Die Fußstapfen des Löwen

Berauscht von der süßen Trunkenheit der Liebe pries einst in einer vertraulichen Stunde der Sultan Mamoun seinem Vezier Mehemet das Glück, eine Sclavin erhalten zu haben, deren Schönheit die Reize der übrigen Bewohnerinnen seines Serails überstrahle, wie der volle Mond den bleichen Glanz der Sterne verdunkle.

Du sollst sie sehn, spach er zu Mehemet, auf dessen Lippen ein ungläubiges Lächeln schwebte, als der Sultan sie im Feuer der Begeisterung weit über alle sterblichen Weiber erhob. Hinter einem Gitter verborgen, will ich Dir die himmlische Wonne ihres Anschauens gestatten, und ich bin von der Richtigkeit Deines Urtheils überzeugt, daß Du kein irdisches Wesen, sondern die Erscheinung einer Houris in ihr wahrzunehmen glauben wirst.

[147] Beherscher der Gläubigen! antwortete der Vezier, ich zweifle keinesweges an der Anmuth Deiner Geliebten. Nur daß Du ihre Schönheit über alle Frauen des Morgenlandes, ja sogar der Welt, erhebst, macht mich so kühn, Dir die unwillkührliche Bewegung meines Unglaubens zu zeigen, da ich erst vor kurzem Adalisca, die Gattin des Kaufmannes Abaza erblickt habe, der wie es mir scheint, allein auf Erden die Krone der Vollkommenheit gebührt.

Thörichter! versetzte Mamoun, wohl schimmern die Gestirne der Nacht, bis die Sonne aufgeht, und ihre matten Lichtpuncte gleich Flecken am hohen Blau des Himmels auslöscht. Sieh erst die Erwählte meines Herzens, und Du wirst eingestehn, daß Abazas Gattin kaum würdig ist, ihr als dienende Sclavin zu huldigen. –

Als der Abend heran nahte, wurde der Vezier auf Mamouns Befehl in einen versteckten Winkel des Harems geführt, wo er hinter einem Gitter von vergoldeten Stäben unbemerkt das Gemach übersehen konnte, in welchem sich der Sultan mit seiner Geliebten ergötzte. Wohl war sie schön, wie die Fantasie sich die Gestalten träumt, welche den dritten Himmel bewohnen, und der Glanz der Lichter, das Strahlen der Edelsteine, so wie der sanfte Schein der Perlen, die mit kaiserlichem Reichthum sie umgaben, dienten noch dazu, ihren Liebreiz durch vortheilhafte Beleuchtung, Pracht, und wohlgewählten Schmuck zu erhöhen.

Aber dennoch – welch süßes Schmachten sich auch in ihren Blicken mahlte, die bald hinstarben [148] in der Fülle zärtlichen Verlangens, bald wieder aufblitzten, von der Gluth eines lodernden Feuers entzündet – dennoch – wie flach erschien ihre Wirkung Mehemet, wenn er sie mit dem reinen Leben des Geistes, mit der göttlichen Sanftmuth und Würde verglich, die Adaliscas Augen zum Spiegel ihrer schönen Seele machten. Wollust athmeten die blühenden Lippen der Sultanin, aber jenes Lächeln der Milde und der Unschuld war ihnen fremd, das auf Adaliscas Rosenmund seinen Wohnsitz fand. Auf ihrer zarten, jungfräulichen Stirn thronte Hoheit und Frieden, während Leidenschaften gleich einem wechselnden Gewölk die Züge der Sultanin bald erhellten, bald verfinsterten.

Mamoun, seines Triumphs gewiß, trug indeßen Sorge, die Geliebte in der vollen Entfaltung ihrer Reize und Talente dem Auge seines Freundes darzustellen. Sie bewegte sich auf sein Geheiß im schwebenden Tanz, der jede Zierlichkeit ihres Wuchses enthüllte – sie sang mit schmelzenden Tönen, und begleitete den harmonischen Wohlklang ihrer Stimme mit einem meisterhaften Spiel auf der Laute; aber dennoch – der Vezier blieb bei seinem Kopfschütteln – dennoch fehlte allem, was sie that, der Zauber jener keuschen sittlichen Grazie, der selbst der regelmäßigsten Schönheit erst den Kranz der Vollendung reicht, und der bei Adalisca's Anblick das einem Muselmann so seltene Gefühl der Verehrung mit dem Anerkennen der bewundrungswürdigsten Anmuth in Mehemets Gemüth vereinigt hatte.

Ungeduldig erwartete der Sultan am andern [149] Morgen Mehemet überwunden vor sich zu sehn. Er erschien, jedoch nicht besiegt, sondern bestärkt in seiner Meinung.

Herr! sprach er, als Mamouns Mienen mit finsterem Unwillen drohten, kühn ist meine Behauptung, daß Adalisca die holdselige Gefährtin Deines Lebens übertrifft, aber ich kenne Deine erhabene Denkungsart. Du ehrst die Wahrheit, und vergönnst Deinen Dienern, sie immer muthig vor Dir auszusprechen. Daher verzeihe, wenn ich es auch jetzt thue, und durchdrungen von ihrem heiligen Einfluß das Bekenntniß vor Dir erneuere, daß nur nach Adalisca die Sultanin verdient, die erste Frau des Orients zu heißen.

Wohl, antwortete der Sultan mit unterdrücktem Zorn, ich will mich mit eigenen Augen überzeugen, ob wirklich Alles übertreffende Reize, oder ein grillenhafter Eigensinn Dein Urtheil leitet. Unpartheiisch, wie ich es der Gerechtigkeit schuldig bin, will ich Adalisca sehen, um sie mit meiner Geliebten zu vergleichen. Finde ich aber, daß Du gefrevelt hast an der Schönheit der Herrlichen, die meine Tage beglückt, so – ich schwöre es bei dem Propheten und bei meinem Barte – so verbanne ich Dich unwiderruflich aus meinem Angesicht.

Ruhig blickte der Vezier in das mißmuthige Auge seines Gebieters, und sprach: ich unterwerfe mich Deinem Willen, o Herr! und rufe nicht Deine Gnade, nur Deine Gerechtigkeit an.

Obgleich nahe an der Gränzlinie stehend, die vertrauende Freundschaft von feindseligem Haß scheidet, [150] überlegte Mamoun doch mit Mehemet, auf welche Weise er seine Neugier befriedigen könne, und beide fanden, daß nur Abaza's Entfernung dem Sultan der Zutritt in das Innere seines Hauses möglich mache.

Abaza ist redlich, und ein thätiger Mann, sagte der Vezier; giebst Du ihm den Auftrag, den Handel in den südlichen Provinzen Deines Reichs abzuschließen, weshalb Du schon lange unentschlossen warst, wem er wohl anzuvertrauen sey, so entfernst Du ihn auf eine ehrenvolle und vortheilhafte Art, ohne ihn in seinen häuslichen Rechten zu kränken, und zu gleicher Zeit erreichst Du ungestört den Zweck Adalisca zu sehn. Denn daß Du sie nur sehen, und nicht das stille Glück einer zufriedenen Verbindung unterbrechen willst, dafür bürgt mir die großmüthige Erhabenheit Deiner Gesinnungen, und – Deine Liebe zu der Sultanin.

Mamoun erröthete bei diesen Worten, und erwiederte nichts darauf. Er ließ sogleich die Vollmacht ausfertigen, die Abaza zu einem so wichtigen Geschäft authorisirte, und übersandte sie ihm mit dem Befehl, augenblicklich abzureisen.

Abaza, der seine Zeit bisher zwischen Adalisca's Umgang und den stillen Bemühungen eines nur beschränkten Handels getheilt hatte, ward nicht wenig überrascht, durch einen Auftrag, den er sich nie hätte träumen lassen. Gleichwohl fühlte er den Schmerz, sich von seiner angebeteten Gattin zu trennen, tiefer als das Schmeichelhafte einer so viel Vortheil versprechenden Wahl, und wenn er hätte wagen dürfen,[151] sich dem Mißfallen des Sultans auszusetzen, so würde er den fortdauernden Genuß seiner häuslichen Glückseligkeit freudig all' dem ehrenvollen Gewinne vorgezogen haben, der ihn zu erwarten schien.

Er fand sich indessen in der Nothwendigkeit zu gehorchen, wenn sie gleich bitter war. Eilfertig machte er Anstalten zur Reise, widmete nur wenig Augenblicke dem Abschied, um sein Herz nicht allzu sehr zu erweichen, und verließ sein Haus, um dem Befehl zu folgen, der ihn so unwillkommen aus der Ruhe der tiefsten Zufriedenheit aufscheuchte.

Sobald der Sultan durch seine Kundschafter Abaza's Abreise vernommen hatte, begab er sich sogleich nach dessen Wohnung, um sich zu überführen, ob die schöne Adalisca den Vorzug verdiene, den der Vezier ihr so halsstarrig über die Sultanin einräumte.

Adalisca hatte noch die Thränen der Trennung nicht abgetrocknet, als ein Verschnittener die Thür ihres einsamen Zimmers öffnete, um den Sultan zu ihr einzulassen.

Wie schnell verdrängte Schrecken die Betrübniß ihres liebenden Gemüths. Sie sah den Monarchen vor sich, den sie vorher nur hinter ihrem Schleier, in prachtvoller Umgebung öffentlicher Aufzüge, erhaben, wie ein Meteor des Himmels, erblickt hatte, und seine Nähe ergriff ihr ahnendes Herz mit ängstlichen Schauern der Furcht und der Verwirrung, Sie warf sich vor ihm nieder, allein Mamoun hob sie auf, und schloß sie mit allem Entzücken der freudigsten Ueberraschung in seine Arme.

Göttliche Sterbliche! rief er aus, so ist es wahr, [152] was ich nur mir selbst glauben wollte, daß Deine Schönheit alles überstrahlt, was Menschen reizend nennen! O gesegnet sey mein Mißtrauen, das mich bewog, nicht fremde Augen, sondern meine eigenen über Dich entscheiden zu lassen – gesegnet sey der Kunstgriff, durch welchen ich Deinen Gatten entfernte, und dreimal gesegnet diese Stunde, wenn sie mir gewährt, wornach ich schmachte, Deine Gunst, himmlische Adalisca, die das Ziel meiner heißesten Wünsche ist.

Adalisca begriff jetzt schnell alle Räthsel des heutigen Tages; doch sie verbarg das Zürnen der beleidigten Tugend, und wand sich scheu, aber ehrerbietig aus den Armen des liebeglühenden Sultans, die sich von neuen ausstreckten, sie zu umfangen. Ihr war die Dichtkunst hold, und bei mancher Veranlassung ordneten sich ihre Worte unwillkührlich in gebundene Rede, die, wahrem Gefühl entquellend, durch das Ohr leicht den Weg zum Herzen fand. Auch jetzt strömten ihre Gedanken ihr ein poetisches Gleichniß zu, das sie auffaßte, um den Fürsten zurück zu weisen, dessen Hoheit sie blendete, ohne sie einen Augenblick ihre Pflichten vergessen zu machen. Mit einer ernsten Würde in Blick und Gebehrde, die ihm jede Hoffnung benahm, begegnete ihr Auge kalt seinem entflammten Blick, und in einem Tone, den Mamoun nie von seinen Sclavinnen vernommen hatte, sprach sie diese Worte vor ihm aus:


Des Löwen Majestät würd' es entehren,
Wollt' er gemeiner Thiere Eigeuthum genießen,
Sie sind nur da, um schweigend ihn zu ehren,
Wie Blumen stumm des Herrschers Tritt umsprießen.
[153]
Wenn er verlangt, der Freude Kelch zu leeren,
Muß Labung ihm aus reiner Quelle fließen;
Kein seiner Macht unwürdiges Begehren
Darf seinen Sinn an niedere Wünsche schließen.

Betroffen stand der Herr des Morgenlandes vor ihr, und fühlte sich vernichtet durch den edlen Stolz, der, mit der bescheidensten Demuth verbunden, Adalisca's Anstand beseelte, und wie eine unübersteigliche Kluft ihn von der Erfüllung seines brennenden Verlangens schied. Eine Glorie schien ihr schönes Haupt zu umlodern, und zwang den Unmuth seiner vergeblichen Sehnsucht in die ungewohnte Form einer sich der Anbetung nähernden Hochachtung. Da die verlegene Rolle, die er vor ihr spielte, ihm eben so neu als unbehaglich war, so ergriff er das einzige Mittel, das ihm übrig blieb, sie zu endigen. Er begab sich nemlich hinweg, aber in einer solchen Verwirrung, daß er einen seiner reich gestickten Pantoffeln im Vorgemach zurück ließ, ohne diesen Verlust eher zu bemerken, als bis er wieder in seinem Pallast angekommen war. Er sprach nicht mit dem Vezier von dem Resultat seines Besuchs, aber er behandelte ihn mit zarter Innigkeit, und es war nicht die Rede davon, ihn aus seinem Angesicht zu verbannen.

Indessen war Abaza eben im Begriff, die Stadt zu verlassen, als ihm einfiel, daß er vergessen hatte, eine Angelegenheit zu besorgen, die für sein Hauswesen nicht unwichtig war. Er kehrte daher eilig zurück, und die Vorstellung, Adalisca noch einmahl an seine Brust zu drücken, söhnte ihn freundlich mit der Unbequemlichkeit des doppelten Weges aus.

[154] Aber was glich seinem Entsetzen, als er in sein Haus trat, und im Vorzimmer den Pantoffel des Sultans fand, den er sogleich nicht ohne die tiefste Erschütterung-erkannte. Eifersucht, diese gewöhnlich von der Liebe unzertrennliche Gefährtin, die im Orient flammender als irgendwo den Busen der Männer mit ihrem zerstörenden Gifte füllt, war auch Abaza's Schwäche, und zwar in einem nicht gemeinen Grade. Zitternd bekannte der Sclave den Besuch des Sultans, den er nur dumpf vorher bei dem Anblick des verhaßten Pantoffels geahnet hatte, und rachedürstend, von dem zermalmenden Gefühl durchbohrt, daß Adalisca, sein Liebstes auf Erden, ihn betrogen habe, trat er in ihr Zimmer.

Aber er fand sie nicht. Sie hatte sich in ihre innersten Gemächer begeben, um sich von dem Schrecken der eben gehabten Ueberraschung zu erholen. Abaza gewann hiedurch Zeit, sich zu sammeln, und die blutigen Gedanken zu verdrängen, welche seine Seele durchschauderten. Daß sie hingerissen von dem Glanz und der persönlichen Liebenswürdigkeit Mamouns, mit ihm im Einverständniß war, schien ihm unbezweifelt gewiß, aber dennoch bebte sein Innerstes vor dem Vorsatz, sie zu tödten, zurück, den er im ersten Schmerz gefaßt hatte. Nur Verachtung und Verbannung sollte ihre Strafe seyn, und als sie nach einigen Minuten zärtlich und reizend, wie immer, herein trat, und mit aller Innigkeit der treusten Neigung in seine Arme flog, schwand auch die Kraft in ihm dahin, ihr, wie er eben wollte, mit Härte ihr künftiges Loos anzukündigen.

[155] Er zog aus seinem Gürtel einen Beutel, der hundert Goldstücke enthielt. Ich habe vergessen, Dir hinlänglich Geld in meiner Abwesenheit zu hinterlassen, sagte er. Nimm daher diesen Beutel, Adalisca, aber es wird mich beruhigen, wenn Du sogleich mein Haus verlässest, und bis ich zurückkehre, Dich unter den Schutz Deines Vaters begiebst. –

Adalisca neigte sich gehorsam vor dem Geliebten ihrer Seele, aber Wehmuth bei dem erneuerten Gefühl der Trennung raubte ihr in diesen schmerzlichen Augenblicken die Sprache. Noch einmal preßte Abaza sie mit wild hervorstürzenden Thränen an sein Herz – dann riß er sich los von ihr, in der qualvollen Meinung, die Ungetreue niemals wieder zu sehen.

Adalisca'n war die Pflicht heilig, selbst den leisesten Winken ihres Abaza zu gehorchen. Sie bezog daher bald nach seiner Entfernung das Haus ihres Vaters, wo sie eingezogen und sittsam die Zeit seiner Abwesenheit zubrachte. Die Reinheit ihres Bewußtseyns entfernte jede ängstliche Besorgniß aus ihrem Busen! und der einzige Kummer, der ihr stilles Leben trübte, war die Ungewißheit, wann ein gütiges Geschick sie wieder mit dem geliebten Gemahl vereinigen werde. Täglich flossen die Thränen ihrer Sehnsucht um ihn, und jeder Seufzer, der ihren Busen schwellte, foderte ihn zurück aus dem Dunkel der neidisch trennenden Ferne. Das sanfte Roth ihrer Wangen verblich leise, verscheucht durch diesen immerwährenden Gram – der Schimmer ihrer Augen [156] erlosch, und ihre Lippen glühten nicht mehr wie der Purpur der Feuerrose, dem sie sonst glichen.

Ihr Vater, von dem Sehnen treuer Liebe gerührt, dem sie sich hingab, forschte, in der Hoffnung, sie zu trösten, in Abazas Haus nach Nachrichten von seiner Wiederkunft, und vernahm nicht ohne unwilliges Erstaunen, daß er schon seit mehreren Tagen von seiner Reise heimgekehrt sey. Unverzüglich eilte er, ihn über sein sonderbares Benehmen zur Rede zu stellen. Er fand ihn abgezehrt, verändert, ein stummes Bild des bleichen Kummers, und einer hoffnungslosen, am Leben verzagenden Schwermuth.

Worin hat Adalisca gefehlt, daß sie die tiefe Verachtung eines solchen Betragens verdient? fragte der Vater mit gerechter Entrüstung. Ist sie eines Vergehens schuldig, so soll ihr Tod von meinen Händen jeden Schimpf verlöschen, den sie Dir zugefügt hat. Aber ohne blind vor väterlicher Liebe zu seyn, kenne ich keinen Fehler ihres Herzens oder ihres Wandels, als höchstens das Uebermaaß ihrer Zärtlichkeit zu Dir.

Abaza, ohne sich in eine nähere Erklärung einzulassen, antwortete mit trübem Ernst, daß er ihr mitgebrachtes Heirathsgut, in hundert Goldstücken bestehend, ihr zurück erstattet habe, und daß er seine Verbindung mit ihr als völlig aufgelöset betrachte. Da aller bestürmenden Fragen ohngeachtet keine Ursache seiner Erbitterung über seine Lippen kam, ergrimmte der beleidigte Vater immer mehr, und zog ihn so gleich vor Gericht zur Rechenschaft.

Mamoun pflegte jedesmahl zugegen zu seyn, [157] wenn über das Wohl oder Wehe seiner Unterthanen entschieden wurde. Seine Gegenwart hielt die Cadi's in gesetzmäßigen Schranken der Gerechtigkeit, und belebte das Vertrauen der Hülfesuchenden, die in seiner Weisheit und Billigkeit Beistand, oder wenigstens Trost fanden. Nicht ohne beschämende Erinnerungen hörte er jetzt den Namen Abaza erschallen, der aufgerufen wurde, sich gegen eine Klage zu vertheidigen.

Er wendete sein Auge auf den oft in Gedanken beneideten Glücklichen, der die treueste und liebenswürdigste Frau besaß, aber er erstaunte, denn nicht so hatte er sich den Mann gedacht, der Adalisca sein Eigenthum nennen durfte. Nicht stolz, sich seiner Seligkeit bewußt, und von ihr berauscht, trat er auf, sondern mit erloschenem Auge, und abgehärmten Wangen, stillem Ernst, und unheilbarer Melancholie in allen seinen Zügen. – Doch des Sultans Verwunderung sollte noch höher steigen. Neben Abaza drängte sich ein ehrwürdiger Greis durch die Menge, kündigte sich als der Vater seiner Gattin an, und berührte ehrfurchtsvoll mit seiner Stirn den Boden zu den Füßen des Sultans.

Herr! sprach er alsdann, vergönne mir in einer Allegorie Dir den Fall vorzutragen, der die Ruhe, so wie die Ehre meines Hauses zerstört, und mich vor der Zeit ins Grab stürzen wird, wie der herbstliche Sturm das gelbe Laub der Bäume gewaltsam von den Zweigen reißt. Ich hatte dem Abaza eine reizende Flur eingeräumt, die durch hohe Mauern [158] geschützt war, und Blüthen des Himmels und köstliche Früchte hervorbrachte. Er wandelte entzückt umher in diesem irdischen Paradiese, bis ein unerklärlicher Eigensinn ihn bewog, es auf einmahl zu verlassen. Mit kaltem Hohn hat er die zarten Blumen, die für ihn nur dufteten, ohne weitere Pflege dem Verwelken preisgegeben, und jetzt will er mit diese Flur wieder abtreten, die durch seine Grausamkeit verwüstet und entblättert ist, ohne mich eines Grundes zu würdigen, weshalb sie so bald alle den Zauber verloren hat, der sie sonst zu einem Aufenthalt der Glückseligkeit für ihn machte. Was entscheidest Du hierauf, Beherrscher der Gläubigen?

Laß hören, was Du zu Deiner Rechtfertigung sagen kannst, Abaza, versetzte der Sultan, der in tiefes Nachdenken versunken war.

Herr! erwiederte Abaza, nur mit dem bittersten Schmerz habe ich jene paradiesische Flur verlassen, in deren Bezirk einst alles Glück meines Lebens blühte, und wo seitdem mein Fuß auch wandelte, dünkt mir alles wüste und öde, weil eine unauslöschliche Sehnsucht noch immer mich in die Zeit zurückführt, in der Blütben und Früchte balsamisch und erquickend jede Minute meines Daseyns bekränzten. Aber – als ich einst lustwandelte in den Gefilden, die ich mit froher Zuversicht mein eigen glaubte, da entdeckteich die Fußstapfen eines Löwen, und schaudernd floh ich, denn ich fühle mich eben so unfähig, mit dem furchtbaren König der Thiere meinen Garten zu theilen, als ihm denselben streitig zu [159] machen. – Er zog bei diesen Worten den Pantoffel des Sultans hervor, den er in seinem Gewande verborgen hatte, legte ihn vor Mamoun nieder, und verhüllte alsdann sein Gesicht mit den Gebehrden einer tiefen, nicht zu lindernden Trauer.

Glühend vor Beschämung, doch gefaßt, erhob sich der Sultan. Kehre zurück in Deinen Garten, sprach er, und fürchte nicht ihn entweiht zu finden. Wohl hat der Löwe seine Fußstapfen darin zurückgelassen, aber nicht weil er glücklich war, sondern weil er vor Scham und Bestürzung eilig floh, da ihm nicht vergönnt wurde, die Reize zu genießen, die ihn so unwiderstehlich anzogen. Nirgends, glücklicher Abaza! giebt es eine lieblichere Flur, aber zu gleicher Zeit auch keine, die sicherer verwahrt, und durch die unübersteigbaren Mauern eines reinen Willens und einer unbefleckten Tugend so beschützt ist.

Diese Worte, die Abaza allein unter der Versammlung zu deuten wußte, flößten Muth und Hoffnung in seine bekümmerte Seele. Er umarmte seinen Schwiegervater, und zog ihn in ungestümer Freude mit sich fort bis zu seiner Wohnung, wo Adalisca ihm ihre Arme liebend öffnete, ihn nach langer Trennung willkommen zu heißen. Aus seinem Munde erfuhr sie jetzt mit einemmahl seinen Verdacht, den Unwillen ihres Vaters und das Zeugniß des Sultans, das ihrer Unschuld Gerechtigkeit wiederfahren ließ. Sie machte durch eine treue Darstellung des Vorgefallenen ihren Vater mit der Geschichte bekannt, die ihm so räthselhaft schien, und [160] folgte dann dem Geliebten wieder in sein Haus, wo noch seligere Tage, als die vergangenen ihrer warteten, da nach der schweren Probe, die sie überstanden hatte, ein unerschütterliches Vertrauen in Abazas Herzen an die Stelle seiner glühenden Eifersucht trat.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Ahlefeld, Charlotte von. Erzählungen. Gesammelte Erzählungen. Erster Band. Die Fußstapfen des Löwen. Die Fußstapfen des Löwen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0001-D75E-4