263. Der Buttermilchturm

Zu Lichtenau ohnweit Marienburg saßen böse Bauern, die waren voll Übermut, Tücke und Frevel, weil sie reich waren; denn es steht geschrieben: Der Reichtum verleitet zu Sünden und hindert den Weg zur Seligkeit. Viele Stücklein ihrer argen Tücke und Bosheit werden noch in der Gegend erzählt, eines der schlimmsten führten sie aus gegen ihren Pfarrer, dem sie taten wie die bösen Rungholder auf Nordstrand und ihn zwingen wollten, eine Sau zu kommunizieren, weil der Pfarrer, des Name Wolfgang Lindau war, ihnen den Spiegel herber Wahrheit vorhielt und ihr schlechtes Leben ohne Rückhalt von der Kanzel rügte und strafte. Da nun der Pfarrer sich mit List der Schmach entzog und – während die Lichtenauer im Kruge blieben und fortzechten – eilend zum Neuenteich ritt, wo der Pfleger von Marienburg wohnte, trieben die Bauern es toller und toller und administrierten selbst eine Hostie der Sau, die sie aus einer Rübe schnitten, wie jene Studenten zu Halle, die Gottes Gericht furchtbar traf. Dazu kam gerade der Pfleger mit einiger Mannschaft und schlug auf sie los, aber die Bauern, nicht faul und dazu über und über voll, drehten den Spieß um und die Stuhlbeine aus und schlugen des Pflegers Mannen schmählich in die Flucht, ihn selbst aber fingen sie, zausten ihn am dicken Bart, zogen diesen durch ein Astloch in der Türe und verspündeten ihn mit einem Keil und ergossen über ihn allen Hohn und alle Schlechtigkeit, die nur jemalen böse versoffene Bauern ausüben können. Unterdessen aber rückte von Marienburg her, wohin der Pfleger eilend gesandt, und wohin auch seine Leute flüchtig eilten, eine größere Ordensmacht, die befreite den Pfleger und trieb die Bauern zu Paaren. Alle Täter und Teilnehmer an dem ganzen unerhörten Frevel wurden[192] gefangen nach Marienburg geführt und dort in die tiefsten Kerker geworfen. Darauf wurde der Bauern Strafe ernstlich beschlossen; sie mußten die Landstraße vom Kruge zu Lichtenau bis in das Schloß Marienburg durchaus mit Mariengroschen belegen, einen an den andern; dadurch wurde ihnen ein Merkliches von der Übermutquelle abgezapft, dann mußten sie einen Turm an der Nogat bauen, und den Mörtel dazu durften sie nicht mit Wasser bereiten, sondern mit Buttermilch, welche einen festern Kitt gibt, wie allbekannt ist. Diese Buttermilch hatte Lichtenau einzig und allein zu liefern. Der Turm bekam davon den Namen Buttermilchturm und steht heute noch. Und als der Turm fertig war und recht gut und fest gebaut, da mußten die Lichtenauer Bäuerlein, die Saukommunizierer, in ihn einkriechen und blieben darinnen stecken ein Jahr und sechs Wochen und bekamen nichts als Wasser und Brot, und da sind ihnen die bösen Possen und Frevel vom Grund aus wegkuriert worden.

Manche erzählen anders, wie der Buttermilchturm entstanden sei. Der Woiwode Stanislaus Kostka habe zu den Bauern eines Dorfes geschickt und um etwas Buttermilch bitten lassen; da haben die Bauern den Boten ausgehöhnt, andern Tages aber ein ganzes Faß voll Buttermilch dem Woiwoden zuführen lassen. Der Woiwode verstand aber keinen Spaß, er ließ die Überbringer greifen, in einen Turm werfen und stellte ihnen im selbigen ihr Buttermilchfaß zu selbsteigner Verfügung; sie mußten die Milch und, als diese Matte und Quark geworden, auch diese verzehren bis zum letzten Quentlein, dann wurden sie wieder herausgelassen. Kein Wunder, daß sie, da sie herauskamen, käsweiß aussahen.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Bechstein, Ludwig. Sagen. Deutsches Sagenbuch. 263. Der Buttermilchturm. 263. Der Buttermilchturm. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-24B5-F