Traum

1811.


Es war die schönste Frühlingszeit,
Die Erde trug ihr Blumenkleid,
Die Vögel aus den Zweigen sangen,
Die Wasser von den Bergen klangen,
Und Lust und Jubel überall
Klang rings mit süßem Freudenschall.
Da kam ich eines Morgens früh
In einen Garten, ich weiß nicht wie,
Von Blumen und von Kräutern bunt;
Drin sang der Nachtigallen Mund,
Und Lerchen sangen ohne Zahl
Hernieder von dem Himmelssaal.
Der Garten schien mir wohl bekannt,
Die Mauern und der Scheunen Wand,
An Bäumen mancherlei und Hecken
Mir tät gar tiefe Sehnsucht wecken,
Als hätt' in meinen Kindertagen
Ich dort oft Äpfel abgeschlagen,
Und im Gebüsche linker Hand
Im Herbste Dohnen ausgespannt.
Als ich nun also sinnend stand,
Ward plötzlich hell der Himmelsrand,
[93]
Die Dämmrung war in Rauch zerronnen,
Und alle Sterne wurden Sonnen,
Und Büsch' und Bäume mit den Zweigen
Fingen alle an emporzusteigen
Bis zu des Himmels lichten Decken,
Und Riesen wurden Sträuch' und Hecken,
Auch Mauern und Scheunen hielten Schritt
Und stiegen in die Wolken mit.
Als alles dies ich staunend sah,
War gleich ein neues Wunder da:
Auf aller Bäume Wipfeln schön
Sah ich den Glanz von Rosen stehn
Und Engel funkelnd ohne Zahl
Herniedergehn und allzumal
Wie kleine Kinder mit Vergnügen
Sich auf den Rosenköpfen wiegen. –
Wie selig schaute ich darein,
Wie Vögel in den Morgenschein!
Doch zog ein liebliches Geläute
Mich bald hinweg zur linken Seite.
Ich sah, da stand ein strohen Haus,
Da flogen Tauben ein und aus
Und girrten lustig auf dem Dache,
Auch hielten Hähne Türenwache
Und krähten froh aus frischer Brust
Die Liebe und die Morgenlust;
Auch alle Schwalben unterm Dach
Begrüßten mit den jungen Tag.
Das Häuschen selbst, nicht hoch noch lang,
War nett von außen, die Fenster blank,
Die Ständer grün, die Wände weiß,
Gefegt, geziert umher mit Fleiß;
Und Balsamin und Rosmarin
Prangten rings in Töpfen rot und grün.
Und in des Hauses Türe stand
Ein Weib wie her aus fremdem Land,
Mit blauen Augen gleich Himmelschein
Schaut's in das Lenzgewimmel hinein,
Sah freundlich aus und gar bescheiden,
Wie Engel sich mit Demut kleiden,
Oft auch die lächelnde Gebärde
Sie senkte halb zur grünen Erde.
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Als ich nun näher komm' ans Haus,
Da tritt sie von der Schwell' heraus,
Geht lieblich winkend mir entgegen
Und zeichnet mit den Fingern Segen,
Springt her und nimmt mich in den Arm
Und küßt mich mit den Lippen warm
Und gönnt mir lieben Augenschein.
Ich sah, es war die Mutter mein,
Der beste Schatz, den mir im Leben
Der liebe fromme Gott gegeben.
Als wir noch also fröhlich stehn,
Sehn wir ein Mägdlein näher gehn,
Ein schönes, junges, frommes Kind,
Wie Lilien und Rosen sind;
Ihr Gruß ist süß, ihr Blick ist mild,
Ein rechtes weißes Engelbild.
So himmlisch hold und wundersam
Mir einst ein Bild entgegenkam
Im Traum in meinen frühen Jahren,
Als meiner Sommer sechzehn waren.
Wie ich das schöne Mägdlein seh',
Springt hoch das Herz mir in die Höh',
Ich will sie brünstig gleich umfassen,
Doch will sie sich nicht fangen lassen
Und hüpft holdseliger Gebär
Durch Busch und Blumen vor mir her.
Schon ward sie matt der süßen Jagd,
Als plötzlich laut der Himmel kracht,
Die Sterne hüllen Wolken ein,
Weg sind die Engel und ihr Schein,
Weg sind die Frauen beim Getümmel,
Das ganze liebliche Gewimmel,
Die Blumen und die Rosenbäume.
So spielen oft um uns die Träume
Und gaukeln manchen losen Scherz,
Auch manchen Ernst uns in das Herz.
Glückselig ist, wer, wann er wacht,
Zu sehr nicht auf die Bilder acht't:
Sie sind kein Evangelienbuch
Und bringen öfter eitel Trug,
Verführen leicht die grüne Jugend.
Doch folgest du Vernunft und Tugend,
[95]
Und ist dein Busen spiegelrein,
So sind sie gleich dem Himmelschein,
Der, wann entschläft das Licht der Welt,
Hernieder auf die Erde fällt,
Das Herz erquickt und gar verjüngt
Und Lust und süßen Frieden bringt,
Und was der Tag nicht zeigen kann
In Bildern zeigt vor Weib und Mann.
Doch, wenn dich Torheit äfft und schaukelt,
Dir Wahn um alle Sinne gaukelt,
Und Unruh' weiter will und weiter,
So sind sie aller Narrheit Leiter,
Verdunkeln deines Himmels Licht
Und machen dich zum argen Wicht.
Dann wird dein Herz ein Satansnest,
Das nirgends Ruh' und Frieden läßt,
Ein Spahn, der in dem Weltmeer schwimmt,
Ein Funke, der bei Pulver glimmt.
Es woll' uns heint und auch nach Jahren
Vor solchen Träumen Gott bewahren!

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TextGrid Repository (2011). Arndt, Ernst Moritz. Gedichte. Gedichte. Traum. Traum. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-0574-C