598. Der Graf von Gleichen

Das Geschlecht der Grafen von Gleichen hat seinen Ursprung hoch hinauf in der Zeiten Frühe verlegt, doch stimmen die Stammsagen desselben darin überein, daß zuerst zwei Brüder, Edle zu Rom, ihre Heimat Italien verlassen und in der Nähe von Göttingen jene zwei Burgen erbaut und bewohnt, die man noch heute die Gleichenschen Burgen nennt. Darauf sollen aber sie selbst oder ihre nächsten Nachkommen von dort hinweggezogen oder vertrieben worden sein und in Thüringen die drei Burgen erbaut haben, welche man die drei Gleichen nennt. Diese Burgen liegen in einem Dreieck zwischen den drei Städten Erfurt, Gotha und Arnstadt, zwei sind Trümmern, die eine das ist die eigentliche Burg Gleichen, genannt das Wandersleber Schloß, die andere war Schloß Mühlberg. Die dritte, die höchste und festeste, ist die Wachsenburg benannt und noch immer bewohnt. Die Grafen von Gleichen hatten viel Landes inne in Thüringen, Westfalen und auf dem Eichsfelde. Wittekind, der schwarze Ritter, soll nicht ein Verwandter des großen Wittekind gewesen sein, sondern der Enkel Ernsts, des Stammvaters der Grafen von Gleichen, und soll zwei Söhne gehabt haben, Ludwig und Karl, und dieser Ludwig soll Schloß Gleichen in Thüringen zuerst erbaut haben. Einer des edlen Geschlechts hieß Siegmund, der bekriegte im Bündnis mit den Grafen von Käfernburg und denen von Arnstadt die Stadt Erfurt und tat ihr merklichen Schaden, so daß sie ihn den Thüringer Teufel nannten.

Da Kaiser Friedrich II. einen Kreuzzug begann, an welchem Landgraf Ludwig von Thüringen teilnahm mit den meisten seiner Vasallen, zog auch Graf Ernst III. von Gleichen mit hinweg und stritt tapfer gegen die Heiden. Der Landgraf war gestorben, der Kaiser schloß zu Akkon Waffenstillstand mit dem Sultan und kehrte zurück, ließ aber den Grafen von Gleichen und andere zum Schutze Akkons zurück. Auf einem Ritt in die Wüste wurde der Graf gefangengenommen und in schwerer Dienstbarkeit als ein Sklave gehalten. Endlich, da er als ein Gärtner arbeitete, nahm die schöne Tochter des Sultans seiner wahr und gewann ihn lieb, auch entdeckte seiner mitgefangenen Diener einer ihr seinen Stand. Da bot sie ihm Befreiung, sich selbst und alle ihre Schätze an, wenn er sie zum ehelichen Weibe nehmen und mit ihr entfliehen wolle. Nun hatte aber Graf Ernst von Gleichen daheim bereits eine Gemahlin und zwei Kinder, doch dünkte dieses der sarazenischen Jungfrau kein Hindernis. Da nun der Graf erwog, daß ohne Benutzung des Erbietens der Sultanstochter er die Freiheit nie erlangen und für seine Gemahlin und seine Kinder tot und verloren bleiben werde, so hoffte er, der Papst werde ihm die zweite Ehe einzugehen bewilligen, zumal da die schöne Heidin gern bereit war, dem Grafen zuliebe eine Christin zu werden. Die Flucht gelang, [401] die Sarazenin nahm große Schätze mit sich fort, und glücklich kamen die Liebenden und ihr Gefolge in Italien an, zogen gen Rom, und nachdem die Sultanstochter getauft war, wurde sie dem Grafen als rechte Gemahlin angetraut. Hierauf setzten sie ihre Reise nach Thüringen fort, und der Graf eilte voraus zu seiner Gemahlin, die den Totgeglaubten freudiglich empfing, und entdeckte ihr alles. Sie segnete dankbar die Fremde, die ihr den Gemahl, ihren Kindern den Vater zurückbrachte, und verhieß, sie als eine Schwester zu lieben. Darauf zogen sie der Nahenden entgegen, empfingen sie unten am Fuße der Burg gar herrlich und nannten diese Stätte das Freudental, welchen Namen sie behalten hat bis auf den heutigen Tag. Einträchtiglich und liebevoll lebten die drei Verbundenen beisammen, doch gewann die Sarazenin keine Kinder. Viele Wahrzeichen dieser Begebenheit im eigentlichsten Wortsinn gab es und gibt es noch; auf Burg Gleichen über Wandersleben wurde bis in das zweite Jahrzehent dieses Jahrhunderts die dreischläferige Ehebettstelle gezeigt, wichtiger als diese ist der im Dome zu Erfurt noch vorhandene Grabstein, auf welchem der Graf zwischen seinen beiden Gemahlinnen dargestellt ist, und ist die Tracht völlig übereinstimmend mit jener der Zeit des Kreuzzugs Kaiser Friedrich II.; ebenso ist diese Tracht beider Frauen deutsch. Man zeigt noch dort die Gebeine, insonderheit die Schädel der drei Vereinten. Von Burg Gleichen herab in das Freudental führte ein gepflasterter Weg, der Türkin Weg, weil alles, was aus dem Morgenlande kam, der damaligen Zeit türkisch hieß. Im Gleichenschen Schlosse zu Tonna ward der Türkenbund der Sarazenin – der auf dem Grabstein nicht zu erkennen, da tragen beide Frauen rote goldverzierte Kronenreife – und ein goldnes Kreuz gezeigt, auf dem zu Farnrode ein Teppich, dessen Bildwerk die Erzählung vorstellte, zu Ohrdruf in einer Kirche ein Schnitzwerk, im Schlosse daselbst wie zu Schloß Pyrmont, auf Burg Ehrenstein und auf dem Vorwerk Werningsrode bei Emleben überall dreischläferiges Bette.

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TextGrid Repository (2011). Bechstein, Ludwig. Sagen. Deutsches Sagenbuch. 598. Der Graf von Gleichen. 598. Der Graf von Gleichen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-277D-6