Theater-Abend

Sie konnte den Pudel nicht mit in das Theater nehmen. So blieb der Pudel bei mir im Café und wir erwarteten die Herrin.

Er setzte sich so, dass er die Eingangsthüre im Auge behalten konnte und ich hielt es für sehr zweckmässig, wenn auch ein wenig übertrieben, denn, bitte, es war 1/2 8 Uhr und wir hatten bis 1/4 12 Uhr zu warten.

Wir sassen da und warteten.

Jeder vorüberrauschende Wagen erweckte in ihm Hoffnungen und ich sagte jedesmal zu ihm: »Es ist nicht möglich, sie kann es noch nicht sein, bedenke doch, es ist nicht möglich!«

Manchesmal sagte ich zu ihm: »Unsere schöne gute Herrin – – –!«

Er war direct krank vor Sehnsucht, wandte den Kopf nach mir um:

»Kommt sie oder kommt sie nicht?!«

»Sie kommt, sie kommt – – –« erwiderte ich.

Einmal gab er den Posten auf, kam zu mir heran, legte seine Pfoten auf meine Kniee und ich küsste ihn.

[34] Wie wenn er zu mir sagte: »Sage mir doch die Wahrheit, ich kann alles hören!«

Um 10 Uhr begann er zu jammern.

Da sagte ich zu ihm: »Ja, glaubst du, mein Lieber, dass mir nicht bange ist?! Man muss sich beherrschen!«

Er hielt aber nichts auf Beherrschung und jammerte.

Dann begann er leise zu weinen.

»Kommt sie oder kommt sie nicht?!«

»Sie kommt, sie kommt – – –.«

Er legte sich nun ganz platt auf den Boden hin und ich sass ziemlich zusammengebückt auf meinem Sessel.

Er jammerte nicht mehr, blickte zur Eingangsthüre, während ich vor mich hinsah.

Es war 1/4 12.

Da kam sie. Mit ihren süssen sanften gleitenden Schritten kam sie, ganz ruhig und gelassen, begrüsste uns in ihrer milden Art.

Der Pudel jauchzte, sang und sprang.

Ich aber nahm ihr den seidenen Mantel ab und hängte ihn an den Haken.

Dann setzten wir uns.

»War Euch bange?!« sagte sie.

Wie wenn man sagte: »Wie befinden Sie sich, mein Bester?!« Oder: »Ihr ergebener N.N.!«

Dann sagte sie: »O, im Theater war es wunderbar – – –!«

Ich aber fühlte: Sehnsucht, Sehnsucht, die du aus den Herzen der Menschen und der Thiere [35] strömst und strömst und strömst, wohin begiebst du dich denn?! Verflüchtigst dich vielleicht ins Weltall wie Wasser in Wolken?! Wie die Luft von Wasser dunst erfüllt ist, muss die Welt von Sehnsuchten erfüllt und schwer sein, die kamen und keine Seele fanden, die sie aufnahm! Was geschieht mit dir, Bestes, Zartestes im Leben, Sehnsucht, wenn du nicht auf Seelen triffst, die dich in sich einsaugen, gierig, dich verwerten zu eigener Kraft?!?

Sehnsucht, Sehnsucht, die du von Mensch und Thier ausströmst in die Welt, ausströmst, ausströmst, wohin begiebst du dich denn?!?

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Altenberg, Peter. Prosa. Was der Tag mir zuträgt. Theater-Abend. Theater-Abend. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0001-DC11-6