Die Nimphe des Rheins

Still und kühl ruhte die Nacht auf der Gegend; heiter und blau spannte sich der weite Himmel über ihr aus, und spiegelte sich in der ruhigen Fläche des Rheines, der durch die schlummernden Fluren zog. Der Mond war aufgegangen, und vergoldete die leise flüsternden Wogen. In den Hütten am Ufer waren längst die matten Lampen erloschen, und eine tiefe Ruhe umfing das blühende Thal. Nur oben in dem Felsenschloße, das Graf Raimund, der Herr dieses Kreises, bewohnte, schimmerten noch Lichter durch die hohen Bogenfenster, und dumpfe, halb verlorene Töne einer fröhlichen Musik hallten aus der Ferne herüber, und verkündeten, daß dort ein Fest der rauschenden Freude gefeiert werde.

[37] Ambrosius, ein junger Fischer, saß allein noch wachend im tiefen Thale, und benutzte das helle Leuchten des Mondes vor der Thür eines Hauses, die Netze auszubessern, die ein schwerer Fang ihm zerrissen hatte.

Wunderlieblich war die Nacht, linde Lüfte spielten mit den braunen Locken, die sich um seine Stirne kräuselten, und süße Wohlgerüche stiegen belohnend neben ihm aus dem kleinen Gärtchen empor, das er in müssigen Stunden mit duftenden Blumen bepflanzt hatte. Seine Gedanken schwebten gleich Schmetterlingen auf den Blüthen der Vergangenheit umher, und Sehnsucht hob seine klopfende Brust bei der Erinnerung an seine Geliebte, die in der väterlichen Hütte längst den Schlummer der Unschuld schlief. Goldene Träume der Hoffnung webten sich vor seinem Sinn, und er hauchte in einigen Melodien liebeathmender Lieder die Gluth seines zärtlichen Verlangens aus. – –

Plötzlich dünkte ihn, als ob das Flüstern der Wellen in harmonischen Tönen seinen Gesang begleite. Er blickte auf – – kein Sturm hatte sich erhoben, und doch rauschte der Rhein heftiger als vorher, und schlug seine Ufer, und hohe Wogen, die in seiner Mitte aufstiegen, trugen wie auf einer schwankenden Gondel eine Jungfrau zu ihm her.

Der Mond schien seinen Schein zu verdoppeln, um ihre Gestalt in vollem Glanze der jugendlichen Anmuth darzustellen, die sie schmückte. Ein blendendes Gewand umschloß ihren schlanken Wuchs, und ein Gürtel von Perlen hielt es unter dem Busen [38] zusammen. Ihre Augen funkelten wie die Sterne des Himmels, und in ihren langen Haaren, die in reichen Locken um sie her schwammen, flüsterte ein Kranz von Schilf.

Ambrosius erstaunte. Sein erster Gedanke war, daß die schöne Jungfrau vielleicht am jenseitigen Ufer verunglückt seyn könne, und er eilte herbey, den Nachen loszubinden, um sie zu retten.

Als er aber sah, daß sie in stolzer Ruhe, wie ein Schwan, von der trügerischen Fluth getragen wurde – ja – daß sie dem Elemente gebot, wie einem untergeordneten Diener, da rieselte ein kalter Schauer durch seine Glieder, und er schlug ein Kreuz, und betete leise: Alle guten Geister loben Gott den Herrn!

In Ewigkeit, Amen! versetzte eine Stimme, die hold wie Sphärengesang vor seinen Ohren tönte. Ich bin kein Geist der Finsterniß, fuhr die Stimme fort, und eine weiße, aber kalte Hand richtete den Jüngling auf, der bebend auf die Knie gesunken war, Ich bin die Nimphe dieses Flusses, und nur selten verlasse ich meine feuchte Heimath, um dem Menschengeschlecht, unter dem ich einst glücklich war, Beweise meiner Liebe und meines Mitleids zu geben. Dein Gesang ist oft zu mir in die Tiefe gedrungen, und mit Antheil habe ich dem süßen Wohllaut deiner Lieder gelauscht. Du liebst, holder Jüngling! denn welches andere Feuer könnte deine Töne wohl so erwärmen, daß sie gleich glühenden Pfeilen in das Innerste der Seele zu dringen vermöchten? Auch ich habe geliebt – – und ich vernehme in den Klagen deiner Sehnsucht nur den Wiederhall meiner [39] eignen Schmerzen, und in dem Jubel deiner Hoffnungen die Erinnerung an den kurzen Traum meines vergangenen Glücks. Daher bin ich der Fluth entstiegen, Dich zu fragen, welche Hindernisse noch zwischen Dir und der Gewährung deiner Wünsche sich aufthürmen? Kann ich sie hinweg räumen, so sieh mich dazu bereit, denn längst fand ich den einzigen Balsam für die tiefe Wunde meines Herzens in dem Bestreben, andere glücklicher zu machen, als ich selbst bin.

Ihre Worte linderten die bleiche Furcht, die sich noch in Ambrosius regte. O Nimpfe! rief er aus, Du, deren Daseyn ich bisher immer wie ein Mährchen bezweifelte, wenn andere mir davon erzählten – wie soll ich mein Erstaunen Dir ausdrücken? So bist Du denn wirklich kein Hirngespinnst, und mich Unwürdigen hast Du ersehen, mir zu erscheinen und meine Wohlthäterin zu werden? Aber ach, Du wirst in deiner Erhabenheit über irrdische Bedürfnisse wohl nicht ahnen, was meinem Glück im Wege steht. Denn in der wallenden Fluth, in der Du lebst, hat das elende Metall, das hienieden so oft die Schicksale der Menschen bestimmt, gewiß keinen höhern Werth, als der Sand des Flußbettes, über den dein leichter Fuß dahin schwebt. Doch hier auf Erden entscheidet es leider nur allzumächtig das Wohl und Wehe selbst des genügsamsten Sinnes. So bin auch ich noch weit entfernt von der Schwelle der bräutlichen Kammer, weil meine Armuth der Stein des Anstoßes ist, der den Vater meiner Geliebten abhält, mir ihre Hand zu geben.

[40] Glücklicher Jüngling! versetzte die Jungfrau mit einem schmerzlichen Seufzer, wie beneide ich Dich um diese so leicht zu hebenden Sorgen. Fasse Muth! Ehe der Mond sein schimmerndes Silber zum dritten mahl in den Wellen meiner Heimath spiegelt, sollst Du der reichste Fischer des Rheingaus seyn. Gedenke dann zuweilen segnend der hülfreichen Hand, die das Paradies deiner Wünsche Dir aufschloß, und laß oft, zum Dank, in fröhlichen Melodien das Echo deines beglückten Herzens hinabhallen zu mir, damit ich mich deiner Zufriedenheit erfreue, und mich selbst vergesse.

Hülfreiche, wohlthätige Nimpfe! rief Ambrosius entzückt, nächst der Mutter Gottes werd ich Dich lebenslang am meisten verehren. O könnt' ich überzeugender, als durch Worte Dir beweisen, wie dankbar, wie ergeben ich Dir bin! –

Du kanst es, unterbrach die Nimpfe ihn mit rascher Eil, Du kannst es, wenn Du willst. Es steht in deiner Macht, mir einen Dienst zu leisten, dermich Dir inniger verpflichtet, als Dich mir jede noch so reiche Gabe verbinden kann.

So fodere, erwiederte Ambrosius. Was menschliche Kräfte und menschlicher Wille vermögen, das, ich schwöre es Dir, will ich für Dich thun.

Ich nehme Deinen Schwur an, sagte die Nimphe; doch verlang ich nicht, daß du blind und unbedingt mir gehorchen sollst. Du scheinst meines Vertrauens werth. – – So blicke denn in dies Herz, das eigner Gram, und fremder Wankelmuth zerrissen hat, und dann halte Wort, und lindere seine Qualen.

[41] Die Fähigkeit, mit verzehrender Gluth zu lieben, war das Erbtheil, das meine Mutter mir sterbend hinterließ. Leidenschaft für einen treulosen Bewohner der Erde brachte sie schon in einem Alter von funfzehnhundert Jahren zu dem verzweifelten Entschluß, der Unzerstörbarkeit ihrer Natur zu entsagen, um in der Vergessenheit des Todes jene traurige Ruhe zu suchen, die selbst nach einer dornenvollen Laufbahnden Menschen mit seinen gehabten Schicksalen versöhnt.

Ich, ihre einzige Tochter, verdankte mein Daseyn jener unglücklichen Verbindung, die mir zu früh ihre mütterliche Leitung entriß. Trostlos knieete ich an ihrem Lager, und beschwor sie, die Vorrechte der Unsterblichkeit nicht aufzugeben, die als eine Eigenthümlichkeit der Elementargeister die Ondinen über das leicht vergehende Geschlecht der Menschen erhebt.

»Banne mich nicht durch Deine Klagen fest an den Kreis eines unabänderlichen Elendes, sagte sie mit schon verlöschender Stimme. Denn den Schmerz betrogener Liebe heilt nur das Eine, was der Himmel in einer unseligen Begünstigung uns vorenthielt, als er es dem Sterblichen zum letzten Trost gab: der Tod. Gerne setze ich mich jenen Geschöpfen gleich, die aus Staub geschaffen, wiederum in Staub zerfallen; nur Deine Zukunft bekümmert mich in den Augenblicken, die der friedlichen Auflösung meines Wesens vorausgehen. Denn auch Du Libelle! wirst lieben und leiden. Wohl könnte ich Dich sichern gegen den Eindruck jener mächtigen Leidenschaft, als deren Opfer ich vergehe, [42] aber ich würde Dir mehr rauben, als die Gleichgültigkeit der Ruhe werth ist, wenn ich Dein Gemüth unempfindlich machen wollte gegen die Entzückungen der Liebe, in denen ich allein den ganzen Umfang meines Daseyns fühlte. So gieb Dich ihnen denn hin mit allen Kräften Deiner Seele, wenn Dich einst ihre göttliche Flamme erreicht. Aber höre den Rath Deiner sterbenden Mutter, und laß nie, wie ich, durch die Furcht des Verlustes des Besitzes Wonne Dir trüben. Genieße jeden Augenblick, als sey er der letzte Deines Glücks, so wird einst, wenn Du verlassen weinst, wie ich, kein innerer Vorwurf Dich an versäumte Stunden mahnen, um deren Seligkeit Du Dich selbst betrogen hast.«

Sie wollte weiter sprechen, aber der so oft herbeigerufene Tod verschloß ihre Lippen, und lähmte den Flug ihrer Gedanken. Kindliche Wehmuth umhüllte mein Bewußtseyn mit dunkler Nacht, und als ich unter den Händen meiner Dienerinnen wieder erwachte, fand ich ihr schmerzenvolles Leben schon geendet.

Tief hatten ihre letzten Worte sich mir eingeprägt, aber die Erinnerung ihrer Leiden, schien mir ein ewiges Gegengift gegen die süßen, lockenden Gefahren der Liebe. Unbefangen und heiter rollte die Zeit an mir dahin; aber ach! – auch meine Stunde schlug, und die erträumte Sicherheit, in der ich sorglos scherzte, diente vielleicht nur, mein Unglück zu beschleunigen.

Dort, wo der Rhein, unfern seiner Entstehung, durch die Thäler der Alpen sich windet, lauscht ich[43] einst in süßer Ruhe dem irrdischen Glanze, mit dem der Frühling jene reiche Natur verschönerte.

Da ward ich einen Jüngling gewahr, der einsam an den Ufern meiner Wohnung wandelte. Lange schaute er in das Gekräusel grüner Wellen, die dort noch in jugendlicher Reinheit schimmern, und mir war, als könnten seine Blicke mich Lauschende in der wogenden Tiefe erreichen. Das dunkle Feuer des Verlangens, das in seinem Auge brannte, entzündete auch in mir die heiße Glut einer Sehnsucht, wie ich sie nimmer noch geahnet hatte, und seine Züge, durch den Stempel einer himmlischen Schönheit bezeichnet, gruben sich schnell und unauslöschlich in mein Herz.

Die Sonne schien heiß; einsam war die Gegend, und einladend das linde Flüstern der Wellen zum Bade. Da warf er sein Gewand zur Erde, und sprang kühn und freudig in den Fluß, und spielte schwimmend mit den lispelnden Wogen, die, stolz auf ihre schöne Last, ihn umfingen, und auf blinkendem Saume ihn einher trugen, als wäre er Neptun in der Fülle des Meeres.

Doch plötzlich hemmte ein Krampf die anmuthsvolle Uebung seiner Kräfte. Todesbläße verdrängte die Rosen seines Angesichts, und in gräßlicher Willkühr rissen ihn die Fluthen mit sich fort. Da er hob ich mich vom Grunde, und faßte den Sinkenden in meine Arme, bebend mich an dem Zauber seiner Nähe weidend, zitternd und ahnungsvoll ihn an mich schließend. – –

Ich stieg bei der Stelle ans Land, wo er sich [44] entkleidet hatte. Sorgsam hüllte ich ihn in seinen Mantel, und lehnte sein lockigtes Haupt an meine Brust, die von wunderbaren Regungen bestürmt ward.

Allein er gab kein Zeichen des Bewußtseyns von sich, und trunken von dem Anblick seiner Schönheit, und muthig gemacht durch den Schlummer der Ohnmacht, der seine Augen verschloß, wagt ich es, mit meinen Lippen seinen bleichen Mund zu berühren. Lange verweilte ich im ersten Kuß meines Lebens, bis ich die warmen Pulsschläge seiner wiederkehrenden Empfindung fühlte, und er, wie aus einem Traum erwachend, den Himmel seiner Blicke vor mir aufthat.

Er hatte seine Besinnung in dem Moment verlohren, als der Strom ihn hinab ziehen wollte in ein naßes Grab. Erstaunt sah er sich dem Daseyn erhalten, und von den Armen seiner Retterin umschlungen, die unbekannt mit der Künstlichkeit des weiblichen Benehmens auf Erden, entzückt, und ohne Zurückhaltung sich in den neuen, süßen Bewegungen ihres Herzens berauschte. Seine Verwunderung erhöhte sich schnell bis zur Freude; inniger Dank lohnte mir für das Geschenk des Lebens, das er aus meiner schützenden Hand empfing, und bald knüpften ihn noch zärtlichere Bande an mich, und erwiedert fand ich jede geheimste Empfindung meines Busens.

Selige Zeit! – warum konntest Du nicht ewig dauern? – Und wenn Du fliehen mußtest, warum nahmst Du denn nicht den öden Traum meines Daseyns mit Dir, da es mir in Verzweiflung erstarrte, als die Liebe aufhörte, es zu beseelen! –

[45] Ich folgte indessen dem Rathe meiner Mutter, und schwelgte sorglos in dem Genuße meines Glücks. Lange lies ich meinen Geliebten in dem Wahn, als sey ich ein Wesen seines Gleichen. Eine schüchterne Ahnung hielt mich ab, ihm zu bekennen, daß ich zu dem mächtigen Geschlecht der Ondinen gehörte. Denn ich, die ich so gern mein ganzes beßeres Selbst liebend ihm unterworfen hätte, fürchtete leise, daß die mir über die Beschränkung der Menschen verliehene Ueberlegenheit ihn weit eher von mir entfernen, als ihn mir nähern werde.

Unerwartet, wie aus hellem blauen Aether ein tödtender Blitzstrahl niederfährt, so überraschte mich mitten in den Freuden meiner Liebe das Ende derselben.

Denn als ich einst ungewöhnlich lange den Abgott meiner Seele in der Felsenkluft erwartet hatte, die unsere Zusammenkünfte stets geheimnisvoll verbarg, eilte er endlich in meine Arme, doch nicht mit dem Entzücken das jedes neue Wiedersehn über uns ausgoß, sondern trübe, gedankenvoll, und seine Stirn in Wolken der Trauer gehüllt.

Wir müßen uns trennen, Libelle! seufzte er leise an meinem Busen. Ein Eilbote überbringt mir vom Sterbebette meiner Mutter den Befehl, vor ihr zu erscheinen, um ihren letzten Segen zu empfangen.

Schon hatte der Schrecken mit seiner bleiernen Schwere bei den Worten: wir müssen uns trennen, die freudigen Wallungen erstickt, mit denen ich ihn begrüßte, aber bald gesellte sich noch ein ungeheurer Schmerz zu der qualvollen Beklemmung, die mich ängstigte.

[46] Dtnn er fuhr fort im dumpfen Ton der Schwermuth: wohl weiß ich, daß der Gang der Natur das Alter früher zum Grabe leitet, als die Jugend, die erst in den Stürmen der Welt ihre Kräfte üben und brauchen, und ihre Sinne läutern muß zum würdigen Uebergang in ein beßeres Seyn. Auch wollte ich mit Hoffnung, wie wohl nicht ohne kindlichen Schmerz vor ihr Lager treten, wenn ich nicht Kämpfe voraussehen müßte, die mein Innerstes zerreissen werden. Denn ich kann Dir nicht verhehlen, daß sie schon längst eine Braut mir gewählt hat, von deren Reiz und Güte sie das Glück meiner Zukunft erwartet, und deren Hand sie wünscht, noch vor ihrem Tode in die meinige zu fügen.

So werde ich Dich verliehren, rief ich außer mir, und zwiefach verliehren!

Der Ungestühm meiner Gefühle raubte mir die Sprache, und ich konnte nur mit einem Strom von Thränen, schweigend, und halb vernichtet, an seinen Busen sinken.

Was ist Dir, Libelle? fragte er sanft. Wie kann ein Zweifel an der Heiligkeit meiner Treue in Deinem Herzen Raum finden, das meine Schwüre aufgenommen und erwiedert hat? Nein, in der Stunde des Abschieds, die mich bald, doch nicht auf lange aus Deiner beglückenden Nähe drängt, erneuere ich Dir meine Eide, und gelobe Dir bei der Wonne unserer Vergangenheit, nur für Dich allein zu leben, und Dich ewig zu lieben. Nimm, setze er hinzu, indem er meine Thränen trocknete, nimm diesen Ring zum Pfande der Verlobung und der [47] Beständigkeit. Er wird mich ewig an Dich binden, und nur dann, wenn Deine Empfindungen sich jemahls ändern sollten, und Du freiwillig ihn mir zurück giebst, nur dann, und eher nicht, werde ich mich für frei halten. Doch diese Freiheit würde ein trauriges Geschenk für mich seyn, denn erst seit ich sie an Dich verlohren habe, lächelt mir das Leben paradiesisch, das mir hoffnungslos und öde wäre ohne Dich!

Ich nahm den Ring, der als ein Sinnbild der Ewigkeit in der Gestalt einer Schlange mir die stete Dauer seiner Treue in stummer Beredsamkeit verbürgte. Immer trage ich ihn seitdem an einer goldenen Kette auf meinem Herzen, aber ach, seine Bedeutung hat sich geändert, denn nur eine Ewigkeit des Leidens, nicht der Liebe, ward mir vom Schicksal vergönnt.

Laß nun, fuhr mein Geliebter fort, in diesen letzten Augenblicken den Schleier des Geheimnißes sinken. Entdecke mir mit jenem edlen Vertrauen, das Hand in Hand mit reiner Liebe geht, wer Du bist, und welchen Nahmen ich aussprechen muß, wenn ich meiner sterbenden Mutter bekenne, daß ich die Gefährtin meines künftigen Lebens schon bereits gewählt habe. Sey die Tochter eines der Edlen hier im Lande, oder eines dürftigen Hirten dieser Fluren – es gilt mir gleich, denn Liebe hebt den Unterschied der Stände auf, wie die Sonne Nebelwolken überwältigt. Verbirg Dich mir nicht länger, und nenne mir Deinen Namen, den ich bloß zu [48] erfahren wünsche, um ihn so bald wie möglich mit dem meinigen zu vertauschen.

Das Feuer seiner Rede, und die Innigkeit mit der er bat, lösete endlich das Siegel des Schweigens von meinen Lippen. Ich gestand ihm, wer ich sey, und bemerkte wohl, daß ein leises Beben ihn durchschauerte; doch hielt ich es nur für das Befremden der Ueberraschung, was vielleicht schon der Widerwille war, mit dem sich gemeine Naturen einer höheren anschließen. Wiehernd mahnte seitwärts sein stampfendes Roß ihn an die Trennung, die ich in zärtlicher Wehmuth noch zu verzögern suchte. Da lösete ich eine Perlenschnur von meinem Halse, und gab sie ihm zum Denkmal dieser Stunde und meiner Liebe.

So oft du mich zu sprechen begehrst, sagte ich, so gehe hin zu den Ufern des Rheins, wo er auch walle, und wirf eine der Perlen hinab, daß sie als Botin der Sehnsncht mir dein Verlangen verkünde. Unaufhaltsam werde ich dann in deine Arme eilen, und, o möchtest du mich oft rufen! Möcht' ich bald die ganze Reihe wieder versammelt an meinem Halse tragen, und dann nicht mehr ihrer bedürfen, um dich wieder zu sehn!

Stumm und in finsteres Schweigen verlohren, nahm er mein Geschenk, drückte mich noch einmahl mit Heftigkeit an sich, schwang sich dann auf sein schnaubendes Roß, und entfloh, schnell wie ein Gedanke des Augenblicks. Starr sah ich ihm noch lange nach in trüber, schmerzlicher Betäubung, dann kehrte ich zurük in die Gränzen meines Reichs, und harrte[49] hoffend auf die Erscheinung meiner Perlen. –

Doch Monden vergingen, und keine rief mich empor zum Wiedersehn des Geliebten. Noch hatte indessen nur Kummer meine Seele gebeugt, kein Argwohn sie verletzt, und als endlich nach eines Jahres Verlauf eine derselben hell wie eine Thräne vor mir nieder sank, jubelte ich laut auf, von seligen Ahnungen des nahenden Glücks ergriffen, und rauschte empor daß weit umher die Wogen schäumten, wie vom Sturmwind gepeitscht.

Da sah ich ihn wieder, doch ach! wie verändert. Nicht mehr wie sonst flog er an mein schlagendes Herz: scheu und beschämt grüßte er mich nur aus der Ferne.

Libella, sprach er mit gesenkten Blicken, doppelt schön durch das glühende Erröthen, das sich wie eine Aurora über sein Gesicht ergoß, Libella, du hast mir das Leben gerettet; thue noch mehr, und rette auch mein Glück. Lange und schmerzlich habe ich mich geprüft, um mir selbst klar zu werden, und ich glaube, ich verstehe jetzt, Wahn von Wahrheit zu unterscheiden. Daher kann ich weder dir noch mir läugnen, daß ich Gleichheit für die erste, nothwendige Bedingung einer unauflöslichen Verbindung halte, und so tief ich dich auch verehre, so schauert mir doch vor dem Gedanken deiner überirdischen Macht, die alle warmen Gefühle des Herzens auslöscht, indem sie den Geist unwiderstehlich zu einer huldigenden Unterwerfung zwingt. Ich habe, als ich Dich verlies, die Braut kennen lernen, die der letzte Wille meiner Mutter mir bestimmte. Der sanfte, [50] menschliche Reiz ihres Umgangs hat mein blutendes Gemüth geheilt, das damahls nur von Deinem Bilde erfüllt war, und nur an ihrer Seite, fühle ich, kann mir das Morgenroth eines heiteren Lebenstages aufgehn. Sey daher großmüthig, meine Retterin, meine Freundin! tritt die Rechte, die ich, ohne Dich zu kennen, Dir in einer trunkenen Verblendung meiner Sinne eingeräumt habe, an meine Bertha ab, die ohne mich nicht leben kann, und gieb mir den Ring zurück, den ich so übereilt als ein Pfand der Treue Dir hinterließ.

Wie, Treuloser! rief ich aus, übermannt vom glühendsten Zorn, Du wagst es, mir den Ring abzufordern, der Dich mir auf ewig zum Eigenthum weiht? Ha, Du hast bis jetzt nur meine Liebe erfahren, nicht die eherne Kraft meines Willens. Du selbst knüpftest unaufgefordert Deine Freiheit an diesen Ring, und nichts in der Welt soll mich bewegen, ihn Dir zurück zu geben.

Nun wohl, versetzte er kalt, so behalte ihn denn, aber schmeichle Dir nicht, daß er mich binden werde. Ich glaubte ihn einem sterblichen Mädchen zu geben, keinem Elementargeiste, und dies lös't meine Schwüre. Gern wäre ich, um der ehemaligen Irrthümer meines Herzens willen, in einem guten Vernehmen mit Dir geblieben; Doch Du willst es nicht – Du begehrstLiebe, die sich nicht erzwingen läßt. So lebe denn wohl auf immer, – ich kehre zurück in mein Schloß, denn jeder Augenblick scheint mir verlohren, den ich fern von meiner Bertha verlebe.

Hier verließ mich der Grausame, und seit dem [51] sah ich ihn nicht wieder. Reue, Wehmuth und Mitleid verdrängten bald in mir die Wuth, die betrogene Hoffnung und gekränkte Liebe in mir entflammt hatten. Ich gab mich einem unmäßigen Schmerze hin, und hoffte, er sollte selbst die Bande der Geisterwelt sprengen, und mich tödten, denn ich habe nicht die resignirte Entschlossenheit meiner Mutter, meine Vernichtung als eine Gunst des Schicksals zu fodern. Durch meine Seufzer hoben sich die Wellen in hohlem Brausen, – durch meine Thränen traten sie aus ihren Ufern – aber umsonst – ich blieb verlassen, und keine neue Botschaft rief mich zu einer sanfteren Auflösung dieses unglückseligen Verhältnisses empor.

Bei diesen Worten drangen heller als vorher die Töne geselliger Freude vom Felsenschloß herab durch die schweigende Luft. Wie der Nachtwind den bleichen Kelch der Lilie bewegt, so erschütterte ein leises Beben die zarten Glieder der Ondine. Hörst Du, sprach sie mit wilden Bücken, hörst Du diese Töne, Ambrosius? kannst Du mir sie deuten? –

Es ist Graf Raimunds Verlobungsfest, das sie verkünden, antwortete der Fischer. In drei Tagen wird seine Hochzeit seyn.

Ha, rief sie aus, so muß ich eilen, wenn meine Gabe noch Werth haben soll in seinen Augen. Denn wisse, Jüngling, Raimund war mein Geliebter, und den Ring, den ich auf meinem Herzen trage, empfing ich von ihm. Wohl hat er Recht: Liebe läßt sich nicht erzwingen. Ich entsage der seinigen, allein zu fest, zu wahr, zu innig ist meine [52] Neigung für ihn, als daß ich nicht, frei von Rachsucht, jeden Dorn aus dem Kranz seiner Freuden nehmen, und seine Seele vor den Qualen des Meineids bewahren sollte. Geh zu ihm, wenn der Morgen graut, sag ihm, daß Dich Libella sendet, die getäuschte, gemißhandelte, doch nein, nur die liebende Libella. Sage, sie wünschte nichts mehr hienieden, als ihn nur noch einmahl zu sehen, ihn um Verzeihung zu bitten wegen ihrer oft schon bereuten Heftigkeit, und ihm das theure Unterpfand seiner gebrochenen Treue zurück zu geben. Leite ihn zu den Ufern des Rheins, und laß ihn in Deinen Nachen steigen; steuere dann muthig mit ihm in die Mitte des Flußes, und bitte ihn, daß er die Perlenschnur, die er noch von mir besitzt, hinab wirft, mich zu rufen aus der Nacht meines Kummers, und zu gleicher Zeit mit ihr das letzte Andenken an mich zu versenken. Ich werde dann erscheinen, ihm den Ring darreichen, sein Lebewohl empfangen, und zurückkehren in den Schoos der Fluthen, um sie nicht mehr zu verlaßen. Du aber wirst, wenn Du mir diese letzte Beruhigung verschafft hast, einen glänzendern Lohn von mir empfangen, als ein langes, mühevolles Leben Dir erwerben könnte.

Wie gern versprach der Fischer, diesen Wunsch bescheidener sich selbst verleugnender Liebe zu erfüllen. O unser Herr ist gut! rief er aus. Böse Sterne müssen seinen Sinn Dir entfremdet haben. Wie wird ihn Deine Milde rühren! – Rechne fest darauf, ihn zu sehn, denn ich bin überzeugt, er wird Dir Deine letzte Bitte nicht versagen.

[53] Ich glaube es selbst, antwortete Libella mit einem bitterm Lächeln. Und nun fuhr sie fort, ehe ich scheide – gieb mir von Deinen Blumen welche mit hinab in mein kühles Reich, wo keine sproßen. – Freudig öffnete Ambrosius die Pforte seines Gärtchens, und wollte die schönsten Erstlinge des Sommers ihr brechen.

Keine Rosen sprach sie mit schwermüthigem Ton, indem sie seine geschäftige Hand zurück hielt. Rosen hat die Natur nur der glücklichen Liebe geweiht. Gieb mir Nachtviolen und dunkle Cipressen – gieb mir die blasse Narcisse, die sich gern in murmelnden Quellen beschaut – und willst Du Symbole meiner Stimmung mir wählen, so reiche mit des Sinnkrauts falbe traurige Blätter, und die den Gräbern geheiligten Blüthe des Rosmarins.

Ambrosius that, wie sie verlangte, und reichte ihr bald den melancholischen Strauß. Sie betrachtete ihn finster, und in die Thautropfen, die auf ihm glänzten, mischten sich leise ihre Thränen. Dann ging sie. Wahnsinn lächelte aus ihrem Abschiedsgruß, und so wie ihr erstes Erscheinen Ambrosius mit Grausen erfüllt hatte, so sah er auch jetzt nicht ohne Schauder ihr Verschwinden, als die flüsternden Wellen von einander wichen, um sie in sich aufzunehmen.

Bald goß indessen der Schlaf den linden Balsam auf seine müden Augen, und als er sie wieder aufschlug, dämmerte der Morgen, und erinnerte ihn an sein Versprechen. Er erstieg den Felsengipfel, auf welchem Raimunds Schlos thronte, und ward [54] in das Gemach des glücklichen Bräutigams geführt, der eben aus holden Träumen erwachte.

Was bringst Du mir? rief der Graf ihm heiter entgegen. – Einfach aber genau richtete Ambrosius seinen Auftrag aus, und nicht ohne Zeichen innerer Zufriedenheit lauschte Raimund seinen Worten.

So will der Himmel denn alle meine Wünsche krönen! rief er aus. Sey mir willkommen Du Gesandter des Friedens, denn ich muß Dir gestehn, daß mancher schmerzliche Stich der Erinnerung mich selbst in den Armen meiner Bertha an mein gebrochenes Gelübde mahnte. Auf, laß uns keinen Augenblick versäumen, um Libellas Edelmuth zu benuzzen. Noch flammt das Morgenroth in seinem ersten Glühen, und noch schlummert meine holde Verlobte. Ehe sie erwacht, können wir zurück seyn, und ich darf dann den unglückseligen Ring zu ihren Füssen niederlegen, und sagen: nun bin ich ganz Dein, meine Bertha, und selbst die Schatten der Vergangenheit dürfen nicht mehr wagen, zwischen uns zu treten.

Er nahm die Perlenschnur, die Libella ihm gegeben hatte, und folgte dem Fischer, der voraus eilte, seinen Nachen bereit zu halten. Eben ging die Sonne auf, und webte Streifen flüssigen Goldes in die grünlichen Wogen des Rheins, die Vögel sangen ihre Morgenhymnen im Tempel der Natur, und Wiesen und Wälder hauchten balsamische Wohlgerüche aus, die auf den Flügeln lauer Lüfte umherschwebten. Da bestieg Raimund muthig den kleinen Kahn, den Ambrosius mit sicherer Hand regierte, und langsam [55] entfernte ihn das Ruder von dem festen, zuverlässigen Boden der Erde.

Da ließ Raimund die Perlenschnur fallen, und plötzlich lispelten die Wellen leiser, und schienen still zu stehen. Klar und spiegelhell ebnete sich die wallende Bewegung des Stroms zu einer ruhigen Fläche, die freundlich das Bild des Himmels zurückstrahlte, und aus dem reinen Wasser stieg Libella empor, auf einem Throne von Smaragd sitzend, und in ein silbernes Gewand gekleidet, das in langen Falten schimmernd in die Fluthen sich tauchte. Nachtviolen, Sinnkraut, Rosmarin und Cipressen wanden sich als Kranz um ihre schwimmenden Locken und die bleiche Narcisse schmückte mit gesenktem Haupte ihren Busen. Strahlende Diamanten reihten sich zusammen, sie zu umgürten, und in ihren Händen hielt sie gleich einen Scepter einen silbernen Stab.

Bewegt warf sich Raimund auf seine Knie vor ihr nieder. Habe Dank Libella, für die Botschaft Deiner milderen Gesinnungen, sprach er, und sieh mich hier noch einmahl, innig durchdrungen von Deiner Güte, die Gabe zurück erbitten, die Dir nichts mehr nützen kann, und die mir den ganzen ungetrübten Frieden meiner Seele wieder schenkt.

Raimund! versetzte Libella, so glaubtest Du wirklich, ich hätte Dich hier her beschieden, um einer beglückteren Nebenbuhlerin auch das einzige, letzte aufzuopfern, was mir noch von Dir übrig blieb? O verzeih, verzeih meiner Liebe, daß ich Dich hinterging, und daß ich Dich unter einen Vorwand, der Deiner[56] Grausamkeit willkommen war, auf mein Gebiet lockte, um Dich nimmer wieder zu laßen. Denn entweder mußt Du meine Zärtlichkeit erwiedern, und mein Reich mit mir beherrschen, oder – in seinen Tiefen Dein Grab finden.

Entrüstet sprang Raimund auf. Unsinnige! schrie er, erwarte keinen Vortheil von Deiner trügerischen List, denn frei oder in Fesseln, tod oder lebendig gehöre ich nur meiner Bertha an, und verabscheue Dich, Ungethüm! wie eine Nachtgeburt der Hölle. –

Libellas Augen funkelten wie Blitze am finsteren Gewitterhimmel. Schweigend berührte sie mit ihrem Stabe das Wasser, da fing es an zu brausen und empor zu schwellen, als wollte es seine Gränzen übersteigen. Der Kahn schwankte; vergebens bot Ambrosius seine Kräfte auf, ihn durch das ungestüme Toben der Wellen hindurch zu leiten. Aber furchtbar sind die Elemente in ihrem Aufruhr! Wie von einem unsichtbaren Wirbel ergriffen, schlug das schwache Fahrzeug um, und Raimund ging unter im wüthenden Strom.

Lange suchte Ambrosius sich durch Schwimmen zu erhalten, aber endlich verließ ihn die Stärke seiner Arme, so wie sein Bewußtseyn, und als es zurück kehrte, schimmerte bereits das Abendroth am Himmel, und er fand sich erschöpft, nicht weit von seiner Wohnung, am Ufer des nun wieder beruhigten Flusses. Neben ihm lag ein silbernes Netz, und ein Schilfblatt, mit den Worten beschrieben; »Sey beständiger wie Raimund, so wirst Du glücklicher seyn.«

[57] Ambrosius rieb sich die Augen. Sein Abentheuer erschien ihm wie das verworrene Traumbild einer erhitzten Fantasie, und nur das blinkende Gold in dem Netze überzeugte ihn von der Wirklichkeit des Geschehenen, indem es das Versprechen der Nimpfe erfüllte, und ihn zum reichsten Fischer des Rheingaus machte.

[58]

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TextGrid Repository (2011). Ahlefeld, Charlotte von. Erzählungen. Gesammelte Erzählungen. Erster Band. Die Nimphe des Rheins. Die Nimphe des Rheins. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0001-D7F4-E