Reime zu einem Gemälde

Arme Seele.

Ach gnäd'ger Herr, wie ist's gekommen,
Daß ich im Himmel bin aufgenommen?
Bin keiner Tugend mir bewußt,
Und was ich that, geschah in Lust;
Es muß dabei ein Irrthum seyn,
Ich gehöre sicher wo anders hinein!
Der Herr.

Du Simplex! sey doch damit zufrieden,
Willst du denn lieber dort höllisch sieden?
Als hier im Schatten bei kühlen Früchten
Dich ausruhn von den ird'schen Geschichten;
Viel Fragen macht auch viel Antwortgeben,
Sey froh, daß du zogst ins himmlische Leben.
Arme Seele.

Mit nichten, das war nie meine Sach:
Mich einzudrängen in ein Gefach,
Dem ich nicht völlig gewachsen war;
Erst machet mir, Herr, das alles klar,
Womit ich diesen Himmel verdient,
Sonst geh ich hinaus, deß bin ich erkühnt.
[127] Der Herr.

Sey nicht so kurz ab, du sollst gleich wissen,
Warum wir dich ungern im Himmel missen.
Wer kann auf Erden was Sonderlichs thun?
Doch mochtest du auch nicht träge ruhn,
Gingst deines Wegs, ließest Andre sprechen
Von hohen Planen und menschlichen Schwächen,
Du hast so manches nicht angerührt,
Womit sich Andre als treflich beschmiert;
Hast alles so willig ganz unterlassen,
Wozu dein Ingenium nicht thäte passen,
Hast niemals dich gegen mich verstellt,
Hast gebetet als Mensch, wie das Hündlein bellt;
Bist niemals mir in den Weg getreten,
Mit plumpen Fäusten ein Schicksal zu kneten:
Genug, du bliebst wie ich dich geschaffen,
Du bliebst ein Mensch unter himmlischen Affen.
Arme Seele.

Das nenne ich alles noch Kleinigkeit,
Ich stehle mich nicht in die Seeligkeit.
Der Herr.

Wo ich ein Kleines dir aufgetragen,
Da hast du nicht höhnisch dich überschlagen;
Du hast es vollbracht, als wär's das Größte
Und hast gewendet daran das Beste:
Den vollen Willen, den ganzen Verstand
Und jeden Strahl, den ich dir gesandt.
Arme Seele.

Das ist wohl etwas, ich laß' es gelten,
Doch wollte es Jeder auf Erden schelten,
Und nannte es schier ein Kinderspiel,
Was ich durchdacht mit ganzem Gefühl;
Das Kleinste im Schaffen rein zu halten,
Kostet mehr als die größten Lügen gestalten,
Doch was ich mit stillem Fleiße vollbracht,
Das wurde von allen Narren belacht.
[128] Der Herr.

Ich hab' dich knapp gehalten in Ehr,
Du warst es zufrieden, nun hast du mehr,
Hast mehr auf Erden, als du je verlangt,
Sieh hinab, wie dort dein Wohnsitz prangt!
Denn sieh, das Kleine ist groß geworden,
Um deine Hütte sammeln sich Horden,
Um deinen einsamen Altarstein
Erhebt sich ein Münster mit hohem Schein;
Wo du die Kerne der Früchte gesteckt,
Ein freudiger Wald die Erde bedeckt;
Wo du dir einsam Muscheln gesucht,
Da flaggt die beschiffte Hafenbucht;
Es streitet die Welt um den heiligen Ort
Und glaubt sich da näher der Himmelspfort,
Und wer nur ein Wörtlein von dir verkündet,
Der meint, er habe dich selber ergründet,
Sie streiten sich, wie du jedes gemeint,
Was sonst sie verwarfen als ungereimt.
Arme Seele.

Es ist doch gar ein seltsam Geschlecht,
Es ist wohl nur dumm, es ist doch nicht schlecht!
Doch freu' ich mich, daß ich's überstanden;
Es that mir leid, als ich mißverstanden,
Doch weher thut's mir, daß ich überschätzt,
Daß meine Dummheit jetzt Andre ätzt,
Daß mit dem Guten das Böse bleibt,
Daß Besseres lebt und es nicht vertreibt.
Ich möchte jetzt sichten, mich widerlegen,
Und kann mich nicht zur Erde bewegen.
Der Herr.

Du wolltest ja nicht zufrieden seyn,
Dich an dem Himmel umsonst zu erfreun!
Arme Seele.

Wohl hätt' ich das Fragen hier lassen sollen,
Nun muß ich noch mit der Erde recht grollen,
[129]
Die ich mir immer vom Leibe hielt;
So ist nun der Leib und die Seele verspielt.
Der Herr.

O könnt' ich dir andre Gedanken machen,
Der Thoren auf Erden solltest du lachen.
Was schiert's dich, wenn du warst ein Prophet,
Darum dir noch kein Jammer ansteht;
Was brummst du, daß du ein lieber Sohn?
Was sprichst du nun deiner Weisheit Hohn?
Was ärgert dich all das Weltgetümmel?
Du bist doch einer der Besten im Himmel!
Arme Seele.

Ich dank' euch für dieses gnäd'ge Wort,
Doch nimmt es von mir die Sorgen nicht fort;
Wie wäre mir jetzt ein Vergessen willkommen,
Sonst machte es mich so angst und beklommen.
Der Herr.

Du hast so oft ums Gedächtniß gebetet,
Doch sey jetzt das Unkraut all ausgejätet,
Du machtest dich meiner Liebe so werth:
Dir sey jetzt ein volles Vergessen bescheert.
Arme Seele.

Von der ganzen verheißnen Ewigkeit
Ist Vergessen die größte Seligkeit.

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TextGrid Repository (2011). Arnim, Ludwig Achim von. Gedichte. Nachlese. Reime zu einem Gemälde. Reime zu einem Gemälde. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-0E4F-5