St. Meinrad

Graf Berthold von Sulchen, der fromme Mann,
Er führt sein Söhnlein an der Hand;
Meinrad, mein Söhnlein von fünf Jahren,
Du mußt mit mir gen Reichenau fahren.
Hatto, Hatto, nimm hin das Kind,
Alle liebe Engelein mit ihm sind;
Die geistlich Zucht mag er wohl lernen,
Und mag ein Spiegel der Münche werden.
Er ging zur Schul barfuß ohne Schuh;
Und legt die geistlich Kunst sich zu;
Die Weisheit kam ihm vor der Zeit,
Da ward er zu einem Priester geweiht.
Da schickt ihn Hatto auf den Zürcher See,
Daß er ins Klösterlein bei Jona geh;
Bei Jona zu Oberpollingen,
Da lehrt er die Münch beten und singen.
Da er lange ihr Schulmeister war,
Und ihn die Brüder ehrten gar;
Thät er oft an dem Ufer stehen,
Und nach dem wilden Gebirg hinsehen.
Sein Gewissen zog ihn zur Wüste hin,
Zur Einsamkeit stand all sein Sinn;
Er sprach zu einem Münch: Mein Bruder,
Rüst uns ein Schifflein und zwey Ruder.
[169]
Ueber See zur Wildniß zur Wüsteney,
Hab ich gehört gut fischen sey;
Da gehn die Fischlein in den einsamen Bächen! –
Ja Herr, mein Meister, der Münch thät sprechen.
Sie fuhren gen Rapperswyl über See,
Zu einer frommen Wittib sie da gehn;
Bewahr uns die Gewand, sie zu ihr sprechen,
Daß sie uns nicht in der Wildniß zerbrechen.
Sankt Meinrad und der Bruder gut,
Sie folgten wohl der Bächlein Fluth;
Sie fischten hinan in dem Flüßlein Sille,
Bis in die Alp gar wild und stille.
O Herr und Meister, lieber Sankt Meinrad,
Wir haben Fischlein schon mehr als satt;
Noch nit genug Meinrad da saget,
Steigt wo der Finsterwald herraget.
Und da sie gegangen den dritten Tag
Im finstern Wald eine Matte lag;
Ein Born da unter Steinen quillet,
Da hat Sankt Meinrad den Durst gestillet.
Nun lieber Bruder, nun ists genug,
Gen Rapperswyl die Fisch er trug;
Die fromm Wittib stand vor der Pforten,
Und grüßt die Münch mit frohen Worten.
Willkomm, willkomm ihr bleibt schier lang,
Die reißende Thier, die machten mich bang;
Die Fisch, die thät sie braten und sieden,
Die assen sie in Gottes Frieden.
[170]
Frau hört mich an durch Gott den Herrn! –
Die Wittib sprach: Das thu ich gern!
Ein armer Priester hat das Begehren,
Sein Leben im Finsterwald zu verzehren.
Nun sprecht ob hier ein Frommer leb,
Der ihm ein klein Almosen geb;
Sie sprach: Ich bin allein allhiere,
Ich werd ihm ein Almoseniere.
Da thät Sankt Meinrad ihr vertrauen,
Daß er sich wollt ein Zelle bauen;
Und kehrt nach Oberpollingen,
Thät noch ein Jahr da beten und singen.
Aber die Einsamkeit drängt ihn sehr,
Er hat kein ruhig Stund da mehr;
Und eilt nach Rapperswyl zu der Frauen,
Die ließ ihm da seine Zelle bauen.
Am Etzel wohnt er sieben Jahr,
Viel fromme Leut die kamen dar;
Seine Heiligkeit macht groß Geschrey,
Und zog da gar viel Volks herbei.
Solch weltlich Ehr bracht ihm viel Schmerz,
Sein Hüttlein rückt er waldeinwärts;
Zum finstern Wald, wo das Brünnlein quillet,
Das ihm einst seinen Durst gestillet.
Und wenn er sich das Holz abhaut,
Daraus er seine Zelle baut;
Findt er ein Nest mit jungen Raben,
Die thät er da mit Brod erlaben.
[171]
Die fromm Frau auch von Rapperswyl
Schickt ihm Almosen ein gut Theil;
So lebt er während funfzehn Jahren,
Sein Freund die beiden Raben waren.
Von Wollrau war ein Zimmermann,
Der kam da zu dem Wald heran;
Und bat auch den St. Meinrad eben,
Sein Kindlein aus der Tauf zu heben.
Da gieng St. Meinrad hinab ins Land,
Dem Zimmermann zur Taufe stand;
Und kam da wieder zu vielen Ehren,
Das thäten zwei böse Mörder hören.
Peter und Reinhard dachten wohl,
St. Meinrads Opferstock wär voll;
Und wie sie zum Finsterwald eintreten,
Die Raben schreien in großen Nöthen.
St. Meinrad las' die Meß zur Stund,
Der Herr thät ihm sein Stündlein kund;
Da betet er aus ganzer Seele,
Daß ihn der Himmel auserwähle.
Die Mörder schlagen an die Thür:
Du böser Münich tret herfür;
Thu auf, gieb uns dein Geld zusammen,
Sonst stecken wir dein Haus in Flammen.
Im Finsterwald schallts ganz verworrn,
Die Raben mehren ihren Zorn;
Um ihre Häupter sie wüthend kreisen,
Nach ihren Augen hakken und beißen.
[172]
St. Meinrad sanft zu ihnen tritt,
Bringt ihnen Brod und Wasser mit;
Eßt, trinkt, ihr Gäste, seyd willkommen,
Dann thut, warum ihr hergekommen.
Der Reinhard sprach: Warum komm ich?
St. Meinrad sprach: Zu tödten mich;
Da schrien sie beide: Kannst du es wissen?
So werden wirs vollbringen müssen.
Nun gieb dein Silber und all dein Gut! –
Da schlugen sie ihn wohl aufs Blut;
Und da sie seine Armuth sahen,
Thäten sie ihn zu Boden schlagen.
Da sprach der liebe Gottesmann:
Ihr lieben Freund nun hört mich an;
Zündt mir ein Licht zu meiner Leiche,
Dann eilt, daß euch kein Feind erreiche.
Der Peter gieng da zur Kapell,
Zu zünden an die Kerze hell;
Die thät durch Gott von selbst erbrennen,
Die Mörder da ihr Schuld erkennen.
Die Kerze brennt an seiner Seit,
Ein Wohlgeruch sich auch verbreit;
Sein Seel thät zu dem Himmel ziehen,
Die Mörder da erschrocken fliehen.
Aber die frommen Raben beid,
Die gaben ihnen bös Geleit;
Um ihre Häupter sie zornig kreisen,
Und ihnen Haar und Stirn zerreissen.
[173]
Durch Wolrau kamen sie gerannt,
Der Zimmermann die Raben kannt;
Da thät er seinen Bruder bitten,
Zu folgen ihren wilden Schritten.
Indeß lief er in den Finsterwald,
Sucht seinen lieben Gevatter bald;
Der lag erschlagen auf grüner Heide,
Die Kerze brannt an seiner Seite.
Er küßt ihn auf den blutgen Mund,
Hüllt in den Mantel ihn zur Stund;
Legt weinend ihn in die Kapelle,
An seines heilgen Altars Schwelle.
Und eilt herunter in das Land,
Sein Jammer allen macht bekannt;
Und schickt hinauf sein Kind und Frauen,
Nach ihrem heilgen Freund zu schauen.
Die Mörder fand er im Wirthshaus,
An der Schifflande zu Zürich draus;
Die Raben stießen die Fenster ein,
Und warfen um das Bier und Wein.
Die Mörder man ergriff und band,
Ihr Schuld, die haben sie bekannt;
Und bis hin auf den Scheiterhaufen,
Die Raben sie wohl hakken und raufen.
Der Abt zu Reichenau da hört,
Der fromm St. Meinrad sey ermördt;
Schickt auch mit Licht und Fahn viel Brüder,
Zu holen des St. Meinrads Glieder.
[174]
Und da der Leib zum Etzel kam,
Wo er gewohnt der heilge Mann;
Da war der Sarg nicht zu bewegen,
Sie mußten ihn da niederlegen.
Sein heilig Herz und Ingeweid
Sie da begruben zu der Zeit;
Den Leib sie dann mit Beten und Singen
Nach Reichenau zur Kirche bringen.
Wo er gestorben und gelebt,
Das Kloster Einsiedeln sich erhebt;
Für fromme Pilger ein Wunderquelle,
Quillt dort in St. Meinrads Kapelle.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Arnim, Ludwig Achim von. Gedichte. Des Knaben Wunderhorn. Band 3. St. Meinrad. St. Meinrad. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-0C0C-9