Tag und Nacht/ Kinder einer Mutter/Geschwister widerwärtiger Sinnen

Aus dem Oedipo Athanassii Kircheri.


Die Flügel-schnelle Zeit/ die Fürstin aller Sachen/
Von welcher/ was nicht ist/ noch immer war entsteht/
Die alle Dinge groß und klein gewohnt zu machen/
Mit welcher/ was da ist/ und nicht stets war/ vergeht/
Zu deren Diensten sich die Erde muß verpachen/
Der unterworffen ist was niedrig/ was erhöht/
Sucht das geraume Ziel der ungemeßnen Grantzen
Durch ein getreues Paar der Erben fortzupflantzen.
Es führen diese Zwey noch bey der Mutter Leben
Den hohen Königs-Stab in freygewohnter Hand/
Stadthalter müssen sie in allen Ländern geben/
Wo dieser Königin Regierung ist bekandt/
Doch will sich mancher Streit bey solchem Paar erheben/
Wer billich haben soll den allerersten Stand/
Wem wohl der gröste Staat zu halten will gebühren/
Wer künfftig mit der Zeit soll Kron und Scepter führen?
Dem einen pflichten bey die meisten Reich-Gesetze/
Der ander gründet sich auff mancher Völcker Recht/
Der eine macht sich groß durch eingetragne Schätze/
Damit er auff den Fall kan werben manchen Knecht/
Durch Freyheit/ daß man sich in sanffter Ruh ergötze/
Wird von dem andern Theil des ersten Heer geschwächt/
Der eine suchet Gunst durch Mühsamkeit bey allen/
Der ander will der Welt durchs Widerspiel gefallen.
[18]
Dem einen ist das Haubt von denen Hofe-Räthen/
Die seine Mutter hält/ zu Diensten beygethan;
Die andern sechse sind zum Gegentheil getreten/
Weil sich ihr Kopff zu ihm am besten schicken kan/
Der eine lebet mehr zu Land/ als in den Städten/
Der ander sezt die Stadt dem Dorffe weit voran/
Der eine führt nicht viel/ doch guttes Volck zur Seiten/
Den andern aber pflegt die Menge zu begleiten.
Der eine lässet sich viel kluge Künste lehren/
Um Wissenschafften bleibt der ander unbemüht/
Der eine läst von sich viel Wort und Reden hören/
Wenn stille Träumerey des andern Kopff durchzieht/
Der eine pflegt allein die Sonne zu verehren/
Wenn jener nach dem Mond und tausend Sternen sieht/
Den einen können Schlaff und Liebe nicht bezwingen/
Dem andern müssen sie die gröste Freude bringen.
Der eine weiset gern dem Lichte seine Thaten/
Und machet sie/ so weit die Sonne geht/ bekandt/
Der ander läst sein Thun nicht sehen/ nur errathen/
Verdeckt/ so viel er kan/ die Wercke seiner Hand/
Bey einem muß sich weiß und roth zusammen gatten/
So scheint der Mohren Reich des andern Vaterland/
Der eine der verstärckt durch Arbeit seine Glieder/
Wenn sie der andre legt auff weiche Küssen nieder.
Durchgehe nach und nach die Rechnung aller Zeiten/
Kein mindergleiches Paar der Brüder findestu/
Kein Typhon kan so sehr mit dem Osiris streiten/
Kein Zoroaster sagt so schlecht denn Japhet zu/
Kein Lucius kan so von Aruns Sitten schreiten/
Der das noch junge Rom bewohnt in stiller Ruh/
Kein Avidäus ist so weit von Alexandern/
Als diese Printzen zwey sind einer von dem andern.
Was eher ist zur Welt der eine zwar gebohren/
Doch will der ander auch nicht minder Erbe seyn/
Den hat der West und Nord zu lieben auserkohren/
Und jener setzet sich in Morgen-Ländern ein/
[19]
Die Hoffnung zum Vertrag ist meistentheils verlohren/
Indem das Widerspiel beweist der Augenschein/
Dafern es nicht annoch durch Dräuen und durch Flehen/
Durch Bitten und Befehl der Mutter kan geschehen.
Derselben Spruch hat sie in solchen Bund vereydet/
So lange sie noch selbst bey grauem Alter lebt/
Das keiner beyderseits den mindsten Schaden leidet/
Daß ieder haben kan/ nach was sein Hertze strebt/
Das Zeit und Ziel die Macht der Herrschafft unterscheidet/
Und deren Vortheil gantz in Ungewißheit schwebt.
Sie herrschen eine Zeit/ doch nicht in einem Lande/
Doch nicht in gleicher Frist/ doch nicht in gleichem Stande.
Und diß/ so lange noch die Mutter selbst regieret/
Wie/ wenn sie wird verjagt von grauer Ewigkeit.
Wer ist es/ der hernach das stoltze Scepter führet/
Und auff dem Throne sizt der hingelegten Zeit?
Wer ist es/ den hernach der Königs-Krantz bezieret/
Den ein geheiligt Oel zum Ober-Herren weyht?
Nicht wohlgebrauchtes Gutt flieht vor den dritten Erben/
Ich halte Reich und Sitz wird mit der Zeit ersterben.
Die Ewigkeit/ nachdem sie unter sich gezwungen
Was zeitlich/ was der Zeit gehorsam muste seyn/
Nachdem sie selbst die Zeit/ und ihren Sitz verschlungen/
Nachdem zu Ende geht der Tag und Sonnenschein/
Nachdem sie brauner Nacht die Herrschafft abgedrungen/
Räumt ihnen anderweit gewisse Wohnung ein.
Es sollen Tag und Licht beym wahren Lichte wohnen/
Und stete Finsternis den finstern Wercken lohnen.
O selig dannenher/ ihr Licht- und Tages Kinder/
Die ihr bey Tage sucht das wahre Seelen-Licht/
O weh euch dannenher/ ihr schwartz-befleckten Sünder/
Ihr/ denen Tag am Tag'/ im Lichte Licht gebricht/
Die ihr in Sünden irrt/ gleichwie die stummen Rinder/
Und schnöder Finsternis zu Diensten seyd verpflicht/
Wenn jene stetes Licht und stete Lust geniessen/
So werdet ihr ohn End' im Schatten irren müssen.
[20]
Wir warten unterdeß auff dieses Licht mit Freuden/
Biß unser Lebens-Tacht wird ausgebrennet seyn/
Biß wir zu lezt erlöst von schwartz-gewölcktem Leyden/
Von trauer-trüber Noth/ von dunckel-grauer Pein/
In weisser Reinigkeit Schneefarbne Seid' uns kleiden/
Und in die lichte Burg der Sternen gehen ein/
Da alle Finsterniß vom Lichte wird verzehret/
Das über alle Zeit/ ohn allen Abend wehret.
Glück zu/ du helles Licht/ von keinem andern Lichte/
Es ehret dich mein Sinn mit ungefärbter Brunst;
Glück zu/ o Pol/ nach dem ich meine Segel richte/
Ohn welchen alle Müh der Ruder ist umsonst/
Laß sehen/ wie bißher/ dein gnädig Angesichte/
Verdunckle solches nicht durch trüben Zornes Dunst;
Du Sonne reiner Glutt/ laß deine Stralen scheinen/
So darff der Himmel nicht/ noch unser Hertze weinen.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Abschatz, Hans Aßmann von. Gedichte. Gedichte. Himmelschlüssel oder Geistliche Gedichte. Tag und Nacht/ Kinder einer Mutter- Geschwister widerwärtiger Sinnen. Tag und Nacht/ Kinder einer Mutter- Geschwister widerwärtiger Sinnen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0001-D1D8-2