972. Die Reismühle

Wenn man vom Starnberger See gen München zu pilgert, so führt der Weg anfänglich durch eine ziemlich öde Flur am Fuße einer Hügelkette hin, dann aber lenkt vom Fahrweg ein Fußweg ab zur Linken in den Wald, und dieser Wald ist nicht wie die andern Wälder ringsumher trauriges Nadelholz, sondern frischer blumenreicher Laubwald voll tiefen herrlichen Grünes, so daß man meint, in einem andern Landstrich Deutschlands zu sein. Und durch den Wald rollt ein Bach, und der Bach treibt eine Mühle, die wird die Reismühle geheißen, und das Tal heißt das Mühltal. Und über diesem Tale und dieser Mühle rauscht die deutsche Sage wie mit Adlerfittichen.

Es war nahe bei Freising ein Schloß, das hieß Weihenstephan; darauf wohnte eine Zeit der Frankenkönig Pipin und schirmte das Land gegen die Heiden. Und da er sich zu vermählen gedachte, sandte er seinen Hofmeister, der ein böser roter Ritter war, aus dem Schwabenlande bürtig, auch drei Söhne und eine Tochter hatte, ihm eine Königstochter aus dem Lande Britannia zu holen. Diese ward dem Ritter auch anvertraut und zog in seinem Geleit, der aber gedachte, seine eigene Tochter solle Königin werden, und zog aus Schwaben durch die tiefe Wildnis zwischen dem Ammersee und dem Würmsee, nicht weit von einem Heidenort des Namens Gauting, und in jenem Walde gebot er seinen Knechten, die fremde Braut zu töten, und nahm ihr ihre Gewande und ihren von Pipin ihr gesandten Verlobungsring und schmückte damit seine Tochter und führte diese dem Könige zu, daß sie dessen Weib ward. Nun aber hatten die Knechte Mitleid gehabt mit der schönen fremden Prinzessin, welche Bertha hieß, und sie mitnichten getötet, sondern ihrem Herrn nur ihres Hündleins Zunge gebracht zum Wahrzeichen, daß sie die Jungfrau getötet, und hatten ihm deshalb drei Eide schwören müssen. Die Jungfrau aber hatte den Knechten gelobt, nicht wieder heimzuziehen, und fand Unterkunft bei dem Müller im Tale dieser Wildnis und diente ihm sieben Jahre als eine Magd, und da sie ihr Gezeug zum Wirken mit sich genommen, auch etwas Seide und Goldfaden, so wirkte sie Börtlein, die trug der Müller gen Augsburg in die Stadt, da gab ihm eine Krämerin aber Gold- und Seidenfaden dafür und zwei volle Denare und hieß ihm mehr der köstlichen Arbeit bringen. Des war die Jungfrau froh und wirkte mehr, und der Müller empfing wieder neuen Stoff und dreißig Denare; das ging so fort drei Jahre lang, und die Käuferin hätte gar gern gewußt, wer so künstliche Börtlein wirke, die in diesem Lande niemand machen konnte, aber der Müller sagte ihr, wenn sie nicht nachlasse mit Fragen nach dem, was ihm zu sagen verboten sei, so gehe er weiter. Und der Müller wurde reich durch der Jungfrau Arbeit, sie aber begehrte nichts als ihre Nahrung und tat auch des Hauses Arbeit gern und willig. Und nach sieben Jahren jagte Pipin der König im Walde zwischen Gauting und Starnberg und kam ab von seinem Gefolge, doch war noch sein Astrolog und Arzt bei ihm, nebst einem Jäger und einem Knechte. Da ging der Jäger auch hinweg, den Weg zu suchen, und verirrte sich, denn vom Mühltal bis gen Weihenstephan war damals nichts als eitel Wildnis, und München ward erst über dreihundert Jahre später gebaut. Und jene fanden sich durch einen Köhler geleitet zur Reismühle und herbergten allda bei dem Müller als fremde Kaufleute, und Pipin scherzte mit der Jungfrau, die er für des Müllers Tochter hielt. Als es nun Abend ward, las der Astrolog in den Sternen und sprach dann zu Pipin: In den Sternen stehet, daß du heute sollt bei deinem Weibe sein und einen Sohn gewinnen, der[627] wird ein Heidenüberwinder werden und sein Name noch größer als der deine. – Und siehe, im Wechselgespräche ward alles offenbar, und an seinem eigenen Ring an Berthas Finger erkannte Pipin, daß sie seine Verlobte war, und gewann sie zum Weibe. Sie wollte aber niemand verderben, und der König mußte ihr geloben, alles noch heimlich zu halten und sie in der Mühle zu lassen. Und der König gebot allen das tiefste Schweigen bei Leib und Leben. Hernach tat Pipin noch große Kämpfe gegen die Heidenschaft, allenden siegreich, und nach dreiviertel Jahren gebar Frau Bertha in der Reismühle einen Sohn, den brachte der Müller zur Taufe denselben Tag und ließ ihn Karl nennen, und ging dann zu Pipin und brachte ihm zum Zeichen, wie verabredet worden, einen Pfeilbolz. Und als der König seine Zeit ersah, da machte er alles offenbar, ließ den treulosen Hofmeister schmählichen Todes sterben, dessen Weib, die den Teufelsrat gegeben, vermauern und die Tochter, die, obschon unschuldig, doch den Trug vollendet hatte, gefangen halten. Darauf erhob er die edle Jungfrau zu seinem Ehegemahl, belohnte reich den Müller und zog mit Weib und Kind und allem Gefolge in das Frankenreich, wo Berthas Sohn, hernachmals Karl der Große geheißen, zu hohem Ruhm erwuchs.

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TextGrid Repository (2011). Bechstein, Ludwig. Sagen. Deutsches Sagenbuch. 972. Die Reismühle. 972. Die Reismühle. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-2CBF-8