Johann Beer

Es lebte in der Stadt Schweidnitz ein Mann, namens Johann Beer, als dieser seiner Gewohnheit nach im Jahr 1570 an dem gemeldter Stadt nahe gelegenen also genannten Zobtenberge umherspazierte, ward er an einem Orte des Gebürgs einer zuvor niemals bemerkten Öffnung gewahr. Hierüber bedachte er sich was zu tun, und gehet auf gefaßten Schluß in die Höhle des Berges hinein; ihm kommt aber ein gewaltiger Wind, mit etwas gräßlichem Schauer entgegen, welcher Ursach halber er damals wieder zurückgegangen ist. Nach etlichen Wochen entschließt er sich, nochmals in diese Höhle zu gehen, machet solches auch am Sonntag Quasimodogeniti werkstellig. Als er etwas tief hinein kommt, findet er einen gar engen, doch geraden Gang zwischen zwei Felswänden, empfindet ferner keinen Wind, erblicket aber von weitem einen lichten Schein, dem gehet er nach bis zu einer verschlossenen Türe, in welcher eine eingeschnittene Glasscheibe, wodurch der Lichtstrahl diesen finstern engen Gang ganz wunderlich beleuchtete. Hierauf klopfet er an die Tür, und zwar zum drittenmal, die wird ihm geöffnet, er siehet eine kleine Höhle, und in derselben an einem runden Tisch drei lange ganz abgemergelte Männer gegen einander sitzen, die hatten altdeutsche oder spanische Barette auf den Häuptern, sahen ganz betrübt aus und zitterten. Auf dem Tisch vor ihnen lag ein schwarz Sammet mit Gold beschlagenes Buch. Beer schreitet über die Schwelle in die Höhle hinein, stehet stille [361] und spricht: »Friede mit euch!« Sie antworteten: »Hier ist kein Friede!« Er tut einen Schritt gegen den Tisch und spricht nochmals zu ihnen: »Friede mit euch im Namen des Herrn!« Sie erzitterten, sagen jedoch mit halber Stimme: »Hier ist kein Friede!« Er schreitet bis vor den Tisch, wiederholete: »Friede mit euch im Namen unsres Herrn Jesus Christus!« Sie erstummen mit Erschrecken, Furcht und Zittern, legen hierauf ihm das vorgemeldete Buch vor, dieses öffnet er, besiehet den Titel, der lautet: »Buch des Gehorsams«. Hierauf fragt Beer: Wer sie wären? Sie antworteten, sie kenneten sich selber nicht. Er fragt ferner: Was sie an diesem Ort machten? Sie sagten, sie erwarteten mit Schrecken das ernste strenge Gericht Gottes, zu empfahen den Wert ihrer Taten. Er fähret fort: Was sie denn gewirket bei Leibes Leben? Sie zeigen auf einen Vorhang, darhinter würde er finden die Zeichen und Zeugen ihrer Handlung. Er ziehet hierauf den Vorhang von der Seite, siehet eine große Menge allerhand mörderischer Waffen, wie auch alte, teils halb, teils ganz verwesete Dinge, zusamt etlicher Menschen Gebeine und Hirnschädeln, woraus erschienen, daß ihre Werke ihnen gefolget, und daß sie Räuber und Mörder gewesen, wie auch die Schlesische Chronik unter andern vom Zobtenberge und dem darauf zerstörten Raubschlosse, dessen Trümmer noch vorhanden, ihrer viele gedenket. Beer fragte sie: Ob sie sich dieser Werke bekenneten? Sie sagten: »Ja!« ER: Ob es gute oder böse Werke? Sie sprachen: »Böse.« ER: Ob es ihnen leid, daß sie solche böse Werke getan? Sie antworteten nichts, erzitterten nur. Er fragte ferner: Ob sie bekenneten, daß sie gute Werke hätten tun sollen? Sie antworteten: »Ja.« ER: Ob sie auch noch gute Werke würken und gut sein wollten? Sie sagten, sie wüßten es nicht. Beer sagte: »Gott, das höchste Gut, hat alle Dinge, sonderlich aber die Menschen gut und zu guten Werken erschaffen; weil ihr denn bekennet, daß diese eure Werke böse sind, ihr aber hättet gute Werke tun sollen, so müßt ihr auch bekennen, daß euch Gott anfänglich gut, und zum Guten erschaffen, und ihr also gute Werke tun sollet und könnet, wenn ihr nur selber wollet.« Sie sagten, sie wüßten von keinem Wollen, könnten in sich nichts finden noch empfinden, Böses oder Gutes zu wollen. Beer fuhr fort: »Wie es nun ist möglich gewesen, daß ihr euch dem Guten entnommen, und aus dem Guten in das Böse kommen seid, also ist es auch nicht unmöglich, daß ihr aus dem Bösen wieder könnet [362] zu dem Guten gelangen, und mit Gott dem höchsten einigen Gut ganz versöhnet und geeiniget werden, so ihr nämlich das Wollen und Begehren, wieder gut zu werden und zu Gott zu kommen, wollet ergreifen.« Sie werden darüber bestürzet, befinden zwar auch etwas Änderung bei sich selber, stehen dennoch in Zweifel und Unwissen, ob sie könnten oder wollten das Wollen und Können in sich selber finden. Weil aber unterdessen die Stunde der Offenbarung verlaufen, und die Zeit zum Ausgang vorhanden, ließ Beer gedachte drei Männer auf weiters Besinnen beisammen, zeiget ihnen auch im Prozeß der Höllenfahrt und Auferstehung Jesu Christi, den Weg Gottes recht, und nimmt also Abschied von ihnen, mit Vermelden, ob es dem Herrn seinem Gott gefällig, wolle er über 8 Tagen wieder zu ihnen kommen. Gehet darauf im Namen und Geleite Gottes wieder aus dieser Höhle des Zobtenbergs in den Tag hinaus. Ob er aber über 8 Tagen wieder in den Berg gegangen, habe ich Abraham von Frankenberg von seinem Lehrjünger Johann Springer nicht können erfragen, wiewohl nicht allein dieser Johann Springer, sondern auch Johann Beers hinterlassene Witwe, eine verlebte Gott liebende Matrone, von diesen und andern Dingen gute Wissenschaft getragen, mit Vermelden gegen ihren Tochtermann, einem evangelischen Prediger zu Adersbach, daß unter andern Sachen in selbiger Wunderhöhle auch noch ein schönes Positiv mit vergoldeten Klaviaturen gestanden, auf welchem Johann Beer, vielleicht die Geister zur Erkenntnis ihrer selbst und dem Lobe Gottes zu erwecken, zu unterschiedenen Malen solle gespielt, und also ferner mit diesen verschlossenen und verbannten Geistern geredet haben. Ferner berichtete sie, sie hätte gar oft bei Nacht einen lichten Schein um ihr Bette gesehen, vor welchem sie sich erstlich entsetzet, aber von ihrem Manne berichtet worden, sie solle sich nicht fürchten, denn es wären die heiligen Schutzengel Gottes, welche durch ernstlich anhaltendes Gebet ihnen zum Dienst und Trost von Gott gegeben, ihre Nachtwache mit himmlischen Gesprächen von Gott allda versorgten. Worauf sie ruhig und andächtig, wie auch aufmerksamer auf sich selbst worden, und mit ihrem Eheherrn gar eine christliche und friedliche Ehe besessen.


Das Vorlesen war so früh beendigt, daß die Frau selbst diese [363] Lücke zu füllen beschloß, indem sie sprach: »Bei der schnellen Sinnesänderung in Ihrer Erzählung erinnerte ich mich eines ähnlichen Ereignisses aus einer alten Erzählung, dem ich indessen einen geschickteren Vortrag wünschte, als ich ihm zu geben verstehe.«

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TextGrid Repository (2011). Arnim, Ludwig Achim von. Erzählungen. Der Wintergarten. Achter Winterabend. Johann Beer. Johann Beer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-1162-2