und überlistet,
Verführt zum Bruch des heiligen Gesetzes,
Gekettet an mich mit den Zauberbanden
Verweg'ner Lieb', und deiner Rache Donner
Entlade sich auf dieses Haupt. Sei gnädig
Und tödte rasch!
Er wirft sich vor ihm nieder.
MAJA
sich ebenfalls vor Benascar hinwerfend.
Du wirst barmherzig sein
Und nicht die einz'ge Gunst der Schwester weigern.
Der Rasende mit thatensücht'ger Wuth
Stürzt sich in diesen Tod: ich aber lebe,
Ein traurig Angedenken deiner Schmach.
Du bist entehrt, wenn nicht im stummen Grabe
Mit meinem Dasein meine Schande schläft;
Drum end' es, – wähle – –
GADHI
einfallend.
Wähle mich zum Opfer.
MAJA.
Ich bin's, nur ich bin schuldig.
[272]BENASCAR.
Beide seid ihr's.
Zu Maja.
Drängst du dich zu dem Tod der Schande? Lebe,
Ein stilles Leben reuevoller Buße,
Und dank' es meiner unnennbaren Liebe,
Dem mächtig ungeheueren Gefühl,
Das auf für dich in diesem Busen flammte,
Seit ich zum ersten Mal dich sah.
Zu Gadhi.
Du stirbst!
Und wie sich hier vor den Gefährten frei
Die Schmach enthüllt, die mein Geschlecht getroffen,
So will ich auch, daß sichtbar jedem Auge
Das Schreckensbeispiel meiner Rache sei.
Zu seinen Gefährten.
Nicht mich allein, Gott selbst hat er geschändet,
Und wenn er fällt, und wenn er blutig endet,
Sei's am Altare durch des Priesters Beil.
Gadhi und Maja sinken einander in die Arme und halten sich fest umschlungen.
BENASCAR
zu den Indianern.
Der Morgen graut. Ihr eilt hinweg und sucht
Den Diener Brama's in dem nahen Tempel.
Bescheidet ihn hierher; aus meiner Hand
Empfang' er dieses Opfer.
DIE INDIANER
gehen ab.
[273]BENASCAR
für sich.
Fassung, Herz!
Er ist gekämpft, der schwere Kampf der Pflicht.