Aufführung der »Walküre«

Ich erblickte in der vordersten Reihe des Parketts eine junge Dame mit braunroten Haaren, so schön wie Evelyn Thaw. Obzwar ich in der zehnten Reihe saß, konnte ich sie, die einen Ecksitz innehatte, immerfort sehen. Ich sah tausend Fremde wie angezogene Wachspuppen, aber diese wurde mir durch ihre Schönheit enträtselt und der Seele nahegerückt. Ihre Schönheit zum Beispiel ließ mich um ihr Schicksal sogleich bange sein, denn auch meine schöne Angebetete saß einst tränenerfüllt in der »Walküre« und verstand dennoch allzu wenig vom Leben. Ich dachte: »Fräulein, passen Sie mir doch ja recht auf, Sieglinde nahm einen Hunding zum Manne!«

Und ins düstere Gemach brach der Frühling herein. Wie wunderbar hat Maler Roller dieses Hereinbrechen gemalt, wie einen mysteriösen Gruß aus lichteren Welten! Tore und Zaun sind schwarz und in die mondlichtblauen Nebel ragen drei alte Bergföhren, mondlichtblau verklärt in ihren Knorrigkeiten. Junge, arme, wunderbare Mädchen, weshalb rückt ihr die Kunst so endlos weit von eurem Leben ab, daß sie euch nicht störe und treffe in euren Herzen?!? Alles, was dort ist, ist in eurem eigenen Leben und alles Schicksal der Walküre und Sieglindens ist unentrinnbar in euch selber! Rotbraune Dame, schaue nicht so hin auf die Bühne, wie wenn es dich, Gott sei Dank, nichts anginge und vier Stunden nur angenehm dir verfließen! Deshalb hat Gott »Wagner« nicht seine göttliche Musikseele ausgebreitet vor dir, sondern, daß du im Klange Schicksal des Lebens [135] vernähmest,dein Schicksal, teure wunderschöne Fremde! Sitze mir beunruhigt da und ängstlich, lauschend und verzweifelt, teures Mädchen!

Im zweiten Akte hat Maler Roller in die Steinblöcke des umsprießenden Tales das schreckliche Schicksal gelegt. Zwischen Berchtesgaden und der Ramsau ist so ein Felstrümmertal, wo das Leben stockt! Was kann hier vorgehen?!? Ideale und ihre Zertrümmerung! Die Walküre verliert ihre »freie Göttlichkeit«, wird zum mitleidenden Weibe. Sieglinde schläft im Schoß ihres Geliebten friedevollst und dieser verzichtet ihr zuliebe auf Walhall! Dieses Schlafen Sieglindens hat mich immer allertiefst ergriffen. Fast alle edlen Frauen schlafen, irgendwo sich getreu verlassend wie kränkliche Kinder, lehnen ihren Kopf vertrauensreich hilflos an. Wunderbar rührend ist es, wie die Walküre »sinkt« und frauenhaftes Mitempfinden fühlt. Aber noch wunderbarer ist dieses süße, tiefe, sichere Schlafen Sieglindens im Schoße des Geliebten. Wie wenn ein Baby vor einem Eisenbahnzusammenstoß ruhig an der Mutterbrust schliefe, die Händchen in die Kleidfalten geklammert. Frau Luzie Weidt, edelste Künstlerin, wie tief ergreifst du uns als singende Frau. Nie gab es eine edlere Sieglinde. Aber in deinem Schlafen rührt uns noch tiefer die stumme Natur! Hast du vor Morgengrauen schon am »Kaiserstein«, Schneeberg, die Sonne erwartet?! Wolkenfetzen und Nebel kämpfen gegen das Licht und der Sturm wirkt gegen beide, bald zerteilend, bald zusammenballend. Hoffnungen erweckend und vernichtend. So malt Roller den Ritt der Walküren zum Felsen. Übermenschliche

[136] Wesen könnten am Kaiserstein, Schneeberg, vorübersausen vor dem Morgengrauen, versteckt in der Schlacht der getriebenen Wolken vom Morgenwinde! Man sieht den Aufruhr der Natur, man ahnt den Aufruhr im Walkürenherzen!

Als alles zu Ende war und Wotan in Traurigkeit die Walküre, sein besseres idealeres Selbst in ihm, in Schlaf versenkt hatte (wir tun das alle), traf ich am Ausgang aus der geliebten Musikkirche, »Opernhaus«, das braunrote, wunderbar schöne Mädchen vom Ecksitze in der vorderen Parkettreihe. Sie war blässer als vorher und sah ermüdet aus, erschöpft. Ich fühlte: »Möge es dich martern, nicht zur Ruhe kommen lassen, bedenklich machen und dich aufstören wie der Stock des Wanderers den geordneten Ameisenhaufen! Was daraus Vorteilhaftes für dich ersteht, wer weiß es?!? Aber die Ruhe ist jedenfalls das Schädlichste!« Das Rasten heißt überall, nicht weiterkommen! Deshalb ist in Wagners Musik das ewig Rastlose. Gottes Gipfel sind hoch, man kann nicht rasten in den Niederungen, denn er wünscht es nicht! Wollt ihr es euch aber bereits bequem machen auf euren guten Ecksitzen?! Tut, tut es ja nicht, auserlesene Geschöpfe! Nehmt wenigstens die treibende Melancholie mit, die die edle Unruhe fördert in eurer Seele! Gehet mir ja nicht befriedigt weg, sondern zerstört und verzweifelt!

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Altenberg, Peter. Prosa. Märchen des Lebens. Aufführung der »Walküre«. Aufführung der »Walküre«. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0001-DA46-F