665. Die Seelen der Ertrunkenen

In einem See im Böhmerlande wohnte ein Wassermann, der trug einen grünen Hut und konnte die Lippen nicht schließen, so daß, wer ihn sah, auch seine grünen bleckenden Zähne sah, sonst war er von einem Menschen in nichts unterschieden. Zuweilen hat er sich den Mädchen gezeigt, sitzend am Ufer des Sees und grünes Band messend, das er endlos aus der Flut herauszog und dann ihnen zuwarf, wenn er genug gemessen. Selbiger Wassermann war gut bekannt worden mit einem Bauer, der am See wohnte, kam zum öftern in dessen Haus und lud auch den Bauer ein, ihn in seiner Wohnung unterm See zu besuchen. Dies tat der Bauer und fand es unten über alle Maßen schön und viele Schätze, und endlich kam er in eine kleine Stube, darin standen ganze Reihen neuer Töpfe, aber alle umgestürzt. – Was tut Ihr damit? fragte der Bauer. – Das will ich dir sagen! antwortete der Wassermann. Alle Jahre hole ich mir einen in den See, und seine Seele, die ist dann mein, und ich halte sie unter dem Topf eingesperrt. Jeder Mann muß doch ein Vergnügen auf der Welt haben, auch der Wassermann, und das ist nun das meine. – Dem Bauer verdroß dieses Vergnügen und ärgerte ihn und ging ihm im Kopf herum; er achtete aber genau auf die Art, wie er in den See gekommen war, der Weg ging durch eine Brunnenstube, und als er eines Tages in der Mittagsstunde den Mönch am See sitzen und Band messen sah, was er den Mädchen nur hinwarf, sie daran zu fangen und hinabzuziehen, so schlüpfte der Bauer geschwinde heimlich hinunter in des Wassermanns Behausung, war her und schmiß alle Töpfe um. Hei, war das eine Seelenlust, wie alle die Seelen aus der Sammlung des Wassermannes frei wurden und erlöst aufwärtsschwebten! Der Wassermann aber wurde sehr böse über den ihm gespielten Streich, denn niemand läßt sich gern sein Steckenpferd nehmen, und drohte dem Bauer grimmige Rache. Da aber der Wassermann die Gewohnheit hatte, sein Fleisch in den Fleischbänken der Stadt selbst zu kaufen, wie die Engländer und Amerikaner, und dieses immer mit alten böhmischen Groschen bezahlte, in denen ein Loch war, folglich von den angereihten Groschen der Halsschnuren der Mädchen, die er in den See gelockt, so gickte ihn bei einem jüngsten Besuch der Metzger, als geschehe es unversehens, mit dem spitzen und scharfen Messer in den Daumen, womit er die Löchergroschen zählte, daß das Blut des Wassermanns floß, welches aussah wie Froschlaich. Da wandte der Wassermann sich zornig hinweg, ging und kam nimmermehr wieder. So entging jener Bauer seiner Rache.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Bechstein, Ludwig. Sagen. Deutsches Sagenbuch. 665. Die Seelen der Ertrunkenen. 665. Die Seelen der Ertrunkenen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-284D-8