Vierter Winterabend

Der Krieg
Nach alten Erzählungen

Wir fanden den Invaliden beim Erzählen seiner kriegerischen Streifzüge. Er hatte seine größeren Bestrebungen und Begebenheiten immer verschwiegen; wir schämten uns, wie wir so vertraulich mit ihm gewesen, der so viel mehr als wir erlebt und getan hatte und so setzten wir uns feierlich um ihn her.

»Nun«, fuhr er fort, »ihr seid doch rechte Kindsköpfe, daß euch solche Geschichtchen gefallen, ich ließe mir alle Zähne ausreißen, wenn ich die damit alle aus dem Kopf heraus reißen könnte; was sich da auszeichnet, ist doch nur wie die einzelnen Pflanzen auf einer verhagelten Feldmark, die stehen geblieben, nun, die gedeihen freilich, wie es sonst nicht möglich gewesen, wo alle standen. Ja, wo blieb ich stehen: es ist wahr, bei dem Grenadier, der seinen abgeschossenen Arm in die geladene Kanone steckte, daß er, hinausgeschossen, noch ein paar Feinde ohrfeigen sollte. Ich besuchte ihn im Lazarett, da hatte sich der gute Kerl aufs Schreiben gelegt, weil es nun mit dem Kuhfuß, oder besser gesagt Muskete nicht weiter fortwollte; setzte auch für die jungen Bursche allerlei Kriegsregeln auf. Um ihm auf gute Art etwas zu schenken, ließ ich mir eine Abschrift geben, da lest sie, vielleicht gefallen sie euch eben so gut.«


1.
Bist du recht müd und matt, ja ganz erschöpft von Sorgen,
So singe hell und laut, wie Spatzen tun am Morgen,
Gleich wird dir leicht die Brust, ein Mühlstein fällt hernieder,
Es tut dir innig wohl, so recht durch alle Glieder.
[211] 2.
Bist du ein andermal gepreßt zur höchsten Qual,
Ei Schwerenot, so fluch aus Herzensgrund einmal,
Stehst du fürs Vaterland, du stehst für Gottes Ehre,
Bestehst du wohl den Kampf, so schadt's nicht, daß er's höre.
3.
Bist du in der Gefahr, schlägst du dich in die Schanz,
So rufe nur: »Mir nach!« aus vollem Herzen ganz;
»Es geht Kamrad! An an! Juchhei, mein Volk leb hoch!«
Der eine Ruf in der Gefahr mich nie betrog.
4.
Glaub mir, viel besser tot, als sich gefangen geben,
Es ist ein kümmerlich, verachtet, elend Leben,
Wie einen räud'gen Hund, den keiner gern mag leiden,
So den Gefangnen auch die Männer, Weiber meiden,
Die Gassen stehen voll, er wird vorbei geführet
In Lumpen, waffenlos, kein Mitleid wird gespüret,
Und keinen er versteht und keiner will's ihm deuten,
Ist Kindern da zum Spott und ehrlos bei den Leuten.
5.
Du fechtest mit dem Tod, bist du ein wahrer Krieger
Und scheust du ihn einmal, so bist du nimmer Sieger,
Doch nicht den Tod allein, auch Schmerzen zu verachten
Das sucht der rechte Mut, das ist sein stetes Trachten,
Wer lieber wünscht den Tod, als Wunden in den Schlachten,
Den muß ich Invalid aus ganzer Seel verachten;
Der Wunden Ehrenmal such auf mit tapferm Herzen
Und Hunger, Durst und Frost ertrage stets mit Scherzen.
6.
In müß'ger Stund denk nach, was du kannst tun und nützen;
Ein Schwank ist gut, doch Vorwitz laß zu Hause sitzen,
Nie tadle, wer dich führt, du kannst den Plan nicht raten,
Das ist der Bürger Art, du rettest sie durch Taten;
Glaubst du, dein Offizier sei einmal gar zu hart,
Denk, er hat viel im Kopf, auch ist das Dienstes Art,
Mit allen meint er's gut, er muß für alle stehen,
Dafür darfst du dann kühn die ganze Welt ansehen.
[212] 7.
Üb' Reinlichkeit, viel Baden, täglich Waschen wenn's geht,
Das hält gesund und stark und leeret nicht die Taschen;
Ein trocknes Schloß, ein guter Stein auf dem Gewehr,
Dich oftmals retten kann und macht den Marsch nicht schwer.
8.
Dem Wirt, wo du quartiert, ein Dienst, ein gutes Wort
Macht den Soldat beliebt und hütet ihn vor Mord,
Auch was du fordern kannst, noch bitte lieber drum,
Er tut dann wohl noch mehr, als wenn du trotzig stumm;
Geh ihm zur Hand, macht er dein Bett, dein Essen,
Den Fremden kann man nur nach Höflichkeiten messen.
9.
Verachtet ist der Dieb, er mordet das Vertrauen,
Dein ganzes Regiment muß ihn mit Abscheu schauen!
Das glaubt ihr all zu Haus, such auch in Feindes Lande
Nur Ehr und Waffen, Stehlen bleibt auch Schande;
Denk, daß du Eltern läßt zu Haus und liebe Kinder,
Die Windfahn dreht sich schnell, das Glück noch viel geschwinder,
Erwerben läßt sich nichts im Kriege noch bewahren,
Als Ehr, und Gotteslohn, und Ruhm in alten Jahren.
10.
Verhaßter noch vor Gott, dem Unglück preis gegeben
Muß jeder Deserteur vor sich in Schande leben,
Wie ein Gestank will er das Leben uns verleiden,
Es muß die leere Spreu vom Korn im Krieg sich scheiden;
Ein braver Kerl, auch wo er fremd, hat er geschworen
So hat er auch mit ganzer Seel den Dienst erkoren,
Die Fahne ist sein Stolz, die Kriegstat seine Lust,
Er tut sie, weil er will, nicht eben, weil er muß.
11.
Soldaten! lernt es wohl den Scherz mit Scherz empfangen,
Bei lust'gem Wort ist manche trübe Stund vergangen.
Den Zorn üb' in der Schlacht, dein Gift beiß in den Feind,
Ein Wort zur rechten Zeit besänftigt oft den Freund.
Wenn Feinde schlecht und falsch von deinem Lande sprechen,
[213]
So kannst du dich in gleicher Münze zahlend rächen;
Dein Land ist altberühmt, du stehst in Jugendtagen
Und wenn's nicht anders geht, wenn du's nicht kannst ertragen,
So schlage tüchtig drein, so schlage immer zu,
Die Fliege, die da liegt, läßt sicher dich in Ruh.
12.
Ein Mädchen ist was wert, sie machet klare Augen,
Doch viele sind nichts wert, das kann zu gar nichts taugen,
Die jedem freundlich ist, sich gleich zu jedem legt,
Statt eines Herzens wohl ein Taubenhaus nur trägt.
Doch bist du einer treu, die macht dich fest in Schlachten,
Und ist ein schöner Trost, will dich der Tod umnachten.
13.
Verachte nicht der Vorzeit würdig große Taten,
Gedenk, du ruhst, mein Sohn, in unsrer Pflanzung Schatten,
Sei unsrer würdig erst; kannst du uns übertreffen,
So sag ich »lebe hoch«, dann mag der Tod mich treffen.

»Nun«, sagte er, »das mag genug sein; klingt das aber nicht ganz menschlich, und doch ist viel des Entsetzlichsten geschehen!« – »Es sollte auch solche Regeln für Bürger und Bauern geben, wie sie einquartierten Freunden und Feinden begegnen müssen«, meinte der Gesandte. – »Sie hätten nur hören sollen, wie ich dem Feinde in meinem Hause den Krieg gemacht habe, ich ließ mir nichts bieten«, rühmte sich die Kranke. – »Still«, sagte der Invalide, »das ist so eine von den allgemeinen Mythen, wovon wir alle wissen, wie viel wahr ist, ein Schnippchen in die Tasche geschlagen, ist auch schon genug, es kommen dabei sonderbare Verhältnisse zum Vorschein; die uns umgeben, sind uns zu nahe, aber da habe ich eine Geschichte aus der Zeit des dreißigjährigen Krieges mitgebracht, da können wir doch den Schaden ruhig anhören, ohne gleich unsere Prozente dafür zu berechnen. Heiliger Gott, warum muß es doch Prozente in der Welt geben, Papiere nach Nominalwert und Münzcourant? – Wozu sind denn die falschen Eide in der Welt, wenn sie nicht sollten geschworen werden!« –

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Rechtsinhaber*in
TextGrid

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Arnim, Ludwig Achim von. Erzählungen. Der Wintergarten. Vierter Winterabend. Der Krieg. Der Krieg. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-0E01-F