[1] Uns ist in alten maeren wunders vil geseit
Von heleden lobebaeren, von grôzer arebeit,
Von vröude und hôchgezîten, von weinen unde klagen,
Von küener rekken strîten muget ir nu wunder hoeren sagen.
[1][1] Uns ist in alten maeren wunders vil geseit
Von heleden lobebaeren, von grôzer arebeit,
Von vröude und hôchgezîten, von weinen unde klagen,
Von küener rekken strîten muget ir nu wunder hoeren sagen.
[1]In der ersten Hälfte des zehnten Jahrhunderts lebte auf Island ein angesehener und mächtiger Bauer, namens Höskuld. Sein Hof hieß Höskuldstad und lag an der Laxau nicht weit von der Stelle, wo dieselbe in den Hvamsfjord ausmündet; dieser Fjord aber ist wiederum ein Arm des Bredefjord, welcher einen großen Theil der Westküste des Landes einnimmt. Höskuld's Vater Dalekol war anfangs Freimann in Norwegen; aber damals als Harald Schönhaar (Haarfager) sich dort zum Alleinherrscher machte, zog er fort mit seinem Weibe Thorgjerde, seinen Kindern und all seinem Gut und wanderte aus nach Island, gleich wie viele andere der reichen Bauern des Landes. Er ließ sich nieder im Thale der Laxau und nach seinem Tode wurde sein Sohn Höskuld dort Häuptling. Thorgjerde aber konnte nun nichts mehr an Island fesseln. Sie zog deshalb zurück zu ihrer Sippe in Norwegen. Da sie noch gut aussah und auch noch nicht alt war, warb ein königlicher Lehensmann namens Herjulf um sie. Sie heiratete ihn und es wurde ihnen [8] ein Sohn geboren, dem sie den Namen Rut beilegte. Thorgjerde verlor indessen auch ihren zweiten Mann. Darnach woll te sie ihren ältesten Sohn besuchen. Sie begab sich wieder nach Island und blieb bis zu ihrem Tode bei Höskuld. Rut weilte eine Zeit lang in Norwegen und nach Thorgjerde's Tod verwaltete Höskuld Dalekolsohn auch sein Erbe. Später kam Rut Herjulfsohn selbst nach Island und nahm sein Eigenthum in Besitz. Er baute sich einen Hof im Laxauthal, welcher Rutstad genannt wurde. Höskuld war verheiratet, Rut nicht. Eines Tages waren beide Brüder auf dem Alting. Dieses wurde nämlich jährlich im Juni auf dem Tingfeld am Tingvallesee im südwestlichen Theile des Landes abgehalten und es versammelten sich dann dort von allen Seiten Häuptlinge und Bauern, um Gesetze anzunehmen und ihre Zwistigkeiten durch Urtheilsspruch beilegen zu lassen. Dort sagte Höskuld eines Tages zu Rut, daß es ihm lieb und erwünscht wäre, wenn Rut an seines Hauses Wohlfahrt dächte und sich eine Frau erwählte. »Lange habe ich selbst daran gedacht,« antwortete Rut, »aber ich habe nicht mit mir selbst eins werden können. Indessen will ich thun nach deinem Gutdünken. Wo sollen wir denn Anfrage thun?« »Jetzt sind viele Häuptlinge auf dem Ting,« antwortete Höskuld, »und es ist große Auswahl; da ist denn auch eine Maid, an die ich gedacht habe. Sie heißt Unne und ist eine Tochter Mörd Gige's, welcher ja ein sehr kluger Mann ist; er befindet sich hier auf dem Ting und seine Tochter eben falls; Du kannst sie also selbst sehen, wenn Du es wünschest.« – Mörd Gige, von dem Höskuld redete, war ein mächtiger Mann, erfahren in Rechtssachen und so gesetzeskundig, daß kein Urtheil für gesetzlich angesehen wurde, welches er nicht mit gefällt hatte. Er wohnte auf dem Hofe Valle im Südlande, in Rangauvalle zwischen den Flüssen Ost- und Westrangau. Seine Tochter Unne war ein schönes Mädchen, von guten Sitten und brav, und kein Mann, meinten die Leute, konnte in Rangauvalle eine bessere Wahl treffen. – Am Tage darauf nachdem Höskuld und Rut,[9] wie erzählt, sich beredet hatten, und als sie mit den anderen Männern zum Gesetzberg gingen, wo die Gesetze angenommen wurden, sahen sie einige Frauen vor einer der Hütten stehen, wo sich die Bewohner von Rangauvalle aufhielten. Denn die Bauern, welche zum Ting kamen, hatten Hütten, in welchen sie während der vierzehntägigen Dauer des Tings wohnten. »Schau hin, dort steht Unne Mördstochter, von welcher ich zu Dir geredet habe,« sagte Höskuld zu Rut, als sie an den genannten Frauen vorbeigingen; »wie gefällt sie Dir?« »Wohl,« antwortete Rut; »indessen weiß ich nicht, ob wir zusammen glücklich sein werden.« Als aber die Versammlung für den Tag geschlossen war, gingen beide Brüder nach Mörd's Hütte und traten ein. Mörd saß im Hintergrunde. Sie grüßten ihn. Er erhob sich, ging ihnen entgegen, faßte Höskuld's Hand und ließ ihn neben sich setzen, während Rut neben Höskuld saß. Sie unterredeten sich eine Weile, zuletzt aber sprach Höskuld: »Ich will mit Dir über einen Handel sprechen, (denn als solchen betrachteten die Bewohner des Nordens stets die Ehe). Rut wünscht Dein Schwiegersohn zu werden und deine Tochter zu kaufen. Ich meinerseits werde bei dieser Gelegenheit nicht knickern.« Mörd antwortete: »Von Dir weiß ich, daß Du ein großer Häuptling bist; aber Dein Bruder ist mir unbekannt.« »Er ist ein besserer Mann als ich,« antwortete Höskuld. »Du wirst genöthigt sein, ihm eine gute Mitgift zu geben,« fuhr Mörd fort, »denn ihr fällt das ganze Erbe nach mir zu.« »Ich brauche nicht lange zu sinnen, wieviel ich versprechen will,« entgegnete Höskuld und gab darauf an, wieviel er Rut an Gut und an Land mitzugeben gedenke. Mörd gab darauf gleichfalls die Mitgift seiner Tochter an und wie er die Anordnung des beiderseitigen Eigenthumsrechts auf Hof und Gut wünsche. »Mit diesen Bedingungen bin ich zufrieden,« sagte Rut, »laßt uns nun dafür Zeugen berufen.« So standen sie auf und legten die Hände ineinander. Mörd verlobte seine Tochter Unne mit Rut; die Hochzeit sollte bei ihm einen halben Monat nach Mittsommer gefeiert werden. Darauf ritten sie fort vom Ting und begaben sich auf den Heimweg.
Rut war noch nicht zu Hause angelangt, als er vernahm, daß sein Oheim, seines Vaters Bruder Össur von Norwegen gekommen sei und ihn baldigst zu sprechen wünsche. Das Schiff lag in Borgefjord, einem Arm des Faxefjord an der Westküste südlich vom Bredefjord. Rut bat Höskuld, mit ihm dorthin zu gehen. Er empfing seinen Oheim freundlich und liebenswürdig und bat ihn, er möge mit ihm ziehen und den Winter über bei ihm verweilen. »Das wird Dir nicht dienlich sein, Vetter,« entgegnete Össur, »denn die Botschaft bringe ich Dir, daß Dein Halbbruder Eyvind todt ist, nachdem er auf dem Ting Dich zu seinem Erben eingesetzt hat; kommst Du aber jetzt nicht selbst zur Stelle, dann nehmen Deine Widersacher alles Gut.« »Was ist hier am besten zu thun, Bruder?« fragte Rut Höskuld, »da komme ich in Noth, zumal ich jetzt meine Hochzeit anberaumt habe.« »Du mußt hinreiten,« antwortete Höskuld, »mit Mörd reden und ihn bitten, das Uebereinkommen dahin zu ändern, daß seine Tochter drei Winter hindurch als Deine verlobte Braut wartet.« Rut zeigte sich geneigt, dem Rathe zu folgen; er ließ seine Pferde vorführen und ritt nach Rangauvalle, Höskuld aber ritt heim. Rut fand freundliche Aufnahme bei Mörd und erzählte ihm die Sache, indem er ihn um Rath fragte. »Wie groß ist das Erbgut?« fragte Mörd. Rut meinte, es möge hundert Mark Silber betragen, wenn er es ganz in die Hände bekäme, oder nach unsrem Gelde etwa 1200 Thlr., was für damalige Zeiten wenigstens zehnmal soviel bedeutete als jetzt. »Das ist eine große Summe gegen das Erbtheil von mir,« sagte Mörd, »wenn es Dir recht ist, so rathe ich Dir, abzureisen.« Darauf trafen sie ihre Verabredung, daß Unne drei Winter hindurch als verlobte Braut warten solle. Rut ritt zum Schiffe; er blieb dort während des [11] Sommers, bis alles bereit war. Er bat Höskuld, seinen Hof und sein Gut in Obacht zu nehmen während seiner Abwesenheit und stach darauf bei günstigem Wind in See. Drei Wochen befanden sie sich auf dem Meere und landeten endlich auf der Insel Hern in der Nähe des jetzigen Bergen. Von dort segelten sie nach der Bucht (Vigen), denn das war der Name der Küste, welche den Meerbusen, der jetzt Christianiafjord heißt, umgiebt. Damals nämlich herrschte König Harald Graufell (Graafeld) über Norwegen und er und seine Mutter Gunhilde hatten in der Zeit ihren Wohnsitz in Kongehelle an der Götaelv, welche damals die Grenze zwischen Norwegen und dem südlichen Theil des jetzigen Schwedens war, wo die Gothen wohnten. Dort suchte Rut sie auf. Rut war ein schöner Mann, groß, stark und waffengewandt, von milder Sinnesart und sehr klug. Gunhilde gewann ihn alsbald lieb und versprach auch, ihm zu seinem Erbe zu verhelfen, falls er nach ihrem Willen thun wolle. Rut wagte nicht, ihr zuwider zu sein, denn sonst würde sie Rache gegen ihn geplant haben, ihm sein Gut geraubt und ihn selbst aus dem Lande gejagt haben. So versprach er denn ihr zu Diensten zu sein und sie verhalf ihm zu des Königs Gunst und zu einer angesehenen Stelle in seinem Gefolge. Er genoß viel Ehre, stand in hohem Ansehen beim König und durch Gunhilde's Hülfe erreichte er die Auszahlung seines Erbes; was er aber empfing, gab er ihr zur Hälfte. Als nach dem zweiten Winter allmählich der Frühling herankam, wurde er sehr still und in sich gekehrt. Gunhilde merkte es wohl und als sie einmal allein beisammen waren, sprach sie: »Was ficht Dich an, Rut, bist Du gemüthskrank?« Rut meinte, er könne es nicht leugnen. »Dem heimatslosen Mann blühen nur wenig Freuden,« sprach er, denn es trieb ihn zurück nach Island. »Hast Du eine Braut drüben?« fragte sie. »Das nicht!« entgegnete er. »Dennoch weiß ich, daß es der Fall ist,« sprach [12] sie. Indessen redeten sie für diesmal nicht mehr davon. Rut trat vor den König und grüßte ihn. »Was ist Dein Begehr, Rut?« fragte der König. Er antwortete: »Ich bitte Dich, Herr, gieb mir Urlaub, um nach Island zu fahren.« »Wird Dein Ansehen dort größer sein als hier?« fragte der König. »Das wohl nicht,« erwiderte Rut, »aber jeder muß auf seinem Platze wirken.« »Vergeblich würden wir ihn zurückhalten,« sprach Gunhilde zum König; »laß ihn ziehen, damit ist ihm am besten gedient.« Es war damals Theurung im Lande, indessen schenkte Gunhilde Rut soviel Mehl als er begehrte. Nachdem er sich zur Abfahrt fertig gemacht hatte, ging er hinauf zum König und Gunhilde. Diese führte ihn abseits und sagte zu ihm: »Hier ist ein Goldring, den ich Dir geben will!« und streifte denselben auf seinen Arm. Darauf schlang sie ihre Arme um seinen Hals, küßte ihn und sprach: »Habe ich Dich so in meiner Gewalt, wie ich es glaube, so lege ich Dir hiemit das Geschick auf, daß Du kein Glück findest an der Seite des Weibes, an welches Du denkst.« Rut lachte darüber und ging fort. Darauf trat er vor den König, um ihm zu danken. Der König empfing ihn freundlich und wünschte ihm gute Fahrt. Rut ging alsbald zu Schiffe, es wehte ein günstiger Wind, und er gelangte glücklich in den Borgefjord. Sobald der Anker ausgeworfen war, ritt Rut heim, während sein Oheim Össur, der ihm auf seinem Zuge gefolgt war, beim Schiffe blieb, bis es entladen war. Es wurde ans Land gezogen und ein Dach darüber gebaut zum Schutz vor den Winterstürmen. Alles Gut aber wurde nach dem Laxauthal hinaufgeführt.
Bald nach seiner Heimkehr ritt Rut zu seinem Bruder und erzählte ihm von seiner Fahrt. Sie sandten Boten an Mörd Gige, er möge sich auf die Hochzeit bereiten, und sechs Wochen vor Winters Anfang, welcher in der Mitte des Monats, den wir October nennen, eintrat, machten sie sich schließlich selbst bereit, zur Hochzeit zu reiten. Sie hatten ein Gefolge von sechzig Mann. Vor ihnen war schon eine Menge von Hochzeitsgästen eingetroffen. Die Männer ließen sich nieder auf den Langbänken längs den Seiten des Hauses, die Frauen setzten sich auf die Querbank oder die Hochbank auf einer Erhöhung an der Giebelseite. Das Fest nahm einen guten Verlauf, aber die Braut sah nicht froh aus. Mörd händigte die Mitgift seiner Tochter aus, und sie ritt mit Rut heim. Auf Rutstad ließ er sein Weib über das ganze Haus walten, so daß niemand sich darüber aufhalten konnte, allein das Verhältniß zwischen ihm und ihr war nicht gut. Im Jahre nach ihrer Hochzeit, als die Zeit des Altings herankam, fragte sie ihn, ob er zum Ting zu reiten gedächte. »Warum fragst Du darnach?« entgegnete er. »Ich möchte gleichfalls zum Ting, um meinen Vater zu sprechen,« antwortete sie. »Dann reiten wir mit einander,« versetzte Rut, und Unne gab sich zufrieden. Als sie zum Ting kamen, ging Unne zur Hütte ihres Vaters. Er empfing sie freundlich, doch meinte er, ihre frühere Fröhlichkeit sei von ihr gewichen. Da brach sie in Thränen aus, jedoch ohne ein Wort zu sagen. »Weshalb kamst Du zum Ting,« schalt Mörd, »wenn Du mir nicht Vertrauen schenken und offen reden willst? Gefällt es Dir etwa nicht dort im Westlande?« »Ich würde meine ganze Habe hingeben, wenn ich nur niemals dorthin gekommen wäre,« sprach sie weinend. »Darin wollen wir bald klar sehen,« sagte Mörd und sandte Männer aus, um Höskuld und Rut zu holen, worauf diese alsbald erschienen. Mörd erhob sich, empfing sie [14] freundlich und hieß sie sich niederlassen. Sie unterredeten sich lange und recht freundschaftlich. Endlich sagte Mörd zu Höskuld: »Was ist es, was meiner Tochter zuwider ist dort im Westlande?« Rut nahm das Wort und sprach: »Selbst möge sie ansagen, ob sie Klage wider mich führen kann.« Indessen wurde nichts derartiges gegen ihn vorgebracht. Da ließ Mörd Rut's Nachbarn und seine Hausgenossen darüber ausfragen, wie er ihr begegne. Diese aber gaben ihm alle ein gutes Zeugniß und sagten aus, sie habe in allen Dingen freien Willen. Schließlich redete Mörd seiner Tochter zu, sie möge mit Rut heimkehren und freundlich gegen ihn sein, »denn,« sagte er, »alle Zeugnisse sprechen besser für ihn als für Dich.« So folgte sie denn Rut vom Ting und während dieses Sommers kamen sie gut mit einander aus. Als aber der Frühling wiederkam, begann der alte Unfrieden auf's neue zwischen ihnen und wurde schlimmer und schlimmer. Im darauffolgenden Sommer ritt Rut nicht zum Ting, denn er beabsichtigte eine Fahrt westwärts nach den Fjorden und segelte ab, ohne daß seine Frau etwas dagegen sagte. Während seiner Abwesenheit aber bewog sie, als die Zeit des Tings heran kam, Össur's Sohn Sigmund dazu, mit ihr zum Ting zu reiten. Ihr Vater Mörd war da; er nahm sie wohl auf und bot ihr während der Dauer des Tings seine Hütte als Aufenthalt an, was sie gern annahm. »Wie bist Du jetzt auf Deinen Gatten Rut zu sprechen?« fragte er sie. Sie antwortete, sie könne nur Gutes von ihm reden, soweit er seinem eigenen Willen folge; es sei aber ein Zauber auf ihn gelegt. Nachdem sie ihm nun auseinandergesetzt hatte, was das gute Verhältniß zwischen ihnen störte, sagte Mörd: »Du hast wohl daran gethan, mir das zu sagen. Jetzt will ich Dir einen Rath geben, der Dir helfen wird, falls Du ihn ausführen kannst, ohne in irgend etwas davon abzuweichen. Erstlich mußt Du vom Ting wieder heimreiten; dann wird Dein Gatte zurückgekehrt sein und Dich wohl empfangen. Du mußt freundlich gegen ihn sein und ihm nach dem Munde reden. Dann wird es ihm scheinen, daß eine Veränderung zum guten stattgefunden hat. Du darfst auch weder Kälte noch Unwillen zeigen. Wenn aber das nächste [15] Frühjahr kommt, mußt Du Dich krank stellen und nicht vom Bette aufstehen. Rut wird nicht darnach forschen, was Dir fehlt oder sich deswegen irgendwie grämen. Vielmehr wird er alle Hausgenossen bitten, Dich so gut wie möglich zu hüten und zu pflegen. Sobald dann die Zeit des Tings naht, wird er nach den Fjorden westwärts segeln gleichwie in diesem Jahre und Sigmund als Begleiter mitnehmen und ebenfalls nicht bis zur Tingzeit zurückkommen. Wenn aber die Männer zum Ting reiten und alle Leute aus euren Thälern fortgezogen sind, dann mußt Du von Deinem Bette aufstehen und einige Männer aufrufen, um Dir zu folgen. Hast Du Dich dann ganz fertig gemacht, dann geh zu Deinem Bette mit den Männern, welche Dich begleiten sollen. Bei dem Bette Deines Gatten mußt Du dann Zeugen berufen und Dich von ihm geschieden erklären durch gesetzliche Scheidung, so wie sie durch Urtheilsspruch des Altings und Gesetz des Landes durchgeführt werden kann. Dieselben Zeugen sollst Du bei der Thür der Männer in deinem Hause berufen und dann fortreiten. Schlage aber nicht den gewöhnlichen Weg hierher ein, denn man wird nach Dir suchen.« Darauf nannte er ihr den Weg, welchen sie nehmen solle. »Reite nur weiter,« fuhr er dann fort, »bis Du zu mir kommst, ich werde die Sache in meine Hand nehmen, so daß Du niemals in Deines Gatten Gewalt kommen sollst.« Mit diesen Rathschlägen kehrte Unne vom Ting heim. Rut war zurückgekehrt und empfing sie wohl. Sie nahm das gut auf und war freundlich gegen ihn und in diesem Jahr bestand ein gutes Verhältniß zwischen ihnen. Als es aber Frühling wurde, schützte sie Krankheit vor und legte sich zu Bett. Rut fuhr nach den Fjorden im Westen, gebot aber vor seiner Abreise, sie wohl zu pflegen. Als die Zeit erschien, wo man zum Ting auszog, machte sie sich bereit, verfuhr in allen Dingen nach dem Rath ihres Vaters und ritt zum Ting. Man suchte sie wohl, indessen ohne sie zu finden. Mörd nahm sie freundlich auf und fragte sie, wie sie seine Rathschläge befolgt habe. »Ich bin in nichts von ihnen abgewichen,« erwiderte sie. Darauf ging sie zum Berg, wo die Gerichtssitzungen gehalten wurden und erklärte sich geschieden von [16] Rut. Die Leute meinten, das sei eine schlechte Sache, die man nimmer erwartet habe; Unne aber zog heim mit ihrem Vater und kam darauf niemals wieder in das Westland.
Als Rut heimkam, war seine Frau verschwunden. Wohl runzelten sich seine Brauen bei der Meldung, doch sagte er kein Wort und hielt sich ein ganzes Jahr lang zu Hause, ohne mit jemand darüber zu reden. Den folgenden Sommer ritt er zum Alting, sein Bruder Höskuld mit ihm, und sie führten viel Mannschaft mit sich. Als Rut zum Ting kam, fragte er, ob Mörd Gige dort sei. Man bejahte seine Frage, indessen redete Rut nicht mit ihm über seine Angelegenheit. Eines Tages aber trat Mörd auf den Versammlungsberg hervor, berief seine Zeugen und brachte eine Klage gegen Rut vor. Er habe eine Forderung an ihn, das Gut seiner Tochter betreffend; Rut müsse ihm 270 Mark Silber an baarem Gelde (etwa 3240 Thlr.) und dazu Buße auszahlen, weil er ihm dasselbe so lange vorenthalten habe. Rut erwiderte ihm: »Mehr aus Geiz und Zanksucht bringst Du diese Klage ein, als aus ehrlicher und männlicher Gesinnung. Dem will ich aber auch entgegentreten, denn Du hast noch nicht das Gut, welches sich in meinen Händen befindet, in Deiner Gewalt. So sage ich denn, so daß alle, die sich auf dem Versammlungsberg befinden, des Zeugen sind, daß ich Dich zum Holmgang fordere. Der Einsatz sei das Gut Deiner Tochter [17] und dem setze ich ebensoviel entgegen. Dem Sieger möge das Gut zufallen; willst Du aber nicht mit mir kämpfen, so erlischt jede Forderung deinerseits auf das Gut.« Mörd schwieg eine Weile und berieth sich mit seinen Freunden über den Holmgang. Jörund Gode sagte: »Du bedarfst nicht unseres Raths in dieser Sache. Kämpfst Du mit Rut, so weißt Du selbst voraus, daß Du Leben und Gut verlierst. Er hat sich wie ein braver Mann benommen und seine Sache steht günstig. Dazu ist er selbst groß und stark und tapfer wie kein zweiter.« Darauf verkündete Mörd laut, daß er nicht mit Rut kämpfen wolle. Da erhob sich ein großes Geschrei und gewaltiger Lärm auf dem Versammlungsberg, und Mörd hatte wenig Ehre davon. Darauf ritten die Männer heimwärts vom Ting. Auf dem Heimwege kehrten die Brüder Höskuld und Rut bei einem Bauer namens Thjostolf ein, um bei ihm zu übernachten. Es war an dem Tage viel Regen gefallen. Die Männer waren durchnäßt und es wurden auf der Mitte der Diele zwischen den beiden Langbänken große Feuer angezündet. Der Hausherr Thjostolf saß zwischen Höskuld und Rut. Auf der Diele aber liefen zwei kleine Knaben umher, welche bei Thjostolf erzogen wurden, und spielten und ein kleines Mädchen spielte mit ihnen. Die Kinder faselten allerlei in kindischem Unverstand. Einer von den Knaben sagte: »Jetzt will ich Mörd sein und Dich zwingen, Dich von Deinem Weibe zu scheiden und ich will das zum Vorwand nehmen, daß Du ihr kein guter Eheherr gewesen bist.« »Und ich will Rut sein,« entgegnete der andere, »und jegliche Forderung deinerseits auf das Gut für nichtig erklären, falls Du nicht mit mir kämpfen willst.« Das wiederholten sie mehrmals, und es erhob sich großes Gelächter darüber unter Thjostolf's Hausgenossen. Höskuld aber wurde zornig und schlug mit einem Stecken nach dem Knaben, welcher sich Mörd nannte; der Stecken traf ihn ins Antlitz und schlug ihn blutig. »Fort mit Dir,« rief Höskuld, »und mache uns nicht zum Spott.« Rut aber rief den Knaben zu sich und dieser kam. Rut zog einen goldenen Ring vom Finger, gab ihm den und sprach: »Geh' hin und beleidige hernach niemand mehr.« »Niemals [18] werde ich Dir vergessen, wie gütig Du gegen mich gewesen bist,« sprach der Knabe dankend und lief fort, Rut aber erwarb sich dadurch einen guten Namen. Darauf zogen sie heimwärts in's Westland und damit nahm der Streit zwischen Rut und Mörd ein Ende.
Auf dem Südlande von Island gegen Osten finden sich mehrere Berge oder Hochebenen von größerem oder geringerem Umfang, welche so hoch emporragen, daß sie stets von Schnee und Eis bedeckt sind. Von dort fließen zahlreiche Bäche herab, welche sich gegen Westen oder Südwesten wenden. Der südlichste derselben heißt im Binnenlande Markarfluß und fließt anfangs in westlicher Richtung, dann aber theilt er sich, und ein Arm desselben läuft südwärts und behält den alten Namen, der andere Arm aber wird die Querau genannt, welche ihren Lauf gen Westen fortsetzt und auf ihrem Wege die von Norden kommenden beiden Rangauen aufnimmt. Zwischen dem Markarfluß und der Querau einerseits und der Ostrangau andrerseits springt ein Hochland vor, auf dessen Abhängen gegen die Gewässer hin fruchtbares Ackerland sich findet. Da nun ein solcher Bergabhang in der altnordischen Zunge »Hlid« genannt wurde, wie heut zu Tage in Norwegen noch »Li«, so hieß der ganze Strich »Fljotshlid« oder »der Bergabhang am Flusse.« Auf dem südlichen Theile des Abhangs oberhalb der Querau, nicht weit von der Stelle, wo sie sich vom Markarfluß abzweigt, lag ein [20] Hof, welcher Hlidarende (Ende des Berghangs) genannt wurde. Dort wohnte ein Mann mit Namen Gunnar Hamundsohn, der in dieser Erzählung vielfach erwähnt werden wird. Er war von hohem Wuchs, stark und tüchtig im Waffenhandwerk wie kein anderer, sowohl im Schwert- wie im Speerkampf, besonders aber im Gebrauch des Bogens, denn er verfehlte niemals das erwählte Ziel. Außerdem zeichnete er sich vor allen in Leibesübungen aus, er schwamm wie ein Seehund, kurz in keiner Art von Uebungen, welche dem Manne geziemten, konnte sich jemand mit ihm zu messen wagen und keinen sah man als ihm ebenbürtig an. Er hatte ein freundliches und angenehmes Aeußere war blond, hatte helle blaue Augen und eine gerade, etwas aufgeworfene Nase, und sein Haar fiel schwer und voll über die Schultern und hatte eine schöne Farbe. Auch war er von seinen und einnehmenden Sitten, schnell zur That, mildthätig, sanftmüthig und von ruhiger Sinnesart, treu gegen seine Freunde, aber eigen in ihrer Wahl. Dazu war er an Gütern reich gesegnet. Seine Mutter Ranvejg war eine Brudertochter von Mörd Gige, so daß Unne Mördstochter seine Base war. An ihn wandte sich diese denn auch, als sie der Hilfe bedurfte. Denn kurze Zeit, nachdem Mörd seine Sache gegen Rut verloren hatte, wurde er krank und starb. Seine Tochter Unne war noch nicht wieder verheiratet und die einzige Erbin ihres Vaters. Sie aber war verschwenderisch und nicht umsichtig in der Verwaltung ihres Gutes, und das baare Geld schwand ihr unter den Händen dahin, so daß sie endlich nichts besaß, als ihr Land und das Vieh. Daher machte sie sich auf den Weg zu ihrem Vetter Gunnar auf Hlidarende. Dieser empfing sie freundlich und sie blieb dort über Nacht. Am folgenden Tage saßen sie vor dem Hause im ernsten Gespräch und Unne klagte ihm ihre Noth, daß sie des Geldes sehr bedürftig sei. »Ich will Dir von meinem Zinsen lassen, so viel Du brauchst,« sagte er. »Von Deinem Gelde will ich nicht zehren,« erwiderte sie. »Wie willst Du es denn gehalten haben?« fragte er. Sie entgegnete: »Ich will, daß du Rut wegen meines Gutes belangst.« »Es sind keine Aussichten vorhanden, daß ich Erfolg haben [21] werde,« sprach er, »da Dein Vater die Forderung nicht durchsetzen konnte, wiewohl er ein gesetzeskundiger Mann war; ich aber kenne nur wenig vom Gesetz.« Denn in Bezug auf die Rechtspflege hatte Island die Eigenthümlichkeit, daß das Gesetz eine Menge von Bestimmungen darüber enthielt, wie man bei der Anhängigmachung und der Durchführung einer Sache auf dem Ting vorzugehen habe. Derjenige, welcher auch nur von einer dieser Bestimmungen abwich, gab sich dadurch seinem Gegner gegenüber sofort eine Blöße, so daß er seine Sache verlor. Nun aber war es ein schwieriges Ding, alle Bestimmungen des Gesetzes für jede Art von Klagen zu kennen, zumal da die Isländer noch nicht das ganze Gesetz gesammelt und niedergeschrieben hatten, wie es später in dem Gesetzbuch geschah, welches »Graagaasen« (die graue Gans) hieß. Auf Gunnar's Einwendung antwortete Unne: »Mehr durch Gewalt und Trotz, als durch Gesetz und Recht gewann Rut die Sache, und ich habe keinen Vetter, der die Sache übernehmen mag, falls Dir dazu der Muth fehlt.« »Nicht der Muth mangelt mir,« sprach Gunnar, »aber ich weiß nicht, wie ich es anzufangen habe.« »Dann fahre Du zu Nial auf Bergthorshvol und rede mit ihm,« versetzte sie, »er wird Dir guten Rath geben können, zumal er Dein Freund ist.« »Allerdings,« erwiderte Gunnar, »er pflegt mir guten Rath zu geben wie auch jedem anderen.« So übernahm Gunnar denn schließlich ihre Sache und gab ihr Geld für den Haushalt und die Wirthschaft, soviel sie bedurfte, worauf sie heimkehrte.
Zwischen der Querau, dem südlichen Arm des oben genannten Markarflusses und dem Meere befindet sich ein dreieckiges Stück Land, welches wiederum durch einen dritten Arm des Markarflusses, der mitten hindurch strömt, getheilt wird. Die dadurch gebildeten Inseln heißen die Küsteninseln. Auf der einen von ihnen, zur linken Seite des Gewässers, das sie bildet, gerade an der Mündung lag Bergthorshvol. Nial Thorgejrsohn, welcher dort wohnte, war reich an Gut, mild und von edler Sinnesart; er war so gesetzeskundig, daß er darin seinesgleichen nicht fand, dazu klug und besaß die Gabe des zweiten Gesichts; er gab gute Rathschläge und gab sie gern, und was er vorschlug, nahm ein gutes Ende. Von Aussehen war er freundlich, aber eins fehlte ihm und das war damals kein geringes Ding für einen Mann: er hatte keinen Bart. Zu ihm eilte Gunnar, nachdem Unne heimgereist war. Nial empfing ihn wohl, und alsbald gingen sie abseits, um sich zu bereden. Gunnar sprach: »Heilrath zu suchen, kam ich zu Dir.« Nial entgegnete: »Viele Freunde habe ich zwar, die solches von mir erwarten mögen, niemand aber mehr wie Du.« Gunnar brachte nun sein Anliegen vor, worauf Nial meinte, es sei eine schwierige Sache. »Und gefahrvoll ist sie,« fuhr er fort, »wie Du sie auch anfassest; indessen will ich Dir Rathschläge geben, wie sie mir die besten zu sein scheinen; dann wirst Du auch Erfolg haben, falls Du in nichts von ihnen abweichst; thust Du es aber, dann droht Deinem Leben Gefahr.« Gunnar versprach nun dem Rathe Nial's zu folgen, dieser aber schwieg eine Weile, dann sprach er: »Jetzt habe ich mir das Ding überlegt und es wird Dir gelingen. Morgen in der Frühe mußt Du von Hause fortreiten und zwei Männer mit Dir nehmen; jeder von Euch muß zwei Pferde, ein fettes und ein mageres mit sich führen. Du aber mußt als [23] Ueberkleid einen groben Reisemantel tragen, darunter einen rothbraunen Vadmalsrock und zu unterst Deine eignen feinen Kleider. Eine Handaxt sollst Du mit Dir führen und einige Schmiedewaaren. Alsdann reitest Du westwärts, und wenn Du eine Weile geritten bist, ziehst Du Deinen Hut über die Augenbrauen. Die Leute werden fragen, wer der große Mann ist. Deine Begleiter müssen antworten: Es ist Hedin, der Kaufmann, vom Inselfjord, welcher mit Schmiedewaaren reist. Er ist ein arger und böswilliger Mann, ein Prahler und Schreier, der alles am besten zu wissen glaubt und stets die Leute anfällt, wenn sie nicht thun, wie er will. Du mußt Deine Waaren feilbieten, jedoch stets den Kauf wieder rückgängig machen, stets das große Wort führen und Streit und Zank suchen. Dann reite nach dem Borgefjord und von da nordwärts, bis Du ins Laxauthal kommst. Auf Höskuldstad bleibe über Nacht, allein Du findest keine gute Aufnahme daselbst. Am folgenden Morgen ziehst Du fort und reitest nach dem Hofe, der Rutstad benachbart ist. Dort mußt Du Deine Waaren feil bieten, jedoch das Schlechteste hervorsuchen und die Fehler aushämmern. Der Bauer wird die Fehler schon finden, dann aber mußt Du ihm die Sachen entreißen und ihn arg schelten. Er sagt dann, man könne von Dir nicht mehr erwarten, Du aber fällst sogleich über ihn her; schone jedoch Deine Kräfte, damit man Dich nicht erkennt. Man wird nach Rut senden, damit er euch auseinander bringe. Rut wird Dich zu sich einladen und Du wirst wohl empfangen werden. Er wird Dich im Gespräch über die Leute im ganzen Lande ausfragen. Ueberall mußt Du dieselben verspotten und ihnen Uebles nachreden. Zuletzt wird er mit Dir über Rangauvalle reden. Dort, mußt Du sagen, findet man am wenigsten Männer, seitdem Mörd Gige todt ist; diesen aber mußt Du besonders erheben, auch magst Du ein Lied singen, woran Rut seine Freude haben kann, denn Du bist ja, wie ich weiß, ein Skjald. Er wird über seine Sache [24] mit Mörd zu Dir sprechen und Dich fragen, ob Du sie kennst. Ungefähr, antworte Du ihm und zeige Dich nicht fremd darin. Dann sagt er, es sei nur Dummheit von Mörd gewesen, die Sache auf dem folgenden Alting nicht wieder aufzunehmen, denn er hätte es frei thun können, falls er den Muth dazu gehabt. Du magst nun andeuten, daß Du es wohl wissest. Daraufhin wird er fragen, ob Du gesetzeskundig seiest. Dann antwortest Du: ›Zu Hause im Nordlande glaubt man es von mir; indessen könntest Du mir wohl sagen, wie Mörd die Sache wieder hätte aufnehmen sollen, nicht weil es mich besonders angeht, sondern weil es überhaupt nicht schaden kann, es zu wissen.‹ Er wird Dir erklären, wie man die Ladung aufnehmen soll; aus freiem Antrieb sagt er Dir die Ladungsworte und Du mußt auf jedes Wort genau acht geben. Schließlich fordert er Dich gewiß auf, die Worte ihm nachzusprechen, wie man zu thun pflegt, wenn man jemandem etwas beibringen will. Geh darauf ein, sprich jedoch die Ladung falsch aus, so daß Rut darüber lacht und keinen Argwohn faßt. Er wird die Worte wiederholen und Du mußt sie nachsprechen, aber diesmal richtig. Endlich mußt Du Deine Begleiter zu Zeugen berufen, daß Du ihn um der von Unne Mördstochter Dir aufgetragenen Sache willen geladen habest. Auf diese Weise hast Du es dann erreicht, ihn zu laden, ohne daß er die Ladung niederzuschlagen vermag oder einen Einwand dagegen vorbringen kann, dieweil er selbst Dir gesagt hat, wie es sein soll. Wenn alle Männer aber in tiefem Schlafe liegen, nimm Du mit Deinen Begleitern ganz in der Stille Euren Zaum und Euer Sattelzeug, schleicht Euch hinaus und reitet auf den fetten Pferden fort, während Ihr die anderen Pferde zurücklaßt. Ueber die Weiden müßt Ihr auf die Berge hinaufreiten und drei Nächte lang dort oben bleiben, denn so lange wird man Euch suchen. Dann reitet Ihr heimwärts, aber nur in der Nacht, während Ihr am Tage stille liegt. Zum Sommer aber wollen wir zum Ting reiten und Euch die Sache durchführen helfen.« Gunnar dankte Nial für diesen Rath und ritt heim.
Gunnar folgte dem Rathe, den Nial ihm gegeben hatte. Er ritt mit seinen Geleitsmannen in dem Aufzug, wie Nial vorgeschlagen hatte, fort. Ihnen begegneten einige Männer, welche fragten, wer der große Mann sei, von dem man so wenig sehen könne. Auf die Antwort, es sei Hedin der Kaufmann vom Inselfjord, meinten sie, jetzt könne ihnen nichts Schlimmeres mehr begegnen, seit sie solchen Mann hinter sich hätten. Ueberall trat Gunnar in der ihm von Nial vorgeschriebenen Weise auf, so daß die Leute meinten, das Gerücht habe von Hedin dem Kaufmann nicht zu viel gesagt. Auf Höskuldstad befahl Höskuld seinen Dienstmannen, sie sollten sich mit Hedin nicht einlassen. Auf dem Nachbarhofe von Rutstad gerieth er sogleich mit dem Bauern in Streit. Man ließ Rut holen und Gunnar wurde eingeladen, nach Rutstad zu kommen. Hier fand er gute Aufnahme und einen Platz auf dem Hochsitz auf der niederen Langbank, wo man den Gast sich niederlassen hieß, Rut gegenüber. Das Gespräch kam in Gang und nahm ganz den Verlauf, den Nial vorausgesagt hatte. Zuletzt sprach Rut Gunnar die Ladungsworte vor und dieser sprach sie ihm nach, aber unrichtig. Beim zweiten Male sprach er sie richtig. »Ist es so recht?« fragte er Rut. »Allerdings,« entgegnete Rut, »die Ladung kann nicht niedergeschlagen werden.« »Dann lade ich Dich um der von Unne Mördstochters mir anvertrauten Sache willen,« sprach Gunnar so laut, daß seine Begleiter es hörten; Rut aber faßte keinen Argwohn. Schließlich ging man schlafen. In derselben Nacht erwachte Höskuld auf Höskuldstad, weckte alle seine Hausgenossen und sagte: »Ich will Euch einen Traum erzählen, den ich gehabt habe. Mir schien, ich sah einen großen Bären aus meinem Hofe hinausgehen; zwei Junge folgten ihm, sie wandten sich nach Rudstad und gingen dort hinein. Nun frage ich Euch, ob Ihr an jenem großen Mann, der gestern Abend unser Gast war, etwas Besonderes [26] gesehen habt.« Ein Mann antwortete, er habe einen Goldschmuck und ein Stückchen rothes Tuch unter dem Aermel des Mannes hervorlugen sehen; außerdem habe derselbe einen goldenen Ring am Finger getragen. »Dann war der Bär Gunnar von Hlidarende's Schutzgeist!« rief Höskuld; denn die heidnischen Nordländer glaubten, jeder Mann habe seinen Schutzgeist, der in Gestalt eines Thieres vor ihm hergehe oder ihm nachfolge. »Jetzt auf nach Rutstad,« befahl Höskuld. Sie weckten Rut. »Sind Gäste hier?« fragte Höskuld. »Ja, Hedin, der Kaufmann,« erwiderte Rut. »Nein, ein besserer Mann als der,« sagte Höskuld, »es ist Gunnar von Hlidarende.« »Dann hat er mich in Schlauheit und List überboten,« versetzte Rut. »Wie das?« fragte Höskuld. Rut sprach: »Ich habe ihn belehrt, wie er die Sache aufnehmen solle; ich lud mich selbst und er sprach mir nach; so hat er denn die ganze Sache so angelegt, wie sie aufrecht erhalten werden kann.« »Das war nicht Gunnar's Anschlag allein,« meinte Höskuld, »Nial von Bergthorshvol hat ihn ausgeklügelt.« Sie suchten nun Hedin den Kaufmann, allein er war fort. Sie sammelten Mannschaft und durchsuchten die ganze Gegend während drei Tagen, ohne ihn zu finden. Darnach ritt Gunnar von den Bergen hinab südwärts, bis er zu Hause anlangte. Als die Altingszeit herankam, ritt Gunnar zum Ting, wie auch Rut und Höskuld mit großem Gefolge dahin zogen. Sie gedachten Gunnar anzufallen, allein sie getrauten sich dessen schließlich doch nicht. Als der Gerichtshof eingesetzt war, machte Gunnar die Sache anhängig, wie solches im Gesetze vorgeschrieben war, mit Zeugenverhör und Eidesleistung, und zuletzt hieß er Rut die Einwände nennen, die er zu seinen Gunsten machen könne. Rut erwähnte nicht, ob er schuldig sei, die Mitgift zurückzuzahlen oder nicht, er wandte aber ein, daß mit den von Gunnar gestellten Zeugen ein Fehler gemacht sei, so daß die Klage nicht vorgebracht werden könne. Allein Nial war zum Gericht gekommen und sagte, Gunnar werde seine Sache leicht gewinnen, falls er sie vor dem Gericht durchführen wolle. »Keineswegs will ich das,« versetzte Gunnar, »aber ich will Rut dieselbe Wahl lassen, die er meinem [27] Vetter Mörd ließ. Sind die Brüder Höskuld und Rut so nahe, daß sie mein Wort vernehmen können?« »Wir vernehmen es,« erwiderte Rut, »was willst Du von uns?« Gunnar rief laut: »Alle, welche hier zugegen sind, mögen des Zeugen sein, daß ich Dich zum Holmgang herausfordere, Rut. Wir werden heute noch auf dem Holm in der Öxarau kämpfen. Willst Du aber nicht mit mir kämpfen, dann händige sogleich heute alles Gut aus.« Darauf verließ er das Gericht mit seinem Gefolge, und auch Höskuld und Rut gingen nach Hause; die Sache aber wurde nicht weiter verfolgt und auch kein Einwand gegen sie erhoben. »Niemals zuvor habe ich mich einem Holmgang entzogen, zu dem ein Mann mich herausgefordert hat,« sagte Rut, als er in seine Hütte eingetreten war. »Du darfst aber nicht mit Gunnar kämpfen, wenn ich Dir rathen soll,« antwortete Höskuld, »denn Du kannst ihn ebensowenig bestehen, wie Mörd Dich. Lieber mögen wir beide das Gut an Gunnar aushändigen.« Rut nahm diesen Rath an. Die Brüder fragten ihre Bauern, wie viel sie zuzahlen würden, und diese versprachen, so viel beizutragen, als Rut wünsche. Beide gingen sogleich nach Gunnar's Hütte. Er empfing sie in der Thür und sie legten das Geld in seine Hand. »Genieße es, wie Du es gewonnen hast,« sprach Höskuld. »Ohne Trug gewann ich es und ohne Furcht empfange ich es,« versetzte Gunnar. »Aerger wäre es gewesen, wenn wir um des Weibes willen dem Wolfe Blut zu lecken gegeben hätten.« »Uebel wird es Dir gelohnt werden,« sagte Rut zu Gunnar. »Mag es gehen, wie es will,« antwortete dieser. Darauf ging Höskuld mit seinem Gefolge nach seiner Hütte zurück. Er war furchtbar zornig. »Ob wohl niemals Rache über Gunnar kommen wird wegen seines unbilligen Verfahrens gegen uns?« wandte er sich an Rut. »Sicherlich,« entgegnete dieser, »aber wir werden weder Freude noch Vortheil davon haben. Es ahnt mir, daß er einst genöthigt sein wird, Freundschaft mit unserem Geschlecht zu suchen.« Nachher redeten sie nicht mehr über die Sache. Gunnar zeigte Nial das Geld. »Das ging vortrefflich,« sagte Nial. »Du warst es, der die Sache förderte,« erwiderte Gunnar. Hernach ritt man heimwärts [28] vom Ting. Gunnar brachte Unne alles Geld und wollte selbst nichts davon annehmen. »Nun aber meine ich,« sagte er, »daß ich in Zukunft mehr Hülfe und Beistand von Dir und Deiner Sippe fordern darf, als von anderen Männern,« worin sie ihm Recht gab. Gunnar aber hatte durch Hinausführung dieser Sache überall große Ehre gewonnen.
Eines Sommers kam ein Schiff nach Island und landete an der Südküste in der Nähe von Hlidarende. Der Steuermann war Halvard Hvide (der Weiße) von der Bucht. Er hielt sich während des Winters bei Gunnar auf Hlidarende auf und redete ihm oft zu, er solle doch nach Norwegen fahren. Gunnar antwortete nicht viel darauf, indessen meinte er, es sei nicht unmöglich, daß er es thäte. Im Frühjahr ritt er nach Bergthorshvol, um bei Nial sich Rath zu holen. »Du mußt reisen,« sagte dieser; »wohin Du auch kommen magst, überall wird man Dich für einen Ehrenmann halten.« Dabei versprach Nial, während seiner Abwesenheit Gunnars Gut in Obacht zu nehmen und seiner Mutter beim Betriebe des Hofes zur Hand zu gehen. Gunnar dankte ihm und ritt heim. Halvard redete ihm wiederum zu, er möge abreisen, worauf Gunnar ihn fragte, ob er in diesem Falle auch mit ihm nach dem Ostlande fahren wolle. Halvard sagte zu, denn er habe selbst schon alle Länder besucht zwischen Norwegen und Garderige. Die Nordländer verstanden nämlich unter dem Namen Ostland alle Länder längs der östlichen und südöstlichen Küste der Ostsee, und Garderige gehörte dazu, denn es war der Name des heutigen Rußlands. Darauf hin beschloß Gunnar die Reise und nahm seinen Bruder Kulskjäg (Schwarzbart) mit, einen großen starken [29] Mann, brav, muthig und unerschrocken. Sie fuhren also mit Halvard nach Norwegen. Den folgenden Winter brachten sie in Tönsberg, oder, wie es damals hieß, in Tunsberg zu. »Hast Du ein Langschiff?« fragte Gunnar Halvard einmal. »Zwei habe ich,« antwortete dieser. »So laßt uns Heerzüge machen,« sagte Gunnar, »und Mannschaft sammeln, die mit uns fährt.« Sie fanden ohne Mühe tüchtige Mannschaft, denn ruhmvoll war schon der Name Gunnars. Als alles bereit war, fuhren sie mit beiden Schiffen nach der Insel Hisingen in der Mündung der Götaelv, denn dort hatte Halvard einen Vetter Namens Ölve und bei diesem wollten sie Hilfe suchen für ihre Fahrt. Ölve nahm sie freundlich auf und als er hörte, daß sie Heerzüge machen wollten, um sich Gut zu sammeln, meinte er, sie seien nicht stark genug dazu. »Eure Stärke will ich mehren,« sagte er, »aber obwohl Du, Halvard, solches von mir erwarten kannst um unsrer Vetterschaft willen, so setze ich doch mehr Hoffnung auf Gunnar. Ich will euch zwei Langschiffe mitgeben, eins von zwanzig und eins von dreißig Ruderbänken; das eine will ich mit meinen Dienstmannen, das andre mit Bauern bemannen. Ich weiß aber nicht, ob ihr aus dem Flusse werdet herauskommen können, denn ich habe erfahren, daß in der Mündung zwei Brüder, namens Vandel und Karle, mit ihren Schiffen liegen.« Sie machten sich bereit und fuhren ab, Gunnar und Kulskjäg zusammen auf einem Schiff, Halvard auf dem anderen. Bald sahen sie die Vikingerschiffe. Gunnar sagte: »Wir wollen uns schlachtfertig halten, falls sie gegen uns andringen; im andren Fall wollen wir nicht mit ihnen anbinden.« Die Vikinger trennten ihre Schiffe, so daß eine Durchfahrt zwischen denselben entstand. Diese suchte Gunnar zu gewinnen. Als er an Vandels Schiff nahe vorüberschoß, warf dieser einen Haken hinüber auf sein Schiff und zog es an sich, während zu gleicher Zeit Karle mit seinem Schiff sich an die andre Seite desselben legte. Gunnar führte ein gutes Schwert, welches ihm Ölve gegeben, hatte aber seinen Helm nicht aufgesetzt. Sogleich [30] sprang er hinüber auf das Vorderdeck von Vandels Schiff und schlug einem Manne die Todeswunde. In demselben Augenblick schleuderte Karle einen Speer nach Gunnars Leib quer über sein Schiff hinweg. Aber Gunnar sah ihn kommen, wandte sich so rasch, daß niemand seinen Bewegungen zu folgen vermochte, erfaßte mit der Linken Karle's Speer im Fluge und warf ihn zurück, so daß der Mann, auf den er zielte, tödlich getroffen dahin sank. Kulskjäg ergriff nun einen Anker und stürzte ihn hinüber in Karle's Schiff und der Ankerhaken traf den Schiffbord und zerbrach ihn, so daß die dunkle See sich hinein ergoß und alle Mannen sich auf das andre Schiff hinüber retten mußten. Inzwischen sprang Gunnar zurück auf sein eignes Schiff, und als seine Mannschaft sah, wie unerschrocken er kämpfte, that jeder, was in seinen Kräften stand. Halvard kam nun auch herbei und es entspann sich ein heftiger Kampf. Gunnar brauchte Schwert und Speer, bald schlug, bald schleuderte er und viele verloren das Leben durch seine Hand, Kulskjäg aber folgte ihm treulich. Sie sprangen beide zuletzt hinüber auf Vandel's Schiff, wohin auch Karle gekommen war, und als nun Gunnar längs dem einen und Kulskjäg längs dem andren Bord vordrang, wandte sich Vandel gegen Gunnar und Karle gegen Kulskjäg. Vandel hieb nach Gunnar, aber das Schwert traf seinen Schild und blieb darin haften. Gunnar drehte den Schild so gewaltsam, daß das Schwert am Heft brach; darauf erhob er sein Schwert zum Schlag gegen Vandel und schwang es so rasch, daß drei Schwerter auf einmal in der Luft zu sein schienen und Vandel nicht wußte, gegen welches er sich decken solle. Als aber der Hieb saß, schlug er ihm beide Beine ab, so daß er hinfiel und starb. In demselben Augenblick stieß Kulskjäg Karle seinen Speer durch die Brust, so daß auch er den Tod fand. So gewannen sie den Sieg und große Beute. Darauf fuhren sie südwärts nach Dänemark und von dort ostwärts nach Smaaland (in Schweden) und waren überall siegreich.
Gunnar und Kulskjäg blieben während des Winters mit ihrem Gefolge auf der See. Im folgenden Sommer steuerten sie nach Reval; dort begegneten sie einigen Vikingern, ließen sich sogleich auf einen Kampf mit ihnen ein und gewannen den Sieg. Darnach steuerten sie ostwärts nach Ösyssel oder Ösel, wie es heut zu Tage heißt, und lagen dort eine Zeit lang unter einer Landspitze. Eines Tages sah Gunnar einen Mann von der Höhe der Landspitze herabkommen. Er ging sofort ans Land, um ihn zu treffen, redete ihn an und fragte nach seinem Namen und dieser antwortete, er hieße Tofe. »Was ist Dein Begehr?« fragte Gunnar. Tofe sprach: »Ich suche Dich. Denn ich will Dir ansagen, daß einige Heerschiffe unter der Landspitze an der andren Seite liegen. Zwei Brüder sind die Befehlshaber. Der eine nennt sich Halgrim, der andre Kulskjäg; sie sind beide gewaltige Streiter und haben so treffliche Waffen, daß ihresgleichen nicht zu finden ist. Halgrim hat eine Hellebarde, (Atgejr: so nannte man eine Waffe, die aus einer an einem Speer unterhalb der Spitze befestigten Axt bestand) die hat er durch Zauberkunst besprechen lassen, so daß keine andre Waffe ihm je den Tod bringt; außerdem hat sie noch die Eigenschaft, daß man alsbald merkt, wenn eine Todeswunde geschlagen werden soll, denn dann klingt sie weithin vernehmbar. Kulskjäg aber hat ein kurzes Schwert (eine Sax nannte man es) und auch dies ist eine herrliche Waffe. Ein Drittheil mehr Mannschaft haben sie als ihr. Schon spähten sie aus, daß ihr hier ankert und rüsten sich jetzt, euch anzufallen. Drum müßt ihr entweder gleich die Anker lichten oder ihr rüstet gleichfalls, sobald es geschehen kann. Gewinnt ihr den Sieg, so will ich Euch ihr Gut zeigen, denn vieles liegt auf dem Lande verborgen. Ich aber weiß, wo es liegt.« Gunnar schenkte Tofe einen Goldring für die Botschaft, dann ging er zu seinen Mannen, erzählte das Gehörte und hieß sie sich alle zum Kampfe rüsten. [32] Kaum waren sie fertig, so sahen sie die Schiffe in schneller Fahrt auf sich zukommen. Bald hob auch der Kampf an und dauerte lange, es sank mancher Mann dahin, doch die meisten schlug Gunnar's Hand. Mit seiner Mannschaft sprang Halgrim hinüber auf Gunnar's Schiff und dieser wandte sich wider ihn. Mit seiner Hellebarde stach Halgrim nach ihm. Doch dabei kam Gunnar die Sprungfertigkeit zu statten, die er besaß; denn im vollen Waffenkleide konnte er höher springen, als er selbst war und eben so weit vorwärts wie rückwärts. Nun sprang er rückwärts über einen Balken, der quer über das Schiff lag, doch hielt er den Schild vor den Balken hin. Den Schild traf Halgrim, die Hellebarde durchbohrte ihn und drang tief in den Balken. Sogleich beugte sich Gunnar weit vornüber und hieb Halgrim über die Hand. Doch schnitt das Schwert nicht, das machte der Zauber; lahm aber wurde Halgrim's Hand, sie ließ die Hellebarde und diese fiel auf den Boden. Flugs faßte sie Gunnar und durchstieß Halgrim, und darauf sang er ein Lied, worin er gelobte, er selbst wolle sie führen sein Leben lang. Inzwischen waren die beiden Kulskjäge zusammengerathen und lange schwankte der Sieg zwischen ihnen. Da kam Gunnar heran und schlug dem anderen Kulskjäg die Todeswunde. So waren die fremden Vikinger ohne Häuptling, darum baten sie um Frieden. Den gestand Gunnar ihnen zu und er hieß sie ihre Waffen und Kleider behalten und zurückfahren nach ihrem Heimatland; das übrige Gut aber nahm er an sich nebst dem Eigenthum der todten Männer. Nach dem Kampfe kam Tofe und bot ihm an, ihn zu dem Gute zu führen, das die Vikinger verborgen hatten; er sagte, es sei mehr und besser als das, was sie bisher gewonnen. Gunnar ging daher mit ihm nach einem Walde hinauf und hier führte ihn Tofe an eine Stelle, wo ein großer Haufen Reisholz lag. Sie schleppten das Reisholz bei Seite und fanden darunter sowohl Gold als auch Silber, Kleider und gute Waffen, und dies trugen sie zu den Schiffen hinab. Gunnar fragte nun Tofe, wie er ihm es lohnen solle. Dieser antwortete: »Von Geburt bin ich ein dänischer Mann, aber gefangen wurde ich von den Vikingern, die mich[33] hier auf Ösyssel an's Land setzten; hier habe ich bisher freudlos und freundlos geweilt; nun will ich Dich bitten, mich zurückzubringen zu meiner Sippe.« Das versprach ihm Gunnar und nahm ihn mit sich.
Nach dem Siege bei Ösyssel fuhr Gunnar mit Kulskjäg und Halvard nach Dänemark. Er besaß nunmehr zehn Schiffe und viel Gut. Er steuerte hinein nach Hedeby in Dänemark, welches jetzt Schleswig heißt, und ging dort an Land. Damals waltete König Harald Gormsohn über das Reich Dänemark und hielt sich gerade dort im Lande auf. Man erzählte ihm von Gunnar und rühmte ihn als einen so trefflichen Mann, daß er seinesgleichen nicht auf Island fände. Da sandte König Harald einen Boten zu Gunnar und lud ihn zu sich. Gunnar nahm die Einladung an, Harald nahm ihn sehr ehrenvoll auf und ließ ihm einen Sitz neben sich bereiten. Am Königshofe blieb Gunnar einen halben Monat. Der König hatte seine Freude daran, Gunnar in verschiedenen Waffenübungen mit seinen Mannen sich versuchen zu lassen. Aber es fand sich keiner, der es ihm gleichthun mochte in irgend einer Leibesübung. »Nach deinesgleichen wird man lange suchen müssen,« sagte der König zu ihm und bot ihm an, er wolle ihm zu einer vortheilhaften Heirat und zur Stellung eines mächtigen Häuptlings verhelfen, falls er in seinem [34] Reiche sich niederlassen wolle. Allein Gunnar dankte dem Könige für das Anerbieten und sagte, er wolle vor der Hand erst nach Island zurückfahren zu seinen Freunden und Vettern. »Dann wirst Du niemals zu uns zurückkehren,« sagte der König. »Das mag das Geschick bestimmen,« antwortete Gunnar, und beim Abschied gab er dem König ein gutes Langschiff und viel Gut. Der König aber schenkte ihm ein Prachtgewand, ein Paar goldumsäumte Handschuhe, ein Stirnband mit goldenem Aufsatz und einen gerdischen oder russischen Hut. Darnach fuhr Gunnar nordwärts nach Hisingen, wo Ölve ihn mit offenen Armen empfing. Gunnar stellte ihm seine beiden Schiffe zurück und sagte, ihr Inhalt sei der Antheil, der ihm zukomme. Ölve nahm das Gut an, pries Gunnar ob seiner offenen Hand und bat ihn, einige Zeit bei ihm zu weilen. Doch auf Halvard's Anrathen beschloß Gunnar nach Drontheim zu fahren und Hakon Jarl zu besuchen, der nunmehr über Norwegen regierte. Auch hier wurde er ehrenvoll empfangen und der Jarl bot ihm an, den Winter über bei ihm zu bleiben; Gunnar nahm es an, denn er war wohlgelitten von allen, und beim Julfest empfing er einen Goldring vom Jarl. Gunnar faßte Zuneigung zu Bergliot, einer Nichte des Jarl's, und es war diesem leicht anzumerken, daß er sie ihm gegeben hätte, wenn er nur ein Wort darüber hätte fallen lassen. Als der Frühling nahte, fragte der Jarl Gunnar, was er jetzt vorhabe, und Gunnar erwiderte, er wolle nunmehr nach Island fahren. »Mißwachs haben wir hier im Lande gehabt,« sagte der Jarl, »und es wird darum die Ausfuhr nach Island nur gering sein, doch will ich Dir trotzdem [35] Mehl und Holz mit auf's Schiff geben.« In kurzer Frist machte Gunnar sein Schiff segelklar. Halvard und Kulskjäg schlossen sich ihm an, und sie erreichten das Land im Frühsommer. Gunnar selbst ritt vom Schiffe heimwärts und sandte Männer hin, um es zu löschen. Alle empfingen die Brüder voll Freude, diese waren aber auch sanft, mild und freundlich gegen ihre Hausgenossen und gar nicht hochmüthig ob ihrer Fahrt. Gunnar fragte, ob Nial zu Hause sei, und als ihm die Frage bejaht wurde, ließ er sein Pferd vorführen und ritt von Kulskjäg begleitet nach Bergthorshvol. Hocherfreut wurde Nial, als er sie sah und bat sie, die Nacht über zu bleiben; Gunnar erzählte nun von seinen Fahrten. »Du bist ein trefflicher Mann« sprach Nial zu ihm, »und hast viele Prüfungen und Kämpfe bestanden, doch wirst Du deren noch mehr erfahren, denn viele Neider werden Dir erstehen.« »Gern möchte ich doch mit allen auf gutem Fuß stehen,« meinte Gunnar. »Kaum mag Dir das gelingen,« sprach Nial, »und Du wirst oft für Dein Leben kämpfen müssen.« »Mag es so kommen, wenn es nur für eine gute Sache ist,« erwiderte Gunnar. »Die wird Dir nicht fehlen«, versetzte Nial, »wenn Du nur nicht für andere entgelten mußt.« Nial fragte Gunnar, ob er zum Alting zu reiten gedenke, denn dieses war nicht mehr fern. Gunnar bejahte es und fragte hingegen, ob Nial es auch beabsichtige. »Keineswegs,« entgegnete dieser, »und gern sähe ich, daß Du Dich ebenfalls fern hieltest.« Gunnar ritt heim und beim Abschied schenkte er Nial reiche Gaben und dankte ihm für die Aufsicht über seinen Hof und sein Gut. Kulskjäg redete Gunnar eifrig zu, zum Ting zu reiten. »Dein Ansehen wird dadurch wachsen,« sagte er, »denn viele werden kommen und Dich begrüßen.« »Nicht steht mein Sinn dahin, mich selbst zur Schau zu stellen,« entgegnete Gunnar, »doch scheint es mir gut, mit braven Männern zusammenzutreffen.« Halvard war nun auch gekommen und erbot sich, sie zum Ting zu geleiten, und so ritt denn Gunnar aus und alle anderen mit ihm. Als sie zum Ting kamen, waren sie so gut gekleidet und gerüstet, daß niemand ihnen gleichkam, und aus jeder Hütte, an der sie [36] vorbeikamen, liefen die Bewohner hervor, um sie zu bewundern. Gunnar ritt nach dem Platze, wo die Anwohner des Rangau ihre Hütten hatten und nahm dort Aufenthalt mit seiner Sippe. Viele Männer erschienen, um sich mit ihm zu unterreden und Zeitung zu erfragen. Er war heiter und freundlich gegen alle und sagte ihnen, was sie wünschten.
Die Erzählung greift nun wiederum in die Vergangenheit zurück. Höskuld Dalekolsohn auf Höskuldstad im Laxauthal hatte eine Tochter namens Halgjerde. Schon als Kind war sie hochgewachsen und schön von Angesicht, ihr Haar war so fein wie Seide und so lang und schwer, daß es ihr bis zum Gürtel herabwallte. Einst geschah es, daß Höskuld seine Freunde zum Mahle bei sich versammelt hatte; sein Halbbruder Rut Herjulfsohn war dabei und saß ihm zur Seite. Halgjerde spielte auf der Diele mit einigen anderen Mädchen. »Komm' zu mir her,« sagte Höskuld zu ihr, und sie kam sogleich. Er faßte sie unter das Kinn und küßte sie, worauf sie wieder fortlief. »Was dünkt Dich über das Mägdlein,« wandte sich Höskuld an Rut, »ist es nicht ein liebliches Kind?« Rut schwieg und Höskuld wiederholte seine Frage. Da antwortete Rut: »Sehr schön ist sie, und mancher wird dafür büßen müssen. Aber ich kann mir nicht erklären, woher die Diebsaugen in unser Geschlecht gekommen sind.« Da zürnte Höskuld und es verging geraume Weile, ehe sich wieder ein gutes Verhältniß zwischen den Brüdern anbahnte.
Als Halgjerde heranwuchs, wurde sie ein sehr schönes Weib; sie war hochgewachsen, weshalb sie den Spitznamen die Lange erhielt; ihr Haar war prächtig und so schwer, daß sie sich ganz darein zu hüllen vermochte. Sie war freigebig und verstand es gut, jedermann für sich zu gewinnen; dabei war sie aber eigensinnig und trotzköpfig und vergaß nicht leicht Beleidigungen. Auch wurde ihre Sinnesart nicht besser dadurch, daß sie oft bei einem Manne namens Thjostolf sich Rath einholte. Dieser war ein starker Mann und waffenkundig, doch hartherzig und eigensinnig, und hatte viele Männer getödtet, ohne je dafür Buße bezahlt zu haben. Er hatte Halgjerde in ihrer Kindheit erzogen und seitdem pflegte sie sich zu ihn zu halten. – Westlich von Höskuldstad, nach dem Strande zu, wohnte ein reicher Bauer, Thorvald geheißen; er war ein starker Mann, von feinen Sitten, aber etwas heftiger Sinnesart. Sein Vater Osvif redete ihm einst zu, er möge sich eine Frau suchen, und Thorvald war nicht abgeneigt. Als sie sich aber auch beredeten, welche Frau am besten passen möchte, konnten sie lange kein Mädchen finden, das ihnen gefiel. Zuletzt kamen sie auf die lange Halgjerde. »Sie will ich zu gewinnen suchen,« meinte Thorvald. »Das taugt nichts,« erwiderte Osvif, »denn sie ist heftig und Du bist hart und eigensinnig.« »Dennoch lasse ich mich von meinem Vorhaben nicht abbringen,« sagte Thorvald, »es bleibt bei dem, was ich beschlossen habe.« »Meinetwegen,« erwiderte Osvif, »denn Du allein wagst etwas dabei,« und so machten sie sich denn auf die Werbung nach Höskuldstad. Sie wurden freundlich empfangen und brachten sogleich ihr Anliegen vor. Höskuld erwiderte darauf: »Eure Stellung kenne ich und Wesen und Art meiner Tochter könnt Ihr selbst sehen, doch will ich Euch nicht verhehlen, daß sie einen etwas harten Sinn hat.« »Das soll kein Hinderniß [39] sein,« versetzte Thorvald, »gieb Du nur die Bedingungen an.« Das Ende der Verhandlung wurde denn, daß der Brautkauf abgeschlossen wurde und Thorvald Osvifsohn sich mit Halgjerde verlobte. Höskuld hatte sie selbst nicht befragt, denn er wollte sie gern verheiraten. Nachdem aber Thorvald und dessen Vater fortgeritten waren, erzählte er ihr den Handel. »Jetzt sehe ich,« sagte sie, »was ich längst gemerkt habe: Du liebst mich nicht so sehr, wie Du stets gesagt hast, da Du es nicht für der Mühe werth hieltest, mich zu befragen. Auch scheint es mir keine so günstige Heirat zu sein, wie Du sie mir versprochen hast.« Höskuld antwortete: »Dein Stolz soll mich in meinem Handel nicht hindern; sind wir nicht einig, so bin ich es, der zu bestimmen hat und nicht Du.« Sie entgegnete darob: »Allzeit herrschte großer Stolz in Dir und Deinem Geschlecht, darum ist es kein Wunder, daß auch ich meinen Theil davon erhalten habe.« Darnach ging sie fort. Sie ging geradenwegs zu ihrem Pflegevater Thjostolf und erzählte ihm voller Betrübniß, was im Werke sei. »Sei nur guten Muthes,« tröstete sie Thjostolf, »es ist nicht das letzte Mal, daß Du verheiratet wirst und nächstes Mal wird man Deine Meinung schon einholen; ich werde Dir stets zu Diensten sein, wenn ich nur nicht Deines Vaters oder Rut's Widerpart zu sein brauche.« Nach diesen Worten redeten sie nicht mehr über die Sache. Höskuld aber bereitete das Hochzeitsfest vor und ritt herum, um die Gäste zu laden. Er kam auch nach Rutstad und lut Rut ein. »Auch möchte ich Dich bieten,« sprach er, »es mir nicht zu verargen, daß ich Dich nicht um Rath fragte, als ich diesen Handel schloß.« »Am liebsten bleibe ich ganz unbetheiligt bei der Angelegenheit,« erwiderte Rut, »sie bringt kein Glück, weder ihm noch ihr; doch will ich zum Mahle kommen, wenn Du es als eine Ehre für Dich ansiehst.« »Allerdings,« versetzte Höskuld und ritt darauf heim. Osvif und Thorvald luden auch Gäste, so daß nicht weniger als hundert Fremde da waren. Einen Gast lud Halgjerde, nämlich einen Oheim mütterlicherseits, namens Svan, der auf Svanshol am Bärenfjord im Nordlande wohnte. Er war zauberkundig,[40] zanksüchtig und ein böser Gesellschafter. Thjostolf hatte sie zu ihm gesandt, um ihn zu laden, und bald waren die beiden Männer enge Freunde. Beim Mahle saß Halgjerde auf der Querbank und war sehr vergnügt; Thjostolf kam oft zu ihr und flüsterte mit ihr, und bisweilen auch mit Svan, was den Leuten sehr sonderbar vorkam. Im übrigen verlief das Mahl ungestört. Höskuld zahlte Halgjerde's Mitgift ganz baar aus. »Soll ich noch einige Gastgeschenke vertheilen?« fragte er Rut beim Ende des Mahles. »Nein, thue das nicht,« antwortete Rut, »Du wirst Gelegenheit genug haben, Dein Gut um Halgjerde's willen hinzugeben.« Als Thorvald mit seiner Frau heimritt, folgte ihnen Thjostolf; er schritt daher an Halgjerde's Seite und redete leise mit ihr, wobei Halgjerde sehr ausgelassen war. »Wie seid ihr mit einander ausgekommen?« fragte Osvif seinen Sohn. »Sehr wohl,« versetzte dieser, »sie erwies mir ungetheilte Liebe. Du kannst ja auch sehen, daß sie zufrieden und froh ist, denn sie lacht bei jedem Wort, welches sie spricht.« »Dies Lachen gefällt mir schlecht, und es wird sich schon zeigen, daß ich Recht habe,« sprach Osvif. Nach der Heimkehr saß Halgjerde des Abends neben ihrem Eheherrn, Thjostolf aber räumte sie den Platz an ihrer Seite ein, am weitesten von der Thür, wie sie ihm denn alle schuldige Ehre erwies. Thorvald und Thjostolf aber ließen sich nur wenig mit einander ein und wechselten im Laufe des Winters nur wenige Worte.
Halgjerde war verschwenderisch und verbrauchte viel. Als der Frühling nahte, war deshalb auch Mangel in der Haushaltung und es fehlte an Mehl und getrockneten Fischen. Sie fuhr darum Thorvald unwirsch an, weil er nicht herbeischaffe, was des Hauses Bedarf sei. »Niemals habe ich vordem mehr beschafft und doch hat es bis in die Mitte des Sommers hinausgereicht,« antwortete er. Sie entgegnete: »Was geht es mich an, wenn Du so geizig gewesen bist, Dich selbst und Deinen Vater Hunger leiden zu lassen.« Da aber wurde Thorvald zornig und schlug sie in's Gesicht, so daß sie blutete, dann ging er fort, nahm sechs von seinen Hausgenossen mit sich und ruderte hinaus nach einigen Inseln, die er im Hvamsfjord besaß und die den Namen Bäreninseln trugen; daselbst hatte er Vorräthe an Mehl und getrockneten Fischen. Halgjerde setzte sich vor das Haus und war sehr niedergeschlagen. Thjostolf kam hinzu und bemerkte, daß sie im Gesicht Wunden habe und fragte sie, woher dieselben rührten. »Mein Eheherr that es,« versetzte sie, »doch kümmert Dich das nur wenig, da Du mir nicht einmal zu Hilfe kamst.« »Ich wußte es ja nicht,« erwiderte Thjostolf, »doch will ich es jetzt rächen.« Er holte seine Axt, sprang in ein Boot und ruderte nach den Bäreninseln. Dort stand Thorvald in seinem Boot und verstaute die Ladung, während seine Leute ihm dieselbe zutrugen. Thjostolf sprang sogleich hinüber in Thorvald's Boot und fing an, mitzuarbeiten. »Ich muß Dir nur beistehen,« sagte er dabei, »denn zu langsam bist Du bei dieser Arbeit und außerdem wird schlecht gethan, was Du thust.« »Kannst Du es besser machen?« fragte Thorvald. Thjostolf antwortete: »Eins giebt es, was ich besser machen kann als Du: das Weib, das Du hast, ist unglücklich vermählt und übel ist es, daß Euer Zusammenleben so lange dauert.« Da ergriff Thorvald ein Fischermesser, das neben ihm lag und hieb nach Thjostolf. Thjostolf aber schlug wieder mit [42] seiner Axt und traf Thorvald's Arm, so daß dieser zerbrach und das Messer ihm entfiel. Wiederum schwang Thjostolf die Axt und zerschmetterte Thorvald das Haupt, so daß er gleich seinen Geist aufgab. In demselben Augenblick kamen Thorvald's Knechte zum Boote herab mit einer Bürde, die in dasselbe gelegt werden sollte. Doch Thjostolf war nicht rathlos. Mit beiden Händen hieb er ein großes Loch in den Bordrand von Thorvald's Boot, so daß die dunkle See in mächtigem Schwall hineinströmte und sprang rasch in sein eignes Boot, während das des Thorvald mit der Ladung und der Leiche versank. Die Männer sahen nicht, wie übel zugerichtet ihr Herr war, daß er aber todt sei, das sahen sie. Sie riefen Thjostolf Flüche nach; er aber ruderte an Land, zog sein Boot auf's Trockene und ging geraden Wegs zum Hofe hinauf mit der blutigen Axt auf der Schulter. Halgjerde saß noch draußen. »Blutig ist Deine Axt,« sprach sie, »was hast Du gethan?« »Ich sorgte dafür, daß Du zum zweiten Male Dich vermählen kannst,« erwiderte Thjostolf. »Dann ist Thorvald todt,« sagte sie. »So ist es,« entgegnete er, »doch sorge Du nun für meine Sicherheit.« »Das will ich,« versetzte sie und hieß ihn nordwärts zu Svan reiten. Thjostolf bestieg sogleich sein Pferd und ritt fort. Svan empfing ihn mit offenen Armen, rühmte seine Kühnheit und sprach: »Schande werden sie ernten von ihrer Fahrt, die, welche Dich bei mir suchen wollen.« – Halgjerde aber wollte jetzt zu ihrem Vater heimreiten; sie ging zu ihrer Lade und schloß sie auf, rief dann ihre Hausgenossen herbei und gab jedem eine Gabe und alle waren höchst unzufrieden damit, daß sie sie verlieren sollten; darnach ritt sie nach Höskuldstad. Dort traf sie ihren Vater und Rut und diese empfingen sie froh, denn sie wußten noch nicht, was geschehen war. »Warum kommt Thorvald nicht mit Dir?« fragte Rut. »Er ist todt,« sprach Halgjerde. »Dann war es Thjostolf, der ihn tödtete,« sage Höskuld und als sie es bejahte, fuhr er fort: »So hatte Rut doch Recht, als er sagte, diese Heirat werde großes Unglück im Gefolge haben; allein geschehene That ist nicht zu ändern.« – Als Osvif den Tod seines Sohnes erfuhr, erkannte er sogleich den [43] Zusammenhang; er sammelte Mannschaft und ritt nordwärts nach dem Bärenfjord. Aber Svan hatte ein Vorgefühl davon, daß er herankomme. »Jetzt nahen Osvif's Schutzgeister,« sagte er, ging vor das Haus und zauberte einen dichten Nebel hervor. Als nun Osvif und seine Mannen auf die Höhe des Bergrückens in der Nähe von Svanshol gelangt waren, kam ein dichter Nebel ihnen entgegen; es wurde finstre Nacht vor ihren Augen, sie stürzten von den Pferden und fanden diese nicht mehr, sie verloren ihre Waffen und geriethen entweder in die Brüche oder in den Wald, so daß sie in Gefahr waren, Leib und Leben zu verlieren. »Wenn ich nur meine Pferde und meine Waffen wiederfinden könnte, so wollte ich umkehren,« sagte Osvif endlich. Da begann es sogleich etwas hell zu werden und sie fanden Pferde und Waffen wieder. Viele äußerten nun den Wunsch, weiter zu reiten nach Svanshol. Allein es geschah dasselbe Wunder und so wiederholte es sich dreimal, so daß sie zuletzt umkehrten und heimritten. Osvif jedoch ritt nach Höskuldstad und rief Höskuld und Rut heraus zu einer Unterredung. Sie erschienen, und Osvif forderte Buße für seinen Sohn. Höskuld antwortete: »Ich war es nicht, der Deinen Sohn tödtete, auch war es nicht mein Anschlag; indessen ist es natürlich, daß Du Entgelt forderst.« Rut sagte: »Die Nase ist den Augen nahe, Bruder; Du kannst nicht anders als jeder üblen Nachrede den Weg verlegen und ihm Buße für seinen Sohn geben, damit Du also die Sache Deiner Tochter wieder gut machest; und es ist desto besser, je weniger Worte darüber gewechselt werden.« »Willst Du denn die Buße festsetzen?« fragte Höskuld Rut. »Das will ich,« entgegnete dieser, »und will Dich nicht schonen, denn gerade heraus gesagt, es war Deiner Tochter Anschlag, welcher Thorvald den Tod brachte.« »Wohl ist der Vergleich nicht billig,« sprach Osvif zu Höskuld, »wenn Dein Bruder die Buße festsetzt; allein er hat so trefflich gesprochen, daß ich wohl das Vertrauen hegen darf, er werde nach Recht und Billigkeit schätzen.« Darauf stand er auf und faßte Höskuld's Hand, und sie verglichen sich dahin, daß Rut die Buße bestimmen solle. Er setzte sie auf 6 Mark Silber, [44] etwa 72 Thaler, oder, wie es auch hieß »zweihundert in Silber« fest, denn das hielt man damals für gute Mannbuße; und Höskuld zahlte sie sogleich baar aus. Außerdem schenkte Rut Osvif einen guten Mantel, womit Osvif zufrieden war und heimritt; ebenso wurden keine Schwierigkeiten erhoben bei der Theilung von Thorvald's Erbe. Halgjerde nahm darnach ihren Aufenthalt bei ihrem Vater und ihr Gut vermehrte sich stark. Lange aber redete man von dem Mord an Thorvald.
Auf dem Hofe Varmaläk in der Nähe des Borgefjord wohnten zwei Brüder namens Thoraren und Glum. Sie waren Söhne von Olaf dem Lahmen, angesehene Männer und sehr begütert. Thoraren war ein sehr verständiger Mann, und Glum war groß, stark und gesund und war lange auf Reisen gewesen. Einst fragte Thoraren Glum, ob er außer Landes zu ziehen gedenke, wie er gewohnt sei. Glum antwortete, er habe eher daran gedacht, ganz aufzuhören mit seinen Handelsreisen. »Was hast Du denn vor?« fragte Thoraren, »willst Du Dir eine Frau suchen?« »Wohl möchte ich es,« erwiderte Glum, »falls ich eine vortheilhafte Heirat schließen könnte.« Da zählte Thoraren die Jungfrauen auf, die um den Borgefjord herum wohnten und fragte Glum, ob er eine von diesen zum Weibe begehre, den er wollte mit ihm auf die Brautwerbung ausreiten. »Nein,« versetzte Glum, »keine von diesen begehre ich.« »So nenne doch die, welche Du erkoren hast,« sagte Thoraren. Glum antwortete: »Wenn Du es gern wissen willst, sie heißt Halgjerde Höskuldstochter.« »Hier trifft das Sprichwort nicht zu, daß einer durch andren Mannes Schaden klug geworden ist,« rief Thoraren aus. [45] »Schon einmal war sie verheiratet und ließ ihren Mann elend hinmorden.« »Mir wird das nicht geschehen,« versetzte Glum, »und willst Du mir eine Ehre anthun, so reite mit mir und wirb mit mir um sie.« Thoraren meinte: »Da läßt sich nichts dagegen machen, was geschehen soll, das geschieht.« Glum beredete sich noch oft mit Thoraren über die Angelegenheit und dieser suchte lange Zeit sich ihr zu entziehen, zuletzt aber sammelten sie Mannschaft und ritten zehn Mann stark nach Höskuldstad. Sie fanden gute Aufnahme und blieben die Nacht über. Am nächsten Morgen sandte Höskuld in der Frühe Boten zu Rut, um ihn zu holen und er war selbst draußen, als Rut in den Hof hereinritt. Höskuld erzählte ihm, welche Gäste bei ihm weilten. »Was sie wohl wollen?« fragte Rut. »Sie haben ihr Anliegen noch nicht vorgebracht,« erwiderte Höskuld. »Sie wollen um Halgjerde bitten,« sprach Rut, »was wirst Du ihnen antworten?« »Was räthst Du mir?« sagte Höskuld. Rut sagte: »Gieb ihnen günstige Antwort, doch sage ihnen mit den Tugenden auch die Untugenden des Weibes.« Die Brüder hatten ihre Unterredung noch nicht vollendet, als die Gäste aus dem Hause traten. Sie brachten ihre Werbung an und Höskuld folgte Rut's Rath. »Das soll uns kein Hinderniß sein,« antwortete Thoraren; »die zweite Ehe wird schon glücklich werden, wenn auch die erste zum Unglück führte, war doch hiervon Thjostolf der Urheber.« Da nahm Rut das Wort und sagte: »Gern möchte ich Euch einen Rath ertheilen. Wenn dieser Handel abgeschlossen wird, so darf Thjostolf Halgjerde nicht auf Glum's Hof folgen und niemals darf er länger als drei Nächte dort verweilen ohne Glum's Erlaubniß; doch will ich Glum nicht rathen, sie ihm zu gewähren. Weilt Thjostolf dort länger ohne Glum's Bewilligung, so sei es Glum gestattet, ihn todt zu schlagen. Außerdem dürfen wir diesmal nicht wiederum die Sache ohne Halgjerde's Wissen und Willen abmachen, sondern sie muß befragt werden und Glum sehen, so daß sie selbst sich entscheiden kann, ob sie ihn will oder nicht.« »Deine Rathschläge sind stets gut,« sprach Thoraren. Man ließ sogleich Halgjerde holen und sie erschien begleitet von zwei anderen Frauen. [46] Sie trug einen blauen gewirkten Mantel, darunter einen Rock von Scharlachtuch und einen silbernen Gürtel; das Haar wallte ihr zu beiden Seiten der Brust herab, und sie trug es unterhalb des Gürtels geknotet. Sie ließ sich nieder zwischen ihrem Vater und Rut und hatte für alle ein freundliches Wort. Glum theilte ihr mit, was sie unter einander beredet hätten in Bezug auf seine Ehe, »und nun magst Du entscheiden,« sagte er, »ob Du mich willst oder nicht.« »Ich bin es zufrieden,« versetzte sie, »und ich weiß, daß ich nun besser verheiratet werde als voriges Mal.« Darauf schätzte man ab, wie viel Halgjerde's Gut werth sei und bestimmte, Glum solle den gleichen Werth hinzulegen, und es solle Halbscheid zwischen ihnen sein. Man berief Zeugen, Glum verlobte sich mit Halgjerde, und ritt darauf mit seinem Bruder heim. Späterhin wurde auf Höskuldstad die Hochzeit gefeiert und es waren viele Gäste dort versammelt. Höskuld und Rut besetzten die eine Langbank, der Bräutigam und sein Gefolge die andere und Halgjerde saß auf der Querbank und benahm sich gut. Thjostolf ging umher mit erhobener Axt, doch alle thaten, als sähen sie es nicht und das Mahl nahm einen fröhlichen Verlauf. Als es zu Ende war, ritt Halgjerde mit ihrem Eheherrn und Thoraren südwärts nach Varmaläk. Thoraren fragte, ob sie dort die Haushaltung übernehmen wolle, doch lehnte sie es ab. Sie beherrschte sich den Winter über und war gern gesehen von jedermann. Bei Frühlingsanfang zog Thoraren nach einem andren Hofe, namens Lögarnes, und ließ sich dort nieder, während Glum allein Varmaläk behielt und Halgjerde dort die Haushaltung übernahm. Sie und Glum lebten friedlich mit einander. Im Laufe des Sommers gebar sie eine Tochter, welche nach heidnischer Sitte mit Wasser begossen und Thorgjerde genannt wurde; dieselbe begann im Aeußeren ihrer Mutter zu gleichen.
Nachdem Halgjerde mit Glum Olafsohn verheiratet worden war, war Thjostolf auf Höskuldstad geblieben und hatte sich gut aufgeführt. Eines Tages aber schlug er einen der Hausleute auf dem Hofe, worauf Höskuld ihm ankündigte, er wolle ihn nicht länger herbergen. Thjostolf nahm sein Pferd und seine Waffen und sagte zu Höskuld: »Jetzt ziehe ich fort und komme nie wieder.« »Das wird uns allen eine Ursache großer Freude sein,« entgegnete Höskuld. Thjostolf aber ritt nach Varmaläk, wo er von Halgjerde wohl und von Glum nicht unfreundlich aufgenommen wurde. Er erzählte Halgjerde, daß ihr Vater ihn fortgejagt habe und bat sie, für ihn zu sorgen. Sie antwortete, sie könne ihm keine Aufnahme versprechen, ehe sie sich mit Glum darüber beredet habe. »Lebt Ihr denn so einträchtig beisammen?« fragte Thjostolf. »Ja, einträchtig und liebevoll,« erwiderte sie. Darauf ging sie zu Glum, schlang ihre Arme um seinen Hals und sprach: »Du wirst mir nicht abschlagen, um was ich Dich bitte.« »Was ich mit Ehren thun kann, das will ich für Dich thun,« versetzte er; »was ist Dein Begehr?« »Thjostolf ist fortgejagt worden,« sagte sie, »und ich möchte gern, daß Du ihm erlaubtest, hier zu verweilen; ist es Dir aber zuwider, dann will ich nicht darauf bestehen.« Glum versetzte: »Weil Du so schön darum bittest, so will ich nicht dawider sein; sobald er aber Böses im Schilde führt, soll er sogleich das Haus räumen.« So blieb denn Thjostolf auf Varmaläk. Eine Zeit lang beherrschte er sich, aber bald war es, als wenn er alles verderbe; er verschonte niemand außer Halgjerde, obgleich sie ihn niemals in Schutz nahm, wenn er mit andren Streit anfing. Glum merkte wohl, daß die Sache übel stehe, und sein Bruder Thoraren sagte, es werde ein böses Ende nehmen, wenn er Thjostolf nicht fortjage; er aber folgte seinem eignen Kopfe und ließ ihn bleiben. Einst hatte man viel Mühe, [48] das Vieh von den Bergweiden, wo es im Sommer frei herumlief, herunter zu treiben, und Glum vermißte einige Hammel. Er hieß nun Thjostolf mit den Hausleuten hinausgehen, um sie zu suchen. »Ich habe keine Lust, hinter Deinen Sklaven her zu rennen,« entgegnete dieser, »geh' selbst hinaus, dann will ich Dir folgen.« Es erhob sich nun ein langer, heftiger Wortwechsel zwischen ihnen. Glum ging alsbald zu Halgjerde und sagte, jetzt habe sich Thjostolf so benommen, daß er fort müsse. Halgjerde wollte Thjostolf in Schutz nehmen und es kam zu harten Worten zwischen ihr und Glum, so daß er sie zuletzt schlug. »Ich will nicht länger Dein Keifen hören,« sprach er und ging darauf fort. Sie hielt viel von ihm und konnte sich nun nicht beruhigen, sondern weinte laut. Als aber Thjostolf sich ihr nahte und seinen Unwillen äußerte über die Behandlung, die ihr widerfahren sei, fuhr sie ihn an, er möge sich nicht in Angelegenheiten mischen, die nur sie und Glum beträfen. Da entfernte sich Thjostolf mit häßlichem Lächeln. Inzwischen ging Glum mit einigen Männern aus, um die Schafe zu suchen, und Thjostolf folgte nach. Wie nun die anderen sich nach verschiedenen Seiten hin zerstreuten, geschah es, daß Glum und Thjostolf allein blieben. Sie trafen einige Schafe und wollten sie gegen eine Felswand hintreiben, um sie so zu fangen, aber die Schafe entgingen ihnen und gelangten auf die Felswand hinauf. Da machten sie sich gegenseitig Vorwürfe deswegen. Thjostolf sagte, Glum sei nie da zu finden, wo es männlicher Tüchtigkeit und Thatkraft bedürfe. »Von Dir will ich keine höhnenden Worte hören, Du verlaufener Sklave,« schalt Glum. »Du wirst es schon fühlen müssen, daß ich kein Sklave bin,« höhnte Thjostolf. Da erwachte Glum's Zorn, und er hieb nach ihm mit der Handaxt. Aber Thjostolf fing den Hieb auf mit seiner Axt, schwang sie darauf und traf Glum in die Schulter, so daß der Knochen zerbrach und das Blut stromweis hervorschoß. Glum faßte ihn mit der andern Hand so fest, daß er hinstürzte, aber in demselben Augenblick kam der Tod über ihn selbst. Thjostolf zog ihm einen Goldring ab, deckte seine Leiche mit Steinen zu und ging nach Varmaläk. [49] »Glum ist todt; was sagst Du dazu?« sagte er zu Halgjerde. »Dann warst Du es, der ihn tödtete,« erwiderte sie. »Du sagst es,« sprach er. Sie lachte über ihn und versetzte: »Mit Dir ist nicht zu spaßen.« »Was räthst Du mir nun?« fragte Thjostolf. »Ziehe zu meinem Oheim Rut,« antwortete sie, »und laß ihn für Dich sorgen.« »Kaum wird mir das zum Vortheil gereichen,« meinte er, »doch will ich hierin Deinem Rathe folgen,« und so holte er sein Pferd hervor und ritt nach Rutstad. Er langte dort zur Nachtzeit an, band sein Pferd hinter dem Hause fest, trat an die Thür und that einen starken Schlag gegen dieselbe. Rut erwachte und sprang aus dem Bette, zog seinen Rock und seine Schuhe an, ergriff sein Schwert und ging hinaus. Er erkannte sogleich Thjostolf und fragte, was im Werke sei. »Glum ist getödtet,« erwiderte dieser. »Wer war der Thäter?« fragte Rut. »Ich schlug ihn,« entgegnete Thjostolf. »Was suchst Du denn hier?« fragte Rut weiter. »Halgjerde hat mich hergesandt,« versetzte Thjostolf. »Dann hat sie keine Schuld an dem Morde Glum's,« rief Rut und schwang sein Schwert. Thjostolf sah es, er wollte nicht zurückbleiben und hieb sogleich nach Rut. Dieser aber wandte sich so schnell, daß er dem Hieb entging, und in demselben Augenblick schlug er mit der Linken Thjostolf die Axt aus der Hand, sprang rasch auf ihn ein und versetzte ihm zwei Wunden; der eine Hieb trennte ihm das eine Bein fast vom Leibe, der andre saß in seinem Kopfe und nahm ihm das Leben. Darnach ritt Rut nach Höskuldstad und meldete Höskuld die beiden Blutthaten. Als er wieder heimgeritten war, erschien Thoraren mit elf Mann vor Höskuldstad; er wurde freundschaftlich aufgenommen von Höskuld und dieser sandte sofort nach Rut. Als aber Thoraren fragte, ob Höskuld Buße für Glum entrichten wolle, antwortete Höskuld: »Ich war es nicht, der Deinen Bruder schlug; auch fiel er nicht auf meiner Tochter Anschlag; aber sobald Rut die traurige Kunde erhielt, tödtete er Thjostolf.« Da schwieg Thoraren und forderte keine Buße mehr. Rut aber rieth, ihm gute Gaben zu geben und ihm alle schuldige Ehre anzuthun, da er ja wirklich großen Verlust [50] erlitten habe. Dies geschah denn auch, und Thoraren ritt heim. Im Laufe des Herbstes wechselten er und Halgjerde den Aufenthalt, so daß sie südwärts nach Lögarnes, Thoraren aber nach Varmaläk zog.
Die Erzählung nimmt den unterbrochenen Faden wieder auf und wendet sich Gunnar zu, als er auf dem Alting war kurz nach seiner Heimkehr von der Vikingerfahrt. Eines Tages ging er von dem Gesetzeshügel hinab heimwärts. Er trug die Scharlachtuchkleidung, die er von König Harald Gormsohn in Dänemark empfangen hatte, und an der Hand blinkte der Goldring, das Geschenk Hakon Jarl's. Da sah er ein Weib auf sich zukommen. Sie war fein gekleidet, denn sie trug ein rothes Gewand und darüber einen Mantel von Scharlachtuch mit Goldspangen bis zum Schoß besetzt; dazu war sie schön und wohl gewachsen und hatte schweres und herrliches Haar, das ihr über die Brust herabhing. Als sie sich begegneten, grüßte sie ihn und er grüßte sie wieder und fragte nach ihrem Namen. Sie sagte, sie heiße Halgjerde und sei eine Tochter von Höskuld Dalekolsohn. Sie redete ganz frank mit ihm und bat ihn, ihr etwas von seinen Reisen zu erzählen. Er meinte, er wolle ihrem Wunsche nicht zuwider sein, und so ließen sie sich nieder und unterredeten sich. Schließlich fragte er sie, ob sie noch unvermählt sei. Sie bejahte die Frage und fügte hinzu, es seien [52] nicht viele, die um sie zu werben wagten. »Hältst Du denn niemand Deiner werth?« fragte Gunnar. »Das wohl,« entgegnete sie, »doch bin ich eigen in der Wahl meines Gatten.« »Wie würdest Du antworten, wenn ich um Dich anhielte?« fragte Gunnar weiter. »Das wirst Du nicht thun,« meinte sie. »O, doch,« versetzte Gunnar. »Sprich mit meinem Vater,« versetzte sie, und damit schlossen sie die Unterredung. Gunnar ging sogleich nach Höskuld's Hütte. Er fand dort Höskuld und Rut und wurde freundlich von ihnen empfangen; er setzte sich zwischen sie und es war an ihrer Rede nicht zu bemerken, daß sie sich vordem feindlich gegenüber gestanden hatten. Zuletzt leitete Gunnar das Gespräch darauf hin, welche Antwort die Brüder geben würden, falls er um Halgjerde anhalte. »Einwilligen würden wir,« antwortete Höskuld, »wenn es Dein Ernst ist.« »Es ist mein voller Ernst,« versetzte Gunnar, »aber das letzte Mal schieden wir so, daß mancher Mann meinen könnte, zwischen uns könnte keine Verschwägerung stattfinden.« »Was ist Deine Meinung, Rut?« fragte Höskuld. »Mir scheint,« entgegnete Rut, »daß hier alles auf beiden Seiten gleich ist.« »Wie ist das zu verstehen?« versetzte Gunnar. Rut erwiderte: »Du, Gunnar, bist ein tüchtiger Mann und brav; in Halgjerde's Brust aber wechselt Gutes mit Bösem; drum will ich Dich nicht über sie täuschen.« »Das heißt edel gehandelt,« sagte Gunnar, »doch möchte ich glauben, daß Ihr Euch noch unsrer alten Feindschaft erinnert, falls Ihr diesen Handel nicht mit mir abschließen wollt.« »So ist es in der That doch nicht,« entgegnete Rut, »wir wollen selbst Deine Freunde sein, falls Du nicht mit uns Dich verschwägerst. Doch sehe ich, daß Du es wünschest, außerdem bist Du es allein, der dabei wagt.« Nun sagte Rut ungefragt alle Eigenschaften Halgjerde's. Da meinte Gunnar wohl, daß manches anders sein könnte, allein schließlich einigten sie sich doch über den Handel. Man ließ Halgjerde rufen und die Bedingungen wurden in ihrer Gegenwart festgestellt; sie vertraute sich Gunnar selbst, und schließlich wurde abgemacht, daß die Hochzeit auf Hlidarende gefeiert werden solle. Als Gunnar vom Ting heimkam, [53] ritt er sogleich nach Bergthorshvol und verkündete Nial, was geschehen war. Nial erfreute die Kunde nicht und als Gunnar ihn fragte, warum sie ihm zuwider sei, sagte er: »Sie wird nur Böses anstiften, wenn sie hierher kommt.« »Niemals aber soll sie unsre Freundschaft stören,« entgegnete Gunnar. »Es wird aber nicht viel daran fehlen,« sprach Nial, »und oft wirst Du für sie Buße zahlen müssen.« Bald darauf feierte man die Hochzeit auf Hlidarende; es wurde aber eine doppelte Hochzeit. Unter den Gästen waren nämlich sieben Söhne von Gunnar's Großvater mütterlicherseits, Sigfus Sighvatsohn. Einer von ihnen, Thraen geheißen, war ein angesehener Mann und wohnte auf dem Hofe Grytaa in Fliotslid, nicht weit westlich von Hlidarende. Er sah dort Thorgjerde Glumstochter, die damals vierzehn Winter zählte und sehr schön war. Sogleich sagte er sich geschieden von seiner Frau Thorhilde; denn er liebte sie nicht, weil sie voller Spott und scharfzüngig war. Thorhilde mußte abziehen und Thraen hielt sogleich um Thorgjerde an; die Bedingungen wurden festgestellt und sie zog mit ihm von dem Feste heim als sein Weib und übernahm die Haushaltung auf Grytaa, wo sie eine gute Hausfrau wurde. Halgjerde aber übernahm den Haushalt auf Hlidarende und war betriebsam und thätig.
Nial Thorgejrsohn auf Bergthorshvol war verheiratet. Seine Gattin hieß Bergthora und war ein mannhaftes und braves Weib, aber etwas harter Sinnesart. Sie hatten sechs Kinder, drei Töchter und drei Söhne. Der älteste von diesen war Skarphedin (der scharfe = schneidige Hedin); er war hochgewachsen, hatte braunes, lockiges Haar und schöne Augen, eine gebogene[54] Nase, einen hohen Oberkiefer und einen sehr häßlichen Mund; sein Antlitz war bleich und zeigte scharfe Züge; er war schnellfüßig und schwamm wie ein Seehund; stark war er und waffengewandt und hatte überhaupt ein kriegerisches Aussehen; seine Redeweise war bündig und schlagfertig, doch konnte er sich beherrschen; endlich war er auch ein guter Skjald. Nial verheiratete ihn mit einem Weibe, namens Thorhilde, einer Tochter Randve's auf Thorolfsfjeld östlich von Hlidarende, am oberen Laufe des Markarflusses. Nial's zweiter Sohn, Grim, war groß und stark, hatte schönes dunkles Haar und war überhaupt hübscher als Skarphedin; er verheiratete sich mit einer reichen Witfrau namens Astrid von Djupabakke. Nial's dritter Sohn hieß Helge und war schön von Angesicht und Haarwuchs, stark und waffenkundig, klug und sanftmüthig. Ihn verheiratete Nial mit einer hübschen und braven Frau, namens Thorhalle, einer Tochter des angesehenen Bauern Asgrim Ellidagrimsohn auf Tunge, westlich von der Thjorsau, die mit der Querau dieselbe Mündung hat. Dieser Asgrim war ein Mann, dem Nial alle Ehre erweisen wollte und den er deshalb bat, ihm seinen Sohn Thorhald zur Erziehung zu überlassen. Als Asgrim darauf einging, nahm Nial den Thorhald mit sich und unterwies ihn im Gesetz, so daß er der gesetzeskundigste Mann seiner Zeit auf Island wurde. Schließlich hatte Nial noch einen vierten Sohn, Höskuld genannt, aber dieser war ein unehelicher Sohn. Er wohnte mit seiner Mutter Hrodny auf dem Hofe Holt, etwas entfernt von Bergthorshvol, hielt sich aber öfters bei seinem Vater und seinen Brüdern auf. Die andren Söhne Nial's wohnten mit ihren Frauen bei ihm auf Bergthorshvol. Außer seiner Haushaltung dort hatte er noch eine zweite auf Thorolfsfjeld, die Skarphedin mit seiner Frau erheiratet hatte.
Gunnar und Nial hatten die Sitte, einander wechselweise Winter um Winter zu einem Gastmahl einzuladen, und im ersten Winter nach Gunnar's Vermählung mit Halgjerde war an ihn das Gastgebot von Nial ergangen. Er zog dahin mit ihr und Nial nahm sie beide freundlich auf. Bei ihrer Ankunft waren Helge Nialsohn und seine Gattin Thorhalle nicht zu Hause; sie erschienen aber bald nachher. Da faßte Bergthora Thorhalle an der Hand und führte sie zur Querbank, wo die Frauen ihren Sitz hatten. »Du wirst vor dieser Frau zur Seite rücken,« sagte Bergthora zu Halgjerde. »Nicht weiche ich von der Stelle,« erwiderte Halgjerde, »ich will nicht ein Aschenbrödel sein, das man in die Ecke jagt.« »Hier habe ich zu bestimmen,« sagte Bergthora, und Thorhalle ließ sich nieder. Nach dem Mahle ging Bergthora um den Tisch herum mit Wasser, um die Hände zu netzen. Als sie zu Halgjerde kam, ergriff diese ihre Hand und sprach: »Du und Nial seid ganz für einander geschaffen, Du hast knotige Nägel und er ist bartlos.« »Wahr ist es,« versetzte Bergthora, »aber keiner von uns legt es dem andern zur Last. Dein Eheherr Thorvald war nicht bartlos und dennoch fiel er durch Deine Ränke.« Halgjerde wandte sich nach der Seite, wo Gunnar saß und rief: »Nur wenig frommt es mir, dem trefflichsten Mann auf Island anzugehören, wenn Du solche Worte ungerächt lässest, Gunnar.« Da sprang Gunnar auf vom Tisch und sagte: »Ich will heim; wenn Du zanken willst, magst Du es mit Deinen Hausgenossen thun und nicht im Hause des fremden Mannes. Viel Ehre habe ich Nial zu danken und will nicht Deinen Launen ein Spielball sein.« Sie rüsteten sich sogleich zur Heimfahrt. Beim Abschied sagte Halgjerde: »Erinnere Dich, Bergthora, daß wir hiermit nicht geschieden sind.« »Am schlimmsten wird es für Dich sein,« entgegnete Bergthora. Gunnar mischte sich nicht hinein; er zog heim mit Halgjerde und hielt sich den ganzen Winter zu Hause.
Als der Sommer nahte und die Zeit da war, wo man zum Alting ritt, sagte Gunnar zu Halgjerde, daß er zum Ting reiten wolle. »Aber halte Dich im Zaum, so lange ich fort bin und lebe friedlich mit meinen Freunden,« fügte er hinzu. »Der Teufel hole Deine Freunde,« erwiderte sie; Gunnar aber ritt fort. Nial zog ebenfalls zum Ting, begleitet von seinen Söhnen. Nial und Gunnar besaßen gemeinschaftlich einen Wald in Rödeskride, östlich von Hlidarende am Markarfluß; sie hatten denselben niemals getheilt, sondern jeder holte sich seinen Bedarf, ohne daß je darüber Zwistigkeiten entstanden waren. Nial hatte einen Knecht namens Svart, auf den sowohl er wie auch Bergthora viel gaben. Nachdem Nial zum Ting geritten war, trug Bergthora dem Svart auf, er solle nach Rödeskride gehen und dort eine Woche hindurch Buschholz hauen; sie werde hernach andre Leute dahin senden, um es einzubringen. Svart zog sofort nach Rödeskride. Während er sich dort aufhielt, kamen einige Arme nach Hlidarende und erzählten, Svart sei in Rödeskride und habe viel Holz geschlagen. »Dann hat Bergthora wohl im Sinne, von mir zu stehlen,« sagte Halgjerde; »aber ich werde dafür sorgen, daß Svart kein Holz mehr hauen wird.« Am folgenden Tage rief sie einen bösen Mann, namens Kol, den sie lange als Aufseher bei der Arbeit oder als Werkführer, wie es hieß, gebraucht hatte. »Ich habe eine Arbeit für Dich,« sagte sie zu ihm und gab ihm Waffen in die Hand; »reite hinauf nach Rödeskride, dort findest Du Svart.« »Was soll ich ihm thun?« versetzte Kol. »Kannst Du noch fragen,« entgegnete sie, »solch ein Bösewicht, wie Du bist? Todtschlagen sollst Du ihn.« »Das bringe ich schon fertig,« versetzte er, »aber ich werde meinerseits mit dem Leben dafür büßen müssen.« »Wird ein Maulwurfshügel zu einem Berg in Deinen Augen, dann finde ich schon einen andern Mann, um solche Arbeit zu thun,« sagte Halgjerde. Kol aber wurde zornig; [57] er ergriff die Axt, sprang auf eins von Gunnar's Pferden und ritt gen Osten, bis er an den Markarfluß kam. Dort sprang er vom Pferde und wartete, bis Bergthora's übrige Leute mit dem Holz nach dem Flusse hinabgegangen waren und Svart allein im Walde zurückblieb. Dann lief Kol gegen ihn an und rief: »Es giebt andre, die das Hauen so gut verstehen wie Du!« und in dem nächsten Augenblick hieb er ihm die Axt in den Kopf und tödtete ihn. Darauf ritt er heim und verkündete Halgjerde, daß er ihren Befehl erfüllt habe. Sie sandte sogleich einen Mann zu Gunnar auf den Ting und meldete ihm den Mord. Gunnar schwieg, während der Bote zugegen war und seine Begleiter konnten ihm nicht anmerken, ob er damit zufrieden oder unzufrieden sei. Kurz darauf aber stand er auf, hieß seine Mannen ihm folgen und ging nach Nial's Hütte. Nial kam hervor und sie beredeten sich unter vier Augen. »Dein Knecht Svart ist getödtet,« sprach Gunnar, »mein Weib und mein Werkführer Kol thaten es.« Nial schwieg, während Gunnar ihm die Sache vortrug. Darnach sagte er: »Du wirst genöthigt sein, sie in engen Schranken zu halten.« »Du selbst magst über die Sache urtheilen,« antwortete Gunnar, »und die Buße festsetzen.« Nial antwortete: »Schwer wird es Dir fallen, den Schaden zu ersetzen, welchen Halgjerde anrichten wird, und anderswo wird er Schlimmeres zur Folge haben als hier, wo es allein uns beide angeht. Indessen ist hiermit auch nicht alles gethan, sondern wir müssen uns wohl aller Freundesworte erinnern, welche wir so oft mit einander gewechselt haben, falls nicht der Anfang, der jetzt gemacht ist, zum Aergsten führen soll. Wohl erwarte ich, daß Du Dich stets wie ein braver Mann benehmen wirst, aber schwer wird Dein Geschick auf Dir lasten.« Darauf nahm Nial das Anerbieten Gunnar's an, selbst zu entscheiden, und sagte, er wolle die Sache nicht auf die Spitze treiben, Gunnar möge 12 Ör Silber oder eine und eine halbe Mark Silber (etwa 18 Thlr.) zahlen. [58] »Ich möchte aber die Bedingung hinzufügen,« fuhr Nial fort »daß Du die Buße nicht höher ansetzen darfst, falls von unsrem Hofe aus etwas geschieht, worüber Du wirst richten müssen.« Gunnar zahlte das Geld gleich baar aus und ritt fort vom Ting. Als er heim kam, stellte er Halgjerde zur Rede, doch sie entgegnete, es sei schon mancher Mann gefallen, der besser gewesen sei als Svart, ohne daß man Bußgeld für ihn gegeben habe. »Was Du anfängst, magst Du selbst zu Ende führen,« versetzte Gunnar, »wie aber die Dinge beigelegt werden sollen, das will ich bestimmen.« Als Nial vom Ting nach Hause zurückkehrte und Bergthora das Geld sah, welches er für Svart empfangen hatte, sprach sie: »So ist die Sache gut beigelegt, aber nicht lange wird es dauern, bis die gleiche Summe für Kol bezahlt wird.« Seitdem wurde ihr Verhältniß zu Halgjerde stets schlimmer, denn Halgjerde prahlte oft mit den Morde an Svat das erbitterte Bergthora.
Eines Tages war Nial mit seinen Söhnen nach Thorolfsfjeld hinauf geritten, um den Betrieb dort zu besichtigen. An demselben Tage traf es sich, daß Bergthora, als sie sich vor dem Hause zu thun machte, einen Mann auf schwarzem Roß, mit einem Speer in der Hand und einem Schwert an der Seite auf den Hof zureiten sah. Sie blieb draußen, und als er den Hof erreichte, fragte sie nach seinem Namen, seiner Heimat und dem Ziel seiner Reise. »Ich heiße Atle,« sagte der Mann, »und komme von den Ostfjorden; ich suche einen Dienst und wollte bei Nial und Skarphedin vorfragen, ob sie mich brauchen können; ich verstehe mich darauf, das Land zu bauen und kann auch andre [59] Arbeit übernehmen. Ich will aber nicht verhehlen, daß ich etwas zänkischer Natur bin und daß dies manchem Mann theuer zu stehen kam.« Bergthora entgegnete, sie wolle ihn nicht schelten, weil er nicht feige sei. »Hast Du vielleicht hier etwas zu befehlen?« fragte Atle. Sie antwortete: »Ich bin Nial's Gattin und befehlige die Dienstleute so gut wie er.« »Willst Du mich annehmen?« fragte Atle. »Ja,« erwiderte Bergthora, »unter der Bedingung, daß Du thust, was ich Dir gebiete, selbst wenn ich Dich aussende zu Mord und Todtschlag.« »Du hast ja Leute genug,« versetzte Atle, »so daß Du mich nicht zu solchen Thaten auszusenden brauchst.« »Darüber will ich selbst bestimmen,« sprach Bergthora. »Nun gut,« sagte Atle, »so laß uns denn unter dieser Bedingung den Handel schließen.« Sie nahm ihn also in Dienst und Pflicht. Als Nial zurückkehrte und Atle erblickte, fragte er, was dies für ein Mann sei. »Dein Dienstmann ist er,« antwortete Bergthora, »ich habe ihn in Dienst genommen; geschickt ist er in seiner Arbeit.« »Freilich,« erwiderte Nial, »scheint er tüchtig in seiner Arbeit zu sein; aber ob alles, was er thut, allzeit gut sein wird, das bezweifle ich.« Skarphedin fand dagegen Gefallen an Atle. Während des Sommers ritt Nial mit seinen Söhnen zum Ting und nahm einen Beutel mit Geld mit. »Was ist das für Geld, Vater?« fragte ihn Skarphedin. »Es ist das Geld, welches Gunnar im vorigen Sommer für Svart erlegte,« entgegnete Nial. »Schwerlich wirst Du Gebrauch dafür finden,« meinte Skarphedin und lachte. Während sie fort waren, fragte Atle eines Tages Bergthora, was er vornehmen solle. »Du sollst ausziehen und Kol suchen, bis Du ihn findest,« sprach sie, »denn heute noch sollst Du ihn tödten.« »Das trifft sich gut,« versetzte Atle, »Todtschläger sind wir ja beide; ich werde ihn schon so anfassen, daß einer von uns daran glauben muß.« »So ist es recht,« sagte Bergthora, »Du wirst es nicht umsonst ausführen.« Darauf nahm Atle seine Waffen, sprang auf ein Pferd und ritt hinauf zum Berghang am Flusse. Dort traf er einige Männer, von denen er erfuhr, daß Kol oben auf der Alm sei. Da spornte er sein Pferd und ritt schnell vorwärts, und als er [60] Kol traf, fragte er, ob seine Arbeit gut von statten gehe. »Das kümmert Dich nicht, Du Lump, noch jemand dort, woher Du kommst,« rief Kol. »Die schwerste Arbeit bleibt Dir noch übrig,« versetzte Atle, »nämlich zu sterben,« und darauf stach er nach ihm mit dem Speer und durchbohrte ihm den Leib. Kol erhob seine Axt gegen ihn, traf ihn aber nicht und stürzte im nächsten Augenblick todt vom Pferde. Atle ritt weiter und als er einige von Halgjerde's Arbeitern traf, sagte er zu ihnen, sie möchten nach Kol sehen, derselbe sei todt vom Pferde gefallen. »Hast Du ihn getödtet?« fragten diese. »Halgjerde wird sich schon vorstellen können, daß er nicht von selbst gestorben ist,« versetzte er und ritt heimwärts. Bergthora dankte ihm sowohl für diese That, als auch für seine Worte. »Was wohl Nial dazu sagen wird?« meinte Atle. »Er wird die Botschaft mit Ruhe anhören,« versetzte Bergthora, »das erkannte ich daraus, daß er das Geld zum Ting mitgenommen hat, welches Gunnar im vorigen Sommer als Buße für Svart zahlte; er wird dasselbe als Buße für Kol zurückzahlen. Aber wenn dort auch ein Vergleich zum Abschluß kommt, so magst Du Dich doch wohl in acht nehmen, denn Halgjerde wird keinen Vergleich halten.« Atle fragte nun, ob sie nicht einen Boten an Nial senden wolle, um das Geschehene zu melden. »Keineswegs,« entgegnete Bergthora, »denn am liebsten sähe ich, daß Kol's Tod ungebüßt bliebe.« Als aber Halgjerde vernahm, was Atle gethan und gesagt habe, meinte sie, er werde seinen Lohn schon dafür empfangen, und entsandte alsbald einen Boten an Gunnar zum Ting, um ihm anzusagen, was vorgefallen sei. Gunnar schickte sogleich einen Mann nach Nial's Hütte und ließ ihn benachrichtigen. Nial schwieg; aber Skarphedin lachte und rief: »Jetzt werden die Sklaven ganz andre Helden als sie früher gewesen sind; vordem hieben sie auf einander ein, ohne daß es weitere Folgen hatte, jetzt aber giebt es Mord und Todtschlag.« Nial nahm seinen Geldbeutel und begab sich sofort, von seinen Söhnen begleitet, nach Gunnar's Hütte. Gunnar kam hervor und trat mit Nial abseits. »Schlimm ist es,« sprach Nial, »daß meine Hausfrau den Frieden gebrochen [61] hat.« »Kein Tadel soll sie deswegen treffen,« erwiderte Gunnar. »Sprich Du nun das Urtheil in dieser Sache,« sagte Nial. »So mögen denn Kol und Svart gleicher Buße werth sein,« versetzte Gunnar, »Du magst mir zwölf Ör Silber geben.« Als er das Geld empfing, erkannte er es sogleich als dasselbe wieder, welches er im vorhergehenden Jahre für Svart erlegt hatte. Nial verfügte sich nach seiner Hütte zurück, und es herrschte her nach zwischen ihm und Gunnar dasselbe gute Verhältniß wie vordem. Als Nial nach Bergthorshvol zurückkam, stellte er Bergthora zur Rede, doch diese erklärte, sie werde niemals Halgjerde nachgeben. Dagegen mußte Gunnar von Halgjerde sich schelten lassen, weil er den Vergleich geschlossen habe, jedoch versicherte er, er werde niemals seinen Freundschaftsbund mit Nial brechen. Sie nahm das gewaltig übel, allein dies beunruhigte ihn nicht. Der Winter verfloß allmählich, und man war von beiden Seiten bemüht, unangenehmen Ereignissen vorzubeugen.
Halgjerde's Oheim Svan von dem Bärenfjord war vor längerer Zeit gestorben. Einst war er im Frühjahr zum Fischen auf das Meer hinausgerudert; da überfiel ihn ein schweres Unwetter, welches sein Boot auf eine Klippe warf, so daß es zersplitterte. Einige Fischer, welche in der Nähe waren, versicherten, sie hätten Svan in den Felsen hineingehen sehen, woselbst die Berggeister ihn mit Freuden empfangen hätten. Andre sagten, es sei an dem Gerede kein wahres Wort; aber soviel war gewiß, daß man später niemals etwas von ihm gehört noch gesehen hat. Er hatte einen unehelichen Sohn hinterlassen, namens Brynjolf Roste, der ein böser Mann und zu jeder Uebelthat bereit war. Diesen [62] ließ Halgjerde holen, nachdem Kol getödtet war, damit er ihr als Werkführer diene. Gunnar war das nicht angenehm, aber er wollte keinem von Halgjerde's Sippe die Thür weisen. Er gestattete also dem Brynjolf den Aufenthalt auf Hlidarende, vermied es aber mit ihm zu reden, wenn er ihn auch sonst nicht schlecht behandelte. Nial wünschte dagegen, Atle möge sich von Bergthorshvol entfernen, und als der Frühling nahte, bat er ihn, er möge wieder nach den Ostfjorden zurückkehren; »Halgjerde wird Dir sonst nach dem Leben stehen,« fügte er hinzu. »Davor fürchte ich mich nicht,« antwortete Atle, »was mich angeht, so bleibe ich lieber.« Nial hielt es nicht für räthlich, aber Atle bat ihn darum, daß er bleiben dürfe. »Nur eins möchte ich mir ausbitten,« setzte er hinzu, »daß, wenn ich getödtet werde, keine Sklavenbuße für mich gezahlt werden möge.« »Es soll Buße für Dich gezahlt werden wie für einen freien und selbständigen Mann,« sprach Nial, »und außerdem wird Bergthora Dir ein Versprechen geben, das sie auch halten wird, nämlich daß Mannesrache sich um Deinetwillen erheben soll.« So blieb denn Atle auf Bergthorshvol, und die Zeit des Altings kam heran. Gunnar ritt zum Ting mit seinem Bruder Kulskjäg, und auch Nial zog dahin mit seinen Söhnen und nichts störte das gute Verhältniß zwischen ihm und Gunnar. Bergthora sandte Atle nach Thorolfsfjeld hinauf, um dort eine Woche hindurch zu bleiben und im Walde Kohlen zu brennen. Das geschah ganz heimlich, aber Halgjerde erfuhr es dennoch. Sie befahl nun Brynjolf, er solle dahin reiten und Atle tödten; aber Brynjolf machte Ausflüchte. »Wäre doch Thjostolf nur noch am Leben,« rief Halgjerde aus, »der würde nicht feige zurückschrecken.« »Du brauchst mich nicht feige zu schelten,« entgegnete Brynjolf, holte seine Waffen und sein Pferd und ritt nach Thorolfsfjeld. Dort sah er ostwärts vom Hofe einen dicken Rauch aufsteigen; er ritt auf denselben zu, sprang vom Pferde, band es fest und schritt der Stelle zu, wo der dichteste Rauch war. Er erblickte einen Mann am Kohlenmeiler, der seinen Speer neben sich in die Erde gepflanzt hatte. Er schlich nun vorwärts vom Rauche gedeckt; Atle aber war so [63] eifrig mit seiner Arbeit beschäftigt, daß er ihn nicht kommen sah. Da hieb ihn Brynjolf mit der Axt auf den Kopf, Atle aber that einen so gewaltigen Sprung, daß Brynjolf die Axt fahren lassen mußte. Atle ergriff seinen Speer und schleuderte denselben nach ihm, jedoch Brynjolf warf sich platt auf den Boden, so daß der Speer über ihn hinsauste. »Es war Dein Glück,« sprach Atle, »daß ich Deines Angriffs nicht gewärtig war. Komm, hole jetzt Deine Axt, ihre Pflicht hat sie redlich gethan, und gehe dann heim, Halgjerde zu melden, daß ich todt bin. Es ist mir ein Trost, daß Du bald dasselbe Ende nehmen wirst.« Brynjolf antwortete nicht und holte auch nicht seine Axt, ehe Atle ausgeathmet hatte. Darauf ritt er nach Hlidarende und verkündete Halgjerde, daß er nun vollendet habe, was sie ihm aufgetragen. Sie sandte zuerst einen Boten nach Bergthorshvol und ließ Bergthora ansagen, jetzt sei Kol's Tod gerächt, und darnach sandte sie einen Mann zu Gunnar auf das Ting und ließ ihn benachrichtigen. Gunnar und Kulskjäg begaben sich sogleich zu Nial. Ersterer erzählte ihm, was vorgegangen sei und bat ihn, selbst darüber zu entscheiden. Nial sprach: »Es ist ja unser Vorsatz, daß kein Zwist je uns trennen soll; aber Atle halte ich für mehr als der Sklavenbuße werth.« Gunnar erklärte sich einverstanden, er reichte Nial die Hand und der Vergleich wurde geschlossen. Skarphedin versetzte: »Halgjerde läßt unsre Sklaven nicht an Altersschwäche sterben.« »Auch Deine Mutter thut das ihrige, daß zwischen unsren Höfen Schlag auf Schlag folgt,« erwiderte Gunnar. »So ist es in der That,« fiel Nial ein, und darauf schätzte er die Buße auf ein Hundert in Silber oder auf drei Mark (etwa 36 Thaler), welche Gunnar ihm sogleich auszahlte. Viele von den Umstehenden meinten, es sei zu viel. Gunnar aber zürnte ob der Rede und sagte, es sei die volle Buße für manchen Mann gezahlt, der nicht tüchtiger gewesen sei als Atle. Darauf ritten sie heim vom Ting. »Jetzt hast Du Dein an Atle gegebenes Wort eingelöst,« sagte Bergthora, als Nial ihr das Geld zeigte, »aber ich habe das meinige noch nicht gehalten.« »Dessen bedarf es auch nicht,« versetzte Nial. »Früher warst Du andrer Meinung,« entgegnete [64] sie, »und es soll auch so geschehen.« Halgjerde aber fragte Gunnar, ob er für Atle als für einen unabhängigen Mann Buße erlegt habe. »Er war ein unabhängiger Mann,« sagte Gunnar, »und niemals werde ich Nial's Mannen ungebüßt lassen.« »Ihr gleicht einander, ihr beide,« erwiderte sie, »denn feig seid ihr beide.« »Das wird sich zeigen,« sprach Gunnar, und war seitdem lange wortkarg gegen sie, bis sie sich ihm wieder näherte. Der Winter aber verfloß wie gewöhnlich ruhig.
Bei Nial lebte ein Mann namens Thord, genannt Lösingsohn (Sohn des Freigelassenen); denn sein Vater Sigtryg war Sklave gewesen bei Nial's Mutter Asgjerde, sie aber hatte ihm die Freiheit geschenkt, so daß er seitdem ihr Freigelassener wurde. Später war er ertrunken und sein Sohn Thord war seitdem bei Nial geblieben. Dieser Thord Lösingsohn war ein großer und starker Mann und hatte Nial's Söhne alle erzogen. Ihn wollte nun Bergthora gebrauchen, ihr an Atle gegebenes Versprechen zu erfüllen. Im Sommer, nachdem dieser getödtet worden war, trug sie ihm auf, während Nial und seine Söhne, wie auch Gunnar auf dem Alting waren, er solle ausziehen und Halgjerde's Vetter Brynjolf tödten. »Zwar bin ich kein Todtschläger,« entgegnete Thord; »aber ich will es thun, wenn Du es mir befiehlst.« »Ich befehle es Dir!« sagte sie. Thord ritt darauf nach Hlidarende und ließ Halgjerde rufen. »Wo ist Brynjolf?« fragte er sie. »Was willst Du von ihm?« entgegnete sie. Er versetzte: »Er soll mir sagen, wo er Atle's Leiche begraben hat; man hat[65] mir erzählt, daß er es schlecht gemacht habe.« Sie theilte ihm mit, wo Brynjolf sei und er hieß sie zusehen, daß es Brynjolf nicht ergehe wie Atle. »Du bist kein Todtschläger,« erwiderte sie, »wo ihr auch zusammentrefft, da ist keine Gefahr.« Thord antwortete, er habe nie Männerblut geschaut und er wüßte nicht, wie ihm werden würde, wenn er es sähe. Darauf sprengte er fort und traf Brynjolf auf der Landstraße. »Wehre Dich, Brynjolf,« rief er, »nicht wie ein Räuber will ich Dich überfallen.« Brynjolf ritt auf ihn zu und hieb nach ihm. Thord aber schwang seine Axt und zerschmetterte den Schaft von Brynjolf's Axt dicht über der Handhabe; zum zweiten Mal erhob er die Axt und traf Brynjolf in die Brust und tief drang die Axt ein, so daß er vom Pferde sank und sogleich seinen Geist aufgab. Kurz darauf traf Thord Halgjerde's Schafhirten. Er verkündete ihm, daß er Brynjolf getödtet habe, denn so mußte jeder freie Mann handeln, wenn er jemand getödtet hatte und nicht für einen Mörder gehalten werden oder den Namen eines Schurken tragen wollte. Er bezeichnete ihm den Ort, wo die Leiche lag und hieß ihn Halgjerde es ansagen. Dann ritt er nach Bergthorshvol und sagte Bergthora, was er gethan habe. »Ich danke Dir für Deiner Hände Werk,« entgegnete sie. Halgjerde aber entbrannte im Zorn, als sie die Botschaft vernahm, die der Hirte ihr brachte. »Viel Unheil soll daraus entstehen,« sprach sie, »wenn ich nur freie Hand habe.« Die Zeitung wurde auch auf dem Tinge kund. Dreimal ließ Nial sich die Kunde sagen; darauf brach er aus: »Jetzt werden die zu Blutmännern, von denen ich es am mindesten erwartet habe.« Skarphedin ergriff das Wort und sagte: »Der Mann muß schon im voraus dem Tode geweiht gewesen sein, da er unter der Hand unsres Pflegevaters, der doch niemals Männerblut gesehen, sein Leben hat aushauchen müssen, und viele werden meinen, daß wir Brüder diese That gethan haben, da man unsre Sinnesart kennt.« »Bald wird solches auch von Dir geschehen,« versetzte Nial, »aber die Noth wird Dich dazu treiben.« Darauf gingen sie hin und verkündeten Gunnar Thord's That. »Der Schade ist nicht groß,« erwiderte [66] Gunnar, »aber Brynjolf war ein freier Mann.« Nial bot ihm sofort den Vergleich an und Gunnar nahm ihn an, unter der Bedingung, daß er selbst richten sollte. Er setzte die Buße auf drei Mark, Nial zahlte sie aus und somit war der Vergleich abgeschlossen.
Gunnar's Mutter Ranvejg hatte einen Schwestersohn namens Sigmund Lambesohn. Derselbe war ein großer und kräftiger Mann, von angenehmen Sitten, ein guter Skjald und in den meisten Uebungen wohl erfahren; dabei war er aber auch hochmüthig, spottsüchtig und trotzigen Sinns. Er besaß ein Schiff, auf welchem er Handelsreisen machte und er fuhr mit demselben nach Island in dem Sommer, in welchem Brynjolf Roste getödtet worden war. Er wurde begleitet von einem Schweden namens Skjold, einem Manne, dem man am besten aus dem Wege ging. Sie landeten im Hornefjord an der Südostküste der Insel, wo sie sich Pferde verschafften und nach Hlidarende ritten. Um der Vetterschaft willen empfing Gunnar sie freundlich und lud Sigmund ein, bei ihm den Winter über seinen Aufenthalt zu nehmen. Sigmund erwiderte, er nehme die Einladung an, falls sein Genosse Skjold ebenfalls willkommen sei. »Soviel ich weiß, trägt er nicht dazu bei, Dir bessere Sinnesart einzuflößen, obgleich Du dessen gar wohl bedarfst,« meinte Gunnar, indessen gestattete er Skjold den Aufenthalt in seinem Hause. Jedoch erklärte er ihnen beiden, es sei eine Schwierigkeit mit ihrem Bleiben verbunden. »Mein Weib Halgjerde,« sagte er, »unternimmt gar vieles, was meinem Willen zuwider ist und ihr dürft nicht sogleich zuschlagen, wenn sie Euch anstachelt.« »Nicht führt den Schlag, wer Worte macht,« antwortete Sigmund. »Drum suchet stets Rath bei mir,« sprach Gunnar, »und thuet, was ich Euch heiße.«[67] Seitdem hielten sich Sigmund und Skjold in Gunnar's Nähe. Halgjerde aber begann bald Sigmund große Freundlichkeit zu erweisen und das ging schließlich so weit, daß sie ihm Geld zusteckte und ihm mit gleichem Eifer diente, wie ihrem Eheherrn, so daß die Leute viel darüber redeten und sich verwundert fragten, was dem wohl zu Grunde liege. Eines Tages sagte sie zu Gunnar: »Nicht beruhigen kann ich mich mit den drei Mark Silber, die Du für meinen Vetter Brynjolf empfangen hast, darum will ich zusehen, ob ich ihn nicht rächen kann.« Gunnar erwiderte, er wolle mit ihr keine Worte wechseln, und ging fort. Er sandte aber sofort seinen Bruder Kulskjäg zu Nial und ließ ihm ansagen, Thord möge sich hüten, der Friede sei faul und unzuverlässig. Darnach beredete sich Halgjerde mit ihrem Tochtermann Thraen Sigfussohn und wollte ihn verleiten, Thord Lösingsohn zu erschlagen, doch wollte er nicht darauf eingehen. »Mein Vetter Gunnar würde mir schwer zürnen,« versetzte er; »auch bringt solche That viel Gefahr mit sich, denn sie würde sogleich gerächt.« »Wer sollte es rächen,« spottete sie, »doch wohl nicht der bartlose Knicker?« »Nicht er, aber seine Söhne,« antwortete Thraen. Sie redeten nun lange mit einander, ohne daß jemand erfuhr, welche Pläne sie schmiedeten. Einst traf es sich, daß Gunnar nicht zu Hause war, aber Sigmund war auf Hlidarende und Skjold, sein Gefährte und auch Thraen war von Grytaa herübergekommen. Es saßen die drei vor dem Hause und unterhielten sich mit Halgjerde. »Ihr versprachet mir, Thord zu erschlagen, Ihr beiden Genossen, Skjold und Sigmund,« sprach sie, »und auch Du, Thraen, versprachst, dabei zu sein.« Das bejahten die drei. »Jetzt höret meinen Rath,« fuhr sie fort, »Ihr müßt ostwärts nach dem Hornefjord reiten, um Euer Gut zu holen, und müßt erst heimkommen, wenn das Ting begonnen hat, denn sonst wird Gunnar Euch zum Ting mitführen. Nial und seine Söhne reiten gleichfalls zum Ting. Wenn Ihr dann zurückkommt und alle diese Männer fern sind, dann müßt Ihr Thord tödten.« Sie versprachen nun alle, den Anschlag zu fördern und ritten sogleich ostwärts nach dem Hornefjord. Gunnar ahnte nichts Böses und [68] begab sich zum Ting. Nial hatte auch Thord dahin mit sich nehmen wollen, allein er hatte ihn mit einem Auftrag fortgeschickt und er kehrte nicht rechtzeitig genug wieder, denn ein Fluß, den er unterwegs durchwaten mußte, war über seine Ufer getreten. So mußte denn Nial ohne ihn zum Ting reiten, doch hieß er Bergthora, ihn nachzusenden, sobald er zurückgekehrt sei. Nach zwei Nächten kam er. Bergthora trug ihm auf, sich zum Ting zu begeben. »Zuerst aber magst Du nach Thorolfsfjeld hinaufreiten,« fügte sie hinzu, »um dort nach der Wirthschaft zu sehen; allein Du darfst nicht länger als höchstens zwei Nächte Dich dort aufhalten.« Von diesen Begebenheiten erhielt Halgjerde Nachricht, und als nun Sigmund, Skjold und Thraen vom Hornefjord zurückkamen, sagte sie ihnen an, wie die Dinge ständen und hieß sie eilen. Sie ritten daher sogleich von Hlidarende aus nach Thorolfsfjeld zu. Unterwegs äußerte Sigmund, Thraen möge sich der Theilnahme am Ueberfall enthalten; sie bedürften seiner nicht, und Thraen that nach seinen Worten. Kurz darauf kam Thord ihnen entgegen. »Du mußt sterben, Thord,« rief Sigmund ihm zu, »ergieb Dich sogleich.« »Mit nichten,« erwiderte Thord, »jedoch stellt Euch mir einzeln zum Kampf.« »Nein,« sprach Sigmund, »wir möchten doch gern aus unsrer Uebermacht Vortheil ziehen. Du mußt ja stark sein, da Dein Pflegesohn Skarphedin so stark ist, und doch soll nach dem alten Wort nur ein Viertheil der Stärke des Pflegevaters auf den Pflegesohn übergehen.« »Du wirst es schon empfinden,« antwortete Thord, »wie stark Skarphedin ist, denn er wird mich rächen.« Darauf drangen sie auf ihn ein. Er zerbrach jedem einen Speer, so trefflich wehrte er sich. Da hieb ihm Skjold die eine Hand ab, doch Thord kämpfte eine Weile mit der anderen. Endlich durchstach ihn Sigmund mit einem Speer, er sank leblos zur Erde und sie bedeckten die Leiche mit Rasen und Steinen. »Ein böses Werk haben wir vollbracht,« sagte Thraen, »Nial's Söhne werden es bitter empfinden, wenn sie die Kunde empfangen.« Halgjerde wurde froh, als sie ihr die Nachricht brachten, Ranvejg aber sprach zu Sigmund: »Nur kurze Weile freut die Hand sich des [69] Kampfes; indessen wird Gunnar Dich wohl aus dieser Sache lösen; aber gelingt es Halgjerde, Dich noch einmal auf's Glatte zu führen, dann wird es Dein Tod sein.« Halgjerde ließ sowohl auf Bergthorshvol, wie auch Gunnar auf dem Tinge die Blutthat ansagen. Als Bergthora die Botschaft empfing, versetzte sie, sie wolle darum keine argen Worte gegen Halgjerde brauchen; »es bedarf andrer Waffen, um eine solche That zu rächen,« fügte sie hinzu. Gunnar aber rief aus, es sei die schlimmste Kunde, die man ihm bringen könne, und eilte sofort zu Nial. Niemand außer Kulskjäg war bei ihrer Unterredung zugegen. »Harte Zeitung bringe ich Dir,« sagte Gunnar, »Thord Lösingsohn ist erschlagen, drum will ich Dir das Urtheil überlassen.« Nial schwieg eine Weile, dann erwiderte er, er wolle Gunnar's Anerbieten annehmen, obgleich er darob harte Worte hören werde von seiner Frau und seinen Söhnen. »Aber,« setzte er hinzu, »von meiner Seite soll der Bund unsrer Freundschaft nicht gebrochen werden.« Er gestattete auch nicht, daß seine Söhne bei dem Vergleich zugegen seien. »Sie geben ihre Einwilligung nicht dazu,« sprach er, »doch werden sie den Vergleich, den ich geschlossen habe, auch nicht brechen.« Darauf reichten Nial und Gunnar einander die Hand zum Zeichen, daß sie sich verglichen hätten. »Ich schätze die Buße auf sechs Mark Silber,« versetzte Nial, »das scheint Dir viel zu sein?« »Nicht zu viel,« antwortete Gunnar, zahlte das Geld und begab sich nach seiner Hütte. Bald darauf kamen Nial's Söhne nach Hause. »Es muß ihnen ein wichtiges Ding gewesen sein, die That zu vollführen,« sagte Skarphedin, als er alles erfuhr; »sonst hätten ihrer nicht so viele den einen überfallen. Doch wann ist die Sache weit genug gediehen, daß es uns zukommt, die Hand zu erheben?« »Lange wird es nicht dauern,« entgegnete Nial, »doch ist es mir sehr darum zu thun, daß dieser Vergleich nicht gebrochen wird.« »Dann soll er auch nicht gebrochen werden,« antwortete Skarphedin, »allein bei der nächsten Mißhelligkeit wollen wir der alten Feindschaft gedenken.« »Dagegen werde ich nichts einwenden,« sagte Nial. Als aber Gunnar vom Tinge [70] heimkam, stellte er Sigmund zur Rede und sagte: »Nicht erwartete ich, daß Du meinem Hause etwas Gutes bringen würdest; daß es aber so arg werden würde, habe ich nicht geahnt. Treffliche Anlagen hast Du, doch brauchst Du sie übel. Deine Sinnesart stimmt nicht mit der meinigen, denn Du bist schnell bei der Hand mit Hohn und Spott; darum Dein gutes Einvernehmen mit Halgjerde; Ihr gleicht einander. Jetzt habe ich Dich mit Nial und seinen Söhnen verglichen. Laß' Dich nun nicht zum zweiten Mal verleiten.« In dieser Weise ermahnte er ihn eine Weile. Sigmund antwortete niedergeschlagen und gelobte, er werde in Zukunft sich nach Gunnar richten. »Ja, das thue,« versetzte dieser, »Dir selbst wird es am meisten frommen.« Die Zeit verging; zwischen Gunnar und Nial bestand die Freundschaft unerschüttert; zwischen ihren Häusern aber wurde sie kühler und kühler.
Halgjerde hatte auf Hlidarende ein Frauengemach, zu welchem die Frauen auf dem Hofe sich hielten und daselbst ihrer Handarbeit oblagen. Sie selbst hatte auch eine Vorliebe dafür, dort zu sitzen und mit den anderen Frauen zu plaudern und bisweilen kamen auch Männer herzu und nahmen Theil an der Heiterkeit und der Kurzweil, die dort herrschte. Eines Tages saß Halgjerde dort mit ihrer Tochter Thorgjerde und vielen andern Frauen und Sigmund und Thraen waren zugegen. Da traten einige Bettelweiber herein. Halgjerde hieß sie willkommen, ließ ihnen Platz machen und fragte sie nach Neuigkeiten; jene aber wußten keine. »Wo seid Ihr denn über Nacht gewesen?« fragte sie. »Auf Bergthorshvol,« entgegneten jene. »Was hatte Nial denn vor?« fragte sie weiter. »Alles, was er that, bestand darin, daß er still [71] auf einem Fleck saß,« meinten jene. »Nun, und seine Söhne,« fuhr Halgjerde fort, »was fingen die an?« Die Weiber sprachen: »Lang genug sind sie, wozu sie aber tüchtig sind, das hat man bis jetzt noch nicht erfahren. Uebrigens stand Skarphedin da und schliff eine Axt, Grim schäftete einen Speer, Helge setzte einen Griff auf ein Schwert, Höskuld aber befestigte eine Handhabe an einen Schild.« »Dann bereiten sie wohl eine große That vor?« sagte Halgjerde. »Wir wissen es nicht,« erwiderten die Weiber. »Aber die Dienstleute,« forschte Halgjerde weiter, »was schafften die?« »Was die übrigen zu thun hatten,« antworteten die Weiber, »das wissen wir nicht; es war aber einer da, welcher Dünger auf das Feld fuhr.« »Wozu sollte das gut sein?« versetzte Halgjerde. Die Weiber erwiderten: »Er sagte, das Gras werde dadurch besser wachsen.« »Dann ist Nial doch einfältig,« spottete Halgjerde, »er, der sonst für alles guten Rath hat.« »Was willst Du damit sagen?« fragten die Weiber. »Ich meine,« fuhr Halgjerde fort, »wenn der Dünger solche Kraft in sich trägt, dann ist Nial dumm, weil er nicht Dünger auf seinen eigenen Bart hat fahren lassen, damit derselbe wachse wie bei anderen Männern; drum wollen wir ihn in Zukunft den bartlosen Knicker heißen; und seine Söhne, ja, die haben Bart genug, die sind wohl so klug gewesen zu thun, was er versäumt hat; sie mögen daher die Mistbärte heißen. Sing' uns ein Lied davon, Sigmund, damit wir uns freuen an Deiner Skjaldkunst.« Sigmund sang sogleich ein Lied, in welchem er Nial und dessen Söhne mit den Spottnamen belegte, die Halgjerde ihnen gegeben hatte und noch viel andres zu ihrem Hohne sagte. »Du bist ein wahres Kleinod, so willfährig wie Du gegen mich bist,« rief Halgjerde, als er geendet hatte, und es herrschte viel Lustigkeit und Lachen in dem Frauengemach. Da trat Gunnar herein; er hatte vor der Thüre gestanden und alles vernommen. Augenblicks verstummte das Gelächter. Gunnar war furchtbar zornig. »Ein Narr bist Du,« fuhr er Sigmund an, »diese Spottlieder werden Dir den Tod bringen. Ueber jeden aber,« wandte er sich an alle, »der diese Lieder wiederholt oder nur ein Wort davon fallen läßt, was hier[72] gesagt ist, wird mein Zorn kommen und ich werde ihn vom Hofe jagen.« Darauf ging er hinaus; es fürchteten ihn aber alle so sehr, daß niemand die Worte zu wiederholen wagte. Nur die Bettelweiber überlegten sich, daß Bergthora ihnen guten Lohn geben werde, wenn sie ihr erzählten, was geschehen sei. Sie eilten sogleich zu ihr und sagten ihr alles, ohne daß sie sie gefragt hatte. Als nun später die Männer auf Bergthorshvol sich zu Tische setzten, sprach Bergthora: »Jetzt hat man Euch Geschenke und Gaben gegeben, dem Vater und den Söhnen zugleich, und zahlt Ihr es nicht heim, so steht es nur schlecht um Eure Mannheit.« »Welche Gaben hat man uns gegeben?« fragte Skarphedin. Bergthora entgegnete: »Ihr Söhne empfinget eine, die Ihr Euch redlich theilen möget: Euch nannte man die Mistbärte; Euren Vater aber hieß man den bartlosen Knicker.« »Nicht sind wir Weiber, daß wir um alles und jedes zürnen,« versetzte Skarphedin. »Und doch ergrimmte um Euretwillen Gunnar,« antwortete Bergthora, »den niemand ein Weib nennt. Rächt Ihr aber nicht diesen Hohn, dann werdet Ihr niemals irgend welchen Schimpf rächen, den man Euch anthut.« »Jetzt ist unser Mütterchen im Eifer,« rief Skarphedin kichernd; aber der Schweiß drang ihm auf der Stirn hervor und auf seinen Wangen erschienen rothe Flecken. Grim schwieg und biß sich auf die Lippen, an Helge war nichts zu merken, Höskuld aber ging mit Bergthora vor die Thür und als sie zurückkam, erzitterte sie vor Zorn. »Nicht bleibt zurück, wer da fährt mit Bedacht, Hausfrau,« sprach Nial zu ihr; »gar süß mag die Rache sein, doch ist sie geübt, dann schmeckt man an ihr das Bittere.« Abends, als Nial sich zur Ruhe begeben hatte, hörte er eine Axt erklingen an der äußeren Breterwand des Hauses, dazu sah er, daß die Schilde nicht an ihrem gewöhnlichen Orte über einem anderen Bette hingen. »Wer hat unsere Schilde genommen?« fragte er Bergthora. »Deine Söhne trugen sie hinaus!« versetzte sie. Da stand Nial auf, zog seine Schuhe an und ging hinaus nach der Rückseite des Hauses. Da sah er sie alle die Höhe hinanklettern, an welcher der Hof lag. »Wohin, Skarphedin?« rief er. »Deine [73] Schafe wollen wir suchen,« rief Skarphedin. »Dann hättet Ihr Eure Waffen nicht mitgenommen,« erwiderte Nial. Da sang Skarphedin ein Lied und sprach: »Lachs wollen wir fangen, mein Vater!« »Möget Ihr den Fisch ins Garn bekommen,« sprach Nial und ging hinein. »Deine Söhne waren draußen, alle in vollem Waffenkleid,« sagte er zu Bergthora. Sie antwortete: »Großen Dank will ich ihnen schulden, wenn sie mir die Kunde bringen von Sigmund's Tod.« Die Nialsöhne aber stiegen hinauf zum Berghang am Flusse und als der Morgen graute, waren sie bei Hlidarende. Sigmund und Skjold waren gerade draußen, um nach einigen Pferden zu suchen; Skarphedin erblickte sie und zeigte sie seinen Brüdern. »Du aber, Höskuld,« sprach er, »Du magst Dich vom Kampfe fern halten, denn oft wirst Du allein ausgesandt zu Verrichtungen. Ich gedenke Sigmund auf mich zu nehmen, Grim und Helge mögen es mit Skjold versuchen.« Da setzte Höskuld sich nieder, die anderen aber gingen weiter, bis sie Sigmund und Skjold trafen. »Nimm Deine Waffen und wehre Dein Leben,« rief Skarphedin Sigmund entgegen, »das ist besser als Spottlieder über uns Brüder zu singen.« Darauf wartete er ruhig, bis Sigmund seine Waffen geholt hatte. Dieser trug denn einen Panzer um die Brust, einen Helm auf dem Haupte und einen Schild am Arm, an der Seite das Schwert und in der Hand den Speer. Er stürmte sogleich gegen Skarphedin, stieß nach ihm mit dem Speer und traf seinen Schild. Skarphedin aber zersplitterte den Speerschaft und schwang dann seine Axt, Rimegyge nannte er sie, hieb nach Sigmund, traf dessen Schild und spaltete ihn. Da zog Sigmund sein Schwert und schlug nach Skarphedin, jedoch das Schwert blieb in dessen Schild haften und Skarphedin drehte den Schild so kräftig, daß Sigmund das Schwert fahren ließ. Da hieb Skarphedin zum zweiten Mal mit der Axt nach Sigmund und zerschmetterte ihm das Schulterblatt. Sigmund sank in die Knie, doch sprang er sogleich wieder empor, allein Skarphedin schlug ihm auf den Helm und versetzte ihm dann den Todesstreich. Unterdessen hatten Grim und Helge gegen Skjold gekämpft. Grim trennte ihm den Fuß ab am Knöchelgelenk, [74] Helge aber durchstieß ihn mit dem Speer, so daß er sogleich todt umsank. Skarphedin hieb Sigmund den Kopf ab und als er bald nachher Halgjerde's Schafhirten fand, gab er ihm den Kopf und trug ihm auf, er möge ihn Halgjerde bringen und sie bitten, zuzusehen, ob es nicht derselbe Kopf sei, der neulich Spottlieder über Nial und dessen Söhne gesungen habe. Darauf entfernte er sich mit seinen Brüdern. Am Markarfluß traf er einige Männer. Diesen bekannte er, daß er Sigmund, Grim und Helge aber Skjold erlegt habe. Sodann kehrten sie alle heim und brachten Nial die Kunde. »Glück und Heil ob dem Werk Eurer Hände,« sprach dieser und setzte hinzu, daß, so wie die Sachen jetzt lägen, der Buße fordernde Theil nicht das Urtheil sprechen solle.
Als Halgjerde's Schafhirte aus dem Gesichtskreis der Nialsöhne gekommen war, warf er Sigmund's Haupt weit von sich. Er kam dann nach Hlidarende und sagte es Halgjerde an. »Skarphedin gab mir Sigmund's Haupt,« sprach er, »und gebot mir, es Dir zu bringen; ich aber wagte es nicht, denn ich wußte nicht, was Du dazu sagen würdest.« »Uebel hast Du gehandelt, daß Du es nicht thatest,« antwortete sie, »ich hätte es Gunnar gebracht und er hätte dann seinen Vetter rächen müssen, falls er nicht von jedermann darob geschmäht werden wollte.« Darauf eilte sie zu Gunnar und sagte: »Dein Vetter Sigmund ist erschlagen; Skarphedin ist sein Mörder.« »Das durfte man erwarten,« erwiderte er, »aus bösem Wort folgt böse That.« Damit ging er fort. Er that nichts, um die Sache anhängig zu machen und wiewohl Halgjerde ihn oft dazu anstachelte, so kümmerten ihn ihre Worte doch nicht. So vergingen drei Tingversammlungen;[75] die Leute erwarteten jedes Mal, daß Gunnar die Sache vor Gericht bringen werde, allein er that nichts dafür, redete auch nicht unwillig über die Nialsöhne. Einst hatte er einen Rechtshandel und vermochte sich nicht aus demselben herauszuwickeln. Er ritt darum zu Nial und dieser empfing ihn wohl. Gunnar sprach: »Ich bin gekommen, um Heilrath bei Dir zu suchen in einer schwierigen Sache.« Nial antwortete: »Drum ist Deine Erwartung, bei mir zu finden, was Du verlangst, auch durchaus billig.« Darauf erklärte er ihm, was er zu thun habe und Gunnar erhob sich und dankte ihm. Da faßte Nial seine Hand und sagte: »Lange genug hat Dein Vetter Sigmund ungebüßt gelegen.« »Für ihn ist schon längst die Buße erlegt,« meinte Gunnar, »doch will ich nicht von mir weisen, was ehrenvoll für mich ist.« Nial sprach nun den Wunsch aus, daß Gunnar selbst die Buße bestimmen möge. Er schätzte Sigmund auf sechs Mark Silber, für Skjold wollte er keine Buße annehmen. Das Geld wurde sogleich bezahlt. Auf dem nächsten Gauting, Tingskaaleting wurde es genannt, zu einer Zeit, wo die Versammlung am stärksten besucht war, trat Gunnar auf und sagte den Vergleich an, der zwischen ihm und Nial geschlossen sei. Er hob besonders hervor, wie zuvorkommend dieser gegen ihn gewesen sei, nannte auch alle bösen Worte, die Sigmund den Tod gebracht hatten und verbot allen und jeden, die Worte wieder auszusprechen oder die Lieder zu singen. Thäte es jemand, trotz seines Verbotes, dann sollte keine Buße für ihn gegeben werden, falls er darum getödtet werden würde. Schließlich erklärte sowohl er, wie auch Nial, daß niemals etwas ihr gutes Einvernehmen stören solle, was sie nicht unter sich in friedlicher Weise zum Austrag bringen würden. Dieses Versprechen hielten sie auch und waren sich allzeit treue Freunde.
Kurz nach den Begebenheiten, die zuletzt erzählt worden sind, kam Miswachs über ganz Island, so daß die Einwohner großen Mangel hatten sowohl an Lebensmitteln, wie an Viehfutter. Da mußte man sich gegenseitig aushelfen, je nachdem man guten Willen und Vorrath hatte. Viele wandten sich an Gunnar auf Hlidarende, und er half jedem aus, der zu ihm kam, sowohl mit Heu als auch mit Lebensmitteln. Schließlich begann er selbst an diesen Dingen Mangel zu leiden. Es wohnte aber auf dem Hofe Kirkeböj (Kirchecke d.h. die Ecke, wo der Weg nach der Kirche abbog) zwischen den beiden Rangauen nordwestlich von Hlidarende ein reicher Bauer namens Otkel Skarfsohn. Zu ihm ritt Gunnar eines Tages, begleitet von seinem Bruder Kulskjäg, Halgjerde's Schwiegersohn Thraen Sigfussohn und dessen Brudersohn Lambe Sigurdsohn. Er rief Otkel zu sich heraus und sagte zu ihm, die Noth zwinge ihn, ihn aufzusuchen, um Heu und Lebensmittel zu kaufen, falls er Vorrath habe. »An beidem habe ich Vorrath,« antwortete Otkel, »doch will ich Dir nichts davon verkaufen.« »Willst Du es mir denn schenken,« fragte Gunnar, »und mir es überlassen, wie ich Dir lohnen soll?« »Auch das nicht,« versetzte [77] Otkel und wurde unterstützt von einem anderen Bauern, seinem Freunde, einem argen, zanksüchtigen und lügnerischen Manne namens Skamkel von Hof, der mit ihm aus dem Hause getreten war. »Eigentlich wäre es das Beste,« rief Thraen Sigfussohn, »wenn wir selbst nähmen, soviel als wir bedürfen und das Geld dafür da ließen.« »Nein,« erwiderte Gunnar, »rauben will ich nicht.« Otkel aber fragte Gunnar, ob er ihm einen Sklaven abkaufen wolle und als Gunnar einwilligte, gab er ihm einen Menschen namens Melkolf, aus Irland gebürtig, einen faulen Knecht, den niemand leiden konnte. So kam Gunnar zurück mit einem hungrigen Munde mehr, aber ohne Lebensmittel und Viehfutter. Indessen wurde er bald damit versehen, denn als Nial vernahm, wie man auf Kirkeböj sich gegen Gunnar benommen habe, versetzte er, es sei übel gethan, Gunnar einen Handel abzuschlagen. Bergthora meinte, es wäre eine gute That, wenn Nial ihm Heu und Lebensmittel verschaffe. »An beiden hast Du ja Ueberfluß,« sagte sie zu ihm. »Du hast Recht,« entgegnete Nial, und kurz darauf ritt er mit seinen Söhnen nach Thorolfsfjeld und belud fünfzehn Pferde mit Heu und fünf mit Lebensmitteln. Dieses brachte er Gunnar, schenkte es ihm und sprach: »Wenn Du nach meinem Wunsche handeln willst, so wende Dich an keinen andern außer mir, falls Du etwas bedarfst.« »Deine Gaben sind gut,« erwiderte Gunnar, »was aber werthvoller ist, das ist die Freundschaft, die Du und Deine Söhne uns erweisen.« Halgjerde aber wollte den Schimpf rächen, den Otkel Gunnar angethan hatte. Während des Sommers, als dieser auf dem Alting war, rief sie eines Tages Melkolf zu sich und sagte: »Ich habe ein Geschäft für Dich; Du sollst nach Kirkeböj reiten; im Speicher sollst Du zwei Pferdelasten an Butter und Käse stehlen und dann den Speicher in Brand stecken, damit niemand merkt, daß dort gestohlen ist.« »Viel Böses habe ich schon verübt,« entgegnete der Sklave, »niemals aber war ich ein Dieb.« »Was man doch alles hören muß!« spottete Halgjerde, »Du willst Dich weiß brennen und bist doch ein Dieb und ein Mörder? Du sollst nach meinen Worten thun, sonst lasse ich Dich [78] tödten.« So nahm denn der Sklave in der Nacht zwei Pferde und ritt nach Kirkeböj. Der Hund bellte ihn nicht an, da er ihn kannte; er aber ging zum Speicher, belud die Pferde, legte Feuer an im Speicher, schlug den Hund todt und ritt heim. Es dauerte nicht lange bis die Bauern vom Alting heimritten. Oestlich von dem Berghang am Flusse, jenseits des großen Gletschers, aus dem der Markarfluß entspringt, lag ein Landstrich, der Sida genannt wird. Gunnar hatte die Bauern aus dieser Gegend eingeladen, auf dem Rückwege vom Alting bei ihm einzukehren, sie aber folgten der Einladung. Halgjerde deckte den Tisch für sie und unter den Speisen, die aufgetragen wurden, befanden sich auch Käse und Butter. »Wo stammt das her?« fragte Gunnar, denn er wußte, daß dergleichen auf Hlidarende nicht vorhanden sei. Halgjerde antwortete: »Nirgends stammt es her, Du magst es ruhig essen. Uebrigens kommt es nicht den Männern zu, Küchenmeister zu sein.« Gunnar wurde zornig und rief: »Uebel wäre es, wenn ich Diebshehler sein sollte,« und schlug sie dabei auf die Wangen. »Das sollst Du mir büßen,« sprach Halgjerde und eilte hinaus und Gunnar that desgleichen. Darnach wurde alles wieder abgetragen und statt dessen Fleisch auf den Tisch gesetzt. Da meinten die Gäste, es geschehe das wohl, weil man den Käse und die Butter nicht auf so gute Weise erworben habe wie das Fleisch; und kurz darauf zogen sie ab.
Als die Leute auf Kirkeböj am Morgen, nachdem Melkolf dort gewesen war, aus dem Hause traten, sahen sie, daß der Speicher niedergebrannt war. Sie sandten die Nachricht an Otkel auf dem Ting, er aber nahm es auf die leichte Achsel und meinte, es sei[79] wohl daher gekommen, daß der Speicher zu nahe am Backhaus gelegen habe. Nachdem er aber heimgekehrt war, ritt Skamkel eines Morgens aus, um nach einigen Schafen zu sehen. Während er an der Rangau entlang ritt, sah er etwas blinken auf dem Wege; er nahm es auf und sah, daß es ein Messer und ein Gürtel sei. Diese Dinge gehörten Melkolf; er hatte sie auf dem Rückwege von Kirkeböj verloren, war seinen Verlust aber erst gewahr geworden, als er nach Hlidarende gelangt war und hatte nun nicht gewagt, umzukehren, um darnach zu suchen. Skamkel erkannte die Gegenstände sofort wieder und zeigte sie Otkel; dieser erkannte sie gleichfalls und sagte, daß sie Melkolf zugehörten und das Gleiche sagten viele andere, denen sie sie zeigten. Nun aber wußte weder Otkel noch Skamkel, wie sie es anfangen sollten, um in der Sache klar zu sehen. »Wir müssen bei Mörd Vagardsohn uns Rath holen,« meinte Otkel endlich. Dieser Mörd Valgardsohn wohnte auf dem Hofe Hof an der Ostrangau und von ihm hätte man übrigens am allerwenigsten erwarten sollen, daß er Gunnar Schaden bringe. Denn er war ein Sohn von Unne Mördstochter, welcher Gunnar zu ihrer Mitgift verholfen hatte, als sie ihren Mann Rut Herjulfsohn verlassen hatte. Damals hatte sie selbst erklärt, daß sie und ihre Sippe jetzt vor allen andern dem Gunnar zum Beistand verpflichtet sei. Jedoch sie hatte sich später mit einem reichen, aber argen und falschen Bauern namens Valgard der Falsche verheiratet. Sie hatte sich vorher nicht mit Gunnar oder sonst jemand aus ihrer Sippe darüber berathen, und Gunnar und Nial waren daher auch übel zufrieden mit ihrer Wahl. Noch ärger aber machte es ihr Sohn Mörd, den sie mit Valgard hatte, denn er war hinterlistig und arg gegen jedermann, am meisten aber gegen Gunnar, dem er den größten Haß zeigte. So suchten denn Otkel und Skamkel mit gutem Grunde Rath bei ihm, wie sie Gunnar an den Kragen wollten. Mörd erkannte gleichfalls sowohl das Messer als auch den Gürtel. »Was habt Ihr aber vor?« fragte er, »glaubt Ihr vielleicht, daß Ihr auf Hildarende etwas zu fordern habt?« »Schwer ist es für uns,« entgegnete Skamkel, »mit so[80] mächtigen Leuten anzubinden. Indessen soll es Dein Schade nicht sein, wenn Du unsere Sache übernehmen willst.« »Euer Geld könnte mir theuer zu stehen kommen,« meinte Mörd. Sie aber gaben ihm drei Mark Silber. Da gab er ihnen den Rath, sie sollten einige Weiber mit Kurzwaaren in dem Gau herumschicken und den Hausfrauen davon mittheilen, und was sie dafür als Entgelt empfingen, sollten sie zu ihm bringen. »Denn,« sagte er, »birgt jemand gestohlenes Gut, so ist dies das erste, was er fortgiebt, wenn die Gelegenheit da ist. Habe ich aber ans Licht gebracht, was Ihr zu wissen wünscht, dann will ich nichts mehr mit der Sache zu thun haben.« – Die Weiber blieben einen halben Monat aus und als sie zurückkamen, hatten sie schwer zu tragen an dem, was sie empfangen hatten. Mörd fragte sie, wo sie das meiste empfangen hätten, und sie erwiderten, auf Hlidarende. Halgjerde sei am großmüthigsten gegen sie gewesen, denn sie hätte ihnen viele Scheiben Käse gegeben. Diese ließ Mörd sich geben und verwahrte sie, und bald nachher ritt er zu Otkel und bat um seiner Frau Käseform. Er legte die Scheiben hinein und dieser paßten genau, und es fand sich, daß die Weiber einen ganzen Käse empfangen hatten. »Jetzt ist es klar,« sprach Mörd, »daß Halgjerde Käse bei Euch gestohlen hat.« Zugleich erklärte er, er wolle mit der Sache nichts weiter zu thun haben und ritt heim.
Rings in dem Gau redete man bald von nichts anderem, als daß Halgjerde auf Kirkeböj gestohlen und den Speicher angezündet habe. Einst redete Kulskjäg mit Gunnar davon, und dieser [81] äußerte, er glaube selbst, daß die Sache sich so verhalte. »Doch was läßt sich dabei machen?« sagte er. »Du bist der nächste, der für Dein Weib büßen muß,« entgegnete Kulskjäg, »mir scheint, Du müßtest zu Otkel gehen und ihm gute Anerbietungen machen.« »Dein Rath ist gut,« versetzte Gunnar, »ich will ihm folgen.« Kurze Zeit nachher ritt er, von Kulskjäg, Thraen, Lambe und acht andern Männern gefolgt, nach Kirkeböj. Hier sandte er zu Otkel und bat ihn, er möge hervorkommen. Skamkel befand sich gerade bei Otkel. »Ich will mit Dir hinausgehen,« sagte er zu ihm, »jetzt nimm alle Schlauheit zusammen; Du mußt aber die Nase hoch tragen und große Worte machen.« Außer ihm nahm Otkel seine beiden Brüder Halkel und Halbjörn mit sich hinaus. Sie grüßten Gunnar und er erwiderte ihren Gruß. »Ich bin gekommen,« wandte er sich an Otkel, »um mit Dir über den großen Schaden zu sprechen, den mein Weib durch den Sklaven, den ich von Dir kaufte, Dir zugefügt hat.« »Solches konnte man von Dir erwarten,« versetzte Halbjörn. Zu Otkel gewandt, fuhr Gunnar fort: »Ich schlage Dir vor, daß die besten Männer des Gaues über unsre Sache das Urtheil sprechen mögen.« Da aber ergriff Skamkel das Wort und sagte: »Dieses Anerbieten läßt sich hören; indessen ist es doch nicht ganz billig, denn Du bist beliebt bei den Bauern, während Otkel keine Freunde unter ihnen hat.« »Dann will ich Dir anbieten,« sprach Gunnar, »daß Du mir das Urtheil zugestehst und zwar will ich es sogleich sprechen: doppelte Buße will ich zahlen und sogleich den Betrag entrichten und endlich dazu meine Freundschaft legen.« Skamkel aber sagte zu Otkel: »Auf diese Bedingung darfst Du nicht eingehen; schimpflich wäre es für Dich, Gunnar das Urtheil zuzugestehen, denn Dir kommt es zu.« Darauf sprach Otkel zu Gunnar: »Keineswegs will ich Dir das Urtheil zugestehen.« »Jetzt sehe ich schon,« erwiderte Gunnar, »wer hier Rathschläge ertheilt, jedoch magst Du das Urtheil sagen.« »Welche Antwort soll ich nun geben?« fragte Otkel auf Skamkel blickend. Dieser versetzte: »Das Anerbieten ist gut, Du magst es annehmen, allein Du mußt Deine Sache Gissur Hvide (der Weiße) [82] und Gejr Gode übertragen.« So antwortete Otkel dem Gunnar: »Du machst mir ein gutes Anerbieten, doch mußt Du mir Zeit lassen, zuerst mit Gissur Hvide zu reden.« »Thu' wie Du willst,« entgegnete Gunnar, »allein man wird sagen, Du wissest nicht, was Dir selbst zur Ehre gereicht, da Du den Vorschlag nicht annimmst, den ich Dir mache.« Damit ritt er heim. Als er aber fort war, sagte Halbjörn zu seinem Bruder, er handle übel, so gute Anerbietungen zurückzuweisen, zumal wenn sie von einem so mächtigen und braven Manne wie Gunnar gemacht würden.
Gissur Hvide war ein großer Häuptling und wohnte auf Mosfjeld nordwestlich von Kirkeböj jenseits der Thjorsau und Hvidau, welche letztere westlich von der Thjorsau fließt und wie diese ihren Lauf von Nordost nach Südwest nimmt. Gejr Gode wohnte auf dem Hofe Hlid in der Nähe von Mosfjeld, und es waren diese beiden Männer mit einander eng verbunden und unterstützten sich gegenseitig in allen Sachen. Bei Gissur wollte sich Otkel also Rath holen und sogleich, nachdem Gunnar fortgeritten war, ließ er sein Pferd vorführen und schickte sich zur Reise an. Skamkel begleitete ihn auf dem Wege. Als sie eine Strecke vom Hofe entfernt waren, sprach er zu Otkel: »Kurzsichtig bist Du und dem Reisen abgeneigt; ich erbiete mich, diese Fahrt für Dich zu thun.« »Das nehme ich an,« entgegnete [83] Otkel, »jedoch bleibe bei der Wahrheit.« »Das wird nicht fehlen,« sagte Skamkel, und empfing darauf Otkel's Pferd und Reisekleider und ritt weiter, während Otkel zu Fuß nach Hause zurückkehrte. »Uebel ist es, einen Sklaven zum Freund zu haben,« rief sein Bruder Halbjörn aus, als er ihn erblickte, »und unklug gehandelt, den lügnerischen Mann in einer Angelegenheit zu entsenden, die schließlich Blut kosten kann.« »Schon jetzt fürchtest Du Dich,« erwiderte Otkel, »wie wirst Du erst beben, wenn Du Gunnar's Hellebarde geschwungen siehst.« »Nicht leicht ist es, voraus zu wissen, wer dann am furchtsamsten sein wird,« versetzte Halbjörn, »doch zürnt Gunnar erst, dann ist er nicht lässig, die Hellebarde zu schwingen; das wirst Du empfinden!« »Alle seid ihr Feiglinge, nur Skamkel nicht,« antwortete Otkel; und beide waren heftig erzürnt. Skamkel aber kam nach Mosfjeld und erzählte Gissur alles, wie es sich zugetragen hatte. »Gute Anerbietungen machte Gunnar; warum nahm Otkel sie nicht an?« fragte Gissur. Skamkel antwortete: »Das that er darum nicht, weil er Dir die Ehre erweisen und Dich um Rath bitten wollte, denn Deine Rathschläge sind stets die besten.« Gissur ließ nun Gejr Gode herbeiholen und besprach mit ihm die Angelegenheit. Sie trauten Skamkel nicht und ließen sich die Sache nochmals erzählen. Da indessen der zweite Bericht mit dem ersten übereinstimmte, sagten sie, sie würden die Sache auf's beste zu vermitteln suchen, so daß ein Vergleich zu Stande käme. »Denn wir glauben, daß Du die Wahrheit gesprochen hast,« sagte Gissur zu Skamkel, »obwohl ich stets einen argen Mann in Dir gefunden habe. Bist Du jedoch wirklich ein braver Kerl, dann kann man freilich den Hund nicht immer an den Haaren erkennen.« Darnach ritt Skamkel nach Kirkeböj zurück. Er brachte Otkel einen Gruß von Gissur und Gejr und sagte, es sei ihre Meinung, man dürfe in dieser Sache keinen Vergleich schließen, sondern Otkel möge Halgjerde wegen Diebstahls und Gunnar wegen Hehlerei belangen. »Auch sie waren hocherfreut,« setzte er hinzu, »daß Du Dich so stolz benommen habest in dieser Sache; aber ich that auch mein bestes, um ihnen zu zeigen, [84] daß Du wie ein großer Mann gehandelt habest.« Otkel erzählte seinen Brüdern, welche Antwort Skamkel gebracht habe. »Das wird seine größte Lüge sein,« sagte Halbjörn.
Als der Zeitraum beinahe verflossen war, innerhalb dessen man nach gesetzlicher Bestimmung zum Rechtsstreit und Urtheil auf dem Alting laden mußte, bat Otkel seine Brüder und Skamkel, mit ihm nach Hlidarende zu reiten. Halbjörn meinte, es werde nicht lange dauern, daß diese Fahrt sie gereuen werde, indessen versprach er doch mitzuziehen. So ritten sie denn davon, eine Schaar von zwölf Mann. Gunnar befand sich draußen, als sie kamen, doch ward er sie nicht eher gewahr, als bis Otkel ihm die Ladungsworte mit lauter Stimme entgegenrief. Da wandte er sich zu Skamkel und sprach: »Die Stunde wird kommen, wo ich Dich an diese Fahrt und Deine Rathschläge erinnern werde.« »Kaum wird uns das schaden, so lange Deine Hellebarde nur nicht erhoben ist,« erwiderte Skamkel. Gunnar aber war sehr zornig und trat in sein Haus ein. Bald nachher ritt er nach Bergthorshvol und sagte Nial an, was geschehen sei. »Das mag Dich nicht kümmern,« sagte Nial; »vor Schluß des Tinges wirst Du es sein, der die größte Ehre davon trägt; alle wollen wir Dir folgen und mit Rath und That Dir Beistand leisten.« Als der Alting herankam, hatte Gunnar, wo er ging und stand, stets im Gefolge seinen Bruder Kulskjäg, Thraen und dessen Brüder, die alle gewaltige Streiter waren, und endlich Nial und dessen Söhne, so daß jedermann sagte, nie habe man je eine so kriegerische Schaar beisammen gesehen. Nach Nial's Rath ging Gunnar zu Höskuld Dalekolsohn und dessen Halbbruder [85] Rut und bat sie um Rath. »Sofern die andern Männer Dir nicht überlassen, daß Du selbst den Urtheilsspruch sagest,« versetzte Rut, »so magst Du Gissur Hvide und Kulskjäg Gejr Gode zum Holmgang fordern; dann werden sich schon Männer finden, die gegen Otkel und die Seinigen gehen; wir haben jetzt so viel Mannschaft beisammen, daß Du durchsetzen kannst, was Du willst.« Was aber so zwischen Rut und Gunnar beredet worden war, kam Gissur zu Ohren. Dieser begab sich sofort zu Otkel und fragte ihn, wer ihm gerathen habe, Gunnar vor Gericht zu laden. »Skamkel behauptete, es sei Dein Rath,« erwiderte Otkel. »Wo ist der Elende?« rief Gissur. »Er liegt krank in der Hütte darnieder!« versetzte Otkel. »Möge er nie wieder aufstehen!« rief Gissur. Auf sein Gebot gingen nun sogleich alle nach Gunnar's Hütte. Man verkündete Gunnar, daß sie herankämen und er eilte darauf sogleich vor die Thür mit allen seinen Mannen und ordnete sie wie zum Kampf. Gissur Hvide trat vor und sagte, sie wollten ihm anbieten, daß er selbst urtheile. »So war es nicht Dein Rath, daß man mich vor Gericht lade?« fragte Gunnar. Gissur antwortete: »Weder ich noch Gejr haben solchen Rath gegeben.« Gunnar verlangte nun, er sollte sich mit einem Eide reinigen und Gissur war auch willig dazu, falls Gunnar das Urtheil übernehmen wolle. Dazu war Gunnar indessen gar nicht geneigt, doch gab er nach auf Nial's Ermahnung. Höskuld und Rut wurden herbeigeholt und als sie erschienen, schwuren Gissur und Gejr den Reinigungseid. Darauf sprach Gunnar selbst das Urtheil, ohne jemand als Berather herbeizuziehen. Er sagte, es komme ihm zu, den Werth des Speichers und der Lebensmittel, die in demselben gewesen waren, zu bezahlen. »Daneben aber meine ich,« fuhr er fort, »es war nur zum Hohn, daß Ihr mich ludet; für diesen Hohn müßt Ihr Buße zahlen und diese soll bestehen in dem vollen Werth des Speichers und dessen, was mit demselben verbrannte. So habe ich denn das Urtheil gesprochen,« schloß er, »dünkt es Euch aber, es sei besser, daß wir keinen Vergleich schließen, sondern die Sache ihren gesetzlichen Gang gehen lassen, dann habe auch ich in [86] solchem Fall festgesetzt, was ich thun will.« »Nein,« erwiderte Gissur, »wir sind zufrieden damit, daß Du dem Otkel keine Buße zahlst, doch möchten wir Dich bitten, Du wollest in Zukunft sein Freund sein.« »Niemals, so lange ich lebe,« rief Gunnar aus, »Skamkel möge sein Freund sein, der ja schon längst seine rechte Hand gewesen ist.« »So wollen wir denn Dir ganz nachgeben und doch die Sache abschließen,« versetzte Gissur, und darauf reichten sie sich die Hand auf diesen Vergleich hin. Schließlich sagte Gunnar noch zu Otkel, es sei für ihn räthlich, wenn er zu seiner Sippe ziehe. »Willst Du aber neben mir in dem Gau bleiben,« fügte er hinzu, »dann lasse mich fürder in Ruhe.« Gissur erklärte, das sei ein wohlgemeinter Rath, dem Otkel folgen möge. So endete denn die Sache zur größten Ehre für Gunnar, und so saß er denn nachher eine Zeit lang ruhig auf seinem Hofe.
Auf dem Hofe Dal östlich vom Markarfluß, dort wo derselbe sich südwärts wendet, wohnte ein Bauer namens Runolf, welcher ein Sohn von Ulf Örgode, dem Bruder von Valgard dem Falschen war. Auf dem Rückwege vom Alting kehrte er bei Otkel auf Kirkeböj ein. Beim Abschied schenkte ihm Otkel einen neunjährigen Ochsen von schwarzer Farbe und zum Entgelt lud Runolf Otkel ein, ihn zu besuchen, wann er wolle. Erst im nächsten Frühling gedachte Otkel der Einladung zu folgen und er nahm Skamkel, seine beiden Brüder und vier andere Männer mit sich. Otkel besaß zwei Pferde, hellgelb von Farbe mit schwarzer Mähne und Schweif und schwarzem Streif längs dem Rückgrat. Es waren die besten Reitpferde in dem Gau und dieselben hingen so sehr [87] an einander, daß das eine stets dem andern folgte. Auf dem einen derselben ritt Otkel, das andere aber lief ledig nebenher. Der Weg führte an dem Berghang am Markarflusse entlang und die Furt, wo Otkel denselben überschreiten mußte, lag in der Nähe von Hlidarende. Während Otkel an Gunnar's Feldern vorüberritt und seinen Begleitern voraus war, wurden beide Pferde scheu und jagten den Berghang hinan. Gunnar befand sich gerade auf seinem Acker und säete – Gerste wird er gesäet haben, denn andres Korn konnte nicht gedeihen auf Island; – seine Axt und seinen Mantel hatte er neben sich auf die Erde gelegt. Otkel sprengte gewaltsamer einher, als ihm selbst lieb war, und Gunnar stand gerade zur Erde gebeugt, so daß keiner den andern bemerkte. Erst in dem Augenblick, als Otkel unmittelbar vor Gunnar sich befand, richtete sich dieser empor. Otkel ritt ihn daher um und sein Sporn riß Gunnar eine tiefe Wunde an seinem einen Ohr, so daß das Blut sogleich hervorströmte. Gleich darauf kamen Otkel's Begleiter heran. Gunnar rief sie zu Zeugen auf, wie unziemlich Otkel ihn behandle. »Zuerst ladest Du mich vor Gericht,« sprach er, »jetzt reitest Du mich um, trittst mich mit Füßen und verwundest mich blutig.« Skamkel ergriff sogleich das Wort und sagte: »Der Schade ist nicht so groß, Bauer, wenngleich Du jetzt fast ebenso zornig bist, als auf dem Alting, wo Du mit der Hellebarde in der Hand dastandest und das Urtheil sprachst.« »Beim nächsten Mal, wo ich Dich finde, wirst Du die Hellebarde kosten,« versetzte Gunnar, und damit schieden sie von einander. Gunnar ging heim und erzählte niemandem, was geschehen war, und keiner verfiel auf den Gedanken, daß die Wunde am Ohr ihm von einem zweiten geschlagen worden sei. Einst besprach er indessen die Angelegenheit mit seinem Bruder Kulskjäg und auf dessen Anrathen erzählte er auch seinen Nachbarn davon, da es ihm nicht räthlich erschien, wenn niemand darum wisse, falls größere Dinge darauf folgen sollten. Otkel aber war unterdessen nach Dal gekommen und Skamkel erzählte Runolf, was zwischen ihnen und Gunnar sich ereignet habe. Ein Mann fragte zufällig, wie Gunnar sich [88] dabei benommen habe. Skamkel erwiderte: »Wäre es ein geringer Mann gewesen, dann hätte man ohne Scheu gesagt, er habe geweint.« »Eine üble Rede ist das,« fiel Runolf ein, »und das wirst Du erfahren bei Eurem nächsten Zusammentreffen, daß Weinen und Klagen nicht Gunnar's Sache ist. Drum können wir uns Glück wünschen, wenn nicht bessere Männer für Deine Bosheit büßen müssen.« Darauf wandte er sich an Otkel und sagte: »Rathsam erscheint es mir jetzt, daß ich Euch das Geleit gebe auf der Heimfahrt, denn mir wird Gunnar kein Leid thun.« Otkel aber wollte das Anerbieten nicht annehmen und sagte, er werde den Fluß in seinem unteren Lauf überschreiten, so daß er nicht in die Nähe von Hlidarende komme. Nachdem er eine Woche auf Dal gewesen war, beschloß er heimzukehren. Beim Abschied gab ihm Runolf gute Gaben und sagte, sie würden sich nie wieder sehen. Otkel bat ihn, in diesem Falle sich seines Sohnes anzunehmen.
Eines Tages stand Gunnar vor seinem Hause auf Hlidarende. Da sah er seinen Schafhirten auf den Hof zusprengen. Derselbe ritt hinein auf den umzäumten Platz, der das Haus umgab und sagte zu Gunnar: »Acht Männer sah ich den Markarfluß entlang reiten und ihrer vier trugen farbige Kleider; da gedachte ich meiner Treue gegen Dich, darum sage ich Dir es jetzt an.« »Das wird Otkel sein,« versetzte Gunnar; der Hirte erzählte ihm die schmählichen Worte, die Skamkel auf Dal über ihn gebraucht habe und fügte hinzu: »Uebel scheint es mir, daß arge Männer solche Reden führen dürfen.« »Ein Wort wollen wir uns nicht allzunahe gehen lassen,« entgegnete Gunnar, »von jetzt an aber [89] sei es Dir gestattet, nur die Arbeit zu thun, die Du selbst thun willst.« »Soll ich es nicht Kulskjäg ansagen?« fragte der Hirte. »Das werde ich selbst thun,« antwortete Gunnar und hieß ihn sich schlafen legen. Darauf nahm er das Pferd des Hirten und legte ihm seinen Sattel auf; er holte seinen Schild hervor, umgürtete sich mit dem Schwert, welches er von Ölve auf Hisingen empfangen hatte, bedeckte sein Haupt mit dem Helm und ergriff die Hellebarde. Laut klang die Hellebarde, so daß seine Mutter Ranvejg es vernahm; sie kam herbei und sprach: »Zornig bist Du jetzt, mein Sohn, wie ich Dich nie vordem sah.« Gunnar ging hinaus, stemmte die Hellebarde gegen den Erdboden, warf sich in den Sattel und ritt fort. Seine Mutter Ranvejg aber trat in das Wohngemach, wo lautes Gespräch herrschte. »Laut redet Ihr zwar,« sprach sie, »noch lauter aber erklang die Hellebarde, als Gunnar hinausging.« »Das bedeutet eine große That,« sagte Kulskjäg. »So ist es recht,« sprach Halgjerde, »jetzt werden sie erfahren, ob er weint, wenn er von ihnen scheidet.« Kulskjäg holte gleichfalls seine Waffen, suchte sich ein Pferd aus und folgte Gunnar so eilig er vermochte. Dieser war westwärts geritten und kam zur Furt über die Ostrangau bei Mörd Valgardsohn's Hof. Dort sprang er vom Pferde und band es an. Gleich darnach kamen Otkel und seine Begleiter dahin. »Wehrt Euch,« rief er ihnen entgegen, »hier ist die Hellebarde und ich will Euch zeigen, ob ich vor Euch weine.« Da sprangen alle von den Pferden und drangen auf Gunnar ein, Halbjörn voran. »Dir möchte ich am wenigsten etwas Böses zufügen,« sprach Gunnar zu ihm. »Ich kann nicht ruhig zusehen, wenn Du meinen Bruder tödten willst,« antwortete Halbjörn und stieß mit beiden Händen mit einem großen Speer nach Gunnar. Dieser deckte sich mit dem Schild und der Speer durchbohrte denselben; Gunnar aber stieß den Schild so kräftig auf den Erdboden, daß er stehen blieb und zugleich schwang er sein Schwert so schnell, daß niemand dessen Bewegungen zu folgen vermochte und hieb Halbjörn die Hand ab. Skamkel kam von hinten gegen Gunnar und hieb nach ihm mit einer großen Axt. Gunnar aber drehte sich blitzschnell [90] um, schlug mit der Hellebarde Skamkel die Axt aus der Hand, so daß sie in die Au hinaus flog und wieder erhob er die Hellebarde, durchstieß Skamkel, schwang ihn empor und schleuderte ihn kopfüber in den Morast an der Seite des Weges. Ein Normann oder – wie die Isländer zu sagen pflegten – ein Ostmann namens Ödulf, der in Otkel's Gefolge war, warf seinen Speer nach Gunnar, dieser aber ergriff denselben im Fluge und sandte ihn sogleich zurück, so daß er Ödulf's Schild und diesen selbst durchbohrte und noch tief in die Erde eindrang. Nun wollte Otkel selbst mit seinem Schwert einen Streich gegen Gunnar führen und zielte nach dessen Bein unterhalb des Knies, Gunnar aber sprang so hoch empor, daß der Hieb fehl ging; darnach stach er mit der Hellebarde nach Otkel und durchbohrte ihn. In diesem Augenblick kam Kulskjäg herbei und streckte sogleich Otkel's Bruder Halkel nieder und endlich tödteten sie auch die drei Männer, die noch übrig waren. Mörd hatte unterdessen vernommen, was sich vor seinem Hofe zutrage, denn eine von den Mägden hatte ihm es gesagt und ihn gebeten, die Kämpfenden zu trennen. »Meinetwegen mögen sie sich gern gegenseitig niedermetzeln,« war seine Antwort. »Das kann nicht Dein Ernst sein,« erwiderte sie, »denn es ist Dein Vetter Gunnar und Dein Freund Otkel.« »Du schwatzest einmal wieder, Du Närrin,« schalt er und blieb ruhig drinnen. Nach gethanem Werk ritten Gunnar und Kulskjäg heim. »Es mag sein, daß ich weniger schnell zu blutiger That bin als andre Männer,« sagte Gunnar, »für weniger tapfer, glaube ich, wird man mich darum nicht halten.« Kurze Zeit darnach ritt er nach Bergthorshvol. »Eine große That hast Du vollbracht,« sagte Nial zu ihm, »aber Du warst auch schwer gereizt. Die Sache,« fuhr er fort, »wird vor das Ting kommen, aber Du wirst die größte Ehre davon tragen. Dies wird indessen die Ursache zu weiteren Blutthaten sein, die Du zu vollbringen genöthigt sein wirst. Tödte aber nie mehr als einen Mann aus demselben Geschlecht; brich auch niemals einen Vergleich, den gute Männer mit Dir schließen, und am allerwenigsten, wenn jenes Dir geschieht, wovor ich Dich zuerst warnte.« »Solches,[91] glaubte ich, werde bei anderen eher eintreten als bei mir,« antwortete Gunnar. »Es mag sein,« versetzte Nial, »das aber halte fest; trifft es sich so, wie ich soeben gesagt habe, dann hast Du bald am längsten gelebt; sonst wirst Du ein hohes Alter erreichen.« Der Tingstreit verlief übrigens, wie Nial verkündet hatte. Diejenigen, welche die nächsten daran waren, wegen Otkel's Tod die gerichtliche Klage zu erheben, waren Gissur Hvide und Gejr Gode; aber beiden fehlte der Muth zur Uebernahme der Sache. Sie ließen daher das Loos unter sich entscheiden, wer die Klage anhängig machen solle und es entschied für Gejr. Dieser traf nun alle Vorbereitungen, die das Gesetz gebot; über alle Gauen verbreitete sich die Kunde davon und man erwartete, es werde große Aufregung auf diesem Ting geben. Aber alle Bauern in dem Flußthale des Markarflusses und in Rangauvalle vereinigten sich dahin, daß sie Gunnar folgen wollten, denn er war sehr beliebt. Der Ting war deshalb stark besucht; Gejr erhob die Klage und die Sache wurde auf beiden Seiten mit Eifer betrieben. Da trat Nial dazwischen. Er sagte, daß Gunnar dem nicht entgehen könne, für einige der Erschlagenen zu büßen; er erinnerte aber auch Gejr daran, daß er selbst eine Sache gegen ihn habe, die wohl aufgeschoben, aber nicht aufgehoben sei und er könne durch das Gericht die Acht über ihn verhängen lassen und ihn zum Waldgänger, wie man es nannte, machen. Andere riethen nun Gejr zum Vergleich, Gissur selbst redete diesem das Wort und so wurde denn das Ende der ganzen Verhandlung, daß man sich dahin einigte, es sollten sechs Männer den Schiedsspruch thun. Diese entschieden, daß Gunnar für Skamkel keine Buße zahlen sollte, Otkel's Tödtung und der Spornhieb sollten einander aufwiegen, für die übrigen Erschlagenen aber wurden die entsprechenden Bußen festgesetzt. Gunnar empfing Geld von seinen[92] Freunden, so daß er alle Bußen sogleich auf dem Ting erlegte und zuletzt kamen Gissur und Gejr zu ihm und sagten ihm Frieden und Sicherheit zu. Darnach ritt Gunnar heim; er dankte seinen Mannen für ihre Hülfe und theilte Gaben aus an viele, so daß er die größte Ehre dadurch gewann und seitdem in noch höherem Ansehen auf seinem Hofe saß.
Oberhalb des Flußthales gen Westen nach der Rangau zu liegt eine in drei Zacken auslaufende Hochebene, welche Trehörning genannt wird. Das Land in ihrer Umgebung gehörte einem Bauern, der Starkad Börksohn hieß. Seine Schwester Stenvör war mit einem Bauer namens Egil Kolsohn verheiratet, welcher in der Nähe auf dem Hofe Sandgil wohnte. Jeder dieser Männer hatte drei Söhne; die drei Starkadsöhne und die drei Egilsöhne hielten stets zusammen und waren alle übermüthige und streitsüchtige Männer, die sich nicht vor Gewaltthat und Aneignung fremden Gutes scheuten. Einst saßen sie alle sechs zusammen mit mehreren andern Männern auf dem Hofe unterhalb des Trehörning und sprachen über die Bauern im Flußthale, und es kam dabei zur Sprache, ob wohl einer derselben einen Pferdekampf mit ihnen wagen würde. Starkad besaß nämlich ein treffliches, rothes Pferd, gegen das, wie sie meinten, kein andres bestehen könne. Die fremden Männer wollten ihnen nach dem Munde reden und meinten, es sei niemand, der ein so gutes Pferd habe oder einen Kampf mit [94] ihnen wage. Da sagte Starkad's Tochter Hildegunne, daß Gunnar Hamundsohn mit seinem braunen Pferde schon einen Pferdekampf mit ihnen oder jedem andern wagen würde. Sie zürnten, daß sie Gunnar auf ihre Kosten rühmte und erwiderten, wenn auch Gissur Hvide und Gejr Gode ruhmlos vor Gunnar hätten weichen müssen, so sei doch noch nicht bewiesen, daß es ihnen in gleicher Weise ergehen würde. »Euch wird es am allerärgsten gehen,« versetzte Hildegunne. Auch Starkad sagte, Gunnar sei ein Mann, mit dem sie sich am wenigsten einlassen sollten, denn es würde ihnen schwer fallen, seinem Glück die Spitze zu bieten. Als sie ihn aber baten, daß es ihnen gestattet sein möge, Gunnar einen Pferdekampf anzutragen, erlaubte er es ihnen dennoch. »Doch dürft ihr ihn nicht reizen oder auf irgend eine Weise hintergehen,« setzte er hinzu. Das versprachen sie und ritten nun bald darauf nach Hlidarende und boten Gunnar den Pferdekampf an. Gunnar wollte nicht gleich darauf eingehen, gab aber schließlich nach. »Indessen will ich Euch bitten, dafür Sorge zu tragen,« sagte er, »daß wir Freude daran haben können und nicht Unheil, denn verfahret Ihr gegen mich wie gegen andere, dann vergelte ich gleiches mit gleichem.« Als die Starkadsöhne heim kamen, trugen sie die Nase hoch, weil Gunnar so ungern auf ihren Vorschlag eingegangen sei. »Er suchte Ausflüchte,« sagten sie, »und es war leicht zu erkennen, daß er fürchtete, er werde gegen uns den kürzeren ziehen.« »Oft wird man finden,« entgegnete Hildegunne, »daß Gunnar sich nur schwer zu dem bewegen läßt, was zu Zwist und Streit führt, aber ein harter Widersacher ist er, wenn er gedrängt wird.« Gunnar aber ritt zu Nial und fragte ihn, wozu der Kampf nach seiner Meinung führen werde. »Du wirst das längste Loos ziehen,« antwortete Nial, »aber manchem Manne wird es den Tod bringen.« »Ist auch mir der Tod beschieden?« fragte Gunnar. »Nicht das,« versetzte Nial, »aber wachsen wird die Zahl Deiner Feinde und endlich wird auch Dich das Geschick ereilen.« Als der Tag erschien, auf den der Pferdekampf festgesetzt war, versammelte sich eine große Menge auf dem bestimmten [95] Platze. Dort waren Gunnar, sein Bruder Kulskjäg und ein jüngerer Bruder, den er hatte, namens Hjort, außerdem Nial und alle seine Söhne, sowie alle Sigfussöhne, und endlich Starkad und Egil mit ihren Söhnen. Skarphedin erbot sich, Gunnar's Pferd während des Kampfes vorzutreiben. »Dann sind heißblütige Männer auf beiden Seiten,« sagte er, »und es ist am besten gleiches gegen gleiches zu stellen.« »Nein,« antwortete Gunnar, »sonst wird es nicht lange dauern, bis der Zwist da ist; so schnell soll es doch nicht gehen, wenn auch alles auf dasselbe Ende hinausführt.« So blieb Skarphedin nur die Obliegenheit, das Pferd vorzuführen, Gunnar aber trat selbst vor, um es zu reizen. Er trug einen rothen Rock und hatte sich mit einem breiten Gürtel gegürtet, in der Hand aber führte er den langen Stab, der dazu diente, die Pferde vorwärts zu treiben. Die Pferde stürmten auf einander ein und bissen sich lange, so daß es des Antriebs nicht bedurfte und das Schauspiel lustig war. Da machten Thorgejr Starkadsohn und Kol Egilsohn mit einander ab, wenn die Pferde das nächste Mal auf einander lossprengten, wollten sie ihr Pferd so leiten, daß Gunnar dabei zu Fall komme. In demselben Augenblick rannten die Pferde wieder aufeinander zu. Thorgejr und Kol liefen daher ihrem Pferde zur Seite, zugleich aber trieb auch Gunnar sein Pferd vorwärts. Die Thiere prallten an einander und zwar so gewaltsam, daß Thorgejr's und Kol's Pferd sich überschlug, sie selbst umriß und auf sie fiel. Sie sprangen sogleich empor und drangen auf Gunnar ein, dieser aber erfaßte Kol und schleuderte ihn zur Erde, so daß er besinnungslos dalag. Thorgejr schlug nach Gunnar's Pferd und schlug ihm ein Auge aus, Gunnar aber versetzte ihm einen Streich mit dem Stabe, so daß es ihm erging wie Kol. Darauf hieß er Kulskjäg das Pferd tödten, denn verstümmelt solle es nicht leben, und so hieb Kulskjäg ihm den Kopf herunter. Inzwischen war Thorgejr wieder auf die Beine gekommen, hatte seine Waffen ergriffen und wollte sich auf Gunnar stürzen. Daran wurde er freilich gehindert, aber es erhob sich ein großes Gedränge. »Ich bin dieses Getümmels müde,« sagte Skarphedin, [96] »mit Waffen sollten Männer sich schlagen.« Gunnar aber stand ganz ruhig da, so daß ein einziger Mann ihn halten konnte, und sagte kein böses Wort. Nial suchte eine Versöhnung zu Stande zu bringen. »Weder will ich Frieden geben, noch nehmen,« rief Thorgejr; »Gunnar's Blut will ich sehen ob des Schlages, den er mir versetzte.« »Bis jetzt stand Gunnar zu fest, als daß er durch ein Wort fallen sollte,« erwiderte Kulskjäg, »und so wird es auch künftig sein.« Schließlich ritt jeder nach Hause und der Winter verging, ohne daß ein Ueberfall auf Gunnar gemacht wurde.
Helge Nialsohn's Schwiegervater Asgrim Ellidagrimsohn auf Tunge war unter den Bauern gewesen, die auf Otkel's Seite standen in seinem Rechtsstreit mit Gunnar. Im Sommer nach dem Pferdekampf, von dem eben erzählt ist, hatte er eine Tingsache mit einem Bauer namens Ulf Uggesohn. Asgrim war sonst gesetzeskundig, aber diesmal machte er einen Fehler in der Führung der Sache, so daß Ulf einen Einwand machen konnte, wodurch er die Sache gewann. Da forderte Gunnar Ulf zum Holmgang, falls er sich des erlangten Vortheils bedienen wolle und so endete die Sache damit, daß Ulf an Asgrim das Geld auszahlte, welches dieser forderte. Dafür gelobte Asgrim, er wolle hinfort in allen Rechtssachen Gunnar beistehen und lud ihn während desselben Sommers zu sich ein. Im Herbst wollte Gunnar der Einladung folgen. »Hüte Dich wohl,« sagte Nial zu ihm, »ziehe nicht ohne Waffen oder Gefolge aus und lasse niemand zuvor wissen, wie lange Du fortbleiben willst.« Zugleich bot er ihm seine Söhne als Begleiter an. Gunnar wollte nicht leiden, daß die Nialsöhne seinetwegen in Mißhelligkeiten gerathen sollten und ritt [97] daher, nur von seinen Brüdern Kulskjäg und Hjort gefolgt, westwärts nach Tunge. Als er zurückkehren wollte, erbot sich Asgrim, mit ihm zu reiten, aber auch dieses schlug Gunnar aus und zog wieder ab mit seinen Brüdern. Er kam über die Hvidau und Thjorsau; als er aber darnach eine Strecke zurückgelegt hatte, wurde er schläfrig. Sie lagerten sich und Gunnar legte sich schlafen. Er geberdete sich sonderbar im Schlafe, und Hjort wollte ihn wecken. »Nein,« sagte Kulskjäg, »laß ihn seinen Traum genießen.« Er schlief nun lange, wurde sehr heiß und warf seinen Mantel von sich. Als er erwachte, fragte ihn Kulskjäg, was er geträumt habe. »Ich träumte so,« sprach Gunnar, »daß ich ein größeres Gefolge mit mir genommen hätte, wenn dieser Traum vor meinem Abschied von Tunge gekommen wäre.« Er hatte geträumt, es käme ihnen ein Rudel Wölfe bei Knafahole, so hießen einige Höhen, an denen ihr Weg vorüber führte, entgegen; er selbst und Kulskjäg erlegten viele der Wölfe, Hort aber wurde zerrissen und einer der Wölfe hatte Hjort's Herz im Rachen gehabt. »Drum ist es jetzt mein Rath, Bruder Hjort,« sagte Gunnar, »daß Du nach Tunge zurückreitest.« »Mit nichten,« erwiderte Hjort, »Dir will ich folgen, wenn ich gleich meinen gewissen Tod vor Augen sehe.« Sie ritten nun weiter über die Westrangau; als sie sich aber Knafahole näherten, erblickten sie dort eine große Schaar von bewaffneten Männern. Es waren Starkad von Trehörning und seine drei Söhne, Egil von Sandgil und seine drei Söhnen und außer ihnen noch zweiundzwanzig andere Männer. Starkad hatte nämlich von Gunnar's Fahrt erfahren und Egil davon benachrichtigt; sie hatten aber nicht weniger als dreißig Mann stark gegen Gunnar und seine beiden Brüder zu ziehen gewagt. Als Gunnar sie sah, sprengte er zur Rangau, denn es befand sich dort eine Landzunge, die sich zur Vertheidigung eignete. Starkad aber ermunterte seine Mannen und sie gingen alle zugleich auf der Landzunge gegen Gunnar vor. Voran ging der Mann, den Starkad verwendet hatte, um Gunnar's Weg zu erspähen; Sigurd Svinehoved (Schweinskopf) hieß er. Gunnar entsandte einen Pfeil auf ihn. Sigurd sah ihn kommen und erhob [98] den Schild, um sich zu decken, aber der Pfeil drang durch den Schild, ihm ins Auge und kam am Nacken wieder zum Vorschein. Das war der erste Todte. Ein zweiter Pfeil streckte einen anderen Mann zur Erde und einer, der hinter ihm her lief, stürzte über ihn und erhob sich nicht wieder, denn ein Stein, von Kulskjäg geschleudert, zerbrach ihm den Schädel. »Es taugt nicht, ihn den Bogen gebrauchen zu lassen,« rief Starkad und so stürmten denn alle näher auf ihn ein. Gunnar mußte den Bogen von sich werfen und das Schwert und die Hellebarde gebrauchen, jedes in einer Hand. »Ich versprach Hildegunne, Dein Haupt ihr zu bringen,« sprach Thorgejr. »Darauf zählt sie wohl nicht sicher,« antwortete Gunnar, »doch gedenkst Du Dein Versprechen zu halten, so magst Du wenigstens näher kommen.« Da drangen Thorgejr und seine Brüder Thorkel und Börk auf ihn ein, Gunnar hieb jedoch mit der Hellebarde Börk das Schwert aus der Hand, mit dem Schwert aber Thorkel den Kopf ab. Thorgejr selbst kam nicht nahe genug heran. Inzwischen lief Kol Egilsohn gegen Kulskjäg an mit dem Rufe: »Mit dem glaube ich mich messen zu können.« »Versuch's!« sprach Kulskjäg und schlug ihn mit seiner Sax über den Schenkel, so daß das Bein abflog. Kol stand einen Augenblick auf dem anderen Fuß und starrte auf den Stumpf. »Du brauchst nicht erst nachzusehen,« sagte Kulskjäg, »das Bein ist ab!« Kol aber sank todt nieder. Egil wollte seinen Sohn rächen und sprang auf Gunnar zu, jedoch dieser stieß ihm die Hellebarde in den Leib, hob ihn hoch empor und schleuderte ihn in die Rangau. Da ermahnte Starkad den Ostmann Thore, der in Egil's Hause sich aufhielt, er solle seinen Herrn rächen und Thore drang auf Hjort ein. Dieser hatte zwei Männer niedergestreckt, nun aber hieb Thore ihm in die Brust, so daß er sogleich starb. Gunnar sah es und versetzte Thore einen Streich in die Weichen, der ihn in zwei Hälften theilte und im nächsten Augenblick durchstieß er Börk Starkadsohn mit der Hellebarde, so daß diese in den Erdboden drang. Kulskjäg schlug noch Hauk Egilsohn das Haupt von den Schultern und seinem Bruder Ottar den Arm im Ellenbogengelenk ab. Da schrie Starkad: »Laßt uns[99] fliehen, denn nicht gegen Menschenmacht kämpfen wir hier.« »Es würde Euch doch verdrießen, wenn es heißen sollte, man könne euch nicht ansehen, daß Ihr in der Schlacht gewesen seid,« versetzte Gunnar, lief auf Starkad und dessen Sohn Thorgejr zu und verwundete sie. Damit schieden sie von einander. Vierzehn Mann waren gefallen, Hjort war der fünfzehnte, aber fast alle, die da flohen, waren verwundet. Gunnar ließ Hjort auf seinem Schilde heimführen und warf einen Grabhügel über seiner Leiche auf. Viele betrauerten seinen Tod, denn er war vielgeliebt. Starkad kam auch nach Hause und Hildgunne heilte seine und Thorgejr's Wunden, denn heilkundig war sie. »Viel würdet Ihr darum geben, wenn Ihr niemals Feindschaft gegen Gunnar gezeigt hättet,« sprach sie. »Leider thaten wir es,« erwiderte Starkad.
Es war zu erwarten, daß es eine schwierige Sache für Gunnar werden würde, falls alle die Männer Klage gegen ihn erhoben, deren Anverwandte er und seine Brüder bei Knafahole erschlagen hatten. Deshalb ritt er auch bald nach Bergthorshvol und suchte Rath bei Nial. Dieser sagte: »Wohl hat Dich die harte Noth gezwungen, das zu thun, dennoch aber kann die Sache schwierig genug werden und Du mußt mir Zeit lassen, sie zu bedenken.« Damit ging er abseits und bedachte den Rathschlag. Als er zurückkam, sagte er Gunnar, wie er die Sache anfassen solle; besonders zeigte er ihm, wie er Gegenklage erheben könne gegen die verschiedenen Verkläger, denn wenn dann das Urtheil gefällt wurde, konnten nach dem isländischen Gesetz die beiderseitigen Bußen einander aufwiegen. Nach dieser Unterredung ritt Gunnar heim und nach einigen Nächten begann er das ins Werk zu setzen, [100] was Nial ihm gerathen hatte. Geleitet von den Nialsöhnen, ritt er nach dem Orte des Kampfes, grub dort die Leichen auf, berief seine Begleiter zu Zeugen ihrer Wunden und erklärte alle die Gefallenen für unheilig und rechtlos, so daß keine Klage um ihretwillen anhängig gemacht und keine Buße für sie gefordert werden könnte, da sie mit der Absicht herbeigekommen seien, ihm und seinen Brüdern Wunden und schnellen Tod zu bereiten. Inzwischen ruhten seine Widersacher auch nicht. Kläger um Egil's und seiner Söhne willen war sein Bruder Önund vom Teufelswald, und Egil's Witwe Stenvör wollte auch den Ostmann Thorgrim veranlassen, seine Hülfe zuzusagen. Er war nämlich Gast auf Sandgil und mit jenem Thore von Norwegen gekommen, der, nachdem er Hjort erschlagen hatte, von Gunnar niedergestreckt worden war. Als aber Thore mit Egil auszog, um Gunnar zu überfallen, hatte er selbst vorausgesagt, daß es sein Tod sein werde und zugleich Thorgrim gerathen, gleich nach seinem Tode nach Norwegen zurückzufahren, da auch er getödtet werden würde, wenn er auf Island bleibe und sich auf einen Kampf mit Gunnar einlasse. Darum wollte auch Thorgrim anfangs nicht auf Stenvör's Bitten hören, allein sie überwand seinen Widerstand, indem sie ihm ihre Tochter zur Ehe und eine große Mitgift verhieß. Thorgejr Starkadsohn gewann auch Gunnar's Feind und Neider Mörd Valgardsohn für sich durch das Versprechen einer großen Geldsumme, und auf Thorgejr's Rath warb Mörd um Gissur Hvide's Tochter Thorkatle und erhielt sie zum Weibe, so daß Gunnar's Feinde nun auch von Gissur Hvide und Gejr Gode Hülfe erwarten konnten. Zu Gunnar standen aber alle Nialsöhne und alle Sigfussöhne und sie gingen um ihn geschaart so kühn und stolz einher, daß jeder, der ihnen in den Weg kam, sich in acht nehmen mußte, daß sie ihn nicht umstießen. Höskuld Dalekolsohn war gestorben, aber Gunnar hatte zu seinen Söhnen gesandt, sie möchten zum Ting kommen und viele Männer mit sich führen. Unter ihnen war Olaf Paa auf Hjardaholt am Hvamsfjord, der ein gar mächtiger Häuptling war. Er war zum Ting gekommen mit seinen Brüdern und vielen Mannen, so daß [101] Gunnar's Schaar die seiner Feinde an Größe und Trefflichkeit übertraf. Nach Nial's Rath machte Gunnar nun die Sachen, die er gegen Thorgejr und Önund vom Teufelswalde auf sich genommen hatte, anhängig und als seine eigne Sache vor das Gericht gebracht wurde, wies Nial Mörd gegenüber nach, wie Gunnar die Gefallenen für rechtlos erklärt und in jeglicher Weise so gehandelt habe, daß das Gesetz auf seiner Seite stand. Da aber trat Hjalte Skjeggesohn vor und sprach: »Ich habe nicht theilgenommen an Eurem Rechtshandel, jedoch möchte ich gern wissen, wieviel Du, Gunnar, um meiner Bitte und meiner Freundschaft willen zu thun bereit bist.« »Was erbittest Du Dir?« fragte Gunnar. »Ich bitte,« versetzte Hjalte, »daß Ihr alle diese Sachen dem Urtheil Gleichstehender vorlegen und sie braven Männern zur Entscheidung überlassen wollt.« »Ja,« sagte Gunnar, »darauf will ich eingehen, falls Du mir versprichst, niemals mir gegenüber zu stehen, mit wem ich auch immer verfeindet werde.« Das versprach Hjalte und beredete sich auch mit Gunnar's Widersachern, und es kam darauf hinaus, daß beide Theile sich über den Vergleich einigten und sich gegenseitig Sicherheit zusagten. Außer Hjalte selbst wurden nun Asgrim Ellidagrimsohn und Nial zu Richtern erwählt. Für die Wunden, die Gunnar Starkad und dessen Sohn Thorgejr geschlagen hatte, sollte er keine Buße zahlen und auch nicht für Egil's Tödtung, denn diese Thaten wogen die Klagen auf, die Gunnar anhängig gemacht hatte. Des Ostmanns Thore und Kol Egilsohn's Tod sollte Hjort's Tod aufwiegen. Für die übrigen erschlagenen Männer aber sollte Gunnar Buße zahlen, freilich nur die halbe Mannbuße, weil er der überfallene Theil war. Nial hatte sowohl bei Starkad als auch auf Sandgil eine Summe zu fordern und diese überließ er an Gunnar, um die Bußen zu erlegen, und was noch an dem Gelde fehlte, wurde sogleich herbeigeschafft, denn viele Freunde hatte Gunnar auf dem Ting. Darauf vertheilte er an die Häuptlinge, die ihm Beistand geleistet hatten, gute Gaben, so daß er mit vieler Ehre aus dem Rechtsstreit hervorging und alle darüber einig waren, daß niemand ihm gleichkomme im Südlande. Er ritt vom Ting heimwärts [102] und wohnte in Frieden auf seinem Hofe, seine Gegner aber beneideten ihn gewaltig ob seiner Ehre und seines Ansehens.
Thorgejr Starkadsohn ritt eines Tages zu Mörd Valgardsohn. Er ließ sich darüber aus, wie unzufrieden er mit dem Ausgang seiner Sache gegen Gunnar sei. »Deine Hülfe habe ich mir erkauft,« sprach er, »und es ist mein Wunsch, daß Du einen guten Rath ausfindig machen mögest, und zwar einen Rath, der uns zum Ziele führt; gelingt es Dir, so wirst Du entsprechenden Lohn empfangen.« »Ihr stellt es stets so dar, als wenn ich ein großer Freund des Geldes sei,« versetzte Mörd, »indessen vermagst Du gar wohl Deine Absicht durchzuführen, ohne selbst den Vergleich zu verletzen und Friedensbrecher zu werden. Kulskjäg gedenkt auf ein Stück Land bei Moejdarhvol Anspruch zu erheben, welches Dein Vater als Buße für seinen einen Sohn empfing, der erschlagen ward, und Gunnar selbst zieht es vor, das Land zu behalten und statt dessen Geld zu zahlen; auf diese Weise wird er es sein, der den Vergleich bricht. Er hat auch Thorgejr Otkelsohn auf Kirkeböj ein Stück Ackerland entzogen, welches Thorgejr als Buße für seinen Vater empfing. Deshalb wirst Du Thorgejr leicht dafür gewinnen, im Verein mit Dir gegen Gunnar vorzugehen. Zufällig weiß ich, daß Nial Gunnar gewarnt hat, zwei Angehörige desselben Geschlechts zu tödten. Deshalb mußt Du Thorgejr reizen, so daß er rücksichtslos vorgeht, wenn es mit Gunnar zum Kampfe kommt, Du selbst magst Dich aber von ihm fern halten. Gelingt es nicht das erste Mal, dann mögt Ihr es das zweite Mal versuchen und so fort; schließlich wird Gunnar den Thorgejr doch tödten. Darnach müßt Ihr auf einen Vergleich eingehen, denn ich weiß, daß Nial dem Gunnar vorausgesagt [103] hat, es werde sein Leben kosten, falls er einen Vergleich bricht, den er schließt, nachdem er einen zweiten Angehörigen desselben Geschlechts getödtet hat. Ist etwas Wahres daran, dann wird er den Vergleich schon brechen und das wollen wir jetzt abwarten.« Thorgejr antwortete, er wolle Mörd's Rath folgen. Otkel's Sohn Thorgejr, von dem Mörd sprach, war ein großer und starker Mann geworden, war treu und ehrlich, wohlgelitten bei den besten Männern und geliebt von seinen Verwandten, nur war er etwas leichtgläubig und vertrauensselig. Thorgejr Starkadsohn ritt nun bald nach Kirkeböj; er redete mit Thorgejr Otkelsohn unter vier Augen und flüsterte lange mit ihm und zuletzt schenkte er ihm einen goldbeschlagenen Speer und kehrte nach Hause zurück. Es entspann sich aber zwischen ihnen ein enges Freundschaftsverhältniß. Auf dem Gauting im Herbst stellte Kulskjäg, wie Mörd erwartet hatte, die Forderung auf das Land bei Moejdarhvol, und Gunnar bot Starkad Geld oder ein andres Stück Land als Entschädigung nach gesetzlicher Schätzung. Thorgejr achtete indessen nicht darauf, sondern berief Zeugen dafür, daß Gunnar den Vergleich breche. Der Winter kam heran und im Laufe desselben kamen die beiden Namensvettern häufig zusammen und es herrschte große Vertraulichkeit zwischen ihnen. Kulskjäg erzählte Gunnar davon und sagte: »Die beiden wollen uns keinen Frieden lassen.« »Ist der Tod mir beschieden, dann wird er mich finden, wo ich auch bin,« antwortete Gunnar. Als im nächsten Sommer die Heuernte vor der Thür war, sandte Gunnar Kulskjäg und alle seine Knechte von Hlidarende fort nach den Küsteninseln, um dort die Heuernte zu vollenden, so daß er allein mit den Weibern zurückblieb. Die Kunde davon kam zu Thorgejr Starkadsohn's Ohren und er forderte nun den anderen Thorgejr auf, die Gelegenheit zu benutzen und Gunnar in seinem Hause zu überfallen. Thorgejr Otkelsohn war nicht dazu geneigt; »Gunnar hat stets den Sieg auf seiner Seite,« sagte er, »auch will ich nicht der Friedensbrecher sein.« »Er war es ja, der den Vergleich gegen Dich und mich brach!« entgegnete Thorgejr Starkadsohn und so wurde denn das Ende vom Liede, daß sie sich in einer Nacht, begleitet von einer Schaar [104] von vierundzwanzig Mann, nach Hlidarende auf den Weg machten. Unterwegs wurden sie aber in einem Walde so schlaftrunken, daß sie von den Pferden steigen mußten und sich samt allen ihren Begleitern schlafen legten. Ein Schafhirte von Thorolfsfjeld sah sie dort liegen und brachte sogleich Nial, der sich gerade auf Thorolfsfjeld aufhielt, diese Zeitung. Nial entsandte eilig einen Boten an Gunnar, um es ihm zu melden, und hieß ihn Mannschaft sammeln. Er selbst aber ritt nach dem Gehölz, weckte die Namensvettern und sprach: »Unvorsichtig habt Ihr Euch hier niedergelegt; Gunnar ist nicht ein Mann, den man ungestraft reizt; schon sammelt er Mannschaft und wird über Euch kommen wie ein Wetter.« Da ergriff die beiden Namensvettern große Furcht, sie faßten nach ihren Waffen, liefen zu ihren Pferden und jagten geraden Weges nach Trehörning zurück. Nial ritt jedoch zu Gunnar, bat ihn, die gesammelte Mannschaft bei sich zu behalten und versprach, beide Namensvettern zum Eingehen auf einen Vergleich zu nöthigen. »Alle die,« sagte er, »welche an diesem Ueberfall teilgenommen haben, werden dafür an Buße soviel entrichten müssen, als für die beiden Namensvettern bezahlt werden wird, falls Du genöthigt sein solltest, sie zu tödten; ich aber werde das Geld in Verwahrung nehmen, so daß Du es empfangen kannst, wenn Du dessen bedarfst.« Nial hielt Wort; er jagte Gunnar's Gegnern solchen Schrecken ein, daß sie ihn baten, einen Vergleich zu vermitteln und selbst sich an dem Schiedsspruch zu betheiligen. Auf dem nächsten Alting stellte er die ganze Angelegenheit dar und fragte die besten Männer, die zugegen waren, ob sie glaubten, daß Gunnar gegen die Namensvettern im Recht sei. Das bejahten alle und Nial fragte weiter, ob Gunnar von allen Betheiligten Buße zu fordern berechtigt sei oder ob die Anführer die ganze Verantwortung hätten. Sie antworteten, es hätten alle große Schuld auf sich geladen, die größte Schuld aber trügen die Anführer. Mörd sprach zu Gunsten der Namensvettern und führte an, Gunnar sei nicht schuldlos, da er den Vergleich gebrochen habe. »Keineswegs,« erwiderte Nial, »nur mit Recht wird man unser Land bauen, mit Unrecht aber [105] es wüste legen!« und wies nach, daß Gunnar für Moejdarhvol andres Land oder Geldentschädigung geboten habe, so daß er nur nach dem Recht gehandelt habe. Da merkten die Namensvettern, wie sie von Mörd schwer betrogen seien und gelobten, ihm für den Schaden zu lohnen, den er ihnen verursachte. Nial aber rief zwölf Männer auf, um das Urtheil zu sprechen. Jeder, welcher auf dem Wege zum Ueberfalle dabei gewesen war, mußte drei, die Anführer aber sechs Mark Silber erlegen. Beide Theile sagten sich Frieden und Sicherheit zu und Nial nahm das Geld an sich, um es für Gunnar aufzuheben.
Vom Alting ritt Gunnar ins Westland, denn sein Schwager Olaf Paa hatte ihn zu sich eingeladen. Olaf nahm ihn wohl auf und er blieb dort einen halben Monat lang, besuchte die Gegend weit und breit und wurde überall mit großer Freude empfangen. Beim Abschied sprach Olaf: »Drei gute Dinge will ich Dir schenken, zuerst einen Goldring und einen Mantel, die dem Irenkönig Myrkjartan gehört haben, sodann auch einen Hund, den ich gleichfalls auf Irland bekommen habe; er ist ein ebenso guter Begleiter wie ein rüstiger Mann und hat dazu Menschenverstand, denn er kann jedem ansehen, ob er Dir wohl oder übel will und wird jeden anbellen, von dem er weiß, daß er Dein Feind ist, niemals aber wird er Deine Freunde anbellen. Sein Leben wird er einsetzen, um Dir treu zu sein. Sein Name ist Sam.« Darauf wandte er sich zu dem Hunde und sagte: »Von nun an sollst Du Gunnar folgen und ihm alle Treue erweisen!« und der Hund lief sogleich zu Gunnar und streckte sich nieder zu seinen Füßen. Olaf bat außerdem Gunnar sich in acht zu nehmen, [106] denn er habe viele Feinde, und Gunnar dankte ihm für die Gaben und den Rath und kehrte heim. Nicht lange darnach aber kamen die beiden Namensvettern zu Mörd und machten ihm Vorwürfe ob ihres Verlustes. »Einen neuen Anschlag sollst Du ersinnen,« sagten sie, »der ihn zu Fall bringt.« »Das will ich,« versetzte Mörd. »Du, Thorgejr Otkelsohn, magst Dich mit Gunnar's Verwandten Ormhilde befreunden, dann wirst Du Gunnar noch mehr erbittern und späterhin mögt ihr ihn überfallen, doch dürft ihr ihn nicht auf Hlidarende heimsuchen, denn das frommt nicht, so lange der Hund am Leben ist.« Der Sommer verging; Thorgejr Otkelsohn aber befolgte Mörd's Rath, Ormhilde ließ sich von ihm bethören, und sie hatten den ganzen Winter hindurch heimliche Zusammenkünfte. Gunnar zürnte deshalb Thorgejr noch mehr, aber die Zeit verfloß bis zum folgenden Sommer, ohne daß etwas geschah. Einst brachte Mörd in Erfahrung, daß Gunnar nach den Inseln hinabgeritten war, um die Arbeit seiner Knechte zu beaufsichtigen. Er sandte die Nachricht davon nach Trehörning und Thorgejr ritt mit elf Mann aus nach Kirkeböj. Dort fanden sie zwölf Mann bei dem anderen Thorgejr und nun legten sich die fünfundzwanzig in einen Hinterhalt an der Rangau an einer Stelle, wo Gunnar auf dem Rückwege vorbeikommen mußte. Bald erschien auch Gunnar, von Kulskjäg geleitet; Gunnar führte seinen Bogen mit Pfeilen und die Hellebarde mit sich und Kulskjäg seine kurze Sax und seine volle Waffenrüstung. Als sie ihre Auflaurer erblickten, sprengten sie an ihnen vorbei auf die Furt der Au zu und machten sich fertig zum Kampf. Nun stürmten die anderen auf sie ein, Gunnar aber brauchte sogleich seinen Bogen und verwundete viele und tödtete einige. Thorgejr Otkelsohn feuerte seine Leute an, Gunnar auf den Leib zu rücken, jedoch dieser erhob seine Hellebarde und erschlug einen Mann, während Kulskjäg einem anderen beide Beine abhieb. Darnach wurde der Streit heiß. Gunnar hieb mit der einen Hand und stach mit der anderen, und Kulskjäg schlug wacker um sich und verwundete viele. »Dir sieht man nicht an, daß Du einen Vater zu rächen hast,« rief Thorgejr Starkadsohn seinem Namensvetter [107] zu. »Wahr ist es,« antwortete dieser, »daß ich nur säumig vorging, aber auch Du bist meinen Fußstapfen nur schlecht gefolgt. Doch sollst Du mich nicht mehr hören lassen, daß ich feige sei!« und damit sprang er vorwärts in schwerem Zorn und stieß seinen Speer durch Gunnar's Schild und durch seine Hand. Doch Gunnar drehte den Schild so gewaltsam, daß Thorgejr's Speer unter der Spitze abbrach. Da sah er einen anderen Mann in seiner Nähe und versetzte ihm den Todesstreich, im nächsten Augenblick aber erschaute er Thorgejr dicht vor sich mit erhobenem Schwert. Schnell faßte er die Hellebarde mit beiden Händen und jagte sie Thorgejr durch den Leib und er schwang ihn hoch empor und schleuderte ihn in die Rangau. »Jetzt laßt uns fliehen,« rief sogleich Thorgejr Starkadsohn, »der Sieg ist verloren!« und sein ganzer Haufe, soweit er noch am Leben war, begann zu laufen. »Laßt uns ihnen nachsetzen,« sprach Kulskjäg, »nimm den Bogen und die Pfeile, dann kannst Du auch Thorgejr Starkadsohn treffen.« »Unser Geldbeutel wird schon leer werden, ehe wir für alle diejenigen gebüßt haben, die hier erschlagen liegen,« antwortete Gunnar. »Geld wird Dir niemals fehlen,« sagte Kulskjäg, »aber Thorgejr wird nicht ablassen, ehe er Dich todt sieht.« »Es mögen noch mehr von seinesgleichen an meinem Wege stehen, ich fürchte sie nicht,« erwiderte Gunnar, und darauf ritten sie weiter. Halgjerde freute sich ob der Nachricht, die sie brachten und pries laut ihrer Hände Werk. »Das Werk mag gut sein,« versetzte Ranvejg, »es ahnt mir aber, daß das, was folgt, nicht gut sein wird.«
Viele trauerten über Thorgejr Otkelsohn's Tod, und Gunnar's Feinde trafen solche Vorkehrungen, daß die Sache gewonnen werden mußte auf dem nächsten Alting. Gissur Hvide war es, der die Angelegenheit in die Hand nahm und auf dem Ting besprach er und that alles, was zu thun war, so daß die Anwesenden sagten, er habe gut und recht geredet und gehandelt. Gunnar verhielt sich die ganze Zeit ruhig, bis die Richter die Sache untersuchen sollten. Da trat Nial auf und hieß die Richter ansagen, ob die beiden Thorgejre nicht zusammengekommen seien mit der Absicht, Gunnar zu überfallen. Alle Richter bejahten dies. Darauf erklärte Nial, Gunnar könne gesetzlichen Einspruch erheben gegen die Klage und ihre Abweisung durchsetzen und solchen Einspruch wolle er erheben, wenn die Gegner ihre Forderung auf richterliches Urtheil nicht fallen ließen und Vergleich anböten. Da vereinigten sich viele Häuptlinge, um den Vergleich zu erbitten, und die Sache wurde nun einem Schiedsgericht von zwölf Männern anheimgestellt. Diese trafen die Entscheidung, daß die Erschlagenen mit Geld gebüßt werden sollten; daneben sollten Gunnar und Kulskjäg außer Landes gehen und drei Winter hindurch fortbleiben. Würde Gunnar innerhalb dieser Zeit im Lande betroffen, dann sollte jeder Verwandte der Erschlagenen das Recht haben, ihn zu tödten. Gunnar war schlecht zufrieden mit dem Vergleich, doch ließ er es nicht merken. Nial gab ihm das Geld, das er ihm aufgehoben hatte; er hatte es Frucht tragen lassen, und es machte nun gerade die Summe aus, die Gunnar erlegen sollte. Er bezahlte also die Bußen und alle kehrten heim. Gunnar und Nial ritten mit einander und dieser sprach: »Halte jetzt diesen Vergleich, mein Freund; Du hast zwei Männer aus demselben Geschlecht erschlagen; erinnere Dich, wenn Du diesen Vergleich brichst, wird es Dein Tod sein. Fährst Du aber fort, dann wird Dir diese Fahrt ins Ausland mehr Ehre eintragen als die vorige, wie [109] sehr Du auch durch sie an Ehre gewannst. Kehrst Du zurück, dann wird Dein Ruhm und Dein Ansehen so groß sein, daß kein Mann es wagt, Dich auf den Fuß zu treten und du wirst ein hohes Alter erreichen.« Gunnar entgegnete, er beabsichtige nicht, den Vergleich zu brechen; und Ranvejg bestärkte ihn darin, als er heim kam.
Sogleich nach der Heimkehr vom Alting dingten sich Gunnar und Kulskjäg einen Platz auf einem Schiffe von der Bucht (dem jetzigen Christianafjord) und ließen ihre Waaren an Bord schaffen. Als dies geschehen und das Schiff segelfertig war, ritt Gunnar nach Bergthorshvol und anderen Höfen und dankte allen seinen Freunden für die Hülfe, die sie ihm gewährt hatten. Seinen Dienstleuten ging es sehr nahe, daß sie ihn verlieren sollten; an dem Tage, wo er zu Schiffe gehen wollte, trat er zu jedem einzelnen und sagte ihm Lebewohl, sie aber begleiteten ihn aus dem Hofe. Er stemmte die Hellebarde gegen die Erde, schwang sich in den Sattel und ritt fort mit Kulskjäg. Sie ritten den Markarfluß entlang. Unterwegs stolperte Gunnar's Pferd, so daß er herabsprang. Dabei sah er zufällig zum Berghang und zu dem Hofe am Ende des Berghanges hinauf. »Schön ist der Berghang,« rief er aus, »und nie sah ich ihn so herrlich, gelb werden die Saatenfelder und zur Ernte reif, und gemäht ist das Heu auf der Fenz. Ich reite heim.« »Mache doch nicht Deinen Feinden die Freude, daß Du [111] den Vergleich brichst,« rief Kulskjäg, »das wird niemand Dir zu trauen, und bedenke auch, daß dann alles in Erfüllung gehen wird, was Nial vorausgesagt hat.« »Ich ziehe nicht fort,« erwiderte Gunnar, »und gern sähe ich, wenn Du thätest wie ich.« Kulskjäg aber sprach: »Nimmermehr, mein Wort will ich nicht brechen, weder jetzt noch jemals, wenn Menschen auf mich bauen. Wir müssen scheiden. Doch sage meiner Sippe und meiner Mutter, daß ich Island nie wiedersehen werde. Du selbst wirst bald Deinen Tod finden, und ohne Dich will ich hier nicht leben.« Damit trennten sie sich, und Kulskjäg bestieg das Schiff und fuhr ins Ausland, Gunnar aber kehrte nach Hlidarende zurück. Halgjerde empfing ihn voll Freude, seine Mutter aber wurde nicht froh. Während des Herbstes und des Winters verweilte er auf Hlidarende, ohne viele Männer um sich zu haben. Als der Frühling kam, bot Olaf Paa ihm und Halgjerde eine Zuflucht bei sich an, damit er vor seinen Feinden sicher sei; die Haushaltung und den Betrieb sollte dann Ranvejg im Verein mit seinem ältesten Sohn Högne leiten. Derselbe war nämlich jetzt erwachsen eben so wie sein jüngerer Bruder Grane; aber diese beiden Brüder waren sehr verschieden an Sinnesart, denn Högne war brav, Grane jedoch hatte im Wesen viele Aehnlichkeit mit seiner Mutter. Gunnar war erfreut über das Anerbieten Olaf's und sagte, er wolle es annehmen; als es aber zum Treffen kam, konnte er es doch nicht über's Herz bringen, sein Heim zu verlassen.
Auf dem Alting im folgenden Sommer erklärte Gissur Hvide Gunnar für geächtet und vogelfrei, und nach der Auflösung des Tings berief er alle Feinde Gunnar's zu einer Zusammenkunft [112] in der Almannagjaa, einer langen und tiefen Schlucht im Westen des Gesetzberges und nördlich vom Tingvallesee. Zu beiden Seiten steigen die Lavafelsen steil empor und es finden sich in ihnen viele Spalten und Risse, wo sich Erde gesammelt hat, so daß Birkengestrüpp und andre Pflanzen dort wachsen können. Der Grund der Schlucht aber ist eben und ziemlich breit und es wächst Gras dort, so daß die Bauern während der Dauer des Tings ihre Pferde dort grasen lassen konnten. Hier kamen zusammen Gissur, Starkad von Trehörning und sein Sohn Thorgejr, Mörd von Hof und sein Vater, der falsche Valgard, Gejr Gode und Hjalte Skjeggesohn, Önund vom Teufelswald und der Normann Thorgrim von Sandgil sowie viele andre. »Ich will Euch den Vorschlag machen,« sagte Gissur zu ihnen, »daß wir in diesem Sommer gegen Gunnar ziehen und ihn tödten.« »Ich versprach Gunnar,« versetzte Hjalte, »daß ich niemals Theil nehmen wolle an einem Anschlag gegen ihn und das Versprechen will ich halten,« und damit ging er fort. Die übrigen aber einigten sich dahin, Gunnar anzugreifen; sie verpflichteten sich dazu durch Handschlag und setzten auf den Bruch des Gelöbnisses die Acht. Vierzig Mann waren es, die solches gelobten. Mörd sollte acht geben, wenn die Gelegenheit günstig sei, ihren Plan zur That werden zu lassen, und sie meinten, jetzt werde es nicht schwer fallen, Gunnar zu überwältigen, zumal er der Hülfe ermangele, die ihm vordem zu theil zu werden pflegte. Denn nun fehlte ihm nicht nur Kulskjäg, sondern auch Thraen Sigfussohn war außer Landes gezogen, sowie die beiden Nialsöhne Grim und Helge. Als die Männer vom Ting heimritten, kehrte Nial bei Gunnar ein und that ihm kund, was er über seiner Feinde Anschlag wußte. »Ich will meine Söhne Skarphedin und Höskuld zu Dir senden,« sagte er, »sie werden ihr Leben für Dich einsetzen.« »Du hast Dich so edel gegen mich gehalten,« erwiderte Gunnar, »und ich will nicht, daß Deine Söhne um meinetwillen den Tod erleiden.« »Das wird nichts nützen,« versetzte Nial; »fällst Du, so wendet alles Unglück sich doch gegen mich und meine Söhne.« »Solches ist nicht unwahrscheinlich,« entgegnete Gunnar, »allein ich möchte [113] ungern Veranlassung dazu geben. Aber um dies eine möchte ich Euch bitten, daß Ihr Euch meines Sohnes Högne annehmt; von Grane will ich nichts sagen, denn er thut nicht nach meinem Sinn.« Nial versprach es und ritt heim. Nach der Zeit ritt Gunnar noch oft zu allen Zusammenkünften der Männer, ohne daß seine Feinde ihn anzufallen wagten. Zur Erntezeit aber sandte Mörd an Gissur Hvide eine Botschaft, daß Gunnar allein zu Hause sei, da alle seine Leute auf den Inseln sich befänden, um die Heumahd zu beenden. Gissur Hvide und Gejr Gode ritten sogleich ostwärts nach Hof, und hier versammelten sich auch alle anderen, die im Bunde gegen Gunnar waren. Mörd sagte, man könne Gunnar nicht plötzlich überfallen, ohne den Bauer Thorkel auf dem Nachbarhofe von Hlidarende zu zwingen, allein hinaufzugehen und den Hund Sam zu greifen. Darnach brachen sie auf. Unterwegs griffen sie Thorkel und ließen ihm die Wahl, entweder Sam zu fangen oder erschlagen zu werden. Thorkel wählte das erstere und zog mit ihnen. Als die Schaar an den Zaun des Hofplatzes von Hlidarende kam, machte sie halt, Thorkel jedoch ging hinauf zu den Häusern, vor denen Sam lag und lockte ihn hinab in einen Hohlweg. Hier aber bemerkte Sam die Bewaffneten und fiel Thorkel an und packte ihn an der Gurgel. Da hieb Önund vom Teufelswald mit einer Axt Sam auf den Kopf, so daß sie tief in das Hirn eindrang. Sam stieß ein furchtbares Geheul aus, wie niemand es je zuvor vernommen hatte und stürzte todt nieder. »Uebel spielt man Dir mit, Sam mein Bruder,« rief Gunnar, als er auf seinem Lager in einer Bodenkammer des Wohnhauses durch das Geheul geweckt wurde, »und es wird wohl so kommen, daß der eine dem andern bald nachfolgt,« fügte er hinzu. Es währte denn auch nicht lange, bis er einen rothen Rock vor der Luke auf dem schrägen Dach zum Vorschein kommen sah. Es war der Normann Thorgrim, der zum Hause hinaufgesandt worden war, um zu erfahren, ob Gunnar daheim sei, und derselbe war an der Bretterwand des Hauses hinaufgeklommen. Gunnar stieß mit seiner Hellebarde durch die Luke nach ihm und [114] durchbohrte ihm den Leib. Er glitt aus und stürzte hinab, und lief darauf zurück zu den übrigen auf dem Felde. »Ist Gunnar daheim?« rief ihm Gissur entgegen. »Selbst mögt Ihr zusehen, ob Ihr es erfahren könnt,« erwiderte Thorgrim, »daß aber seine Hellebarde daheim ist, das habe ich erfahren,« und nach diesen Worten sank er todt zur Erde. Die übrigen aber eilten zu den Häusern hinauf. Gunnar empfing sie so wohl mit seinen Pfeilen, daß sie nichts ausrichteten. Nach einer Weile mußten sie innehalten und stürmten dann wieder heran, aber auch diesmal mußten sie sich zurückziehen. Beim dritten Ansturm, der heftiger war als die vorhergehenden, hielten sie länger aus, mußten aber dennoch weichen. Da sah Gunnar, daß ein Pfeil auf der Wand außerhalb der Luke lag. »Dieser Pfeil gehört ihnen,« sagte er, »den will ich auf sie abschießen und es wird ihnen zur Schande gereichen, von ihren eignen Waffen getroffen zu werden.« »Thue das nicht, mein Sohn,« warnte seine Mutter, »und rufe sie nicht wieder herbei, nachdem sie sich zurückgezogen haben.« Gunnar aber entsandte den Pfeil und traf einen Mann, welcher schwer verwundet wurde, doch merkten die anderen es nicht, da er etwas abseits stand. »Es kam eine Hand zum Vorschein, die trug einen Goldring,« rief Gissur; »dieselbe nahm einen Pfeil, der auf dem Dache lag; sie haben wohl nicht Waffen genug da drinnen, da sie sie draußen suchen; laßt uns darum herangehen.« »Laßt uns ihn mit samt dem Hause verbrennen,« sprach Mörd. »Niemals soll das geschehen,« erwiderte Gissur, »selbst wenn es mein Leben gälte. Du magst lieber Rathschläge ersinnen, die etwas taugen, da Du ja doch so schlau sein sollst.« Es lagen aber einige Taue auf dem Felde, die bei stürmischem Wetter über das Haus gespannt zu werden pflegten, um dasselbe festzuhalten. Auf Mörd's Vorschlag nahmen sie diese und schlangen sie um die Enden des großen Balkens, an dem das ganze Sparrenwerk des Daches befestigt war, und darauf zogen sie das ganze Dach vom Hause herunter, ohne daß Gunnar dessen gewahr wurde, ehe es vollbracht war. Indessen fuhr er fort mit seinem Bogen zu schießen, so daß sie nicht an ihn herankommen konnten. Mörd rieth wiederum, [115] ihn zu verbrennen. »Ich weiß nicht, warum Du Vorschläge machst, auf die niemand eingehen will,« schalt Gissur; »niemals soll das geschehen.« In demselben Augenblick aber lief einer die Wand hinan und durchhieb Gunnar's Bogensehne, Gunnar jedoch ergriff mit beiden Händen seine Hellebarde, durchstieß ihn und schleuderte ihn zur Erde hinab. Das war der zweite Mann, den Gunnar tödtete. Einem anderen, der ihm gefolgt war, stieß Gunnar die Hellebarde durch den Schild, so daß ihm beide Arme gebrochen wurden und er hinabstürzte, und dieses war der neunte Mann, den Gunnar verwundete. Dabei erhielt er jedoch selbst zwei Wunden, allein er fürchtete sich weder vor Wunden noch vor dem Tode, das räumten alle ein. »Gieb mir zwei Locken von Deinem Haar,« sagte er zu Halgjerde, »und flicht Du mir eine Bogensehne daraus, Mutter,« zu Ranvejg. »Hängt etwas davon ab?« fragte Halgjerde. »Mein Leben hängt davon ab,« rief er; »kann ich nur meinen Bogen gebrauchen, so werden sie mir niemals nahe kommen.« »Dann werde ich Dir die Ohrfeige gedenken, die Du mir gabst,« sagte sie, »mir ist es gleichgültig, ob Du Dich längere oder kürzere Zeit wehrst.« »Ein jeder hat das Seine, wodurch er sich einen Namen erwirbt,« entgegnete Gunnar, »ich werde Dich nicht lange bitten.« Ranvejg rief ihr zu: »Arg handelst Du, und lange wird Deine Schande leben.« Gunnar aber fuhr fort, sich trefflich und mannhaft zu wehren; er verwundete noch acht Mann, so daß viele ihren Wunden erlagen, und fuhr so fort, bis er vor Ermattung umsank. Da stürmten seine Feinde heran und schlugen ihm viele schwere Wunden. Indessen entkam er ihnen und wehrte sich noch lange, bis sie ihn endlich tödteten. Da sprach Gissur: »Einen gewaltigen Recken haben wir hier zur Erde gestreckt und gar schwer ist es uns geworden; die Kunde von seinem Widerstand wird bleiben, so lange man im Lande wohnt und den Acker baut.« Darauf ging er zu Ranvejg und bat um ein Fleckchen Erde, um ihren beiden Todten einen Hügel aufzuwerfen. »Je mehr Erde ihr wollt, desto lieber ist es mir,« antwortete sie, »ich gönne sie am liebsten euch allen.« »Groß ist Dein Verlust,« [116] entgegnete Gissur, »und man wird Dir nicht verargen, daß Du redest, wie Du es thust.« Er verbot auf dem Hofe etwas zu rauben oder zu zerstören und zog nach vollbrachter That mit seinen Mannen ab.
Als das Gerücht von Gunnar's Tod sich verbreitete, mißbilligte man die That in allen Gauen, und mancher Mann trug Leid darob. Diejenigen, denen es am meisten nahe ging, waren Nial und die Sigfussöhne. Diese fragten Nial, ob es thunlich sei, die Sache anhängig zu machen. Nial meinte nein, da Gunnar geächtet gewesen sei. »Lieber mögen wir sie in ihrer Ehre kränken, indem wir aus Rache einige von ihnen tödten,« sagte er. Sie warfen einen Hügel auf über Gunnar; die Hellebarde aber wollte Ranvejg nicht zu ihm ins Grab legen lassen; niemand dürfe sie anrühren, es sei denn, daß er Gunnar's Tod rächen wolle. Sie war auch so heftig gegen Halgjerde, daß sie dieselbe beinahe ermordet hätte, denn sie sei es gewesen, die Gunnar's Tod verschuldete, behauptete sie. Halgjerde floh mit ihrem Sohne Grane zu ihrem Schwager Thraen auf Grytaa; es wurde eine Erbtheilung abgehalten und Grane erhielt seinen Theil von den Ländereien, Högne aber blieb auf Hlidarende und behielt Ranvejg bei sich. Er war ein tüchtiger und braver Mann. Bald darauf kam Skarphedin Nialsohn nach Hlidarende, um Högne bei der Rache beizustehen. Einst wollten sie nachts zu diesem Zweck ausziehen und Högne nahm die Hellebarde mit sich. Laut erklang dieselbe, so daß Ranvejg erwachte. »Wer rührt an der Hellebarde?« rief sie voll Zorn; »habe ich doch allen [117] verboten, sie anzurühren!« »Ich will sie meinem Vater bringen,« antwortete Högne, »damit er sie mitnehme nach Walhalla und sie trage auf dem Waffenting.« »Vorerst magst Du sie selbst tragen,« sprach sie, »und Deinen Vater rächen; sie kündete den Tod eines Mannes oder mehrerer.« Damit brachen Skarphedin und Högne auf. Zuerst ritten sie nach einem Hof, wo sie Gejr Gode's Sohn Hroald zu finden glaubten, denn er rühmte sich, Gunnar den Todesstreich gegeben zu haben. Sie trieben das Vieh in die Ställe und dadurch lockten sie Hroald und noch einen anderen Mann hervor. »Hier sind Männer,« rief Skarphedin und streckte den anderen nieder, während Högne den Hroald mit der Hellebarde durchstieß. Hierauf wandten sie sich nach Trehörning. Sie erstiegen das Dach des Hauses und rissen das Gras aus, das dort wuchs. Die, welche drinnen waren, glaubten, es sei das Vieh und kamen hervor. Skarphedin tödtete Starkad und Högne Thorgejr. Endlich suchten sie Mörd auf Hof heim und überfielen ihn plötzlich. Er bat um Frieden unter jeder Bedingung und Skarphedin zwang ihn, Högne über die Bedingungen entscheiden zu lassen, obwohl dieser sagte, er hätte nicht daran gedacht, sich mit dem Mörder seines Vaters zu vergleichen. Jetzt sollten diese neuen Blutthaten auch gebüßt werden, und es wurde ein Gauting abgehalten. Hier aber setzte Nial durch, daß der Ueberfall gegen Gunnar und seine Tödtung angesehen wurde, als wenn er nicht geächtet gewesen wäre. Mörd mußte die Bußen zahlen, und damit kam ein rechtsgültiger Vergleich zu Stande. Später verschaffte Nial Högne eine günstige Heirat, und es herrschte stets unverbrüchliche Freundschaft zwischen ihnen. Schließlich bleibt noch übrig zu erzählen, daß Kulskjäg zu König Svend Tjuguskjäg (dänisch Tveskjäg = Doppelbart) in Dänemark kam und dort Christ wurde. Hernach aber zog er nach Miklagaard (Konstantinopel) und das letzte, was man von ihm erfuhr, war, daß er sich dort verheiratet habe, daß er Anführer [118] des Varägerheeres geworden und dort bis zu seinem Tode geblieben sei.
In demselben Jahre, in welchem Kulskjäg Island verließ, war auch sein und Gunnar's Oheim Thraen in die Fremde gezogen. Er kam nach Norwegen, und als Hakon Jarl auf Hlade vernahm, daß er ein Verwandter Gunnar's sei, nahm er ihn freundlich auf. »Viele isländische Männer habe ich gesehen,« sagte er, »aber keinen, der Gunnar gleich kam.« Thraen aber blieb bei ihm den Winter über. Ein smaaländischer (Smaaland ist eine Provinz Schwedens) Viking, Namens Kol, plünderte und verheerte dazumal die Küste des jetzigen Christianiafjords, weshalb der Jarl ihn in die Acht gethan hatte. »Wäre Gunnar jetzt hier, dann würde er diesen Wegelagerer schon tödten,« äußerte der Jarl. »Ich bin kein Gunnar,« sprach Thraen, »jedoch will ich diese Fahrt auf mich nehmen.« Hakon's Sohn Erich meinte, es sei ein gefährliches Unternehmen, aber Thraen blieb bei seinem Wort, und der Jarl gab ihm fünf Schiffe. Mit diesen segelte Thraen aus, allein [120] Kol war gerade nach Dänemark gefahren. Thraen traf ihn vor Helsingborg, überwand ihn und brachte dem Jarl seinen Kopf. Hakon dankte ihm, Erich aber sagte, die That verdiene einen besseren Lohn als blose Worte, weshalb Hakon dem Thraen ein neues und treffliches Schiff schenkte mit Namen Greif, weil es am Bug einen Greifenkopf führte; »hierzu füge ich meine Freundschaft,« sprach der Jarl, »denn Du bist ein trefflicher Mann und ich wünsche Dich bei mir zu behalten, so lange es Dir gefällt.« Thraen verweilte noch einen Winter in Norwegen. Im nächsten Sommer erzählte man von Gunnar's Tod, und der Jarl meinte, es sei für Thraen nicht räthlich, nach Island zu fahren, weshalb Thraen noch einen Winter über blieb.
Die Nialsöhne Grim und Helge waren in demselben Sommer wie Thraen von Island abgesegelt. Ein heftiger Nordwind trieb sie von ihrem Ziel ab, so daß sie nach Schottland kamen. Als sie hier aber in einen Meerbusen einfahren wollten, kamen ihnen dreizehn Schiffe entgegen. Die Befehlshaber dieser Flotte waren Verwandte des schottischen Königs Melkolf und hießen Grjotgard und Snäkolf. Sie ließen den Isländern die Wahl, entweder das Schiff zu verlassen und es ihnen mitsamt der Ladung zu übergeben, oder sich eines Angriffes und des gewissen Todes zu gewärtigen. Aber sowohl die Nialsöhne wie auch die Besatzung des Schiffes verbanden sich dahin, sich nicht zu ergeben, so lange sie sich zu wehren vermöchten. Damit begann der Kampf. Snäkolf durchstieß mit seinem Speer den Steuermann Olaf, Grim aber traf Snäkolf so heftig mit seinem Speer, daß er über Bord fiel. [121] Nun kam Helge herbei und er und sein Bruder trieben die Vikinger von Bord und waren stets dort, wo es am meisten noth that. Gerade als der Kampf am heftigsten entbrannte, segelten, von Süden kommend, zehn Schiffe an der Landspitze vorbei. Schild stand an Schild den Bord entlang auf ihnen allen; sie ruderten aus Leibeskräften und steuerten nach der Stelle, wo der Kampf raste. Auf dem Schiff aber, welches voranfuhr, stand ein Mann am Mast mit langem, prächtigen Haar; er trug ein seidenes Koller, auf dem Haupte einen goldnen Helm und in der Hand einen goldbeschlagenen Speer. »Wer kämpft hier diesen ungleichen Kampf?« rief er. Die Nialsöhne nannten ihre Namen. »Einen berühmten Namen tragt ihr und euer Vater!« antwortete er. Darauf sagte er ihnen, er heiße Kaare Sölmundsohn und komme von den Südinseln, die wir jetzt Hebriden nennen; er hatte dort den Zins geholt für den Jarl der Orkneyinseln Sigurd Hlödvesohn, dessen Dienstmann er war. Die Nialsöhne baten ihn um Hülfe, und er sagte zu. Da begann der Kampf auf's neue. Snäkolf war wieder auf ein Schiff hinaufgeklettert, Kaare sprang auf dasselbe hinüber und beide stürmten auf einander ein. Snäkolf erhob sein Schwert, Kaare aber sprang eiligst zurück über einen Balken, der quer über das Schiff ging, und Snäkolf's Schwert traf den Balken, so daß die ganze Schneide hineindrang. Kaare hieb nun nach Snäkolf und traf ihn in die Achsel, und so furchtbar war der Hieb, daß er den ganzen Arm spaltete und Snäkolf sogleich todt umsank. Da schleuderte Grjotgard seinen Speer auf Kaare, dieser aber sah ihn kommen und sprang in die Höhe, so daß der Speer ihn verfehlte. Nun kamen Helge und Grim herbei, und Helge sprang auf Grjotgard zu und jagte ihm den Speer durch den Leib, daß er den Tod fand. Darauf drangen sie vor, auf beiden Seiten des Schiffsbords entlang gehend; die Besatzung bat um Gnade und erhielt sie, die ganze Ladung aber und die Schiffe nahmen die Sieger. Die Nialsöhne zogen mit Kaare zu Sigurd Jarl auf Rosö (jetzt Rowsa), und Kaare verschaffte ihnen eine freundliche Aufnahme. Sie verweilten dort einen Winter über. Im folgenden Sommer folgten sie dem Jarl[122] auf einem Zuge gegen die Schotten und stritten so tapfer, daß der Jarl ihnen nach seiner Heimkehr gute Gaben gab und sie unter seine Dienstmannen aufnahm. Im nächsten Sommer machten sie Heerzüge mit Kaare; sie plünderten weit und breit und waren immer siegreich. Auch während des dritten Winters waren sie bei dem Jarl, im folgenden Herbst aber baten sie den Jarl um Urlaub, um nach Norwegen zu fahren. Der Jarl war ihnen zu Willen und gab ihnen ein gutes Schiff und tüchtige Männer. Kaare sagte, er werde in demselben Sommer nach Norwegen kommen mit dem Zins von Sigurd Jarl für Hakon, dann würden sie sich treffen. Nach dieser Verabredung stachen die Nialsöhne in See und segelten nach Norwegen und kamen nördlich von Drontheim an Land.
In demselben Sommer, als die Nialsöhne nach Drontheim kamen, besuchte der Jarl Hakon seinen Freund Gudbrand im Thal. Dieser hatte vor drei Wintern einen Isländer namens Hrap aufgenommen, der wegen eines Mordes von Island geflohen war. Hrap aber hatte seine Tochter Gudrun bethört und seinen Werkführer Asvard erschlagen, welcher den Auftrag hatte, heimliche Zusammenkünfte zwischen ihm und Gudrun zu verhindern. Gudbrand hatte sich an Hrap zu rächen gesucht, konnte ihn aber niemals in seine Gewalt bekommen, so daß er endlich dem Jarl seine Noth klagte, und dieser hatte Hrap für vogelfrei erklärt und einen Preis auf seinen Kopf gesetzt. Während nun der Jarl Gudbrand's Gast war, kam Hrap zur Nachtzeit zu einem Tempel, den Gudbrand gemeinschaftlich mit dem Jarl besaß. Er betrat denselben und beraubte Thor, Thorgjerde Höldabrud [123] und Irpa, deren Bildsäulen dort standen, ihrer goldenen Ringe und ihres übrigen Schmucks, darauf schleppte er die Altarbilder hinaus und zündete das Gebäude an. Als er bei seiner Flucht über einen Acker kam, sprangen ihm sechs Männer entgegen, er aber erschlug drei von ihnen, verwundete den vierten tödlich und jagte die übrigen in den Wald. Vier von den Mannen des Jarl's kamen zur Stätte, wo die Erschlagenen lagen und brachten nun dem Jarl die Kunde, was Hrap gethan hatte. Der Jarl vermuthete sogleich, daß er auch den Tempel angezündet habe, und suchte daher nach ihm mit vielen Männern. Allein Hrap entkam und eilte nach Hlade. Dort lagen sowohl Thraen's wie auch der Nialsöhne Schiffe zur Ausfahrt bereit im Hafen, und Hrap wandte sich zuerst an die Nialsöhne, die am Ufer standen und bat sie, ihn zu verbergen. Aber Helge sah manchmal mehr als andre Menschen; »Du bist ein Unglücksvogel,« sagte er zu Hrap, »und übel wird es dem ergehen, der Dich aufnimmt.« »Möge Euch alles Böse treffen um meinetwillen,« erwiderte Hrap und eilte zu Thraen. »Es ziemt sich kaum für mich,« sagte Thraen, »Dich aufzunehmen, da der Jarl mir so viele Wohlthaten erwiesen hat.« Da zeigte ihm Hrap alle Kostbarkeiten, die er aus dem Tempel geraubt hatte und wollte sie ihm schenken, indessen Thraen wollte sie nicht annehmen, ohne sie mit Geld zu bezahlen. »Dann werde ich hier stehen bleiben und mich vor Deinen Augen erschlagen lassen,« sprach Hrap. In diesem Augenblick sahen sie den Jarl mit seinen Mannen herankommen. Da ruderte Thraen in einem Boote mit Hrap nach seinem Schiffe und verbarg ihn dort. Der Jarl ging zuerst zu den Nialsöhnen und fragte sie, ob Hrap bei ihnen gewesen wäre. Sie bejahten es, als er aber weiter fragte, wohin sich Hrap gewendet habe, erwiderten sie, sie wüßten es nicht. Der Jarl entfernte sich von ihnen, aber der Sicherheit wegen ruderten sie sogleich mit ihrem Schiffe nach einer Insel im Hafen, um hinauszufahren, sobald der Wind günstig wäre. Der Jarl nahm ein Langschiff und fuhr auf den Hafen hinaus zu seinem Freunde Thraen, denn er erwartete, er werde von ihm die Wahrheit erfahren. Thraen ließ den Jarl das [124] Schiff durchsuchen, aber derselbe fand Hrap nicht und fuhr wieder an Land. Da fiel ihm ein, daß an der Seite des Schiffes zwei Tonnen im Wasser geschwommen hätten, mit den Enden einander zugekehrt; diese hatte er ununtersucht gelassen und glaubte nun, Hrap müsse sich in ihnen befinden. Hrap lag auch wirklich in den Tonnen, denn Thraen hatte von beiden einen Boden ausschlagen lassen, damit Hrap in ihnen Raum fände. Als aber Thraen den Jarl zurückkehren sah, nahm er die Tonnen auf und verbarg Hrap in dem Haufen von Säcken, welche die Waaren enthielten, die das Schiff geladen hatte. Der Jarl fand ihn daher wiederum nicht. Als er aber wieder an Land kam, erinnerte er sich, daß er zwei Säcke auf dem Deck hatte liegen sehen, die aus dem Haufen genommen worden waren, und meinte nun, daß Hrap in dem Haufen sein müsse, zu welchem sie gehörten. Er fuhr zum dritten Male hinaus, aber Thraen holte nun Hrap aus dem Haufen hervor und schnürte ihn in das Segel, das unter die Raae gebunden war, die beiden Säcke aber ließ er auf dem Deck liegen. Der Jarl suchte zum dritten Mal, allein er fand Hrap auch diesmal nicht. Erst nachdem er an Land gekommen war, wurde es ihm klar, daß Hrap in dem Segel gesteckt haben müsse. Inzwischen jedoch bekam Thraen günstigen Wind und stach in See. »So mögen sie denn hinfahren,« sprach der Jarl, »wird doch diese Gemeinschaft beiden ein blutiges Ende bereiten.« Er war aber überaus zornig. Er fuhr sofort mit vier Langschiffen zu den Nialsöhnen hinaus, denn er hielt sie für mitschuldig an Thraen's Verrath. Sie sahen ihn kommen und da sie nichts Gutes von ihm erwarteten, hielten sie sich zur Gegenwehr bereit. Der Jarl befahl ihnen, sich zu ergeben und verhieß jedem Schonung, der die Waffen nicht gegen ihn erhebe. Aber die Nialsöhne selbst wollten sich nicht ergeben, und von ihren Mannen wollte keiner sie im Stiche lassen. Der Kampf entbrannte. Helge erschlug den Bannerträger des Jarl's und Grim streckte einen anderen von seinen besten Männern nieder, der gewaltig auf sie eingedrungen war und dreimal ihr Schiff erklommen hatte. Schließlich stürmte der Sohn des Jarl's, Svend das Schiff und [125] nun wurden sie zwischen die Schilde eingepreßt und gefangen genommen. Der Jarl wollte sie sogleich tödten lassen, aber Svend widerstand ihm um ihres Muthes und ihrer Mannhaftigkeit willen und weil Hinrichtung in der Nacht Mord und Büberei sei. So wurden sie denn gebunden, um am anderen Morgen den Tod zu erleiden. Aber in der Nacht durchschnitt Grim seine Banden mit einer Axt, die mit aufwärts gekehrter Schneide dalag; er befreite darauf Helge und dann glitten sie leise über Bord, schwammen an Land und gelangten auf die andre Seite der Insel. Dort fanden sie beim Morgengrauen ein Schiff; es war Kaare Sölmundsohn, welcher angekommen war. Ihm erzählten sie die Gewalttätigkeiten und die unziemliche Behandlung, die ihnen um Thraen's willen widerfahren war und ihre Absicht, gegen den Jarl zu ziehen, um an ihm Rache zu nehmen. Davon rieth er ihnen jedoch ab, und als er dem Jarl den Zins brachte, sprach er zu ihm von dem Unrecht, das er den Nialsöhnen zugefügt habe. Der Sohn des Jarl's, Erich stand ihm dabei zur Seite, und beide brachten es dahin, daß sein Vater den Nialsöhnen einen Vergleich anbot. Helge aber sagte, er wolle mit dem Jarl nichts zu schaffen haben; mit dessen Sohn Erich dagegen wolle er einen Vergleich eingehen und jegliche Ehre, die er ihnen erweise, annehmen. In Folge dessen lud Erich sie zu sich ein, und bei ihm verweilten sie, bis Kaare bereit war, nach den Orkneyinseln hinauszufahren. Sie fuhren mit ihm, wurden vom Jarl Sigurd wohlwollend aufgenommen und blieben bei ihm den Winter über. Im Frühling bat sie Kaare, mit ihm Heerzüge zu machen und Grim willigte ein gegen das Versprechen, daß Kaare mit ihnen nach Island fahren wolle. Während des Sommers plünderten sie nun auf Angelsea, den Südinseln (Hebriden) in Schottland, in Bretland, dem heutigen Wales und auf der Insel Man; überall waren sie siegreich und gewannen viel Gut. Darnach verblieben sie noch einen Winter bei dem Jarl Sigurd und rüsteten sich im folgenden Sommer, nach Island zu fahren. Der Jarl Sigurd gab ihnen gute Gaben und sie schieden von ihm in großer Freundschaft.
Thraen Sigfussohn hatte eine schnelle Fahrt gehabt von Norwegen nach Island. Sobald er an Land kam, ritt er heim nach seinem Hofe Grytaa. Seine ganze Sippe hielt ihn jetzt für ihren Anführer und Häuptling, so daß er ein angesehener Mann war. Er hatte immer fünfzehn waffenkundige Männer auf seinem Hofe, und wurde überall, wo er auftrat, von acht Männern begleitet. Er war sehr prachtliebend und trug gewöhnlich einen blauen Mantel, über den er das Schwert gegürtet hatte, einen goldenen Helm, einen prächtigen Schild und einen Speer, den er von dem Jarl Hakon empfangen hatte. Unter seinem Gefolge befanden sich meistens seine Brudersöhne Gunnar Lambesohn und Lambe Sigurdsohn und ebenfalls Gunnar von Hlidarende's Sohn Grane. Wer ihm aber immer am nächsten war, das war Hrap. Während des ersten Winters nach der Heimkehr war derselbe auf Grytaa geblieben, da Thraen viel auf ihn hielt; in dem folgenden Frühling hatte ihm Thraen eine Wohnung auf Hrapstad gegeben, indessen hielt er sich meistens auf Grytaa auf und es war, als wenn er dort alles verdürbe. Es herrschte auch große Freundschaft und Vertraulichkeit zwischen ihm und Halgjerde, und manche sagten, es sei mehr zwischen ihnen, als recht und schicklich sei. Zwei Winter nach Thraen's Heimkehr kamen nun auch die beiden Nialsöhne und Kaare nach Island; sie ritten sogleich nach Bergthorshvol, wo man sie mit großer Freude empfing. Kaare verblieb bei Nial den Winter über. Im folgenden Frühling warb er um Nial's Tochter Helga und Grim und Helge unterstützten seine Werbung, so daß die Hochzeit einen halben Monat vor Mittsommer stattfand. Er weilte noch einen Winter bei Nial mit seiner Frau; im folgenden Sommer aber kaufte er sich Land auf Dryhol im Mydal östlich von Bergthorshvol und baute ein [127] Haus daselbst; sie ließen aber die Wirthschaft durch einen Mann und eine Frau führen und lebten selbst meistentheils bei Nial. Eine andre Tochter Nial's war mit Thraen's Bruder Ketil verheiratet, welcher auf dem Hofe Mörk östlich vom Markarfluß wohnte. Als dieser einst auf Bergthorshvol war, erzählten ihm die Nialsöhne von den Gewalttätigkeiten, die ihnen um Thraen's willen in Norwegen widerfahren waren, und äußerten, sie könnten deshalb große Buße von Thraen fordern. Nial meinte, es sei am besten, wenn Ketil mit seinem Bruder darüber rede. Das that er dann auch; als sie ihn aber nachher fragten, wie jener es aufgenommen habe, sagte er, er wolle lieber verschweigen, was Thraen geantwortet habe. Die Nialsöhne glaubten nun vorauszusehen, daß die Sache recht schwierig werden würde, und fragten ihren Vater um Rath, denn sie meinten, sie könnten dieselbe nicht auf sich beruhen lassen. »Auf Eurer Seite ist das Recht,« sagte er, »und wird Thraen erschlagen, dann ist es ein bußfreier Tod. Hättet Ihr aber anfangs davon zu mir geredet, dann würde die Angelegenheit gar nicht zur Sprache gekommen sein, und ihr hättet doch keine Schande davon gehabt. Jetzt ist die Sache vor die Oeffentlichkeit gebracht und muß auch zu Ende geführt werden. Am besten ist es aber, mit Weile zu eilen, denn ist die That erst geschehen, dann kann sowohl beifällig als auch übel davon geredet werden; und selbst wenn man Euch nachsagt, Ihr seiet langsam zur That, dann mögt Ihr Euch eine Zeit lang darein finden; zum Schluß erhebt Ihr doch das Schwert; aber schwierig ist es, den Ausgang vorauszuschauen. Indes müssen wir zuerst dafür sorgen, daß die Gegner ihren Sinn deutlich kund thun, und darnach, daß wir soviel wie möglich Zeugen für ihre Worte finden. Zunächst möge nun Kaare mit Thraen darüber reden, er ist ein Mann, der bedachtsam vorgeht.« Kaare wollte ungern nach Grytaa reiten mit solchem Auftrag, doch that er es, weil Nial dazu rieth. Als er aber zurückkam, wollte er nicht Thraen's Worte wiederholen; »selbst möget Ihr sie anhören,« sagte er. Die Nialsöhne baten ihn daher, mit ihnen nach Grytaa zu ziehen und schließlich that er es. Es befand sich [128] ein Weib draußen, welches sie herankommen sah und es Thraen ansagte. Er hieß seinen Mannen ihre Waffen nehmen und mit ihm in die Vorhalle treten; dieselbe war so breit, daß viele Männer neben einander dort stehen konnten. Thraen selbst trat in die Mitte der Thür und zu seinen Seiten standen Hrap und Grane Gunnarsohn, die ihn stets am meisten gegen die Nialsöhne reizten. Neben ihnen standen Gunnar Lambesohn und Lambe Sigurdsohn und außerdem seine Mannen dicht geschaart; auch Halgjerde war dort und stand in leisem Gespräch mit Hrap. Jetzt kamen die Nialsöhne zum Hofe hinauf. Voran ging Skarphedin, nach ihm kam Kaare, dann Höskuld, dann Grim und Helge zuletzt. Niemand von denen, die in der Vorhalle standen, begrüßte sie. »Wir mögen Euch alle willkommen sein,« sprach Skarphedin. »Niemand heißt Euch willkommen,« antwortete Halgjerde. »Deine Worte gelten nichts,« rief Skarphedin ihr entgegen, »ein Auswurf bist Du unter den Weibern, wenn nicht etwas Schlimmeres.« »Diese Worte sollen Dir vergolten werden, ehe Du heimkehrst,« rief Halgjerde. Da sprach Helge: »Ich bin gekommen, Thraen, um mit Dir zu reden, ob Du uns Ersatz geben willst für die Gewalt, die wir in Norwegen um deinetwillen ertrugen.« »Ich wußte nicht, daß Ihr Brüder Euren Mannesmuth für Geld feil habt,« erwiderte Thraen. »Mancher Mann wird doch sagen, Du schuldest uns Erstattung,« fuhr Helge fort; »wir retteten Dein Leben, mußten aber selbst dafür leiden.« »Das war das Glück, welches waltete,« warf Hrap ein. »Dann war Thraen's Glück nicht groß,« entgegnete Helge, »da er dem Jarl Treue und Glauben brach und Dich dafür empfing.« »Meinst Du nicht, Du habest Erstattung bei mir zu fordern?« sagte Hrap weiter. »Es lohnt sich nicht, mit Hrap der Worte zu wechseln, dem wollen wir seinen Pelz blutig färben,« rief Skarphedin dazwischen. »O, schweige Du, Skarphedin,« entgegnete Hrap, »Dir spalte ich mit der Axt den Schädel.« »Ja, wenn Du nur nicht vorher mit Rimegyge Bekanntschaft machst,« versetzte Skarphedin. So fuhren sie eine Weile auf beiden Seiten fort, sich in harten Worten und Drohungen zu überbieten. Da rief Halgjerde: »Zieht Ihr nur [129] heim, Ihr Mistbärte, zu dem bartlosen Knicker, den Ihr dort habt.« Die Nialsöhne aber wichen nicht, bis auch die übrigen durch Wiederholung dieser Spottnamen sich verschuldet hatten, mit Ausnahme von Thraen, der sie zu wiederholen verbot. Dann erst kehrten sie nach Hause zurück und berichteten ihrem Vater alles. »Nahmt Ihr Zeugen für diese Worte?« fragte er. »Nein,« entgegnete Skarphedin, »denn wir wollen diese Sache nur auf dem Kampfplatze zum Ausgleich bringen.« »Niemand wird es Euch zutrauen, daß Ihr jetzt die Waffen zu erheben wagt,« meinte Bergthora. Da erwiderte Kaare: »Stehe Du nur davon ab, Hausfrau, Deine Söhne zu reizen; sie sind ohnehin heißblütig genug.« Darauf unterredete Nial sich lange mit seinen Söhnen und seinem Schwiegersohn Kaare mit leisen Worten.
Drei Wochen nach Winters Anfang ritt Thraen Sigfussohn zu einem Gastmahl seines Freundes Runolf Ulfsohn auf Dal östlich vom Markarfluß. Mit ihm zogen Hrap und Grane, Gunnar Lambesohn und Lambe Sigurdsohn und außerdem noch drei Männer; überdies waren sowohl Halgjerde wie auch Thorgjerde mitgeritten. Ketil von Mörk war gleichfalls auf Dal, und er und Runolf suchten Thraen zu einem Vergleich mit den Nialsöhnen zu bewegen. Er aber sagte, er wolle ihnen niemals Geld zahlen. »Ich bin bereit, es mit ihnen aufzunehmen, wo wir auch zusammentreffen,« äußerte er. »Das mag schon sein,« versetzte Runolf, »aber mir scheint, es kommt niemand ihnen gleich, seitdem Gunnar von Hlidarende gefallen ist.« Als das Gastmahl zu Ende war und Thraen Abschied nehmen wollte, bat Runolf ihn, zu einer anderen als der von ihm festgesetzten Zeit heimzukehren. [130] »Das würde feige gehandelt sein,« versetzte Thraen, »das thue ich nicht!« und darauf ritt er am Abend fort mit den Gaben, die er beim Abschied empfangen hatte. Am nächsten Morgen erwachte Nial in der Frühe und hörte Skarphedin's Axt an der Bretterwand erklingen, und er erhob sich sogleich und ging hinaus. Da erblickte er seine vier Söhne und Kaare vollständig gewappnet. »Wohin, mein Sohn?« rief er Skarphedin zu. »Schafe wollen wir suchen,« antworte dieser. »Das sagtest Du schon früher einmal,« versetzte Nial, »da jagtet Ihr aber Männer.« Skarphedin lachte, Nial aber ging ins Haus zurück. Die andern stiegen nun hinauf nach Rödeskride, von wo man den Weg von Dal her überschauen konnte. Man hatte nämlich auf Bergthorshvol erfahren, wann Thraen zurückkehren wollte; Bergthora hatte es von einigen Bettelweibern gehört, denen er und sein Gefolge auf dem Hinwege über den Markarfluß geholfen hatte. Es währte denn auch nicht lange, bis Thraen den Fluß entlang geritten kam. »Es blitzen Waffen im Sonnenschein dort oben auf Rödeskride,« bemerkte Lambe Sigurdsohn. »Dann wollen wir nicht hier den Fluß überschreiten, sondern weiter hinabreiten,« sprach Thraen; »wollen sie mit uns anbinden, dann werden sie schon zu uns herüberkommen.« »Jetzt haben sie uns erblickt,« rief Skarphedin; »denn sie lenken vom Wege ab; nun müssen wir über den Fluß und ihnen entgegengehen.« Der Fluß war mit Eis bedeckt, nur in der Mitte war eine offene Rinne in einer Breite von zwölf Ellen, weiter stromabwärts aber reichte das Eis von Ufer zu Ufer. An dieser Stelle wollten sie den Fluß überschreiten, um dann zurückzugehen und Thraen zu begegnen, und begannen darum rasch zu laufen. Da sprang Skarphedin's Schuhschnalle, und er blieb zurück, um sie zu befestigen. »Laßt uns voran eilen,« rief Kaare den andern zu; »er kommt doch nicht später als wir!« und damit ging es weiter. Als Skarphedin aber fertig war, erhob er seine Axt Rimegyge und rannte aufs Eis hinaus. Als er an die Rinne kam, sprang er in einem gewaltigen Satze über sie hinweg. Auf der anderen Seite war das Eis so glatt wie Glas, und Thraen stand etwas weiter abwärts mit seinem Gefolge. Mit dichtgeschlossenen [131] Füßen sauste Skarphedin über das Eis auf ihn zu, so schnell wie ein Vogel fliegt. Thraen hatte seinen Helm abgenommen, ehe er ihn aber wieder aufsetzen konnte, traf Rimegyge sein Haupt und spaltete es bis zu den Zähnen, so daß diese auf dem Eise umherrollten. Skarphedin bewegte sich so rasch, daß niemand ihn treffen konnte. Ein Mann schob ihm einen Schild vor die Füße, er aber setzte über denselben hinweg und eilte in fliegender Fahrt dahin, wo seine Brüder und Kaare standen. »Das war eine kühne That,« sprach Kaare. »Jetzt ist die Reihe an Euch!« sagte Skarphedin, und so gingen sie denn alle fünf gegen Thraen's Gefolge hinan. Grim und Helge drangen auf Hrap ein. Er hieb nach Grim mit seiner Axt, aber Helge kam ihm zuvor und schlug ihm die Hand ab. »Daran thatest Du gut,« sprach Hrap, »diese Hand hat manchem Mann Schaden und Tod gebracht.« »Dem wollen wir nun ein Ende machen,« er widerte Grim und durchstieß Hrap mit dem Speer, so daß er entseelt niedersank. Inzwischen erschlug Kaare einen andren von Thraen's Mannen. Skarphedin aber fing Gunnar Lambesohn und Grane Gunnarsohn. »Hier habe ich zwei Hündlein gefangen,« rief er; »was soll ich nun mit denen anfangen?« »Du magst sie beide tödten, wenn Dir daran liegt,« entgegnete Helge. »Ich kann doch nicht zugleich Högne's Freund sein und seinen Bruder tödten,« versetzte Skarphedin. »Die Zeit wird aber kommen, wo Du wünschen wirst, ihn getödtet zu haben,« sagte Helge. »Ich fürchte mich weder vor ihm noch vor einem der übrigen,« antwortete Skarphedin, und damit wurde allen, die noch am Leben waren, ihre Freiheit geschenkt. Gunnar Lambesohn führte Thraen's Leiche mit sich nach Grytaa, wo ein Hügel über ihr aufgeworfen wurde. Die Nialsöhne aber kehrten heim und erzählten ihrem Vater, was sie gethan hatten. »Das sind große Ereignisse, die Ihr verkündet,« sprach er; »sie werden ohne Zweifel den Tod eines meiner Söhne nach sich ziehen, wenn nicht mehr daraus hervorgeht.« Indessen folgte vorläufig kein Unfrieden darauf. Ketil von Mörk war Thraens nächster Anverwandter, und er war ja Nial's Schwiegersohn. Er ritt bald nachher zu Nial und fragte ihn, ob er für [132] seinen Bruder Buße zu entrichten gesonnen sei. Nial war dazu bereit und bat ihn, die übrigen Sigfussöhne zum Vergleich zu veranlassen. Högne Gunnarsohn unterstützte Ketil in dieser Sache und es wurde ausgemacht, man solle Schiedsrichter wählen, um die Sache zu schlichten. Alle diejenigen, die gesetzlichen Anspruch hatten, empfingen Bußen, und man machte Frieden und sagte sich Sicherheit zu. Aber ungefähr um diese Zeit trug sich etwas zu, was nicht unerwähnt bleiben darf. Der König von Norwegen Olaf Trygvesohn sandte Thangbrand aus dem Sachsenlande nach Island, damit er dort den Glauben an Christus verkünde. Nial und sein Haus waren unter den ersten, die den neuen Glauben annahmen, und es dauerte nicht viele Jahre, bis das Christenthum auf dem Alting rechtsgiltig angenommen wurde.
Nial that sein Bestes, um das Unglück abzuwenden, das er in Folge des Unfriedens mit den Sigfussöhnen für sein Haus fürchtete. Eines Tages ritt er nach Mörk und unterredete sich den ganzen Tag lang mit Ketil Sigfussohn. Am Abend ritt er wieder heim, es erfuhr aber niemand, was sie verabredet hatten. Kurz nachher begab sich Ketil nach Grytaa. »Ich habe lange Zeit viel von meinem Bruder Thraen gehalten,« sagte er zu Thorgjerde, »und das will ich nun zeigen; ich erbiete mich dazu, seinen Sohn Höskuld zu erziehen.« »Das nehme ich an,« sprach Thorgjerde, »unter der Bedingung, daß Du ihm alles Gute thuest, was Du vermagst; Du sollst Geld zulegen, wenn er verheiratet wird und sollst ihn rächen, falls er erschlagen wird; und dieses alles sollst Du mir zuschwören.« Ketil that das, und Höskuld ritt mit ihm und weilte eine Zeit lang auf Mörk. Einst ritt Nial wiederum nach Mörk. Er wurde freundlich aufgenommen und blieb die Nacht über dort. In der Dämmerung rief er Höskuld Thraensohn zu sich, und dieser kam alsbald herbei. Nial zeigte ihm einen Goldring, den er an der Hand trug. Der Knabe [134] nahm ihn, beschaute ihn und schob ihn auf seinen Finger. »Willst Du den Ring als eine Gabe von mir annehmen?« fragte Nial, und der Knabe bejahte es. »Weißt Du auch, wer Deinem Vater den Tod gab?« fragte Nial weiter, und jener antwortete: »Ich weiß wohl, daß Skarphedin ihn erschlug, aber daran dürfen wir nicht mehr denken, denn es ist ein Vergleich geschlossen und volle Buße gezahlt.« »Du hast wohl geantwortet,« versetzte Nial, »Du wirst ein braver Mann werden.« »Ich freue mich Deiner Weissagung,« entgegnete der Knabe, »denn ich weiß, Du schauest in die Zukunft und redest keine leeren Worte.« »Ich will Dir anbieten, daß ich Dich erziehe,« sprach Nial, »wenn Du es annehmen willst.« Der Knabe erwiderte, er wolle diese Ehre annehmen, sowie jede andere, die Nial ihm biete, und so geschah es denn, daß er mit Nial zog. Nial selbst hatte ihn sehr lieb, und seine Söhne schlossen sich ihm an und erwiesen ihm jegliche Ehre. Als er heranwuchs, wurde er groß und stark, sehr schön und hatte prächtiges Haar, war leutselig, freigebig und sanftmüthig: er hatte für jedermann ein freundliches Wort und war bei jedermann beliebt, und zwischen ihm und den Nialsöhnen herrschte niemals Zank, weder in Worten noch in der That. Einst sagte ihm Nial, er wolle für ihn ein Ehebündniß zu Stande bringen; Höskuld bat ihn, dafür Sorge zu tragen und fragte, wo er eine Braut für ihn wüßte. »Es ist ein Mädchen da, namens Hildegunne,« antwortete Nial; »sie ist eine Tochter Starkad's, dem Sohn von Frey's Priester Thord. Eine Heirat mit ihr würde eine glückliche sein.« Höskuld erklärte, er sei mit jeder Wahl zufrieden, die Nial für ihn treffen würde. Bald nachher ritt denn Nial mit seinen Söhnen Kaare Sölmundsohn und allen Sigfussöhnen ostwärts nach dem Hofe Svinefjeld, der ungefähr in der Mitte der südöstlichen Küste etwas landeinwärts lag. Dort wohnte nämlich Starkad's Stiefbruder Flose Thordsohn, der ein mächtiger Häuptling war. Nial wurde freundlich aufgenommen, blieb die Nacht über und brachte dann sein Anliegen vor. Er versprach, Höskuld eine ansehnliche Mitgift zu geben. Flose erklärte, er sei damit zufrieden und ließ das Mädchen rufen. Sie antwortete, Flose habe versprochen, [135] sie nur an einen Mann zu verheiraten, der Häuptling und Gode sei. »Das würde genügen, um unsre Absicht zu hintertreiben,« meinte nun Flose, »Dich mit Höskuld zu verheiraten; dann will ich auch nicht mehr daran denken.« »So meine ich es nicht,« versetzte Hildegunne, »nur möchte ich, daß Ihr ihm zu solcher Stellung verhelfet.« Da bat Nial sie, drei Winter zu warten, ob er zu diesem Zweck etwas ausrichten könnte, und das versprachen sie. Nial suchte nun Höskuld die Stellung eines Goden zu verschaffen, aber niemand unter den alten Goden wollte seine Häuptlingsstelle ihm abtreten. In demselben Jahre waren große Streitsachen auf dem Alting beizulegen, und viele Männer suchten wie gewöhnlich Rath bei Nial. Allein niemand vermochte seine Sache nach dem Rath, den er von Nial empfangen hatte, zum Austrag zu bringen, so daß die Männer unverglichen heimreiten mußten. Im nächsten Jahre herrschte deshalb großes Mißvergnügen auf dem Alting und viele äußerten, es nütze wenig, die Sachen dort vorzubringen, sie wollten lieber mit Schwert und Speer ihr Recht heischen. Da trat Nial auf und sagte: »So darf es nicht sein, und es frommt nicht, Gesetz im Lande zu vermissen.« Es sei jetzt erwiesen, meinte er, daß die alte Einrichtung der vier Viertelsgerichte auf dem Alting nicht hinreiche, um dem Rechte seinen Lauf zu lassen. Er schlug darum vor, ein Fünftesgericht zu errichten; demselben sollen alle besonders wichtige Sachen unterworfen sein, und das Urtheil solle dort unter schwereren Eiden und strengeren Formeln gefällt werden. Dieser Vorschlag fand den Beifall des Gesetznenners Skapte Thorodsohn und wurde angenommen von dem Gesetzgericht. Hiernach bedurfte man aber für das Fünftegericht viermal zwölf Richter, und da nun jeder Gode bisher einen Richter bestellte und [136] bisher im ganzen nur dreimal zwölf Richter vorhanden gewesen waren, so war es also nöthig, zwölf neue Goden einzusetzen. Nial schlug daher vor, daß dies geschehen möge, und es solle jedem Mann freistehen, sich von seinem Gerichtskreis, zu dem er bisher gehört habe, loszusagen und sich unter denjenigen der neuen Goden zu stellen, der ihm am meisten zusagte. Als dieser Vorschlag ebenfalls angenommen wurde, bat Nial um die Erlaubniß, für Höskuld Thraensohn auf Hvidenes im Südlande eine Godenstelle errichten zu dürfen. Das wurde ihm zugestanden, so daß für Höskuld's Heirat kein Hinderniß mehr im Wege stand und er mit Hildegunne Hochzeit hielt. Den ersten Winter über blieb er mit ihr auf Bergthorshvol, und Hildegunne vertrug sich gut mit Bergthora. Im nächsten Frühling kaufte Nial Land bei Vorsaböj, nordwestlich von Bergthorshvol zwischen der Thjorsau und der Hvidau, eine Strecke vom Meere entfernt, und übertrug es an Höskuld; auch verschaffte er ihm selbst das Gesinde. Höskuld zog dahin mit Hildegunne und baute sich dort an. Aber es herrschte stets die innigste Freundschaft zwischen ihm und Nial, so daß keiner von ihnen in irgend einer Sache sich gut berathen glaubte, wenn er nicht den andern zuvor befragt hatte. Auch die Nialsöhne verkehrten immerfort mit Höskuld, und sie luden sich gegenseitig ein in jedem Herbst und beschenkten sich reichlich, so groß war die Freundschaft.
Wenn Höskuld Nialsohn zwischen Bergthorshvol und Holt, wo er mit seiner Mutter Hrodny wohnte, unterwegs war, führte ihn die Straße an dem Zaun des Hofes Samstad vorbei. Daselbst wohnte ein Mann, namens Lyting, der mit Thraen's Schwester [137] Stenvör verheiratet war; derselbe war groß und stark und reich begütert, aber bösartig. Eines Tages war ein Gastmahl auf Samstad; dort waren Höskuld, der Gode von Hvidenes, und alle Sigfussöhne, außerdem Grane Gunnarsohn, Gunnar Lambesohn und Lambe Sigurdsohn. Während des Mahles, als Lyting auf seinem Sitze saß, kam ein Weib herein und rief: »Es war schade, daß Ihr so weit entfernt waret, sonst hättet Ihr den Prahlhans an unsrem Hofe vorrüberreiten sehen können.« »Welchen Prahlhans?« fragte Lyting. »Höskuld Nialsohn,« antwortete das Weib, worauf Lyting versetzte: »Ja, es hat mich oft geärgert, ihn hier vorüberreiten zu sehen. Willst Du Deinen Vater rächen, Höskuld, dann bin ich bereit, mit Dir zu ziehen und Höskuld Nialsohn zu tödten.« »Uebel würde ich meinem Pflegevater Nial lohnen,« antwortete Höskuld; »mögest Du schlecht fahren für Deine Aufforderung!« und damit sprang er vom Tische auf, ließ seine Pferde holen und ritt sogleich fort. Darauf hetzte Lyting Grane Gunnarsohn auf; aber dieser sagte, er wolle nicht einen Vergleich brechen, den gute Männer mit ihm geschlossen hätten. Dasselbe erwiderten Gunnar Lambesohn, Lambe Sigurdsohn und alle Sigfussöhne und ritten alle fort. Als sie fort waren, sprach Lyting: »Jedermann weiß, daß ich keine Buße empfangen habe für meinen Schwager Thraen und ich will mich nimmer mehr damit zufrieden geben, daß keine Blutrache für ihn geübt wird.« Darauf rief er seine beiden Brüder Halkel und Halgrim herbei, die ebensowenig friedfertig waren wie er, und außerdem drei Dienstmannen; diese sechs legten sich an Höskuld's Weg und verbargen sich in einem Graben. Gegen Abend kehrte Höskuld Nialsohn zurück. Sie sprangen alle auf und drangen auf ihn ein. Er wehrte sich tapfer, verwundete Lyting an der Hand und tödtete zwei von seinen Dienstmannen, fiel aber endlich. Sie versetzten ihm sechzehn Wunden, schlugen ihm aber nicht den Kopf ab und darnach eilten sie in einen Wald und verbargen sich dort. An demselben Abend fand Hrodny's Schafhirte die Leiche Höskuld's und meldete der Mutter ihres Sohnes Tod. Sie befahl ihm Pferd und Fuhrwerk zu nehmen, und so fuhren sie dahin, wo Höskuld lag. »Ich dachte [138] mir es wohl,« sprach sie, als sie ihn sah, »er ist nicht ganz todt, Nial kann größere Wunden heilen.« Sie legten ihn auf die Balken, denn das Fuhrwerk war eine Art Schlitten, der dazu diente, das Heu über sumpfige Stellen zu schaffen, und fuhren ihn nach Bergthorshvol, wo sie ihn in den Schafstall trugen und ihn aufrecht an die Wand setzten. Sie gingen beide zum Wohnhause und klopften an, und als ein Knecht öffnete, schlüpfte Hrodny an ihm vorüber und eilte an Nial's Bett. Sie weckte Nial. »Komm hinaus mit Deinen Söhnen,« rief sie, »und siehe Deinen Sohn Höskuld; und nimm diese da mit,« fügte sie hinzu, auf Bergthora zeigend. »Laßt uns unsre Waffen mitnehmen,« sprach Skarphedin, und darauf folgten sie Hrodny nach dem Schafstall. Sie hielt das Licht hoch und sprach: »Hier liegt nun Dein Sohn Höskuld, Nial! Viele Wunden hat er und bedarf kundiger Hülfe.« »Das Zeichen des Todes sehe ich an ihm, aber keine Spur von Leben,« versetzte Nial. »Warum hast Du ihm aber nicht den letzten Dienst erwiesen?« fügte er hinzu, als er sah, daß seine Nasenlöcher offen waren. »Darum wollte ich Skarphedin bitten,« erwiderte Hrodny, und Skarphedin drückte ihm die Nase zu. »Wer ist nach Deiner Meinung der Mörder?« fragte er Nial. »Es wird Lyting von Samstad mit seinen Brüdern sein,« antwortete Nial. Da sagte Hrodny: »Ich lege es in Deine Hand, Skarphedin, Deinen Bruder zu rächen und ich erwarte, Du wirst Dich als ein braver Mann zeigen, obschon er außerehelich war.« Bergthora sprach: »Wunderlich steht es mit Euch; um nichtiger Dinge willen seid Ihr sogleich bereit zu Mord und Todtschlag, in dieser wichtigen Angelegenheit aber grübelt Ihr und bedenkt Euch, ohne zur That zu schreiten, und wenn nun Höskuld der Gode von Hvidenes kommt und Euch bittet, auf einen Vergleich einzugehen, dann sagt Ihr natürlich sofort ja.« »Unsre Mutter treibt uns zum Kampf und thut darin recht,« sagte Skarphedin und suchte nun selbst seine Brüder zu überreden.
Skarphedin zog sogleich aus mit seinen Brüdern. Im Walde hörten sie die Stimmen von Männern und gingen denselben nach. Da fielen Halgrim und Halkel durch Rimegyge, Lyting aber entkam. Grim und Helge eilten ihm nach und schlugen ihm eine schwere Wunde, er aber rannte weiter, erwischte ein Pferd und ritt nach Vorsaböj. »Solches Schicksal durftest Du erwarten,« sagte Höskuld der Gode von Hvidenes, als er das Ereigniß vernahm, »denn ganz unsinnig bist Du vorgegangen; jetzt kannst Du bewahrheiten, daß nur kurze Weile die Hand sich des Kampfes freut.« Indessen sagte er zu, als Lyting ihn bat, einen Vergleich zwischen ihm und Nial zu vermitteln, und ritt sogleich nach Bergthorshvol. Die Nialsöhne waren soeben zurückgekehrt und hatten sich schlafen gelegt. Höskuld ging zu Nial und sagte: »Ich komme, um einen Vergleich zu erbitten für Lyting, meinen Oheim, wiewohl er sich gröblich gegen Euch vergangen, den Vergleich gebrochen und Deinen Sohn erschlagen hat.« Nial antwortete: »Deinetwegen will ich mit Lyting einen Vergleich eingehen.« »Willst Du Deine Söhne nicht herbeirufen?« fragte Höskuld. »Nein,« versetzte Nial, »das würde den Vergleich nicht anbahnen; aber den Vergleich, den ich schließe, werden sie halten.« Nial setzte nun fest, Lyting solle doppelte Mannbuße erlegen, ohne für seine Wunden und seine Brüder Buße zu erhalten. »Auf Samstad mag er wohnen bleiben,« fuhr Nial fort, »indessen geschieht es auf seine eigne Verantwortung hin und am räthlichsten ist es, daß er sein Land verkauft und auswandert.« Mit diesem Bescheid ritt Höskuld heim. Als die Nialsöhne erwachten, fragten sie, wer dagewesen sei. Nial antwortete: »Mein Pflegesohn Höskuld.« »Dann hat er für Lyting Fürbitte gethan,« versetzte Skarphedin. »So ist es,« entgegnete Nial. »Das war nicht gut,« prach Grim. »Hättest Du Lyting eins versetzt, wie man es von Dir erwarten konnte, dann hätte Höskuld ihn nicht mit seinem [140] Schilde gedeckt,« erwiderte Nial. »Laßt uns unsern Vater nicht tadeln,« mahnte Skarphedin. Er sowie seine Brüder hielten den Vergleich, und Lyting blieb im Gau wohnen. Höskuld Nialsohn aber hatte einen außerehelichen Sohn namens Amunde; derselbe war blind geboren und trug darum den Zunamen »der Blinde.« Drei Jahre nach seines Vaters Tode war er auf einem Ting und ließ sich an den Hütten entlang führen, bis er zu derjenigen kam, die Lyting bewohnte. Er ließ sich in die Hütte und vor Lyting führen. »Ist Lyting von Samstad hier?« fragte er. »Was ist Dein Begehr?« erwiderte Lyting. Amunde sprach: »Welche Buße willst Du mir geben für meinen Vater Höskuld? Ich bin ein außerehelicher Sohn und habe keine Buße empfangen.« »Volle Buße habe ich gezahlt,« versetzte Lyting; »Dein Großvater und Deines Vaters Brüder haben sie empfangen.« »Das weiß ich,« sagte Amunde, »welche Buße willst Du mir aber geben?« »Keine,« antwortete Lyting. Da sagte Amunde: »Es will mich nicht bedünken, daß das recht sein kann vor Gott, da Du mir solchen Schmerz angethan hast. Jetzt möge Gott zwischen uns richten!« Damit ging er fort; als er aber in die Thür trat, wandte er sich um, und seine Augen wurden geöffnet. »Gelobt sei unser Herr,« rief er aus, »jetzt erkenne ich seinen Willen.« Darauf sprang er auf Lyting zu und hieb ihn mit seiner Axt auf das Haupt, daß er sogleich entseelt niederstürzte. Amunde eilte wieder fort, als er aber an die Stelle kam, wo seine Augen aufgethan wurden, da schlossen sie sich wieder, und er war seitdem blind sein Leben lang. Er ließ sich zu Nial und dessen Söhnen führen und sagte ihnen seine That an. »Das darf man Dir nicht anrechnen,« sagte Nial, »denn solches ist durch das Schicksal bestimmt. Geschieht aber etwas derart, so soll es uns warnen, daß wir nicht die von uns stoßen, die uns so nahe stehen.« Nial bot Lyting's Verwandten Buße an, und Höskuld der Gode von Hvidenes brachte den Vergleich zu Stande, so daß Lyting's Verwandte Amunde Sicherheit gelobten. Seit diesem Ereigniß herrschte lange Zeit Ruhe.
Der falsche Valgard war lange Jahre im Ausland gewesen, und während dieser Zeit war sowohl der Glaubenswechsel eingetreten als auch das Fünftegericht eingesetzt und die neuen Goden gewählt worden. Er kehrte heim in demselben Sommer, wo Lyting erschlagen wurde. Er war nicht sehr erfreut, als er von allen Veränderungen erfuhr, die während seiner Abwesenheit stattgefunden hatten. Als er nun auch hörte, daß viele Bauern sich aus dem Gerichtskreis seines Sohnes Mörd in den des Goden Höskuld von Hvidenes begeben hatten, forderte er Mörd zur Rache auf. »Du mußt Feindschaft stiften zwischen Höskuld und den Nialsöhnen,« sagte er; »diese sind heißblütige Männer, die Du leicht dazu treiben kannst, Höskuld zu erschlagen; viele werden ihn zu rächen suchen und werden schließlich Nial und seinen Söhnen den Tod bringen. Erst dann kannst Du erwarten, Deine Häuptlingsstelle wiederzuerhalten.« Mörd schwur, er wolle seinen Rath befolgen. »Ich möchte aber gern, daß Du den Christenglauben annimmst, Vater,« sprach Mörd, »denn Du bist ein alter Mann.« »Das thue ich nicht,« antwortete Valgard, »und am liebsten wäre es mir, wenn Du selbst den Christenglauben aufgäbest.« Mörd weigerte sich, Valgard aber zerbrach ihm alle Kreuze und andre heilige Zeichen. Bald nachher wurde er krank und starb und wurde bei Hof nach heidnischem Brauch in ein Hügelgrab gelegt. Nach kurzer Zeit nun ritt Mörd nach Bergthorshvol. Er schmeichelte den Nialsöhnen mit süßen Worten und legte es überhaupt darauf an, ihre Gunst zu gewinnen. Es gelang ihm auch, und er machte sich ihnen schließlich so unentbehrlich, daß sie niemals eine Sache beriethen, ohne ihn ebenfalls zu befragen. Nial aber war damit übel zufrieden. Einst lud Mörd die Nialsöhne und Kaare zu einem Gastgebot; es war ein großes Gastmahl, und sie erhielten alle köstliche Gaben von ihm bei ihrem Abschied. Skarphedin empfing eine goldene Spange,[142] Kaare einen silbernen Gürtel und die übrigen ähnliche Dinge. »Diese Gegenstände habt Ihr theuer erkauft,« sagte Nial, als sie ihm dieselben zeigten; »hütet Euch, daß Ihr sie nicht mit der Münze bezahlt, die Mörd wünscht.« Hernach kam Mörd nach Vorsaböj und versuchte Höskuld einzureden, daß die Nialsöhne ihren Spott mit ihm getrieben und sogar zu wiederholten Malen ihm nach dem Leben gestanden hätten. Höskuld wollte ihm aber keinen Glauben schenken. »Und selbst wenn Du recht haben solltest,« sagte er, »wenn Du meinst, daß ich sie tödten muß, um nicht von ihnen selbst getödtet zu werden, so will ich doch lieber durch sie den Tod erleiden, als selbst ihnen den geringsten Schaden thun.« Besser gelang es Mörd bei den Nialsöhnen und Kaare; er überredete sie in der That, zu glauben, daß Höskuld ihnen nach dem Leben trachte, und es kam bald so weit, daß sie keinen Umgang mehr mit ihm pflegten und fast nicht mehr mit ihm redeten, wenn sie zusammentrafen. Höskulds Verwandte wurden darum auch unruhig um seinetwillen. Einst war Höskuld zum Besuch bei Hildegunne's Oheim auf Svinefjeld. Dieser warnte ihn und bot ihm um seiner Sicherheit willen den Aufenthalt in seiner Nähe an. Höskuld wollte sein Anerbieten indessen nicht annehmen. »Man würde sagen, daß ich furchtsam sei, wenn ich nicht daheimzubleiben wagte,« erwiderte er. Als er heimkehren wollte, schenkte Flose ihm einen Scharlachmantel, der bis zum Schoße verbrämt war. Darnach ritt Höskuld zurück, und der Winter verlief, ohne daß sein Verhältniß zu den Nialsöhnen besser wurde. Im nächsten Frühling kam Mörd eines Tages nach Bergthorshvol. Er verleumdete Höskuld wie gewöhnlich und hatte noch viel mehr gegen ihn vorzubringen als sonst; er reizte die Nialsöhne auf's heftigste gegen ihn und sagte, wenn sie ihn nun nicht tödteten, dann würde er ihnen zuvorkommen. »Du sollst Deinen Willen haben,« versetzte Skarphedin, »wenn Du mit uns ziehen willst.« »Das will ich!« antwortete Mörd. Darauf verabredeten sie, er solle am Abend wiederkommen. »Was haben sie da draußen?« fragte Bergthora Nial. »Ich weiß es nicht,« entgegnete er, »mir haben sie es nicht anvertraut, und das thaten [143] sie doch immer, wenn ihre Anschläge gut waren.« In der nächsten Nacht kam Mörd wieder nach Bergthorshvol, und die Nialsöhne und Kaare nahmen ihre Waffen und ritten mit ihm nach Vorsaböj. Dort lauerten sie hinter einem Zaun bis Sonnenaufgang. Um diese Zeit kam Höskuld aus dem Hause; er trug den Mantel, den er von Flose empfangen hatte. In der einen Hand hatte er sein Schwert, in der andern einen Korb mit Korn. Er näherte sich dem Zaune und begann zu säen. Da sprang Skarphedin auf, Höskuld wollte fliehen. »Hoffe nicht zu entfliehen, Hvidenesgode,« rief Skarphedin und hieb ihn auf den Kopf, so daß er in die Knie sank. »Gott sei mir gnädig und vergebe Euch,« schrie Höskuld und darnach verwundeten ihn alle, so daß er starb. Mörd redete einen Augenblick leise mit Skarphedin und eilte darauf fort, die Nialsöhne aber und Kaare ritten nach Bergthorshvol zurück. »Das ist eine traurige Zeitung,« sagte Nial, als sie ihm sagten, was sie ausgerichtet hatten; »lieber hätte ich zwei von meinen Söhnen verloren, wenn nur Höskuld noch lebte.« »Du bist alt,« sprach Skarphedin, »darum ist es glaublich, daß es Dir nahe geht.« Nial aber erwiderte: »Ich weiß besser als Du, was daraus folgen wird.« »Was werden denn die Folgen sein?« fragte Skarphedin. »Mein Tod,« antwortete Nial, »und der Tod meines Weibes und aller meiner Söhne.« »Was weissagst Du mir denn?« fragte Kaare. Nial entgegnete: »Schwer wird es ihnen fallen, gegen Dein Glück anzukämpfen; Du wirst ihnen allen zu stark sein.« Es ging aber dieses Ereigniß Nial so nahe, daß er nie darüber reden konnte, ohne zu weinen. So heftig erschütterte ihn niemals eine Sache.
An demselben Morgen, wo Höskuld erschlagen wurde, erwachte Hildegunne und merkte, daß Höskuld nicht im Gemache sei. Sie hatte schwere Träume gehabt und ließ sogleich durch das Gesinde Höskuld auf dem Hofe suchen. Inzwischen kleidete sie sich an. Als das Gesinde zurückkehrte, ohne Höskuld gefunden zu haben, ging sie selbst mit ihnen hinaus. Sie ging zu dem Zaun und fand dort Höskuld erschlagen. Kurz darnach kam auch Mörd Valgardsohn's Schafhirte und erzählte, er sei den Nialsöhnen begegnet. »Sie kamen von hier,« sagte er, »und Skarphedin rief mich zu sich und zeigte den Mord als sein Werk an.« »Es wäre eine mannhafte That gewesen,« sprach Hildegunne, »wenn ihrer nicht viele gewesen wären gegen einen einzelnen.« Sie nahm Höskuld den Mantel ab, trocknete damit alles Blut von den Wunden und rollte ihn zusammen, und darauf trug sie ihn in ihr Gemach und verwahrte ihn in ihrer Lade. Sie sandte sogleich einen Mann ab an Höskuld's Mutter Thorgjerde auf Grytaa, um ihr den Mord zu verkünden. Mörd war dort, denn er war von der Unglücksstätte dorthin geritten [145] und hatte alles verkündet, nur nicht daß er selbst dabei gewesen sei und Höskuld verwundet habe. Bald darauf kam auch Thraen's Bruder Ketil von Mörk herbei. Thorgjerde erinnerte ihn an sein Gelöbniß, das er gegeben habe, als er Höskuld mitnahm, um ihn zu erziehen. »Es mag sein,« versetzte Ketil, »daß ich damals mehr versprach, als ich jetzt halten kann; damals glaubte ich nicht, daß solche Tage kommen würden, wie sie jetzt da sind; denn die Nase ist den Augen nahe, da ich mit einer Tochter Nial's verheiratet bin.« »Willst Du denn, daß Mörd die Sache in die Hand nimmt?« fragte Thorgjerde. »Ich weiß es nicht,« antwortete Ketil, »denn von ihm geht mehr Böses als Gutes aus, wie ich glaube.« Später traf er selbst mit Mörd zusammen. Da ging es ihm denn wie den anderen, daß er glaubte, Mörd würde treu und ohne Falsch sein. Sie verabredeten nun, daß Mörd die Sache in die Hand nehmen und alle Vorbereitungen für das gerichtliche Verfahren auf dem Ting treffen solle. Jetzt ruhte Mörd nicht. Er ritt sogleich mit zehn Männern nach Vorsaböj. Er versammelte die Männer, die der Unglücksstätte am nächsten wohnten, neun an der Zahl, zeigte ihnen die Wunden, die Höskuld erhalten hatte und rief sie zu Zeugen auf. Denn so wollte es das Gesetz auf Island, wenn eine gerichtliche Klage wegen eines Todtschlages eingeleitet werden sollte und keine Männer zur Stelle waren, die als Zeugen der That selbst auftreten konnten. Dann mußte der, welcher den Urheber desselben vor Gericht belangen wollte, Zeugen stellen, die da bezeugten, daß sie die Wunden an der Leiche gesehen hätten. Mörd nannte nun den neun Nachbarn den Urheber einer jeden Wunde Höskuld's mit Ausnahme einer einzigen; was diese betraf, so gab er vor, er wisse nicht, wer sie geschlagen habe; es war nämlich die, welche er selbst ihm zugefügt hatte. Er sagte, Skarphedin sei der Todschläger, seine Brüder aber und Kaare hätten Höskuld alle verwundet. Schließlich lud er die nenn Nachbarn zum Erscheinen vor dem Gericht als Blutzeugen oder Nenner, wie sie genannt wurden. Darnach ritt er heim. Während der nachfolgenden Zeit kam er fast niemals zu den Nialsöhnen, und wenn sie zusammentrafen,[146] schienen sie sich gram zu sein. So war es unter ihnen zuvor verabredet. Damals als er von der Unglücksstätte forteilte, hatte er selbst Skarphedin mitgetheilt, er wolle die Klage vor Gericht übernehmen, sofern Thorgjerde ihn darum ersuche, und Skarphedin hatte es gebilligt. Denn es gab ein Gesetz, daß jemand, der selbst bei einem Todtschlag betheiligt war, die übrigen Betheiligten deshalb nicht belangen konnte, und falls es dennoch geschehe und vor dem Gericht erwiesen werde, daß der Kläger selbst schuldig sei, dann sei die erhobene Klage nichtig. Darum glaubte Skarphedin, es sei die leichteste Weise, wie man der Sache entgehen könne, wenn Höskuld's Sippe Mörd zum Kläger annehme. Mörd selbst aber wünschte nur, daß die ihm übertragene Sache vor Gericht verloren würde; denn alsdann konnte er darauf rechnen, daß die vielen kampfmuthigen Verwandten Höskuld's Blutrache an Nial und seinen Söhnen nähmen, und dann würde es so kommen, wie Valgard vorausgesagt habe, so daß er selbst seine frühere Goden- und Häuptlingsstelle zurückempfinge.
Als Flose auf Svinefjeld Höskuld's Tod erfuhr, wurde er tief betrübt und ergrimmt zugleich, aber er blieb ruhig dabei. Indessen entsandte er sogleich einen Boten an seinen Schwiegervater Hald und dessen Sohn Liot, sie möchten mit zahlreicher Mannschaft auf dem nächsten Ting erscheinen. Hald war ein großer Häuptling und ein sehr angesehener Mann; er wohnte auf Sida zwischen dem Markarfluß und Svinefjeld, und von seinem Sohn Liot meinte man, er würde einer der besten Häuptlinge in der Umgegend werden. Dieselbe Bitte that Flose an viele andre Häuptlinge, und sie versprachen alle zu kommen. Er selbst ritt [147] herum bei vielen in derselben Absicht. »Du bist sonst heiterer gewesen als jetzt,« äußerte ein Bauer ihm gegenüber, »aber es ist ja auch genügender Grund vorhanden, daß dem so ist.« »Freilich,« antwortete Flose, »ich würde all mein Gut hingeben, wenn das nicht geschehen wäre, was sich nun ereignet hat; eine böse Saat ist ausgesäet und böse Frucht wird daraus ersprießen.« Bei Runolf Ulfsohn auf Dal erfuhr er, daß Mörd die Sache in die Hand genommen, den Mord verkündet und Zeugen berufen habe. »Ist er zuverlässig?« fragte Flose. »Er ist mein Verwandter,« erwiderte Runolf; »wenn ich aber die Wahrheit sagen soll, so verursacht er mehr Böses als Gutes. Aber darum will ich Dich bitten, daß Du Deinen Grimm zügelst und dem Rathe folgst, der am wenigsten Unheil hervorruft. Nial selbst betrübt sich ob seines Pflegesohnes Tod so sehr wie kein andrer und wird darum gute Anerbietungen machen.« »Dann reite Du mit mir zum Ting,« entgegnete Flose, »Deine Rathschläge sollen viel bei mir gelten, falls nicht schlimmere Dinge eintreten.« Runolf versprach es, und Flose ritt nach Vorsaböj. Als Hildegunne ihn kommen sah, sprach sie: »Jetzt sollen alle meine Mannen vor der Thür stehen, wenn Flose in den Hof hineinreitet, die Frauen aber sollen das Haus bereiten, das Wohngemach zelten und einen Hochsitz für Flose bereiten.« Bei festlichen Gelegenheiten behängte man nämlich die Wände mit Teppichen, welches man zelten nannte. Darauf ritt Flose in den Hofplatz hinein. Hildegunne ging ihm entgegen und rief: »Heil und Glück Dir, Vetter, Deine Ankunft erfreut mein Herz.« »Wir wollen hier das Frühstück einnehmen,« antwortete Flose, »und dann weiterreiten.« Er trat ein in das Wohngemach und ließ sich nieder, aber das Hochsitzpolster schleuderte er von sich auf die Bank. »Ich bin weder ein König noch ein Jarl,« sagte er, »deshalb soll man mir keinen Hochsitz bereiten und nicht seinen Spott mit mir treiben.« »Wir thaten das aus gutem Willen,« versetzte Hildegunne, »und es thut mir leid, wenn es Dir mißfällt.« Flose antwortete: »Meinst Du es gut mit mir, dann wird Dein Verfahren sich selbst loben, falls es gut ist, aber sich selbst tadeln, falls etwas Böses dahinter steckt.« [148] Hildegunne lachte kalt und sagte: »Wir sind nicht bei dem Größten angelangt, das Ende ist noch nicht da, wir werden vorher noch mehr mit einander zu schaffen haben.« Darauf ließ sie sich neben ihm nieder, und sie unterredeten sich lange Zeit hindurch leise. Dann ging sie hinaus. Das Essen wurde aufgetragen, und Flose begann mit seinen Männern demselben zuzusprechen. Hildegunne trat wieder in das Gemach; sie stellte sich vor Flose hin, strich sich das Haar aus den Augen und begann zu weinen. »Du bist betrübt, Muhme,« sprach Flose zu ihr, »doch ist es recht, denn Du beweinst einen guten Mann.« »Was willst Du in dieser Sache thun?« fragte ihn Hildegunne. Flose antwortete: »Ich will sie nach Brauch und Recht vor Gericht anhängig machen oder nach guter Männer Rath einen Vergleich anbahnen, so daß es uns in jeglicher Weise zur Ehre gereicht.« »Wärest Du getödtet worden, dann wäre Höskuld zur Rache geschritten,« sagte sie. Flose versetzte: »Ich sehe, worauf Du hinauswillst; Grausamkeit hast Du genug.« »Deine Brüder erschlugen den Mann, der sich geringer gegen Deinen Vater vergangen hatte,« entgegnete sie. Darauf ging sie zu ihrer Lade, nahm Höskuld's Mantel heraus und warf ihn Flose über den Kopf, so daß das trockene, geronnene Blut ihn bedeckte. »Diesen Mantel gabst Du an Höskuld,« sprach sie, »hiermit gebe ich Dir ihn zurück, in ihm wurde Höskuld erschlagen. Und nun rufe ich Gott und alle guten Männer zu Zeugen auf, daß ich Dir auferlege, alle Wunden zu rächen, die er empfing, so wahr Du glaubst an Christi Kraft und für einen Mann gelten willst; wo nicht, so soll jedermann Dich einen Buben schelten.« »Du bist ein Teufel,« rief Flose, indem er den Mantel hinwegriß und ihn ihr ins Gesicht schleuderte; »am liebsten wäre es Dir, wenn wir da Hand anlegten, wo es uns am schlimmsten ergehen würde. Ja, rücksichtslos ist Weibersinn.« Er war dabei so erschüttert, daß sein Angesicht manchmal roth wie Blut, manchmal fahl wie Heu und manchmal blau wie Hel wurde. Von Vorsaböj ritt Flose nach Holtavad, [149] wo er mit den Sigfussöhnen zusammentreffen sollte. Diese kamen auch bald dahin zugleich mit den Männern, die sie zu begleiten pflegten. Flose fragte Ketil von Mörk, wie er in der Sache zu thun gedächte. Ketil antwortete: »Am liebsten sähe ich, wenn es zum Vergleich käme; doch habe ich geschworen, daß ich von dieser Sache nicht ablassen will, ehe sie zum Austrag gebracht ist, wie auch der Ausgang sein mag, und ich will dafür mein Leben einsetzen.« »Du bist ein braver Mann,« versetzte Flose; »es ist gut solche Männer auf seiner Seite zu haben.« Da ergriffen Grane Gunnarsohn und Gunnar Lambesohn zugleich das Wort und forderten Landesverweisung oder Mannbuße. »Es ist aber nicht sicher, daß wir allein alles nach unsren Wünschen lenken können,« meinte Flose. Grane jedoch fuhr fort: »Seitdem sie Thraen auf dem Markarfluß und darnach seinen Sohn erschlugen, habe ich mir vorgenommen, niemals einen ehrlichen Vergleich mit ihnen zu schließen; gern aber wäre ich dabei, wenn alle getödtet würden.« Flose antwortete: »Sogleich hättest Du Rache nehmen können, falls es Dir an Muth und mannhaftem Sinn nicht gebrochen hätte; das was Du jetzt begehrst, wirst Du einst schwer bereuen. Selbst wenn es uns gelänge, Nial und seine Söhne zu tödten, würde es uns gar schwer fallen, dem Unheil zu entrinnen, das daraus folgt. Viele werden ihr Gut verlieren, wenn sie Buße für dieselben entrichten sollen; und viele werden Gut und Leben einbüßen.« Jetzt kam auch Mörd herbei, und versprach Flose, mit allen seinen Männern ihm zum Ting zu folgen. Flose aber begehrte, ihn durch eine Heirat in ihrer Sippe fester an sich zu knüpfen; er wünschte, daß Mörd seine Tochter einem seiner Brudersöhne geben sollte. Mörd meinte, das würde sich machen lassen. Sie ritten zusammen zum Ting und unterredeten sich täglich, ohne daß jemand erfuhr, worüber sie sprachen. Auf dem Ting selbst bat Hald von Sida Flose nochmals, einen Vergleich und Frieden zu schließen, aber Flose wollte nichts Bestimmtes [150] zusagen. Hald fragte, wer ihm Beistand versprochen habe. Flose nannte Mörd Valgardsohn und setzte hinzu, er habe um Mörd's Tochter für seinen Brudersohn angehalten. »Das Mägdlein ist wohl ein werthvoller Besitz,« sagte Hald, »aber mit Mörd ist nicht gut zu thun zu haben, das wird Dir einleuchten, ehe das Ting beendet ist.«
Bald nach Höskuld's des Goden von Hvidenes Tod ritten die Nialsöhne zu dem alten Freunde ihres Vaters Asgrim Ellidagrimsohn auf Tunge, der auch Helge Nialsohn's Schwiegervater war. Sie baten ihn um Hülfe, und Asgrim erwiderte, sie hätten Ursache, in allen bedeutenden Angelegenheiten Hülfe von ihm zu erwarten. »Mein Herz aber weissagt Euch nichts Gutes in dieser Sache,« sprach er; »viele werden Klage gegen Euch erheben, und man redet übel von Eurer That in allen Häusern.« Im Verlauf der späteren Zeit fragte sie Nial eines Tages, wie sie und Kaare vorzugehen gedächten. Skarphedin antwortete: »In den meisten Dingen zaudern und bedenken wir uns nicht lange, sondern gehen am liebsten gerade zu. Um es Dir aber mitzutheilen, so wollen wir auf Tunge bei Asgrim Ellidagrimsohn einkehren und von dort zum Ting reiten. Wie aber gedenkst Du zu verfahren, Vater?« »Ich reite zum Ting,« versetzte Nial; »meine Ehre fordert, daß ich mich nicht von Euch trenne, so lange ich lebe. Dort werde ich Euch stets zum Nutzen, niemals zum Schaden sein.« Nial's Pflegesohn Thorhald, ein Sohn von Asgrim Ellidagrimohn, war bei dieser Unterredung gegenwärtig. Er trug einen Mantel mit rothbraunen Streifen. Die Nialsöhne lachten über ihn und fragten, wie lange er denn diesen Mantel tragen würde. [151] Er erwiderte: »Ich werde ihn ablegen, sobald ich wegen des Mords an meinem Pflegevater Klage erheben werde.« Nial sagte darauf: »Du wirst Dich am bravsten erweisen, wenn es am meisten noth thut.« Sie machten sich alle bereit, fortzureiten; sie waren beinahe dreißig Mann stark und ritten, bis sie zur Thjorsau kamen. Hier stießen drei Männer zu ihnen, Söhne von Nial's Halbbruder Holtathore, namens Thorleif Kraak, Thorgrim der Große und Thorgejr Skorargejr; sie boten den Nialsöhnen die Mitfolge und gewaffnete Hülfe an, und ihr Anerbieten wurde freudig angenommen. Sie ritten darauf alle zugleich über die Thjorsau und als sie an das Ufer der Laxau kamen, lagerten sie sich. Dort kam Hjalte Skjeggesohn zu ihnen. Die Nialsöhne nahmen ihn sogleich bei Seite und unterredeten sich lange Zeit leise mit ihm. Hjalte sprach: »Allzeit werde ich zeigen, daß meine Gedanken das Licht nicht scheuen; Nial hat mich um Hülfe gebeten und ich habe sie ihm versprochen. Er hat mich auch im voraus belohnt mit seinen guten Rathschlägen wie viele andre.« Darnach theilte Hjalte Nial Flose's Vorgehen mit. Sie sandten nun Thorhald Asgrimsohn voraus nach Tunge, um Asgrim mitzutheilen, daß sie gegen Abend anlangen würden. Asgrim ließ sogleich alles zum Empfang zurüsten, und als Nial in den Hofplatz einritt, stand er vor der Thür. Nial trug einen blauen Mantel, einen niedrigen Hut auf dem Haupte und eine Handaxt in der Hand. Asgrim half ihm selbst vom Pferde, führte ihn ins Haus und auf seinen Platz, und darauf traten die Nialsöhne und Kaare mit ihrem Gefolge ein, Asgrim aber ging wieder hinaus. Hjalte wollte wieder fortreiten, denn ihm schien, es seien ihrer zu viele drinnen, aber Asgrim ergriff sein Pferd am Zügel und sagte, er würde nicht dulden, daß er fortreite; er ließ das Pferd abführen, führte Hjalte hinein und ließ ihn bei Nial niedersitzen. Thorleif aber und seine Brüder mit ihren Mannen saßen auf der gegenüberstehenden Bank. Asgrim selbst nahm einen Stuhl und setzte sich vor Nial hin. »Was weissagst Du uns über unsre Sache?« fragte er. »Nichts Gutes,« antwortete Nial, »ich fürchte, die haben nur wenig Glück, die daran[152] Theil haben. Aber es wäre mir lieb, mein Freund, wenn Du Deine Tingmannen entbötest und mit uns zum Ting rittest.« »Das habe ich mir selbst vorgenommen,« antwortete Asgrim, »und gebe Dir das Versprechen, daß ich niemals Eure Sache verlassen werde, so lange ich einen Mann mit mir führen kann.« Alle Anwesenden dankten ihm und äußerten, er habe wie ein braver Mann gesprochen. Sie übernachteten nun alle auf Tunge; am folgenden Morgen kamen Asgrim's Tingmannen herbei, und darauf ritten alle weiter, bis sie zum Ting kamen, woselbst sie ihre Hütten zelteten.
Einst führten Asgrim und Nial lange eine leise Unterredung. Darauf sprang Asgrim auf und sprach zu den Nialsöhnen: »Jetzt müssen wir herumgehen und uns Freunde werben, damit wir nicht der Uebermacht erliegen, denn unsre Feinde werden diese Sache mit großem Nachdruck betreiben.« Er ging nun hinaus und ihm folgten die übrigen, zuerst Helge Nialsohn, dann Kaare Sölmundsohn, Grim Nialsohn und nach ihm als der fünfte in der Reihe Skarphedin; nach ihm kam Thorhald Asgrimsohn, darauf Thorgrim der Große und endlich Thorleif Kraak. Sie gingen zuerst nach Gissur Hvide's Hütte und traten ein. Gissur erhob sich, empfing sie und bat, sich niederzulassen und einen Trunk zu thun. »Wir haben ein andres Anliegen als das,« versetzte Asgrim; »wir möchten wissen, welche Hülfe wir von Dir erwarten dürfen, Oheim.« Asgrim's Mutter Jörund war nämlich Gissur's Schwester. Gissur antwortete: »Meine Schwester Jörund wird [153] der Ansicht sein, ich dürfe Dir keine Hülfe verweigern; und so soll es denn auch sein jetzt und fürder, daß wir zwei mit einander dasselbe Loos theilen.« Asgrim dankte ihm und ging fort. »Wohin sollen wir uns jetzt wenden?« fragte Skarphedin, als sie draußen waren. »Zu Skapte Thorodsohn,« erwiderte Asgrim. Skapte saß auf der Bank, als sie kamen, bot Asgrim willkommen und hieß ihn sich niederlassen. Asgrim aber brachte sein Anliegen vor. »Ich hätte nicht geglaubt, daß Euer Unheil sich in meine vier Pfähle verirren sollte,« entgegnete Skapte. Asgrim versetzte: »Das ist eine arge Ausrede, Männern am wenigsten Hülfe gewähren zu wollen, wenn sie am meisten derselben bedürfen.« Skapte hatte unterdessen seine Augen fortwährend auf Skarphedin gerichtet, wie er dastand im blauen Gewand, blaugestreiften Beinkleidern, schwarze Schuhe mit hohen Absätzen an den Füßen und einen silbernen Gürtel um die Hüften gegürtet; in der Hand hielt er seine Axt Rimegyge, an dem Arm hatte er einen leichten Schild, um den Kopf trug er eine seidene Binde und hatte das Haar hinter die Ohren zurückgestrichen; er sah sehr kampffertig aus, so daß er allen auffallen mußte. »Was ist das für ein Mann,« fragte Skapte, »der fünfte in Eurer Reihe, der große, bleiche, finstere Mann, der einem Jötun gleicht und das Unglück zum Begleiter zu haben scheint?« Skarphedin antwortete: »Skarphedin heiße ich, und Du hast mich oft auf dem Ting gesehen. Aber ich bin soviel klüger als Du, daß ich nicht nach Deinem Namen zu fragen brauche. Du heißest Skapte Thorodsohn. Früher aber nanntest Du Dich Börstekuld, damals als Du Ketil von Elda getödtet hattest. Da strichst Du Dich selbst schwarz an und salbtest Dein Haupt mit Theer ein, ferner verbargst Du Dich in einem Erdloch und als Du das Land räumen wolltest, ließest Du Dich in einem Mehlsack an Bord tragen.« Darauf entfernten sich Asgrim und Skarphedin mit den anderen. »Wohin gehen wir nun?« fragte Skarphedin. »Zum Goden [154] Snorre,« versetzte Asgrim. Snorre war ein großer Häuptling am Hvamsfjord und mit Asgrim befreundet; er war der klügste Mann auf Island unter denen, die nicht in die Zukunft schauten; er war liebreich gegen seine Freunde, aber schonungslos gegen seine Feinde. Snorre empfing Asgrim und sein Gefolge freundlich, wollte ihnen aber keine Hülfe versprechen, nur sagte er, er wolle ihnen nicht entgegen sein. »Aber wer ist dieser Mann, der fünfte in Eurer Reihe, der bleiche Mann dort mit den scharfen Zügen, welcher spöttisch lächelt und seine Axt so hoch trägt?« fragte Snorre. »Ich heiße Hedin,« war die Antwort, »manche aber nennen mich Skarphedin mit vollem Namen. Was hast Du mir mehr zu sagen?« »Du siehst muthig aus,« versetzte jener, »und gewaltig, aber ich glaube, die längste Zeit Deines Glückes ist dahin und Deine Tage sind gezählt.« »Das ist eine Schuld, die wir alle zu bezahlen haben,« erwiderte Skarphedin, »Du aber solltest lieber Deinen Vater rächen als mir Böses weissagen.« »Dasselbe haben viele vor Dir gesagt,« antwortete Snorre, »darum will ich Dir nicht zürnen.« Bei ihm fanden sie also auch keinen Beistand und gingen fort. Sie wandten sich an Haf den Reichen. Als Asgrim ihn um Hülfe bat, antwortete er, er wolle keinen Theil an ihrem Unglück haben. »Wer aber ist der fünfte in Eurer Reihe, der bleiche Mann, der so grimmig dreinschaut, als wäre er ein Jötun von den Klippen des Meers?« fragte er. Skarphedin sprach: »Was kümmert es Dich, Du Milchfratze, wer ich bin? Ich wage frei einherzugehen, wo Du im Hinterhalt liegst und auf mich lauerst. Suche lieber Deine Schwester, die aus Deinem Hause entführt wurde, ohne daß Du einen Finger zu rühren wagtest.« »Laßt uns gehen,« fiel Asgrim ihm ins Wort, »hier dürfen wir keine Hülfe erwarten.« Sie gingen zur Hütte Gudmund's des Mächtigen. Gudmund wohnte auf Madrevalle am Öfjord im Nordlande, war ein reicher und großer Häuptling und hatte ein Gesinde von hundert Personen in seinem Hause. Er hatte allen Häuptlingen in dem Nordlande ihre Macht genommen, so daß manche um seinetwillen ihre Wohnung oder ihre Godenstelle aufgeben und manche gar das Leben lassen [155] mußten. Er war Asgrim Ellidagrimsohn's Freund, und kam ihnen darum auch bereitwillig entgegen. »Ich will dir nicht entgegen sein,« antwortete er, als Asgrim seine Bitte vorbrachte, »finde ich es aber für gut, Dir zu helfen, dann können wir immer darüber reden.« Asgrim dankte ihm. »Es ist ein Mann unter Deiner Schaar,« sagte Gudmund, »den ich eine Weile angeblickt habe und der mir schrecklicher vorkommt, als die meisten Männer, die ich je gesehen habe.« »Wen meinst Du?« fragte Asgrim. »Ich meine den fünften Mann in Eurer Reihe,« versetzte Gudmund, »mit dem braunen Haar und dem bleichen Angesicht; hoch gewachsen ist er und muthig sieht er aus und so bereit zu kühner That, daß ich ihn lieber hätte in meiner Schaar als zehn andre; und doch sieht er aus wie einer, der das Unglück mit sich bringt.« Skarphedin antwortete: »Ich bin es, den Du meinst; jeder von uns hat sein Unglück. Mich schmäht man, weil ich Höskuld den Goden von Hvidenes erschlug, über Dich aber dichtete Thorkel Haak ein Spottlied, und das ist Dein Kummer.« Damit verließen sie das Haus. »Wohin gehen wir jetzt?« fragte Skarphedin. »Zur Hütte des Ljosavetninger,« war Asgrim's Antwort. Diese Hütte gehörte Thorkel Haak aus Ljosavatn im Nordlande östlich vom Öfjord. Er hatte Fahrten ins Ausland, nach Norwegen, nach dem Süden und den Ostseeküsten gemacht und viele Kämpfe gegen Räuber sowie auch Drachen und andre Ungeheuer bestanden und nach seiner Heimkehr hatte er alle diese Heldenthaten auf der Bretterwand über seinem Wandbett und auf dem Stuhl vor seinem Hochsitz ausschnitzen lassen. Auf dem Gauting der Ljosavetninger waren er und sein Bruder einst mit Gudmund dem Mächtigen im Kampf gewesen und nach dem Siege hatte er ein Spottlied über Gudmund gedichtet. Er pflegte zu sagen, es sei kein Mann auf Island, mit welchem er einen Einzelkampf aufnehmen, aber auch keiner, dem er jemals den Rücken zuwenden werde. Mit wem er aber zu thun hatte, den schonte er weder in Wort noch That, wovon er denn auch den Zunamen »Haak« erhielt, der seinen Uebermuth in Wort und That anzeigte. Ihn wollte Asgrim nun um Hülfe ansprechen.[156] »Diese Hütte gehört einem gewaltigen Streiter,« sagte er, als sie unterwegs waren, »und wenn wir ihn für uns gewinnen könnten, würde es uns großen Vortheil bringen. Er ist aber eigensinnig und sonderbar, weshalb wir in jeder Weise vorsichtig sein müssen. Darum will ich Dich auch bitten, Skarphedin, daß Du Dich nicht in unsre Unterredung hineinmischest.« Skarphedin lächelte. So traten sie denn in die Hütte ein. Thorkel saß auf der Mitte der Bank und seine Mannen zu beiden Seiten. Asgrim begrüßte ihn und Thorkel erwiderte den Gruß freundlich. »Wir sind hierhergekommen,« nahm Asgrim das Wort, »um Dich zu bitten, mit uns zum Gericht zu gehen und uns beizustehen.« Thorkel versetzte: »Ihr seid ja schon bei Gudmund gewesen, und er hat Euch doch wohl Hülfe versprochen, was bedürft Ihr dann meiner?« »Gudmund wollte uns keine Hülfe leisten,« antwortete Asgrim. »Dann hat Gudmund Eure Sache für eine unsaubere angesehen,« sagte Thorkel, »und das ist sie auch, denn es ist die ärgste That, die je geübt wurde. Es ist mir daher auch unverständlich, wie es Euch einfallen kann, zu mir zu kommen. Wie konntet Ihr glauben, Ihr würdet mich leichter dazu bewegen, eine schlechte Sache zu unterstützen, als Gudmund?« Asgrim sagte kein Wort; es schienen ihm hier keine guten Aussichten für sein Anliegen zu sein. Thorkel aber fuhr fort: »Wer ist dieser Mann, der fünfte in Eurer Reihe, der große, häßliche Mann mit den bleichen, scharfen Zügen, der so unselig und schrecklich dareinschaut?« Da nahm Skarphedin das Wort: »Ich heiße Skarphedin, Du aber solltest Dich hüten, mich zu verhöhnen. Ich habe niemals meinen eignen Vater bedroht oder mit ihm gezankt, wie Du es dem Deinigen gegenüber thatest. Nur selten bist Du auf dem Ting gewesen und hast nur wenig theil genommen an Tingsachen, darum magst Du auch nur lieber daheim bleiben und Deine Kühe hüten. Wenigstens hättest Du, ehe Du hierher kamst, Deine Zähne reinigen sollen von dem Pferdefleisch, welches Du nach heidnischem Brauch aßest, bevor Du zum Ting rittest, so daß sogar Deine Sklaven daran Aergerniß nahmen.« Thorkel sprang auf, zog sein Schwert und rief: »Dieses hat schon vieler Helden [157] Blut gekostet und es soll das Deinige kosten, sobald wir wieder zusammentreffen; solchen Lohn sollst Du empfangen für Dein loses Maul.« Skarphedin lachte, hob Rimegyge hoch und erwiderte: »Mit dieser Axt in der Hand sprang ich zwölf Ellen weit über den Markarfluß und erschlug Thraen Sigfussohn; acht Männer standen mir gegenüber, aber keiner vermochte mich zu treffen, jedesmal aber, wo ich sie schwang, hat sie ihren Mann niedergestreckt.« Darauf schob er seine Brüder und seinen Schwager Kaare zur Seite, sprang auf Thorkel zu und rief: »Jetzt thust Du eins von beiden, Thorkel Haak, stecke Dein Schwert ein und setze Dich nieder, oder ich schlage Dir mit der Axt den Kopf ein und spalte Dich bis zu den Hacken.« Thorkel steckte sein Schwert in die Scheide und setzte sich nieder; solches geschah ihm weder zuvor noch hernach. Asgrim entfernte sich mit seiner Umgebung. »Wohin gehen wir jetzt?« fragte Skarphedin. »Zurück nach unsrer Hütte,« antwortete Asgrim. »So sind wir denn wohl der Bettelei müde,« versetzte Skarphedin. Asgrim sagte: »An manchen Orten warst Du ziemlich scharfzüngig, aber Thorkel gabst Du seinen verdienten Lohn.« Darauf gingen sie heim und erzählten Nial den Verlauf ihrer Angelegenheit. Nial meinte: »Jetzt muß es kommen, wie es das Schicksal will.« Als aber Gudmund der Mächtige hörte, wie Skarphedin und Thorkel zusammengerathen seien, freute er sich über die Schande und die Schmach, die dem letzteren zugefügt worden war und sagte zu seinem Bruder Ejnar von Querau: »Du mußt mit meiner ganzen Schaar ausziehen und den Nialsöhnen beistehen, wenn das Gericht eingesetzt wird, und bedürfen sie der Hülfe im nächsten Sommer, dann werde ich selbst erscheinen.« Ejnar willigte ein und ließ es Asgrim wissen. »Gudmund übertrifft die meisten Männer an edler Sinnesart,« versetzte dieser und theilte es darauf Nial mit.
Am folgenden Tage versammelten sich Nial's Helfer Asgrim, Gissur Hvide, Hjalte Skjeggesohn und Ejnar von Querau. Thorhald Asgrimsohn, der von seinem Pflegevater Nial in den Gesetzen unterrichtet worden war, war ebenfalls zugegen. Asgrim nahm das Wort und sagte zu ihnen: »Ihr wißt, daß Mörd die Sache anhängig gemacht hat; er ist indessen selbst bei dem Mord an Höskuld betheiligt; die Wunde, für die kein Urheber genannt wurde, hat er ihm selbst geschlagen; die Klage ist also unrichtig erhoben und die Sache muß als ungesetzlich abgewiesen werden.« »Dann wollen wir sogleich Einspruch erheben und diesen Umstand geltend machen,« meinte Hjalte. »Mit nichten,« versetzt Thorhald, »das darf nicht so bald geschehen, denn dann können sie ihren Fehler noch ändern und noch auf diesem Ting eine gesetzliche Klage erheben.« »Dein Rath ist gut,« sagten die anderen, »wir wollen ihn befolgen.« Sie gingen zu ihren Hütten zurück und theilten niemand mit, was sie verabredet hatten. Die Zeit verfloß, man suchte einen Vergleich anzubahnen, aber Flose war dagegen und seine Genossen noch mehr. Am Fasttag oder Freitag sollte das Gericht abends zusammentreten. Auf der einen Seite stand Flose mit seiner Mannschaft, Hald von Sida, Runolf Ulfsohn und die übrigen, auf der anderen Asgrim Ellidagrimsohn, Gissur Hvide, Hjalte Skjeggesohn und Ejnar von Querau mit ihren Schaaren. Die Nialsöhne aber waren bei ihrer Hütte mit ihrem Schwager Kaare und ihren Vettern Thorlejf Kraak, Thorgrim dem Großen und Thorgejr Skoragejr; sie hatten ihre Waffen bei sich und es wagte sich so leicht keiner daran, sie anzufallen. Als die Richter ihren Sitz eingenommen hatten, erhoben die Sigfussöhne die Klage, denn Mörd hatte nun die Sache abgegeben und sie hatten sie in die Hand genommen. Man war schon weit gediehen mit der Aufstellung und Vereidigung von [159] Zeugen, als Thorhald hervortrat und gegen die Weiterführung der Sache Einspruch that, zumal der Mann, welcher zuerst die Klage vorbereitet habe, der Strafe des Gesetzes verfallen sei als ein geächteter Mann. »Wen meinst Du?« fragte Flose. Thorhald antwortete: »Ich meine Mörd Valgardsohn, welcher selbst an dem Ueberfall gegen Höskuld theilnahm und ihm die Wunde versetzte, für die er den Urheber nicht nannte.« Dieser Einwurf konnte nicht niedergeschlagen werden, so daß für Flose nur die Blutrache übrig blieb, falls er Höskuld rächen wollte, und damit hatte denn Mörd ja sein Ziel erreicht. Da erhob sich Nial und bat Hald von Sida, Flose und alle Sigfussöhne sowie auch seine eignen Anhänger, zu bleiben und auf seine Worte zu hören. Sie thaten es, und er sprach: »Mir scheint, diese Klage muß nun abgewiesen werden, und es geschieht damit recht, denn sie ist aus böser Wurzel entsprossen. Aber das will ich Euch sagen, ich liebte Höskuld mehr als alle meine eignen Söhne, und als ich seinen Tod erfuhr, da meinte ich, mein süßester Trost sei mir geraubt und ich hätte lieber alle meine Söhne verloren, wenn er nur am Leben geblieben wäre.« Er bat nun um die Vergunst, ihm für seine Söhne wegen des Mordes an Höskuld einen Vergleich zu gewähren. Gissur und Ejnar baten Flose, darauf einzugehen, er aber versprach nichts. Da bat Hald ihn endlich ebenfalls darum und Flose antwortete: »Ich weiß, Du wirst mich nur um das bitten, was mir zur Ehre gereicht!« und wandte sich nun an die übrigen und sagte: »Um meines Schwiegervaters Hald und der anderen braven Männer willen will ich ihn und die besten Männer auf beiden Seiten das Urtheil fällen lassen. Ich denke, Nial ist es wohl werth, daß ich ihm dieses gewähre.« Nial dankte ihm und den anderen, die zur Erfüllung seines Wunsches beigetragen hatten. Es wurden zwölf Schiedsmänner, sechs von Flose und sechs von Nial gewählt, und darauf reichten sich Nial, Flose und alle Sigfussöhne die Hand, und Nial gelobte für seine Söhne Unterordnung unter die Entscheidung, welche die Schiedsmänner treffen würden. Diese nahmen nun ihren Sitz ein, während alle anderen den Platz verließen. Der Gode Snorre befand sich unter [160] den von Nial gewählten Schiedsmännern; er ergriff zuerst das Wort und rieth eine Geldbuße festzusetzen, denn es würde nur neuen Unfrieden hervorrufen, falls jemand des Landes oder des Gaues verwiesen würde. »Aber ich wünsche,« setzte er hinzu, »daß die Gelbdbuße so hoch angesetzt werde, daß niemand hier im Lande jemals schwerer gebüßt wird als Höskuld.« Seine Worte fanden Anklang, und es wurde durch das Loos bestimmt, wer zuerst die Größe der Buße nennen solle, das Loos aber fiel auf Snorre. Er schlug eine dreifache Mannbuße oder achtzehn Mark Silber (etwa 216 Thlr.) vor und die übrigen stimmten ihm bei. »Aber ich füge die Bedingung hinzu,« sagte Snorre, »daß alles Geld sofort hier auf dem Ting entrichtet werden muß.« »Das läßt sich nicht machen,« meinte Gissur, »so viel Geld haben sie hier nicht bei sich.« Da nahm Gudmund der Mächtige das Wort und sprach: »Ich errathe, was Snorre will; er will, daß wir Schiedsmänner nach Belieben und gutem Willen beisteuern; dann wird mancher andere ebenso thun.« Für dieses Wort dankte ihm Hald von Sida und versprach, er wolle selbst ebensoviel beitragen wie der, welcher am meisten gebe. Die anderen Schiedsmänner erklärten sich gleichfalls mit Gudmund einverstanden. Darnach wurde das Zeichen zur allgemeinen Versammlung gegeben und jedermann ging zum Gesetzberg. Hald trat auf und sagte: »Wir sind in der Sache, die unsrer Entscheidung übergeben wurde, zu einem einmüthigen Beschlusse gekommen. Wir haben eine Buße von achtzehn Mark Silber angesetzt. Wir Schiedsmänner sind gewillt, die Hälfte zu bezahlen; es ist aber meine Bitte und Begehr an die versammelte Gemeine, daß jedermann etwas gebe um Gotteswillen.« Alle erklärten sich bereit, und es wurden Zeugen berufen für das Erkenntniß, daß niemand es brechen dürfe. Nial dankte für die Entscheidung; Skarphedin stand neben ihm, schwieg und lächelte. Die Nialsöhne und Kaare gaben das Silber her, was sie hatten; es betrug drei Mark. Nial legte weitere drei Mark hinzu. Dieses Silber wurde im Gericht gesammelt, und andre Männer legten nun soviel hinzu, daß auch kein Pfennig an der nöthigen Summe fehlte. Nial aber legte[161] einen langen seidenen Mantel und ein Paar Prunkstiefel auf den Haufen als Ehrengabe für Flose. Nun holte Hald Flose und Nial seine Söhne herbei, damit sie sich gegenseitig Frieden und Sicherheit geloben sollten. Unterwegs bat Nial seine Söhne, den Vergleich nicht zu verscherzen. Skarphedin antwortete nicht, sondern strich sich über die Stirn und lächelte. »Das ist viel schönes Geld,« sagte Flose, als er alles gezählt hatte. »Wer aber hat dies hinzugelegt?« rief er aus, indem er den Mantel ergriff und ihn in der Luft schwenkte. Niemand antwortete, Flose aber wieder holte seine Frage mit Hohnlachen, aber auch diesmal erhielt er keine Antwort. »Wagt es denn niemand zu sagen, wer diesen Weiberstaat besessen hat?« rief er endlich. »Wen meinst Du damit?« fragte Skarphedin. Flose antwortete: »Wenn Du es wissen willst, so ist es wohl Dein bartloser Vater, ihm steht solcher Tand an; sieht man ihn, so weiß man nicht, ob er ein Weib oder ein Mann ist.« »Uebel thust Du, so von einem alten Ehrenmann zu reden,« entgegnete Skarphedin, »aber Söhne hat er, die niemals vor der Rache zurückbebten.« Er nahm den Mantel an sich und warf dafür ein Paar blaue Beinkleider Flose vor die Füße; die könne er besser gebrauchen, sagte er, da er in jeder neunten Nacht ein Weib würde und mit dem Teufel Zusammenkünfte hätte auf Svinefjeld. Da stieß Flose mit dem Fuße nach dem Gelde und wollte keinen Pfennig annehmen. »Entweder soll Höskuld ungebüßt bleiben, oder er soll blutig gerächt werden!« rief er aus. Damit wandte er sich an die Sigfussöhne und sagte: »Laßt uns jetzt heimgehen und zusammenhalten wie ein Mann!« worauf sie in ihre Hütten zurückkehrten. »Zu große Unglücksmänner haben Theil an dieser Sache,« äußerte Hald. Nial kehrte mit seinen Söhnen in seine Hütte zurück. »Jetzt trifft es ein, was mir lange Zeit vorschwebte,« sagte er. »Nach Landesgesetz können sie uns nimmer belangen,« meinte Skarphedin. »Darum wird sich noch Schlimmeres für uns ereignen,« antwortete Nial. Die Männer, welche Geld beigesteuert hatten, sprachen davon, es zurückzunehmen. Aber Gudmund der Mächtige rief: »Den Schimpf will ich nicht auf mich laden, [162] zurückzunehmen, was ich einmal verschenkt habe, weder jetzt noch in Zukunft!« »Er hat Recht!« versetzten die übrigen, und so wollte denn niemand etwas zurücknehmen. »Ich rathe dazu,« sagte der Gode Snorre, »daß Gissur und Hjalte das Silber bis zum nächsten Alting in Verwahrung nehmen; eine Ahnung sagt mir, daß wir seiner bedürfen können.« So nahmen denn diese beiden je die Hälfte an sich, worauf alle zu ihren Hütten gingen.
Flose berief sofort alle seine Mannen zu einer Versammlung in der Almannagjaa. Dort fanden sich im ganzen fünf mal zwanzig Mann ein. »Was kann ich in dieser Sache für Euch thun, nach Eurem höchsten Wunsch?« fragte Flose die Sigfussöhne. Gunnar Lambesohn antwortete: »Wir werden nicht eher froh, bis diese Brüder, Nial's Söhne, gefallen sind.« Flose versetzte: »Das Versprechen gebe ich Euch Sigfussöhnen, daß ich von dieser Sache nicht ablassen will, bis ein Theil dem anderen unterliegt. Ich wünsche nun zu wissen, ob jemand unter uns ist, der nicht bis zu diesem Ende mitfolgen will.« Alle versprachen, sie wollten ihm folgen. »So tretet denn heran und schwöret mir, daß niemand sich ausschließen wird,« sagte Flose, worauf sie alle zu ihm kamen und schworen. Er fuhr fort: »Wir müssen uns ebenfalls alle unter einander durch Handschlag verpflichten, daß derjenige Gut und Leben verwirkt hat, welcher unsre Sache verläßt, bevor sie beendigt ist.« Als das endlich geschehen war, sagte Flose zu den Sigfussöhnen: »Wählt nun denjenigen zum Anführer, der Euch als der geeignetste erscheint, denn einer [164] muß an der Spitze stehen.« Ketil von Mörk erwiderte: »Sollen wir Brüder die Wahl haben, so küren wir Dich sogleich, denn Du bist ein Mann aus großem Geschlecht und ein großer Häuptling, klug und unwiderstehlich, und wir hoffen, Du wollest die Sache auf Dich nehmen zu unsrem Besten.« Flose versetzte: »Es ist billig, daß ich auf Eure Bitte hin mich bereit finden lasse; so will ich Euch denn sagen, wie wir zu verfahren haben.« Er legte ihnen nun seinen Plan vor und befahl, denselben geheim zu halten, da das Leben auf dem Spiel stehe. Selbst seinem Schwiegervater Hald wollte Flose nichts mittheilen, da er wußte, derselbe würde von jeglicher Anwendung von Macht und Gewalt abrathen. Er ließ sofort seine Pferde satteln und ritt heim, ohne auf jemand zu warten. Als die übrigen fertig waren, ritten auch sie fort, jeder zu den Seinigen.
Auf dem Hofe Kelde an der Ostrangau nördlich von Trehörninghals wohnte ein Mann namens Ingjald Höskuldsohn. Er war ein angesehener Mann, groß und stark und schnell zur That, wortkarg, aber freigebig gegen seine Freunde. Er war verheiratet mit einer Tochter von Flose's Bruder Egil. Als Flose Männer sammelte als Begleiter zum Ting, um wegen Höskuld des Goden von Hvidenes Klage zu erheben, hatte er auch Ingjald zu sich berufen. Dieser war erschienen mit funfzehn Mann, die alle zu seinem Gesinde gehörten; er war Flose gefolgt während des ganzen Rechtsstreits und hatte auch theil genommen an dem Bunde, der in der Almannagjaa geschlossen wurde und gleich den übrigen denselben vor Flose beschworen. Aber er war von Anbeginn an doch nicht recht geneigt gewesen, zu Flose zu halten, [165] denn er war ein Bruder von Hrodny Höskuldstochter, der Mutter von Nial's Sohn Höskuld. Bald nachdem Ingjald vom Ting zurückgekehrt war, erschien Hrodny bei ihm. Er empfing sie freundlich, allein sie erwiderte seinen Gruß nicht, sondern bat ihn, vor das Haus zu kommen zu einer Unterredung. Als sie sich außerhalb des Hofes befanden, erfaßte sie seine Hand, und sie setzten sich beide. »Ist es wahr,« fragte sie ihn, »daß Du geschworen hast, Nial zu überfallen und ihn und seine Söhne zu tödten?« »So ist es,« antwortete er. »Dann bist Du ein elender Bube,« rief sie, »Du, den Nial dreimal davor behütet hat, Waldgänger zu werden.« »Aber es gilt mein Leben, wenn ich zurücktrete,« versetzte er. »Mit nichten,« sagte sie, »Du wirst Dein Leben erhalten und um so höher geachtet werden, falls Du denjenigen nicht verlässest, dem Du am meisten verpflichtet bist.« Mit diesen Worten zog sie eine leinene Kappe aus der Tasche, welche blutig und durchlöchert war. »Diese Kappe trug Dein Schwestersohn, als sie ihn erschlugen,« fuhr sie fort, »und es ist schlecht von Dir, denjenigen beizustehen, die mit seinen Mördern verwandt sind.« »Es kann wohl sein,« erwiderte er, »daß ich, was auch daraus entspringen mag, nicht gegen Nial ziehe.« »Du kannst Nial und seinen Söhnen einen großen Dienst erweisen,« sprach sie, »wenn Du ihnen mittheilst, was gegen sie geplant ist.« »Nein,« sagte er, »mannhaft ist es, aus dem Bunde zu treten, zumal ich weiß, daß die Rache über mich kommen wird; verrathe ich aber, was meiner Ehrenhaftigkeit anvertraut ist, dann werde ich verachtet von jedermann. Sage Du aber zu Nial und seinen Söhnen, sie mögen sich vorsehen während des ganzen Sommers und viele Männer bei sich haben.« Darnach begab sich Hrodny sofort nach Bergthorshvol und erzählte Nial alles, was sie mit ihrem Bruder geredet hatte. Nial dankte ihr und sagte, sie habe brav gehandelt. »Denn,« versetzte er, »Ingjald würde eine größere Unthat begehen, als alle anderen, wenn er gegen mich zieht.« Darauf theilte er die Nachricht seinen Söhnen mit. Er hatte während des ganzen Spätsommers gegen dreißig waffenkundige Männer bei sich. Kaare war auch mit ihm vom Ting nach Bergthorshvol gezogen. Nial [166] hatte ihn gefragt, ob er nicht nach seinem Hofe reiten und nach seinem Haushalt sehen wolle. »Nein,« war Kaare's Antwort gewesen, »Dein und Deiner Söhne Loos will ich theilen!« worauf Nial ihm dankte und sagte, von ihm könne man solches erwarten.
Auf Bergthorshvol befand sich ein Weib, namens Säun. Sie war sehr alt und die Nialsöhne nannten sie eine alte Närrin, weil sie immer so viel zu schwatzen hatte. Aber sie verstand sich auf viele Dinge und schaute in die Zukunft, so daß manches eintraf, was sie voraussagte. Eines Tages ergriff sie einen Stock, ging um das Haus herum zu einem Schober Vogelgras und begann ihn mit dem Stock zu bearbeiten. Skarphedin wurde dessen gewahr, lachte und fragte, warum sie denn gegen den Schober so erzürnt sei. »Diesen Schober wird man dazu benutzen, Feuer anzulegen, wenn man Nial und meine Hausmutter Bergthora verbrennen will. Nimm ihn und wirf ihn ins Wasser oder verbrenne ihn sobald als möglich.« »Nein,« sagte Skarphedin, »ist es so vorherbestimmt, dann findet sich wohl anderes, um Feuer anzulegen, selbst wenn der Schober entfernt ist.« Das Weib aber fuhr fort, den ganzen Sommer hindurch darüber zu reden, daß man doch den Schober unter Dach bringen möchte, allein es geschah nicht.
Flose und seine Genossen blieben den ganzen Sommer über auf ihren Höfen und bestellten ihre Feldarbeit. Der Anfang des Winters oder der Wintertag, wie er genannt wurde, fiel im Jahre [167] 1011 auf den dreizehnten October. Etwa sechs Wochen vor diesem Tage rüstete sich Flose zum Auszug und entbot alle Männer zu sich, die ihm zu folgen gelobt hatten. Jeder erschien mit zwei Pferden und guten Waffen. Früh morgens am Sonntag den zweiten September ließ Flose für sich und seine Männer auf Svinefjeld eine Messe lesen. Darauf ging er zu Tische und nahm das Frühstück mit ihnen ein; er wies seinem Gesinde an, was sie in seiner Abwesenheit zu thun hätten und ritt dann fort mit seinem Gefolge. Als er ungefähr ein Drittel des Weges zurückgelegt hatte und bei dem Hofe Kirkeböj angelangt war, ging er wiederum zur Kirche und sprach ein Gebet mit seinen Mannen; alsdann stieg er wieder zu Pferde und ritt weiter westwärts. Er nahm seinen Weg nördlich vom Öfjeldsjökul nach dem Markarfluß, ritt während der ganzen Zeit scharf vorwärts und am Montag einige Stunden nach Mittag langte er in Trehörninghals an; denn hier sollten nach seiner Anordnung alle Bundesgenossen an diesem Tage zusammentreffen. Sie er schienen auch alle gegen Abend, nur Ingjald von Kelde kam nicht. Die Sigfussöhne gaben ihrem Zorn in harten Worten Ausdruck. »Laßt uns ihn nicht schelten, während er nicht zugegen ist,« sagte Flose, »später wollen wir ihm seinen Lohn geben.« Darauf ritten sie südwärts, um Bergthorshvol vor dem Abendessen zu erreichen; sie bildeten eine Schaar von ungefähr hundert Mann.
Am Montag Morgen ritten Nial's Söhne Grim und Helge nach einem Hofe, wo sich Kinder von ihnen in Pflege befanden und sagten zu ihrer Mutter, sie würden erst am nächsten Tage wiederkehren. Am Abend desselben Tages sprach Bergthora zu ihrem Gesinde: »Diesen Abend theile ich Euch Eure Mahlzeit nicht zu; [168] Ihr dürft selbst wählen, so daß ein jeder erhält, was ihm am liebsten ist. Es wird wohl der letzte Abend sein, daß ich meinem Gesinde die Mahlzeit vorsetze.« »Das sei ferne,« meinten diese. »Es wird doch so kommen, wie ich sage,« versetzte sie; »ich könnte mehr davon erzählen, wenn ich wollte. Wünschet Ihr ein Zeichen, daß ich die Wahrheit rede, so werden meine Söhne Grim und Helge diesen Abend zurückkehren, bevor Ihr gesättigt seid; trifft das ein, so geschieht mehr von dem, was ich vorausgesagt habe.« Darauf setzte sie das Essen auf den Tisch. Bald nachher sagte Nial: »Es ist doch wunderbar: mir scheint, ich blicke über den ganzen Raum des Hauses hin; die Giebelwand ist fort, aber der Tisch und das Mahl schwimmt in lauter Blut.« Alle entsetzten sich, Skarphedin aber bat sie, nicht üble Nachrede hervorzurufen durch Klagen und unziemliche Geberden. »Uns kommt es mehr als anderen zu, Muth und mannhaftes Herz zu zeigen,« äußerte er. Ehe die Tische weggenommen worden waren, kehrten Grim und Helge zurück. Da wurde allen unheimlich zu Muthe. Nial fragte sie, weshalb sie so bald wiederkämen. Sie versetzten, sie hätten einige Weiber angetroffen, die ihnen mittheilten, sie hätten alle Sigfussöhne, fünfzehn Mann stark, in voller Waffenrüstung auf Trehörninghals zureiten sehen; Grane Gunnarsohn und Gunnar Lambesohn mit einer anderen Schaar hätten dieselbe Richtung verfolgt. »Da meinten wir,« sagte Helge, »Flose müßte von Osten gekommen sein, um mit ihnen zusammenzutreffen; darum wollten wir nirgends anders sein, als wo unser Bruder Skarphedin ist.« Nun gebot Nial, daß niemand zu Bette gehen dürfe, sondern alle sollten gute Wache halten.
In der Nähe von Bergthorshvol befand sich ein Thal. Dahin ritten Flose und seine Mannen und banden ihre Pferde dort an. Auch warteten sie an diesem Ort, bis die Nacht hereinbrach. Jetzt [169] sagte Flose: »Nun wollen wir gegen den Hof hinangehen; wir müssen uns aber dicht geschlossen halten und langsam einherziehen, damit wir sehen, welchen Plan sie fassen.« Nial stand draußen vor dem Hause mit seinen Söhnen und Kaare und allen Dienstmannen, etwa dreißig an der Zahl. »Bleiben sie draußen, dann kann es uns nie gelingen, auf sie einzudringen,« sagte Flose und blieb stehen. »Dann ist es ein klägliches Unternehmen, was wir vorhaben, falls wir sie nicht anzugreifen wagen,« rief Grane Gunnarsohn. »Dahin soll es auch nicht kommen,« versetzte Flose, »wir wollen sie angreifen, selbst wenn sie draußen bleiben; aber wir werden dann solche Verluste erleiden, daß nicht viele werden erzählen können, wer den Sieg davontrug.« »Sie machen halt,« sprach Skarphedin; »sie fürchten, es werde übel für sie ablaufen, falls sie uns angreifen.« »Es wird ihnen noch schwerer werden, uns anzugreifen, wenn wir in das Haus gehen,« erwiderte Nial, »und das wollen wir thun; unser Haus ist eben so stark wie das auf Hlidarende, und doch ging es nur langsam mit dem Angriff auf Gunnar obwohl er allein war.« »Seine Gegner waren wohldenkende Männer,« entgegnete Skarphedin; »sie wollten lieber wieder abziehen, als ihn verbrennen. Aber diese werden uns sofort mit Feuer heimsuchen, wenn sie in andrer Weise keinen Erfolg haben. Sie meinen, und darin haben sie recht, es werde ihr Tod sein, wenn wir ihnen entgehen. Ich aber spüre keine Lust, mich wie ein Fuchs in seiner Höhle räuchern zu lassen.« »Jetzt wollen meine Söhne mir Rathschläge geben,« sprach Nial; »als Ihr jünger waret, befolgtet Ihr meine Rathschläge, und damals gelang Euch alles wohl.« »Laßt uns nach unsres Vaters Willen thun,« sagte Helge, »das frommt uns am meisten.« »Dessen bin ich doch nicht zu sicher,« äußerte Skarphedin, »ihm ist nun der Tod beschieden; aber ich kann schon meinem Vater darin zu Willen sein, mich mit ihm verbrennen zu lassen; ich fürchte den Tod nicht.« Darauf wandte er sich an Kaare und sprach: »Laßt uns bei einander bleiben, Schwager, und uns nicht von einander trennen.« »So habe ich auch gedacht,« antwortete Kaare; »aber ist es uns anders beschieden, dann wird es geschehen und ich kann [170] es nicht ändern.« »Dann räche Du uns,« versetzte Skarphedin, »wie wir Dich rächen, wenn wir Dich überleben.« »So sei es!« sprach Kaare, worauf sie alle hineingingen und sich in der Thür aufstellten. »Jetzt sind sie des Todes,« rief Flose, »laßt uns nun vorwärts eilen und uns unmittelbar vor der Thür aufstellen, damit keiner entweicht, denn das würde uns den Tod bringen!« Sie zogen darauf einen Kreis um das Haus für den Fall, daß es einen geheimen Ausgang habe, Flose aber und seine Mannen näherten sich der Vorderseite des Hauses. Alsbald erhob sich ein Speerkampf. Der erste aus Flose's Schaar, welcher einen Speer entsandte, fiel sogleich durch Rimegyge. »Ihn trafst Du bald,« sagte Kaare zu Skarphedin, »Du bist der trefflichste unter uns allen.« »Dessen bin ich doch nicht ganz sicher,« versetzte Skarphedin und lächelte. Er aber und seine Brüder, sowie auch Kaare verwundeten sehr viele, und Flose und seine Männer konnten nichts ausrichten.
»Großen Schaden haben wir erlitten,« sagte Flose, »wir haben sowohl Verwundete als auch Todte. Durch Waffengewalt bezwingen wir sie nimmer. Es scheint aber auch, daß mancher jetzt langsam zum Angriff ist, welcher zuvor mit dem Munde am eifrigsten war; ich denke hierbei zunächst an Grane Gunnarsohn und Gunnar Lambesohn. Jetzt haben wir die Wahl, entweder fortzuziehen, aber das wird unser Tod sein, oder mir müssen uns des Feuers bedienen; damit indessen laden wir eine große Verantwortung auf uns, zumal wir Christen sind. Gleichwohl müssen wir zu diesem Mittel greifen.« Sie machten also Feuer und errichteten einen großen Scheiterhaufen vor der Thür. »Soll jetzt gekocht werden, Kinder?« rief Skarphedin. »Es soll so [171] warm werden wie nöthig ist, um Dich zu backen!« antwortete Grane Gunnarsohn. Skarphedin versetzte: »Dann lohnst Du mir wie ein elender Bube dafür, daß ich Deinen Vater rächte.« Inzwischen brachten die Weiber Molken und Wasser herbei und gossen es ins Feuer, so daß dieses ausgelöscht wurde. Da sagte der Brudersohn von Hald von Sida, Kol Thorstensohn zu Flose: »Ich habe bemerkt, daß auf die Querbalken ein Bretterboden gelegt ist; laßt uns den Schober von Vogelgras anzünden, welcher auf der Rückseite des Hauses steht und ihn durch das Luftloch auf den Boden werfen.« Dieser Rath wurde befolgt, und die, welche drinnen waren, merkten nichts, bevor alles über ihren Häuptern in lichten Flammen stand, während Flose und seine Mannen große Scheiterhaufen vor allen Thüren anzündeten. Da begannen alle Weiber zu jammern und zu klagen. »Geberdet Euch doch nicht so trostlos,« sprach Nial; »dieses Ungemach geht bald vorüber und es kommt dergleichen nicht wieder; sollen wir brennen in dieser Welt, dann wird Gott wohl so barmherzig gegen uns sein, daß er uns bald aus dem Feuer befreit in jener Welt.« Mit solchen Trostworten suchte er sie während der ganzen Zeit zu ermuthigen. Alsbald aber begann das ganze Haus zu brennen. Nial ging nach der Thür und fragte, ob Flose so nahe sei, daß er seine Worte vernehmen könne, worauf Flose mit Ja antwortete. »Willst Du einen Vergleich mit meinen Söhnen eingehen,« fragte Nial, »oder jemandem den Ausgang gestatten?« »Auf einen Vergleich mit Deinen Söhnen lasse ich mich nicht ein,« antwortete Flose; »ich weiche nicht vom Platze, bis sie alle todt sind, ich will jetzt mit einem Schlage der Sache ein Ende machen. Aber Weibern, Kindern und Dienstmannen will ich den Ausgang gestatten.« Da ging Nial ins Haus und gebot, diejenigen sollten hinausgehen, denen es zugestanden sei. »Gehe Du hinaus, Thorhalle Asgrim stochter,« sprach er zu Helge's Gattin. Thorhalle versetzte: »Ich muß mich anders von meinem Eheherrn trennen, als ich es erwartete, aber ich will von meinem Vater und von meinen Brüdern Rache fordern.« »Möge es Dir wohl ergehen,« sagte Nial; »Du bist ein braves Weib.« Darauf ging [172] Thorhalle hinaus und mit ihr eine große Schaar. Nach ihr wollte Grim's Weib Astrid hinausgehen. »Gehe Du mit mir,« bat sie Helge Nialsohn, »ich will Dich in einen Weibermantel hüllen und Dir ein Kopftuch umbinden.« Helge war anfangs nicht dazu bereit, aber später gab er doch nach um ihrer Bitten willen. Astrid band ihm ein Kopftuch um den Kopf und Skarphedin's Gattin Thorhilde hing ihm den Mantel um, und er ging nun hinaus, die beiden Frauen an seiner Seite, auch folgten ihm Nial's Töchter Thorgjerde, die mit Ketil auf Mörk verheiratet war und Kaare's Gattin Helga. »Dies Weib da ist hochgewachsen und breitschultrig,« rief Flose, als er sie erblickte; »ergreift sie und haltet sie fest.« Helge schleuderte sogleich den Mantel weg, griff nach seinem Schwert, das er unter demselben verborgen trug und hieb einem Mann den Fuß ab. Da kam Flose herbei und hieb Helge in den Hals, daß sein Haupt zur Erde flog. Dann ging er zur Thür, rief Nial und Bergthora und sagte, er wolle mit ihm reden. Nial erschien in der Thür. »Ich will Dir anbieten hinauszugehen, Nial,« sprach Flose; »es ist nicht recht, daß Du verbrennst.« »Ich gehe nicht hinaus,« antwortete Nial; »ich bin jetzt ein alter Mann, so daß ich nicht geeignet bin, meine Söhne zu rächen; mit Schande aber will ich nicht leben.« »So gehe Du denn hinaus, Hausfrau,« wandte sich Flose an Bergthora, »Dich möchte ich um keinen Preis verbrennen.« »Jung wurde ich Nial angetraut,« versetzte sie, »und ich habe ihm gelobt, Wohl und Wehe mit ihm zu theilen.« Mit diesen Worten gingen sie in das Innere des Hauses zurück. »Was sollen wir jetzt thun?« fragte Bergthora Nial. »Wir wollen zu unsrer Ruhe eingehen,« antwortete er; »lange habe ich mich nach Ruhe gesehnt.« Bergthora aber wandte sich zu Kaare's kleinem Sohn Thord, den Nial zu sich genommen hatte, um ihn zu erziehen und gebot, er solle hinausgetragen werden, damit er nicht umkäme. Der Knabe antwortete: »Du hast mir versprochen, Großmutter, daß wir uns nie trennen sollten, so lange ich bei Dir bleiben wolle, und es dünkt mich viel schöner, mit Dir und Nial zu sterben, als Euch zu überleben.« [173] Da trug Bergthora den Knaben zu ihrem und Nial's Lager. Nial aber rief seinen vertrautesten Sklaven zu sich und sagte zu ihm: »Jetzt magst Du wohl acht geben, wohin wir uns legen und wie wir uns bereiten; denn ich gedenke mich nicht von der Stelle zu rühren, wie sehr ich auch durch Rauch und Hitze gepeinigt werde. Dann weißt Du später, wo unsre Gebeine zu finden sind.« Er befahl ihm nun, die frische Haut eines Ochsen, den sie vor kurzem geschlachtet hatten, zu nehmen und über sie hinzubreiten, wenn sie sich niedergelegt hätten. Alsdann legten sich Nial und Bergthora auf das Lager und den Knaben Thord legten sie zwischen sich. »Unser Vater geht frühzeitig zur Ruhe,« sprach Skarphedin, als er sie sich niederlegen sah; »aber es läßt sich ja denken, denn er ist ein alter Mann.« Nial aber und Bergthora zeichneten sich und den Knaben mit dem Kreuz und befahlen ihre Seele in Gottes Hände. Das waren die letzten Worte, die man von ihnen vernahm. Der Sklave nahm die Haut, breitete dieselbe über sie und ging dann zur Thür, um hinauszugehen. Ketil von Mörk empfing ihn und half ihm hinaus. Ketil forschte ihn aufs genaueste aus über seinen Schwiegervater Nial und der Sklave berichtete ihm den Sachverhalt. »Schweres Leid ist uns beschieden, daß wir soviel Unglück erleben müssen!« rief Ketil. Von Nial aber, von Bergthora und Thord Kaaresohn vernahm man keinen Laut mehr, weder Stöhnen noch Husten.
Von dem brennenden Dach und dem Bretterboden fielen fortwährend Feuerbrände in das Gemach. Skarphedin, Kaare und Grim erhoben sie ebenso schnell als sie niederfielen und warfen sie nach den Draußenstehenden, und das währte eine Weile. Die [174] Gegner begannen jedoch sie mit Speeren zu bewerfen, sie aber fingen dieselben im Fluge auf und schleuderten sie zurück, so daß Flose seine Gefährten bat, mit dem Schießen innezuhalten. »Jeglicher Speerwechsel mit ihnen wird uns schwer fallen,« meinte er, »Ihr könnt schon warten, bis das Feuer sie zur Ruhe bringt.« Da fiel das Dach und die großen Balken herab. Bei dem einen Giebel blieb ein Querbalken schräg liegen mit dem einen Ende auf der Hausdiele und dem anderen auf der Krone der Wand, in der Mitte aber war er stark verbrannt. Dahin eilten die drei Männer. Kaare sagte zu Skarphedin: »Hier können wir entwischen; laufe Du den Balken hinan, bevor er ganz durchbrennt; ich will Dir hinaufhelfen und folge Dir dann sofort. Sind wir erst draußen, dann entkommen wir leicht, ohne daß sie uns gewahr werden, denn der Rauch zieht nach jener Seite hin und wir müssen uns in seiner Richtung halten.« »Springe Du voran,« versetzte Skarphedin, »ich folge Dir auf dem Fuße.« »Nein,« sagte Kaare, »ich gelange schon an einer anderen Stelle ins Freie, falls es mir hier nicht glückt.« »Ich springe nicht zuerst hinunter,« sprach Skarphedin, »Du mußt vorangehen.« Kaare erwiderte endlich: »Es ist die Pflicht eines jeden Mannes, sein Leben zu retten, wenn die Gelegenheit da ist, und ich will es thun. Wir aber sehen uns nicht mehr, denn komme ich erst ins Freie, dann habe ich wenig Lust, ins Feuer hineinzuspringen, um Dich zu retten, dann muß jeder seinen eignen Weg gehen.« »Es sollte mich freuen, wenn Du ihnen entkommst, Schwager,« sagte Skarphedin, »Du wirst mich dann rächen.« Kaare ergriff ein brennendes Brett der Wandbekleidung und lief den Balken hinan. Als er auf die Wand hinaufkam, schleuderte er das brennende Brett auf die Draußenstehenden hinab, so daß diese zur Seite wichen. Seine Kleider und Haare brannten lichterloh, in diesem Zustand sprang er von der Wand hinab und lief fort in der Richtung des Rauches. »Sprang da nicht ein Mann von der Wand herab?« rief einer von den Zunächststehenden. »Keineswegs,« antwortete ein andrer; »es wird wohl Skarphedin gewesen sein, der einen Feuerbrand nach uns schleuderte.« Sie faßten also keinen Argwohn. Kaare [175] aber rannte weiter, bis er zu einem Bache kam; in diesen warf er sich nieder und löschte das Feuer. Darauf lief er weiter mit dem Rauche bis zu einem Graben, wo er sich niederlegte, um auszuruhen.
Skarphedin lief unmittelbar nach Kaare den hinuntergefallenen Querbalken hinan; als er aber an die Stelle kam, wo derselbe am stärksten verbrannt war, brach er unter ihm, so daß Skarphedin hinunterstürzte. Er machte einen neuen Versuch und kroch die Wand hinan, aber es stürzte ein andrer Balken auf ihn herab, so daß er zurückfiel. »Nun sehe ich, wie es kommen soll,« sagte er und ging längs der Außenwand dem Ausgange zu. Da kroch Gunnar Lambesohn von außen auf die Wand und erblickte ihn. »Weinst Du jetzt, Skarphedin?« rief er. »Nein, bewahre,« versetzte Skarphedin, »aber soviel ist gewiß, der Rauch beißt in den Augen.« »Aber höre ich recht,« setzte er hinzu, »so lachst Du?« »Freilich lache ich,« erwiderte Gunnar, »und es ist das erste Mal, daß ich es thue, seit Du Thraen auf dem Markarflusse erschlugst.« »Da hast Du eine Gabe zur Erinnerung daran,« sprach Skarphedin und zog aus seiner Tasche einen Backenzahn Thraen's, den er aufgehoben hatte, als er über das Eis hinrollte und schleuderte ihn Gunnar ins Auge, so daß dieses heraussprang und ihm über die Wange herabhing. Gunnar Lambesohn stürzte von der Wand herab. Skarphedin eilte zu seinem Bruder Grim, und sie faßten sich an der Hand und versuchten das Feuer niederzustampfen. Als sie aber in die Mitte des Raumes kamen, sank Grim leblos zur Erde. Skarphedin eilte nun nach dem Ende des Hauses. Da ertönte ein furchtbares Krachen, das ganze Dach stürzte ein [176] und Skarphedin wurde zwischen dasselbe und die Giebelwand eingezwängt, so daß er nach keiner Seite hin auch nur einen Schritt thun konnte. Flose aber und seine Genossen blieben bei dem Feuer, bis der Morgen hereinbrach. Da kam ein Mann auf sie zugeritten. Er sagte, er heiße Gejrmund und sei ein Verwandter der Sigfussöhne. »Es ist eine große That, die Ihr hier vollbracht habt,« äußerte er. »Man wird sie einerseits groß, andrerseits nichtswürdig nennen,« versetzte Flose, »aber dem mag nun sein, wie es will.« »Wie viele haben hier das Leben lassen müssen?« fragte Gejrmund. Flose nannte Nial und Bergthora, alle ihre Söhne, Kaare Sölmundsohn und seinen Sohn Thord. »Du nennst einen Mann todt, mit dem ich diesen Morgen geredet habe,« erwiderte Gejrmund. »Wer ist das?« fragte Flose. »Es ist Kaare Sölmundsohn,« antwortete Gejrmund; »sein Haar und seine Kleider waren versengt und die Klinge seines Schwertes war blau geworden, aber er sagte, er werde sie wieder härten in Flose's und der übrigen Mordbrenner Blut.« Flose versetzte: »Du bringst uns eine Zeitung, die uns keinen Frieden und Ruhe verspricht, und wir wissen nun im voraus, daß viele von uns ihr Leben werden lassen müssen und andre all ihr Gut. Denn der Mann ist entkommen, der Gunnar von Hlidarende in allen Stücken am nächsten steht.« Unterdessen sang Modolf Ketilsohn ein Lied und bekundete darin seine Freude über Nial's Tod. »Darum wollen wir nicht prahlen,« äußerte Flose; »daß Nial verbrannt ist, gereicht uns wenig zur Ehre.« Darauf bestieg er die Giebelwand mit einigen anderen. Da hörten sie, daß zu ihren Füßen im Feuer ein Lied gesungen wurde. »Hat Skarphedin dieses Lied lebend oder todtgesungen?« fragte Grane Gunnarsohn, als das Lied zu Ende war. »Darüber will ich mir nicht den Kopf zerbrechen,« entgegnete Flose. »Laßt uns nach Skarphedin's Leib suchen und der übrigen, die hier verbrannt sind!« sprach Grane. »Mit nichten,« antwortete Flose, »solches kann nur Narren wie Dir einfallen, jetzt, wo man Mannschaft gegen uns aufbietet im ganzen Gau; gar bald wird dem, welcher jetzt so gute Laune hat, so angst und bange sein, daß er nicht weiß, [177] wohin er sich wenden soll. Mein Rath ist, daß wir alle schleunigst fortreiten.« Damit eilte er zu seinen Pferden und alle seine Genossen folgten seinem Beispiel.
»Was ist nun Euer Wunsch hinsichtlich Ingjald's?« fragte Flose die Sigfussöhne; »sollen wir ihm verzeihen oder sollen wir gegen ihn ziehen und ihn tödten?« Jene wollten alle gegen ihn ziehen und ihn tödten. Da sprang Flose auf sein Pferd, die anderen thaten das Gleiche, und so ritten sie fort. Flose ritt voran, lenkte sein Pferd zur Rangau und verfolgte ihren Lauf aufwärts. Bald sah er einen Mann auf der anderen Seite der Au abwärts reiten und erkannte ihn als Ingjald. Er rief ihn an und Ingjald hielt an. »Du hast Dein Wort gebrochen,« rief Flose, »und Leben und Gut verspielt. Die Sigfussöhne wollen Dich darum tödten. Mir aber scheint, Du bist in einer schlimmen Lage gewesen und ich will Dir Dein Leben schenken, sofern Du mir es überlässest, Deine Strafe zu bestimmen.« »Ehe ich das thue, will ich hinreiten, um mich Kaare anzuschließen,« entgegnete Ingjald; »den Sigfussöhnen aber will ich antworten, daß ich sie nicht mehr fürchte, als sie mich.« »So halte stille, wenn Du Dich nicht fürchtest,« rief Flose. »Das will ich thun,« erwiderte Ingjald. Flose ließ sich von seinem Brudersohn Thorsten Kulbensohn, der ihm zur Seite ritt, einen Speer reichen und schleuderte ihn über die Au. Derselbe traf Ingjald auf der linken Seite, drang durch seinen Schild in den Schenkel oberhalb der Kniescheibe und tief in den Sattel, wo er stecken blieb. »Traf ich Dich?« rief Flose. »Freilich trafst Du mich,« rief Ingjald zurück, »aber das nenne ich nur eine Ritze und keine Wunde.« Mit diesen Worten riß er den Speer aus der Wunde. »So halte [178] Du denn nun still, wenn Du Dich nicht fürchtest,« rief er Flose zu und sandte den Speer über die Au zurück. Flose erkannte, daß derselbe gerade gegen seine Brust heranflog und zog sein Pferd zurück. Der Speer sauste vorbei und traf Thorsten mitten in den Leib, so daß er todt vom Pferde sank. Ingjald aber sprengte fort in den Wald, so daß sie ihn nicht erreichen konnten. »Wir haben einen schweren Verlust erlitten,« sprach Flose zu seinen Mannen – denn Thorsten war einer der tapfersten Männer in seinem Gefolge und sehr beliebt gewesen – »und wir mögen daraus wohl erkennen, wie wenig Glück wir haben. Ich rathe jetzt, daß wir sogleich hinaufreiten auf den Berg Trehörninghals; unsre Feinde bieten schon Mannschaft gegen uns auf; dort aber werden sie uns am wenigsten suchen und wir können von dort aus jede Bewegung im ganzen Gau übersehen. Dort wollen wir drei Tage verweilen, bis wir ohne Gefahr fortreiten können. Für Euch Sigfussöhne aber ist es nicht rathsam, daß jemand von Euch auf seinem Hofe hier im Flußthal bleibt, denn dort würde man Euch bald heimsuchen. Darum lade ich Euch ein, mit mir nach Svinefjeld zu kommen.« Alle erklärten. Flose's Rath befolgen zu wollen und dankten ihm für sein Anerbieten. Darauf ritt die ganze Schaar zum Trehörning hinauf.
Nachdem Kaare Gejrmund begegnet war, lieh er sich ein Pferd und ritt zu Mörd Valgardsohn auf Hof. Er erzählte Mörd, was geschehen sei, und dieser zeigte großen Unmuth und Schmerz deswegen. »Jetzt haben wir anderes zu thun,« sagte Kaare, »und männlicher zu handeln als über die Todten zu weinen,« und forderte, Mörd möge lieber Mannschaft sammeln. Mörd versprach es, und so verabredeten sie denn den Ort der Zusammenkunft. Darnach machte sich Kaare auf den Weg zu Hjalte Skjeggesohn im Thale der Thjorsau. Unterwegs traf er Ingjald von Kelde und vernahm von ihm, daß Thorsten Kulbensohn durch seine Hand gefallen sei. »Das war eine tüchtige That,« versetzte Kaare und darauf ritten sie beide zu Hjalte. Dieser ergrimmte aufs heftigste und sagte, man müsse sofort den Mordbrennern nachfolgen. Er bot eine große Schaar auf und ritt mit Kaare fort, um sich mit Mörd zu vereinigen. Dieser war schon an dem bestimmten Ort mit einer großen Anzahl von Männern angelangt. Die ganze Schaar [180] theilte sich in mehrere Haufen, welche nach allen Seiten hin auszogen, um den Mordbrennern nachzuspüren. Eine Schaar ritt ostwärts zu Nial's Brudersohn Thorgejr Skoragejr auf Holt. Sie verkündeten ihm das Geschehene und fragten, ob Flose nicht mit seiner Schaar vorübergezogen sei. »Nein,« antwortete Thorgejr, »ich bin zwar kein großer Häuptling, aber Flose würde sich doch nicht so leicht getrauen, vor meinen Augen vorüberzureiten, nachdem er meinen Oheim und meine Neffen umgebracht hat. Nein, Ihr habt in der Ferne gesucht, was Euch nahe war und das beste, was Ihr thun könnt, ist, daß Ihr dahin zurückkehrt, woher Ihr gekommen seid. Kaare aber mögt Ihr ansagen, er möge zu mir kommen, wann es ihm gefällt, und bei mir wohnen; will er es nicht, so werde ich seinen Hof verwalten, falls es ihm recht ist. Ihr sollt ihm außerdem sagen, daß ich ihm Hülfe leisten und ihn zum Alting begleiten will; er wird schon wissen, daß wir Brüder die nächsten daran sind, gerichtliche Klage zu erheben wegen Nial's und seines Hauses. Wir sind aber gesonnen, so in der Sache zu verfahren, daß die Aechtung darauf folgt, soweit wir es durchsetzen können, und darnach Blutrache.« Die Männer ritten nun nach Hof zu Mörd Valgardsohn zurück, woselbst sie Kaare antrafen; derselbe wurde hocherfreut durch die Botschaft von Thorgejr. »Sein Anerbieten will ich nicht von mir weisen,« sprach er; »giebt es viele von seinesgleichen, dann dürfen wir das beste hoffen.« Schließlich kamen alle Schaaren bei Mörd zusammen, aber niemand hatte die Spur der Mordbrenner gefunden. Einige unter ihnen wollten sogleich gegen die Höfe der Sigfussöhne im Flußthale ausziehen und sie zerstören, Mörd aber rieth davon ab. »Wenn ihre Höfe verschont bleiben,« sagte er, »so werden sie heimkehren, um ihre Frauen zu besuchen und dann können wir sie dort fangen, wenn erst einige Zeit verflossen ist.« Im übrigen versicherte er, er werde jetzt Kaare treu sein in jeglicher Weise und ihm bei allen Unternehmungen beistehen. Darauf ließen sie die ganze Mannschaft auseinander gehen.
Von Hof kehrte Kaare mit Hjalte Skjeggesohn heim. Bald nachher bat er Hjalte, mit ihm nach der Brandstätte auf Bergthorshvol zu reiten, um nach den Todten zu suchen. Sie ritten dahin in einer Schaar von funfzehn Mann, und unterwegs stießen viele zu ihnen, so daß mit den Nachbarn von Bergthorshvol hundert Mann zur Stelle waren. Kaare führte Hjalte dahin, wo Nial's Gebeine sich finden mußten. Sie mußten zuerst eine große Menge Asche wegräumen. Unter derselben fanden sie die Ochsenhaut, welche von der Hitze stark eingeschrumpft war. Als sie dieselbe entfernten, lagen Nial und Bergthora da und waren gar nicht versengt. Das erschien allen als ein großes Wunder, und sie priesen Gott dafür. An dem Knaben Thord aber, welcher zwischen ihnen lag, war ein Finger verbrannt, den er unter der Ochsenhaut hervorgesteckt hatte. Die Leichen wurden ins Freie getragen, und alle traten heran, um sie anzuschauen. Man fragte Hjalte, was er von ihnen sage. »Darüber komme ich leicht ins reine,« versetzte er; »Bergthora's Leiche erscheint mir von einem Aussehen, wie es zu erwarten war, aber immerhin noch ziemlich unbeschädigt; Nial's Leiche und Angesicht aber erscheint so ungewöhnlich, daß ich niemals bei einem todten Mann einen so hellen und verklärten Ausdruck sah.« Alle gaben ihm Recht. Darauf suchte man nach Skarphedin's Leiche und fand sie. Er stand da an den Giebel gelehnt, und seine Beine waren ihm bis zu den Knien verbrannt, sein übriger Körper aber war unversehrt, sogar die Kleider. Er hatte sich in die Lippen gebissen und seine Augen standen offen, waren aber nicht gebrochen. Er hatte seine Hände, die rechte zu oberst, über der Brust gekreuzt. Als man ihn entkleidete, fand man, daß ein Kreuz in die Haut zwischen den Schultern und ein andres auf der Brust eingebrannt war; und man war der Meinung, daß er es selbst gethan habe. Alle äußerten, es sehe besser bei dem todten Skarphedin aus, als sie[182] erwartet hätten, und keiner schrak vor ihm zurück. Die Axt Rimegyge hatte er so kräftig in den Giebel hineingetrieben, daß sie bis zur Mitte des Eisens eingedrungen war und sie war deshalb nicht weich geworden durch das Feuer. Hjalte sprach. »Dies ist eine seltene Waffe, und wenige werden geschickt sein, sie zu führen.« »Ich kenne indessen einen Mann, der sie führen soll,« sagte Kaare. »Wen meinst Du?« fragte Hjalte. Kaare nannte Thorgejr Skoragejr und versetzte: »Ihn halte ich nunmehr für den besten Mann in diesem Geschlecht.« Grim's Gebeine fand man in der Mitte des Wohnraumes, sowie man auch das alte Weib Säun und vier andre fand. Alle Leichen wurden nach der Kirche übergeführt und bestattet, worauf Hjalte von Kaare begleitet heimkehrte.
Später ritt Kaare zu Asgrim Ellidagrimsohn auf Tunge. Dahin war auch Helge Nialsohn's Wittwe Thorhalle zurückgekehrt und hatte das Unglück auf Bergthorshvol verkündet. Asgrim empfing Kaare mit offnen Armen und bat ihn zu bleiben und ließ ebenfalls alles Gesinde zu sich kommen, das auf Bergthorshvol gewesen war. Als Asgrim's Sohn Thorhald vernahm, sein Pflegevater sei im Feuer umgekommen, wurde er so erschüttert dadurch, daß er aufschwoll und ihm ein Blutstrom aus beiden Ohren hervorschoß. Schließlich sank er ohnmächtig nieder, und da erst hörte das Blut auf zu strömen. Als er wieder zu sich kam, stand er auf und sagte: »Ich weiß, daß ich mich unmännlich benehme; aber ich werde nicht ruhen noch rasten, bis ich meinen Pflegevater gerächt habe.« Kaare verweilte bei Asgrim den ganzen Winter über. Er konnte in der Nacht nicht schlafen, er sann beständig auf Rache. Auch sprach er von niemand so viel [183] als von Nial und Skarphedin, Bergthora und Helge. Aber er schalt niemals seine Feinde und stieß niemals drohende Worte gegen sie aus. Denn wohl läuft der Mund davon über, wes das Herz voll ist; aber was dieses in seinen innersten Tiefen verbirgt, das kommt niemals über die Lippen.
Wir müssen uns wieder zu Flose und seinen Männern wenden, die wir auf Trehörninghals verlassen haben. Die Sigfussöhne wollten gern ihre Höfe aufsuchen und das Nöthige anordnen, bevor sie Flose nach Svinefjeld folgten. Flose aber rieth davon ab. »Unsre Gegner werden gerade erwarten, daß Ihr nach Euren Höfen zurückkehrt und Eure Frauen besucht,« sprach er, »und darum werden sie Eure Höfe in Frieden und unversehrt lassen. Ich rathe, es möge sich keiner von den übrigen trennen, sondern alle mögen ostwärts mit mir reiten.« Sie blieben nun alle drei Tage lang auf Trehörninghals und von dort aus konnten sie nach allen Seiten hin sehen, wie ihre Feinde im Gau herumritten. Darauf ritten sie alle ostwärts nach Svinefjeld. Nach seiner Heimkehr sandte Flose sogleich Männer aus, um Vorrath zu sammeln, damit kein Mangel eintreten möge, und so saß er denn das Weihnachtsfest über ruhig daheim. Er rühmte sich seiner That niemals, zeigte sich aber auch nie furchtsam. Als die Weihnachtszeit verflossen war, sprach er zu seinen Genossen: »Jetzt, scheint mir, wird es uns nicht mehr vergönnt sein, ruhig da zu sitzen; wir müssen jetzt aufbrechen und umherziehen und um Hülfe bitten. Jetzt aber wird sich als Wahrheit erweisen, was ich zuvorgesagt habe, wir werden manchem Mann zu Füßen fallen müssen, ehe wir diese Sache beendet sehen.« So rüsteten sich denn alle zum Aufbruch. Flose selbst wollte zu Fuß gehen, denn dann würden die übrigen weniger dagegen einwenden, dasselbe zu[184] thun. Zuerst kam er zu seinem Schwiegervater Hald auf Sida und bat ihn, ihm Beistand zu leisten und auf dem Tinge mit allen seinen Mannen zu erscheinen. Hald antwortete: »Dir meine Hülfe zu leisten, bin ich Dir schuldig in jeder Weise. Aber jetzt geht es, wie es im Sprichwort heißt, daß nur kurze Weile die Hand sich des Kampfes freut und derjenige in Deiner Schaar, welcher früher am ärgsten aufreizte zu böser That, läßt jetzt am meisten den Kopf hängen.« Hald gab Flose den Rath, in weitem Umkreise im ganzen Ostviertel sich Helfer zu suchen. »Du wirst ihrer insgesamt bedürfen, ehe das Ting zu Ende ist,« äußerte er. Flose verblieb bei Hald drei Nächte über, um sich auszuruhen. Darnach machte er sich auf den Weg und kam weit herum zu vielen Häuptlingen. An einigen Stellen nahm man ihn besser auf als an anderen, aber doch überall wohl. Wenn er aber sein Anliegen nannte, lauteten die Antworten ganz ungleich. Manche sagten, es sei ihre Pflicht und Schuldigkeit, ihm beizustehen, andre aber ließen sich nicht dazu bewegen, bevor er ihnen Geld gab. Bei Gudmund's des Mächtigen Schwiegersohn Sörle Brodhelgesohn wurde Flose freundlich aufgenommen, aber Sörle meinte, er wisse nicht, was er auf Flose's Bitte antworten solle; »ich weiß nämlich nicht,« äußerte er, »auf wessen Seite mein Schwiegervater steht, und ihm will ich mich anschließen.« »Du stehst unter Weiberherrschaft,« entgegnete Flose und ritt sogleich weiter. Als er zu Sörle's Bruder Bjarne kam, bot er ihm sogleich Geld. »Niemals habe ich meinen Mannesmuth für Geld verkauft,« rief Bjarne und versprach, Flose zu folgen. Endlich müssen wir unter denen, die Flose gewann, noch Thorkel Gejtesohn nennen. Schließlich kam er zu Hald zurück, blieb dort mit seinen Männern einen halben Monat und pflegte der Ruhe. Hald gab ihm den Rath, jetzt ruhig auf seinem Hofe daheim zu verweilen und die Sigfussöhne bei sich zu behalten. »Und wenn Ihr zum Ting reitet,« sagte er, »dann müßt Ihr bei einander bleiben und Eure Schaar nicht trennen. Ich werde dann ebenfalls zum Ting reiten mit meinem Sohne Liot und allen unsren Hintersassen, und wir werden Dir helfen, wo wir es vermögen.« Flose dankte ihm. Beim Abschied [185] gab Hald ihm gute Gaben, und Flose kehrte nach Svinefjeld zurück. Er blieb den Rest des Winters und während des ganzen Sommers bis zur Tingzeit zu Hause.
Einst unterredeten sich Kaare und Asgrim über die gerichtliche Klage. Asgrim fragte, welche Hülfe Kaare gewonnen habe. Kaare entgegnete, daß Hjalte Skjeggesohn und Mörd Valgardsohn ihm nach allen ihren Kräften helfen würden, ebenso wie Thorgejr Skoragejr und seine Brüder. »Das ist eine große Macht,« meinte Asgrim. »Welche Hülfe empfangen wir von Dir?« fragte Kaare; »Alle Hülfe, die ich leisten kann,« war Asgrim's Antwort; »ich will mein Leben daran setzen und habe auch gute Versprechungen von Gissur Hvide empfangen.« Eines Tages ritt denn Kaare mit Thorhald Asgrimsohn nach Mosfjeld, um mit Gissur zu reden. Dieser empfing sie mit offenen Armen, und sie verweilten lange bei ihm. Schließlich meinte Kaare, er müsse heimreiten. »Du darfst nicht heimkehren,« sprach Gissur, »bevor Du Mörd Valgardsohn veranlaßt hast, die Erhebung der Klage zu übernehmen. Das soll er thun, mag er wollen oder nicht. Es ist nicht mehr als billig, daß ihm das Schwerste aufgebürdet wird, denn er hat sich in dieser ganzen Sache am übelsten benommen.« Darauf wies er Kaare an, wie er verfahren solle, um Mörd zu zwingen. Nach Gissur's Rath ritt nun Kaare zuerst zu Thorgejr Skoragejr, welcher der nächste Anverwandte Nial's war, und von ihm und seinen Brüdern gefolgt, ritt er nach Hof. Mörd empfing sie freundlich, als aber Kaare die Botschaft vorbrachte, die er ihm von seinem Schwiegervater Gissur zu überbringen hatte, antwortete Mörd ausweichend. »Es ist zehnmal gefährlicher, gegen Flose eine Klage anhängig zu machen, als gegen einen anderen,« meinte er. »Es geht so, wie Gissur es sich gedacht hat,« versetzte Kaare; »bei Dir[186] ist nichts Gutes zu suchen. Du bist furchtsam und feig. Deshalb sollst Du aber auch den Lohn empfangen, den Du verdient hast, nämlich daß Thorkatle sogleich von Dir zu ihrem Vater zurückkehre.« Jene machte sich schnell zur Abfahrt bereit und äußerte, sie sei schon längst willens gewesen, sich von Mörd zu scheiden. Dieser aber änderte sofort Gesinnung und Rede, bat sie, ihm nicht zu zürnen und übernahm die Sache. »Jetzt hast Du die Sache auf Dich genommen,« sagte Kaare; »führe sie nun ohne Furcht, denn es gilt Dein Leben.« Mörd versprach, er werde sie ebenso klug wie mannhaft zu Ende bringen. Er berief sogleich Zeugen und besorgte die Vorladung vor Gericht. Er verabredete mit Thorgjer, daß sie mit einander zum Ting reiten wollten, und sie verbanden sich durch Handschlag und Eid, daß keiner den andern verlassen dürfe, so lange Kaare es wünsche und daß der eine für den andern sein Leben einsetzen sollte. So schieden sie in Freundschaft, Thorgejr kehrte heim, Kaare aber ritt zu Asgrim und blieb bei ihm, bis die Tingzeit herannahte.
Als die Zeit des Tinges nahe war, bekam Thorhald Asgrimsohn einen bösen Schaden am Fuß, so daß derselbe stark anschwoll oberhalb des Knöchels und er nur mit Hülfe eines Stabes zu gehen vermochte. Er war übrigens von hohem Wuchs, stark an Kräften, hatte dunkles Haar und dunkle Hautfarbe, war von heftiger Sinnesart, aber vorsichtig in der Wahl seiner Worte. Da man nun zum Ting reiten sollte, sagte Asgrim zu Kaare: »Du mußt mit zwanzig Man vorausreiten, damit Du vor Anfang des Tings ankommen und unsre Hütten zelten kannst. Mein Sohn Thorhald soll mit Dir ziehen, denn ihn werden wir wohl [187] gebrauchen können auf dem Ting; er ist aber lahm, und Du wirst gut und vorsichtig mit ihm umgehen müssen.« So machten denn Kaare und Thorhald sich bereit und ritten zum Ting mit ihren Mannen, zelteten die Hütten und setzten alles in Stand. – Flose ritt von Hause, begleitet von den hundert Mann, die mit ihm bei dem Brande gewesen waren. Als sie in das Flußthal kamen, begaben sich die Sigfussöhne nach ihren Höfen und verweilten dort einen Tag. Am Abend versammelten sich alle wieder und ritten weiter. Am folgenden Tage näherten sie sich Tunge. »Wir wollen unser Frühstück bei Asgrim einnehmen,« sagte Flose zu den Seinigen, »und wollen thun, als wenn gar nichts zwischen uns wäre, das wird ihn erbittern.« Asgrim stand mit einigen Männern vor dem Hause. »Da kommt Thorgejr Skoragejr,« sagte einer derselben. »Das glaube ich nicht,« antwortete Asgrim; »diese Männer fahren einher mit Lachen und Geschrei; solche Verwandte Nial's aber, wie Thorgejr Skoragejr, die lachen nicht, bevor die Brandsache gerächt ist. Ich glaube, es ist Flose mit seinen Mordbrennern, die uns reizen wollen. Laßt uns jetzt ins Haus gehen.« Darauf ließ Asgrim das ganze Haus fegen und zelten, ließ Tische aufstellen und Speise auftragen und ließ längs der Innenseite der Tische Sessel aufpflanzen, damit die vielen Männer Platz finden könnten. Bald darnach kam Flose; er ritt mit den Seinigen geraden Wegs auf den Hofplatz hinein, ließ sie absitzen und ging mit ihnen ins Haus. Asgrim saß auf der Querbank, grüßte Flose aber nicht. »Die Tische sind aufgestellt, damit die essen können, die der Speise bedürfen,« sagte er. Flose und seine Genossen legten ihre Waffen ab, setzten sich zu Tische und aßen, aber vier Mann blieben in voller Waffenrüstung bei Flose's Platz stehen. Asgrim schwieg während der ganzen Zeit, aber sein Angesicht war roth wie Blut. Als Flose und seine Männer gesättigt waren, räumten die Weiber den Tisch ab, einige aber von ihnen trugen Wasser herbei, um die Hände zu waschen. Flose ließ sich gute Weile und benahm sich in jeglicher Weise, als wenn er zu Hause sei. Da ergriff Asgrim mit beiden Händen eine Holzaxt, die auf der Ecke der Bank, auf welcher er saß, gelegen [188] hatte, sprang auf den Fußschemel und hieb nach Flose's Kopf. Aber einer von Flose's Mannen hatte Asgrim's Absicht bemerkt, sprang auf, riß ihm die Axt aus den Händen und wandte deren Schneide gegen ihn selbst, während mehrere andre auffuhren und ihn festhielten. Flose jedoch befahl, man dürfe Asgrim kein Leid anthun. »Wir haben ihn allzusehr gereizt,« sprach er, »er konnte nicht anders handeln und hat sich unerschrocken gezeigt.« Darauf wandte er sich zu Asgrim und sagte: »Wir scheiden jetzt in Frieden, treffen wir aber auf dem Ting zusammen, so nehmen wir unsere Sache von neuem wieder auf.« »Das wird nicht fehlen,« erwiderte Asgrim, »und zwar will ich wünschen, daß Ihr weniger bereit seid zu rascher That, wenn das Ting vorüber ist.« Flose gab keine Antwort, sondern ging mit seinen Genossen hinaus, stieg zu Pferde und ritt weiter. Später begegnete er Hald von Sida und den Männern von den Ostfjorden und erzählte ihnen, wie es ihm mit Asgrim ergangen sei. Viele lobten ihn deswegen, Hald aber tadelte ihn: »Das war thöricht gehandelt« versetzte er; »jene hätten ihres Unglücks schon gedacht, welches sie erlitten haben, ohne daß man es ihnen aufs neue ins Gedächtnis zu rufen brauchte, und nur Böses haben die Männer zu erwarten, welche andre so heftig reizen.« Sie ritten nun zusammen weiter. Als sie dem Tingfeld nahe waren, ordneten sie ihre Schaar wie zum Kampf und ritten so in das Feld hinein und suchten ihre Hütten auf. Thorgejr Skoragejr ritt ebenfalls von Hause von einer großen Schaar begleitet, und seine Brüder Thorlejf Kraak und Thorgrim der Große schlossen sich ihm an. Als sie nach Hof kamen, warteten sie auf Mörd, bis er bereit war und jeden waffenkundigen Mann aufgeboten hatte; sie konnten ihm nichts anderes anmerken, als daß er voll Muth sei. Weiter westlich warteten sie auf Hjalte Skjeggesohn, später stieß Asgrim Ellidagrimsohn zu ihnen und zuletzt Gissur Hvide mit einem sehr großen Gefolge. Sie ordneten gleichfalls ihre Schaar, als sie sich dem Tingfelde näherten, und ritten so in dasselbe hinein. Flose und seine Mannen griffen alle nach ihren Waffen, als sie sie erblickten, und es hing an einem Haar, so wäre es zum Kampf gekommen. Asgrim [189] aber und alle seine Gefährten ritten unbekümmert nach ihren Hütten, und es blieb an diesem Tage ruhig, so daß sie nicht an einander geriethen. Es waren übrigens viele Häuptlinge aus allen Gegenden des Landes auf diesem Ting erschienen, und niemals hatte seit Menschengedenken ein so zahlreich besuchter Ting stattgefunden wie dieser.
Eines Tages ging Flose nach Bjarne Brodhelgesohn's Hütte, um mit diesem die Sache zu bereden. »Es giebt nur zwei Wege für Dich,« sagte Bjarne; »entweder kannst Du um einen Vergleich bitten, und das ist ein sehr guter Weg, oder Du kannst Deine Sache nach dem Gesetz vertheidigen, indem Du Einwände suchst; in diesem Falle aber muß mit Schlauheit und List vorgegangen werden. Indessen ziemt es sich für Euch am besten, dieses Verfahren einzuschlagen, da Ihr bis hierher mit Gewaltthat vorgegangen seid. Giebt es aber einen gesetzeskundigen Mann in Eurer Schaar?« »Ich kenne keinen außer Thorkel Gejtesohn,« antwortete Flose. »Er ist brav und muthig,« entgegnete Bjarne, »und er wird Dir nach besten Kräften zu Diensten sein. Aber niemand darf hoffen, ihn vor sich zu stellen, um die Hiebe der Feinde aufzufangen. Denn das will ich Dir sagen, der Tod jenes Mannes ist besiegelt, der in der Brandsache Einwände macht, und solches wünsche ich meinem Vetter Thorkel nicht.« »Dann wüßte ich nicht, wo wir einen brauchbaren, gesetzeskundigen Mann finden können,« versetzte Flose. »Da ist ein Mann namens Eyjolf Bölverksohn,« sprach Bjarne; »er ist der gesetzeskundigste Mann im Westviertel; aber Du wirst ihm viel Geld geben müssen, falls Du ihn in die Sache mit hineinziehen willst. Jetzt aber will ich mit Dir gehen und Hülfe werben.« Darauf gingen beide hinaus. Sie [190] fragten, begleitet von einem großen Haufen Männer, bei mehreren mächtigen Bauern herum und empfingen auch von vielen die Zusage der Unterstützung, aber an manchen Orten mußte Flose vorher mit Geld lohnen. Dabei kamen sie an einer Hütte vorbei, vor deren Thür mehrere Männer saßen; einer derselben trug einen Scharlachmantel um die Schultern, ein goldenes Stirnband auf dem Kopfe und eine silberbeschlagene Axt in der Hand. »Da haben wir Eyjolf, wenn Du mit ihm reden willst,« äußerte Bjarne. Eyjolf war ein angesehener Mann, von dem man erwartete, daß er einst ein großer Häuptling werden würde, groß und stark und von schönem Äußeren; er war einer der gesetzeskundigsten Männer auf Island, aber auch habsüchtig wie sein ganzes Geschlecht. Flose und Bjarne traten an ihn heran und grüßten ihn. Er erkannte Bjarne sogleich und empfing sie freundlich. Bjarne erfaßte seine Hand und führte ihn nach der Almannagjaa zu. Eyjolf's Mannen folgten, sowie auch die Flose's und Bjarne's. Letztere aber baten sie, auf dem Ostrande der Kluft zu bleiben und gingen dann mit Eyjolf weiter nach dem Westrande und setzten sich dort nieder, wo der Weg thalabwärts führt; nur ein vierter Mann blieb bei ihnen, Halbjörn der Starke geheißen, welcher zu Flose's Schaar gehörte. »Wir haben Dich aufgesucht, mein Freund,« sagte Bjarne zu Eyjolf, »weil wir Deiner Hülfe bedürfen.« »Es ist jetzt viel Auswahl an Männern,« antwortete Eyjolf, »und es würde Euch leicht fallen, Männer ausfindig zu machen, die weit stärker sind als ich.« »Keineswegs,« antwortete Bjarne, »Du bist aus edlem Geschlecht; Deine Vorfahren haben stets mit großen Sachen zu thun gehabt und immer den Sieg davongetragen; Du wirst sicher ebenso siegreich sein wie die Deinigen.« »Du führst zwar schöne Reden,« versetzte Eyjolf, »aber ich hege keine solche großen Erwartungen von mir selbst.« »Der gerade Weg ist der beste,« rief Flose und bat ihn, ihre Sache vor Gericht zu führen. Da aber sprang Eyjolf im Zorn auf und erwiderte: »Jetzt sehe ich, wo Ihr mit Euren schmeichlerischen Worten hinaus wollt; aber niemand möge glauben, er könne mich als Schild oder Sturmläufer gebrauchen wider meinen Willen.«[191] Zugleich sprang auch Halbjörn auf, ergriff Eyjolf an den Schultern und drückte ihn nieder zwischen sich und Bjarne. »Der Baum fällt nicht beim ersten Streich, mein Lieber,« versetzte er; »setze Du Dich nur zu uns.« Flose jedoch zog einen schönen und kostbaren Goldring von seiner Hand, indem er sprach: »Diesen Ring will ich Dir schenken für Deine Freundschaft und Hülfe, damit Du wissest, daß ich Dich nicht hinter das Licht führen will.« Halbjörn streifte den Ring auf Eyjolf's Finger, worauf dieser erwiderte: »Wenn dem so ist, so kann ich wohl nichts Besseres thun, als den Ring annehmen, zumal Du Dich so brav zeigst, und Du kannst nun sicher sein, daß ich thun werde, was nöthig ist.« »So sind denn ich und Halbjörn Zeugen, daß Du die Sache übernommen hast,« setzte Bjarne hinzu. Flose und Eyjolf standen auf und reichten sich die Hand, und Eyjolf übernahm die Sache von Flose; er bat aber, sie möchten es niemand erzählen, daß er Geld dafür empfangen habe, denn wenn die Sache vor das Fünftegericht käme, dann sei sie verloren, falls das bekannt würde. Darauf ging Flose von Bjarne begleitet nach seiner Hütte. Eyjolf aber ging nach der Hütte des Goden Snorre, setzte sich nieder und unterredete sich eine Weile mit ihm. Während des Gespräches erfaßte Snorre Eyjolf's Hand, strich den Aermel zurück und erblickte den Ring. »Hast Du diesen Ring gekauft oder ihn als Gabe empfangen?« fragte er. Eyjolf erwiderte kein Wort. »Es ist mir klar, daß er ein Geschenk ist,« fuhr Snorre fort; »möge er Dir nicht den Tod bringen!« Eyjolf sprang auf und schickte sich zum Fortgehen an. »Ja, soviel ist sicher,« sprach Snorre, »wenn dieses Ting zu Ende ist, so weißt Du, was es für eine Gabe ist, die Du empfangen hast.« Eyjolf aber schwieg und ging nach seiner Hütte.
Gissur meinte, Kaare müsse umhergehen und Hülfe suchen, und Asgrim gab ihm recht. So gingen denn die einsichtsvollsten Männer, die auf dieser Seite standen, auf dem Tinge herum. Voran schritt Gissur, ihm folgte Hjalte, dann Kaare, ferner Asgrim, nach ihm kam Thorgejr Skoragejr und zuletzt dessen Bruder. Sie gingen zuerst zu Skapte Thorodsohn. Er aber wollte ihnen jetzt ebenso wenig beistehen wie im vorigen Jahre. »Das habe ich mir vorgenommen,« versetzte er, »als Skarphedin mit seiner scharfen Zunge Worte des Hohns gegen mich ausstieß, daß ich niemals mich daran betheiligen wolle, Buße für ihn zu fordern oder Rache zu suchen, wenn er getödtet würde.« Besseren Erfolg hatten sie diesmal bei Gudmund dem Mächtigen. »Jetzt will ich gut machen, was ich im vorigen Jahre unterließ,« sagte er; »ich will Euch ins Gericht geleiten mit allen meinen Mannen und Euch helfen nach allem Vermögen, und ich will an Eurer Seite in den Kampf gehen, wenn es erforderlich ist und mein Leben für Euch wagen.« Ueberdies versprach er, Skapte zu lohnen für seinen Starrsinn. »Sein Sohn Thorsten Holmud soll mit uns in den Streit gehen, denn er hat meine Tochter Jodis zum Weibe und er wagt nichts anderes zu thun, als was ich will.« Auch bei dem Goden Snorre fanden sie die beste Aufnahme. »Ihr thut nur Eure Schuldigkeit, wenn Ihr wegen Nial Klage erhebt,« meinte er; »es giebt nur wenige, die nicht treffliche Rathschläge von ihm empfingen, aber es sind wiederum nur wenige, die dessen eingedenk sind. Doch welcher Art von Beistand bedürft Ihr am meisten?« Asgrim antwortete: »Am meisten bedürfen wir tapferer Männer und guter Waffen, falls es auf dem Ting zum Kampfe kommen sollte.« »Es steht zu erwarten,« meinte Snorre, »daß es dazu kommt und Ihr thut selbst am besten daran, Hartes gegen Hartes zu setzen, sonst erntet Ihr Schande wegen Eures Verlustes und Unehre wegen des Todes [193] Eurer Verwandten.« »Du hast wohl gesprochen, Snorre,« fiel Gissur ein, »je mehr es gilt, desto größer zeigst Du Dich.« »Welchen Beistand willst Du uns also leisten?« wandte sich Asgrim an Snorre. »Ich gehe selbst mit Euch zum Gericht,« war Snorre's Antwort; »kommt es aber zum Kampf, dann stürmt nicht auf sie ein, ohne daß Ihr alle voll freudigen Muthes und ohne die geringste Furcht seid, denn gewaltige Recken stehen Euch gegenüber. Werdet Ihr zum Rückzug gezwungen, so laßt Euch gegen meine Hütte hintreiben, dann will ich mit meiner Schaar kampfbereit dastehen, um Euch zu helfen. Müssen aber die Gegner weichen, dann werden sie wohl auf die Almannagjaa zueilen und kommen sie erst dahin, dann überwältigt Ihr sie nimmer. Darum werde ich mit meiner Mannschaft sie von diesem Zufluchtsort schon fernhalten. Ziehen sie sich dagegen an der Öxarau entlang entweder nach Norden oder nach Süden zurück, dann setze ich ihnen nicht nach, sondern ich will mich ruhig verhalten, bis Ihr so viele von den Gegnern erschlagen habt, daß Ihr die Bußen für sie erlegen könnt, ohne Eure Godenstelle zu verlieren und aus dem Gau verwiesen zu werden. Dann will ich mit allen meinen Mannen herzulaufen und Euch auseinanderbringen. Thue ich nun aber, wie ich versprochen habe, dann sollt auch Ihr sogleich mit dem Kampfe innehalten, so bald ich Euch darum bitte.« Gissur dankte ihm und äußerte, das, was er versprochen habe, genüge ihren Wünschen. »Noch eins will ich Euch mittheilen,« fuhr Snorre fort; »ich weiß, daß Eyjolf Bölverksohn einen Ring empfangen hat, den er gern verbergen möchte, und ich glaube, er hat ihn erhalten, damit er zu Flose's Gunsten gesetzliche Einwände mache.« Alle fielen seiner Meinung bei, dankten ihm auch für diesen Freundschaftsdienst und entfernten sich. Darauf gingen sie zu ihren Hütten zurück und suchten keinen Beistand mehr. »Es würde unmännlich sein, noch anderen Männern zu Füßen zu fallen,« äußerte Gudmund.
Das Ting nahm nun seinen Anfang. Beide Theile gingen beständig gerüstet einher und fanden sich stets bewaffnet auf dem Gesetzberge ein. Eines Tages, als man sich dort versammelte, trat Mörd Valgardsohn vor und brachte eine Klage gegen Flose Thordsohn ein, weil er Helge Nialsohn erschlagen habe, und bestand auf der Forderung, Flose solle verurtheilt werden, Waldgänger zu sein, schutzlos, rechtlos und hülflos in jeder Weise, und solle sein Gut verlieren. Ebenso brachte Kaare, Thorgejr Skoragejr, Thorlejf Kraak, Thorgrim der Große und Asgrim Ellidagrimsohn jeder seine Sache gegen die übrigen Mordbrenner vor. Es waren auch andre da, die ihre Sache vorbrachten; darüber verfloß ein großer Theil des Tages und die Männer gingen darauf zu ihren Hütten zurück. Eyjolf Bölverksohn folgte Flose nach dessen Behausung. »Machten sie keinen Fehler,« fragte Flose Eyjolf, »oder bemerkst Du nichts, was wir in diesen Sachen als Einwand benutzen können, um ihre Zurückweisung zu bewirken?« Eyjolf verneinte die Frage. »Was sollen wir denn anfangen?« fragte Flose weiter. »Ich will Dir einen Rath geben,« sagte Eyjolf; »Du mußt Deine Godenstelle Deinem Bruder überlassen und selbst in den Gerichtskreis des Goden Askel im Nordlande eintreten. Halten wir diesen Schritt geheim, so daß sie nichts davon erfahren, dann kann es ihnen zum Nachtheil gereichen. Denn sie werden ihre Klage erheben vor dem Gericht des Ostviertels, anstatt vor dem des Nordlandes. Geschieht das nun, so können wir sie vor dem Fünftegericht anklagen, weil sie Dich vor dem nicht zuständigen Gericht belangt haben. Indessen soll dieses Verfahren nur unsre letzte Zuflucht sein.« Diesen Rath fand Flose gut und ging sogleich an die Ausführung, und niemand gewann davon Kenntnis außer den Betheiligten. Darnach war alles eine Weile ruhig.
Als der Tag erschien, wo das Gericht stattfinden sollte, bewaffneten sich beide Theile und setzten Feldzeichen auf ihre Helme, damit sie sich auf jeder Seite erkennen könnten, falls es zum Kampfe käme. Thorhald Asgrimsohn konnte nicht mit auf den Gesetzberg hinaufgehen, da sein Fuß noch nicht geheilt war. »Uebereile Dich nun nicht, mein Vater,« sprach er zu Asgrim, »sondern laß alles seinen richtigen Gang gehen, und kommt irgend eine Bedrängnis über Euch, so laßt es mich alsbald wissen, dann werde ich Euch mit Rath zur Seite stehen. Gieb mir aber meinen Speer, ehe Du fort gehst.« Asgrim reichte ihm denselben; es war eine kostbare Waffe, Skarphedin hatte sie ihm geschenkt. Thorhald setzte ihn neben sich und blieb daheim, während die übrigen fortgingen, aber sein Antlitz war roth wie Blut und die Thränen quollen stromweise aus seinen Augen. Die anderen gingen nach dem Gericht des Ostviertels. Dort wurde das Loos geworfen, und das Loos fiel auf Mörd, daß er zuerst seine Sache vorbringen solle. Er ergriff das Wort; er leistete den Schwur, daß er die Sache nach bestem Wissen und Gewissen wahr und gerecht anhängig machen wolle und führte Zeugen vor, sowohl dafür, daß ihm die Sache von Thorgejr Skoragejr übertragen sei als auch dafür, daß er sie in richtiger Weise vorbereitet habe. Die Zeugen legten ihr Zeugniß ab und beschworen dasselbe. Schließlich führte Mörd seine neun Blutzeugen vor und hieß die Gegner untersuchen, ob unter denselben einer sich befände, der nach dem Gesetze nicht als Blutzeuge auftreten könne. Flose bat die Sigfussöhne, dieses zu thun. Ketil von Mörk sagte, es sei einer unter ihnen, welcher Mörd's Taufpathe und ein andrer, welcher mit ihm im dritten Gliede verwandt sei. Eyjolf trat nun vor und erklärte diese beiden für ausgeschlossen aus der Zahl der Blutzeugen nach Altings Recht und Landes Gesetz. Da [196] meinten alle, Mörd habe seine Sache verspielt, weil er diesen Fehler gemacht habe. Aber Asgrim entsandte einen Boten, um Rath bei Thorhald zu holen. Dieser sagte, der Einwand sei ungültig, denn Eyjolf habe sich geirrt, indem er nicht beachtet habe, daß Mörd nicht der wirkliche Kläger, sondern ihm nur die Sache übertragen sei. Diesen Umstand brachte nun Mörd vor dem Gericht zur Sprache, und alle meinten, jetzt sei der Vortheil auf seiner Seite, und selbst Eyjolf mußte einräumen, so sei es recht nach dem Gesetz. Aber er erhob besonders Einspruch gegen zwei andre Blutzeugen, indem er geltend machte, sie seien nur Hintersassen und Pächter, keine Grundbesitzer, worauf alle äußerten, jetzt stehe es besser mit seinen Einwänden als mit Mörd's Klage. Allein auch hierfür wußte Thorhald Rath, als zu ihm geschickt wurde, da der eine der beiden vom Ertrag seiner Milchkühe lebe, obwohl er kein Land besitze und der andere Land besitze im Werthe von neun Mark, wenn er gleich kein Vieh halte. Als dieses im Gericht vorgebracht wurde, erhob sich ein großes Rufen und Schreien, und alle sagten, jetzt sehe es schlimm aus für Flose und Eyjolf. Dieser mußte zu dem Gesetzesnenner Skapte Thorodsohn senden, um zu hören, ob das Gesetz wirklich so laute, wie Thorhald behauptete; und Skapte erklärte, es sei in der That so Gesetz, obwohl es nur wenige gebe, die es wüßten. Indessen gab Eyjolf sich noch nicht verloren. Er wies vier andre unter den Blutzeugen zurück, da es welche gebe, die der Unglücksstätte näher wohnten, so daß Mörd hätte verlieren müssen, da er nur fünf unabweisbare Blutzeugen gestellt hatte und nicht neun, wie es das Gesetz vorschrieb. Dieses Einwurfs rühmten sich Flose und Eyjolf sehr, und es lief von Mund zu Mund unter den Leuten, jetzt sei die Klage in Sachen der Brandstiftung unmöglich gemacht. Asgrim aber sandte wieder einen Boten zu Thorhald und dieser sagte, dem Gesetze sei Genüge geschehen, wenn nur mehr als die Hälfte der Blutzeugen gesetzlich unabweisbar seien. Das brachte Mörd nun vor im Gericht, und es entstand ein allgemeines Geschrei, er ginge ehrlich zu Werke, von Flose und Eyjolf aber hieß es, sie gingen vor mit lauter Kniffen[197] und Tücken. Eyjolf mußte wieder zu Skapte schicken. »Freilich ist es so Gesetz,« antwortete dieser, »und ich sehe, es finden sich mehr gesetzeskundige Männer auf Island, als ich dachte. Diese Bestimmung, glaubte ich, kenne keiner, seitdem Nial todt ist.« Nun traten die fünf Blutzeugen auf und sagten ihr Zeugnis gegen Flose aus. Mörd aber hieß die Gegner gewichtigere Einsprüche machen, falls sie deren hätten. Da mußten Flose und Eyjolf zu ihrer letzten Zuflucht greifen, und freuten sich schon recht darauf, Mörd's Klage gänzlich niederzuschlagen. Eyjolf trat auf und erklärte, Mörd habe die Sache vor dem unrichtigen Gericht anhängig gemacht, da Flose nicht zum östlichen, sondern zum nördlichen Viertel gehöre. Da ergrimmte Thorhald, als er dieses vernahm, denn er wußte, jetzt habe Eyjolf das Recht, eine Klage gegen Mörd wegen verkehrter Anhängigmachung der Klage vor dem Fünftengericht zu erheben. »Beeile Dich,« sagte er zu dem Boten, »und heiße Mörd gegen Flose und Eyjolf vor dem Fünftengericht klagen, weil sie der Bestechung im Gericht sich schuldig gemacht haben. Sage ihm, er solle eilen, damit er sie zuerst vorladen kann.« Mörd that, wie Thorhald ihm geheißen hatte; er kam den Gegnern zuvor und führte seine Sache in allen Stücken nach den Vorschriften des Gesetzes. Aber obwohl im Fünftengericht vier Dutzend Richter ernannt werden sollten, durften doch nur drei Dutzend in jeder Sache das Urtheil fällen, denn beide Theile sollten je sechs Richter von den achtundvierzig zurückweisen. Mörd wies denn auch sechs zurück und forderte Eyjolf auf, das gleiche zu thun. Eyjolf erwartete, Mörd werde sich hier versehen und wollte nicht sechs zurückweisen. Mörd indessen führte die Sache weiter und das Urtheil wurde gesprochen. Da stand Eyjolf auf und erklärte das Urtheil sowie alles übrige, was Mörd gethan habe, für ungültig, weil drei und ein halbes Dutzend das Urtheil gefällt hätten, während doch nur drei Dutzend hätten urtheilen sollen. Gissur Hvide sprach zu Mörd: »Das war ein arger Misgriff, daß Du hier verkehrt handeltest, das ist ein großes Unglück.« »Was sollen wir jetzt thun, Vetter?« wandte er sich dann an Asgrim Ellidagrimsohn. Dieser [198] erwiderte: »Laßt uns einen Mann zu meinem Sohne Thorhald senden, um zu hören, wozu er räth.«
Asgrim's Sendling kam zu Thorhald und verkündigte ihm, wie die Sache stehe, und Thorhald wurde so erschüttert dadurch, daß er kein Wort hervorzubringen vermochte. Er sprang auf von seinem Sitz, ergriff seinen Speer mit beiden Händen und stieß ihn in die Beule an seinem Fuße. Als er ihn wieder hervorzog, hing das Fleisch daran, aber der ganze Eiterpfropf folgte mit und es floß Blut und Eiter aus der Wunde so stark, daß es wie ein Bach längs dem Fußboden floß. Thorhald eilte aus der Hütte, er lahmte nicht mehr, und er lief so schnell dahin, daß der Bote ihm nicht zu folgen vermochte. Er eilte geraden Weges auf das Fünftegericht zu. Dort traf er einen Verwandten von Flose, namens Grim der Rothe, und da er nun sah, daß es keinen anderen Weg gebe, seinen Pflegevater zu rächen als blutigen Kampf, so durchstieß er Grim mit dem Speer, so daß derselbe zwischen den Schultern wieder zum Vorschein kam. »Jetzt ist Dein Sohn Thorhald gekommen,« rief Kaare Asgrim zu, »und hat sogleich Blut vergossen; ein Schimpf wäre es, wenn er allein den Muth haben sollte, die Brandstiftung zu rächen.« »So soll es auch nicht sein,« antwortete Asgrim, »jetzt wollen wir sie angreifen.« Da erhob sich ein gewaltiger Lärm unter der ganzen Schaar, und sie riefen den Schlachtruf; Flose und die Seinigen wandten sich gegen ihre Gegner, und man forderte sich von beiden Seiten zum Kampfe heraus. Halbjörn der Starke hieb nach Kaare's Fuß, dieser aber bemerkte es und sprang in die Höhe, so daß er dem Hieb entging; vorher schlug er noch einem anderen Mann eine tödliche Wunde, dann hieb er nach Halbjörn, spaltete [199] seinen Schild und trennte ihm die große Zehe vom Fuße; in demselben Augenblick sah er einen Speer gegen sich heransausen, er aber fing ihn auf im Fluge und schleuderte ihn zurück, so daß ein Mann seinen Tod fand. Da kam Thorgejr Skoragejr hinzu; er stieß mit der Hand gegen Halbjörn, daß dieser umsank und nur mit genauer Noth sich erheben und fliehen konnte, dann stieß er einem Manne die Spitze von Rimegyge in die Brust, und derselbe stürzte tödlich getroffen zu Boden. Gleich darauf trafen Kaare und Bjarne Brodhelgesohn zusammen; es entspann sich ein heftiger Kampf zwischen ihnen, er endete aber damit, daß Bjarne flüchtete. Inzwischen drangen die übrigen Rächer Nial's auf die Brandstifter und deren Helfer ein. Skapte Thorodsohn sah seinen Sohn Thorsten Holmud im Gefolge Gudmund des Mächtigen in den Streit gehen; er wollte sogleich die Streitenden trennen, aber Asgrim erblickte ihn und zum Lohn für seinen Starrsinn warf er seinen Speer nach ihm und traf ihn in das dicke Fleisch des Schenkels. Der Speer durchbohrte ihm beide Beine, er stürzte um und konnte sich nicht wieder erheben, sondern seine Begleiter mußten ihn längs der Erde nach der Hütte eines Pelzhändlers schleifen. Uebrigens stritten die Rächer Nial's in zwei Haufen. Gudmund, Mörd und Thorgejr führten den einen und wandten sich gegen Flose's Helfer aus dem östlichen und nördlichen Viertel. Den anderen Haufen führten Asgrim und sein Sohn Thorhald, Hjalte und Gissur, und kämpften gegen Flose selbst, gegen die Sigfussöhne und die übrigen Mordbrenner. Es entspann sich ein heißer Streit. Derselbe endete jedoch damit, daß Flose und die Seinigen weichen mußten. Sie zogen sich auf die Almannagjaa zurück, allein hier hatte der Gode Snorre seinen Haufen in Kampfordnung aufgestellt. Da flohen sie südwärts an der Au entlang. »Weshalb fliehen denn alle die feigen Männer vom Ostfjord?« rief ein Mann namens Sölve, welcher vor seiner Hütte saß und sich in einem Kessel seine Mahlzeit kochte. »Du hast uns das letzte Mal feig gescholten,« sprach Halbjörn der Starke, ergriff Sölve an den Beinen, schwang ihn in die Höhe und setzte ihn mit dem Kopfe voran in den kochenden Kessel, [200] daß er sogleich starb. In diesem Augenblick erhielt Flose eine schwere Wunde am Fuße, und sank nieder; er sprang aber sogleich wieder auf und floh. Einmal während des Kampfes trafen Kaare und Thorgejr zusammen. »Dort ist Eyjolf Bölverksohn,« rief Thorgejr Kaare zu; »willst Du ihn nicht büßen lassen für den Ring, den er empfing?« »Das will ich!« erwiderte Kaare, riß einem Manne den Speer aus der Hand und entsandte ihn gegen Eyjolf, und der Speer traf ihn mitten in den Leib und durchbohrte ihn, so daß er entseelt hinstürzte. Das that dem Kampfe einigen Einhalt. Snorre Gode kam heran mit seiner Schaar, und mit ihm erschien Skapte, und sie drängten sich zwischen die Kämpfenden, daß diese den Kampf nicht fortsetzen konnten. Hald von Sida schloß sich ihnen ebenfalls an, um den Streit zu enden. Es wurde Friede geschlossen, welcher während des ganzen Tings dauern sollte. Die Leichen wurden gekleidet und zur Kirche geführt und die Verwundeten wurden verbunden. Aber außer den Begebenheiten, die wir hier erzählt haben, trug sich noch manches zu, was hätte erzählt werden können und noch mehr, wovon man keine Kunde mehr hat. Nur eins ist noch zu sagen. Während der Kampf in vollem Gange war, schritten Hald von Sida und sein Sohn Liot über die Öxarau; da kam ein Speer aus der Schaar Gudmund des Mächtigen, der traf Liot mitten durch den Leib, worauf er todt niederfiel. Wer aber dieses Mordes schuldig sei, das kam niemals zu Tage.
Am Tage nach dem Kampfe ging man zum Gesetzberge. Hald von Sida trat auf und bat um Gehör, und es wurde ihm sogleich bewilligt, was er begehrte. »Schweres Unglück ist hier geschehen,« sprach er, »und viel Blutvergießen, woraus der Klagen [201] viele hervorgehen können. Aber ich will nun zeigen, daß ich kein vorschneller Mann bin und Asgrim und die übrigen, die in dieser Sache die Anführer sind, bitten, daß sie uns einen ehrlichen Vergleich vergönnen.« Und er redete dafür viele schöne Worte. Kaare Sölmundsohn aber antwortete: »Wenn auch alle anderen auf den Vergleich eingehen, so will ich ihn doch nicht; denn Ihr erwartet nun, daß Eure Verluste die Brandstiftung aufwiegen sollen, das will ich aber nicht dulden.« Da trat Skapte Thorodsohn auf und sagte: »Du hättest Deine Schwäger nicht verlassen sollen, dann würdest Du Dich diesem Vergleich nicht entziehen.« Kaare aber sang ein Lied, worin er über den Antheil spottete, den Skapte am vorigen Tage am Kampfe genommen hatte: es sei nur aus Angst gewesen, sagte er, daß Skapte sich von seinen Leuten hätte fortbringen und nach des elenden Pelzhändlers Hütte schleifen lassen. Skapte wurde dadurch zum Gelächter und zum Spott für alle Umstehenden. Da rief Hald von Sida: »Jedermann weiß, wie großes Leid mir widerfahren ist durch meines Sohnes Liot Tod, und viele werden meinen, er sei der theuerste von allen, die hier ihr Leben gelassen haben. Dennoch erbiete ich mich, ihn ungebüßt zu lassen, sofern dann der Vergleich zu Stande kommen kann. Ich werde sogar hingehen und denjenigen Frieden und Sicherheit versprechen, die mir entgegenstehen. Und Dich, Snorre, und die übrigen edelsten Männer will ich bitten, das Eurige zu thun, damit ein Vergleich zwischen uns zu Stande kommen möge.« Der Gode Snorre stand auf und hielt eine lange und listige Rede, in welcher er Asgrim und die anderen Anführer bat, nach Hald's Bitte zu handeln. »Um Deiner Worte willen, Snorre, will ich es thun,« entgegnete Asgrim, »obwohl ich damals, als Flose sich selbst bei mir zu Gaste lud, gelobte, ich würde mich niemals mit ihm versöhnen.« Thorlejf Kraak und Thorgrim der Große willigten ebenfalls in den Vergleich und baten ihren Bruder Thorgejr, dasselbe zu thun. Er aber weigerte sich und gelobte, er wolle Kaare niemals verlassen. Gissar Hvide bestand nun darauf, Flose möge erklären, ob er zum Vergleiche willig sei, obwohl einige sich davon ausgeschlossen [202] hätten. Flose erklärte sich bereit und versetzte: »Es ist mir nur um so lieber, je weniger gute Männer mir entgegenstehen.« Gudmund der Mächtige sagte, er wolle für seinen Theil sich dazu herbeilassen, Buße für die Erschlagenen zu zahlen, die auf dem Ting gefallen seien, damit diese Sache und die Sache der Brandstiftung auseinander gehalten werden könnten. Ihm pflichteten bei Gissur Hvide, Hjalte Skjeggesohn, Asgrim Ellidagrimsohn und Mörd Valgardsohn. So kam der Vergleich zu Stande, und man gelobte sich durch Handschlag, man wolle zwölf Männer das Urtheil fällen lassen und der Gode Snorre solle den Vorsitz führen. Zuerst legten die Schiedsrichter alle Sachen bei, die sich auf die Erschlagenen bezogen, welche am vorhergehenden Tage auf dem Ting starben; man glich sie gegen einander aus und für diejenigen, welche übrig blieben, wurden entsprechende Bußen festgesetzt; indessen sollte keine Buße erlegt werden für Eyjolf Bölverksohn wegen seines hinterlistigen und unrechtmäßigen Vorgehens; Skapte empfing Buße für seine Wunde, als man aber Flose fragte, ob er für die seinige Buße verlange, erwiderte er, er wolle kein Geld nehmen für Schaden an seinem eignen Leibe. Darnach nahm man die Sache der Brandstiftung vor. Nial sollte mit dreifacher, Bergthora sowie Grim und Helge mit doppelter Mannbuße gebüßt werden; Skarphedin's Tod sollte sich ausgleichen gegen Höskuld's des Goden von Hvidenes Ermordung, und für die übrigen, welche im Feuer umgekommen waren, sollte einfache Mannbuße erlegt werden. Ueber Thord Kaaresohn wurde indessen keine Bestimmung getroffen, da sein Vater nicht in den Vergleich willigte. Schließlich wurde auch die Entscheidung gefällt, daß Flose und alle Brandstifter ins Ausland gehen sollten; Flose sollte drei Winter hindurch in der Fremde weilen, die übrigen aber durften niemals zurückkehren; indessen sollte keiner von ihnen gehalten sein, noch in diesem Sommer abzufahren; wenn sie aber nach Verlauf dreier Winter nicht abgefahren seien, dann sollten sie alle vogelfreie Waldgänger sein. Dieser Vergleich wurde durch Handschlag bekräftigt und auch ehrlich gehalten. Asgrim und seine Freunde gaben dem Goden Snorre beträchtliche [203] Gaben und dieser hatte viel Ehre von seinem Vorgehen in dieser Sache. Auch empfing Gudmund viel Lob wegen seines Verhaltens, und Kaare und Thorgejr schenkten ihm kostbare Gaben. Als man alles in dieser Weise geordnet hatte, war Hald von Sida's Sohn Liot der einzige, für den keine Buße gezahlt war; Hald hatte sich ja selbst erboten, ihn ungebüßt zu lassen, um den Vergleich zu fördern. Aber nun vereinigten sich alle Männer auf dem Ting dahin, Hald Buße zu geben, und zwar empfing er nicht weniger als vierfache Mannbuße.
Von dem Tingfelde ritten Flose und alle Brandstifter mit einander ostwärts nach dem Flußthal. Dort gestattete Flose den Sigfussöhnen, ihre Höfe aufzusuchen, und da er nun erkundete, daß Kaare und Thorgejr mit Gudmund dem Mächtigen nordwärts geritten seien, glaubte er, sie beabsichtigten im Nordlande zu bleiben und ließ die Sigfussöhne sich gute Weile nehmen, um einige Geldsummen einzufordern, die sie verliehen hatten; er bat sie aber, sich wohl zu hüten und sich zu beeilen, so viel sie könnten. Er selbst ritt dann heimwärts nach Svinefjeld. Kaare und Thorgejr hatten indessen nur Gudmund eine Strecke das Geleit gegeben, und als sie sich von ihm verabschiedet hatten, ritten sie wieder südlich über die Thjorsau und weiter über den Markarfluß. Dort trafen sie einige Weiber, welche sie erkannten und sagten: »Ihr tändelt weniger, Ihr beide, als die Sigfussöhne; doch zieht Ihr unbedachtsam einher.« Sie erfuhren nun von den Weibern, wo die Sigfussöhne die letzte Nacht zugebracht hatten, und waren sogleich einig, ihnen nachzusetzen. Weiter ostwärts trafen sie einen Mann, der hatte sein[205] Pferd mit Torfkörben beladen. »Du bist nicht stark genug, Väterchen,« sagte er zu Thorgejr. »Was meinst Du damit?« entgegnete Thorgejr. »Sonst könntest Du auf etwas Jagd machen,« versetzte der Mann; »die Sigfussöhne sind hier vorübergeritten in derselben Richtung wie Ihr, funfzehn Mann an der Zahl.« »Wie lange ist das her?« fragte Thorgejr. »Nicht sehr lange,« erwiderte der Mann, »und es schien nicht, daß sie es eilig hatten. Sie können kaum über die Au gekommen sein, die östlich von hier fließt.« Kaare und Thorgejr ritten nun weiter nach Osten zu. Als sie die Au erreichten, sahen sie gesattelte Pferde an derselben stehen. Sie ritten auf sie zu und erblickten einige Männer, die in einem Thale schliefen, und ihre Speere standen zu ihren Füßen. Sie nahmen nun die Speere und schleuderten sie in die Au. »Sollen wir sie wecken?« fragte Thorgejr. Kaare antwortete: »Darüber bist Du wohl schon selbst mit Dir im reinen, daß Du nicht schlafende Männer überfallen und Meuchelmord üben willst.« So riefen sie sie denn an, und die Männer erwachten und griffen nach ihren Waffen. Kaare aber und Thorgejr drangen nicht eher auf sie ein, als bis sie sich alle gerüstet hatten. Da lief Thorgejr gegen Thorkel Sigfussohn an. Ein andrer der Brandstifter fiel ihn in demselben Augenblick im Rücken an. Thorgejr aber schwang Rimegyge mit beiden Händen; zuerst trieb er den Knopf der Axt dem Manne, der hinter ihm stand, in den Kopf, so daß seine Hirnschale zersplitterte. »Der wäre fertig!« rief Thorgejr, schwang die Axt vorwärts und traf Thorkel in die Schulter und hieb ihm den Arm ab. Inzwischen hatte Kaare sich gegen drei Männer zu wehren, gegen Mörd Sigfussohn, Sigmund Lambesohn und Lambe Sigurdsohn. Lambe kam von hinten und stach mit seinem Speer nach ihm. Kaare aber wurde das gewahr, er sprang in die Höhe und spreizte die Beine, so daß der Speer zwischen ihnen hindurchfuhr und sich in die Erde bohrte; indem Kaare nun wieder den Boden berührte, setzte er den Fuß auf den Speerschaft, und dieser zerbrach. Zugleich jagte er mit der rechten Hand seinen Speer durch Sigmund; derselbe kam ihm zwischen den Schultern wieder hervor und Sigmund stürzte [206] todt nieder. Mit der Linken aber hieb er mit seinem Schwert nach Mörd; er traf ihn in die Hüfte und durchschnitt sie bis tief in den Rücken hinein, worauf jener vornüber sank und auf der Stelle todt war. Im nächsten Augenblick drehte er sich auf den Hacken wie ein Kreisel und wandte sich gegen Lambe, daß dieser sich nur durch schleunige Flucht zu retten vermochte. Da eilte Kaare Thorgejr zu Hülfe. Dieser hatte sich gegen Ledolf den Starken gewandt und beide hatten gleichzeitig nach einander geschlagen. Ledolf's Hieb war stark genug gewesen, ein Stück von Thorgejr's Schild mitzunehmen; dieser aber hatte Rimegyge so gewaltig geschwungen, daß die hintere Spitze Ledolf's Schild gespalten, die vordere dagegen ihm das Schlüsselbein zerschmettert hatte und ihm in die Brusthöhle eingedrungen war. Nun kam Kaare herzu und hieb sogleich Ledolf das Bein ab in der Mitte des Schenkels, daß er umfiel und starb. Da rief Ketil von Mörk: »Laßt uns jetzt zu unsren Pferden eilen; gegen dieser Männer Gewalt vermögen wir nicht zu bestehen!« und die, welche noch am Leben waren, liefen aus Leibeskräften zu ihren Pferden und schwangen sich auf dieselben. »Sollen wir ihnen nicht nachsetzen?« wandte sich Thorgejr an Kaare; »wir können noch einige von ihnen tödten.« Kaare aber antwortete: »Es reitet ein Mann als der letzte, welchen ich nicht tödten will; es ist Ketil von Mörk; wir sind mit zwei Schwestern verheiratet und er hat sich auch früher in unsren Sachen aufs beste benommen.« So bestiegen denn Kaare und Thorgejr ihre Pferde und ritten nach Thorgejr's Wohnung auf Holt. Ketil aber und die neun anderen Brandstifter, die ihr Leben retteten bei diesem Kampfe, ritten geradenwegs nach Svinefjeld und verkündeten, wie viel Unglück sie unterwegs betroffen habe. »Das stand zu erwarten,« äußerte Flose, »und es mag Euch warnen, daß Ihr in Zukunft nie mehr so sorglos einherzieht.«
Flose war ein Mann von heitrem Gemüth und für seine Gäste ein vortrefflicher Wirth; in vieler Hinsicht war er für die Stellung eines Häuptlings vorzüglich begabt. Er saß nun daheim mit den vielen Gästen, die er hatte, während des übrigen Theils des Sommers und im folgenden Winter. Bald nach Weihnachten kam Hald von Sida und sein Sohn Kol nach Svinefjeld; Flose war hoch erfreut über Hald's Ankunft, und sie unterredeten sich oft über die Lage der Dinge. Flose erzählte, er habe schon große Verluste erlitten. Hald erwiderte darauf, er habe solches erwartet. »Welche Vorschläge willst Du mir nun machen?« fragte Flose. Hald gab zur Antwort: »Ich rathe Dir, wenn es sich machen läßt, Dich mit Thorgejr zu vergleichen.« »Glaubst Du, daß dann des Blutvergießens ein Ende sein wird?« versetzte Flose. »Das eben nicht,« antwortete Hald, »aber Du hast es mit wenigeren zu thun, wenn Kaare alleinsteht; und vergleichst Du Dich nicht mit Thorgejr, so wird es Dein Tod sein.« Darnach berathschlagten sie, welchen Vergleich sie Thorgejr anbieten müßten. Man ließ die Sigfussöhne herbeirufen. »Nach Thorgejr's Sinnesart zu urtheilen,« erklärte Hald, »muß jeder, der an dieser Sache Antheil hat, erwarten, es werde ihm den Tod bringen, falls er sich von diesem Vergleich ausschließt.« Er legte ihnen nun den Sachverhalt auseinander, so daß alle ihre Zustimmung gaben und sagten, sie wünschten sehr, den Vergleich zu schließen. »Steht Kaare uns allein gegenüber,« äußerte Grane Gunnarsohn, »dann ist es in unsere Hand gelegt, dafür zu sorgen, daß er uns nicht minder fürchtet, als wir ihn,« und Gunnar Lambesohn pflichtete seinen Worten bei. »Ihr mögt nur nicht wähnen,« sagte Hald, »daß es ohne Wunden ablaufen werde, wenn Ihr mit ihm zu thun habt; Ihr werdet noch große Verluste erleiden, ehe das Ende da ist.« Darauf ritten Hald und sein Sohn Kol von fünf Mann begleitet nach Holt. Hald hatte sich in einen blauen Mantel gehüllt und trug eine kleine silberbeschlagene Axt in der Hand. Thorgejr hatte [208] hatte von seinem Vorhaben Kunde empfangen und wollte ihn mit Ehren empfangen. Er trat vor das Haus mit Kaare und allen seinen Mannen, und zwar hatte er niemals unter dreißig waffengewandte Männer bei sich. Als Hald in den Hofplatz hineinritt, gingen sowohl Kaare als auch Thorgejr ihm entgegen und halfen ihm vom Pferde; sie küßten ihn beide und führten ihn zwischen sich in den Wohnraum, ließen ihn dort auf dem Hochsitz auf der Hochbank Platz nehmen und fragten ihn aus über vieles. Hald blieb die Nacht über und am folgenden Morgen begann er mit Thorgejr über den Vergleich zu reden; er nannte ihm die Anerbietungen, die Flose und die Sigfussöhne ihm machten und begleitete sie mit vielen angenehmen und freundlichen Worten. »Es wird Dir doch bekannt sein,« antwortete Thorgejr, »daß ich mit den Brandstiftern keinen Vergleich habe eingehen wollen.« »Damals stand die Sache anders,« meinte Hald; »damals waret Ihr zornig nach dem Kampf, jetzt aber habt Ihr seit jener Zeit viel Blut vergossen.« »Das ist freilich wahr,« erwiderte Thorgejr, »aber welchen Vergleich bietet Ihr denn Kaare?« »Nur was ihm zur Ehre gereicht, wollen wir ihm bieten, falls er auf einen Vergleich eingehen will,« versetzte Hald. Kaare selbst bat Thorgejr, den Vergleich anzunehmen; »Dein Loos kann nur ein gutes sein,« äußerte er. »Nicht will es mir gefallen,« antwortete Thorgejr, »von Dir mich zu trennen, es sei denn, daß Du auf denselben Vergleich eingehst wie ich.« »Ich werde keinen Vergleich schließen,« versetzte Kaare; »wohl glaube ich, daß wir die Brandstiftung gerächt haben, aber mein Sohn ist meines Bedünkens noch nicht gerächt, und das halte ich für eine Sache, die mir allein obliegt.« Als Thorgejr sich noch nicht dazu bewegen lassen wollte, erklärte zuletzt Kaare, er werde den Freundschaftsbund mit ihm brechen, falls er nicht dem Vergleiche beitrete. Da gab Thorgejr nach; er gelobte Hald durch Handschlag, daß Flose und seine Genossen vor ihm sicher sein sollten, bis die Versöhnung stattfände, und Hald versprach ihm dasselbe in Flose's und der Sigfussöhne Namen. Bevor sie sich trennten, schenkte Thorgejr Hald einen Goldring und einen Scharlachmantel und Kaare überreichte ihm einen [209] Silberschmuck mit vier goldenen Kreuzen daran. Hald dankte ihnen sehr für die Gaben und ritt fort. Er kam nach Svinefjeld und erzählte Flose alles, auch den Umstand, daß er es Kaare zu verdanken habe, daß Thorgejr auf den Vergleich einging, obgleich er selbst keinen Vergleich schließen wollte. »Wenige Männer kommen Kaare gleich,« rief Flose aus, »ich möchte wünschen, ich hegte die Sinnesart, die er hat.« Nach Verlauf einiger Zeit fand die Versöhnung statt auf einem Hofe zwischen Holt und Svinefjeld. Hald machte den Vorschlag, Thorgejr solle für Nial und seine Söhne den dritten Theil der Buße, der ihm zukomme, empfangen, er selbst aber solle keine Buße leisten für die, welche er erschlagen habe. Thorgejr war damit zufrieden; er erklärte aber, er wolle das Geld nicht bei jedem einzelnen einfordern, sondern Flose solle ihm allein Bürge sein; außerdem solle das Urtheil, welches in der Brandstiftung gefällt sei, ganz und gar in Kraft bleiben und weder die Verbannung noch die Verweisung aus dem Gau aufgehoben werden. Endlich solle es Kaare freistehen, bei ihm auf Holt zu verweilen, wann es ihm beliebe, und dort dürfe ihn keiner angreifen, ebenso wenig wie er selbst jemand von den Gegnern dort anfallen dürfe. Flose ging auf alles ein. Darauf schieden sie von einander. Thorgejr ritt heim nach Holt und Hald geleitete Flose ostwärts. »Halte nun diesen Vergleich, mein Sohn,« sagte Hald zu Flose, »und mache Deine Wallfahrt nach Romaburg (Rom); thust Du es, so wirst Du immerhin ein angesehener Mann bleiben, obgleich Du an solcher Gewaltthat Theil hast.« Flose versprach es. Darauf trennten sie sich und jeder ritt in seine Heimat, Flose aber hielt sich seitdem zu Hause.
Kaare wollte nun nicht länger bei Thorgejr auf Holt verweilen. »Ich werde leicht Blut vergießen,« sagte er, »so lange ich noch nicht die Rache geübt habe, welche ich suche; geschieht es, so wird [210] man gleich meinen, Du steckest unter einer Decke mit mir, und das will ich nicht verantworten. Dagegen wünsche ich, Du mögest Dir mein Gut und mein und Helga Nialstochter's Eigenthum übertragen lassen, sowie auch sie und meine drei Töchter in Deine Obhut nehmen; dann können meine Todfeinde nicht Hand an sie legen oder etwas finden, was sie in Beschlag nehmen.« Thorgejr übernahm sogleich durch Handschlag die Vormundschaft über Kaare's Gut. Kaare selbst aber ritt fort; er führte nur zwei Pferde, seine Waffen und Kleider und etwas baares Geld in Gold und Silber mit sich. Er ritt nach Thorsmark, so hieß ein Strich Waldland am oberen Laufe des Markarflusses. Dort lagen drei Höfe, und auf einem derselben wohnte ein Mann namens Björn Hvide. Sein Großvater war ein Freigelassener von Nial's Mutter Asgjerde gewesen, und sein Weib war verwandt mit Gunnar auf Hlidarende. Sie war um des Geldes willen mit Björn verheiratet worden und sie waren vermögende Leute. Zu ihnen begab sich Kaare, und wurde mit offenen Armen aufgenommen. Am Morgen nach seiner Ankunft sagte Kaare zu Björn, er wolle gern bei ihm Aufenthalt nehmen. »Außerdem möchte ich bitten,« sprach er, »daß Du mit mir ziehen mögest, wohin ich auch gehe; Du hast ein scharfes Auge und bist schnell zu Fuß, und Du wirst auch keine Furcht haben, falls es gilt loszuschlagen.« Björn antwortete: »Du bist wohl nur zu mir gekommen, weil alle anderen Schlupfwinkel Dir versperrt sind; weil Du aber darum bittest, so will ich Dich nicht einem gewöhnlichen Manne gleichachten, sondern Dir in allen Stücken nach Deinem Wunsche behülflich sein; es fehlt mir weder an scharfem Gesicht, noch an Muth und Mannhaftigkeit.« »Der Teufel hole Deine Prahlerei,« versetzte Valgjerde; »ich will Dir gern den Unterhalt darreichen, Kaare, und wessen Du sonst bedarfst; auf Björn's Tapferkeit aber darfst Du nicht allzu sicher bauen.« »Du kommst immer mit Vorwürfen,« erwiderte ihr Björn; »kommt es aber zur That, dann stehe ich niemand nach; das ist ja unzweifelhaft genug, da so wenige es wagen, mit mir anzubinden; sie haben den Muth nicht.« Kaare blieb nun eine Zeit lang auf Thorsmark bei Björn; es erfuhr [211] aber keiner etwas davon. Er ließ Björn seinen Nachbarn mittheilen, er habe ihn nordwärts reiten sehen, und diese glaubten deshalb, er weile bei Gudmund dem Mächtigen in dem Nordlande. Inzwischen begann Flose seine und der übrigen Brandstifter Abreise vorzubereiten. Im östlichen Theile des Landes im Hornefjord kaufte er ein Schiff von einem Thronden und ließ Kol Thorstensohn und Gunnar Lambesohn bei demselben zurück, um es für die Reise auszurüsten, während er selbst zu Hause auf Svinefjeld war. Die Sigfussöhne jedoch wollten nun ihre Höfe im Flußthal aufsuchen, um herbeizuschaffen, was sie für die Reise bedurften. »Jetzt brauchen wir uns nicht vor Kaare in acht zu nehmen, denn er ist ja im Nordlande.« »Auf solche Gerüchte darf man nicht bauen,« sprach Flose, »oft hört man etwas aus nächster Nähe, und es ist dennoch unwahr. Ich habe auch einen Traum gehabt, daß mehrere von Euch abberufen würden.« »Du meinst es gut, wenn Du uns warnst,« versetzte Ketil von Mörk, »aber das Leben des Menschen geht seinen Gang, wie es vom Schicksal bestimmt ist.« Beim Abschied bat Flose sie noch, stets in größerer Anzahl beisammen zu sein und sich wohl zu hüten. Sie küßten ihn, er aber sagte, es seien einige unter ihnen, die er niemals wiedersehen werde. Sie ritten nun fort, achtzehn an der Zahl. Sie nahmen ihren Weg nördlich um den Öfjelds Jökul herum und kamen nach Thorsmark. Björn Hvide sah sie kommen und eilte ihnen entgegen. Sie begrüßten ihn freundlich, und die Sigfussöhne befragten ihn über Kaare. »Ich sprach mit ihm,« antwortete Björn, »aber es ist schon lange her; er ritt damals nach Norden zu. Es schien, als wenn er Euch fürchte; er fühlte sich sehr einsam und verlassen.« »Ihm soll noch mehr angst und bange vor uns werden,« rief Grane Gunnarsohn; »wir fürchten ihn gar nicht, denn jetzt ist er allein.« »Schweig mit Deiner Prahlerei!« versetzte Ketil. Björn aber erfuhr, daß sie etwa eine Woche lang im Flußthal bleiben und dann zurück reiten würden; [212] diese Nachricht theilte er Kaare mit. Nach sechs Nächten wollte Kaare ostwärts reiten. »Laßt uns heimlich durch Flose's Gerichtskreis reiten,« sagte er zu Björn, »ich will mich am Algtefjord nach einer Gelegenheit umsehen, zu Schiffe nach Osten zu kommen.« »Das ist ein sehr gewagtes Unternehmen,« meinte Björn, »nur wenige außer mir und Dir werden dazu den Muth haben.« »Giebst Du Kaare nicht gutes Geleit,« versetzte Valgjerde, »dann sage ich mich von Dir los und geschieden.« »Sei Du nur ruhig, Frau,« erwiderte Björn, »ich werde keine Scheidung zwischen uns veranlassen, ich bin stets muthig und kühn beim Waffenkampf, das können viele bezeugen.« So ritten denn Björn und Kaare ostwärts bis sie zur Skaptau kamen, ungefähr in der Mitte zwischen dem Markarflusse und Svinefjeld, und dort legten sie sich in einen Hinterhalt. Die Sigfussöhne brachen an dem Tage, welchen sie vorher bestimmt hatten, von Hause auf. Auf Thormark fragten sie nach Björn. Valgjerde erzählte, er sei ausgeritten, um einiges Geld einzufordern, und sie glaubten ihr und zogen weiter. An der Skaptau theilten sie sich. Ketil setzte die Reise ostwärts fort, die übrigen aber legten sich nieder, um zu schlafen. Sie merkten nichts, bis Kaare herankam und sie weckte. Er aber eilte sogleich nach einer Landspitze an der Au und bat Björn, hinter ihn zu treten; er dürfe sich aber nicht zu weit nach der Seite hin hervorwagen. »Das hätte ich freilich nicht gedacht,« sagte Björn, »daß ich einen anderen Mann als Schild vor mir haben solle; allein es muß wohl so sein, wie Du es wünschest.« Nun kamen die Gegner herangestürmt. Modolf Ketilsohn war der schnellste. Er stieß mit seinem Speer nach Kaare, dieser aber hielt den Schild vor, so daß Modolf's Speer sich darin festbohrte; dann drehte er den Schild so gewaltsam, daß der Speer brach. Nun zog er sein Schwert und hieb nach Modolf, und dieser hieb entgegen. Kaare's Schwert aber traf das des Modolf am Griff, dieses sprang ab gegen Modolf's Handgelenk und schnitt ihm die Hand ab und darauf drang es ihm zwischen die Rippen, daß er augenblicklich todt umfiel. Grane Gunnarsohn schleuderte einen Speer gegen Kaare, dieser jedoch fing ihn mit der Linken im Fluge auf und warf ihn zurück. [213] Der Speer durchbohrte Grane's Schild und Schenkel und haftete in der Erde, und jener konnte sich desselben nicht eher entledigen, als bis die Seinigen ihm halfen, worauf sie ihn in ein kleines Thal schleppten und ihn mit Schilden zudeckten. Ein Mann gedachte Kaare den Fuß abzuhauen, da aber kam Björn hervor und schlug ihm die Hand ab, worauf er schleunigst wieder hinter Kaare zurücksprang, Kaare aber durchhieb dem Manne beide Hüften. Darauf drang Lambe Sigfussohn auf Kaare ein und schlug nach ihm mit seinem Schwert. Kaare hielt dem Hieb die Fläche des Schildes entgegen, daß Lambes Schwert nicht schnitt, im selben Augenblick aber stieß er ihm sein Schwert unterhalb der Brust in den Leib, daß es ihm zu den Schultern herausdrang und ihm den Tod gab. Ferner sprang Thorsten Gejrlevsohn auf Kaare zu von der Seite her, aber Kaare traf ihn quer über die Schultern und spaltete ihn in zwei Theile. Endlich versetzte Kaare noch dem Bauern Gunnar von dem Hofe Skaal, der in der Nachbarschaft lag, eine tödliche Wunde. Inzwischen hatte Björn drei Männer verwundet, die Kaare anfallen wollten; er war aber niemals so weit hervorgekommen, daß er selbst dabei in Gefahr kam. Er wurde deshalb ebensowenig verwundet wie Kaare, während alle Ueberlebenden unter den Gegnern Wunden aufzuweisen hatten. Sie rannten zu ihren Pferden; Grane ließen sie liegen, wo er lag und sprengten fort. Sie waren so in Furcht gesetzt, daß sie nirgends einen Hof berührten und nirgends das Geschehene verkündeten, sondern sie hielten nicht eher inne mit ihrer Flucht, bis sie nach Svinefjeld kamen. Kaare aber ritt nach Skaal; dort kündigte er sich als den Urheber des Todes der Gefallenen sowie von Grane's Wunden an und sagte, es sei rathsam Grane unter Dach und Fach zu bringen, wenn er am Leben bleiben solle. Dann ritt er mit Björn weiter.
»Wozu sollen wir nun unsre Zuflucht nehmen?« sprach Kaare zu Björn; »laß mich sehen, wie klug Du bist.« »Meinst Du denn, es gelte nun, alle unsre Klugheit zu zeigen?« versetzte Björn. »So ist es,« war Kaare's Antwort. »Dann weiß ich einen Rath,« sagte Björn, »und wir wollen sie recht an der Nase herumführen. Wir müssen uns den Anschein geben, als wenn wir nordwärts ritten; sobald wir aber hinter jener Anhöhe sind, müssen wir längs der Skaptau abbiegen und uns an einer Stelle verbergen, während man nach uns sucht, falls man es beabsichtigt.« »Daran habe auch ich gedacht,« erwiderte Kaare. »Siehst Du,« sagte Björn, »ich bin eben so klug wie tapfer.« So ritten sie denn vorwärts bis sie zu einem Moor kamen, das ringsum von Lavafelsen umgeben war. »Siehe Du nun nach den Pferden,« sprach Kaare zu Björn, »und halte gute Wacht, ich bin schläfrig,« worauf er sich niederlegte. Björn aber ließ ihm nicht lange Ruhe. Er weckte ihn und sagte: »Du hast doch recht vielen Nutzen von mir; jeder andere hätte sich auf die Beine gemacht, denn jetzt kommen Deine Feinde über Dich.« Kaare trat deshalb unter eine Felsspitze. »Wo soll ich denn stehen?« fragte Björn. »Entweder stellst Du Dich hinter mich,« antwortete Kaare, »oder Du sprengst fort so schnell Du kannst.« »Nein,« sagte Björn, »das gäbe nur Stoff für böse Zungen. Außerdem ist ihnen auch sehr daran gelegen, mich zu fangen; sie würden mir nachsetzen und Du hättest doch keinen Vortheil von mir.« Bald darauf erschienen einige Lastpferde, welche über das Moor hingetrieben wurden; und es waren drei Männer bei ihnen. »Sie sehen uns nicht,« versetzte Kaare. »Dann laß sie nur vorüberziehen,« erwiderte Björn. Unmittelbar darauf aber kamen sechs andre Männer herangeritten. Sie sprangen alle zugleich von den Pferden und wandten sich gegen Kaare und Björn. Voran lief Glum Hildesohn. Er stieß mit seinem Speer nach Kaare, dieser aber drehte sich auf den Hacken, so daß der Stoß [215] ihn verfehlte und den Berg traf. Björn wurde des gewahr und hieb sogleich die Spitze von Glum's Speer ab. Kaare schlug nach ihm mit dem Schwert, traf ihn in den Schenkel und trennte ihm das Bein vom Leibe, wovon er sogleich starb. Da stürmten zwei Brüder gegen Kaare heran, die Thorbrandsöhne Vedbrand und Asbrand. Er durchstieß mit seinem Schwert Vedbrand und hieb Asbrand beide Füße ab. Zugleich aber wurde er sowie auch Björn verwundet. Schließlich kam Ketil von Mörk heran und stach nach Kaare mit dem Speer. Kaare aber sprang in die Höhe, so daß Ketil's Speer in die Erde fuhr, darauf sprang er auf den Schaft und dieser zerbrach. Er faßte Ketil mit den Händen, und Björn war sofort bereit ihn zu erschlagen. »Halt ein,« rief Kaare, »ich schenke Ketil das Leben, ihn möchte ich niemals tödten.« Ketil sprach kein Wort, sondern ritt seinen Gefährten nach und verkündete ihnen und allen Begegnenden, was geschehen sei. Alle Bauern versammelten sich und suchten drei Tage lang nach Kaare und Björn, doch fanden sie sie nicht. Die Bauern ritten heim nach ihren Höfen, während Ketil mit seinen Mannen ostwärts nach Svinefjeld zog. Flose sagte nicht viel zu ihrem Schicksal. »Es ist ungewiß,« äußerte er, »ob es damit sein Bewenden haben wird; aber kein Mann unter allen, die auf Island leben, kommt Kaare gleich.«
Es verstrich nur kurze Zeit bis Flose ostwärts nach dem Hornefjord ritt und alle seine Waaren sowie seine und der Sigfussöhne Reisebedürfnisse dahin führen ließ. Er blieb selbst bei dem Schiffe, bis alles zur Abfahrt bereit war, und als ein günstiger Wind wehte, stachen sie in See. Sie hatten eine lange Ueberfahrt und schlimmes Wetter, wodurch sie gänzlich verschlagen wurden. Einmal [216] bekamen sie drei schwere Sturzseen über Deck, und Flose erklärte, es seien Brandungen, weshalb sie dem Lande nahe sein müßten. Aber es herrschte ein dichter Nebel, so daß sie nichts sehen konnten. Das Unwetter nahm inzwischen zu, und in einer Nacht wurden sie auf den Strand geworfen, ehe sie dessen gewahr wurden. Die Männer wurden geborgen, allein das Schiff war zertrümmert und alles Gut ging verloren. Als es Tag wurde, erkannten zwei von Flose's Mannen das Land und erklärten, sie seien früher dort gewesen; es war eine der Orkneyinseln, mit Namen Rosö (Rowsa). »Dann hätten wir eine bessere Landungsstelle finden können,« meinte Flose, »denn die Nialsöhne Grim und Helge, die ich tödtete, waren Dienstmannen des hiesigen Jarls Sigurd Hlödvesohn.« Doch faßte er endlich den Beschluß, sich in die Gewalt des Jarls zu geben. »Es ist ja nichts anderes zu thun,« äußerte er, »er hat unser Leben in seiner Hand.« Er bedeutete aber die Seinigen, sie dürften nichts erzählen von ihren Thaten, bevor er selbst mit dem Jarl geredet habe. Darauf gingen sie landeinwärts und trafen bald auf einige Männer, die ihnen den Weg nach dem Hofe des Jarls zeigten. Sie traten vor den Jarl, und Flose und alle übrigen grüßten ihn. Der Jarl fragte, was sie für Männer seien, worauf Flose seinen Namen nannte. Der Jarl hatte bereits den Brand von Bergthorshvol erfahren und erkannte die Männer sogleich. »Was hast Du mir zu melden von meinem Dienstmann Helge Nialsohn?« fragte er Flose. »Daß ich ihm das Haupt abgeschlagen habe,« war Flose's Antwort. »Ergreifet sie alle,« befahl der Jarl, und es geschah. In diesem Augenblick jedoch kam einer von des Jarls Dienstmannen herbei, namens Thorsten, welcher ein Sohn Hald's von Sida und ein Bruder von Flose's Frau Stenvör war. Als er sah, daß Flose Gefangener sei, trat er vor den Jarl und bot ihm für Flose alles, was er hatte und besaß. Der Jarl indessen verharrte lange in seinem Zorn. Aber Thorsten war beliebt und es fanden sich deshalb viele brave Männer, die seine Bitte unterstützten und für Flose um Gnade baten. Da nahm der Jarl Flose zu Gnaden an; er schenkte ihm und allen seinen Mannen die Freiheit [217] und folgte dem Brauche mächtiger Männer, indem er Flose in dieselbe Stelle eintreten ließ, die Helge Nialsohn gehabt hatte. So wurde Flose Dienstmann des Jarls Sigurd und setzte sich bald hoch in Gunst bei ihm.
Nun bleibt noch von Kaare und Björn Hvide zu erzählen übrig, daß sie sich versteckt hielten, bis man aufhörte, nach ihnen zu suchen. Dann ritten sie heimwärts nach Thorsmark. »Lohne mir nun meine Begleitung wohl,« sagte Björn zu Kaare, »und lobe mich sehr vor meiner Frau, denn mir glaubt sie nicht.« »Ich werde Dich schon loben vor ihr,« antwortete Kaare, und darauf ritten sie in den Hof ein. Die Hausfrau empfing sie freundlich und fragte, wie es abgelaufen sei. »Es sieht noch schlimmer aus, als zuvor,« lautete Björns Entgegnung. Sie lächelte, wandte sich an Kaare und fragte, wie Björn ihm geholfen habe. »Ungedeckt ist man im Rücken, hat man nicht einen guten Freund da,« versetzte Kaare. »Björn hat mir guten Beistand geleistet, er hat drei Männer verwundet und ist selbst verwundet worden; er hat mir genützt nach bestem Vermögen.« Nach Verlauf von drei Nächten ritten sie zu Thorgejr und erzählten ihm, was geschehen sei. Es war leicht ersichtlich, wie sehr diese Nachrichten ihn erfreuten; er dankte Kaare und fragte, ob er noch mehr Thaten zu thun gedenke. Kaare erwiderte, er werde noch Gunnar Lambesohn und Kol Thorstensohn erschlagen, falls er sie treffen könne. »Uebrigens möchte ich Dich um eins bitten,« setzte er hinzu. »Deinem Wunsche will ich Folge leisten,« entgegnete Thorgejr. Kaare bat ihn nun, für Björn Sorge zu tragen, ihm einen anderen Hof zu verschaffen und ihn gegen Rache zu schützen. Thorgejr sagte zu und hielt sein Versprechen; er übernahm selbst Björn's Hof und verschaffte ihm einen anderen und brachte einen Vergleich [218] zu Stande zwischen ihm und allen denjenigen, welche gegen ihn Klage erheben konnten. Kaare jedoch ritt zu Asgrim Ellidagrimsohn, verkündete ihm seine letzten Thaten, und Asgrim wurde hoch erfreut darüber. »Was für Absichten hegst Du jetzt?« fragte er Kaare. »Ich will außer Landes ziehen ihnen nach,« war Kaare's Antwort, »ich will ihnen auflauern und sie tödten, wo ich sie finde.« »Wahrlich, Dir kommt niemand an Tapferkeit gleich,« rief Asgrim aus. Nachdem Kaare noch einige Nächte bei ihm verweilt hatte, ritt er zu Gissur Hvide. Dieser nahm ihn mit offnen Armen auf, und Kaare blieb eine Zeit lang bei ihm und erhielt beim Abschied ein treffliches Schwert von ihm. Endlich ritt er nach Eyre und suchte Schiffsgelegenheit bei Kolben dem Starken von den Orkneyinseln, mit welchem er schon lange befreundet war. Kolben war ein muthiger und kühner Mann; er empfing Kaare voll Freuden und gelobte ihm, er wolle in allen Stücken sein Loos mit ihm theilen. Mit ihm stach also Kaare einen halben Monat nach Flose's Abfahrt in See. Er hatte eine schnelle Ueberfahrt und kam an Land auf Fridarö zwischen Hjaltland und den Orkneyinseln. Dort hatte er einen guten Freund, namens David der Weiße. Bei diesem kehrte er ein und blieb bei ihm den Winter über, und erfuhr alles, was sich auf Rosö zugetragen hatte.
Zur Weihnachtszeit erhielt der Jarl Sigurd auf Rosö Besuch von seinem Schwager, dem Jarl Gille von den Südinseln (Hebriden), auch kam ein König zu ihm von Dublin, namens Sigtryg Seidenbart. Am Weihnachtstage, als Sigurd mit seinen Gästen und seinen Mannen zu Tische saß, wünschten König Sigtryg und der Jarl Gille zu hören, wie es bei dem Brande von Bergthorszugegangen [219] sei und was sich dabei zugetragen habe. Gunnar Lambesohn wurde zum Erzählen ausgewählt, es wurde ihm ein Stuhl hingestellt und er begann seine Sage. Gerade zur selben Zeit kam Kaare mit Kolben und David nach Rosö, und sie ließen einige wenige Männer beim Schiffe zurückbleiben, während sie selbst zum Hose des Jarl's hinaufgingen. Dort saß der Jarl mit seinen Gästen noch beim Trunke, Gunnar Lambesohn war mit seiner Erzählung beschäftigt, und Kaare sowie seine Begleiter blieben draußen stehen und lauschten. Gunnar log und entstellte alle Ereignisse. »Wie fand sich Skarphedin in den Brand?« fragte König Sigtryg. »Anfangs ging es lange gut,« versetzte Gunnar, »aber zuletzt weinte er.« Da konnte Kaare sich nicht länger halten, er stürmte herein mit gezogenem Schwert, sprang durch die Halle gerade auf Gunnar zu und durchhieb ihm den Hals, so daß sein Haupt über den Tisch gerade vor den König und die Jarle hinflog und der ganze Tisch sowie der Jarle Gewand vom Blute triefte. »Ergreift Kaare und tödtet ihn,« rief Jarl Sigurd, denn er erkannte ihn sogleich. Aber Kaare war sehr beliebt seit der Zeit, wo er des Jarl's Sigurd Dienstmann gewesen war, und keiner rührte die Hand, um ihn anzutasten. Kaare sprach: »Viele werden sagen, o Herr, daß ich diese That um Euretwillen vollbracht habe, indem ich Euren Dienstmann rächte.« Flose versetzte: »Kaare hatte Ursache genug zu seiner That, denn er hat keinen Vergleich mit uns geschlossen.« So entfernte sich denn Kaare, ohne daß man ihm nachsetzte. Er segelte mit David nach Schottland und kam nach der Nordostspitze des Landes, welche Katanes (Caithnes) genannt wurde. Dort weilte er lange bei einem angesehenen Manne mit Namen Skjegge und später fuhr er nach Bretland, dem heutigen Wales. Dahin war Kol Thorstensohn gelangt und war gerade im Begriff, sich mit einer angesehenen Frau zu verehelichen. Eines Morgens kam Kaare zu einer Burg, in welcher Kol gerade stand und Silber zählte. Er erkannte ihn sogleich wieder, lief mit gezogenem Schwert auf ihn zu und hieb ihm das Haupt vom Rumpfe, welches noch zu zählen fortfuhr, als es vom Halse flog. »Verkündet [220] Flose, daß Kaare Sölmundsohn Kol Thorstensohn erschlagen habe,« sprach Kaare und ging wieder zu seinem Schiffe hinab. Dann fuhr er nach Schottland zurück und blieb dort den Winter über.
König Sigtryg's Anliegen bei dem Jarl Sigurd war, ihn um Hülfe zu bitten gegen einen anderen König auf Irland, welcher Brian hieß. Der Jarl weigerte sich lange, zuletzt aber gab er dennoch nach und sagte seinen Beistand zu, und als er nach Irland zog, folgten ihm fünfzehn von Flose's Mannen, welche an der Brandstiftung theilgenommen hatten. Flose jedoch zog nicht mit ihm, denn er wollte sich nun auf die Wallfahrt nach Romaburg begeben, er segelte vielmehr mit dem Jarl Gille nach den Südinseln. Auf Irland kam es zu einer großen Schlacht, die bekannt ist unter dem Namen der Briansschlacht. König Sigtryg zog den kürzeren und mußte fliehen, und der Jarl Sigurd fiel mitsamt allen fünfzehn Brandstiftern. Als Flose diese Zeitung auf den Südinseln erkundete, wollte er nicht länger verweilen; er empfing ein gutes Schiff von dem Jarl Gille, sowie alles, was er bedurfte, und viel Silber. Er segelte nach Bretland und hielt sich dort eine Zeit lang auf. Hier erfuhr er Kol Thorstensohn's Tod und ließ ihn bestatten und gab viel Geld hin um eine Grabstätte für ihn, aber er äußerte niemals ein bittres Wort über Kaare. Darauf segelte er südwärts über das Meer und vollendete seine Wallfahrt zu Fuß, bis er die Romaburg erreichte. Dort genoß er solches Ansehen, daß er vom Papste selbst Absolution empfing, jedoch mußte er viel Geld dafür zahlen. Er zog heimwärts auf dem östlichen Wege (zu Lande) und kam unterwegs zu vielen [221] mächtigen Männern, weilte auf ihren Burgen und genoß viel Ehre bei ihnen. Den Winter über war er in Norwegen bei dem Jarl Erich; mancher Mann that ihm viel Ehre an, und beim Abschied empfing er vom Jarl eine Menge Mehl. Im Frühling segelte er nach Island; er kam an Land im Hornefjord und ritt von da nach Svinefjeld. So hatte er denn nun alles ausgeführt, wozu er verbunden gewesen war, hatte die Bußen gezahlt und war die bestimmte Zeit im Auslande gewesen. – Kaare Sölmundsohn gedachte auch nach Romaburg zu wallfahrten. Er fuhr über das Meer in demselben Sommer wie Flose, trat seine Wallfahrt in der Normandie an und erreichte sein Ziel. Nachdem er Absolution empfangen hatte, zog er zurück auf dem westlichen Wege (zur See). In der Normandie nahm er sein Schiff und segelte nordwärts nach Dover in England und von dort fuhr er westlich vorbei an Bretland und allen schottischen Fjorden. Als er nach Katanes kam, übergab er das Schiff an Kolben und David den Weißen und blieb selbst bei dem Bauer Skjegge im folgenden Winter. Im nächsten Sommer wollte er nach Island fahren. Skjegge gab ihm ein Schiff und er gewann eine Besatzung von achtzehn Mann dafür, es wurde aber schon spät an der Jahreszeit, ehe sie fertig wurden. Dennoch stachen sie in See. Sie hatten eine lange Ueberfahrt, doch erreichten sie endlich Ingolfshövde; hier zerschellte das Schiff, aber die Mannschaft rettete sich. Es erhob sich ein schweres Unwetter, und als die Männer Kaare fragten, wozu sie ihre Zuflucht nehmen sollten, versetzte er, es sei wohl am besten, nach Svinefjeld zu gehen, welches nicht weit entfernt landeinwärts lag. »Wir wollen doch versuchen,« meinte er, »wie brav sich Flose gegen uns benehmen wird.« Denn Flose war in demselben Jahre im Frühling zu Hause angekommen. Sie gingen also nach Svinefjeld hinauf, während das Unwetter noch raste. Flose befand sich im Wohnraum. Er erkannte Kaare sogleich, als dieser eintrat, sprang auf und empfing ihn, küßte ihn herzlich und räumte ihm einen Platz ein im Hochsitz. Er bat Kaare, den Winter über bei ihm zu bleiben und Kaare nahm das Anerbieten an. Sie söhnten sich [222] gänzlich aus, und als gerade Helga Nialstochter in demselben Winter, wo Kaare bei seiner Heimfahrt sich auf Katanes aufgehalten hatte, gestorben war, gab Flose ihm seine Brudertochter Hildegunne zum Weibe, welche mit Höskuld dem Goden von Hvidenes verheiratet gewesen war. Man erzählt, Flose habe sein Ende gefunden, als er einst in seinen alten Tagen ins Ausland fahren wollte, um sich Bauholz zu holen. Er hielt sich einen Winter über in Norwegen auf. Im folgenden Sommer wurde er spät fertig, und man redete davon, daß sein Schiff schlecht sei. »Es ist gut genug für einen alten Mann, der bald sterben wird,« äußerte er und belud es und stach in See. Man hat aber seitdem niemals etwas von dem Schiffe vernommen. Und damit schließen wir die Nialssaga.