[214] Philander unter den streifenden Soldaten und Zigeunern im dreißigjährigen Kriege

Es war in der letzten Hälfte des verderblichen dreißigjährigen Krieges, als ich der Schule entwachsen von der damaligen jämmerlichen Not der armen Bauern in unsrer Gegend umher gar tief gerührt wurde. Da öffnete ich einmal meine stark angeschwollene satirische Ader und ließ eine Lobschrift zur Ehre der Soldaten und eine Schmähschrift gegen die Zigeuner im Druck ausgehen, die ich in der Freude meines Herzens unserm Stadtkommandanten Gordon zueignete. In froher Erwartung des besondern Danks, den ich dafür erhalten würde, wie ich ihm so freiwillig in die Hände gearbeitet, wurde ich an einem schönen Morgen in den hohen Turm gebracht. Dort war ich zum Glück bekannter als unser Stadtkommandant. Freilich ich aus frühern Jahren, ehe der Krieg in unsere Gegenden eingedrungen, wo ich mich oft auf der Stadtmauer mit den Falken herumgeschlagen, die ihre Jungen verteidigten, und gegen mich ihre rotschwarzen Rachen aufsperrten, als ich sie ausnehmen wollte; ich hatte mich damals oft in einen geheimen Gang geflüchtet, der in diesen Turm führte, jetzt flüchtete ich mich eben so sicher hinaus. Sobald ich den nahgelegenen Wald erreicht hatte, lief ich wohl vier Stunden immer zu, bis ich Abends, da die Sonne unterging, ein wenig Glast von Feuer aufsteigen sah; als ich hinzu ging, wurde ich eine alte Kirche gewahr, meinte, es würden darin einige arme Salzträger zu Nacht rasten, durch deren Hülfe ich auf den Weg gewiesen werden könnte, doch als ich mich der Tür näherte, waren schnaps zween Kerl hinten an mir, hielten mich bei den Armen, und die Pistolen mit aufgezogenen Hähnen mir auf die Brust, wenn ich nicht still wäre. Ich sprach: »Ja ihr Herrn, ich will schweigen!« da öffneten sie die Türe. Behüte Gott, was ein Elend und Jammer war in der Kirche! Neun gesattelte Pferde, meist Schimmel, standen da an einem langen Stuhl und fraßen ihr Futter aus Maulsäcken. Um das Feuer lagen eilf Kerls, teils gekleidet als Wenden, ihre Feuerrohre neben sich; weit davon auf zwanzig Bauern und einige andere Leute, die mit Stricken aneinander gebunden waren. O was Angst und Schrecken, ich meinte, die Soldaten aus unsrer Stadt hätten mich allda ertappt. Als aber einige aufwischeten und leise fragten: Wer ich wäre[215] und wo ich herkäme? merkte ich gleich, daß ich mich geirret, aber alles Leugnen war unnütz, da mich der eine, Battrawitz mit Namen, gleich erkannte, dem ich einmal bei seiner Gefangenschaft durch eine geschickte Verteidigungsschrift Zeit gewonnen, bis er Gelegenheit fand davon zu laufen. Das kam mir gleich zu gut, denn ich wurde nicht gebunden wie die andern, nur mußte ich versprechen, nicht auszureißen. Ich ging in der Kirche umher um zu sehen, wo ich mich eigentlich befände, konnte aber keine andere Inschrift als einen zerbrochenen Grabstein finden, an den Bauern angebunden; darauf standen die Worte: »Hier ruhen in Frieden ...« Da rief mich Battrawitz zum Feuer mit diesen Worten: »Freß Bruter, du mußt jetzt reitt.«

Ich war trefflich froh, denn mein zusammgeschnurrter Bauch hatte mir die Reise lange vorgeworfen. Nach einer halben Stunde waren wir alle auf, ungefähr zwei Stunden vor Tag und ritten bei blinkendem Mondschein also dem Gebürg zu. Battrawitz setzte mich hinter sich, aber ein Jammer war es anzusehen, wie grausam die andern armen Leute zu Fuß nachgestoßen wurden mit Peitschen und Säbeln; zween ritten hinterher, die sie forttrieben und zwischen vier Gebundenen waren zween wohlbewehrte Soldaten zu Fuß. Als wir nun ein vier Stunden im Gebürg gestampft, kamen wir in eine Wildnis hinein, in ein Tal, und war bei zwei Stunden auf den Tag, da suchten wir zwischen Hecken wiederum Lager, und wurden sobald zwei Schildwachen auf die höchsten Bäume gesetzt, wo man auf die Straßen sehen konnte und je zu zwei Stunden abgelöset, an welchem Ort wir bis drei Stunden in die Nacht blieben. Die gefangenen Leute litten große Not wegen des Hungers, also daß etliche Gras abropften, sich damit zu erlaben. Ich aber bekam des Tages zwei Stück Brot, drei Knoblauch, und ein wenig Salz, so mir Battrawitz ließ geben. Da dachte ich, wie mancher meiner Freunde isset und trinkt jetzt nach Verlangen, schläft, wenn er will und denket doch nicht einmal, daß er besonders hochgesegnet, dann dachte ich auch, wie weislich man tue, soweit es nicht gegen das Gewissen, sich jeden zum Freunde zu machen, denn ohne Battrawitz wäre ich nicht mit dem Leben davon gekommen. Zweie der Vornehmsten, Grschwbtt und Bobowitz, beides Kroaten, nahmen mich eben auf die Seite, was ich für meine Auslösung geben wollte, als eine Schildwache ein Zeichen gab. Es brachten auch zweie [216] einen Bauersmann, er trug ein Brieflein zwischen zweien Fingern, das aber keiner lesen konnte, sie brachten es mir, ich fand, daß es französisch mit griechischen Buchstaben war und ihnen anzeigte, er könne noch keine Nachricht geben, sie möchten noch warten. Sie wurden zornig, daß es nicht in ihrer Sprache geschrieben und fertigten den Boten ab. Nachdem ich ihnen diesen Gefallen getan, versprachen sie mir die Freiheit, wenn ich nicht bleiben möchte, doch sollte ich es erst eine Weile mit ihnen versuchen, und nicht hinterrücks von ihnen fortgehen. Nun wurden die Gefangnen einer nach dem andern vorgenommen. Ein Kaufmann aus Düsseldorf versprach hundert Taler, der andre Kaufmann aber versicherte, er wäre Bürger einer Stadt, die mit keinem Menschen Feindschaft hätte, und würde nichts zahlen. Nachdem man ihm hundert Streiche auf den Unterleib mit dem Hammerstiel gegeben, hat er die Neutralität aufgegeben und hundertundfunfzig Taler versprochen, die funfzig Taler mußte er für seine Schmerzen zahlen. Ein Bauer hoffte durch die Flucht zu entkommen, ersah seinen Vorteil, wurde aber zeitlich bemerkt, endlich sprang er aus Not in einen Weiher bis an den Hals, da saß er wie ein Frosch, nachdem er aber einen Schuß bekommen, bat er um sein Leben, wegen sieben kleiner Kinder, die er zu Hause verlassen; das Leben wurde ihm versprochen, wie er aber ans Land kam, spaltete ihm Battrawitz den Kopf mit den Worten: »Es ist besser, du sterbest Hund, als daß wir alle verraten würden!« – Drei Bauern schützten eine Unmöglichkeit vor etwas zu geben, da wurde dem einen ein Roßhaar durch die Zunge gezogen, womit sie ihn auf und nieder geigten; dem andern wurde ein Strick um die Stirn geknebelt, daß er wie besessen aussahe; dem dritten wurde Salz an die Fußsohlen gestreut, das ihm eine Ziege ablecken mußte, wobei er fürchterlich lachte. Ich bat den Battrawitz, daß er um Gottes Barmherzigkeit der armen Leute schonen möchte, er sprach aber im Zorn: »Wenn du viel Mitleiden haben willst, so bleibst du mein Freund nicht lange, der ist des Teufels, der Mitleiden hat.« –

Zwei Bauerknechte gesellten sich bald zu den Soldaten und mußten, wie es bei ihnen Brauch war, Gehorsam, Keuschheit und Genügen in Armut schwören. Da sprach einer, er wolle halten Gehorsam in Vitiat (Novitiat), Keuschheit im Mandat und Armut im Bad. Diese freche Rede gefiel allen so wohl, daß er noch eine Probe [217] seiner Tapferkeit machte und auf seinen Herren zusprang, weil der ihn oft bis aufs Blut gegeißelt hatte, ihm die Finger mit Treibschnüren zusammenband, und mit einem Ladestock zwischen seinen Fingern herumfuselte, daß der Bauer manchen Schrei tat, wobei ihm der Knecht ins Antlitz schlug, daß ihm das Gesicht ganz duster wurde; letztlich versprach ihm der Bauer ein Pferd und zehn Taler, da band er ihn wieder zu den andern und gab ihm ein Stück Brot: daraus sieht man, wenn man einen Bauern zu Grund verderben will, so muß man keinen andern als einen Bauern dazu nehmen. – Dies geschah, so weit ich aus dem Sonnenschein vermerken konnte, bis drei Uhr, da rief die Schildwache, er sehe den Klenkstein. Es war ein Schnaltzer von dieser Gesellschaft, ein Alchbruder, ein Schurke, aber der Teufel sag's ihm, ein Kundschafter im Lande daheim. Er zog ein kleines Brieflein als ein Kügelchen zusammengerollt aus dem einen Ohre, ich mußte es ihnen lesen. – »Zur Nachricht. Es sind vor zwo Schwärzen (Nächten) drei vor nehme Kummerer (Kaufleute) hiedurch auf schönen Klebs (Pferden) nach Mainz geschwänzt (gereist), die werden über drei Schwärzen (Nächten) wieder zurückschwänzen und etliche Gleicher (Mitgesellen) mit vielen baren Messen (Geldern) mitbringen. Sie haben bestellt, daß man ihnen Lehem (Brot), Keriß (Wein), gefunkelten Johann (Branntwein), Boßhart (Fleisch) und ein Strohbohrer (Gans) soll beißen (zutragen), denn sie wollen daselbst schöchern (trinken). Der Schöcherfetzer (Wirt) wird tapfer beißen (zutragen), und sie hier so lang mit Minkelen (langem Essen) aushalten, bis Ihr sie im Schöcherbeth (Wirtshaus) oder doch im Gfar (Dorf) auf dem Madium (Ort) habt. Alcht (trollt Euch) und boßt (schweigt). Gute Schwärze.«

Ich lase es, es waren mir eitel böhmische Dörfer, die Sprache lernte ich erst später. Alsbald ward den Pferden ein Futter gegeben, in einer Stunde saß man auf, ich ward wieder zu Pferde genommen, die andern Gefangenen mußten neben den Schnapphähnen zu Fuß nachlaufen. – Wir ritten fort bei sechs Stunden, bis wir in ein altes verbranntes Schloß einkehrten, wo schon seit Jahren kein Mensch gewohnt. Wir waren nicht über eine Stunde da, so kam ein Bauer, welcher dem Haar nach auch ein Soldat sein mochte, der brachte etliche Brote und bei zehn bis eilf Maß Wein in einem Fäßchen. Wir aßen und tranken bei einem kleinen Feuerlein, das [218] wir unter einem alten Schoppen gemacht hatten. Nachdem der Bauer gegen Tag mit einem Trinkgelde von zwei Dukaten wieder fortgelassen, zogen wir durchs Gewälde, so lang bis es wieder Nacht worden.

Einer, da wir noch einen Büchsenschuß zu reiten hatten, stieg von seinem Pferde, zog die Sporen ab und ging zu Fuß von uns, kam nach einer Weile und erzählete, daß der Schöcherfetzer (Wirt) am Ende des Gfars (Dorfs) hinter dem großen Beth (Haus) mit ihm gebarlet (redet) und gesagt, daß es eben richtig Zeit, denn die Gleicher (Mitgesellen) hockten und schlunten (schliefen) ohne Sorg in der Schrenzen (Stuben). Welche Worte alle ich damals nicht zu fassen wußte. Alsdann ritten wir alle fort, fort, fort, und kamen, wie mich deuchte, zur Hintertür eines Hauses, denn es war finster. Sie stiegen ab bis auf zween, so neben mir die Pferde halten mußten, die übrigen gingen zur Tür, die der Wirt offen gelassen, mit aufgezogenen Pistolen hinein. Ein einziger Schuß geschah zur Stubentür hinein, da waren die Leute schon vor Schrecken halb erstorben und ohne viel Wortmachen, wurden ihrer fünfe (der sechste war nicht zu Hause) gebunden, geknebelt und neben ihren Felleisen fortgeführt, zurück in das alte Schloß, dahin wir gegen Tag wieder einkommen und unsern gestrigen Bauer mit Brot, Wein und Fleisch antrafen. Aber der Arbeit dieser Pferde und Leute konnte ich mich nicht genugsam verwundern, denn ich ward so müde, daß ich tausendmal lieber geschlafen hätte, wiewohl sie alle noch frische Augen hatten wie die Falken. Wir machten uns lustig; sie sagten mir, da der Streich so wohl gelungen, sollte ich ihr Lied singen und bei ihnen bleiben. Dann teilten sie den Raub, der an Geld und Kleinodien etwa 3000 Rthlr. betragen mochte. Sie teilten ihn in drei Teile, einen für die Musketier, die im andern Walde der Gefangenen hüteten, den zweiten für gemeine Not, wo irgend einem ein Pferd zu Schanden ginge, den Teil bekam ich zum Aufheben; den dritten teilten sie unter sich, so daß jeder sechzig Taler an Wert bekam. Die Kaufleute versprachen noch nach vieler Marter jeder 80 Rthlr. zur Ranzion mit Ausnahme eines Doktors, der zum deutschen Kriegsvolke ziehen wollte, der versprach bei ihnen zu bleiben. Damit aber die Kaufleute nicht davon laufen könnten, nahmen sie ihnen den Nestel aus den Hosen, also daß sie mit einer Hand immer die Hosen halten mußten. Den Tag blieben wir da, und da sahe ich von der Höhe hinab in einem nahgelegnen [219] Weiher, der trocken lag, weil das Wasser abgelaufen, vier Bauern als Pferde an einen Pflug gespannt, daß mir Herz und Augen übergingen, wie elend die Leute ihr Leben erhalten mußten und doch so grausam ums Geld gemartert wurden, aber öffentlich durfte ich mir kein Mitleiden anmaßen.

Gegen Nacht zogen wir weiter; vor Tag kamen wir müde zu unsern Gesellen im Walde und zogen zwei Stunden ins Land hinein zu einem Städtlein, mit dessen Meier und Bürgern wir gute Kundschaft hatten. Darum wurden wir eingelassen, die Tore nach uns zugeschlossen, die Gefangnen in einer Stube zusammen gesperrt, einige Wachen ausgestellt; so schliefen wir bis drei Uhr, wo der Wirt gar ein köstliches Essen, Wildbret, Geflügel, Fische und den besten Wein im Saale aufgetragen hatte. Hieher kam bald der Wirt, der uns die Kaufleute verraten hatte, stellte sich, als ob sein Haus wäre geplündert worden und verlangte, daß man die Reiter in Haft nehme. Die Reiter wiederum stellten sich, als ob sie ihn totschlagen wollten, doch waren die Streiche von Flaumfedern, zuletzt verglichen sie sich, daß er zwanzig Dukaten zum Abstand nehmen und weiter nichts an sie suchen wollte. Ich mußte ihm dieses Geld aus dem gemeinen Säckel zahlen, es war das Trinkgeld seiner Verräterei. Die Nacht über waren wir mit ihm dort sehr lustig und ich gedachte, was für ein Trinkgeld die bekommen, die aus Tag Nacht und aus Nacht Tag machen.

Um Mittag kam ein Bote das Land herauf mit einem Brieflein in einer Erdscholle eingeballt, damit er es unvermerkt beiseite werfen konnte, es kam von einem Vogte, der lange von unsern Reitern verfolgt worden, und sich nun wieder beliebt zu machen suchte. Ich mußte das Brieflein vorlesen. »Riobo Hollom; oß wild abol nelgom flaoha oim Schiff nit ajorom wuhlom, glessol buhlschufft and rattom aem himmom mueh Trier gohom, duß nommont sie urros hubom. zar sicholheit hub ich ihmom noimom sehm zan pfumdt goschickt. W.«

Keiner konnte das verstehen, bis es der Doktor durch Versetzung der Vokale und Konsonanten herausbrachte, es hieß aber: »Liebe Herren, es wird übermorgenfrüh ein Schiff mit vielen Waren, großer Barschaft und Leuten von hinnen nach Trier gehen, das können Sie alles haben. Zur Sicherheit habe ich Ihnen meinen Sohn zum Pfand geschickt. W.«

[220] Sogleich ward der Bote auf Begehren wieder aus dem Städtlein gelassen, welcher in einem Garten des Vogts Sohn abholte, der zwar von uns trefflich gastiert, aber doch bis zu unsrer Rückkehr in Verwahrung gelassen wurde. Die Gefangnen wurden dem Meier für fünfhundert Taler überlassen, der aber wohl achthundert Taler nachher von ihnen erpreßt hat. Neune mußten von uns sich zu Pferde setzen, unter denen der Doktor und ich, ein jeder ließ einen Schnapphahnen hinter sich sitzen, teils mit langen Feuerröhren teils mit Bürst und gezogenen Röhren bewaffnet. Wir ritten die Nacht durch bis gegen Tag und kamen in ein andres Städtlein, da wir gar sicher waren, weil die Besatzung uns jederzeit zugetan gewesen, da blieben wir wieder bis Nacht und waren trefflich lustig. Darnach saßen wir auf und kamen bei drei Meilen hinunter am Wasser, allda wir uns in einem leutelosen Dorfe in einer alten Scheuer stellten, und unsre Feuerröhre an das Wasser in Buschkade legten. Alles aber besser zu ordnen, so setzten drei durch eine Furt über das Wasser auf die andere Seite.

Als nun gegen acht Uhr das angezeigte Schiff herabkam und unsre drei Reiter sich jenseit sehen ließen, waren die guten Leute geschäftig herüber zu kommen auf die Seite, wo unsre Buschkade lag. Zu allem Unglück ist aber einem sein Rohr, dessen Zünglein bloß an eine Weidenrute gerühret, losgegangen, als sie eben anlanden wollten, da wurden sie unsrer gewahr und haben sich wieder zu Wasser begeben. Doch in dem die drei Reuter drüben mit Pistolen und einem langen Rohre auf sie losbrannten, bearbeiteten sich die armen Leute mit Rudern, so gut sie konnten, uns in der Mitte des Flusses also zu entkommen. Das wäre möglich gewesen, wenn nicht die Unsern beständig Feuer in das Schiff gegeben, wodurch einige erschossen wurden. Die unschuldigen Leute, unter denen auch Weiber und Kinder, wurden endlich dadurch so bestürzt, daß das Rudern nicht mehr ordentlich ging, daß sie aber auch des Schießens nicht mehr achteten, bis das Schiff, das an einigen Orten von den Kugeln durchlöchert war, anfing zu sinken, unter grausamem Geschrei! Ein erschrecklicher Anblick! O Gott, des Elends, das Wasser war außer zwo Furten sehr tief, und so sahen wir sie vor unsern Augen alle plötzlich untergehen! Es waren aber die Vornehmsten unsrer Gesellschaft so unsinnig, weil ihnen solche Beute so liederlich aus den Händen gegangen, daß sie sich verschworen, [221] daß sie sich des Schadens ergetzen möchten und ob auch einer einen Paß von unserm Herr Gott selber habe, er doch ungestrippt nicht durchkommen sollte. Denn das hatten sie in der Gewohnheit, wo sie hinkamen und nichts mitnahmen, so meinten sie allemal, sie hätten was verloren. Es war aber unfern ein Kloster, in dieses kamen wir mit List, und als sich die Herren mit Güte nicht abfinden wollten, wurden sie zusammengekuppelt und für öffentliche Feinde erklärt. Ein Diener bekannte auf der Marter, daß die beste Barschaft unter einem Grabsteine verborgen, da ging es an ein Suchen in den Gräbern und wurde mit den Totenbeinen schön herumgeklappert. Der Abt, der diesen Greuel sah, hielt indessen eine schöne lateinische Rede, deren die Gesellschaft herzlich lachte, nachdem sie wohl 1500 Dukaten zusammengeschleppt hatte. Wir fütterten beiderseits Menschen und Pferde und zogen ohne Rechnung zu machen davon und zurück zu unserm Städtlein, wo des Vogts Sohn mit zwölf Dukaten Trinkgeld abgefertigt wurde. Da hatte ich nun Zeit mit dem Doktor zu disputieren, ob alle die Menschen, die in dem Schiffe eines Todes gestorben, einerlei Geburtsstunde und Himmelszeichen gehabt hätten. Während wir nun darüber so sprachen, ob ein Mensch sein Gestirn wohl bezwingen könnte, mußten wir auf, es war ein Brieflein gebracht worden in einem Eichenlaub zwischen zwei Blättern mit grüner Seide eingenäht, das der Doktor vorgelesen hatte; ich aber wußte nicht, wohin es gehen sollte. Als es Tag war, ersahe und erkannte ich, daß ich auf meinem Mist war und sicher bei dieser Gelegenheit einem Bekannten wider meinen Willen ein Leid zufügen müßte. Und das traf ein, es war mein bester Freund, der schwarze Amtmann, den wir bemausten. Er stand mit dreien Röhren und einem Fäustling schon etliche Jahre Wache, wenn seine Knechte ackerten. So mußte er mit Gefahr des Lebens den Kindern das Brot verdienen, aber seine drei andern Schildwachen waren diesmal saumselig und wurde sein Vieh überrascht, ich täte als wenn mein Rohr versagte, sonst wäre er mit dem Leben nicht davon gekommen, doch ist er durch den Mangel an Vieh bald darauf verarmet. In einigen Tagen waren diese Pferde und Ochsen durch die Gurgel, denn es war weder Schutz noch Gedeihen dabei und mußten uns oftmals selbst krank und den Tod daran fressen, das machte der Segen, so darüber gesprochen war, aber sonst war eine Fröhlichkeit in der verfallnen [222] Kir che, wo wir wieder übernachteten, auch kein Mangel an Spielleuten und Weibern, die für Geld herumschweiften. Der Doktor brachte alles vor, was er nur an Trinkliedern wußte und gab es für seine Erfindung aus, um das Stehlen auch mitzumachen, ich aber machte einen eignen Gesang auf die löbliche Gesellschaft, nachdem ich ihnen beim Trunke ihre Feldsprache abgedrungen hatte, die sie mir gar ungern beibrachten und nach vielem heimlichen Gemurmel unter einander. Mein Gesang aber lautete:


Die löblich Gesellen zwischen Rhein
Und der Mosel allzeit rüstig sein,
Nach Unfall sie nicht fragen,
Das Terich (Land) hin und her
Lang breit, durch und die Quer,
Zu Fuß und Pferd durchjagen,
Frisch sie es wagen,
Kein Scheuen tragen!
Über hohe Berg durch tiefe Tal
Fallen sie oftmals wie der Strahl,
All Weg ohn Weg sie finden,
Zu düstrer Nachtszeit,
Wann schlunen (schlafen) andre Leut
Sie alles fein aufbinden,
Ohn Lichtanzünden,
Bleibt nichts dahinten.
Laffal, der weiß gar fein auszusehn,
Wo irgend in einem Gfar Klebis (Pferd) stehn,
Wann's wär auf zwanzig Meilen,
Beim hellen Mondenschein,
Die Gleicher insgemein
In einer kurzen Weilen,
Sie übereilen
Und redlich teilen.
Battrawitz, der alcht (geht) zur Hintertür hinein,
Bobowitz satzt sich hinter ein Haufen Stein
Mit den andern Gesellen;
Den Quin (Hund) ruft er klug,
Und brockt ihm Lehm (Brot) g'nug,
[223]
Daß sie nicht sollen bellen,
Bis auf den Ställen
Sie Klebis schnellen.
Wenn sie nun haben die Hautzen (Bauer) Roß,
So reiten sie nach dem neuen Schloß:
Ist jemand, der will kaufen?
Der Putzjakala
Ist müd und liegt da,
Weil er sich lahm gelaufen,
Schier nicht kann schnaufen,
Drum will er saufen.
Herr Wirt: Nun so laß uns lustig sein,
Lang mir den Glestrich (Glas) vom besten Wein,
Um Drulmeß (Pfennig) darfst nicht sorgen;
Ein halbe gute Nacht
Uns all zu Sontzen (Edelleuten) macht,
Du kannst uns ja bis morgen
Die Irtin (Zeche) borgen,
Der Hautz muß sorgen.
Ist das nicht wunderlich Gesind,
Daß der Hautz sein Schuh mit Weiden bindt,
Und da die Zech muß zahlen?
So lang er hat ein Kuh,
Die Klebis auch dazu,
Die Rappen mit den Fahlen
Wir allzumalen
Durchs Giel (Maul) vermalen.

Dieses Lied wurde von allen durch Aufschlagen auf den Altar, der unser Tisch war, sehr gelobt, und wie das Lob die Frommen zum Guten, die Bösen zum Bösen desto beherzter macht, also gab ich ihnen allen Rat, sie sollten den Stadtbeamten und den Kommandanten meiner Stadt, mit dem sie sich gut standen, auf den andern Tag zu Gaste bitten. Dieses geschahe, wie waren aber die Herren verwundert mich da zu finden, den sie eingesteckt, und erwarteten nichts Guts. Ich aber sprach ihnen freundlich zu mit einem Glase Wein und der Stadtkommandant Gordon sang dazu ganz aufgeräumt:


[224]
Juch, dien ich dem, so krieg ich kein Geld,
Dien ich dem andern, so haßt mich die Welt
Dien ich zu Wasser, so wird mir's zu lang,
Dien ich zu Felde, so hab ich's kein Dank,
Ich weiß mir einen Helden zu Feld,
Der sich hier bei uns hält,
Dem laßt uns dienen ohne Geld,
Denn er läßt uns stehlen, wo es uns gefällt.
Und darum:
Frisch unverzagt, beherzt und wacker,
Der scharfe Säbel ist mein Acker,
Und Beutemachen ist mein Pflug,
Damit gewinn ich Gelds genug.
»Ja freilich«, sprach der Schultheiß, »das erfahren wir armen Bauern wohl.
Denn Bauerschinden ist dein Pflug
Und doch hast du nicht Häut genug!
Und einerlei ist Freund und Feind,
Hat einer Geld, der andre keins.

Es ließe sich viel darüber sagen.«

»Heraus mit der Red«, sprach Bobowitz, »der ist des Teufels, der nicht alles sagt, was er weiß.«

»Ho ho nein«, sprach der Schultheiß, »ich hab mit dem Herrn Hauptmann hier zu tun; er wollt vorher wissen, warum wir deutsche Bauern und Bürgersleute unsre Freunde und Feinde fast in gleichen Ehren halten?«

»Aß ist eban also«, fiel ein Bauer ein, »wirr Harran sien salbsbscht schlauli dron, ihr halten uns eban all wy Feing.«

»Du hast recht, Bauer«, sprach der Hauptmann, »weißt du aber auch woher es kommen, daß wir so gar kein Glück mehr auf unsrer Seite haben.«

»I willsy währly wohl soga, wannyrr mier nischt thuon wara.« Doch will ich die Worte, die er auf gut kochenspergisch vorbrachte lieber in verständliche Sprache übersetzen. »Vorzeiten, wenn man hat zur Feldschlacht oder zu einem Scharmützel gehen wollen, so [225] hat's geheißen: ›Wir wollen fort in Gottes Namen! Nun ihr Brüder, fort in Gottes Namen! ein jeder sprech ein Vaterunser und befehle sich Gott, denn der Feind ist da, es wird jetzt an ein Treffen gehn. Nun Gott helf! haltet euch redlich ihr Brüder und denkt an Gott und an unsern gnädigen Herrn, und tut alle das Beste.‹ Da hat's denn golten, und ist Glück dabei gewesen. Aber jetzt, da heißt es: ›Botz hunderttausend Sack voll Enten. Auf ihr Burschen, daß dich der Donner und der Hagel mit einander erschlag, in die Wehr, der Feind ist da. Drauf ins Teufels Namen. Fort ihr hundert Safferments Bluthunde, daß euch's Wetter erschlag, drückt draf. Gebt Feuer, daß euch der Hagel erschlag ihr Bursche alle mit einander. Halt Trupp, daß dich botz hunderttausend Safferment schände‹, und was dergleichen schreckliche Morgen- und Abendsegen mehr sind. ›Stehet auf, daß euch der Hagel erschlag. Marschiert, daß euch der Donner erschmeiß. Freßt, daß euch's der Teufel gesegne. Sauf, daß das höllisch Feuer in den Hals fahr. Legt euch nieder, daß euch der Teufel mög holen!‹ – Wie wollt ihr dabei Gottes Segen zu hoffen haben?« »Der Bauer redet, der Teufel hol mich, recht!« sprach der Kommandant. – »Aber wie soll einer beten?« sprach Laffal, »was sind's für Wort, der ist des Teufels, der so viel Wort könnt behalten.« – »Der ist des Teufels«, sprach Bobowitz, »der so lang beten könnte.« – »Wenn ich des Morgens aufstehe«, sprach Grschwbtt, »so spreche ich ein A B C, darin sind alle Gebete begriffen, unser Herr Gott mag sich darnach die Buchstaben selbst zusammen lesen und Gebete draus machen wie er will, ich könnt's so wohl nicht, er kann es noch besser. Und wenn ich mein A B C gesagt hab, so bin ich gewischt und getränkt, und denselben Tag so fest wie eine Mauer!« – »Und ich«, sprach Bobowitz, »morgens ehe ich aufstehe, so streck ich mich einmal aus, daß mir alle Glieder knacken für meinen Morgensegen, das tut mir den ganzen Tag wohl im Leibe. – Und du Philander, was tust du, ehe du aufstehst?« – »Ich leg mich nieder«, sprach ich. – »Philander wird gut werden«, sprach Grschwbtt, »wenn er noch eine Zeit bei uns bleibt.« – »Und ich«, sagte Battrawitz, »mache es wie mein Vater Parra. Denn als ich in die Welt geboren worden, war ein großes Gefest; mein Vater wußte nicht, was für einen Helden er zu einem solchen großen Wust zu Gevatter bitten sollte, letztlich gedachte er, wenn er den Tod zum Freund haben möchte, so würde er auf Erden immer [226] leben, denn des Himmels hat meine Freundschaft nie viel geachtet. Darum, so bat er den Tod zu Gevattern; der Tod, welcher den Possen bald merkte, bedankte sich erstlich und sprach: ›Mein Freund Parra, ich halt mir's zwar für eine Ehre, daß du mich meines alten Rechtes würdigst, welches will, daß sobald ein Mensch geboren ist, er meiner Gewalt untergeben sei, solcher Freundschaft erkenne ich mich hoch verbunden und tue dir hinwiederum zu Gefallen, was du von mir bitten magst, nur allein die Unsterblichkeit begehre nicht von mir, denn die kann keinem Menschen auf Erden gegeben werden.‹ Welcher letzten Worte mein Vater zwar erschrak, aber als ein schlauer alter Schelm, sprach er: ›Ja lieber Gevatter Tod, ich verstehe es wohl, daß Ihr keines Menschen verschonen mögt, aber gleichwohl eine Bitte könnt Ihr mir vergünstigen, ehe ich sterbe.‹ – Der Tod, der sonst wie der Teufel schwer zu betriegen ist, sprach gleich hin ohne ferneres Nachdenken: ›Ja das sei dir vergönnt, es wäre auch, was es wolle; was ist es denn?‹ – ›Ach gnädiger Herr Gevatter Tod, daß Ihr mich nicht eher töten wollt, bis ich zuvor ein Vaterunser gesprochen habe.‹ – ›Ja wohl‹, sprach der Tod, ›das sei dir in die Hand versprochen, daß ich es dir fest halten wolle.‹ – ›Dann ist der des Teufels‹, sprach mein Vater, ›der sein Lebtag mehr ein Vaterunser betet.‹ – Dessen der Tod erschrak und ich glaube mein Vater lebt noch, es sei denn, daß ihm seither irgend ein Vaterunser im Trunk möchte entwischt sein.«

»Ihr Herren, ihr Herren«, sprach ein Beamter, »gottlos Reden und Leben hat noch keinem genutzet, und fleißig gebetet hat noch keinem geschadet.«

»Ihr Herren«, sprach der Schultheiß, »wisset ihr auch, welcher der frömmste Soldat sei?« – »Der ist des Teufels«, sprach Laffal, »der der Frömmste ist.« – »Ich hatte neulich drei junge lebendige Wölfe zu verkaufen«, sprach der Jäger, »da fragte mich einer, welcher der beste sei? ›Ei Herr‹, antwortete ich, ›ist einer gut, so sind sie gewiß alle gut.‹ Aber wer ist nun der Frömmste!« – »Wenn's keine Ungelegenheit gibt«, sprach der Schultheiß, »so will ich's sagen, der Frömmste hat eine Kuh gestohlen.« – Die Rede gab ein großes Gelächter, dieweil ein jeder da der Frömmste sein wollte, denn der eine schwor, er hätte 300, der andre 500, Bobowitz aber hatte den Preis von allen gestohlen. Indem wir in diesem Gespräche waren, kamen zween zerlumpte Gesellen zur Tür hinein [227] getreten, deren einer schon ein Vierteljahr in Eisen gelegen und den Stadtknecht mit Gelde bestochen, daß er des Tages zuvor, ehe er sollte gehenkt werden, mit ihm ausrisse. Jener, er hieß Zwerch nach seinem Feldnamen, sobald er den Schultheiß ersahe, erkannte er ihn, weil er ihn auch einmal gefangen gehalten und bot ihm die Hand. Der Schultheiß aber kannte ihn nicht wieder, meinte auch nicht, daß er Soldat, und sprach: »Wie sollte ich diesen Händen da meine Hand bieten, diesen Händen da, die so viel unschuldiges Blut vergossen, so viel Häuser angezündet.«


ZWERCH: So muß man es euch Bauern kochen, anders kann man euch nichts herbeibringen.

SCHULTHEISS: Ho ho, du bist so wild nicht, wie du dich stellest.

ZWERCH: Ich meinte, du hättest es genug erfahren, Bauer, daß so viel gute Worte ich dir jetzt geben hab, so viel Teufel sind in mir, wenn ich mich erzürne.

SCHULTHEISS: Der Teufel muß dir mächtig viel schuldig sein, weil du ihm so treulich dienst.

ZWERCH: Wenn ich könnte, ich wollte die ganze Welt in einem Streich niederschlagen.

SCHULTHEISS: Hast du denn gar kein Erbarmen?

ZWERCH: Der ist des Teufels, der sich über einen Bauren erbarmt, wer einmal einen niedergemacht hat, der wird so voller Teufel, daß es ihm eben ist, als ob er einen Hund erschösse, wenn er einen Menschen niederlegt, oder einen Bauren büchset und gibt mir eine rechte Lust, wenn ich sehe das Blut also herausspringen.

SCHULTHEISS: Das ist eine verdammte Lust, die du dir da selber gibst.

ZWERCH: Der ist des Teufels, der nicht alles niederschlägt und insonderheit die Bauern, ich sehe wohl, du kennest mich nicht mehr, bis ich dir deine Schweine und Kühe noch einmal abnehme.


Bei diesen Worten erkannte ihn erst der Schultheiß, daß er ihn schon bestohlen und meinte, weil er bei uns gut am Brette wäre, so möchte er sich an ihm wohl rächen und schlug nach ihm. Aber der Zwerch, der dieses Schimpfs nicht gewohnt war, wollte den Schultheiß gleich niederstoßen. Der Schultheiß wurde von uns in der Sakristei versteckt; aber da sollte man den Jammer des Zwerch gesehen haben, er raufte sich selbst die Haare aus, bisse sich die [228] Lefzen und Finger, daß das Blut danach liefe, es war kein Fluch so französisch, den er nicht mit viel Galgen und Millionen multipliziert hätte. Wir baten ihn, das entsetzliche Fluchen einzustellen. »Der ist des Teufels, der nicht flucht«, sprach er, also daß wir still schwiegen, bis er aufhörte zu toben. Nach langem Wesen brachte man ihn wieder zum Tisch, da hatte zwar das Fluchen etwas nachgelassen, da donnerte es aber noch von fern mit »Mortbieu, Testebieu, Corbieu, tausend Sack voll Enten, daß dich der Donnerstag, daß dich der Hafen erschlag, botz Zink, botz Zäpfel, botz Zähholz, botz Zucker.« Um nun dem tollen Narren, dem Zwerch, die Grillen zu vertreiben, ließ Putzjakala noch mehr Spielleute auf seine Kosten kommen und ging alles zu unterst und oberst mit Tanzen, da es der eine auf welsch, der andere auf deutsch, der dritte auf krabatisch, der vierte auf polnisch machte, und an wem die Reihe war, dem mußten die andern nachfolgen mit diesen Worten: »der ist des Teufels, der nicht mitmacht.« Da kamen genug Weibsleute und es schien ihnen alles so recht ordentlich, wie es da zuging, mochte wohl manche nachher aussagen, der Teufel habe sie im Walde beim Holzlesen versucht. Der Doktor sang aber zuletzt noch, worauf alle mit tranken:


Mein Freund, dir will ich eins singen
Von dem lieben, süßen Wein,
Doch noch dieses dir vorbringen:
Holla Jung schenk eines ein.
Denn mein Tun besteht im Trinken,
Wo mir mangelt an dem Wein,
Will mir Herz und Seel versinken,
Komm Jung schenk uns noch eines ein.
Die Gesundheit soll umgehen
Aller, die stets durstig sein,
Keiner laß die vor sich stehen,
Du und ich sind nicht allein.
Jung laß hier die Leuchter bringen,
Liebster Bruder, gute Nacht,
Mein Gesang will nicht mehr klingen,
Hapus, Hapus gute Nacht.

[229] Da trat der Doktor zu mir, als er sahe, daß ich von dem vielen Getöse und Trinken und seinem schlechten Gesinge ganz traurig in einem Beichtstuhle da saß; die Herren aus der Stadt waren indessen zurück gegangen. Bobowitz und Laffal, die das von uns verdroß, daß wir uns so absonderten, ließen ein spitziges Glas bei fast zwo Ellen hoch einschenken und brachten uns beiden das zu: auf Gesundheit des frömmsten Soldaten. Als wir uns des großen Geschirrs entschuldigten, sprach Bobowitz: »Der ist des Teufels, der's nicht sauft.« Ich aber verschwor mich, daß ich es nicht könnte, weil ich schon so viel getrunken. Bobowitz verschwor sich hingegen, wo ich es nicht trinken würde, so müßte ich des Todes sein. Battrawitz kam zwischen und sprach, ich sollte einen Tropfen wegschütten, so wäre mein Schwur erfüllet, und würde sich Bobowitz auch nicht zu beschweren haben. Bobowitz wollte aber hierin nicht willigen, ich müßte des Todes sein, wenn ich was ausschüttete, ich sollte ein Tröpflein am Boden lassen, das wolle er zugeben. Der Doktor, ein kleines Männlein, aber herzhaft genug, sprang auf: »Was, Bobowitz, meint Ihr, daß wir nicht Manns genug, wider Gewalt uns zu schützen, daß Ihr uns also dräuet als einer feisten Gans.« – »Was willst du Schriftling, du Blattvogel?« antwortete ihm Bobowitz, »mach nur die Gurgel fertig das Glas auszusaufen, oder du mußt sterben!« – »Ich bin ein klein Männchen«, sprach der Doktor, »aber du wirst einen Mann an mir finden; der ist des Teufels, der sich vor einem Großen fürchtet.« Darauf fing er auch an zu singen um die Leute auf andere Gedanken zu bringen:


Vermeinst du, daß ein kleiner Mann
Sein Faust nicht auch gebrauchen kann,
Und wohl sobald ein Tat im Feld
Verbringet als ein Doppelheld?
Darum, ob ich schon klein dasteh,
Und dir kaum an den Gürtel geh,
Sollst du mir doch bald sehen an,
Ich sei sowohl als du ein Mann.

Doch dieser Gesang verdroß den Laffal sehr, der sprach: »Was willst du Schriftling wissen, du hast wohl noch keinen toten Mann gesehen, als in der Zeit, da du bei uns Federn bekommen.« – »Mein, [230] ihr Herren«, sprach ich wieder, »ich habe schon als ein kleiner Bube meinen Ort verteidigt, mich als ein rechtschaffner Soldat gehalten, wo ihr noch von der Mutter die Rute bekommen.« – »Sauf du fort«, sprach Bobowitz, »sauf rein aus, oder es wird dir übel gehen.« – Indem schüttete ich meinen Schwur zu erfüllen ein Tröpflein aus dem Glase, es konnte aber noch nicht ausgeschüttet sein, so hatte ich eine ungeheure Maulschelle von dem Bobowitz, gegen den ich aber Wein und Glas in das Gesicht stieß, daß ihm das Blut darnach lief und mir der Fuß des Glases in der Hand blieb, allwo ich noch das Zeichen trage, warf auch den Fuß nach ihm, der aber Laffaln, der dazwischen trat, das Knie traf, daß er blutete. – Die Streiche waren kaum geschehen, als es uns schon allen gereuete; Bobowitz ward von allen gescholten, daß er solche unnötige Gesundheit ausgebracht, und wäre keiner blutig gewesen, der Streit wäre durch einen Trunk beigelegt.

So aber sprach Bobowitz, wenn ich ein redlicher Kerl wäre, so sollte ich morgen erscheinen, er wolle meines Bluts auch sehen und wer den andern könnte schlafen legen, der sollte den Preis haben. Darauf gab ich ihm die Hand und brachte ihm eins zu, welches er mir Bescheid tat. Laffal war auch heftig an den Doktor gekommen, weil er ihm Schuld gab, er hätte mit seinem dummen Liede allen den Streit gestiftet, er wollte ihn dafür mitten von einander brechen und mit ihm bis Ungarn laufen ohne Ausruhen, und ihn da statt Brot in der Suppe fressen. Der Doktor aber hatte ein gutes Herz und beschied ihn auf morgen, da gab ihm Laffal die Hand und sprach: »Schlaf und befehl dich auf morgen, ich aber befehl mich jetzt und morgen in meiner Liebsten Gnad und Huld!« – Wobei er ein rotes Taftband, das an seinen Hut geknüpft, küßte. – »Und du«, sprach Bobowitz zu mir, »gute Nacht Philander, in des Raben Magen kommen wir wieder zusammen.«

Ich lag diese Nacht mit dem Doktor zusammen hinter einem Baum, da unterredeten wir uns wegen morgen. Der Doktor sagte, er wüßte einen Stoß, den ihm Laffal schwerlich ausschlagen würde, er wollte ihn von hintenzu durchstoßen, ehe er es könnte gewahr werden. – Ich mußte des Doktors lachen, so unlustig ich war und sprach: »Pfui das ist ein häßlich Stoßen, von hinten zu, hauet und stoßt ihm nach dem Gesicht, so wird er fliehen.« »Nun, nun«, sprach der Doktor, »ich hab's mehr probiert, wir wollen morgen sehen.«

[231] Des andern Morgens um sieben Uhr, nachdem wir jeder ein halb Maß Wein getrunken, und uns Gott befohlen, gingen wir vors Holz auf eine Wiese, unsre Gegner kamen bald hernach, waren aber plumpvoll und stellten sich fast unsinnig. Ich nicht faul zog gleich vom Leder, aber aus Unbedacht, der in solchen Fällen sehr gewöhnlich, stellete ich mich in eine flache Tiefe und Bobowitz stand wohl einen Fuß höher. Wir fochten eine Weile und liefen zuletzt mit einander ein, daß beide Degen neben dem Leibe hingingen. Bobowitz warf gleich seinen Degen beiseite und ergriff mich in der Mitte, warf mich zu Boden, und stieß mir mit den Knien gegen das Herz, als ob er mich radbrechen wollte. Ich aber behielt meinen Degen in der Faust und stieß ihm mit dem Kreuz so lange auf den Kopf, bis das Blut darnach rann. Er stieß aber unverdrossen mit seinen Knien auf mein Herz. »Das ist nicht redlich gehandelt«, schrie ich, »Bobowitz du bist ein Mörder.« Auf diese Worte sprangen die andern herzu und machten mich los, und hatte er mich zwar übel zugerichtet, aber es tat mir doch wohl, sein Blut zu sehen, dessen er wollte unsinnig werden. Bobowitz schwor, daß mich das Almosen errettet, was ich einmal den Bauern gegeben, es hätte ihn einer von hinten fest gehalten, als er mir den Todesstoß mit dem Knie geben wollen. Darauf kamen der Doktor und Laffal an einander. Der Doktor mußte dabei gewesen sein, denn er sprang herum wie eine Atzel, bald auf diese, bald auf die andre Seite, es konnte sich der Laffal, der dicken Leibes, so geschwind nicht wenden, daß er den Doktor recht zu Gesicht bringen mögen, bis der Doktor endlich seinen Vorteil ersah und dem Laffal einlief und ihm von hintenzu den Degen in das Dicke stieß, daß er zu Boden sank, ehe er's innen worden. Der Laffal schwur, daß er sich schon rächen wollte, dazu war aber keine Zeit, denn Zwerch hatte in der Morgenzeit, um sich an dem Schultheiß zu rächen, ihm zwei Stück Ochsen, die im Felde pflügten geraubt, es kam bald ein Bürger mit einem Schreiben des Kommandanten Gordon, das ich vorlesen mußte.


»Hochedle gestrenge Herrn! Daß die Herren heute unserm Schultheißen sein Vieh abgenommen, hätte ich mir gestern nicht versehen. Wollen die Herren aber die Fehde also fortsetzen, daß ich das Vieh Ihrer Bauern am Gebirge dagegen forttreibe und Sie das hiesige ungehindert, so wird es uns beiden zu statten kommen, [232] weil doch die Bernhäuter keinerseits dem redlichen Soldaten mit Liebe was zugut kommen lassen. Meiner Herren dienstwilliger Knecht, Gordon.« – Hierauf mußte ich sogleich antworten: »Vielgeliebter Herr, Ihr gütiger Vorschlag wegen Plünderung der gegenseitigen Bauern, zu denen wir kommandiert sind, scheint uns durchaus wohl überlegt und zuträglich. Wir geben unsre Einwilligung und werden nächsten Sonnabend wieder an die Stadt kommen.

Battrawitz, Hauptmann.«


Auf dieses Schreiben erhielten wir von dem Burgemeister der Stadt, wo inzwischen eine andre Garnison eingerückt war, die unerwartete Antwort:


»Meine Herren, Ihr unvermutetes Schreiben an unsern schnell ausmarschierten Stadtkommandanten Gordon haben wir von unserm Mitbürger erhalten. Es wird darin über unser weniges Vieh verhandelt, daß uns die Augen übergehen möchten. Es ist zum Erbarmen wie unser eigner bisheriger Kommandant uns über die gewöhnliche Art als Wachten, Festungsbau, Botenlaufen, Essen geben, Service geben noch an freiwilligen Geschenken ausgesogen hat. Haben uns nach der Herren Schreiben also gerichtet, daß wir hoffen, Gott, der uns von unserm Kommandanten befreit, werde uns auch vor Ihrem unchristlichen Beginnen schützen.


Euch schwöre ich Ihr Potentaten!
Gott, der an dem Bürgersmann
Kleine Sünde strafen kann,
Wird all diese böse Taten,
Dieses Morden, Raub und Brand,
So geschieht in Eurem Namen,
Fordern einst von Eurer Hand.

Der Burgemeister.«


Keiner von uns wollte erst reden wegen dieses Schreibens, so überraschend war es uns; ich gab meinen armen Stadtleuten von Herzen recht, durfte mir aber nichts merken lassen, denn alle andern waren entschlossen, sich auf eine recht schreckliche Art an meiner guten Stadt zu rächen während die Garnison ausmarschiert sei. Ein Bauer, den sie eingefangen, behauptete, daß sie mit einer Leiter von vierundzwanzig Sprossen die Mauer recht gut hinauf [233] könnten, die wurde angeschafft. Ich meinte gleich, daß sie zu kurz sein würde, sagte aber kein Wort. Dann brachen wir gleich auf, um uns in dem Walde bei der Stadt zu verstecken. Ich wollte vorher noch ein halb Maß Wein trinken, Brot und Fleisch im Bauche haben. Battrawitz sagte aber, ich wär ein Höfling, ein Suppierer, ich könnte nicht anders reiten, als wenn ich Sporen im Leib hätte. – Ich antwortete, es wäre nicht meinetwegen, sondern wegen des Pferdes, als auf welchem ich viel leichter wäre, wenn ich gegessen. – Der Doktor sprach auch: »Es ist wahr, ein toter Mensch ist schwerer als ein lebendiger, und ein hungriger ist nichts besser als ein Toter.« – So aßen wir denn noch und kamen gegen Abend vor die Stadt auf den Berg; ich konnte meines Vaters Haus sehen und wie mein Vater sich davor in die Sonne gesetzt hatte. Ich betete, daß unser Streich verunglücken möchte. Gegen zehn Uhr kamen wir mit der Leiter unter die Stadtmauer. Die Schildwache ward erst nach langem Rufen abgelöst, woraus wir schlossen, es müsse die Wache schlafen, oder beim Spielen so geschäftig sein, daß sie nicht hören könne. Der aber ablösete, trat frisch auf und fing nach einer Viertelstunde an zu singen:


Gott ist der Christen Hülf und Macht
Und feste Zitadelle,
Er wacht und schildert Tag und Nacht
Tut Rund und Sentinelle,
Jesus ist das Wort,
Brustwehr, Weg und Port,
Der rechte Korporal,
Hauptmann und General,
Wir sind die Bürgergarde.
Mit unsrer Wacht ist nichts getan,
Es ist bald übersehen,
Denn wer's mit Menschen fanget an,
Um den ist's leicht geschehen.
Oftmals Glauben bricht
Wer zuviel verspricht,
Wer Gott nicht traut allein
Muß stets in Sorgen sein,
Um Leib, Gut, Ehr und Leben.
[234]
Oft der, der uns verfechten soll,
Weiß nichts von Wehr und Waffen,
Liegt auf der Haut, ist blind und voll,
Tut seine Rund verschlafen,
Doch Gott ist nicht weit
Von uns selber Zeit,
Und so wir bleiben frumm,
Ihn kindlich bitten drum,
Die Engel uns bewachen.
Und seh der Feind noch eins so sau'r,
Als wollt er uns verschlingen,
Und käme schon bis auf die Mau'r,
Soll's ihm doch nicht gelingen,
Gott, der mit uns ist,
Entdeckt seine List,
Und in ei'm Augenblick,
Stößt ihn hinab zurück,
Daß er mit Schand muß weichen.
Gott Ehr und Preis, der uns zu Gut
Die Feind mit Furcht tut schlagen,
Und über uns hat treue Hut
Auf seinem Feuerwagen.
Sein ganz himmlisch Heer
Rondet um uns her,
Lobsingt, lobsinget ihm,
Lobsingt mit heller Stimm,
Ehr sei Gott in der Höhe.

Um eilf Uhr kam die Runde, die rief er an: »Wer da?« – »Gut Freund!« – »Was für Freund?« – »Runde!« – »Was für Runde?« – »Hauptmann.« – »Geh fort, bleib mir vom Leib.« Da merkten sie erst, daß die Wachtstube weit entlegen sei, was ich wohl wußte, weil er die Runde nicht stehen hieß und den, der die Wacht hatte, heraus rief. Sie hofften auf guten Fortgang. Weil nun die Runde so wachsam war, gingen wir allgemach zurück. Nach anderthalb Stunden gingen wir wieder hin und fanden die Schildwache schlafen, denn sie schnarchte, daß wir es hörten. Nun wurde die Leiter angelegt, aber als wir dieselbe anschlugen und hinaufstiegen, war sie um sechs oder sieben Sprossen zu kurz; ich dankte Gott vielmals. [235] So ging es voll Ärger zurück; alles fluchte auf den Bauer, der uns angeführt; sie hieben aus Ärger alle junge Fruchtbäume in den Gärten nieder. Der Bauer, der ihnen die falsche Nachricht von der Mauer gegeben hatte, als er aus der Stadt des andern Tages zu uns kam, wurde gleich gebunden. Er schwur aber, es sei unser Glück gewesen, daß nichts daraus geworden; die Mauer sei an der Stelle, weil sie da am niedrigsten gewesen, wohl zehn Schuh breit mit Bienenkörben besetzt gewesen, wenn einer da eingebrochen, wären wir sicher von den erzürnten Bienen jämmerlich zugerichtet worden, auch sei schon die neuangekommene Garnison von regulären deutschen Truppen gegen uns zum Nachsuchen aufgebrochen. Der Bauer bekam ein gutes Trinkgeld von 12 Dukaten; wir aber setzten uns eilig zu Pferde. Wir waren noch keine halbe Stunde im Walde geritten, so sahen wir eine Menge Bewaffneter, die uns im Wege lagen; das waren zu viele um sie anzugreifen, alles stiebte aus einander; ich aber wollte über eine Grube setzen, mein Pferd stolperte und stürzte, ich fiel herunter, mein Pferd lief davon. Im ersten Schrecken sah ich mich schon auf dem Rade, doch suchte ich mich noch, so gut es gehen wollte, hinter einem Busche zu verbergen. Da kam ein wunderlich Gesindel auf mich zu, welches ich bald für Zigeuner erkannte. Die Bursche hatten viel Hunde bei sich, die spürten mich bald aus und schlugen an, als wenn ein Stück Wildbret vorhanden gewesen wäre. Die Herren eileten alsbald mit langen Schnapphahnröhren auf mich zu, der eine stellte sich hierhin, der andre dorthin, wie auf einem Gejägt und ich fing an zu schreien, als ob ich das Waidmesser schon an der Gurgel hätte. – Siehe, da kam eine prächtige Zigeunerin auf einem Maulesel daher geritten, dergleichen ich nie gesehen, oder davon gehört hatte. Sie schien eine Person von ungefähr sechzig Jahren zu sein, hatte nicht wie die andern ein pechschwarzes Haar, sondern etwas falb und dasselbe mit einer Schnur von Gold und Edelgesteinen festgesteckt, die mit einer Krone zusammengefaßt war, wie andre Zigeunerinnen ein schlechtes Bändel, oder gar nur eine Weide zu tragen pflegen. In den Ohren trug sie ein Paar Gehenke von Gold und geschmelzter Arbeit mit Diamanten besetzt, um den Hals eine Schnur Zahlperlen, deren sich keine Fürstin hätte schämen sollen, ihr Kleid war Scharlach mit grünem Plüschsamt ausgefüttert, mit silbernen Posamenten verbrämt, sie trug polnische Stiefel, ihr Hemd [236] mit schwarzer Seide nach böhmischer Manier ausgenäht, woraus sie hervorschien wie eine Heidelbeere in der Milch. Ihr Zigeunermesser trug sie im Gürtel. – Diese Zigeunerkönigin sprach zu mir: »Ach mein schöner weißer junger Gesell, was machst du hier so gar allein und so weit von den Leuten?« – »Ich bin ein armer ausgelernter Schüler aus der Stadt«, sagte ich, »ich wollte gerne einen Dienst haben.« – »Daß dich Gott behüte, mein Kind«, sagte sie, »wolltest du mir wohl ein vierzehn Tage mit deiner Feder dienen und schreiben, ich gebe dir alle Tage einen Reichstaler.« – Ich nahm das Anerbieten mit vielem Danke an, wir lagerten uns gleich und sie erzählte mir, daß ein gewisser Philander so viele Lügen gegen die Zigeuner geschrieben, daß sie zu ihrer Rechtfertigung mir ihre ganze Verfassung und Lebenslauf diktieren wollte. Darauf fragte sie mich, wie ich heiße, ich sagte Sittewald; denn hätte sie gewußt, daß ich eben der Philander wäre, der zur Übung seiner Schulberedsamkeit gegen die Zigeuner geschrieben, ich wäre nimmermehr davon gekommen, so gar boshaft sprach sie gegen mich. Da brauchte ich nichts als fressen, saufen, schlafen und drei bis vier Stunden aufschreiben, was sie mir erzählte, wie sie gar nichts nehmen, als was ihnen geschenkt würde; auch was sie in ihrem unruhigen Leben in allerlei Gestalten erfahren und ausgeführt. Die Männer inzwischen gingen dem Gewild nach, welches sie durch zauberischen Segen zum Stillstehen bannten, oder mit abgetötetem Pulver, das nicht laut kläpfte, zu fällen wußten. Die Weiber brachten Geld, Hühner, Brot, Wein, Speck, auch zuweilen wohl einen himmelblauen Buckel mit, wenn sie ertappt waren. Dann ging es an ein Essen, Trinken, Fechten, Springen, es war ein viel artiger Leben als bei den Soldaten, und vierzehn Tage gingen mir so um, ich wußte nicht wie. Da kam eine neue Schar Zigeuner und brachten eine schöne Jungfrau mit, die bezeigte sich gegen mich so freundlich, daß ich ihr bald von Herzen gewogen ward. Sie fragte mich gleich nach gemachter Kundschaft, was ich der Frau zu schreiben hätte? – Ich gab zur Antwort, es wäre unnötig, daß es die Jungfer wüßte. – Den andern Tag schien mir unsre Frau, die sich Gräfin nennen ließ, noch gnädiger: sie fragte mich, wie mir dies freie Leben gefiele? – »Sehr wohl«, antwortete ich, »wenn ich nur die Sprache erst könnte.« – »Bleibet nur bei uns«, antwortete sie, »ich will Euch eine schöne Beischläferin zum Heiraten verschaffen.« – Da fragte ich denn, ob [237] ich wohl die schöne Jungfer bekommen könnte, die erst seit gestern zu uns gestoßen; ihr schien das recht lieb, und die Hochzeit sollte gleich den andern Tag sein. – Ich küßte ihr die Hand und erzählte meiner Jungfer Libussa, wie weit wir schon mit einander wären; die sprang hoch in die Höhe und machte sich daran, mich von dem Ungeziefer zu reinigen, was natürlich bei dem steten Umherliegen in den Kleidern mit aller Art von Menschen, sich auch bei mir eingefunden. Das tat mir sehr wohl, doch fand sie bald, daß ich gar zu sehr damit bedeckt wäre, weswegen sie mir auch Abends, nachdem wir auf Zigeunerart Verlobung gehalten, eine Salbe einhändigte, womit ich mich dagegen schmieren sollte. Diese Verlobung bestand aber darin, daß ich dem Mädchen, dem alle beistanden, so lange nachlaufen mußte, bis ich sie gefangen. Sie war so geschickt, daß ich ihr wohl bis heute nachliefe, wenn sie sich nicht von selbst nach drei Stunden mir in die Arme geworfen. Von der Verlobung gar sehr müde, schmierte ich mich doch mit der Zigeunersalbe ehe ich einschlief. Ich hatte doch zu Abend gebetet, aber als ich Morgens erwachte, glaubte ich, daß ich behext wäre, so war alles, die Zigeuner mit allem Gerät, Weinflaschen, Essen, Braut, alles war verschwunden, nur an der Asche und den Kohlen, altem Stroh und Plundern sah ich, daß alles kein Traum gewesen. Ich rief erst nach Libussa, dann lief ich ins nächste Dorf, um nach den Zigeunern zu fragen. Da schrieen mich aber die Kinder an: »der Teufel kommt«, und schlugen die Türe zu. Da sah ich wohl, daß ich ganz schwarz war, dachte aber nicht an die Zigeunersalbe, die mich schwarz gebeizt, sondern meinte, es sei eine schwere Krankheit, die mich durch Hexerei überfallen. Mein Beutel mit der gemeinen Kasse der Soldaten, den sie mir zum Aufheben gegeben, und den ich vor den Zigeunern sorgfältig versteckt gehalten, war mir genommen, mich hungerte und ich bettelte von einem Hause zum andern. Da erbarmte sich meiner der Prediger des Orts, Freimund, und ich erzählte ihm meine Not; er wollte mich in seinem Hause ernähren, bis ich wieder weiß gebleicht wäre, um mich dann in meine Vaterstadt zu schicken, wo ich seit dem Abmarsche des Kommandanten Gordon sicher erscheinen konnte. Dafür bat er sich nichts als meine unter Soldaten und Zigeunern erlebten Fata aus, daß ich sie ihm in dieser meiner müßigen Bußzeit getreulich aufschreiben möchte, andern zur Belehrung. Gott [238] segne ihn für seine viele Wohltat, da er selbst wenig zu leben hat! Heute brachte der Sauveitle die Nachricht, daß die streifenden Soldaten, meine Kameraden, beinahe alle im Schlafe durch Verrat des Doktors gefangen worden sind, und in wenig Tagen den Lohn ihrer erschrecklichen Ruchlosigkeit in meinem Städtlein erhalten werden; ein paar Tage früher und ich hätte unschuldig mit leiden müssen. Gottes Gnade ist groß und wacht über alles!


Kaum hatte der Invalide den letzten Segen über seine Historie gesprochen, der alles gut machen sollte, was empfindliche Ohren beleidigen konnte, ei da, wie klang's so wunderlich vom Flügel her. Das gesunde Frauenzimmer hatte sehr heimlich den weitläuftigen Spaß ausgeführt, sich an den Flügel zu schleichen und Schillers Reiterlied hellaut abzusingen. – »Mir ist so beklommen«, sagte einer. – »Ist der Ofen etwa zu früh zugesetzt; ist Kohlendampf im Zimmer«, fragte ein andrer. – »Mir ist als wenn eine Bombe auf den Fleck, wo ich sitze, niederschlagen sollte«, sagte die Geniale, die einmal auch belagert gewesen. – Der Invalide fluchte und weinte, eine entsetzliche Erscheinung in einem harten Manne. »Um aller Teufel willen«, rief er, »singen Sie mir das Lied nie wieder, es treibt den Schraubstock an meinem Herzen so fest zusammen, daß mir alles Blut in den Kopf gepreßt wird.« – »Wann werden Sie einmal klug«, sagte die Gesunde, »wo gibt es denn ein schönres Kriegslied? Ich meinte Ihnen ein Vergnügen zu machen, haben Sie es mir nicht tausendmal sonst vorgesungen?« – »Mir zum Vergnügen?« antwortete er. »Wissen Sie denn gar nicht, daß auch mich die Sündflut angeführt hat, daß ich sie erst für eine künstliche Wiesenwässerung gehalten, bis das Wasser immer höher anstieg, und Bekannte und Freunde sich alle in gleicher Verzweiflung an die Felsenspitze drängten, wo ich zusah und an meine Brust. Ich konnte keinen retten, von mir blieb ja selbst nur ein Stück übrig. Diese ganze Last von armen Seelen, die sich an dem Liede begeisterten und entgeisterten, die alle von mir gerissen wurden, die macht mich wasserscheu, liederscheu, kameradenscheu, reiterscheu, und um aller armen Menschen willen, die unnütz gestorben sind, singen Sie nicht weiter in diesem fürchterlichen Geisterchore.« – Die Gesunde hob trotzig den Kopf, als wenn sie alles abschüttelte. – Der Gesandte fiel ein: »Mir ist es nur merkwürdig, wie fröhlich die jungen [239] Mädchen von dem Sturme um Minnesold singen, wie würden sie schüchtern wegsehen, wenn alles beim rechten Namen genannt wäre.« – »Mein Gott«, sagte die Gesunde hochrot beschämt und wollte das Zimmer verlassen, »ich weiß nicht und mag nicht wissen, was Sie meinen, aber wer kann daran denken, was man singt, ich hab es von andern Mädchen singen hören, ich hab es auswendig behalten!« – »Bleiben Sie«, bat der Gesandte flehend, »das ist gerade der höchste Triumph der Unschuld, ich habe Sie noch nie so schön gesehen; ich bin ja tausendmal mit Ihnen in demselben Vorwurfe gewesen, daß ich erst nach Jahren bei Theatermusiken, die ich behalten, auf die Worte aufmerksam wurde, ob ich darin mitfühlen könnte, genug, die Musik hatte mich ergriffen. Das Lied ist vortrefflich, aber nicht für Mädchen und es wäre das vortrefflichste für Männer, wenn wir es nicht zur unrechten Zeit gehört hätten. Aber selbst bei schlechten Liedern finde ich es abgeschmackt, wenn sich Komponisten so sehr über die schlechten Operetten beklagen, woran sie ihre Musik hängen müssen, es ist dies gerade ein Triumph ihrer Kunst.« – »Der Meinung bin ich nicht ganz«, sprach der Invalide, »die meisten Gedichte werden wohl im Ganzen der Hauptanlage nach von den meisten verstanden und geprüft, darum dauern Operetten von ganz schlechter Anlage selten, aber freilich gegen die einzelnen Verse sind die meisten sehr abgehärtet, auch nimmt sich manches in guten Worten ganz anders aus als es wirklich ist. So will ich drauf wetten, den Damen hier, die kein solches herumschweifendes Leben mitgemacht, würde Philanders Reise sehr reizend vorkommen, die Schrecknisse abgerechnet; bei dem Nachtlager im Walde fallen ihnen ein paar angenehme Sommerabende im Walde ein, wo sie bei Hörnerklang Erdbeeren suchten und Kränze flochten. Eine Nacht biwakieren, was würde da für Klage sein.« – »Das ist die Frage«, sagte die Kranke, »ich glaube, daß ich bei solchem Leben ganz allein wieder ganz gesund werden könnte.« – »Lassen Sie es uns versuchen«, sagte die Geniale, »ich bin oft schon vor Sonnenaufgang in unsern Garten gegangen und habe mich da unter die Blumen gesetzt.« – »Ei wohlan«, meinte der Invalide, »lassen Sie uns diese Nacht einen Versuch machen, wir nehmen einigen Mundvorrat und Feuerzeug mit.« – Der Plan war eben so schnell ausgedacht als ausgeführt, nur die Frau vom Hause schlug es aus, die andern Frauen suchten ihre dichtesten Schuhe und ihre [240] wärmsten Kleider, der Invalide führte uns an mit einer alten Trommel, die sich als Bildungsmittel der Pferde im Stalle vorfand. Der Invalide trommelte uns boshaft querein durch tiefen Schnee und allerlei Gebüsch, die Luft war milder aber sehr trübe geworden, wenige Sterne vermochten es noch ihr trübes Licht durchzudrängen und so gingen auch bald unsrer Frauen fröhliche Augen unter, nur die Geniale stellte sich, als wenn ihr Leben eigentlich recht aufginge, zitterte aber dabei an allen Gliedern. Der Invalide machte ein Feuer an aus allerlei gestohlnem Holze; er suchte uns durch mancherlei Erzählungen zu ermuntern, brachte aber aus Bosheit lauter Geschichten vor, die wir alle längst wußten. Er erzählte, wie sich die Soldaten abwechselnd über und unter einander legten um sich zu erwärmen, er erzählte von dem schottischen Hochländer, der seinem Sohne als Weichlichkeit verwiesen, daß er sich aus Schnee ein Kopfkissen ballte. – Die Kranke unterbrach ihn zuerst, sie versicherte, ihre Füße wären eiskalt, sie bekäme sicher ihre Krämpfe, die Geniale hustete, der Gesandte hatte Kopfweh. Da wurden die Uhren herausgezogen; wir hatten noch keine halbe Stunde da gesessen und hatten es ohne laut zu werden, doch alle genug; wir hatten ja alle die freie Natur schon tausendfach bequemer genossen. Nun brachen wir auf, das Feuer wurde ausgelöscht; wir gingen durch die Propyläen in die Stadt; der Mond ging auf, die gewaltigen Säulen des Tors standen da wie eine Riesenwache unter Gewehr die Stadt zu schützen. – »Die Menschen und ihre Sonne sind doch eigentlich jeder großen Architektur hinderlich«, sagte die Geniale, »die Architektur ist die Nachtseite der Kunst.« – »Aber bemerkt ihr wohl den Stern«, rief die Kranke, »der gerade an der Stelle vorleuchtet, wo sonst die Victoria gestanden, es ist unser Hoffnungsstern! Wie glänzend! Stern der dämmernden Nacht, schön glänzest du in Osten.« – »Wunderbar, ich habe nie einen so großen Stern gesehen«, riefen alle; »ach Gott, er sinkt, es war nur eine Sternschnuppe.« – In dem Augenblicke fiel der Stern so heftig am Tore nieder, daß dieses Meteor wenigstens ein Steinregen sein mußte; der Invalide dagegen meinte, als er einen roten Mantel im Mondschein erkannte, es müsse vielleicht ein Wächter heruntergestürzt sein. Die Damen sprangen fort, um nicht den entsetzlichen Anblick zu haben, er ging schnell hinzu, wir fanden einen Mantel mit vielen Büchern in den Taschen bepackt und eine zerbrochene [241] Laterne. Wir lachten unsres Zufalls, nach einigen Minuten ging das Tor knarrend auf, ein junger Mensch schien etwas zu suchen; wir händigten ihm das Gefundene ein, er dankte; wir fragten ihn neugierig, was er so spät da oben getrieben und warum er Mantel und Laterne heruntergeworfen. Er antwortete lässig, als wenn er an etwas ganz andres noch neben her denke, versicherte uns, daß er da oben schon seit dem Tage geschlafen, wo die Victoria heruntergenommen worden; er warte und suche nach den Sternen und Träumen, wann sie ihn wieder ablösen würden, in geheizten Zimmern könne er es nicht aushalten. Diese Nacht sei es ihm im Traume erschienen, als käme die Göttin, diese Victoria, der er sein armes Leben ganz geweihet, und habe ihren Wagen statt der viere mit acht Pferden bespannt, und indem er sich vor ihr niederwerfen wollen, sei er erwacht und habe sich am Rande der Mauer gefunden, von der sein Mantel, auf dem er geruhet, und seine Laterne, bei der er geschrieben, schon herabgefallen. – »Aber was schreiben Sie da oben«, fragte die Kranke neugierig. – »Es ist nur soviel als zum Einschlafen nötig, ein paar feurige Tropfen aus dem Mohnkopfe, am Morgen zerreiß ich's.« – »Geben Sie es uns lieber her«, bat ich ernstlich. – »Recht gern, da haben Sie es«, sagte er flüchtig und entlief uns, ehe wir ihn zu unsrer Kolonie einladen konnten. Sobald wir auf dem Zimmer der Kranken waren, mußte das Manuskript noch vorgelesen werden.

Träume

Steigen die Götter herab von ihren Gebürgen im Blitze,
Da erbebet dein Herz, wie die Eiche im Forst,
Steigen sie nieder in heimisch heiligem tiefen Vergessen,
Schauest du freundlich vertraut, Väter und Kinder zugleich,
Kenntlich erscheint dir die Bildung, sie sprechen verständlich in Worten,
Schlafe, denn nun du erwacht, Stimme und Wort dir verhallt.
Was die Worte mir sind? Es sind die Geister der Menschen,
Und ich achte das Wort, weil mir heilig der Geist;
Offenbaret ist jeglicher Geist, so sind es die Worte,
Darum auch störe sie nicht, warte und pflege den Schlaf.
Lasse vom Lieblichsten dich zum Schlafe hinüber geleiten,
Ist die Stirne dir hell, trägt sie den Bogen des Lichts.
Wachend halle zurück aus deinem entfesselten Busen,
Was die Götter gesagt, was dir im Traume vertraut:
[242]
Bist du Widerhall Mensch, so lasse auch frei dich erfüllen,
Denn wie leer ist dein Sinn ohne das göttliche Wort!
Fürchte auch nimmer Vergessen, es ist der fruchtende Boden,
Dem die Traube voll Safts steiget aus glühendem Schoß.
Auch die tausend der Formen, die alle mir treiben im Hirne,
Müssen in wenigen nur, sichtbar erscheinen, vor euch,
Doch die größere Zahl, sie fliegt von der kreisenden Scheibe,
Weil die Scheibe zu schnell, weil der Stoff noch zu leicht.
Unverloren sie sind, sie steigen ein würdiges Opfer,
Hellumflattert vom Mohn, wie ein Wölkchen verfliegt.
O so seid dann gelobt ihr holden Gespinste der Träume,
Die Vergessenheit treibt, wie den Sommer der Herbst,
Denn ihr kehret zurück und bringet eure Gespielen,
Denen ihr gerne gesagt, wie ich dem Eigensinn folg'.
Seiet vor allen gesegnet, ihr Träume schönerer Künste,
Als mir die kriegrische Kunst, Vaterland, Freunde geraubt,
Ach da dachte ich einst aus Radegasts slavischem Sande
Hin zum griechischen Land, nimmer der Marmor da fehlt.
Ach und wie tief ich grabe im Sande von Brandenburgs Erde,
Immer nur find ich den Sand und er ist mir so lieb,
Ja ich beiße mich ein in diesen viellockeren Boden,
Schaff ich kein Leben darin, so begrab ich mich selbst;
Doch im Traume da lösen sich leicht die Banden des Lebens
Hin zum griechischen Land, so entschlief mir der Geist.
Ich erging mich da leicht in fernen vergangenen Zeiten,
Ganz natürlich erschien, was so wunderbar ist;
Dort als Lehrling, so fand ich mich wieder, auf Phidias Hofe,
Wie ich den Marmor beschaut, als mein künftig Geschick.
Heilige mystische Rätsel, ihr Blöcke von Parischem Marmor,
Horchend lieget ihr da, auf des Bildners Gehöft.
Oft befühle ich euch, ob göttlich lebendes Feuer
Schon im Innern treibt, bildend die reine Gestalt,
Auch die Dämmerung formlos im rötlich schwebenden Dufte,
Alle die Tempel bedeckt, Säulen und zierlichen Fries,
Ja so steiget auch bald aus schimmernder Decke von Marmor
Aphrodite empor, wie aus dem Schaume des Meers.
Wie? die Werkstatt erklingt schon hell in gewaltigen Schlägen,
Frühe den Bildner erweckt, Schreien des kleineren Kinds,
Eilenden Schrittes mit offener Brust zur zierlichen Werkstatt,
Gehet der sinnige Mann, steiget auf Jupiters Bild.
Jupiter will, daß Griechen ihn kennen in herrlicher Bildung,
Denn die Griechen, sie sind herrlich vor allen gebildt.
[243]
Er entsendet ihm Iris, sie stehet in Nebeln am Hause,
Schauet ins Fenster aufs Werk, daß sie bewundernd es prüf;
Doch auf einmal, so scheint's ihr, hinaus aus der Wolke von Marmor
Trete der donnernde Gott und sie sagt ihm beschämt:
»Langsam bin ich nicht flogen, es war im schnellsten der Bögen,
Farbig erglüht noch die Brück, wankte mir unter dem Fuß,
Tropfen entfielen der Stirn, sie fielen schimmernd auf Gärten,
Daß die Blumen gesamt sich eröffnet vor mir.«
Doch es schweigt ihr der Gott, sie siehet es sei nur sein Bildnis,
Fehlt ihm doch himmlisches Wort, das gebildet die Welt.
Lächelnd Phidias spricht: »Du Hehre, Himmlische, Reine,
Daß ich dich, Göttin, getäuscht, das verzeiht mir der Gott,
Wenn ich ihn treulich gebildet, so ist mein Werk mir nicht eigen,
Denn das göttliche Werk, Menschen gehöret es nie;
Wie beim fröhlichen Mahl, von lust'gen Gesellen umlagert,
Wechselt das treffende Wort, das doch keinem gehört,
Also im offenen Sinn, da lagern sich reisende Götter,
Und das Lager, es hält wohl noch den Eindruck des Gotts!« –
Iris, sie spricht dann mit Ernst (wie herrlich in frischender Jugend
Scheinet der ewige Ernst, wie ein Eisberg im Grün):
»Wer den Eindruck bewahrt, o wohl ihm, doch herrlich, der mitteilt
Eindruck und Glück auch der Stadt, die den Glückssohn gebar,
Wißt, ihr befreiet die Welt, o wisset, ihr Künstler der Erde,
Menschen saget ihr wahr, täuschet die Himmlischen nur!«
Still sie denket in sich: Wohl gut für die Willkür der Götter,
Daß der Künstler nicht ist Herrscher der Menschen allein,
Schon die Götter verderben einander in feindlichem Glauben,
Und der Abdruck, er bleibt reiner als eben der Gott;
Einer dem anderen steht im Lichte das Leben zu schauen,
Wenigstens fehlet ihm stets, was des andern Natur.
Phidias Knaben erweckt vom Meißel, da treten mit Kränzen,
Beide zum Vater herein und die Göttin, sie blieb.
Nieder legt er den Meißel, die rauhere Stelle am Blitzstrahl
In den Händen des Gotts, blieb, denn weich war sein Herz;
Seinen Kleinsten, den Blonden, mit rötlicher Wange und Knieen,
Mit dem bläulichen Blick, setzte er sich auf den Schoß;
»Stumm noch bist du, den Schrei, ich höre viel lieber ihn gar nicht;
Doch ein himmlischer Geist tut mir in dir, ach, so wohl,
Daß ich die Arbeit veracht, die nimmer solch Leben gebildet,
Und die Weiber beneid um solch herrliches Werk.«
Also der Meister; doch zürnend, so stellt sich und spricht da die Göttin:
»Wenn du das Göttliche schaffst, lasse die Kinder der Zeit.«
[244]
Küssend setzt er ihn nieder, die Zeit mit Eil zu gewinnen,
Und die Göttin entfliegt, blicket noch manchmal zurück. –
Wie ich so gerne ihn schau in seiner bedächtigen Arbeit,
Seht die Kinder, sie sind Affen der Eltern doch stets,
Setzten sich auch zu dem Ton, nachahmend des Vaters Gebärde,
Erst den Zug in dem Mund, wenn er am göttlichen Fleisch;
Auch sie nahmen die Stäbchen und bildeten, was sie nur wußten,
Wie im kindischen Sinn, Zufall und Absicht zugleich.
Doch nach manchem Versuch zu bilden die Göttergestalten,
Brachte der Jüngste heraus eine gerundete Wurst.
Herrlich erschien das dem Ältern, er suchte die Form von Gesichtern,
Die der Vater zerschlug, drückte sie oben hinein,
Setzt ein Vögelchen drauf, den Stierkopf setzt er am Magen,
Alles, wie es da fiel in die kindische Hand.
Tief versunken im Werk, vergißt sie der feilende Künstler,
Denn das schwerste Geschäft ist das letzte zugleich.
Aber die Kinder sie gingen zum Markt, sich setzten zu andern
Bildnern kühn in die Reih, allen ein fröhlicher Scherz.
Denn der eine da fand, die Kinder des Phidias wären
Viel geschicklicher wohl, als anderer Leuten Kind;
Doch der bucklichte Töpfer, er meinte, es wär wohl Genie drein,
Aber die Kunst, ja die Kunst, Zeichnung, die fehle noch sehr.
Andre baten wohl heimlich um die zerschlagenen Formen,
Die der Vater gebraucht, boten ihm Früchte dafür.
Jegliches Volk sich zeiget am Markt, es kaufet, was nützlich,
Häusliche Götter es bringt immer vor allem nach Haus.
Auch die Barbaren, die goldenen Weizen aus Taurien brachten,
Ließen sich führen hieher, göttliche Bilder sind feil.
Blind sie gehen vorüber, was Griechen als göttlich verehren:
Nackt ist immer nur nackt! sagen sie spottend in sich.
An dem Kleide erkenne den Mann, erkenne die Götter,
Wären wir alle noch nackt, wären wir alle doch gleich.
Doch der wirbelnde Strom der marktlich wandelnden Menschen
Drehet sie bald auch hier zu dem kindischen Werk.
Tief gerühret sie stürzen darnieder mit schlechten Gebärden,
Schrieen und schlugen die Brust, denn so ehren sie Gott,
Mit dem Vogel am Haupt, mit dem Widder am Magen,
In dem Mantel verhüllt, Radegast heißet der Gott;
Hatten doch nimmer vermocht, ihn selber also zu bilden,
Gaben nun alles ihr Geld für den gefundenen Gott.
»Ei was dienet der Kuh Muskaten!« so rufet der Töpfer,
Stäubt mit dem Flederwisch ab seine Vasen behend.
[245]
Freundlich gedachte der ältste der Knaben der Armut des Vaters,
Nimmt den Barbar an die Hand: »Komme zum Vater mit uns,
Schönere Götter da stehn voll heiliger Wonne verbunden,
Lohnet dem Vater die Zeit, gerne verkauft er die Lust.«
Langsam geht der Barbar, er lächelt des ziehenden Knaben,
Freut sich, daß bessere Sitt gibt dem Sohne die Furcht.
Wie zum Handwerker tritt er gröblich in Phidias Werkstatt,
Daß der Bildner erschrak, reitend auf Jupiters Hals.
Als der Barbar Kronion erblickt, so lacht er zum Künstler,
Spricht: »Ei gibt es wohl Leut, die so groß sind bei euch?«
Und wie die Kinder ihm zeigten die kleineren häuslichen Götter,
Die den Ärmern zur Lust, bildet die müßige Stund,
Lacht der Barbar auch wieder und streichelt den herrlichen Meister,
Sagt: »Ei gibt es wohl Leut, die so klein sind bei euch?«
»Seiet nicht böse«, saget der Meister, »es gibt so der Stunden,
Wo das Schicksal versagt Lust zum schaffenden Werk;
Böse Stunden benutz ich zum Bilden im sicheren Handwerk,
Was ich in Fertigkeit hab, was dem Schüler noch Kunst:
Sehet, das sind die ew'gen, die höchsten der himmlischen Götter,
Sehet Apollon so hoch, sehet den Bacchus so weich;
Herrschend thronet Kronion und Juno so himmlisch gebietend,
Venus den Gürtel ihr reicht, dreier Grazien Geweb!«
Drohend bricht der Barbar aus: »Toren, ihr wollet verehren
Euer menschliches Sein, diesen vergänglichen Glanz,
Darum in Unzucht stellet ihr nackt dem frevelnden Auge,
Was die heilige Zucht guter Sitte verbirgt!
Stellet die schändliche Lust, die heimliche Sünde der Menschen,
Wovon keiner doch frei, wie die Tugend uns dar;
Nur was die Kinder gemacht, ist rein in Unschuld geworden,
Ach ich ehr es als Gott, weil ich den Sinn nicht versteh.
Mühsam hab ich bisher den Maser des Holzes gespalten,
Ob in den Streifen vielleicht, ob in dem Bruche ein Gott.
Manchen hab ich entdeckt, doch keinen wie diesen in allen,
Offenbaret dem Kind, wie ihn der Priester beschrieb,
Der unmenschlich gebildet, auch frei von allen den Leiden,
Von der Sterblichkeit ist, die uns verbindet dem Vieh.«
Phidias schauet in Ruh des Mannes vielkräftige Muskel,
Zeichnet mit flüchtiger Hand auf dem Papiere sie nach,
Sprechend: »Du schändest die Götter, verachtest du Armer dich selber
Willst du die Stimme des Gotts, horche der eigenen Brust.
Wisse, das beste an dir, es sind die herkulischen Muskeln,
Daß von dem göttlichen Stamm dir ein Zeichen auch blieb.«
[246]
Mürrisch sagt der Barbar: »Ja wären die Muskeln mir schwächer,
Wahrlich der Arbeit wär nicht für den Herren so viel,
Wenn ich vielerlei kann, so muß ich vieles auch tun ihm,
Gar verdammt ist die Müh, mühsam alles doch bleibt.«
»Schützen die Götter Euch nicht«, spricht Phidias, »fröhlichen Dienstes,
Dienst und Orakel bei uns sind den Bedrängten zum Schutz.«
»Fröhlicher Dienst, Ihr lästert«, entgegnet mürrisch der Fremde,
»Drohend stehet ein Haus auf der Insel im See.
Nur ein Brückchen uns führet alljährlich hinüber und manche
Kamen nicht wieder zurück, Radegast nahm sie zu sich;
Gräßlich blickt er uns an in nächtlicher Lampen Erleuchtung,
Wenn wir geblendet am Tag treten ins heilige Haus,
Zeichen zaubrischer Art umziehen die blutigen Wände,
Golden scheint sein Gesicht, Purpur sein flatternd Gewand,
Wen er verlanget zur Speise, den töten die harrenden Priester,
Immer verlanget er den, der sich von Arbeit befreit.«
»Ei pfui!« sprach dann der Grieche und keiner verstand mehr den andern,
So verstehen bei uns Herren und Knechte sich nie,
Jene die sprechen zu hoch, und diese die reden nur plattdeutsch;
Die sich bildend getrennt, einet die Not nicht einmal.
Also träumete mir entschlafen bei Winkelmanns Buche,
Der ein Landsmann von mir, mich dem Lande entzog;
Rückwärts wandt er mich hin zu jenen griechischen Zeiten,
Doch die Geschichte der Kunst mich prophetisch erfaßt,
Und nun wähnt ich halb träumend, mich wecke zur nordischen Arbeit
Deine vielliebliche Hand, göttlich beglückendes Weib,
Und ich küßte die Hand, da sah ich in Strahlen des Morgens
Einen Bauer am Bett, der mir Victorien zeigt:
»Sehet doch, Herr«, so sprach er, »die Bildsäul fand ich im Keller
Eurer veralteten Burg, stürzte gar tief da hinein,
Weil der Regen die Wölbung des alten Gemäuers erweichet,
Und der Boden, er schien, sicher wie immer zu stehn,
Eine die bring ich Euch mit, doch stehn da noch viel der Gespenster
Und ich scheue sie sehr, ohne Augen sie sehn,
Haben so schreckliche Waffen und scheinen doch alle so milde,
Kämen die lebend zu uns, wie beständen wir die?«
»Gut, ich komme«, so sprach ich, noch trunken vom träumenden Schlafe,
Doch da träumte ich tief, tief wie das Senkblei im Meer,
Hörte prophetische Stimmen, die sangen im Rohre des Meergrunds:
»Ist die Burg erst entdeckt, steigen die Schrecklichen aus,
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Kommen dann Männer von Westen, die spielen mit schrecklichen Waffen,
Treten die Berge erst platt, treten den Boden dann ein.«
Also erwachte ich wirklich im Schrecken der hallenden Trommel,
Und die Victoria sank nieder am herrlichen Tor,
Das ich erbauen gesehn und steigen die Göttin auf Säulen,
Warnend steht es nun da ohne den göttlichen Schmuck;
Die Erhabene lag vorm Fenster so schmählich gestrecket,
Sarg und Wagen dabei, der die Leiche entführt.
Wie der Wagen entdonnert, da meint ich sie gänzlich entführet,
Doch in der Enge des Tors schloß sich die Göttin noch an,
Größer sie war, als Brandenburgs Tor sie konnte erfassen,
Und so stand auch mein Volk, größer als Brandenburgs Land.
Stürzt auf uns Toren dies Tor, fort wollt ihr die Göttin uns rauben,
Und vernichtet auch uns, da ihr vernichtet den Ruhm.
Brandenburg, Tor des Sieges, wie bist du also gefallen,
Ein Jahrhundert erwarb, was ein Tag dir geraubt.

»Im Silbenmaße ist doch oft gefehlt«, sagte die Kranke. – »Ihre kritischen Krämpfe kommen wieder«, rief der Invalide, »geschwind zu Bette, gute Nacht.«

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TextGrid Repository (2011). Arnim, Ludwig Achim von. Erzählungen. Der Wintergarten. Vierter Winterabend. Philander unter den streifenden Soldaten. Philander unter den streifenden Soldaten. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-0A1B-E