Aschenbrödel

Ein Mann und eine Frau hatten zwei Töchter, und war auch noch eine Stieftochter da, des Mannes erstes liebes Kind, gar fromm und gut, aber nicht gern gesehen von ihrer Stiefmutter und Stiefschwestern, deshalb wurde es auch schlecht behandelt. Es mußte in der Küche den ganzen Tag über wohnen, alle Küchenarbeit tun, früh aufstehen, kochen, waschen und scheuern, und nachts mußte es in der Bodenkammer schlafen. Da kroch es bisweilen lieber in die Asche am Küchenherd und wärmte sich, und da es davon nicht sauber aussehen konnte, so wurde es von der Mutter und den Schwestern noch obendrein Aschenbrödelchen genannt, aus Spott und Bosheit.

Einst war der Vater zur Messe gereist, und hatte die Mädchen gefragt, was er ihnen mitbringen solle; da hatte die eine schöne Kleider, die andere Perlen und Edelgesteine gewünscht, Aschenbrödel aber nur ein grünes Haselreis. Diese Wünsche hatte der Vater auch erfüllt. Die Schwestern putzten und schmückten sich, Aschenbrödel aber pflanzte das Reis auf das Grab ihrer Mutter, und begoß es alle Tage mit ihren Tränen. Da wuchs das Reis sehr schnell, und wurde ein schönes Bäumlein, und wenn Aschenbrödel auf dem Grab ihrer Mutter weinte, so kam allemal ein Vöglein geflogen, das sah sie mitleidig an.

Da begab sich's, daß der König ein Fest anstellte, und dazu alle Jungfrauen des Landes einladen ließ, denn sein Sohn sollte sich aus ihnen eine Braut wählen. Und da schmückten sich die Schwestern überaus reizend, und Aschenbrödel mußte ihnen die Haare kämmen und schöne Zöpfe flechten, und daß sie auch gern zum Tanz mitgehen mochte, das fiel gar niemand ein. Als sie endlich es wagte, um Erlaubnis zu bitten, ward sie schrecklich ausgelacht, daß sie sich einfallen ließe, zum Tanz gehen zu wollen, da sie doch keine schönen Kleider habe, und nicht einmal Schuhe. Die böse Stiefmutter nahm geschwind eine Schüssel voll Linsen, warf diese in die Asche, und sagte: »So, so Aschenbrödel, mache dir etwas zu tun, lies erst die Linsen; dann sollst du mitgehen, mußt aber in zwei Stunden fertig sein.«

Das arme Kind ging in den Garten, und rief dem Vöglein auf ihrem Haselnußbaum, und auch den Täubchen, daß sie [289] lesen sollten die guten ins Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen, und bald wimmelte es von Tauben und andern Vögeln, da wahrte es gar nicht lange, so war die Schüssel voll Linsen ganz rein gelesen. Aber wie das gute Mädchen voller Freude die Linsen brachte, ärgerte sich die Stiefmutter und schüttete jetzt zwei Schüsseln voll Linsen in die Asche und die sollte es nun auch noch in zwei Stunden lesen. Aschenbrödel weinte, rief aber die Vöglein wieder, und bald war auch diese Arbeit getan. Es wurde ihr aber dennoch nicht Wort gehalten, sondern sie wurde ausgelacht, denn sie habe ja keine Kleider und keine Schuhe, und wie sie sei, könnte sie sich nimmermehr sehen lassen, auch müsse der Königssohn und jeder andre einen schlechten Geschmack haben, der mit ihr tanze, und da gingen jene Stolzen fort und ließen Aschenbrödel tief betrübt zurück. Die ging zu ihrem Bäumchen und weinte bitterlich, da kam das Vöglein geflogen, und rief:


»Mein liebes Kind, o sage mir,
Was du wünschest, schenk ich dir!«
[290] Da rief Aschenbrödel, indem sie das Bäumchen anfaßte:
»O liebes Bäumchen, rüttle dich!
O liebes Bäumchen, schüttle dich!
Wirf schöne Kleider über mich!«

Da flog ein schönes Kleid herunter und kostbare Strümpfe und Schuhe, das zog Aschenbrödel geschwind an, und ging auf den Ball, und das Mädchen war so schön, ach, so schön, daß es gar niemand kannte, auch nicht einmal seine Mutter und seine Schwestern, und der Königssohn tanzte nur mit ihm, und mit keiner andern Jungfrau und als es abends nach Hause ging, wollte er ihm folgen, es entwich ihm aber, zog geschwind Kleid und Schuhe aus auf dem Grabe, unter dem Bäumchen, und legte sich in seine Asche. Kleider und Schuhe verschwanden augenblicklich.

So ging es noch zweimal, immer kam Aschenbrödel unerkannt und in stets schönern Kleidern zum Tanze, immer tanzte der König nur mit ihm, und immer folgte dieser, und beim dritten Mal verlor es von ungefähr den einen kleinen goldnen Schuh; der Königssohn hob ihn auf, [291] bewunderte seine Zierlichkeit und sprach es laut, ließ es auch durch die Herolde kund tun, nur die Jungfrau, an deren Fuß der kleine Schuh passe, solle seine Gemahlin werden, und ritt von Haus zu Haus, die Probe zu machen.

Vergebens probierten die beiden Schwestern den kleinen Schuh; es war als ob ihre Füße ordentlich größer würden, da fragte der Königssohn ob nicht drei Töchter da wären? und der Mann sagte: »Ja, Herr Prinz! Noch ein kleines Aschenbrödelchen!« und die Mutter setzte gleich hinzu: »die sich nicht sehen lassen kann.« Der Königssohn wollte sie aber doch sehen; Aschenbrödel wusch sich fein und rein, und trat ein, auch in ihrem aschgrauen Kittelchen durch ihre Schönheit die Schwestern überstrahlend. Und wie es den goldnen Schuh anzog, so paßte er prächtig, wie angegossen. Und der Königssohn erkannte sie nun auch gleich wieder, und rief: »das ist meine holde Tänzerin, meine liebe Braut!« nahm sie, führte sie aufs Schloß und befahl, ein stattliches Hochzeitsfest zuzurüsten.

Beim Kirchgang hatte Aschenbrödel ein ganz goldenes Kleid an, und ein goldnes Krönlein auf dem Kopf; ihre Schwestern gingen ihr voll Neid zur Rechten und zur Linken. Da kam das Vöglein vom Haselbäumchen, und pickte jeder ins Auge, daß dies erblindete. Als nun die Braut aus der Kirche ging, kam wieder das Vöglein, und pickte wieder jeder das andere Auge aus, und so waren sie für ihren Neid und Bosheit mit Blindheit geschlagen ihr Lebelang.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Bechstein, Ludwig. Märchen. Deutsches Märchenbuch. Aschenbrödel. Aschenbrödel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-2233-5