158. Das Rockertweibchen.

Nach dem Tode eines Grafen von Eberstein sprach dessen Wittwe den Rockertwald zu eigen an, welchen die Gemeinden Scheuern, Hilpertsau und Reichenthal besaßen. Es ward ein Manngericht von Grafen und Rittern berufen, vor dem die Gräfin in dem Wald beschwören sollte, daß er ihr Eigenthum sei. Da sie dies mit Wahrheit nicht konnte, aber sich keines Meineids schuldig machen wollte, versteckte sie in den Federbusch ihrer Haube einen Löffel, that in ihre Schuhe Erde aus ihrem Burggarten und schwur dann vor dem Gericht: so gewiß der Schöpfer über ihr sei, so gewiß stehe sie auf ihrem Grund und Boden. Da ward ihr der Forst zuerkannt; aber sie starb nach wenigen Tagen und geht seitdem, zur Strafe für ihr Unrecht, in der Gegend um, besonders im Rockert und auf der daranliegenden Gättelwiese. Sie wird das Rockertweibchen genannt und [144] erscheint mit einem Gebund Schlüssel und in der schwarzen Kleidung, die sie seit dem Tod ihres Mannes trug; Rock nebst Mieder ist von Seide, die Haube von Sammet und mit einem schwarzen Federbusch geschmückt. Zuweilen fährt sie in einer vierspännigen Kutsche, gewöhnlich aber geht sie zu Fuß, wobei sie manchmal von vielen Hunden begleitet ist, mit welchen sie das Wild hetzet. Sie ruft ihnen häufig; noch öfter aber schreit sie wehklagend: hu, hu! Mädchen, die Laub oder Gras holten, hat sie schon die Körbe aufgeholfen, worauf sie binnen Jahresfrist gestorben sind; einige Mal hat sie sich auch auf die Körbe gesetzt und bis an die Häuser der Mädchen sich tragen lassen. Ein Schneider aus Obertsroth hörte nachts, beim Heimgehen von Lautenbach, die Gräfin rufen und fing an, sie laut zu schimpfen. Da faßte sie ihn am Arm und führte ihn gewaltsam, durch Hecken und Stauden, auf den Lautenfelsen, wo er bis zum Morgen bleiben und von Vorbeigehenden heruntergeholt werden mußte. Andere Leute, die sie beleidigten, hat sie in den Gumpen getaucht, oder sich ihnen auf den Rücken gesetzt und sich den Berg hinauf und hinab bis an den Bach tragen lassen, wo sie dann, wie ein Maltersack, ins Wasser gefallen ist. In einer regnerischen Nacht kam sie im Rockert zu drei Wilderern, die an einem Feuer saßen, und stellte sich an dasselbe, um ihre nassen Kleider zu trocknen. Packe dich fort! rief ihr einer von ihnen zu, und im Augenblick ward er von ihr ergriffen und durch Dick und Dünn bis Tagesanbruch fortgeschleift, daß er, vier Stunden von dem Wald, von Dornen zerkratzt in Ohnmacht gefunden wurde.

Manche Wanderer hat sie schon irre geführt, dagegen auch manchen Verirrten wieder auf den rechten[145] Weg gewiesen. Nicht jedes Jahr läßt sie sich sehen; aber in welchem sie erscheint, gibt es Frucht und Heu in Hülle und Fülle.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Baader, Bernhard. Sagen. Volkssagen aus dem Lande Baden und den angrenzenden Gegenden. 158. Das Rockertweibchen. 158. Das Rockertweibchen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-1BFC-5