[] Vorwort

Wenige Worte werden genügen, diese Erzählung aus den westlichen Wäldern Amerikas bei dem Leser einzuführen und ihn darauf vorzubereiten, was er überhaupt darin zu erwarten hat.

Arkansas, von den Vereinigten Staaten seit 1836 in die Union aufgenommen, hatte sich in früheren Jahren den Ruf erworben, daß alles Gesindel aus dem Osten und Süden in seinen weglosen Wäldern und Sümpfen einen Zufluchtsort gegen den strafenden Arm der Gerechtigkeit gesucht und gefunden habe und dort auf eigene, freie Hand sein Wesen treibe.

Solche Gerüchte waren nicht ohne Grund, Spruch und Gesetze aber machtlos in diesen Wäldern. Ehe der Sheriff einen Verbrecher erfassen konnte, hatte sich dieser auf dem Rücken seines eigenen oder eines fremden Pferdes in ein anderes County geflüchtet und wurde nicht mehr gesehen. Aber auch wirklich ergriffen, blieb es eine fast noch schwierigere Aufgabe, den Gefangenen festzuhalten. Entweder [] brach er sich selbst Bahn aus dem Blockhaus, in das man ihn gesperrt, oder er sah sich von einer Bande seiner Freunde, die es vielleicht kaum für nöthig hielten, ihre Gesichter zu färben und unkenntlich zu machen, in der ersten Nacht befreit und trieb nach wie vor sein Un wesen.

Auf den Pferdediebstahl legte sich die Genossenschaft besonders, da nach der westlichen Sitte die Thiere und Herden der Pioniere frei im Walde selbst ihr eigenes Futter suchten und also keiner so genauen, ja oft nicht der mindesten Aufsicht unterworfen waren. Als nun noch überdies im Jahre 1839 die Todesstrafe für Pferdediebstahl aufgehoben warde, machten in verschiedenen Theilen des Staates Manche ein wirkliches Geschäft daraus, und die Hinterwäldler sahen sich endlich zu ernsten Maßregeln gezwungen.

Die Gesetze vermochten nicht, sie auf ihren einzelnen, oft viele Meilen von einander entfernten Farmen zu schützen, die »Männer von Arkansas« traten daher zusammen und bildeten den Regulatorenbund, ergriffen, was ihnen verdächtig schien, peitschten die Gefangenen, bis sie ihre Vergehen gestanden und ihre Mitschuldigen nannten, und hängten oder erschossen die Missethäter, sobald das Verbrechen nur erst einmal hinlänglich bewiesen werden konnte.

Daß bei diesem willkürlichen Verfahren auch manches Unrecht geschah, läßt sich denken. Mehrere Male wurden sogar Unschuldige aus ihrer friedlichen Hütte geschleppt und gezüchtigt. Deren freies arkansisches Blut empörte sich dann natürlich gegen die unverdiente Mißhandlung, die sie nicht [] auf dem Wege der Gesetze, sondern durch eigene Kraft wieder zu rächen suchten und ihre Richter heimlich oder öffentlich niederschossen. Im allgemeinen erreichte aber doch dieses ernste Durchgreifen der Pioniere seinen Zweck, und als dem Lynchgesetz, wie die Regulatoren ihr Gerichtsverfahren nannten, erst an verschiedenen Orten des Staates mehrere Opfer gefallen waren, fingen die Pferdediebe an einzusehen, daß es in Amerika noch sicherere und wohnlichere Plätze für sie gäbe, als gerade Arkansas, und die meisten flüchteten nach Texas.

Meine Erzählung fällt nun in jene Zeit, wo das Unwesen seinen höchsten Grad erreicht hatte und Selbstschutz den Farmern und Jägern zur Nothwendigkeit wurde. Der größte Teil der Ereignisse ist auch keineswegs erdichtet, sondern hat sich, wenn auch auf verschiedenen Plätzen und in ausgedehnterem Zeitraum, wirklich zugetragen, besonders ist der Methodist eine geschichtliche Figur. Ich selbst war Zeuge mehrerer Scenen und schrieb einst an Ort und Stelle sechsundzwanzig Namen solcher Ehrenmänner nieder, die durch die Regulatoren und mit Hülfe des schwarzen »Hickorys« einem der aufgegriffenen Verdächtigen entlockt wurden.

So möge sich denn der freundliche Leser auf kurze Zeit mit mir zurückversetzen in die schönen Wälder jenes herrlichen Landstriches, und wenn er auch nicht gleich nach Durchsicht des Buches sattelt und aufsitzt und nach den fernen Regionen des Westens, wie die Hinterwäldler sagen, »Fährten macht« so hoffe ich doch, daß [] er, neben einigen weniger angenehmen Bekanntschaften, auch recht gute, liebe und herzige Leute kennen lernen wird, die ihn mit den Nacht- und Schattenseiten der Uebrigen aussöhnen mögen.

[] 1.
Der Leser macht die Bekanntschaft von vier würdigen Leuten und erfährt etwas Näheres über ihre Lebensverhältnisse

Dem freundlichen Mai waren die wilden Frühlingsstürme gewichen. Blumen und Blüthen drängten sich zwischen dem gelben Blätterlager hervor, das dicht den Boden bedeckte und nur hier und da von saftgrünen, lebensfrischen Grasflecken unterbrochen wurde. Aber Blüthe an Blüthe quoll auch aus den Zweigen der niederen Dogwoodbäume und Gewürzbüsche hervor; Blumen und Knospen hingen an den üppigen Lianengewinden, die sich von Baum zu Baum schlangen, nieder, verwandelten die Wildniß in einen Garten und erfüllten mit lieblichem Wohlgeruch den von riesigen Fichten-, Eichen- und Sassafrasbäumen überwölbten Waldesdom. Drängte sich die Sonne durch die dichtbelaubten Wipfel der gewaltigen Stämme, so ließ dieses Gewirr von Schlingpflanzen und Buschwerk kaum hier und da einen verstohlenen Strahl zur Erde nieder, und Dämmerung herrschte in diesem Theil der Niederung, während das Tagesgestirn schon hoch am Himmel glühte. Damit schienen übrigens die Gestalten, die sich hier am Fuß einer mächtigen Kiefer niedergelassen hatten, ganz einverstanden zu sein, denn der Eine von ihnen reckte die [] Glieder und sprach, zu dem grünen Laubdach über sich emporschauend:

»Ein herrlicher Platz das für vertrauliche Zusammenkünfte – ein ganz vorzüglicher Platz. Der Rohrbruch, nach dem Flusse hin, hält gewiß jeden vernünftigen Christenmenschen ab, seinen Weg in dieser Richtung einzuschlagen, und die Dornen und Greenbriars hier oben sind ebenfalls nicht so einladend, als daß sich Einer ganz nutzlos hineinwagen sollte – und nutzlos wär's, denn daß kein Wild mehr in der Nähe weilt, dafür, denk' ich, hätten wir gesorgt.«

Der Sprecher war, soweit es seine behagliche, auf dem Laub ausgestreckte Gestalt erkennen ließ, ein Mann von über sechs Fuß, mit muskulösem Körperbau und freien, offenen Zügen; die Augen hatten aber etwas unheimlich Wildes und flogen unstät von einem Ort zum andern, und sein ganzes Aeußere verrieth überhaupt einen hohen Grad von Nachlässigkeit. Der alte, zerstücke Filzhut war ihm vom Kopf gefallen, und das Haar stand struppig und ungekämmt empor; der borstige Bart schien eine Woche lang vernachlässigt zu sein, und ein sehr abgetragenes blauwollenes Jagdhemd, an dem einzelne einst gelb gewesene Franzen wild herabhingen, war mit alten wie neuen Blutflecken überdeckt. Diese wurden übrigens durch ein frisch abgestreiftes Hirschfell an seiner Seite erklärt. Ueberhaupt schien der Bursch den Wald zum Hauptaufenthalt zu haben. Die Büchse lag neben ihm am Boden; die Beine staken in vielfach ausgebesserten ledernen Leggins oder Gamaschen, und ein Paar Mokassins von Rindshaut vollendeten den keineswegs kleidsamen Anzug.

Sein Gefährte, der neben ihm, mit dem Rücken gegen den Baumstamm gelehnt, saß und mit einem langen Messer (in der Landessprache gewöhnlich »Arkansas-Zahnstocher« genannt) Holzspähne schnitzelte, unterschied sich etwas, und zwar zu seinem Vortheil, von dem rauhen Nachbar. Seine Kleidung war sauberer, sein ledernes Jagdhemd, das, wenn auch alt und viel gebraucht, doch mit besonderem Fleiß gearbeitet schien, etwas besser gehalten, als das des Ersteren, und sein ganzes Aussehen bewies, daß er eine bessere Erziehung erhalten, als [] der wilde Waldbewohner, oder doch wenigstens erst kürzlich aus dem elterlichen Haus gekommen sei. Das letztere wurde noch durch seine Jugend so viel wahrscheinlicher, da er kaum mehr als siebzehn Jahre zählen konnte.

Der Dritte war den beiden Beschriebenen total unähnlich, und was jene an Wildheit und Lebensmuth zu viel besaßen, schien dieser durch Sanftmuth und Leutseligkeit wieder ausgleichen zu wollen. Seiner Kleidung nach gehörte er der Klasse wohlhabener Farmer an. Der blaue, vom besten wollenen Stoff gefertigte Frack – die gewöhnliche Tracht der amerikanischen Landleute –, die saubere gelbe Weste, die sorgfältig geschwärzten Schuhe, der neue breiträndige Hut, Alles bewies, daß er etwas auf sein Aeußeres halte und, wenn auch in manchen anderen Stücken, doch keineswegs in jener Mißachtung jeder anständigen, reinlichen Kleidung mit der Gesellschaft, in der er sich gerade befand und zu der er offenbar zu gehören schien, harmoniere. Er lehnte, ein Bein über das andere geschlagen, an einer kleinen Eiche und sah sinnend zu dem Sprecher hinüber, der, nach der oben geäußerten Bemerkung, seinen Kopf wieder faul auf das die Wurzeln des Baumes bedeckende Moos zurücksinken ließ.

»Oder sorgt vielmehr jetzt noch dafür, Cotton,« fuhr er, mit etwas näselnder Stimme des Jägers Aeußerung beantwortend, fort; »wenn's auch nicht in Ordnung ist, daß Ihr selbst am heiligen Sabbath ohne dringende Noth umhergeht und die friedlichen Thiere des Waldes erlegt.«

»Oh geht zum Teufel mit Eurer Predigt, Rowson!« fuhr der Jäger halb ärgerlich, halb lachend auf, während der junge Bursch einen spöttischen Blick auf die ernsthafte Gestalt des Mahners warf – »spart die Moral, bis Ihr in die Ansiedlung kommt, und verschont uns hier mit dem Unsinn. – Wo aber nur Rusch stecken mag – verdammt will ich sein, wenn ich mir das erklären kann. Er versprach, mit Sonnenaufgang hier zu sein, und jetzt ist die Sonne bald drei Stunden hoch – die Pest in seinen Hals!«

»Ihr werdet ihn mit Eurem gotteslästerlichen Fluchen nicht herbeirufen,« erwiderte kopfschüttelnd der Andere – [] »aber,« fuhr er dann, etwas lebhafter werdend, fort, »auch mir dauert die Zeit zu lang'. Ich muß um zehn Uhr in der Betversammlung sein und habe noch sechs Meilen bis dahin zu reiten.«

»Die beiden Geschäfte scheinen sich bei Euch sehr gut zu vertragen!« lächelte verächtlich der Jäger. – »Predigen und Pferde stehlen – hm, paßt wirklich recht gut zusammen, kann auch recht gut neben einander bestehen, denn der ›Sabbath‹, wie Ihr ihn nennt, ist doch ein schlechter Tag für unser Geschäft. Aber laßt die Faxen hier im Wald, wo wir unter uns sind; 's ist – das Wenigste zu sagen – langweilig.«

»Nun, habt keine Angst, Ihr sollt nicht lange mehr damit belästigt werden,« lächelte der Farmer, während er mit Wohlbedacht eine Prise aus einer Muscheldose nahm. – »Doch seht,« fuhr er dann schneller und lebhafter fort – »Euer Hund spitzt die Ohren – er muß etwas wittern.«

Ein grau und schwarzgestreifter Schweißhund hatte sich, einige Schritte von den Männern entfernt, auf dem einzigen kleinen sonnigen Fleck zusammengeknäult, wo ein umgestürzter Baum in das dichte Laubdach eine Lücke gerissen. Vorsichtig windend hob dieser jetzt die Nase einen Augenblick in die Höhe, knurrte dann leise, wobei er einen schwachen Versuch machte, mit dem Schwanz zu wedeln, und fiel wieder in seine alte Lage zurück. Sein Herr, der ihn indessen aufmerksam beobachtet hatte, sprang mit zufriedenem Blick auf und rief:

»Nun endlich – Zeit ist's, daß er kommt. Deik kennt ihn auch gut genug, mag aber seinen warmen Fleck dort nicht verlassen. Hallo – da ist er schon! – Nun, Rusch, Ihr glaubt wohl, man hält sich hier der Annehmlichkeit wegen zwischen den Mosquitos und Holzböcken auf! Was, zum Henker, hat Euch abgehalten, zur rechten Zeit hier zu sein?«

Der Letztgekommene zeigte sich als ein Mann in mittleren Jahren und ging, wie der Farmer, anständig und reinlich gekleidet. Außerdem trug er aber, obgleich sonst gerade nicht jagdmäßig angezogen, eine Kugeltasche an der rechten Seite und eine lange gezogene Büchse auf der Schulter.

[] »Guten Morgen, Gentlemen,« wandte er sich jetzt an die ihn begrüßenden Männer, »guten Morgen, und seid nicht böse, daß Ihr habt auf mich warten müssen, aber – ich konnte nicht früher kommen. Der junge Laffe, der Brown, und der alte Harper, mit der verdammten Rothhaut, krochen mir im Weg herum, und ich wollte mich nicht gern nach dieser Richtung zu sehen lassen. Die guten Leute fangen mir überhaupt an zu gescheidt zu werden, und das schleichende Scalpirmesser schnüffelt in einem fort im Wald umher. Höll' und Teufel, warum dulden wir den Indianer eigentlich hier in der Nachbarschaft! – Ich habe fast so eine Ahnung, als ob die Kugel schon gegossen wäre, die ihm in seine Jagdgründe verhelfen mag.«

»Ich glaube selber, Rusch,« sagte Cotton, »daß das Stück Blei vortrefflich angewandt wäre.«

»Hört einmal, Cotton,« wandte sich der Neugekommene halb ärgerlich an den Jäger – »ich wollte, Ihr nenntet mich nicht immer bei dem verwünschten Namen. – Er fährt Euch einmal heraus, wenn es Fremde hören, und dann käm' ich in des Teufels Küche. – Sagt ›Johnson‹, wenn wir auch untereinander sind – Ihr gewöhnt Euch besser dran.«

»Nun meinetwegen,« lachte dieser – »mir auch recht, Rusch oder Johnson, dem Strick entgeht Ihr doch nicht, so wenig wie wir Anderen. Aber fidel wollen wir sein, so lange wir noch beisammen sind, und dann an's Geschäft, denn wir haben in den letzten vierzehn Tagen keinen Cent verdient. Es wird Zeit, daß wir wieder anfangen.«

Er hatte bei diesen Worten eine kleine Whiskyflasche aus seiner wollenen Decke herausgewickelt, drehte, während er lächelnd nach Rowson hinübernickte, den Stöpfel heraus und setzte sie dann mit einem sehr selbstzufriedenen »Prost« an die Lippen. Erst nachdem er sich in langem Zug Genüge geleistet, hielt er sie dem ihm am nächsten stehenden Rowson hin und rief:

»Da – stärkt Euch zu Eurer Predigt heute Morgen, Ihr werdet's brauchen können. Verdammt will ich sein, wenn ich nicht drei solche Flaschen im Leibe haben müßte, um ruhig [] zuhören zu können, und sogar dann würde ich noch die Bedingung stellen, daß ich eingeschlafen sein müßte, ehe Ihr angefangen hättet.«

»Danke,« sagte Rowson, den dargebotenen Trunk abweisend – »danke schön – ich möchte nicht gern heute Morgen nach Whisky riechen. – Gebt die Flasche an Johnson; der wirft ihr ohnedies schon sehnsüchtige Blicke zu.«

»Nichts besser als ein heißer Trunk am Morgen,« sagte der Neugekommene, indem er ohne weitere Umstände dem Jäger Bescheid that. – »Aber, Weston,« fuhr er dann, sich an den Jüngsten wendend, fort – »was habt Ihr denn, Ihr kratzt Euch ja, als ob Ihr wie eine Schlange die Haut abschälen wolltet; hat Euch ein Mosquito gestochen?«

»Einer?« fragte der junge Mann ärgerlich, indem er hinzutrat und die Flasche aus Johnson's Hand nahm – »Einer? Die Luft ist hier dick voll von ihnen, und es kommt mir fast so vor, als ob Harper Recht habe, der neulich behauptete, es wären so viele von den verwünschten, scharfgesichtigen Burschen hier, daß man bei Tisch, wenn man nur einmal mit dem Messer durch die Luft hiebe, den ganzen Teller voll Flügel und Beine hätte.«

»Hoho!« lachte Cotton, – »Ihr gewöhnt Euch schon daran; kommt da freilich gerade aus den Missouri-Bergen herunter, wo ich mir habe erzählen lassen, die Leute Nachts ohne Rauch im Freien schlafen könnten; hier möchte ihnen das schwer fallen.«

»Gentlemen, denken Sie daran, weshalb wir hier sind,« bemerkte Rowson jetzt etwas ungeduldig, »die Zeit vergeht und ich muß wahrhaftig fort. Ueberhaupt ist dies keineswegs ein so ungemein sicherer Platz, wenn Johnson wirklich den Indianer mit seinen Genossen hat in der Nähe herumkriechen sehen. Ich schlage also vor, daß wir ohne weitere Umstände an's Werk gehen und verabreden, was wir eigentlich verabreden wollten.«

»Brav gesprochen, großer Prophet!« rief Cotton, dem Redner dabei mit so kräftiger Faust auf die Schulter schlagend, daß dieser schmerzhaft das Gesicht verzog und dem Allzufreundlichen [] einen tückischen Seitenblick zuwarf, jedoch mit großer Selbstüberwindung seinen Ärger verbiß und, die Männer bedächtig im Kreis ansehend, fortfuhr:

»Wir haben, Dank den geschäftigen Schuften, die nicht allein in der Ansiedlung, sondern im ganzen County, ja im ganzen Staate umherstreifen und sich unter dem Namen ›Regulatoren‹ breit machen, mehrere Wochen lang brach gelegen und nicht einen Pfennig verdient. Gestern ist, wie Ihr Alle wißt, ein Botschafter von der Insel dagewesen, der einen Transport guter Pferde dringend fordert, die zu einem Landtransport oder was weiß ich verwandt werden sollen, und wir kleben hier und legen die Hände in den Schooß. – Das geht nicht länger – ich brauche Geld – wie Jeder von Euch, und mit Maisbau und Schweinezucht das durch Jahre lange Arbeit zu verdienen, was gewissermaßen auf dem Tischtuch vor uns liegt, wäre lächerlich; also zur That denn. Da ich durch den guten Ruf, den ich mir zu erwerben gewußt habe, obgleich ich doch eigentlich nur ein schwacher, sündhafter Mensch bin –«

»Höll' und Teufel, laßt den Unsinn!« rief Cotton, ärgerlich mit dem Fuß stampfend – »plappert Euren Gebetkram her, wenn Ihr bei Roberts seid, aber schenkt uns hier reinen Wein ein.«

»Da ich durch den guten Ruf, den ich mir zu erwerben gewußt,« wiederholte Rowson, eine besänftigende Geberde gegen Cotton machend – »auf vielen, sehr vielen Farmen Zutritt erhalten habe, so hat mir das natürlich Gelegenheit gegeben, den Vieh- und besonders den Pferdestand der Eigenthümer genau zu untersuchen. Meiner Meinung nach also gibt es für uns keine ergiebigere Gegend als Springcreek, an der anderen Seite vom Petite-Jeanne. Husfield dort hat herrliche Tiere, und ich bin fest überzeugt, daß wir von der einen Farm allein acht Pferde wegholen können, wobei ich noch zwei Tage Vorsprung garantiere.«

»Nicht so übel,« meinte Johnson, »aber bedenkt auch, daß uns das wieder fast fünfzig Meilen weiter vom Mississippi fortbringt.«

[] »Höchstens fünfunddreißig,« erwiderte Rowson, »und zwei Tage und zwei Nächte Vorsprung. Hier in der Gegend müssen wir gewärtig sein, daß sie uns noch in derselben Stunde auf der Fährte sind, und das ist denn doch, das Wenigste zu sagen, störend.«

»Wie wär's, wenn wir den Zug bis auf nächste Woche verschöben?« meinte Johnson, »ich hätte gern einen kleinen Abstecher an den Washita gemacht.«

»Keine Stunde,« rief Rowson – »wozu die Zeit versäumen, die wir bald so höchst nöthig brauchen werden.«

»Was, zum Henker, habt Ihr denn auf einmal für eine verwünschte Eile?« fragte Cotton verwundert, »Ihr laßt's ja doch sonst an Euch kommen.«

»Ich brauche Geld« sagte Rowson lakonisch – »mein Land ist vermessen, und wenn ich bis zum ersten Montag im Juni die volle Summe nicht einliefere, so kann es mir, wie Ihr Alle recht gut wißt, vor der Nase weggekauft werden. Außerdem leben hier in der Gegend einige so freundliche Seelen, die sich ein ganz besonderes Vergnügen daraus machen würden, mir den Gefallen zu thun. – Da ist unter Anderen dieser Mr. Harper – die Pest auf seinen Kopf –«

»Hahahaha, Rowson,« lachte Cotton, – »wenn Mrs. Roberts hörte, daß Ihr einem andern Christenmenschen die Pest auf den Schädel wünscht, ihre fromme Meinung von Euch würde einen bedeutenden Leck bekommen.«

»Spottet nur, Cotton, Ihr habt Euch das Recht dazu erworben – 's ist ja Euer täglich Brot – aber wenn ich nicht Wahrheit rede, daß hier Einige leben, denen ich selbst mit Wollust ein Messer – doch das gehört nicht hierher,« fuhr er, sich schnell fassend, fort – »sprecht Euch jetzt aus, wollt Ihr meinem Rath folgen, oder nicht? Wir können in acht Tagen à Person dreihundert Dollar verdienen, und das ist mehr, als sich auf ehrliche Art und Weise zu Stande bringen läßt.«

»Gut! mir ist's recht –« rief Cotton – »diesmal geht Ihr Beiden aber; wir Zwei, Weston und ich, haben das vorige Mal den Hals riskirt.«

[] »Ja, ja« stimmte Weston bei – »'s ist wahr – wir wären auch beinahe noch erwischt worden – diesmal ist die Reihe an uns, auszuruhen.«

»Oh halt! nicht so schnell,« unterbrach sie Johnson, »vorerst müssen wir über den Plan einig werden, und dann bitt' ich, daß die beiden Herren bedenken mögen, welche Last wir mit dem Verkauf hatten, und daß ich selbst bis jetzt noch nicht einmal von jedem Verdachte frei bin. Erst also der Plan – wie hattet Ihr's Euch gedacht, Rowson?«

»Nun seht,« erwiderte dieser, indem er ein breites Bowiemesser unter der Weste vorzog und damit zu schnitzeln anfing – »Zweie von uns – (mehr dürfen es auf keinen Fall sein, um nicht Verdacht zu erwecken, wenn sie zufälliger Weise gesehen werden sollten) – also Zweie von uns gehen mit ihren Büchsen – und jeder mit drei oder vier Zügeln, die er auf irgend eine Art an sich verbergen muß, von hier aus über Petite-Jeanne nach der Mühle am Springcreek zu. Die Zügel erwähn' ich deshalb, damit wir nicht wieder solchen Aerger beim Verkauf der Pferde haben, da das letzte Mal die scharfe Baumrinde den Thieren die Mäuler blutig gerissen hatte und die Seelenverkäufer auf der Insel am Preise mäkeln wollten. Von der Mühle aus ist's nicht mehr weit, ein paar Meilen höchstens, zu Husfields, und an der ersten Fenzecke angelangt, haltet Euch nur gleich links auf dem ersten Fußpfade hin, der scheinbar in den Wald wieder hineinläuft; er biegt aber nur deshalb aus, um ein paar umgestürzten Eichen Raum zu geben, nachher dreht er sich wieder der Farm zu und läuft gerade nach dem Pferdehofe hin, der auf der andern Seite mit dem Haus selbst in Verbindung steht.

Husfield hat etwa siebenundzwanzig Pferde, Alles gerechnet, mit Füllen und Hengsten, von denen er gewöhnlich acht füttert. – Die letzteren aber dürfen wir nicht berühren, er würde sie schon am nächsten Morgen vermissen und ist ein zu guter Waldmann, als daß er uns nicht auf der Fährte bleiben sollte. Die übrigen weiden, unter der Führung eines jungen, dreijährigen Hengstes, draußen im Freien.«

[] »Er darf ja im Frühjahr keinen Hengst frei herumlaufen lassen,« unterbrach ihn Johnson.

»Ich weiß wohl,« fuhr Rowson fort – »er thut's aber doch. Jetzt wenigstens, dessen bin ich sicher, ist der Hengst noch draußen und kommt jeden Abend regelmäßig an die Fenz der Umzäunung – nach ein paar Stuten, denen er, auswendig herumtrabend, wiehernd seine Liebeserklärung macht, und kehrt dann wieder in den Wald, nach seinem gewöhnlichen Schlafplatz, zurück. Ihm folgt der ganze Trupp, und das ist der Zeitpunkt, sich der besten zu bemächtigen, denn die Bewohner des Hauses achten nicht viel auf die Thiere. Ich bin zweimal dort eingekehrt, um dessen auch gewiß zu sein.«

»Wenn man die Stuten aus der Umzäunung nehmen könnte,« meinte Weston schmunzelnd, »dann hätte man nachher die ganze Herde und könnte so schnell reiten, wie die Thiere laufen wollten.«

»Ja, und hätte am nächsten Morgen etwa zehn oder zwölf von den Schuften, mit Büchsen und ellenlangen Messern, auf einer Fährte hinter uns her, der ein Blinder mit dem Stock folgen könnte,« rief Rowson dagegen. – »Nein, sicher müssen wir gehen, denn wir wollen nicht allein nicht erwischt sein, sondern auch jeden Verdacht vermeiden, und das können wir nur dadurch bezwecken, daß wir die Sache so vorsichtig wie möglich anfangen. An der Mühle dürfen Die, welche die Pferde entführen sollen, sich ebenfalls nicht blicken lassen. Am besten ist's, man geht gleich da, wo die Straße den Springcreek berührt, hindurch, an's andere Ufer, was zufällig des Weges Kommende zu der irrigen Meinung veranlassen wird, die Reiter hätten hinüber nach Dardanella gewollt. An der Ecke der Fenz, eben da, wo sich der Weg links abzieht, ist noch dazu ungemein steiniger Boden, und eine Fährte, über den Weg zurück, kann kaum bemerkt werden. Was nachher zu thun ist, wenn man sich erst einmal an Ort und Stelle befindet, brauch' ich Euch nicht weiter zu sagen, das wißt Ihr gut genug.«

»Wer geht aber?« brummte Cotton unwillig, »Ihr gebt uns so gute Lehren, als ob Ihr selbst gar nicht mit zur Partie [] gehörtet. – Wir haben's das letzte Mal riskiert, es ist nicht mehr als recht und billig, daß jetzt zwei Andere ihren Hals dransetzen.«

»Noch dazu, da Ihr so sehr gut dort in der Gegend bekannt seid,« warf Weston ein. »Andere, die alle jene beschriebenen Pfade erst suchen müssen, würden sehr viel Zeit dabei verlieren.«

»Wahr – wahr, in vielen Stücken,« meinte Rowson lächelnd, »aber, junger Mann, Johnson und ich haben, wie schon gesagt, das letzte Mal fast mehr Angst und Gefahr ausgestanden als Ihr Beiden, die Ihr blos die Pferde abholtet. Doch es sei – ich biete mich zu Einem der ›Abholenden‹ an, bestimmt Ihr den Andern; doch nur unter der Bedingung, daß ich blos verpflichtet bin, die Entführten bis an die Mamelle zu schaffen, das heißt bis auf den Bergrücken, der die Wasser der Mamella vom Fourche la fave trennt. Dort an den Quellen des Creeks wollen wir zusammentreffen, und von da an mögen die anderen Beiden die Pferde nach der Insel befördern.«

»Dann wär's das Beste, daß Ihr und Johnson den ersten Theil übernähmt; Weston und ich wollen sie dann schon in Sicherheit bringen.«

»Halt da« – rief Johnson – »dem schurkischen Husfield gehe ich nicht freiwillig auf's Land – Ihr wißt vielleicht nicht, daß wir vor vierzehn Tagen einen Streit mit einander hatten, in dem ich – das verdammte Pistol schnappte und der Schuft schlug mich nieder. – Ich bin der Canaille dafür etwas schuldig« – fuhr er zähneknirschend fort – »möchte das aber nicht auf seinem eigenen Grund und Boden abmachen, das spräche nachher vor Gericht gegen mich. – Nein, laßt lieber das Loos bestimmen, wer gehen soll; wir können ja Grashalme ziehen.«

»Ach was, Grashalme,« brummte Cotton – »die Jagd soll entscheiden. – Wir wollen morgen früh alle Vier – oder vielmehr mir Drei, da Rowson diesmal Freiwilliger ist, nach verschiedenen Revieren aufbrechen, und kommen hier den Dienstag Morgen wieder zusammen. Wer morgen die [] meisten Hirsche schießt, oder überhaupt die beste Jagd macht, ist frei.«

»Einverstanden!« rief Rowson, »das ist ein guter Einfall, da geh' ich auch mit, und wenn es nur des Spaßes halber wäre.«

»Meinetwegen,« sagte Johnson, »wir sind Alle gute Jäger und das Glück mag entscheiden, wer von uns diesseit oder jenseit der Mamelle Pferdefleisch zu befördern bekommt; also morgen früh. Wir müssen aber auch eine Gegend bestimmen, daß wir einander nicht in die Schußlinie laufen. Ich meines Theils will den Fluß ein Stück Weges hinauf gehen und in der Niederung jagen.«

»Da kommt Ihr mir in mein Revier,« sagte Weston – »ich muß dort hinauf, denn ich habe mein Lager noch, mit Decke, Kochgeschirr und zwei Hirschhäuten, da oben.«

»Gut – dann gehe ich hinüber an den Petite-Jeanne; Jones von drüben sagte mir gestern, er hätte Unmassen von Fährten gesehen.«

»Und ich gehe ebenfalls nach der Gegend zu,« sagte Rowson, »werde aber nicht den ganzen Tag jagen können, weil ich der Mrs. Laughlin versprochen habe, gegen Abend hinüber zu kommen und Betstunde zu halten.«

»Und wo thust Du indessen Deine Büchse hin?« lachte Johnson.

»Ih nun, zu Fulweals denk' ich. Dort ist ja auch Cotton's Schwester, und wenn ich Abends nach Hause reite, nehme ich sie wieder mit.«

»Rowson, Rowson,« rief Cotton, lachend mit dem Finger drohend – »mit der Witwe Fulweal ist mir die Sache nicht so ganz richtig. Ihr kriecht und schwänzelt in der Gegend herum, und wie ich neulich einmal so unverhofft zu Eurer Betversammlung kam, da knietet Ihr Beide mir sehr verdächtig nahe zusammen.«

»Unsinn!« sagte Rowson, schien aber doch ein wenig verlegen zu werden und wandte sich jetzt schnell an Weston, dem er zurief: »Apropos, junger Mann, die beiden Felle, die Ihr schon im Lager habt, zählen nicht mit.«

[] »Oh bewahre,« erwiderte dieser, »ehrliches Spiel – morgen früh, wenn es hell genug wird, das Korn auf der Büchse zu erkennen, geht die Jagd an.«

»Jetzt ist's aber Zeit aufzubrechen,« sagte Rowson, die Hände in die Tasche schiebend – »also, Gentlemen, auf ein fröhliches Wiedersehen!«

»Halt! noch Eins,« rief ihm Cotton zu, als er sich schon nach der Richtung hin, wo er an der Außenseite des Dickichts sein Pferd angebunden hatte, entfernen wollte, – »wir dürfen nicht auseinander gehen, ehe wir nicht einen festen Entschluß gefaßt haben, wie wir uns verhalten wollen, falls – die vermaledeiten Regulatoren uns auf die Spur kämen. Hölle und Gift, ging's nach mir, so lebte morgen Abend um diese Zeit keiner von den Schuften mehr.«

Rowson kehrte wieder um und blieb, an den Nägeln kauend, neben Cotton stehen. – »Ich hätte bald vergessen, Euch eine Nachricht mitzutheilen,« sagte er dann nach einer kleinen Pause, indem er einen Seitenblick auf seinen stämmigen Nachbar warf, »da Cotton aber gerade von den Regulatoren anfängt, fällt mir's wieder ein.«

»Und was ist das?« fragte Johnson eifrig.

»Nichts mehr und nichts weniger, als daß der Sheriff von Pulasky County einen Verhaftsbefehl für unsern guten Cotton in der Tasche trägt.«

»Der Teufel!« fuhr dieser auf, »und weshalb?«

»Oh – ich weiß nicht, ob gerade irgend etwas Besonderes erwähnt ist, es waren aber so verschiedene Sachen. Ich hörte etwas von einer Fünfzig-Dollar-Note munkeln, und von einem Heirathsversprechen in Randolph County, und von einem Menschen, den man eine Zeit lang vermißt habe, und dessen Leichnam dann später aufgefunden sei, und so mehrere Kleinigkeiten.«

»Die Pest!« rief mit dem Fuß stampfend der Jäger – »und das hättet Ihr beinahe vergessen? mich ganz arglos in die Ansiedlung hineintraben lassen? Ja, es wird Zeit, daß ich mich hier fortmache – Arkansas möchte mir ein wenig [] zu warm werden, oder ich bekomme vielmehr zu viele Bekannte hier.«

»Habt wohl eine recht ausgebreitete Bekanntschaft?« schmunzelte Rowson.

»Sehr,« sagte – die Frage halb überhörend – nachdenkend der Jäger. »Aber was thut's,« fuhr er dann plötzlich, sich hoch aufrichtend, fort, »was thut's – in wenigen Tagen ist unser Geschäft beendet, und mit dem Geld kann ich bis an den Mississippi und von da aus bequem nach Texas kommen.«

»Warum geht Ihr nicht lieber von hier zu Land? Da kostet's Euch keinen Cent und ist nicht den zehnten Theil so weit.«

»Wohl recht, ich habe aber meine Gründe, den nördlich lebenden Indianern nicht so besonders nahe zu kommen.«

»Alle Wetter, Cotton, erzählt uns die Geschichte,« bat Weston, »ich habe schon so viel davon reden hören und möchte gar zu gern wissen, wie das Alles zusammenhängt; was hattet Ihr mit den Cherokesen?«

»Jetzt wär' die Zeit dazu, eine Geschichte zu erzählen,« brummte der Gefragte.

»Man soll an Euren Armen,« lächelte Rowson, »noch die Spuren von eisernen –«

»Geht zum Teufel mit Eurem Kindergeschwätz – wir haben jetzt mehr zu thun. Nicht allein auf mich ist's gemünzt, sondern auf Euch Alle. Die Regulatoren haben durch irgend einen Schuft Wind bekommen und uns Alle auf dem Korn!«

»Mich nicht,« lächelte Rowson – »in dem frommen gottesfürchtigen Methodistenprediger sucht Keiner den Wolf.«

»Keiner?« lächelte Cotton ihn höhnisch an, »Keiner? was sagte doch neulich Heathcott, als er Euch einen Lügner und Schurken nannte?«

Rowson's Antlitz entfärbte sich und Todtenblässe vertrieb die frühere Röthe; seine Hand fuhr krampfhaft nach dem verborgenen Messer.

»Was für Beschuldigungen brachte er da zum Vorschein?« [] flüsterte der Jäger leise weiter, dem vor Wuth und Ingrimm Erbebenden einen Schritt näher tretend, »he? kam da nicht auch das Wort Seelenverkäufer mit vor? Und Ihr ließet Euch das Alles ruhig gefallen? – Pfui! ich schämte mich damals in Eure eigene Seele hinein –«

»Cotton,« sagte Rowson, sich gewaltsam sammelnd, »Ihr habt die rechte Saite berührt – der Mensch ist uns gefährlich. Er hat nicht allein eine Ahnung, wer ich bin, sondern er ließ auch neulich einzelne verdächtige Worte über Atkins fallen.«

»Was, Atkins? – der noch nie die Hand in einem Diebstahl gehabt hat und nur ruhig auf seiner Farm uns unterstützt?«

»Eben der Atkins. Weiß der Teufel, wie der Schuft darauf kommt, nach dieser Seite hin zu winden, wahr ist's aber, und daß ich damals den Lügner und Schurken hinnahm, hatte seine wohlweislichen Gründe. Wäre ich als Prediger aufgefahren und hätte ihm den Schuft zurückgegeben –«

»So hätt' er Euch zu Boden geschlagen,« lachte Cotton.

»So hätte das mir und meinem sonstigen gottesfürchtigen Wandel einen gewaltigen Stoß gegeben,« fuhr Rowson, ohne sich irre machen zu lassen, fort.

»Ja wohl Stoß,« sagte Cotton, »an den Schädel oder zwischen die Augen.«

»Laßt das Necken, zum Teufel,« fuhr jetzt Johnson auf – »wir sind doch nicht hier, um Eure Narrenspossen mit anzuhören. Rowson hatte ganz Recht; wenn er einmal predigt, so muß er sich auch wie ein Prediger betragen –«

»Und Pferde stehlen –« lachte der unverbesserliche Cotton.

»Wollt Ihr jetzt ernsthaft die ernste Sache betreiben oder nicht? – sagt's, denn ich habe Euer Gewäsch satt,« rie Rowson ärgerlich – »wir sind hierher gekommen, um zu einem gemeinsamen Plan gemeinsam zu wirken, und nicht, um uns zu entzweien. – Mir ist noch mehr bekannt – die Regulatoren werden heute oder morgen hier zusammenkommen.«

[] »Hier? wo?« frugen Alle schnell.

»Bei Roberts oder Wilkins, oder sonst Jemandem, was weiß ich – aber daß sie kommen, ist sicher – und dann – haben sie im Sinn, das allbeliebte Lynchgesetz wieder in Aufnahme zu bringen.«

»Das dürfen sie nicht!« rief Cotton, »die Gesetze sind erst kürzlich deswegen verschärft.«

»Was dürfen sie hier in Arkansas nicht,« lächelte Rowson, »wenn zwanzig oder fünfundzwanzig zusammentreten und ernsthaft wollen. Glaubt Ihr, der Gouverneur ließe Soldaten gegen sie anrücken? Nein, wahrhaftig nicht – und wenn er's thäte, hülfe ihm das eben so wenig. Sie dürfen Alles, was sie nur ordentlich wollen, und sie wollen unser Geschlecht (ich rede nicht von unseren stillen, freundlichen Familienkreisen), unser Geschlecht, sag' ich, ausrotten, auf daß ihre Pferde Abends vollzählig nach Hause kommen, und sie den Leuten nicht mehr aufzupassen brauchen, die unter der Weste ein Bowiemesser, ein Paar Pistolen und einen leichten Trensenzaum tragen.«

»Im Grunde genommen kann ich ihnen das auch eigentlich nicht so sehr verdenken,« lächelte Johnson – »da es sich aber keineswegs mit den Ansichten verträgt, die wir selbst vom Leben haben – was hat das Thier da? es hebt schon seit ein paar Minuten die Nase so sonderbar in die Höhe – sollte sich etwas nahen?«

»Nein, es ist nichts,« sagte Cotton, den Hund von der Seite ansehend, der sich jetzt wieder ruhig zusammenknäulte – »er bekam vielleicht Witterung von einem Truthahn, und den zeigt er wohl an, folgt ihm aber nicht.«

»Da sich dies also nicht mit unseren Ansichten verträgt, so müssen wir mit Gewalt oder List dagegen wirken. – Zur Gewalt sind wir zu schwach, denn gälte es Ernst, so würden uns nur Wenige beistehen, also muß uns List retten, und ich denke, daß wir mit Atkins' Hülfe, der auf keiner besseren Stelle wohnen könnte, sie Alle noch bei der Nase herumführen und wenn sie diesen dummstolzen Heathcott auch zum Anführer haben –«

[] »Heathcott ihr Anführer?« fuhr Rowson schnell auf.

»Ja! so sagte mir Harper wenigstens neulich, als ich ihn an der Mühle traf.«

»Dies müssen die letzten Pferde sein, die wir hier aus der Nachbarschaft holen,« murmelte Rowson sinnend vor sich hin, »'s ist doch zu gefährlich. – Die nächsten, denk' ich, beziehen wir aus Missouri; Weston macht da den Führer, und ich selbst bin am Big Black und um Farmington herum gut bekannt.«

»Auch gekannt?« frug Cotton.

»Ja gewiß,« entgegnete Jener, ohne den boshaften Sinn dieser Worte verstehen zu wollen –»auch gekannt, und die Leute haben mich dort Alle meines gottesfürchtigen Wandels wegen liebgewonnen.«

»Die Pferde auch,« lachte Weston, »als er von da fortging, folgten ihm drei der guten Thierchen aus purer Anhänglichkeit.«

Diesmal stimmte Rowson in das Gelächter, das dieser Bemerkung folgte, mit ein, war aber auch gleich darauf wieder ernsthaft und rief laut:

»Gentlemen, das geht nicht länger – bedenken Sie, daß unser Hals auf dem Spiele steht; es hat Alles seine Zeit, Possen und Ernst – hören Sie also jetzt meinen Plan. Ich habe mir die Sache anders überlegt; wir wollen die Pferde nicht in gerader Richtung nach der Insel schaffen, es wäre doch möglich, daß sie trotz aller Schlauheit von unserer Seite auf der Spur blieben, und nachher brächten wir nicht allein uns, sondern auch die Flußleute in Gefahr; wartet daher oberhalb Hoswells' Canoe – etwa eine halbe Meile weiter oben, da wo der Hurrikane anfängt, auf mich. Von dort aus habe ich einen Plan, wie wir die Verfolger herrlich an der Nase herumführen und selbst sicher fort können. Ich will sie nämlich auf eine falsche Fährte bringen, und das kann nur am Flusse geschehen. Doch davon später, zuerst müssen wir sehen, wer sich morgen frei jagt, und mit Einem von denen will ich dann Abrede nehmen.«

»Wenn sie uns nun aber zu Atkins folgen und damit [] unsern letzten Zufluchtsort entdecken?« frug Cotton mißtrauisch.

»Wir brauchen vielleicht gar nicht zu Atkins zu gehen,« rief lachend Rowson, »ich habe lange genug im Walde gelebt, um ein paar kläffende Hunde von der Fährte zu bringen. Bereinigt Euch nur jetzt darüber, wer noch mit mir gehen soll; Ihr Anderen seid dann richtig an dem bezeichneten Platze, und mein Name soll nicht Rowson sein, wenn ich mein Wort nicht löse.«

»Das ist ein gewaltiger Schwur!« lachte Cotton, – »in wenigen Wochen gäbt Ihr vielleicht Gott weiß was darum – wenn Euer Name nicht Rowson wäre. Nun, ich habe wenigstens den Trost, daß ich nicht mehr riskire, als ihr Alle. Jetzt aber noch den Schwur, einander in Noth und Tod nicht zu verrathen. – Ein Schuft, wer nur mit einem Blick, nur mit einem Athemzug falsch ist, und die Rache der Anderen treffe ihn, wo er sich auch hinflüchten mag, und sei's in den Armen seiner Mutter.«

»Blutigen Tod dem, der zum Verräther wird,« rief Weston, das breite Messer aus der Scheide reißend, »und möge sein Arm und seine Zunge verdorren und sein Auge erblinden!«

»Das ist ein Kraftschwur,« sagte Johnson – »ich stimme aber mit ein!«

»Auch ich,« sprach Rowson, »doch hoff' ich, der Schwur wird nicht nöthig sein, uns eng und fest zu verbinden; der eigene Nutzen thut es bis jetzt, und der hält stärker als Schwur und Bürgschaft. Sollte sich das freilich einmal ändern, dann will ich wünschen, daß ich – in Texas wäre!«

»Ihr werdet doch nicht glauben, daß Einer von uns niederträchtig genug sein könnte, die Freunde zu verrathen?« fiel Weston, hitzig ein, »schon der Gedanke wäre Verrath und Treubruch an unserer Freundschaft.«

»Gut, gut, ich will's glauben, daß Ihr's es aufrichtig meint, Weston,« sagte Rowson, ihm die Hand reichend, »Ihr seid aber noch jung, sehr jung, und wißt gar nicht, in welche Lagen ein Mensch kommen kann.«

[] »Die Tortur selbst sollte mir keine Antwort auspressen, die –«

»Es freut mich, daß Ihr so denkt, doch jetzt good bye, Gentlemen – adieu, Johnson – wo treffen wir uns denn morgen früh zur Jagd?«

»Da, wo Setter's Creek aus den Hügeln kommt; es stehen dort auf einer kleinen Erhöhung eine Menge Wallnußbäume zusammen –«

»Ich kenne den Platz.«

»Gut, dort also – bis dahin gute Geschäfte. – Macht's den armen Leuten nur nicht gar zu rührend –«

»Und der Wittwe,« rief ihm Cotton nach – Rowson hörte aber nicht weiter darauf, sondern verschwand bald in dem den kleinen lichten Fleck eng umschließenden Dickicht, dessen Zweige sich wieder hinter ihm zusammenbogen.

Cotton sah ihm eine lange Weile schweigend nach, endlich schulterte er, ohne ein Wort weiter zu sagen, die Büchse und wollte sich ebenfalls entfernen.

»Ihr traut Rowson nicht recht?« frug Johnson jetzt, ihn scharf betrachtend.

Cotton blieb noch einmal stehen, blickte wenige Secunden lang forschend in das Auge des Fragenden und sagte dann derb und entschieden:

»Nein! – aufrichtig geantwortet, nein! Das schleichende Wesen, das selbst bei den gröbsten Beleidigungen freundliche Gesicht kann kein Vertrauen erwecken. Gift und Tod, der Bursche haßt Heathcott wie die Sünde – halt – das Gleichniß war nicht gut gewählt – wie die Tugend, wäre hier besser am Platz, und doch sah ich, wie sich die Beiden wieder versöhnten; d.h. Rowson ging zu Heathcott hinan, schüttelte ihm die Hand und versicherte ihm, daß er weiter keinen Groll gegen ihn hege. Lebendig will ich mich in Stücke hacken lassen, wenn mir das möglich gewesen wäre. Mein Messer, aber nicht meine Hand hätte der Hund zu fühlen bekommen. Doch meinetwegen, es gilt hierbei seinen eigenen Nutzen, und da glaub' ich, daß er treu ist; auf keinen Fall brächt' es ihm Vortheil, uns zu verrathen, denn noch ist kein Preis auf [] meinen Kopf gesetzt. Hahaha, denken die Tintenlecker, den Cotton im Walde zu fangen? Das möchte schwer halten und könnte wahrhaftig auch nur durch Verrath geschehen.«

»Ihr denkt zu schlimm von Rowson,« beruhigte ihn Johnson, »er hat natürlich seine Fehler, nun die haben wir ja Alle, sonst ist er aber treu, und ich bin fest überzeugt, die Regulatoren könnten ihn schinden, ehe sie ihm einen Namen seiner Freunde über die Lippen preßten.«

»Ja – dann müßte aber erst noch bewiesen werden, daß ich zu denen gehörte,« lachte Cotton. – »Doch ade, Johnson – Ihr meint's gut, das weiß ich, und auf Euch kann man auch einmal im Nothfall rechnen – gehabt Euch wohl. Uebermorgen früh finden wir uns hier wieder zusammen, und haben wir erst einmal ein paar hundert Dollars in den Taschen, dann lebt sich's auch schon besser und sicherer. Es gibt Manche hier unter den Ansiedlern, die jetzt das Maul auf eine entsetzliche Art aufreißen und über Diebstahl und Sünde schreien, denen doch mit einer einzigen Fünf-Dollar-Note die Lippen zusammengeheftet werden könnten, daß sie sich nur noch zum freundlichsten Lächeln wieder öffneten. – Doch die Zeit drängt – auf baldiges und frohes Wiedersehen.«

Die Männer trennten sich jetzt, Cotton und Weston gingen zusammen dem Ufer des Flusses zu, Johnson aber wandte sich in gerader nördlicher Richtung durch die Büsche, überschritt die ausgehauene County-Straße und verschwand in den steilen, kieferbedeckten Hügeln.

Der Versammlungsort der »Pferdehändler,« wie sie sich selbst nannten, lag nun ruhig und verlassen in Sabbathstille da. – Wohl eine Viertelstunde wurde diese auch durch nichts unterbrochen, als durch das einfache Schirpen des Eichhorns und das muntere Geschrei des Hehers, als sich die Büsche wiederum, ohne jedoch das geringste Geräusch zu verursachen, theilten und die dunkle Gestalt eines Indianers den kaum verlassenen Platz betrat.

Vorsichtig horchte er nach allen Seiten hin, ehe er den lichten Fleck überschritt – gerade wie ein Hirsch, der, aus dem Waldesdunkel tretend, einen Pfad zu kreuzen im Begriff [] ist, fast stets stehen bleibt und zuerst rechts und links hinüberblickt, ob ihm keine Gefahr drohe – und glitt dann lautlosen Schrittes, die Augen auf den Boden geheftet, darüber hin. Plötzlich aber, und sehr wahrscheinlich durch die vielen Fußstapfen aufmerksam gemacht, blieb er stehen und überschaute spähend den engen Raum. Besonders genau betrachtete er den Platz, wo der Hund gelegen hatte, und umging dann in weiterem Kreise die kleine Lichtung, als ob er die Spuren zählen wolle, die von hier fortführten.

Er war eine kräftig schöne Gestalt, dieser rothe Sohn des Landes, und das dünne buntfarbige baumwollene Jagdhemd, das seinen Oberkörper bedeckte, konnte, an vielen Stellen von Dornen zerrissen, nicht ganz die breiten Schultern und sehnigen Arme verhüllen, die darunter hervorschauten. Dieses wurde um den Leib durch einen ledernen Gürtel zusammengehalten, der zugleich einen kleinen scharfen Tomahawk und, nach der Sitte der Weißen, ein breites Messer trug. Seine Beine staken in dunkelgefärbten ledernen Leggins, mit dem wohl zwei Zoll breiten Saum nach außen, und um den Hals trug er eine große silberne Platte, schildartig ausgeschnitten, auf der sehr einfach, aber nicht ungeschickt ein Rennthier graviert war. Sonst hatte er keinen Schmuck an sich, und selbst die Kugeltasche, die an seiner rechten Seite hing, war aller Glasperlen und bunten Lederstreifen bar, mit denen die Eingeborenen sonst so gern ihre Jagdgerätschaften schmücken. Der Kopf war ebenfalls unbedeckt, und die langen schwarzen, glänzenden Haare hingen ihm in Streifen an den Schläfen bis auf die Schultern hinunter. Seine Büchse war eine der gewöhnlichen langen amerikanischen Reifel. Rifle von rifled, »gezogen«.

Mehrere Minuten lang hatte er seine Untersuchung fortgesetzt, dann richtete er sich hoch auf, strich die vorgefallenen Haare aus der Stirn, warf noch einen prüfenden Blick umher und verschwand auf der entgegengesetzten Seite von da, wo er den Platz zuerst betreten hatte, im Dickicht.

[] 2.
Mehrere neue Personen erscheinen auf dem Schauplatz. Wunderbares Jagdabenteuer des »kleinen Mannes«.

Auf der County-Straße zogen an demselben Morgen, und kaum fünfhundert Schritt von dem im vorigen Capitel beschriebenen Dickicht, zwei Reiter hin, die augenscheinlich der besseren Farmerklasse des Landes angehörten. So sehr sie übrigens in ihrem ganzen Wesen und Aussehen von einander abstachen, so sehr schienen sie dagegen im Uebrigen zu harmonieren, denn sie unterhielten sich auf das Beste mitsammen. Der junge schlanke Mann, auf einem braunen feurigen Pony, das sich nur mit augenscheinlichem Unwillen und oft versuchter Widersetzlichkeit dem langsamen Schritt fügte, in den es sein Herr zurückzügelte, lachte wenigstens oft und laut über die Späße und Bemerkungen, die ihm sein kleiner wohlbeleibter Gefährte zum Besten gab.

Dieser war ein Mann etwa in den Vierzigen, mit sehr vollem und sehr rothem Gesicht und dem freundlichsten, gemüthlichsten Ausdruck in den Zügen, der sich nur möglicher Weise in eines Menschen Gesicht hineindenken läßt. Seine runde, stattliche Gestalt entsprach dabei seiner Physiognomie auf eine höchst liebenswürdige Weise, und die kleinen lebhaften grauen Augen blitzten so fröhlich und gut gelaunt in die Welt hinein, als hätten sie in einem fort sagen wollen: »Ich bin ungemein fidel, und wenn ich noch fideler wäre, wär's gar nicht zum Aushalten.« Er war von Kopf bis zu Füßen, die schwarzen und spiegelblank gewichsten Schuhe ausgenommen, in schneeweißes Baumwollenzeug gekleidet. Die kleine baumwollene Jacke aber, die er trug, hätte er um alle Schätze der Welt nicht mehr vorn zuknöpfen können, so war sie entweder in der Wäsche eingelaufen oder, was wahrscheinlicher, so hatte [] sich sein runder Leib ausgebreitet und »verburgemeistert«, wie er es selbst gern nannte. Ein hellgelber Strohhut beschattete sein Gesicht, und ein hellgelbes dünnes Halstuch hielt seinen offenen Hemdkragen vorn zusammen, zwischen dem ein Theil der breiten, sonnverbrannten Brust sichtbar wurde. Nicht ohne etwas Stolz oder wenigstens Eitelkeit zu verrathen, lugte dabei der Zipfel eines brennend rothen Taschentuches aus der rechten Beinkleidertasche, die wohl geräumig genug gewesen wäre, ein halbes Dutzend derselben zu verbergen.

Sein Begleiter war ein junger, stattlicher Mann mit freiem, offenem Blick und dunklen, feurigen Augen. Seine Tracht ähnelte der der übrigen Farmer im Westen Amerikas und bestand aus einem blauwollenen Frack, eben solchen Beinkleidern und einer schwarz gestreiften, aus demselben Stoff verfertigten Weste. Den Kopf bedeckte ein schwarzer, ziemlich abgetragener Filzhut, und in der Hand hielt er eine schwere lederne Reitpeitsche. Schuhe trug er jedoch nicht, sondern nach der indianischen Sitte sauber, aber einfach gearbeitete Mokassins, und dies sowohl wie der nicht unruhige, aber fortwährend umherschweifende und auf Alles achtende Blick verrieth den Jäger. Uebrigens führte er keine Büchse bei sich, so wenig wie sein Begleiter.

»Ein verfluchter Kerl, mein Bruder,« lachte der Kleine, in irgend einer begonnenen Erzählung fortfahrend – »und eine Wuth hatte er, alte Sachen zu kaufen, rein zum Rasendwerden! Wie ich vorigen Herbst in Cincinnati war, klagte mir seine Frau ihre Noth: das ganze Haus stand voll alter Möbel und Hausgeräthe und Kochgeschirre, von dem sie nicht den zehnten Theil gebrauchen konnte, und alle Abende lief trotzdem der Sappermenter noch auf den Auctionen herum, um Alles, was nur irgend billig war, aufzukaufen. Was er einmal hatte, sah er nachher nicht wieder an. Da gab ich denn meiner Schwägerin den Rath, sie solle einen Theil des Plunders heimlich auf eben diese Auktionen schaffen lassen, um es nur los zu werden, das Geld könne sie nachher hinlegen und später einmal etwas Nützliches dafür anschaffen. Der [] Plan war gut, ich bestellte einen Karrenführer, besorgte, als mein Bruder Nachmittags im Geschäft war, die ganze Bescherung selber hinunter nach Frontstreet, und ehe es dunkel wurde, war alles aus dem Haus. Meiner Schwägerin fiel ein Stein vom Herzen, und als ihr Mann Abends halb zehn Uhr, zu seiner gewöhnlichen Stunde, höchst aufgeräumt heimkam, machte sie uns noch einen capitalen Punsch. – Apropos, Bill, Punsch müssen wir uns einmal hier brauen, das verwünschte Volk in dieser Gegend gehört fast sämmtlich zum Mäßigkeitsverein. Also – wo war ich doch stehen geblieben, ja, beim Punsch. Bei dem Punsch blieben wir bis elf Uhr zusammen sitzen, und mein Bruder erzählte eine Schnurre nach der andern; konnte merkwürdige Schnurren erzählen, mein Bruder! Ich fragte ihn ein paar Mal, weshalb er so lustig sei, er wollte aber nicht mit der Sprache heraus; geht am nächsten Morgen wieder um sechs Uhr fort, und denke Dir, was bringt er auf drei Wagen nach Haus? den ganzen Plunder, den ich am Abend vorher fortgeschafft hatte. Kein Stück fehlte, und dabei prahlte er, was er für einen unmenschlich guten Handel gemacht hätte.«

»Nicht übel, Onkel,« lächelte der junge Mann, ihm einen schnellen Seitenblick zuwerfend, »vortrefflich sogar – wenn es wahr wäre.«

»Ei Du Sapperments-Junge, hab' ich Dir schon jemals etwas vorgelogen? Nie! Wenn ich Dir übrigens künftig eine Tatsache erzähle, so brauchst Du nicht zu feixen und das Maul von einem Ohr zum andern zu ziehen; hörst Du, Musjö?«

»Aber, bester Onkel, Sie müssen mir das nicht so übel nehmen. Wenn Sie anfangen, freu' ich mich immer schon auf's Ende, denn gewöhnlich ist etwas Komisches dabei – und da mag ich dann wohl manchmal ein wenig zu früh lachen –«

»Komisches? da hör' Einer den Laffen an. Ich erzähle nie komische Geschichten – hast Du schon je eine komische Geschichte von mir gehört? Ernst war das Berichtete, bitterer, trauriger Ernst; mein Bruder wird sich auch noch mit der [] verdammten Leidenschaft zu Grunde richten – er muß sich ruinieren.«

»Ihr Bruder soll doch aber ein sehr gewandter Geschäftsmann sein, und wenn er in dieser Hinsicht auch eine freilich etwas sonderbare Liebhaberei hat, so bringt er das sicherlich auf andere Art zehnfach wieder ein.«

»Gewandter Geschäftsmann? Gott segne Dich, Junge – es giebt keinen pfiffigeren Kaufmann, als mein Bruder ist; nur zu pfiffig manchmal, nur zu pfiffig! – Ich weiß die Zeit noch recht gut, wo wir zusammen in Kentucky jagten, und wie er die Krämer immer über's Ohr hieb mit alten Opossum-Fellen, denen er Waschbärenschwänze annähte und sie nachher für Schuppenfelle verkaufte. Manches Quart Whisky haben wir auf die Art zusammen vertrunken. – Aber einen Streich muß ich Dir doch erzählen, den er mir einmal am Cane-See spielte. Wir ruderten zusammen in einem alten Canoe auf dem See herum, theils um Fische zu harpunieren, theils um Hirsche zu schießen, die des kühlen Tranks wegen an den Wasserrand kamen. Es war merkwürdig heiß und die Sonne brannte auf eine sträfliche Art; um's mir daher bequemer zu machen, wollt' ich mein Jagdhemd ausziehen. Wie ich aber mein Pulverhorn vorher abnehme (ein capitales hörnernes Pulverhorn mit luftdichtem Stöpsel), bleib' ich mit dem Finger in der Schnur hängen, und wie der Blitz rutscht's über Bord und hinunter in's Wasser.

Da saß ich. Der See war klar wie Krystall, und obgleich er etwa fünfzehn Fuß tief sein mochte, so konnt' ich das Horn unten so deutlich liegen sehen, als ob ich's mit den Händen zu ergreifen vermöchte. George war nun immer ein merkwürdiger Springer, Läufer und auch Schwimmer und Taucher gewesen; als er daher meine Verlegenheit bemerkte, erbot er sich unterzutauchen und sprang auch ohne weitere Umstände über Bord. Pulver war damals in der Gegend unmenschlich theuer und überdies schwer zu bekommen. Als er auf den Grund und in den weichen Schlamm kam, wurde das Wasser ein wenig trübe, und er mußte einen Augenblick warten, bis es wieder klar wurde. Ich zog indessen mein [] Jagdhemd aus und setzte mich darauf; wie er mir aber doch endlich zu lange da unten blieb und ich ein wenig ängstlich über Bord hinuntersah – was meinst Du, was er da machte – heh?«

»Ja, ich weiß wahrhaftig nicht, was Einer in solcher Lage anders machen könnte, als den Versuch, so schnell als möglich wieder an die Oberfläche zu kommen.«

»Fehlgeschlagen!« rief der Alte und hielt in der Erregung des Augenblicks, wie von der Erinnerung überwältigt, sein Pony einen Augenblick an, »fehlgeschossen! – Unten stand er – ruhig, als wenn er sich auf ebener Erde befände, und bog sich vorn über, daß ich nicht sehen sollte, was er machte, ich sah's aber gut genug. – Der Spitzbube ließ mein Pulver heimlich in sein eigenes Horn laufen, und wie er nachher wieder heraufkam, war mein Horn halb leer. – Nun, Du brauchst nicht zu lachen, als ob Du vom Pferde fallen wolltest. – Das ist am Ende auch nicht wahr? – Hat Dir Dein alter Onkel schon jemals eine Lüge erzählt? – heh?«

»Nein, Onkel Ben, seien Sie nicht böse, ich glaube jede Silbe; aber – ha – sehen Sie das Rothe dort? – da drüben – hinter der umgestürzten Fichte hin – gerade dort zwischen dem Maulbeerbaum und der Eiche hindurch?«

»Wo denn? ach da – ja, das ist ein Hirsch fischer genug; wenn Assowaum mit seiner Büchse hier wäre, könnt' er ihn bequem schießen; hinter den Bäumen hin ließ er Einen sicher bis auf fünfzig, sechzig Schritt herankommen.«

»Wo nur Assowaum überhaupt bleibt?« sagte der junge Mann jetzt, sich etwas ungeduldig im Sattel aufrichtend und auf die Straße zurückschauend, als ob er dort die Gestalt des Indianers zu sehen erwartete; »er schlich auf einmal in den Wald hinein, und ich glaubte, er sähe ein Stück Wild, weiß aber der liebe Gott, was ihn wieder abgeführt hat. – Welch' herrlichen Schuß er von hier aus hätte,« fuhr er jetzt mit etwas unterdrückter Stimme fort, »ich wollte, ich hätte meine Büchse mitgenommen.«

»Roberts würden Dich schön bewillkommt haben, wenn Du ihnen am Sabbath mit dem Schießeisen gekommen wärst; will's [] die Frau doch nicht einmal von dem Indianer leiden, und dem – aber hol' mich Dieser und Jener – das Ding ist ordentlich zahm – es muß uns gar nicht hören.«

Die beiden Männer waren indessen, die Straße ruhig hinaufreitend, dem Hirsch sehr nahe gekommen. Dieser stand in einer der unzähligen Salzlecken, die sich an beiden Ufern des Fourche la fave, besonders reichhaltig aber am nördlichen finden, und schien keine Ahnung von einer nahenden Gefahr zu haben. Einmal hob er zwar den Kopf, das mochte aber mehr sein, um Athem zu schöpfen, als weil er irgend etwas Außergewöhnliches fürchtete. Die Männer sahen nämlich, daß er in einem tiefen, in dem Lehmufer des kleinen Baches befindlichen Loch geleckt hatte, das durch häufigen Gebrauch von Pferden, Kühen, insbesondere aber Hirschen, ausgehöhlt worden. Wenige Secunden blieb er in dieser Stellung und peitschte, den Rücken unseren beiden Freunden zugewandt, mehrere Male mit dem Wedel die ihn umschwärmenden Fliegen fort, dann aber bog er sich wieder nieder, um auf's neue den Salzgeschmack des fetten Erdbodens zu genießen. Er hatte erst frisch aufgesetzt. Das kaum vier Zoll lange Gehörn hinderte ihn deshalb nicht sehr in der Verfolgung seines Zweckes, so daß er bald darauf den Kopf, ihn seitwärts herumbiegend, wieder in die Höhlung hineinschob, um mit der langen Zunge die salzigsten Theile aus dem Innern herauszuholen.

»Wo nur der Indianer stecken mag, Bill!« sagte jetzt Harper leise und mit schlecht verhehlter Jagdlust; »ich glaube, man könnte sich bis auf fünf Schritt an das dumme Ding heranschleichen, es merkt' es nicht. – Ach, Bill, wie ich jung war da hättest Du mich sollen schleichen sehen, ich bin einmal, –«

»Wenn Sie sich hinter der Hickorywurzel hielten, Onkel, ich glaube, es ginge,« flüsterte ihm lächelnd der junge Mann zu.

»Unsinn, Junge! Glaubst Du, ich will mit meinen alten Knochen Sonntags im Walde herumkriechen, unschuldiges Viehzeug erschrecken? ich denke nicht dran.« – Trotz der abweisenden Worte war Harper aber doch vom Pferde gestiegen, [] das geduldig und regungslos stehen blieb, und auf den Zehen schlich jetzt der kleine dicke, weißgekleidete Mann mit immer röther werdendem Gesicht, die Wurzel eines umgestürzten Baumen zwischen sich und dem Wild haltend, auf dasselbe zu. Augenscheinlich nur in der Absicht, seinen Spaß an den gewaltigen Sätzen des Thieres zu haben, wenn dieses ihn endlich, und so ganz in der Nähe, wittern würde. Dieses schien ihn aber nicht zu wittern, da er gerade gegen den Wind stand, denn wieder hob er den Kopf, streckte sich einen Augenblick und begann seine leckere Mahlzeit auf's Neue.

William Brown, oder Bill, wie ihn sein Onkel der Kürze wegen nannte, fing jetzt selbst an, sich für den Gegenstand zu interessiren, denn unbeweglich auf seinem Pferde sitzen bleibend, um auch das geringste Geräusch zu vermeiden, schaute er mit gespannter Aufmerksamkeit dem Vorrücken seines Onkels zu, der in diesem Augenblick zu der Wurzel kam und sich jetzt in kaum zehn Schritt Entfernung vom Hirsch befand. Hier blieb er einen Moment stehen und sah nach seinem Neffen zurück, verzog aber das Gesicht dabei zu einem wunderkomischen Grinsen, als wenn er hätte sagen wollen: »Na, Bill, bin ich nicht ein verfluchter Kerl?« Hier zögerte er jedoch wenige Secunden, denn entweder war er selbst über die unbegreifliche Sorglosigkeit des jungen Hirsches erstaunt, oder er scheute sich auch wohl, mit seinen reinen Schuhen weiter vorzutreten, da dort die wirkliche sogenannte »Lick« oder Salzlecke begann, und der kleine Bach, der durch den weichen Lehmboden rieselte, von unzähligen Wildfährten und Viehspuren zu einem weichen Schlamm zusammengetreten war. Die alte Jagdlust überwog jedoch zuletzt jede andere Bedenklichkeit, denn jetzt schien sich ihm zum ersten Mal die Möglichkeit aufzudringen, daß er das Wild wirklich ergreifen könnte, und ohne sich weiter zu besinnen, trat er leise und vorsichtig in den flüssigen Brei, den Glanz seiner wohlgeschwärzten Sonntagsschuhe auf eine wahrhaft unverantwortliche Weise vernichtend. Näher und näher kam er dem Thier, Brown hob sich, athemlos vor gespannter Erwartung, im Sattel in die Höhe, und das Herz des alten Mannes schlug, wie er später wohl hundertmal erzählte, so [] laut, daß er mit jedem Augenblick fürchtete, der Hirsch müßte ihn hören. Da hob dieser den Kopf; ehe er aber nur, über die Nähe des weißscheinenden Gegenstandes erschreckt, mit einer Muskel zucken konnte, warf sich Harper auch, Sabbath und Sabbathkleider vergessend, vorwärts und ergriff ihn gerade in demselben Augen blick mit beiden Händen an den Hinterläufen, als sich das zum Tod entsetzte Thier auf diesen in die Höhe hob, um mit einem Sprung der gefährlichen Nachbarschaft zu entgehen. – Es war zu spät, der alte Mann hing wie mit eisernen Klammern an dem seinem Geschick verfallenen Thier. Vorwärts riß ihn aber die verzweifelten Kraftanstrengung des also Gefangenen. In voller Länge hineingezogen in die lehmige Masse, schleifte es ihn in seinem letzten Sträuben, und vergebens hob er, so weit es ihm der kurze dicke Nacken erlaubte, den Kopf, um diesen wenigstens dem Schlammbad zu entziehen. Hochauf spritzte die dünne Masse, als er, einem Schiff gleich, das von Stapel gelassen wird, hineintauchte.

»Haltet fest,« schrie Brown, hoch aufjauchzend und seinen gewöhnlichen Jagdschrei ausstoßend – »haltet fest, Onkel – hurrah für den alten Burschen, das nenne ich eine Jagd!«

Der Zuruf war aber keineswegs nöthig, denn nichts fiel dem alten Mann weniger ein, als jetzt loszulassen, wo er nicht allein seinen ganzen Sonntagsstaat, sondern sogar sich selbst total preisgegeben hatte. Um Hülfe zu rufen durfte er freilich nicht wagen, denn unter diesen Verhältnissen den Mund aufzumachen, hätte mit höchst unangenehmen Folgen verknüpft sein können, aber fest hielt er, als ob seiner Seele Heil daran hinge. Gewiß lag in diesem Augenblick der Ausdruck eiserner Willenskraft und Entschlossenheit in seinen Zügen, als er mit fest zugekniffenen Augen ruckweise durch die Salzlecke gezogen wurde, doch hatte ihm die vaterländische Erde die ganze Physiognomie mit einer solchen Kruste überzogen, daß an Erkennung irgend eines Ausdrucks gar nicht zu denken war.

Brown sprang zwar schnell zu seiner Hilfe herbei, der Anblick war aber so komisch, daß er sich am Rande der Lick [] in's Laub niederwarf und so krampfhaft lachte, daß ihm die großen Thränen an den Backen herunterliefen, und er sich wohl eine Minute lang nicht erholen konnte. Wie er aber endlich wieder emporsprang, hörte er den scharfen Krach einer Büchse, zum letzten Mal zuckte das schwer getroffene Thier im Todeskampfe empor und stürzte dann, die gefesselten Läufe dem Griffe des alten Mannes entreißend, verendend in den Schlamm zurück.

Den Knall der Büchse hatte Harper aber gehört, und sich aufraffend, rief er mit wilder Stimme: »Wer hat geschossen?« wobei er sich, da er die Augen nicht öffnen konnte, nach der falschen Seite, auf der Niemand stand, wandte und dadurch Brown's Lachlust auf's Neue unwiderstehlich erregte.

Der verborgene Schütze ließ jedoch nicht lange auf sich warten, denn aus einem kleinen Sassafrasdickicht trat der Indianer und stieß, als er die traurige Gestalt des sonst so ernsten und ehrbaren Mannes erblickte, wie er mit weitgespreizten Fingern und geschlossenen Augen dastand, in komischer Verwunderung ein lautes »Wah!« aus.

»Bill – Bill – verfluchter Junge – Bill – komm her und führ' mich an die Quelle. Donnerwetter, soll ich denn hier den ganzen Tag stehen bleiben, bis der Lehm so hart wird, daß ihn kein Teufel wieder abkratzen kann? Bill, sag' ich – Schurke, willst Du Deinen alten Onkel hier im Stiche lassen?«

Bill brauchte aber wirklich erst einige Sekunden, bis er sich sammeln konnte, dann trat er an das äußerste Ende des weichen Schlammes und reichte dem armen kleinen Mann einen gerade dort liegenden trockenen Zweig hinüber, den dieser auch gar schnell ergriff, und von seinem gehorsamen Neffen gleich darauf an den Bach geführt wurde, wo er sich vor allen Dingen die Augen auswusch, um sehen zu können, was um ihn her vorgehe.

Das Erste, was seinem Blick begegnete, war die Gestalt des Indianers, der, ohne weiter eine Miene zu verziehen, seine Büchse wieder lud.

»So, Mr. Rothfell – also Ihr glaubt, ich krieche Sonntag [] Morgens im Schlamm herum und halte Euch die Hirsche bei den Hinterläufen, bis es Euch gefällig ist, näher zu treten und sie nach Bequemlichkeit niederzuschießen, he? Wenn ich einen Hirsch mit Lebensgefahr lebendig fange, habt Ihr dann ein Recht, ihn todt zu schießen? Warum geht Ihr denn nicht auch nach meinem Hause und schießt Kühe und Schweine über den Haufen?«

»Aber, Onkel, wir kommen zu spät in die Kirche!«

»Die Kirche mag zum – glaubst Du, ich ginge in einem solchen Aufzug in die Kirche? – Nein, dieser Rothhaut will ich erst noch ordentlich meine Meinung geigen. Ist das Sitte, sich leise und nach der verdammten indianischen Art an einen Gentleman hinanzuschleichen und ihm das Wild aus den Händen herauszuschießen?«

»Aber, Onkel, Sie hätten den Hirsch ja keine zwei Secunden länger halten können!«

»Keine zwei Secunden länger? und was weiß denn der Gelbschnabel davon, wie lange ich ihn hätte halten können? Hat mein Bruder doch einmal einen Bären eine ganze Nacht hindurch –«

»Lebendig wollten Sie sich den Hirsch doch nicht aufheben?« unterbrach ihn der Neffe, der nicht mit Unrecht eine der langen Geschichten befürchtete.

»Und warum nicht? – Hab' ich nicht eine Fenz, die hoch genug ist, ein Rudel Hirsche drin zu halten, und geht das die Rothjacke etwas an, was ich mit meinem Eigenthum zu thun beabsichtige? Nun, was giebt's dabei zu grinsen? eh?«

Der Indianer, gegen den alle diese zornigen Redensarten geschleudert wurden, war indessen ruhig, und ohne ein Wort zu erwidern, mit dem Laden der Büchse beschäftigt gewesen, die er zuerst etwas ausgewischt und gereinigt hatte. Dabei verzog sich aber sein Gesicht zu einem breiten, freundlichen Lächeln, das zwei Reihen blendend weißer Zähne sehen ließ, und er erwiderte in gebrochenem Englisch:

»Mein Vater ist sehr stark, aber ein Hirsch ist schnell, und einmal aus den Händen des weißen Mannes, würde er nie wieder seine Fährten in den weichen Boden des Fourche la [] fave gedrückt haben. Mein Vater wollte Fleisch – hier ist es.«

»Der Teufel ist Dein Vater,« brummte Harper vor sich hin; »wenn ich das Fleisch Jemandem zu verdanken habe, so ist's diesen beiden Knochen,« und er zeigte dabei seine kräftigen Arme. »Aber nicht wahr, Junge!« fuhr er in der Erinnerung an seine Heldenthat wieder freundlich werdend, fort, »nicht wahr, das macht mir so leicht Keiner nach? Ein Glück ist's übrigens, daß Ihr Beiden es gesehen habt, denn hol' mich Dieser und Jener, wenn Roberts mir allein ein Wort davon geglaubt hätten. Schändliches Volk das, als ob ich jemals eine Lüge erzählte! Aber da feixen sie und feixen und sehen sich einander an, und stoßen sich in die Rippen, als wenn sie in einem fort sagen wollten: ›Du – das ist wieder einmal eine göttliche Geschichte‹. Doch jetzt muß ich mich waschen, das Zeug wird sonst trocken –«

»Wir werden zu spät zur Predigt kommen,« sagte Brown, etwas ungeduldig nach der Sonne sehend.

»Oh geh mit Deiner Predigt, wohin Du willst – was liegt daran, den Schleicher, den Rowson, predigen zu hören! So gut kann ich's auch, und was des Burschen Frömmigkeit –«

»Wollen Sie denn erst wieder nach Hause reiten?«

»Versteht sich – geh nur immer voran, ich komme schon noch zur rechten Zeit.«

»Was wird aber mit dem Wildpret?«

»Was mit dem Wildbret wird, Musjö Naseweis? Das ist sehr leicht zu sagen, das marschiert auf meinem Pony in meine Küche, ich denke, ich hätt' es redlich genug verdient; – so, Assowaum, das ist recht« – wandte er sich jetzt an den Indianer, der das erlegte Wild an dem kurzen Gehörn hinab zum Bache zog, um den dicken Lehm davon abzuspülen – »wasch ihn ab, daß ihn ein ehrbarer Christenmensch mit Anstand auf's Pferd nehmen kann; aber hallo – was ist das, Mr. Skalpiermesser – was zum Henker machst Du?«

Der Ausruf bezog sich auf das Beginnen des Indianers, der mit größter Kaltblütigkeit den Hirsch aufbrach und anfing, [] eine Keule abzustreifen. »Ich will das Fell nicht herunter haben, hörst Du? – Der Kerl ist taub.«

Assowaum ließ sich aber nicht irre machen, sondern löste höchst ruhig und gelassen eine Keule aus dem Wildbret, hing sich diese mit einem Streifen Hickoryrinde über die Schulter und erwiderte erst dann ganz ruhig:

»Der weiße Mann ist allein in seinem Wigwam, und Assowaum ist hungrig.«

»O! Nimm meinetwegen die Hälfte vom Wildbret. Ich werde ja aber ganz blutig.«

»Aber nicht mehr schmutzig,« antwortete der Indianer lakonisch, nahm seine Büchse wieder auf die Schulter und schritt schnell die Straße hinauf, den beiden Männern die weitere Sorge für ihr Wild überlassend. Brown half seinem Onkel den angebrochenen Hirsch auf's Pferd heben, der sich dann dahinter in den Sattel schwang und, bald wieder guter Laune, seinen Neffen nun vor allen Dingen beschwor, die Geschichte bei Roberts nicht eher zu erzählen, als bis er selbst nachkäme. Er wolle nur schnell nach Hause reiten und seine Kleider wechseln, und bliebe nicht lange. Brown versprach ihm das und trabte schnell hinter dem Indianer her, der durch den Aufenthalt des jungen Mannes einen großten Vorsprung gewonnen hatte.

3.
Der Indianer und der Methodist. – Die Einladung zur Hochzeit.

Assowaum, der befiederte Pfeil, gehörte zu einem der nördlichen Stämme Missouris und war vor mehreren Jahren, da das Wild immer seltener in den dichter und dichter bevölkerten [] Jagdgründen der Seinigen wurde, mit den beiden Weißen, Harper und Brown, bekannt geworden und nach dem Süden gewandert. Aber nicht des Wildes wegen allein hätte er seinen Stamm verlassen, sondern er war auch gezwungen worden, der Rache seiner Feinde zu entgehen, da er einen Häuptling erschlagen, der, von dem Feuerwasser der Europäer berauscht, seine Squaw überfallen, während ihr Hilferuf den Retter und Rächer herbeirief. Mit dieser hatte er sich jetzt unfern von Harper's Wohnung einen kleinen Wigwam erbaut und lebte von der Jagd. Sein Weib aber flocht aus dem schlanken Schilf, das in den Niederungen des Südens wächst, zierliche Körbe, und aus der geschmeidigen Rinde des Papaobaumes weiche Matten, die Assowaum dann, mit seinen Fellen, den Fluß hinunter nach Little Rock schaffte und an die Handelsleute der noch jungen Stadt gegen Pulver und Blei oder sonstige Lebensbedürfnisse, auch wohl, aber freilich sehr selten, gegen baares Geld eintauschte.

Hier nun war sein Weib von dem Methodistenprediger oder sogenannten »Circuit Rider« (da er abwechselnd fast in allen Ansiedlungen dieses wie des benachbarten County predigte) zur christlichen Religion bekehrt worden. An Assowaum dagegen scheiterten alle derartigen Versuche, und vergebens bemühte sich Rowson fortwährend, den Verstockten, wie er ihn nannte, dem Glauben seiner Väter abwendig zu machen und den Armen der »alleinseligmachenden Kirche« der Methodisten zuzuführen. Der Indianer beharrte darauf, in jenem sterben zu wollen, und ließ sich durch all' die Ermahnungen und Drohungen des fanatischen Priesters nicht irre machen.

Alapaha, die Squaw Squaw – indianischer Name für Frau. Assowaum's, war schon am frühen Morgen zur Ansiedlung des weißen Mannes aufgebrochen, um dort den Geistlichen predigen zu hören, und Assowaum selbst folgte ihr jetzt dahin, theils um sie von dort abzuholen, theils um eine Partie Otterfelle nach seinem Wigwam mitzunehmen, [] die er vor mehreren Wochen in der dortigen Gegend erbeutet und in Roberts' Haus aufbewahrt hatte. Der größte Theil der Ansiedler war übrigens den beiden Indianern freundlich gesinnt, denn sie betrugen sich ordentlich und waren gefällig, wo sie nur Jemandem einen Dienst leisten konnten. Doch blieb der Krieger stets viel ernster und zurückhaltender als sein Weib, das sich gern mit den Kindern beschäftigte und ihrer tollen Spiele nie müde zu werden schien.

»Bist Du schon je einer solchen Figur begegnet, wie sie mein Onkel eben darstellte?« frug der junge Mann lachend, als er den Indianer endlich einholte.

»Sah aus wie eine Schlammschildkröte,« grinste dieser, »nur noch viel schmutziger. – Der alte Mann wird eine große Geschichte erzählen, wenn er zu den Hütten der Freunde kommt.«

»Ob der eine große Geschichte erzählen wird! Sonderbar war's aber doch, daß er das Thier so lange halten konnte; ich würd's ihm selbst nicht glauben, wenn ich's nicht mit eigenen Augen gesehen hätte.«

»Seine Knochen sind eisern,« erwiderte Assowaum. »Aber der Hirsch ist auch stark, und wäre Assowaum eine Minute später gekommen, so fand er weiter kein Fleisch in der Salzlecke, als den kleinen Mann.«

»Mag sein; das bestreitet er jedoch gewaltig, er schwört jetzt sicherlich darauf, daß er den Hirsch hätte die ganze Nacht halten können.«

»Der alte Mann hat dicke Worte,« sagte der Wilde.

»Kennst Du den alten Bahrens, der kürzlich das kleine Haus am Petite-Jeanne gebaut hat?«

Der Wilde lächelte und sah seinen Begleiter von der Seite an.

»Hast Du schon mit ihm gesprochen?« frug dieser.

»Er erzählt von seinen Jagden an der Bai de view und am Cashriver – neunzehn Hirsche hat er an einem Tag geschossen, [] und die kleinste Haut wog elf Pfund, getrocknet, ohne den Pelt.« Pelt ist die dünne Fleischhaut, welche die amerikanischen Jäger gewöhnlich mit dem Hirschfell zusammen abstreifen und trocken werden lassen, damit dieses, da es pfundweise verkauft wird, schwerer wiege.

»Ja, er ist stark in solchen Sachen,« lachte Brown lachend, »ich möchte Onkel und Bahrens einmal zusammen sehen.«

»Ich auch,« sagte Assowaum, dem der Gedanke sehr wohl zu thun schien. Schweigend zogen die beiden Männer jetzt, ohne irgend Jemandem weiter zu begegnen, auf der breiten Straße fort, bis ihnen aus der Ferne die langgezogenen schrillen Töne eines geistlichen Liedes entgegenschallten. Diesen lauschte der Indianer erst einige Sekunden lang mit gespannter Aufmerksamkeit, dann aber schritt er wieder ruhig weiter, indem er nur sagte:

»Der blasse Mann« (so nannte er Rowson seiner auffallend bleichen Gesichtsfarbe wegen) »hat eine sehr laute Stimme; er ist wie ein junger Wolf. – Die alten mögen noch so gut heulen – Du hörst stets den jungen.«

»Du kannst den Priester nicht leiden Assowaum?«

»Nein – Alapaha liebte den Großen Geist – sie betete zu dem Manitou, der ihre Väter beschützt hatte, und war ein folgsames Weib. Sie kreuzte nie Assowaum's Pfad, wenn er auf die Jagd ging, und zog sie in der ersten dunkeln Nacht ihre Matchecota Obergewand; eine Sitte bei den nördlichen Stämmen, die dem Feld Fruchtbarkeit sichern und die Raubthiere von den Früchten abhalten soll. um das frischgepflanzte Mondámiefeld (Mais), so mieden es die Würmer und Raubthiere, und die Frucht war gesegnet. Alapaha lacht jetzt über den großen Geist Assowaum's, und das Wild weicht aus seinem Pfade, wenn er in den Wald geht.«

Der Indianer schien nicht weiter zum Reden aufgelegt. Er schritt schweigend und schnell vorwärts, bis sie an die äußere Fenz von Roberts' Farm kamen. Von hier aus lief ein breiter Weg, zwischen zwei Maisfeldern hinführend, nach [] dem Hauptgebäude zu, aus dem jetzt klar und deutlich der schon lange gehörte Gesang heraustönte. William Brown hing, am Hause angekommen, den Zügel seines Pferdes über eine Fenzstange und trat in das Zimmer, wo sich die Andächtigen versammelt hatten.

Der Gesang war eben beendigt, und sämtliche Zuhörer lagen, den Rücken dem Prediger zugekehrt und sich auf die Sessel ihrer Stühle stützend, auf den Knieen. Rowson aber, dem wir schon früher unter ganz anderen Verhältnissen im Walde begegneten, stand aufrecht in der Mitte und sprach mit andächtig geschlossenen Augen und scharfer, abstoßender Stimme ein lautes Gebet, worin er die entsetzliche Sündhaftigkeit der Gegenwärtigen dem Allmächtigen an's Herz legte und nicht um die so reichlich verdiente Strafe, sondern um Gnade und Erbarmen bat.

Brown, der einer anderen Sekte angehörte und sich zu dem Knieen nicht verstehen wollte, blieb mit gefalteten Händen und andächtig zuhörend auf der Schwelle der Thür stehen, trat aber nicht näher. Vergebens winkte ihm Rowson mehrere Male freundlich zu, den Platz an seiner Seite einzunehmen; er schien es nicht zu beachten und starrte schweigend vor sich nieder. Endlich schloß jener sein Gebet, Alle standen auf, und der Gottesdienst war beendet.

Brown begrüßte jetzt mehrere der Anwesenden, mit denen er bekannt war und die sich aus der ganzen Nachbarschaft hier zusammengefunden hatten.

»Sie sind recht spät gekommen, Mr. Brown,« sagte Marion Roberts, des alten Roberts liebliches Töchterlein, und seit sechs Monaten die verlobte Braut des frommen Predigers Rowson.

»Haben Sie mich vermißt, Miß Roberts? – Dann bedaure ich freilich, den größten Theil des Gottesdienstes versäumt zu haben.«

»Aber, Mr. Brown, das ist nicht schön gesprochen. Ich habe eine zu gute Meinung von Ihnen, als daß ich glauben sollte, Sie wohnten nicht der Sache selbst wegen so heiliger Handlung bei,« sagte Marion.

[] »Ich bin nicht Methodist.«

»Und schadet das etwas? Sind wir nicht alle Christen?«

»Ihr Bräutigam denkt darüber anders.« Brown betonte das Wort »Bräutigam« besonders und schaute dem schönen Mädchen dabei forschend in's Auge. Dieses aber vermied seinen Blick und erwiderte:

»Er mag wohl auch manchmal ein wenig zu strenge Ansichten haben; ich meines Theils denke darüber viel milder und – Vater ebenfalls. Mutter ist freilich sehr streng, besonders in dieser Hinsicht. Mutter und Mr. Rowson haben überhaupt sehr ähnliche Ansichten.«

»Diesmal lag auch die Schuld nicht an mir, mein Fräulein, ich war zeitig genug auf dem Wege – aber mein Onkel – ein Zufall hielt ihn auf, und er mußte wieder nach Hause.«

»Er ist doch nicht krank geworden?« fragte schnell und ängstlich Marion.

»Herzlichen Dank für die Theilnahme, mit der Sie sich für ihn interessieren,« erwiderte der junge Mann treuherzig – »es wird dem alten Onkel wohl thun, wenn er es erfährt. Er hält sehr viel von Ihnen.«

Marion erröthete über die etwas zu lebhafte Frage und sagte ausweichend:

»Warum kam er aber nicht mit Ihnen?«

»Es war ein Abenteuer,« lächelte Brown, »das er mir verboten hat zu erzählen, da er es selbst mittheilen will. Sie kennen seine Leidenschaft für Erzählungen.«

»Oh ich freue mich schon darauf,« rief Marion, in die Hände klatschend, »das wird herrlich!«

»Und darf man wissen, was herrlich werden wird?« frug Mr. Rowson hinzutretend und den jungen Mann freundlich grüßend.

»Ein Spaß, der meinem Onkel passierte, oder vielmehr eine Heldenthat, die er ausübte und –«

»Haben Sie es auch selber gesehen?« fragte Marion lächelnd, »Sie wissen, Ihr guter Onkel –«

»Aber, Marion,« warnte ernst ermahnend Rowson, »ist [] es recht, Dich so kurz nachdem Du Deinem Gott gedient, mit irdischen, profanen Gegenständen zu beschäftigen? Es würde Deiner Mutter sehr leid thun, wenn sie das hören müßte.«

»Mr. Rowson,« sagte Brown, in dem unangenehmen Gefühl, Zeuge eines Tadels zu sein, der das Blut stärker als je in die Wangen des Mädchens trieb, »Sie sind der Bräutigam von Miß Roberts und der Prediger dieses County, haben also ein doppeltes Recht über die junge Dame. Ich sollte aber doch denken, ein unschuldiger Scherz, ein heiteres Wort könnte dem lieben Gott nicht mißfällig sein. Alles zu seiner Zeit – fromm beim Gebet und froh beim Mahl.«

Rowson würde sicher etwas darauf erwidert haben, aber in diesem Augenblick trat der alte Roberts selbst zu ihnen und dem jungen Brown herzlich die Hand schüttelnd, rief er aus:

»Das ist brav, mein Junge, daß Ihr auch einmal herüberkommt – hol's der –« Es ist möglich, daß er seine Rede auf eine keineswegs sabbathmäßige Art beendet hätte, wäre er nicht noch zur rechten Zeit dem Blick des Predigers begegnet, der ernst und streng auf ihm haftete, und einlenkend fuhr er fort: »Seit vier Wochen – wie lange seid Ihr eigentlich jetzt in Arkansas?«

»Sieben Wochen,« antwortete Brown.

»Nun ja, seit ungefähr vier Wochen habt Ihr Euch kaum zweimal blicken lassen, und in der ersten Zeit waret Ihr alle Tage hier – 's ist doch meiner Seel gar nicht so sehr amüsant hier, auf dem einsamen Fleck Landes, daß man gute Gesellschaft so leicht entbehren könnte. Da kommt Harper noch öfter – wo steckt denn der heute?«

»Er wird gleich hier sein.«

»Apropos, Brown, daß ich's nicht vergesse – heute über vier Wochen lade ich Euch zur meiner Tochter Hochzeit ein – Euch und Euren Onkel – Ihr müßt dabei sein, sonst geht's nicht, und da –«

»Verzeiht,« erwiderte Brown schnell, indem er sich halb von ihm wandte, »in – vier Wochen werde ich – schwerlich mehr in Arkansas sein.«

[] »Nicht mehr in Arkansas – was? Ich dachte, Euer Onkel hätte sich Land gekauft und wollte ganz hier bleiben?«

»Ja, mein Onkel wird das auch, aber ich – ich werde mich den Freiwilligen anschließen, die nach Texas ziehen. Wie ich vor einigen Tagen in Little Rock gehört habe, will es sich von Mexiko frei machen und – braucht amerikanische Arme.«

»Thorheiten,« rief Roberts, freundlich dabei des jungen Mannes Hand ergreifend, »laßt die in Texas ihre eigenen Kriege kämpfen und bleibt Ihr hier bei uns. Wir brauchen am Fourche la fave auch tüchtige, brave Kerle, die den vielen Schuften in hiesiger Gegend die Wage halten, und – zur Hochzeit kommt die ganze Mädchenwelt zusammen, da müßt's ja mit dem T – müßt's ja ganz sonderbar zugehen, wenn sich nicht etwas für Euch darunter finden sollte. – Oh – habt keine Angst« – fuhr er lachend fort, als er sah, daß Brown leise dem Kopf schüttelte – »es gibt wackere Mädchen hier, sie wohnen nur so zerstreut. Ein Mensch wie Ihr freilich, der nirgends hingeht und keinen einzigen Besuch macht, bekommt sie nicht zu sehen. Aber wahrhaftig, da kommt Harper; Blitz und – hm, wie roth er aussieht!«

Es war wirklich dieser würdige Gentleman, der in scharfem Trabe ankam. Wahrscheinlich hatte er befürchtet, Bill würde plaudern, und schon von Weitem rief er diesem zu: »He, Junge, reinen Mund gehalten?«

»Keine Silbe erwähnt, Onkel.«

»Nun, das ist brav! – Kinder, heute Morgen habe ich einen Spaß erlebt – eine Jagd gemacht –«

»Eine Jagd, Mr. Harper?« rief vorwurfsvoll Madame Roberts aus, die hinzugetreten war und die beiden Männer freundlich begrüßte, »eine Jagd am heiligen Sabbath?«

»Ohne Büchse, Mrs. Roberts, ohne Büchse, ganz unschuldig. Aber das muß ich von vorne an erzählen, denn so 'was erlebt man nicht alle Tage. – Bill – halt – hiergeblieben, Junge, Du bist mein Zeuge – wo ist Assowaum?«

[] »Er ging dort in's Feld zu dem brennenden Baumstamm, wahrscheinlich um sich ein Stück Fleisch zu braten.«

»Gut, der muß später auch her – Zeugen muß ich haben, sonst glaubt's das Volk nicht – Alles wollen sie selbst sehen, selbst mitmachen – da hättet Ihr einmal sollen meinen Bruder erzählen hören.«

»Oder den alten Bahrens!« lachte Roberts.

»Puh – wer ist der alte Bahrens? Höre in einem fort von dem alten Bahrens; ich muß ihn doch einmal besuchen. Das ist wohl ein Wunderthier?«

»Wir wollen Dienstag in jene Gegend, um nach wild gewordenen Schweinen zu sehen,« sagte Roberts; »wenn Ihr Lust habt, Harper, so könnt Ihr mitkommen. Wir bleiben dann bei Bahrens über Nacht.«

»Topp!« rief Harper – »jetzt aber meine Geschichte.«

Während der Kleine nun mit vielem Wohlbehagen den aufmerksam Zuhörenden sein wunderbares Abenteuer vortrug, ging Rowson, der es seiner Würde nicht für angemessen hielt, nach kaum beendigter Predigt in die allgemeine Fröhlichkeit mit einzustimmen, durch die Hinterthür des Hauses in das Feld, oder eigentlich urbar gemachte Land, denn noch war kein Mais hineingepflanzt und auch das umgeschlagene Holz noch nicht einmal alles aus dem Wege geschafft. Um aber die großen Stämme am besten zu beseitigen, hatte Roberts unter einige Feuer gelegt, und Assowaum jetzt eine solche Stelle benutzt, dort mehrere Stücke des von Harper gefangenen Hirsches zu braten. Hier aber bemerkte ihn Alapaha und bereitete für ihn, der indianischen Sitte gemäß, das Mahl.

Nachlässig auf seine ausgebreitete Decke hingestreckt, aus einer kurzen selbstverfertigten Rohrpfeife den Tabaksrauch einziehend und langsam wieder ausstoßend, lag ausgestreckt die kräftige Gestalt des rothen Waldsohnes neben dem riesigen Stamm der Eiche, dem Sinnbild seiner eigenen Race. Noch vor kurzer Zeit überschaute er stolz und kühn das weite Land als Eigenthum, und jetzt, gefällt am Boden, wußte der weiße Eindringling nicht einmal gleich, auf welche Art er sie am [] schnellsten und sichersten aus dem Weg schaffen könne. Wie am Stamm des Baumes die Gluth, so wirkte am Stamm der Krieger das Feuerwasser, und langsam erst, dann aber immer weiter und reißender um sich greifend, vernichtete es die schönen, stattlichen Lebensfasern, das gesunde Mark des Baumes, und ließ nur Asche und Kohlen zurück. Das Grab der Krieger düngte den Boden, den der Weiße mit seinem Pflug aufriß, und die Herdsteine ihrer Beratungsfeuer wurden zu eben so vielen Grabsteinen ihres gesunkenen, geschwundenen Ruhmes.

Es mochten wohl das Hirn des wackern Assowaum, der, unähnlich Tausenden seiner Race, den Sünden der Weißen keinen Eingang in sein Herz verstattet hatte, ähnliche Gedanken durchkreuzen, als er träumend in die zerfallenden Kohlen starrte; da stand sein Weib plötzlich von ihrer Arbeit auf und ging dem Hause zu. Sie sah die sich nähernde Gestalt des Predigers und eilte ihm entgegen. Der aber reichte ihr die Hand und sprach ein langes, salbungsvolles Gebet über sie. Unterdessen zischte das Fleisch auf den Kohlen und verbrannte auf der einen Seite.

Alapaha war eine jener wenigen indianischen Schönheiten, denen die sonstigen, für das Auge des Weißen nicht angenehmen Unterscheidungszeichen ihrer Abstammung zur Zierde gereichten. Die vorstehenden Backenknochen verloren sich unter den vollen, von Gesundheit strotzenden Wangen, die reifen Lippen waren üppig geschwellt, die schwarzen Augen blitzten mit einem kaum zu unterdrückenden Feuer aus dem dunklen Teint der Waldschönheit hervor, der Elfenbeinglanz ihrer Zähne hätte eine Negerin beschämen können, und die schlanke, üppige Gestalt wurde keineswegs durch die anschließenden Falten des feingegerbten ledernen Gewandes oder Ueberwurfs genug verhüllt, um nicht ihre schönen, fehlerfreien Formen wenigstens ahnen zu lassen. Die zierlichen Füße staken in sorgfältig gearbeiteten Moccasins, das Haar wurde durch ein brennend rothes Tuch auf dem Scheitel zusammengehalten, und Glaskorallen schmückten ihre Ohren und ihren Nacken.

»Alapaha!« rief Assowaum jetzt in nicht unfreundlichem, [] aber ernstem Tone, »Alapaha – sagt Dir der große Geist der Christen, daß Du die Pflichten vernachlässigen mußt, die Du deinem Mann und Häuptling schuldig bist?« Alapaha floh mit schnellen Schritten zu ihrer Arbeit zurück, und Rowson nahte sich dem rothen Krieger, der, ihn nur leise mit dem Kopfe grüßend, ruhig liegen blieb.

»Zürnt Eurer Frau nicht, Bruder Assowaum,« redete er den Indianer freundlich an, »zürnt ihr nicht, wenn sie den Worten des Herrn lauscht. Es ist ihr einziges Seelenheil, dem sie entgegeneilt, und Ihr solltet der Letzte sein, der ihr dabei hemmend in den Weg träte.«

»Assowaum zürnt nicht und hindert sie in der Ausübung ihres Glaubens nicht,« antwortete der Wilde; »aber er ist hungrig, und das Fleisch verbrennt. Alapaha ist das Weib des rothen Mannes.«

»Ich habe lange die Gelegenheit wieder einmal herbeigewünscht,« sagte Rowson mit freundlichem Blick, »Euch den Segen des Christenthums recht anschaulich zu machen. Ihr wichet mir aber stets aus – darf ich die jetzige Gelegenheit benutzen?«

Der Indianer erwiderte nichts, sondern nahm nur das Fleisch, das ihm Alapaha auf einem rohgearbeiteten hölzernen Teller darreichte, und begann seine Mahlzeit. Der ehrwürdige Priester rief ihm jetzt auf's Neue alle jene Kraftstellen der heiligen Schrift in's Gedächtniß zurück, die auf die Sünden der Menschen und die Gnade des dreieinigen Gottes aufmerksam machen, wobei er nicht vergaß, ihm die vielen Wunder herzuerzählen, die Christus in seinem Lebenslauf gethan, bis er zur Versöhnung alles Fleisches am Kreuze gestorben sei. Wahrscheinlich glaubte er durch diese bilderreichen Erzählungen am leichtesten auf die sinnliche Natur des Waldsohnes einwirken zu können. Der Indianer aß ruhig fort; aber selbst als er sein Mahl beendet hatte, unterbrach er dennoch den Redner mit keiner Silbe, mit keinem Blick, und lauschte aufmerksam dessen Worten, so daß Rowson, hierdurch ermuthigt, immer eifriger fortfuhr, die christliche Religion stets nur durch solche Sachen hervorzuheben, die, wie er nicht ganz mit Unrecht [] glaubte, in den Augen seines Zuhörers den meisten Werth haben mußten.

»Hat der blasse Mann geendet?« fragte Assowaum endlich, als Jener erschöpft stillschwieg.

»Ich habe,« antwortete der Priester; »und was sagt mein Bruder dazu?«

Assowaum warf die Decke von sich, die er halb um sich herumgeschlagen hatte, richtete sich auf und sprach, dicht vor den Christen hintretend:

»Vor alten Zeiten hat der große Geist – den Ihr Gott nennt – die Welt erschaffen, und aus der Welt machte er Menschen – Indianer. – Sie kamen nicht über die See. Er deckte etwas über die Erde und steckte die Menschen darunter; alle Stämme waren dort versammelt. Ein Stamm von ihnen aber sandte Einen seiner jungen Leute hinauf, zu sehen, was es oben gäbe, und dieser fand Alles sehr hell und freute sich über die Schönheit des Ganzen. Ein Hirsch lief vorbei und ein Pfeil stak in seiner Seite; er folgte ihm und kam zu dem Platz, wo er gestürzt und verendet war; andere Fährten sah er noch, und bald kam der Mann, der das Thier angeschossen hatte. – Es war der Schöpfer selbst, und er zeigte ihm jetzt, wie er die Haut des Hirsches abstreifen und das Fleisch zerschneiden sollte. Gott befahl ihm dann, ein Feuer zu machen, aber der Indianer wußte nicht wie. Gott mußte es selber thun. Gott hieß ihn nachher ein Stück des Fleisches auf einen Stock stecken und es braten; der Indianer wußte aber nicht wie und ließ es auf der einen Seite verbrennen, während die andere roh blieb.«

Rowson machte eine Geberde, als ob er sprechen wollte, der ernste Blick des Wilden hielt ihn jedoch zurück.

»Nachdem er den rothen Mann also gelehrt hatte, das Wild zu erlegen und das Fleisch und seine Haut zu benutzen, rief er die Anderen hervor aus der Erde, und sie kamen Stamm nach Stamm und erwählten jeder einen Häuptling.

Gott machte auch das Gute und Böse – es waren Brüder. Der Eine ging aus, um Gutes zu thun, der Andere, um seines Bruders Werke wieder zu zerstören. Dieser machte [] steinige, kiesige Stellen, ließ giftige Früchte wachsen und stiftete Unheil an. Der Gute wollte den Bösen gern vernichten, aber nicht mit Gewalt, schlug ihm also vor, daß sie einen Wettlauf anstellen wollten, wonach der Verlierer das Feld räumen sollte. Der Böse willigte ein und –«

»Halt!« rief der Methodist jetzt, indem er sich in seinem Eifer von dem Stamm erhob, auf dem er bis dahin gesessen, »nicht geziemt es mir, am heiligen Sabbath solchen Erzählungen zu lauschen. Armer, verblendeter Heide – das ist Dein unseliger Aberglaube, der dich an diesem Gewebe der Lüge hängen läßt – scheuche ihn von Dir! Jesus Christus –«

Der Indianer sprach, während der Methodist diese Warnung schnell ausstieß, kein Wort, er unterbrach ihn mit keiner Silbe, aber er heftete einen so wilden, Zorn und Ingrimm sprühenden Blick auf den Prediger, daß dieser erschreckt in seiner Rede einhielt und scheu nach dem nicht weit entfernten Hause zurücksah. Assowaum bezwang jedoch den in seiner Brust tobenden Sturm, und nur finster den fremden Apostel betrachtend, sprach er, als dieser plötzlich schwieg, mit fester, wenn auch leiser Stimme:

»Ich habe Euren Worten gelauscht. Ihr habt mir von dem Häuptling erzählt, der Stöcke in Schlangen verwandelte und Wasser aus dem Felsen preßte; von dem Fisch, der den Menschen Tage lang in seinem Bauch aufbewahrte und dann wieder an's Land spie; von dem Propheten, der auf einem feurigen Wagen in den Himmel fuhr, und von Dem, der geopfert wurde und starb, und doch wieder lebendig auf die Erde kam. Assowaum hat alles geglaubt. Ich erzähle Euch jetzt, wie der große Geist in diesem Theile der Welt seine Kinder erschaffen habe, und Ihr nennt mich einen Lügner. Geht!« sagte er, seinen Arm dabei gegen den etwas beschämten Priester ausstreckend, »das Auge des blassen Mannes sieht nur auf die Seite, auf der sein eigener Wigwam steht – alles Andere ist schwarz.«

Ohne eine weitere Antwort abzuwarten, schritt Assowaum, das Nachbringen des Gepäcks seiner Squaw überlassend, dem Hause zu.

[] Hier hatte Harper indessen seine Geschichte unter dem Gelächter und den Beileidsbezeigungen der Uebrigen vollendet, die sich, als Mittag heranrückte, größtentheils wieder nach ihren verschiedenenen Wohnörtern zerstreuten, um dort ihre Mahlzeiten nicht zu versäumen. Nur Harper und Brown waren von der alten Mrs. Roberts als so »gar seltene Gäste« eingeladen worden, an dem einfachen Mahle Theil zu nehmen.

Ehe jetzt der Tisch gedeckt ward, winkte Roberts noch einmal dem jungen Brown zu, mit ihm zu der Einfenzung zu kommen, wo er seine guten Pferde hielt, denn das war ein Gegenstand, in dem sich sein ganzer Stolz und Ehrgeiz concentrirte. Pferde durfte Niemand im Staate besser haben als er, und wer mit dem alten Roberts tauschte, konnte sicher sein, daß er den Kürzeren zog, denn Keiner hatte ein sichereres Auge für die Fehler oder Tugenden des edlen Thieres, als gerade dieser.

Ehe wir übrigens mit dem alten Mann näher bekannt werden, möchte es vielleicht nöthig sein, eine kleine Schwäche zu erwähnen, die er sich in seinen Reden angewöhnt hatte. Er kam nämlich stets aus dem Hundertsten in's Tausendste, das heißt: er vermochte nie den Satz, von welchem er ausgegangen, festzuhalten. Die, welche näher mit ihm bekannt waren, wußten das schon und unterbrachen ihn immer zur rechten Zeit, wo er sich dann augenblicklich zu seinem ersten Satz zurückfand. Ließ man ihn aber ungestört gehen, so verlor er die Bahn und kam dann endlich, ohne sich auch nur mit einem Worte noch an das erinnern zu können, was er hatte sagen wollen, zu einem plötzlichen Halt.

In dem sogenannten »Lot« angelangt, machte er nun den jungen Mann auf die einzelnen Thiere besonders aufmerksam, pries ihm, wie billig er dieses, wie theuer er das gekauft, was für Wetten jenes gewonnen, in wie viel Minuten ein anderes die Bahn durchlaufen. Er befand sich auch hier so recht in seinem Element, noch dazu, da ihm Brown nicht undeutlich zu verstehen gab, er gedenke in diesen Tagen selbst ein Pferd von ihm zu kaufen, und zwar ein starkes, kräftiges, das für den texanischen Freiheitskampf tauglich sei.

»Das könnt Sie bei mir bekommen, Brown, das können [] Sie bekommen!« rief der Alte freudig, in dem Augenblick ganz vergessend, daß er dadurch den jungen Mann aus der Nachbarschaft verlieren würde. »Dort der Fuchs ist ein Mordpferd – nicht todt zu machen – Abends so munter wie Morgens und erst vier Jahre alt – aber – wie ist mir denn? Ihr wollt nach Texas? Ih zum Henker, das leiden wir nicht – ich verkaufe gern ein Pferd, doch soll mich –« Er sah sich unwillkürlich um, ob seine Frau nicht zufällig in der Nähe wäre und sein Fluchen hören könnte. »Nein, Brown, das ist nichts. Texas ist ein Land, wo es keinem Christenmenschen gut geht; – nur die Indianer allein – und was für Bande ist das! Ich weiß noch recht gut, wie die von der Creek-Nation hier durchkamen; Mais kostete damals zwei Dollar der Bushel, und wir konnten nicht genug für sie anschaffen. Jetzt ist der Mais freilich billiger, nur wer ihn nach Little Rock –«

»Dieses ruhige Leben hier sagt mir nicht zu; ich muß mich ein wenig in der Welt umsehen,« unterbrach ihn Brown – »später komm' ich wieder zurück.«

»Von Texas? eh? Von dort kommt niemand mehr zurück – kein ordentlicher Kerl wenigstens –, alle Schufte und Spitzbuben gehen ja jetzt dorthin, und das Sprichwort ›Geh in die Hölle‹ ist ganz abgekommen, man wird noch boshafter und wünscht den Leuten eine Reise nach Texas. Der Boden dort ist auch nicht besser als der unsere; ich habe unten im Canebottom Land, das ich nicht für zehn Dollar den Acker verkaufen möchte, und die Mast – Sie sollen einmal im nächsten Winter meine Schweine sehen; ich habe mir auch von Atkins eine neue Art gekauft – die mit ungespalteten Hufen. Atkins ließ mir zwei ab, und ich hätte noch mehr genommen, sein Bruder aber – der Advokat in Poinsett County, der sich erst neulich dort niedergelassen hat – denn das wissen Sie doch, daß jetzt eine Menge Menschen dort in den Sumpf gezogen sind?«

»Bei Ihnen wird es jetzt auch recht still im Hause werden!« sagte Brown, der einen Augenblick in tiefen Gedanken vor sich hingestarrt hatte – »Ihr Sohn ist nach Tennessee, und wenn – Marion heirathet –«

[] »Ja, das ist wahr; wird mir sonderbar vorkommen. Nun, ich bin auch nicht schuld daran, habe genug dagegen geschimpft. Ich weiß nicht, ich kann den Prediger nicht leiden.«

»Er scheint sonst ein ordentlicher, stiller Mann zu sein!«

»Still? Ja – sehr still; aber – unter uns – er kommt mir gar nicht wie ein Mann vor. Neulich hat ihm Heathcott Sachen gesagt, nach denen ich ihm ein Messer durch den Leib gerannt hätte, er erwiderte aber nichts. Der Heathcott ist zwar ein wilder Bursche, sein Vater war noch einer von den alten Virginiern, die damals –«

»Wie Sie mir sagten, ist die Hochzeit in vier Wochen, nicht wahr?«

»In vier Wochen – ja – ich hab' ihm gesagt, daß er meine Tochter nicht eher bekommen kann, bis er das Land gekauft, auf dem er wohnt, und sich überhaupt so eingerichtet hat, daß er eine Frau anständig ernähren kann. Man braucht hier im Walde gerade nicht viel, aber ein kleines Kapital ist doch nöthig; baar Geld ist überhaupt etwas sehr Seltenes, und die Bänke –«

»Wovon ernährt sich Rowson eigentlich? Für sein Predigen empfängt er doch kein baares Geld –«

»Nein – bewahre, er hat aber noch ein kleines Vermögen in Tennessee, acht- oder neunhundert Dollar, wie er mir gesagt hat. Einen Theil von dem erwartet er in drei Wochen, und dann hab' ich meine Einwilligung zugesagt – die Mutter ist ganz versessen auf die Verbindung. Ich hätte auch nichts dagegen, aber – der Blick von dem Menschen gefällt mir nicht. Es ist sonderbar, was der erste Blick manchmal für einen Eindruck macht. In Tennessee, wo ich doch früher wohnte, und wo mein Vater am Wolfriver achtzig Acker Land hatte – Sie kennen doch den Wolfriver? – herrliches Land, und in Memphis, kaum eine halbe Meile davon, ist auch ein vorzüglicher Markt für alle Produkte. – Wie lange ist's nun her, daß ich nicht in Memphis war? Lieber Gott, wie die Zeit vergeht, das war damals, als das erste Dampfboot vorbeikam – die ›New Orleans‹. Ja, ja, das muß 1811 gewesen sein – 1811. Nachher kam der [] Krieg wieder und wir marschierten hinunter nach Louisiana, kamen aber zu spät; Old Hickery hatte die Britischen schon geklopft. Dann später, 1815, war der starke Frost, der uns damals die ganze Frucht verdarb – so ein Frost ist mir auch im Leben noch nicht wieder vorgekommen. Aber, Brown – an was denken Sie denn eigentlich? Sie sehen ja so starr vor sich nieder, fehlt Ihnen etwas? – wovon sprach ich doch gleich?«

»Mir? nein – nichts – ich habe etwas Kopfschmerz und glaube, ich habe heute Morgen zu viel über Onkel Ben's Abenteuer gelacht. Ja, wir sprachen von unserem Pferdehandel.«

»Oh, das hat noch Zeit! – Aber hallo – wer kommt da? Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs Mann zu Pferde, und alle mit Büchsen und Messern? Nun, das ist eine gute Empfehlung bei meiner Frau; Heathcott und Mullins und Smith und Heinze, der Herr segne uns, das sind die ›Regulatoren‹, da brennt's wieder irgendwo. Nun, wir werden ja gleich hören.«

Der alte Mann öffnete schnell die Pforte, und Brown folgte ihm hinaus, die Reiter zu begrüßen, die jetzt in kurzem Trab den breiten Weg zwischen den Feldern von westwärts herkamen.

[] 4.
Die Regulatoren. – Zank und Kampf.

Das Lynchgesetz, d.h. die Ausübung der Gerechtigkeit von nicht dazu befugten Personen, das Bestrafen von Verbrechern durch die einzelnen Bürger des Staates selbst, hatte in Arkansas wieder einmal seit Kurzem recht überhand genommen, und es zu verhindern, waren die Gesetze geschärft, ja sogar schwere [] Strafen auf die Bildung von eigenmächtigen Geschworenengerichten gesetzt worden. Wenig half das aber in einem Staate, wo noch kaum ein Weg die Wildniß durchschnitt und der Arm der Gerechtigkeit nicht hinausreichte über die nächsten Ansiedelungen. Arkansas war dabei in jener Zeit der Sammelplatz aller der Raubbanden geworden, die sonst in Missouri, Illinois, Kentucky, Tennessee und Mississippi ihr Wesen getrieben hatten, und mit Recht traten die Ansiedler zusammen und zogen gemeinschaftlich gegen den Erbfeind zu Felde, der ihnen den Frieden ihrer Wohnungen zu zerstören drohte. Wie aber jede Sache ihre Licht- und Schattenseiten hat, so auch hier. Wo einestheils mancher Schurke plötzlich und unerwartet vor Gericht gezogen und seiner gerechten Strafe überantwortet wurde, ohne daß man Friedensrichter oder Sheriff deshalb bemühte, traf es sich auch manchmal, daß persönlicher Haß und Rachgier die Erbitterung der Menge gegen einzelne Unschuldige lenkte, um diese die Macht fühlen zu lassen, die für den Augenblick in die Hände ihrer Feinde gegeben war. So rissen in White County die Regulatoren eines Tages einen ehrbaren, fleißigen Farmer aus der Mitte seines Familienkreises, banden ihn vor den Augen seiner Frau, die noch glücklicher Weise durch eine Ohnmacht dem Schrecklichsten entzogen wurde, unter dem Jammern und Wehklagen seiner Kinder an einen Baum und peitschten den Unglücklichen auf eine entsetzliche Art, um ihm das Geständniß eines Verbrechens zu erpressen, das er nicht begangen hatte. Zwar bewies er später seine Unschuld und erschoß den Rädelsführer jener Bande, seine Frau hatten der Schreck und die Angst aber so angegriffen, daß sie in ein hitziges Fieber verfiel und wenige Monate danach starb. Man sagte auch, daß Heathcott damals mit unter jenen Regulatoren gewesen sei und er deshalb White County habe verlassen müssen. Auf jeden Fall war er ein wilder, roher Bursche, mit dem Niemand gern etwas zu thun hatte – ein ächter Kentuckier voller Prahlerei und Rauflust, wenn auch sonst ehrlich und brav.

Die übrigen Männer waren größtentheils Farmer aus der Nachbarschaft und alle in ihre Jagdhemden gekleidet, mit [] Büchsen, Bowiemessern, Pistolen und Tomahawks bewaffnet. Heathcott war besonders starrte von Gewehren und Dolchen und rechtfertigte den Ausruf Roberts', der zu Brown sagte, er sehe aus wie ein Kaperschiff, das seine Waffen an Deck geschafft hätte und entern wollte.

»Hallo, Gentlemen,« rief der alte Mann jetzt, sie begrüßend, »weß Weges? wohin soll die Reise gehen? Kommen die Indianer, daß Sie sich auf eine so entsetzliche Art mit Messern und Schießgewehren versehen haben?«

»Indianer? nein!« rief Heathcott, »aber noch etwas viel Schlimmeres; die Pferdediebe sind wieder los; oben am Arkansas haben sie dem Richter Rowlove vier Stück gestohlen, und die Fährten führten südöstlich. Der verdammte Regen vorgestern Nacht hat sie aber verwaschen und wir konnten nicht mehr erkennen, ob sie nach den heißen Quellen zu oder weiter östlich gingen. Vergebens haben wir gestern den Wald nach allen Richtungen durchsucht, es ließ sich weiter nichts mehr thun, als daß wir Hostler den Fluß hinunter und Bowitt nach Hot Spring County hinüber schickten. Wir Anderen wollten jetzt hinunter zu Wilkins, um weitere Schritte für die Zukunft zu bereden. Geht Einer von Ihnen mit?«

»Danke schön!« sagte Roberts – »macht das untereinander aus, Ihr jungen Burschen. Meine alten Knochen sind das Waldlaufen nicht mehr gewohnt.«

»Ihr habt aber ebenfalls viele Pferde. Wer weiß, wann Euch die Schufte einmal einen Besuch abstatten; nachher werdet Ihr schon kommen –« lachte Heathcott.

»Wollen's abwarten, ich muß ihnen aber doch an keiner recht bequemen Stelle hier liegen, sonst wäre mir schon etwas weggekommen. Mich verschonen sie wirklich merkwürdig.«

»Sollte beinahe verdächtig aussehen –« grinste der Kentuckier.

»Nein, nein,« lachte gutmüthig der alte Mann, »das gerade nicht. Aber wollt Ihr denn nicht zum Haus gehen, Gentlemen, und einen Bissen essen? Guten Morgen, Heinze, guten Morgen, Mullins, hallo, Peter, das ist wohl ein neues Pferd, [] das Ihr da reitet? Das hab' ich noch nicht gesehen – hübsches Thier.«

»Wir nehmen Euer Anerbieten an,« sagte Heathcott, vom Pferd steigend, während die Uebrigen seinem Beispiel folgten, »Wilkins hat überdies nie etwas zu essen, und da ist's doch besser, wir sehen uns hier vor. Aber nur keine Umstände – die Pferde mögen inzwischen ein bißchen ruhen.«

Brown hatte indessen einige der Männer, mit denen er in der kurzen Zeit seines Aufenthalts bekannt geworden war, begrüßt und schritt mit ihnen dem Hause zu, wo das kleine Negermädchen emsig bemüht war, für die unerwarteten Gäste Maisbrod zu backen und Schweinefleisch zu braten.

»Und Ihr, Mr. Brown?« frug Heathcott jetzt, sich an den jungen Mann wendend, »habt Ihr keine Lust, der guten Sache Euren Arm und Euer Auge zu leihen? Es können unserer gar nicht zu viel sein, da wir, mit dem Gesetze gegen uns, dem Staate beweisen müssen, wie sehr es uns Ernst um die Sache ist.«

»Ich muß bitten, mich zu entschuldigen,« erwiderte Brown; »erstlich bin ich nur ein sehr flüchtiger Besuch in dieser Gegend, mit dem Wald und der ganzen Lage des Landes noch nicht einmal recht bekannt, und dann will ich Euch auch aufrichtig gestehen, habe ich keine Freude an dem Richtwesen der Regulatoren, das nur zu oft zum Unwesen wird.«

»Sir!« sagte der Kentuckier etwas gereizt – »Sie werden uns doch wohl zugestehen, daß wir hier am besten wissen, wo uns der Schuh drückt?«

»Natürlich – natürlich,« erwiderte Brown freundlich. »Ich maße mir auch weiter kein Urtheil darüber an, behalte mir aber dafür auch meine eigene Handlungsweise vor.«

»Mit Euch Herren, wie Ihr nur immer von einem Staate zum andern huscht, weiß man nie, woran man ist,« sagte Heathcott, einen keineswegs freundlichen Seitenblick nach dem jungen Mann hinüberwerfend. »Einmal seid Ihr in Missouri, einmal in Texas, und habt überall Bekannte und Freunde. – Ihr tretet vielleicht aus Rücksicht gegen Eure Freunde den Regulatoren nicht bei?«

[] »Mr. Heathcott,« erwiderte Brown sehr ernst, aber auch sehr artig, »ich will diese Anspielung von Ihrer Seite nicht verstehen, denn ich kann mich dadurch nicht getroffen fühlen. Was mein Betragen, mein Reisen aus einem Staate in den andern betrifft, so bin ich darüber keinem Menschen Rechenschaft schuldig, als mir selbst.«

Die anderen Farmer mischten sich aber jetzt in das Gespräch und duldeten nicht, daß Heathcott noch etwas sagte, das die Gefühle des jungen Mannes verletzen konnte. Sie hatten ihn Alle lieb gewonnen, fürchteten dagegen ihren Führer mehr, als sie ihn achteten.

»Herein, Gentlemen, herein hier!« rief ihnen Roberts aus der offenen Hausthür zu – »Sie müssen fürlieb nehmen, ich habe Ihnen schnell etwas herrichten lassen, damit Sie nicht bis zum Mittagessen zu warten brauchen. Also setzen Sie sich und – helfen Sie sich selbst.«

Die Leute ließen sich das nicht zweimal sagen, und nachdem sie die Frauen im Hause begrüßt, setzten sie sich ohne weitere Umstände, ja ohne nur all' die vielen Mordgewehre, mit denen sie umsteckt waren, abzulegen, an den reichlich gedeckten Tisch. Eben wollten sie auch zulangen, als Rowson, der neben Mrs. Roberts am Feuer gestanden hatte, an die Tafel trat, die Hände faltete und ein Tischgebet zu sprechen begann.

Die Farmer, die eines Theils selbst Methodisten waren, andern Theils die Sitte des Hauses ehrten, legten die schon ergriffenen Messer wieder nieder und sahen andächtig auf die leeren Teller hinunter, Heathcott hingegen blickte ärgerlich zu dem Prediger empor, der ihn übrigens gar nicht zu bemerken schien und ruhig in der Ausübung seiner Pflicht, wie er es nannte, fortfuhr.

Wären die Damen nicht gegenwärtig gewesen, so hätte sich der Zorn des rauhen Mannes wohl schon bei dieser Gelegenheit Luft gemacht, so aber unterdrückte er ihn, oder versparte ihn wenigstens für eine passendere auf und begann sein Mahl, während der Betende noch das Amen sprach. Daß solches Betragen Mrs. Roberts auf das Tiefste verletzte, braucht[] wohl nicht erwähnt zu werden. Sie setzte sich höchst erbittert in ihren Schaukelstuhl nieder und murmelte etwas von »rohen sündhaften Menschen«, was jedoch nur zu dem Ohr des Priesters gelangte, der wieder an ihre Seite getreten war und jetzt seufzend dazu mit dem Kopfe nickte.

»Mrs. Roberts – Sie führen wohl nicht einen Schluck Whisky im Hause?« fragte Heathcott nach einer kleinen Pause, sich dabei mit dem Aermel seines ledernen Jagdhemdes den Mund wischend. – »Wir haben da drüben bei Bowitts so verdammt scharfes Zeug getrunken, daß es Einem die Eingeweide fast verbrennt.«

»Ich halte keinen Whisky,« erwiderte Mrs. Roberts, durch diese Frage auf's neue erregt. – »Mrs. Bowitt thäte ebenfalls besser, solches Getränk nicht in ihrem Hause zu dulden.«

»Ja – das hab' ich ihr auch gesagt,« lachte Heathcott, der entweder die Meinung der alten Dame nicht verstand oder nicht verstehen wollte, »es ist eine Schande. Bei dem Krämer am Petite-Jeanne könnte sie, für einen Dollar die Gallone, das beste Gebräu in der Welt bekommen – ächten Monongahela.«

»Mr. Heathcott sollte doch eigentlich sehen,« sagte Rowson milde, »daß ein Gespräch über Whisky den Ohren der Mrs. Roberts nicht gerade angenehm ist.«

»Mr. Rowson thäte wohl, sich um seine eigenen Angelegenheiten zu bekümmern,« antwortete Heathcott scharf.

»Ich habe den Pferden etwas Korn geben lassen, Gentlemen!« rief jetzt der alte Roberts, der eben mit Harper und Brown aus dem Pferdestalle zurückkehrte, zur Thür herein.

»Dank Euch! Dank Euch!« riefen Smith und Heinze, froh, eine Ausrede zu haben, vom Tische aufzustehen und ein Gespräch zu unterbrechen, das nur unangenehm enden konnte.

Smith blieb noch einen Augenblick zurück, als die anderen Männer hinausgingen, und sagte freundlich zu Mrs. Roberts:

»Sie müssen Heathcott die rauhe Rede nicht so übel nehmen, [] Madame. Wir sind scharf geritten heute Morgen, und wie wir zu Bowitts kamen, trank er wohl eigentlich ein wenig mehr, als sich gehörte.«

Die alte Dame erwiderte nichts und schaukelte sich nur heftiger, Rowson dagegen dankte dem Nachbar freundlich für seine gute Meinung, und versicherte ihn, er hege nicht den geringsten Groll gegen Heathcott. »Er ist ein rascher, junger Mann,« fuhr er gutmüthig lächelnd fort, »und meint auch wohl nicht Alles so bös, als es bei ihm herauskommt.«

»Ich werde ihm sehr verbunden sein, wenn er mein Haus nicht wieder mit seiner Gegenwart beehrt,« platzte Mrs. Roberts endlich heraus – »ich erziehe mein Kind gottesfürchtig und will weder, daß dieses in meinen eigenen vier Wänden ein böses Beispiel sieht, noch –«

»Aber, Mutter!« bat Marion.

»Noch, daß fromme Leute,« fuhr die alte Frau, ohne sich unterbrechen zu lassen, fort, »die das reine Gotteswort predigen, unter meinem Dache beleidigt werden – sagen Sie das dem Mister Heathcott.« Und auf's Neue begann sie in dem Stuhle zu schaukeln, als ob sie sich vorgenommen hätte zu versuchen, wie weit sie es treiben könnte, ohne umzuschlagen.

Smith, ein ruhiger, friedliebender Mann und selbst Methodist, war zu sehr mit alledem, was Mrs. Roberts eben gesagt hatte, einverstanden, um etwas dagegen einzuwenden, und folgte schweigend den Uebrigen vor die Thür. Dort hatten sich die Meisten theils auf Stühlen, theils auf Baumstämmen und Trögen niedergelassen und sprachen von dem, was ihnen Allen am nächsten lag, von den immer mehr und mehr um sich greifenden Pferdediebstählen.

»Die Schufte müssen hier im County einen Hehler haben, sonst begreif' ich nicht, wie es möglich ist, daß sie uns immer irre führen,« sagte Mullins.

»Ja, und wohin sie die gestohlenen Pferde schaffen, bleibt mir auch ein Räthsel,« rief Roberts – »ein Gaul ist doch kein Vogel, der über die Erde geht, ohne Spuren zu hinterlassen.«

»Nur Geduld!« betheuerte Heathcott – »nur Geduld, [] es hat Jedes sein Ziel, und wir erwischen die Burschen einmal, wenn sie sich's am wenigsten versehen. Aber dann will ich verdammt sein, wenn ich Einem von den Hunden das Leben schenke. Lumpig ist's, daß sie im vorigen Jahr die Todesstrafe auf Pferdediebstahl hier in Arkansas abgeschafft haben – das hieß dem Volke mit klaren Worten sagen: Jetzt helft Euch selber – wir wollen's nicht mehr.«

»Ich weiß nicht, hart bleibt's immer, eines Pferdes wegen ein Menschenleben zu nehmen,« warf Brown ein.

»Hart? Zum Teufel auch!« rief Heathcott, sein großes Messer neben sich in die Rinde des Stammes stoßend, auf dem er saß – »wer mir ein Pferd stiehlt, stiehlt einen Theil meiner selbst. – Ich habe jetzt drei verkauft und trage das Geld davon bei mir – es ist so zu sagen mein ganzes Vermögen, mit dem ich mich anzubauen gedenke. – Wer mir die Pferde gestohlen, hätte mir damit auch zugleich meinen ganzen künftigen Lebensplan zerstört, und das ist schlimmer, als wenn er mich über den Haufen geschossen. Nein, Tod den Schuften! – Laßt sie nur sehen, daß es uns Ernst ist, und wir werden sie, das heißt die, die wir nicht gehangen haben, bald aus Arkansas los sein.«

»Euch scheint an einem Menschenleben wenig zu liegen,« warf Brown ein.

»Sehr wenig,« antwortete Heathcott, sein Spiel mit dem Messer wiederholend.

»Ihr taxirt dann das Eure auch nicht besonders hoch?« lachte Harper, »eh? sonst würdet Ihr's nicht mit dem jedes Lumps in die Wagschale legen.«

»Hoch genug, um Den neun Zoll kalten Stahles schmecken zu lassen, von dem ich glauben müßte, daß er mir gefährlich werden könnte,« rief Heathcott, sich wild im Kreise umsehend. – »Dies ist ein freies Land und Jeder hat seine Ansichten, ich will aber verdammt sein, wenn ich die meinigen nicht oben behalte – so viel ist sicher. – Aha, da ist auch der Mr. Rowson wieder,« fuhr er höhnisch fort, als er die ehrwürdige Gestalt des Mannes, mit dem Hut auf dem Kopfe und dem Gebetbuch unter dem Arme, in der Thür bemerkte. [] – »Auch einer von den Schleichern, die mit dem Schafsfell prahlen und den Fuchs nur zuweilen durchschauen lassen.«

Rowson wandte sich an den Negerknaben, der eben zum Hause kam, und bat ihn, sein Pferd zu holen; Heathcott aber, durch die Nichtachtung des Predigers, der sich stellte, als ob er die Worte gar nicht gehört hätte, erbost, sprang auf und rief drohend:

»Nun, Meister Höllentreter, ich dächte, ich wäre einer Antwort werth, wenn ich auch ein Sünder bin.«

Ehe aber Rowson nur ein Wort erwidern konnte, sprang Brown auf, faßte Heathcott an der Brust und schleuderte ihn mit so gewaltigem Griff zurück auf seinen Platz, daß er über den Stamm hinweg und sich im Fall blutig schlug. Alle Anderen sprangen erschreckt empor, mit ihnen aber auch der Kentuckier. Das Messer ergreifend, das neben ihm heruntergefallen war, setzte er mit einem Sprunge über den umgestürzten Baum hinweg und wollte sich eben auf seinen Angreifer werfen, als dieser ihm, ohne einen Zoll breit von seiner Stelle zu weichen, ein gespanntes Terzerol entgegenhielt. Heathcott, der keine Waffen bei ihm vermuthet hatte, fuhr zurück und wollte seine Büchse ergreifen. Die übrigen Männer fielen ihm aber in den Arm und riefen einstimmig, daß sie keinen Mord hier dulden wollten.

»Zurück mit Euch,« schrie Heathcott – »zurück! Laßt mich an den Buben – das fordert Blut. – Sein Herzblut muß ich haben – verdamm' Euch – die Augen aus seinem Kopfe.«

»Laßt ihn los,« sagte Brown jetzt, das Terzerol einsteckend und ein eben solches Messer, wie es Heathcott führte, unter der Weste hervorziehend – »laßt ihn los, und wir können dann gleich sehen, wer der beste Mann ist.«

»Um Gottes willen, Mr. Harper, dulden Sie das Schreckliche nicht –« bat Marion, die mit todtenbleichem Antlitz aus dem hause flog und die Hand des alten Mannes zitternd ergriff – »der böse Heathcott bringt ihn um.«

»Seien Sie ruhig, liebes Kind,« beschwichtigte Harper die Flehende – »und gehen Sie vor allen Dingen in's Haus [] zurück. – Dies ist jetzt kein Platz für ein junges Mädchen – hat die Kugel erst einmal das Rohr verlassen, so weiß niemand, wohin sie geht.«

»Er wird ihn tödten,« klagte das Mädchen.

»Wen? Ihren Bräutigam? nein. – Er hat ja den Streit mit meinem Neffen.«

Marion barg das Antlitz schluchzend in ihrem Tuche und ließ sich willenlos von Rowson, der zu ihr getreten war, in's Haus geleiten.

»Zurück! sag' ich,« schrie Heathcott in höchster Aufregung – »gebt mir meine Büchse – ich muß den Hund über den Haufen schießen.«

»Laßt ihn los,« rief nun auch Brown in schnell auflodernder Kampflust. – »Laßt ihn frei – er hat Messer genug an sich herumstecken, einen ehrlichen Kampf zu wagen – weg da, Männer von Arkansas! Wollt Ihr einen gleichen Streit hindern?«

»Gut!« sagte Mullins – »Ihr mögt es ausfechten, aber die Büchse bekommt er nicht. – Wir wollen keinen Mord dulden; – ein Kampf ist etwas Anderes.«

Heathcott sah sich im nächsten Augenblick frei, und die Männer bildeten einen Kreis um die beiden. Der eben noch so wilde Kentuckier schien jedoch durch den kalten, furchtlosen Blick seines Gegners gewaltig abgekühlt, und wenn er auch krampfhaft das Messer mit der Hand umschloß und dem ihn fest Erwartenden wüthende Blicke zuschleuderte, so blieb er doch wie festgebannt auf seiner Stelle stehen und griff nicht an. Eine peinliche Stille trat ein, die Männer umstanden die Feinde und wagten kaum zu athmen, während Marion in der Thür des Hauses mit leichenblassen Wangen und stieren Augen hinüberstarrte nach dem Kreise und in krampfhafter Aufregung, die Hände fest auf die Brust gefaltet, zitternd und bangend den Erfolg des Gräßlichen erwartete.

Heathcott befand sich in einer peinlichen Lage, er fürchtete augenscheinlich den Stahl des Feindes, aber mehr fast noch den Spott oder das höhnische Lächeln der Kameraden, das er glaubte erwarten zu müssen, wenn er den dargebotenen Kampf [] nicht annähme; da schlugen sich die Freunde in's Mittel, und zwischen die Männer tretend, trennten sie die Streitenden.

»Kommt, Heathcott,« sagte Heinze – »Ihr habt alle Beide Unrecht, und es ist eine Sünde und Schande, daß sich zwei ordentliche Kerle zerfleischen sollten, wo es noch Lumpengesindel genug im Walde giebt, an dem sie ihre Wuth auslassen könnten. Kommt – es wird Zeit, daß wir aufbrechen, und es ist auch nicht recht, den Sonntag der Leute hier zu stören, die uns freundlich aufgenommen haben.«

»Das ist Alles, was mich bis jetzt abgehalten hat, jenen Gelbschnabel zu züchtigen,« knirschte Heathcott – »aber warte, Bursche – ich finde Dich, und Gnade Dir Gott, wenn Du mir einmal vor's Rohr kommst.«

»Heathcott – Heathcott,« warnte Mullins, »das sind böse, gefährliche Reden, sehr gefährliche Worte.«

»Laßt ihn,« lachte Brown verächtlich, das Messer in die Scheide zurückstoßend – »laßt ihn prahlen; es ist der einzige Genuß, den er vom Leben hat.«

»Komm, Bill,« sagte Harper, den Widerstrebenden in's Haus ziehend, »komm, Bill, – laß die Burschen erst fort – Du hast jetzt Deiner Ehre genügt, und es freut mich, daß sich meiner Schwester Sohn so brav benommen hat. Das thut's aber nun auch – denk' an die Frauen – Marion ist vorhin erst ohnmächtig geworden.«

»Marion ohnmächtig?« frug Brown schnell, indem er dem Hause zusprang. »Ja so,« sagte er aber dann langsammer, indem er wieder stahen blieb – »ihr Bräutigam ist ja bei ihr, daran dacht' ich nicht. Sie wird sich wohl wieder erholen.«

Die Regulatoren hatten indessen den Platz verlassen, und auch Rowson schickte sich an, heim zu reiten. Harper folgte dagegen der Einladung Roberts' und blieb in dessen Hause, um am nächsten Morgen die versprochene Jagd mitzumachen und den alten Bahrens zu besuchen, von dem er so viel gehört hatte.

Rowson sprach noch ein langes Gebet, ehe er sein Pferd bestieg, theils um die Vergebung des Höchsten für die entsetzliche [] Entweihung des Sabbaths zu erflehen, theils um ihm zu danken, daß dieser Kelch ohne Blutvergießen vorübergegangen war. Ehe er sich jedoch auf's Pferd schwang, ging er zuerst noch auf den jungen Brown zu und sagte:

»Ihr habt Euch heute meiner angenommen, und ich danke Euch. Wenn aber jener Bube auch auf Rache sinnt, fürchtet nichts, der Himmel wird Euch beschirmen, baut auf dessen Schutz.«

»Ich dank' Euch, Mr. Rowson,« erwiderte Brown ruhig; »ich baue aber mehr auf des Burschen Feigheit und meine eigene Kraft, als auf irgend etwas Anderes. Der geht mir schon aus dem Wege, das hat keine Noth, und streitsüchtig bin ich auch nicht. So werden wir denn schwerlich wieder zusammenkommen.«

5.
Brown und Marion.

Rowson war fortgeritten, um, wie er sagte, »das Wort des Herrn in einer andern Ansiedlung zu predigen,« und Marion lehnte bleich und erschöpft in einem Sessel. Nur noch dann und wann stahlen sich einzelne große Thränentropfen über ihre Wangen hinab und rollten leise auf die zarten Finger nieder, die sie im Schooße gefaltet hielt; aber tiefer Schmerz sprach aus den sanften Zügen des schönen Mädchens. Harper, Roberts und Brown saßen am Kamin, in dem die Negerin wohl mehr der Gewohnheit, als der wirklich kühlen Luft wegen ein Feuer entzündete, und Mrs. Roberts stand neben ihrer Tochter und streichelte ihr das nußbraune Haar.

[] »Komm, Kind – laß das Sorgen und Träumen,« sagte sie beruhigend zu dem Mädchen, »sieh, es ist ja Alles vorbei. Mr. Rowson kann den Männern auch heute unmöglich mehr begegnen, er hat ja eine ganz entgegengesetzte Richtung eingeschlagen – geh hinaus an die frische Luft, dann wird Dir besser – Mr. Brown begleitet Dich vielleicht und führt Dich ein wenig spazieren. Sieh, Du hast wirklich Fieber – wie erhitzt Du nun auf einmal wieder aussiehst – komm, komm – schäm' Dich doch, so ein großes Mädchen und weint.«

Marion hatte bei den letzten Worten ihr Gesicht an der Mutter Brust verborgen und schluchzte laut. »Nicht wahr, Mr. Brown, Sie führen das närrische Kind ein wenig in's Freie? Ich wollte wirklich, Mr. Rowson hätte heute bei uns bleiben können, aber freilich – der Dienst Gottes geht dem der Menschen vor.«

Brown war schon bei der ersten Andeutung, daß seine Begleitung erwünscht werde, aufgesprungen und näherte sich jetzt, etwas verlegen, der Tochter des Hauses, ihr seinen Arm anzubieten.

»So, das ist recht, mein Kind,« ermunterte sie die Mutter – »das ist brav – Köpfchen hoch – draußen wird Dir's besser werden, und laufen Sie tüchtig, Mr. Brown, daß sie ordentlich in Bewegung kommt. Gott verzeih' es den bösen Leuten, solchen Streit und Unfrieden in die ruhigen Häuser seiner Diener zu tragen.«

Harper war indessen sehr nachdenklich geworden und starrte schweigend auf das knisternde, nasse Holz hin, während Roberts, der ein Gespräch über den letzten Streit begonnen, durch seine gewöhnliche Reihenfolge von Ideen in den Revolutionskrieg gekommen war und eben eine Anekdote aus Washington's Leben anfangen wollte, als die beiden jungen Leute das Haus verließen und langsam und schweigend den breiten, ausgehauenen Fahrweg hinwandelten, der den Fluß hinauf nach den oberen Ansiedelungen führte.

Die Sonne neigte sich dem Untergange zu, und der Schatten der riesengroßen Bäume fiel über den Weg hinüber; Scharen [] von munteren Peroquets Eine Art von Papageien. flatterten kreischend von Baum zu Baum, graue Eichhörnchen sprangen in kühnen Sätzen über die Zweige hin oder kauerten knuppernd an irgend einer aufbewahrten Nuß, deren Schale dann raschelnd in das Laub herunterfiel. Vorsichtig den schönen Kopf erhebend, schritt leise eine Hirschkuh mit dem jungen Kalbe über den Weg, blieb einen Augenblick, die breite Straße hinauf- und hinabschauend, stehen und verschwand dann langsam im Dickicht, als ob sie wisse, es drohe ihr von den Nahenden keine Gefahr. Stiller Friede lag auf der Landschaft, und majestätisch rauschten die gewaltigen Wipfel der Kiefern und Eichen im darüber hinstreichenden Südostwind.

»Wir sind Ihnen eigentlich recht großen Dank schuldig, Mr. Brown,« brach endlich Marion das peinlich werdende Schweigen. »Sie nahmen sich so freundlich und tapfer meines – des Mr. Rowson an und – setzten sich selbst so großer Gefahr aus.«

»Nicht so großer, als Sie vielleicht glauben, mein Fräulein,« erwiderte Brown zögernd – »der Bursche ist ein Feigling und suchte nur mit Mr. Rowson Streit, weil er von diesem – weil dieser als Prediger nicht darauf eingehen konnte.«

»Sie wollten etwas Anderes sagen? Sprechen Sie es aus – Sie halten Mr. Rowson für feig?«

»Er ist Prediger, Miß Roberts, und es würde ihm einen gar schlechten Namen in der Gemeinde machen, wollte er Händel suchen.«

»Nicht suchen, aber – es bleibt sich gleich – Sie nahmen sich seiner an – es ist mir ein recht wohlthuendes Gefühl, daß Sie so gut mit einander befreundet sind. Wo haben Sie sich eigentlich kennen gelernt?«

»Kennen gelernt? befreundet? Miß Roberts, ich kenne Mr. Rowson gar nicht – wir haben heute die ersten Worte mit einander gewechselt.«

»Und Sie setzten Ihr Leben für ihn auf das Spiel?« frug [] Marion schnell, während sie erstaunt stehen blieb und dem jungen Mann in das große blaue Auge sah.

»Ich hörte, daß – er – Ihnen verlobt sei – ich sah Sie erbleichen und – ich bin etwas heftiger Gemüthsart. Der Zorn übermannte mich selbst über den rohen Burschen; ich war wohl etwas rascher, als ich eigentlich hätte sein sollen; aber mein Gott, Miß Roberts – Sie werden wieder unwohl, wollen wir uns nicht einen Augenblick auf diesen Stamm setzen?«

Marion ließ sich von ihm zu einem der Bäume führen, die beim Aushauen der Straße gefällt und auf die Seite gerollt waren, um dort im Lauf der Zeit zerstört zu werden. Wieder trat eine lange Pause ein, und Marion frug endlich leise:

»Sie wollen uns verlassen, Mr. Brown? Vater sagte vorhin, daß Sie in den Freiheitskampf nach Texas zögen.«

»Ja, Miß Roberts, es wird besser für mich sein, wenn ich eine derartige Beschäftigung finde. – Ich möchte Manches vergessen, und dazu ist ein Kampf wohl das passendste Mittel. Vielleicht kommt dann auch eine mitleidige – ich werde wahrscheinlich einen Pferdehandel mit Ihrem Vater machen.«

»Sie scheinen nicht glücklich zu sein,« sagte leise das schöne Mädchen, indem es ernst und sinnend zu ihm aufsah. – »Sie lebten lange in Kentucky?«

»Ich verließ Kentucky mit leichtem Herzen!«

»Und hat Arkansas Ihnen solchen Schmerz bereitet? Das ist nicht schön – ich habe das Land bis jetzt so lieb gehabt.« –

»Sie werden es auch lieb behalten. – In wenigen Wochen feiern Sie die Verbindung mit dem Manne Ihrer Wahl, und mit dem Herzen, das man liebt, muß ja die Wüste zum Paradies werden, wie viel mehr denn der schöne Wald, das wunderliebliche Klima von Arkansas. – Ach, es giebt doch noch recht glückliche Menschen auf der Erde!«

»Und wen zählen Sie dazu?«

»Rowson!« rief der junge Mann und erschrak dann selbst über die Kühnheit dieses Wortes.

[] »Die Mosquitos sind recht arg auf dieser Stelle,« sagte Marion, indem sie schnell aufstand, »lassen Sie uns weiter gehen, Mr. Brown. – Wir werden auch bald wieder umkehren müssen – die Sonne steht nicht mehr hoch.«

Auf's Neue verfolgten sie schweigend eine Zeit lang ihren Weg.

»Sie wohnen mit Ihrem Onkel ganz allein, nicht wahr, Mr. Brown?« frug endlich Marion wieder nach langer Pause, »Mutter sagte mir wenigstens so.«

»Ja, mein Fräulein – wir führen eine Junggesellenwirtschaft; ein rauhes Leben.«

»Ihr Onkel ist gar ein wackerer Mann – immer heiter – immer zu einem Scherz bereit; und hat dabei so etwas Ehrliches, Offenes im Blick – ich war ihm vom ersten Augenblick an gut, wo ich ihn sah; – so ernst wie heute hab' ich ihn übrigens noch nie gesehen. – Aber auch Sie kommen mir heute recht ernst vor; die bösen Menschen sind an dem Allen schuld.«

»Mr. Rowson wird sich wohl hier in der Gegend ankaufen? Ich hörte, daß Mr. Roberts sagte, er erwartete erst einen Theil seines Vermögens.«

»Ja« – flüsterte Marion – »Vater wollte es so – Vater – war überhaupt gegen diese Verbindung.«

»Das ist nicht recht von Ihrem Vater, Miß – er darf dem Glück des eigenen Kindes nicht im Wege stehen.«

»Er behauptete aber, daß ich nicht glücklich wer den würde,« sagte Marion, wehmüthig lächelnd.

»Ist die Liebe nicht das größte Glück?«

»Man sagt so.«

»Man sagt so? Lieben Sie denn nicht Ihren Bräutigam?«

»Mutters ganzes Herz hing an dieser Verbindung. Durch den gottesfürchtigen Wandel des frommen Mannes eingenommen, glaubte sie für mich nicht besser sorgen zu können, als wenn sie mich vermochte, ihm meine Hand zu reichen. Ich bekam hier im Walde wohl manchen Mann zu sehen, aber keiner hatte Eindruck auf mich gemacht. – Die wilden, [] rauhen Streifschützen, die zügellosen Floßleute – die Otterfänger und selbst die ungebildeten Farmer, die sich hier in unserer Nähe niederließen, waren Alle nicht geeignet, mein Herz zu gewinnen. Mr. Rowson war der Erste, der sich durch sein gesittetes, freundliches Betragen meine Achtung erwarb. Er kam öfter in diese Gegend, predigte häufig hier, und – Mutter lernte ihn schätzen. – Sie selbst beredete ihn, sich unter uns niederzulassen und ein Weib zu nehmen – er bat um meine Hand, und Mutter – sagte sie ihm zu.

Ich hatte bis dahin nie an eine Verbindung mit ihm gedacht,« fuhr Marion nach einer Weile zögernd fort, »immer mehr den väterlichen Freund, als den möglichen Geliebten in ihm gesehen, und der Antrag überraschte mich. Dabei hatte – Ihnen kann ich es viel leicht gestehen – sein Auge Etwas, das mir Grauen einflößte, wenn ich schnell und unerwartet zu ihm aufblicke; sah ich ihn aber recht ernst und fest an, so lag wieder etwas so Mildes, Sanftes in den Zügen, das mich endlich selbst für ihn einnahm. Durch Mutters nicht endende Vorstellungen getrieben, gab ich zuletzt mein Jawort. Aber Vater wollte nicht einwilligen; er mochte den stillen, ruhigen Mann nicht leiden und hatte darüber mit Mutter ein paar recht ernste Auftritte. Aufrichtig gestanden, war es mir ziemlich gleich, wer von ihnen Recht behielt, denn ich glaube wohl mit Mr. Rowson glücklich, ohne ihn aber auch nicht unglücklich zu werden. Wie daher Vater sich entschloß, der Mutter das Feld zu räumen, und nur noch darauf bestand, daß Mr. Rowson ein Eigenthum haben müsse, welches ihm die Hoffnung gebe, eine Frau zu ernähren, ohne blos auf das Predigen angewiesen zu sein, versprach ich Mr. Rowson, – sein Weib zu werden. – Wie er uns nun heute sagte, hat er die Hoffnung, in wenigen Wochen eine hinreichende Geldsumme zu erhalten, um nicht allein das Land, auf dem er wohnt, zu kaufen, sondern sich auch noch einen Anfang zur Viehzucht, wie alles übrige nöthige Ackergeräth, anzuschaffen. Dann steht der Erfüllung seines Wunsches weiter nichts im Wege und ich – werde die Seine.«

Marion sprach diese letzten Worte mit so leiser, zitternder [] Stimme, daß Brown unwillkürlich stehen blieb und zu ihr hinabsah – sie hatte den Kopf abgewendet, und das Bonnet, das sie trug, verbarg ihm ihr Antlitz.

»Sie werden glücklich werden,« flüsterte er, und ein tiefer Seufzer entrang sich seiner Brust.

»Wir müssen umkehren, Mr. Brown,« sagte Marion nach einer kleinen Weile – »sehen Sie nur, die Wipfel der Bäume röthen sich schon, die Sonne ist bald unter, und in diesen dichten Wäldern wird es gleich Nacht – Mutter möchte sich ängstigen.«

Die beiden jungen Leute wandten sich stumm zum Heimweg, und Marion sprach nach einigen Minuten lächelnd:

»Ich habe Ihnen jetzt meine ganze Lebensgeschichte in den wenigen Worten erzählt und dadurch erstaunlich viel Vertrauen bewiesen; Vertrauen aber, wie Mr. Rowson sagt, erweckt Vertrauen, und es wäre jetzt nicht mehr als recht und billig, daß ich ein Gleiches von Ihnen forderte. Das heißt – wenn Sie keine Geheimnisse zu bewahren haben, die ein geschwätziges Kind, wie ich bin, natürlich nicht erfahren dürfte.«

»Mein Leben ist ziemlich einfach verflossen,« erwiderte Brown – »fast zu einfach. Ich bin in Virginien geboren, doch zog mein Vater, als ich noch ein Kind war, mit uns nach Kentucky, wo er mit Daniel Boon die ersten Ansiedlungen gründete. Ich war kaum stark genug, die Büchse zu tragen, als ich schon mit gegen die Indianer kämpfen mußte, die uns damals Tag und Nacht beunruhigten. Lange trotzten wir all' ihrer Hinterlist und Uebermacht, einmal aber doch, in einer unglückseligen Nacht, hatten sie meinen Vater von unserer Wohnung abgeschnitten, überfallen und erschlagen. Mit Tagesanbruch weckte uns ihr Schlachtgeschrei und das Prasseln der Flammen, die unsere Blockhütte zerstörten. Alle die Meinigen fielen unter dem Tomahawk der rothen Teufel, und nur wie durch ein Wunder entging ich ihren Blickenund dadurch dem Scalpirmesser. Ich floh und erreichte die nächste Ansiedlung. Von da an aber trieben wir kämpfend die Wilden aus ihren Schlupfwinkeln und zwangen sie, uns in Frieden zu lassen. [] Es ist in jenen Zeiten viel Blut – viel unschuldiges Blut vergossen, und ich weiß noch nicht, ob die weißen Männer damals ein Recht hatten, so hart und grausam von Anfang an gegen die Eingeborenen aufzutreten. Freilich rächten sich die Wilden dann auch wieder auf eine entsetzliche Art.

Später zog ich zu meinem Onkel nach Missouri, wo wir mehrere Jahre lebten und dann von dem herrlichen Lande und dem gesunden Klima am Fourche la fave hörten – wir beschlossen hierher auszuwandern. Onkel hatte mich nun immer angetrieben zu heirathen, denn die Junggesellenwirthschaft, die wir führten, war wohl Beiden schon zur Last geworden, nie aber fand ich ein Wesen, das dem Begriff entsprach, die ich von meinem künftigen Weibe gebildet hatte. – Ich konnte mich nicht entschließen, eine Frau zu nehmen, ohne daß ich mich von meinem Herzen zu ihr hingezogen fühlte – ach, ich ahnte wohl die Liebe, aber ich kannte sie noch nicht. Da ritt ich eines Abends spät – es war noch in Missouri – durch eine Gegend, die mein Fuß früher nicht betreten hatte, Wolken verhüllten den Himmel, ich verlor meine Richtung und kam an eine Hütte, von der aus ich zwar meinen Weg wiederfand, meine Ruhe aber und meinen Frieden auf ewig verlor –

Ich sah ein Mädchen in dieser Hütte – ich sah – doch wozu einen Engel schildern, den ich nur finden mußte, um die Gewißheit zu bekommen, daß ich ihn nie besitzen könnte. – Jenes Mädchen, Miß Roberts, war verlobt. Ich blieb nachdem nur noch wenige Tage in Missouri und ging nach Texas – ging nach Arkansas; daher mag denn wohl mein oft verstörtes Wesen kommen, was Sie, mein Fräulein, freundlich entschuldigen müssen. Es thut weh, wenn man einmal sein Glück gefunden zu haben glaubt, und sieht es dann in Schaum und Nebelbilder zerrinnen; ach und doch war es ein so schöner Traum!«

Marion hatte den Köpfchen gesenkt, und heiße Thränen quollen unter den langen seidenen Wimpern vor, aber Brown sah sie nicht, denn neben ihnen, im dichten Gebüsch von Sumach und Sassafras, rauschte und rasselte es, ein [] leiser Tritt war im dürren Moose gehört, und in demselben Augenblick, als der junge Mann, eine mögliche Gefahr befürchtend, still stand und mit der Hand nach der Waffe fuhr, öffneten sich die dichten Zweige gerade vor ihnen, und ein gewaltiger Panther trat in den Weg und schaute, keineswegs ängstlich, sondern eher wild und frech zu den beiden Menschen empor, die es gewagt hatten, seine Einsamkeit zu stören. Mit einem leisen Schrei warf sich das zum Tod erschreckte Mädchen in die Arme Brown's, der es mit seiner Linken umfaßte, während die Rechte das Terzerol aus der Tasche zog, das er schon einmal heut' auf den wilden Kentuckier gerichtet hatte.

Der Panther schwang indessen den langen Schweif halb zornig, halb spielend in der Luft und schlug sich die Flanken damit, als ob er noch unschlüssig sei, was er thun solle – angreifen oder den Platz verlassen. Brown zielte ruhig auf den Kopf des Thieres, das sich eben, fast wie zum Sprung, niederbog, und drückte ab. Durch das Zittern des schönen Mädchens aber, das er in seinem Arm hielt, vielleicht selbst durch die süße Last zu aufgeregte, verfehlte er den Kopf, und die Kugel fuhr über der rechten Schulter der Bestie in die Weichen. Hochauf sprang diese in peinlichem Schmerz, dann aber, als ob die unverhoffte Kugel jede weitere Kampflust vernichtet hätte, stieß es einen scharfen, gellenden Schrei aus und floh mit mächtigen Sätzen in das Dickicht.

»Die Gefahr ist vorüber, Miß Marion – wenn uns überhaupt eine Gefahr gedroht – das Thier ist entflohen,« sagte Brown leise, indem er die an seiner Brust ruhende bebende Gestalt sanft zu heben versuchte, »mein Schuß hat es verscheucht – Marion – was ist Ihnen – Marion, fassen Sie sich – um Gottes willen – Marion!« Die lang' verhaltenen Gefühle brachen sich aber jetzt mit Gewalt Bahn aus dem bis zu diesem Augenblicke fest verwahrten Herzen. Schluchzend lehnte sie an der Schulter des Geliebten und flüsterte leise, aber in tiefem, bitterem Schmerz:

»Oh, ich bin recht – recht unglücklich!«

»Marion – Sie tödten sich und mich!« rief, von [] wildestem Seelenschmerz erfüllt, der junge Mann; »oh, daß die glücklichste Stunde meines Lebens auch die sein muß, die mich mein ganzes Elend mit einem Blick überschauen läßt! Ja, Marion, ich liebe Dich, liebe Dich mit all' der Gluth eines Herzens, das auf Erden weiter kein Glück kennt, als Dich zu besitzen, das nur in Dir den Stern sieht, der seine künftige Lebensbahn erleuchten könnte, und nun verzweifelnd dem letzten hellen Schein nachblickt, als er auf ewig am Horizonte seines Glückshimmels verschwindet, um ihm nie wieder zu erstehen.

Es ist Zeit, daß wir scheiden,« fuhr er mit leiser, unterdrückter Stimme fort – »ich darf nicht hier bleiben; meine Gegenwart würde nur Unheil stiften, nur Dich und mich elend machen. Morgen schon verlasse ich Arkansas, und im wilden Schlachtenlärm will ich versuchen, das Andenken an Dich zu betäuben. – Vergessen, Marion – vergessen kann ich Dich nie!« –

Schluchzend lehnte das schöne Mädchen an seiner Brust, und lange hielten sich die Liebenden schweigend umfaßt. Brown führte sie endlich wieder auf denselben Stamm, auf dem sie vorher gesessen hatten, und im tiefsten Schmerz barg Marion das Engelsantlitz in ihren Händen.

»Liebst Du den Mann, dem Du Dich zugesagt?« frug Brown jetzt leise, indem er ihre Hand ergriff und fanst zu sich herüberzog – »hast Du ihn je geliebt?«

»Nie – nie!« beteuerte Marion, die freie Hand auf das Herz pressend – »ich hatte keinen Willen, kannte Niemand, dem ich freundlicher gesinnt gewesen wäre, als ihm, weil meine Mutter mit wahrer Verehrung an ihm hing, und alle anderen Leute sagten, daß er ein braver, guter Mann sei. Ich glaubte, es wäre Liebe, was ich für ihn empfand. Da kamen Sie, da sah ich Sie, sah Ihr freies, offenes Benehmen, lernte Ihr redliches, treues Herz kennen und – wurde elend. In Trauerbildern stieg meine Zukunft vor mir empor, ein Leben endlosen Jammers breitete sich an der Seite des Mannes vor mir aus, den ich nun nicht mehr lieben konnte, hätte er sich auch nicht heute so feig und unmännlich benommen; [] ein dunkler Nebel umhüllte alle meine Träume von Glück und Zufriedenheit, und mit Ihnen – nimmt das lichte Leben von mir Abschied. – Aber es muß Abschied nehmen,« fuhr sie, sich sich eehebend, fort – »selbst unser Zusammensein hier ist Sünde. – Ich bin dem fremden Manne verlobt – bin seine Braut – lassen Sie also dies das letzte Mal sein, daß wir uns sehen – es ist besser für uns Beide. – Schonen Sie meiner, ich bin ja nur ein schwaches Weib und müßte dem Schmerz unterliegen.«

»Sie haben Recht, Marion – wir müssen scheiden, ich bin das Ihrem Herzen, Ihrer Ehre schuldig. Ich will Sie nur noch zurückgeleiten zu den Ihrigen, dann kreuze ich Ihren Pfad nie mehr. – Aber ein Angedenken an diese Stunde lassen Sie mich mit mir nehmen in meine trübe, freudlose Zukunft, gönnen Sie mir eine Locke Ihres Haares, daß das Auge einen Halt hat, an dem es hängen kann, wenn das Herz für Sie und Ihr Wohl Gebete zum Lenker unserer Schicksale hinaufsendet.«

Marion bog das liebe Haupt zu ihm hinüber, und leicht trennte er mit dem scharfen Jagdmesser eine kleine Locke von ihrer Stirn.

»Dank, mein Mädchen,« flüsterte er dann, »Dank, heißen Dank, und möge Dich Rowson so glücklich machen, als Du es verdienst, und wenn Du zu Deinem Gott flehst, so denke auch manchmal des armen Streifschützen, der dann vielleicht schon das Land der Freiheit, das jugendliche Texas, mit seinem warmen Herzblut getränkt hat. Lebe wohl und Gott schütze Dich!«

Er umschlang im heftigen Schmerz die Geliebte, und ihre Lippen begegneten sich zum ersten Mal im langen, Abschiedskuß; dann riß sich Marion aus seinem Arm. Harper und Roberts begegneten ihnen gleich darauf; sie hatten den Schuß gehört und gefürchtet, es könne ihnen etwas begegnet sein. Roberts nahm jetzt seiner Tochter Arm, und Harper und Brown folgten ihnen in geringer Entfernung.

»Onkel,« sagte Brown, nachdem sie eine Weile schweigend [] neben einander hingeschritten waren, »Onkel – ich reise morgen früh!«

»Unsinn!« rief Harper und blieb, seinem Neffen in's Auge sehend, erschreckt stehen. »Unsinn!« sagte er dann noch einmal, aber mit ungewisser, nur noch halb zweifelnder Stimme – »und wohin willst Du?«

»Nach Texas.«

»Willst Deinen alten Onkel hier allein auf dem Trocknen sitzen lassen? ist das recht?«

»Ich muß fort, Onkel!«

»Du mußt? und wer zwingt Dich?« Brown schwieg und wandte sein Gesicht ab, drückte aber krampfhaft des alten Mannes Hand.

»Und da soll ich wirklich hier zurückbleiben, trübselig und einsam in meiner Hütte? Bill, das ist hart – das ist nicht halb recht von Dir. Ich werde Dich enterben, Bill!« fuhr er nach einigen Secunden wehmüthig lächelnd fort – »ich enterbe Dich wahrhaftig!«

Brown ergriff seine Hand und schaute ihm mit von Thränen verdunkelten Blicken in's Auge. – Der alte Mann war arm, und Alles, was Beide jetzt an Land, Vieh und Geld vereint besaßen, gehörte eigentlich dem Neffen an.

»Haben Sie keine Angst, Onkel – Ihr Alter ist gesichert; Sie wissen ja, daß ich vor acht Tagen einen Brief von meinem Advocaten aus Cincinnati erhielt. – Mein Proceß ist gewonnen, und die Auszahlung der Gelder kann nicht mehr lange dauern; heute Abend noch schreibe ich an Wolfey und gebe ihm den Auftrag, Alles an Ihre Adresse zu befördern. – Sie werden es dann verwalten, bis ich zurückkehre, und – kehr' ich nicht zurück – nun – doch darüber sprechen wir noch. Ich will morgen früh an den Petite-Jeanne und von da nach Morrisons Bluff am Arkansas hinüber, wo ich Geschäfte zu besorgen habe. In acht Tagen komm' ich dann auf meinem Wege nach Texas noch einmal an Ihrem Hause vorbei. Unter der Zeit erhandeln Sie den Fuchs für mich von Mr. Roberts.« –

»Hallo da!« rief Roberts jetzt vom Hause aus, das er [] mit seiner Tochter indessen erreicht hatte – »hallo da! – Ihr geht ja, als ob Ihr Blei an den Sohlen hättet – kommt, Brown – das Abendessen ist fertig.«

»Und Du willst wirklich fort?«

»In diesem Augenblicke brech' ich auf – ich muß noch den Brief schreiben und Kugeln gießen, auch etwas Brot backen, um einige Provisionen mitnehmen zu können.«

»Und kommst Du aber auch gewiß in acht Tagen wieder hier vorbei?«

»Hier meine Hand darauf – ich muß ja auch das Pferd abholen; bis dahin – leben Sie wohl, Onkel, in acht Tagen bin ich sicher wieder da. – Sagen Sie aber Roberts nichts davon, daß Sie mich zurück erwarten – ich – ich könnte dann keine Zeit haben, ihn zu besuchen, und er möchte das übel nehmen.«

»Heda, Brown! – Was will denn Brown im Stalle, Harper?« fragte Roberts, als dieser allein zum Hause kam, »das Essen wird kalt – meine Alte hat schon gebrummt.«

»Er will fort,« meinte Harper traurig, »weiß der liebe Gott, was ihm in den Schädel gefahren ist.«

»Fort? Heut abend?« riefen Mr. und Mrs. Roberts – »aber weshalb denn?«

»Er hat Geschäfte morgen am Petite-Jeanne und muß erst noch vorher nach Hause. Da würd' es zu spät werden, wenn er heute Nacht hier bliebe.«

»Sonderbar, daß ihm das so auf einmal eingefallen ist,« sagte Mrs. Roberts – »heute Nachmittag war er doch ganz damit einverstanden, den Abend hier zuzubringen.«

»Er hat mit mir schon unterwegs davon geredet,« sagte Marion, während sie sich abwandte, ihr Bonnet abzulegen, »und daß es ihm leid sei, nicht bei uns bleiben zu können. Er muß wohl dringende Geschäfte haben.«

»Ja, und ich will ihn lieber begleiten,« warf Harper ein, »wir haben keine Köchin weiter zu Hause, als mich, und da muß ich doch für Proviant sorgen. – Es könnte sein, daß er einige Tage wegbleibt.«

»Aber, Mr. Harper!« rief Mrs. Roberts halb beleidigt [] – »ich begreife Sie Beide gar nicht – das Abendbrot ist angerichtet. – So essen Sie nur wenigstens erst einen Bissen!«

»Danke schön, Mrs. Roberts – danke schön – morgen früh, wenn Sie nichts dagegen haben, lad' ich mich zum Frühstück ein, denn die Jagd mach' ich mit, Roberts. – Jim, bring mir mein Pferd auch – aber schnell,« unterbrach er sich dabei, während er einem kleinen Neger den Befehl gab. »Also um sechs Uhr bin ich hier – soll ich den Indianer mitbringen?«

»Der kann uns beim Aufsuchen der Schweine von wesentlichem Nutzen sein,« meinte Roberts.

»Aber, Mr. Harper – nur eine Tasse Kaffee, ehe Sie gehen. – Sie haben doch nichts Warmes, wenn Sie nach Hause kommen.«

»Das ist eine unbestrittene Wahrheit, Mrs. Roberts,« erwiderte der alte Mann, während er zum Tische trat und die dargebotene Schale heißen Kaffees leerte, »leider wahr – 's ist ein elendes Leben, so eine Junggesellenwirthschaft – ich denke, ich heirathe!«

»Hahaha!« lachte Roberts, »das ist ein gescheidter Einfall. Reitet hier in der Nachbarschaft herum und macht den Mädchen den Hof. Dazu müßt Ihr aber den neuen hellblauen Frack anziehen, den Euch der Schneider in Little Rock gemacht hat, wie? Ihr habt mir noch nicht einmal gesagt, was er kostet. Ja, die Schneider sind merkwürdig theuer in Little Rock. Neulich, wie ich unten war –«

»Gute Nacht, Mr. Roberts – gute Nacht, Ladies!« rief Brown's vor dem Hause, wo er mit dem Pferd hielt.

»Aber, Mr. Brown – so kommen Sie wenigstens einen Augenblick herein und trinken Sie eine Tasse Kaffee – Ihr Onkel –«

»Danke herzlich, Madame – habe gar keinen Durst – gute Nacht nochmals zu Allen!«

»Halt da, Bursche – ich komme mit,« rief Harper.

»Sie, Onkel?«

[] »Ja wohl – da ist schon das Pferd. – Nun also morgen früh, und, Roberts, nehmt nicht etwa wieder die kleingebohrte Büchse mit, gießt lieber heut Abend Kugeln zu der andern – 's ist elendes Schießen mit einem so erbärmlichen kleinen Blei – gute Nacht zu Allen denn,« fuhr er fort, als er aufstieg und sich im Sattel zurechtsetzte – »gute Nacht!«

Mr. und Mrs. Roberts standen in der Thür – hinter ihnen Marion.

»Gute Nacht!« rief Brown noch einmal und schwenkte den Hut – noch einmal sah er die Gestalt der Geliebten – er wußte, ihr Auge ruhte auf ihm; zum letzten Mal rief er den Gruß hinüber und stieß dann dem treuen Thier den Hacken so wild in die Seite, daß dieses mit jähem Seitensprung in die Höhe fuhr und in wenigen tollen Sätzen aus dem Lichtkreise verschwand, der aus der offenen Thür des Hauses strömte.

»Halt da!« rief Harper dem Neffen zu – »bist Du toll – willst Du Hals und Beine brechen? – Hübsch langsam, wenn ich Schritt halten soll – toller Bursche, das – wahnsinniger Bursche, das –« und noch lange hörten sie den alten Mann schimpfen und raisonieren, wie er sein Pferd antrieb, um das uurch den Sporn erschreckte, unruhig tanzende Thier seines Neffen wieder einzuholen.

»Wunderbar!« sagte Mrs. Roberts, als sie sich zum Abendessen mit ihrem Mann und ihrer Tochter niedersetzte – »wunderbar! – das war doch ein ganz absonderliches Betragen von den Beiden – hätten den heiligen Sabbath auf eine würdigere Weise beschließen können, als heim zu reiten und –«

»Thorheit, Alte!« unterbrach sie Roberts – »dem Jungen, dem Brown, geht die Geschichte mit dem Lump, dem Heathcott, noch im Kopf herum; kann's ihm nicht verdenken. Der Bube drohte sehr unzweideutig, ihn über den Haufen zu schießen, wo er ihn finden würde, und er ist schlecht genug dazu, in dieser Hinsicht sein Wort zu halten.«

[] »Glauben Sie wirklich, Vater?« – frug Marion leichenblaß werdend.

»Nun, der Junge wird schon seinen Mann stehen,« fuhr der Alte fort – »ein tüchtiger, braver Bursche ist's – hat das Herz auf dem rechten Flecke. Seit der Zeit, wo er mit seinem Onkel herkam – das sind nun jetzt etwa sechs Wochen; nicht wahr? Ich dächte, ich hätte damals gerade das neue Stück Land eingefenzt, wo uns noch das eine Stück wieder abbrannte. Ja, die Tagelöhner soll der Henker holen, und wenn es aus einem fremden Säckel geht –«

»Trinkst Du noch eine Tasse Kaffee, Roberts?« frug sein Weib.

»Nein, danke schön.«

»Nun, dann wollen wir unser Abendgebet halten,« sagte die Matrone und holte vom kleinen Gesims die sorgsam aufbewahrte heilige Schrift herunter.

Oh, mit welcher Andacht betete an diesem Abend das arme unglückliche Mädchen; wie heiß erflehte sie von dem Allerbarmer Glück und Ruhe für den Geliebten! Und als sie endlich ihr Lager suchte, netzte sie mit unzähligen Thränen das schneeweiße Kissen und schlief, wie ein vom Weinen ermüdetes Kind, mit gefalteten Händen und den Namen des theuern Mannes auf den Lippen, ein.

[] 6.
Die Bärenhetze. – Der sonderbare Fund. – Des Indianers Scharfsinn.

Der nächste Morgen brach klar und hell herein. Im Osten stahl sich der erste lichte Schein über die Berge; der Whip-poor-will schrie noch seine wehmüthig monotone Weise – die [] Eulen riefen aus dem dichten Oberholz der Niederungen, und hier und da antwortete ihnen das erboste Kollern eines balzenden Truthahns. In den Büschen wurden die kleineren Singvögel munter, und weit im Walde drinnen krähte auf einem einsam liegenden Farmhof ein wackerer Haushahn sein gellendes Morgenlied in die frische, erquickende Morgenluft hinaus. Thau war reichlich gefallen, an jedem Grashalm hing eine Reihe klarer Krystalle, und von den Zweigen fielen die großen hellen Tropfen tönend auf das feuchte Laub nieder. Dabei dufteten Blumen und Blüthen so wonning erquickende Wohlgerüche aus, daß die Brust sich freier hob und mit Entzücken den balsamischen Wohlgeruch einsog.

Zwei Reiter ritten langsam auf der Countystraße hin. – Es waren Harper und Brown, Beide heute in der Tracht der westlichen Jäger: ledernes Jagdhemd, Leggins und Moccasins, gekleidet mit Büchsen auf den Schultern und ihre breiten Jagdmesser an der Seite. Brown hatte seinem Onkel Alles gestanden; es würde ihm das Herz abgedrückt haben, hätte er es dem väterlichen Freunde verschweigen sollen, und ohne ein Wort zu wechseln, waren Beide, Jeder mit seinen eigenen ernsten Gedanken beschäftigt, bis nahe zu der Salzlecke gekommen, wo Harper am vorigen Tage den Hirsch fing. Von dort aus zog sich ein kleiner Seitenpfad rechts über den Gebirgsrücken nach dem Zypressenfluß und dem Petite-Jeanne hinüber, und Brown hielt hier, um von seinem Onkel Abschied zu nehmen.

»Nun lebe wohl, mein Junge!« sagte dieser endlich, nachdem sie sich die Hände herzlich geschüttelt hatten, »besorg' Deine Geschäfte und kehre dann mit heiterem Sinn zurück. Du wirst das Mädchen schon vergessen lernen. – Nun ja, ich glaub' Dir's, es wird schwer halten, aber, Du lieber Gott, man vergißt ja so Vieles. Ich könnte Dir darüber auch eine recht traurige Geschichte erzählen, doch sind wir Beide schon verstimmt genug ohne ein zweites Jammerlied. Ich besorge Dir indessen hier alles das, was Du besorgt haben willst: den Fuchs werde ich kaufen, die Decken will ich Dir übermorgen selbst von Little Rock holen, oder doch durch sichere Hand beschaffen lassen, die Kugeltasche sollst Du auch bekommen, [] und Alapaha muß bis dahin die Felle zum neuen Jagd hemd fertig gegerbt haben. Es hat ja bis jetzt auch nur an Hirschgehirn gefehlt, sie fertig zu machen, und vier Hirsche werden wir doch wohl noch zusammenschießen. – Also – behüte Dich Gott, mein Junge – komm bald wieder und hab' wohl Acht auf Dich, und kommst Du den Regulatoren in den Weg – die Kerle sind dahinauf geritten – so fange keinen neuen Streit mit ihnen an. – Es nutzt nichts, und Du hast keine Ehre davon.«

»Haben Sie keine Angst, Onkel – der Bursche geht mir schon aus dem Wege, und drängt er sich mir wirklich entgegen, nun so werde ich mir sicherlich Raum zu verschaffen wissen. Doch jetzt ade – sollte in meiner Abwesenheit das Geld von Cincinnati kommen, wohl – Sie wissen, was Sie damit zu thun haben – ade. – In acht Tagen bin ich wieder da und – nicht wahr? einen Gruß bestellen Sie noch an Marion – den letzten Abschiedsgruß – dann will ich mich daran gewöhnen, sie zu vergessen. Good bye, Onkel, wenn wir uns wiedersehen, hoff' ich, daß wir Beide die alte fröhliche Laune wiedergewonnen haben.«

Die Männer schieden, und Harper hielt noch so lange auf der Straße, bis die schlanke Gestalt seines Neffen, auf dem kleinen rauhhaarigen Pony, hinter dem scharfkantigen Bergrücken verschwunden war. Dann verfolgte er, bedeutend mit dem Kopfe schüttelnd, seinen Weg wieder, pfiff aber auf eine entsetzlich scharfe und gellende Weise ein altes Lied, ohne dabei eine Idee von Takt oder Tonart zu beachten. Nur seine Gesichtsmuskeln arbeiteten gewaltig, und es war augenscheinlich, daß der arme alte Mann den Schmerz über das Unglück und der Verlust seines Nessen verbeißen wollte. Bald darauf erreichte er Roberts' Haus wieder.

Hier herrschte jedoch ein regeres Leben; noch zwei Jäger aus der Nachbarschaft waren eingetroffen, und Harper wurde mit einem lauten Hallo begrüßt. Die Männer jubelten, die Hunde heulten, die Gänse und Enten schnatterten, und es war ein Spectakel, daß der alte Haushahn erschrocken auf [] das Dach flatterte und, höchst verwundert den Kopf wendend, auf die Lärmenden niederblickte.

Das Frühstück stand bereit – heißer Kaffee mit guter Sahne und braunem Zucker, gebratener Speck und Bärenrippen – etwas Hirschfleisch, saure Gurken, Honig und Butter. Die Männer ließen sich auch nicht lange nöthigen, und bald verriethen die geleerten Schüsseln, wie gut es ihnen geschmeckt hatte. Jeder hing dann seine Kugeltasche um, nahm die Büchse und bestieg sein vor der Thür harrende, oder vom Neger gehaltene Pferd; Harper nur trat noch, ehe er den Uebrigen folgte, zu Marion hin, die sinnend am Kamin saß, und drückte schweigend ihre Hand. Das Jungfrau blickte erschrocken zu ihm auf, als sie aber seinem Blick begegnete, las sie in diesem den Abschiedsgruß des Geliebten, und tief aufseufzend barg sie das Antlitz in der linken Hand. In der nächsten Minute waren die Jäger beritten. Der Ton des an Roberts' Seite hängenden kleinen Hornes brachte die Hunde alle zur Stelle, die heulend und winselnd an den Pferden emporsprangen, und fort ging's mit dem fröhlichen Jagdgeschrei, hinein in den grünen blühenden, den wunderherrlichen Wald.

Harper's Trauer schwand jedoch in dem Augenblick, wo sein Pferd den dunklen Schatten der Bäume betrat; er war nur noch Jäger, und ein Jäger in Arkansas hat nicht Zeit für Sorge, Noth und Kummer. Wenn ihn die grüne Waldesheimath umfängt; wenn das Roß selbst, das ihn trägt, wiehernd wie in toller, freudiger Lust freiwillig über Bäche und umliegende Stämme hinwegsetzt; wenn die Hunde in wilder Hast nach der warmen Fährte des Bären oder Panther zu suchen anfangen, spielend manchmal hinter einem aufgescheuchten flatternden Volk Truthühner hersetzen, oder heulend mit sträubendem Haar neben den Spuren des Wolfes stehen bleiben; wenn der Thau von den duftenden Büschen die heiße Wange netzt; wenn endlich die Meute mit wildem Gebell dem aufgescheuchten Wilde folgt und, ihr nach, die Jagd in wildem Toben rast: wer denkt da noch an Schmerz oder Gram, wen drücken da noch quälende Sorgen? »Vorwärts!« heißt sein einziges Gefühl – »vorwärts!« ist der alleinzige Gedanke, [] dessen er sich bewußt ist. – Ach, es ist ein wonniges Leben im freien, grünen Walde!

Die Jäger schlugen sich rechts über den Bergrücken, der die Wasser des Fourche la fave von denen der Cypres trennt, ritten in diesem kleinen Flüßchen bis zu seiner Quelle stromaufwärts und folgten dann dem Bergrücken, den Petite-Jeanne hinauf, bis sie auch zu diesem niederstiegen und jetzt die Niederung, das breite, fruchtbare Thal dieses Flusses betranen.

»Wo nur der Indianer stecken mag, Harper?« frug Roberts endlich – »wie Ihr sagtet, wollte er uns doch am Petite-Jeanne treffen?«

»Weiß der liebe Gott, wo sich der Bursche herumtreibt. Na, unsere Fährten sind breit genug, denen kann er folgen – aber, Curtis – was hat Eddy dort? Seht einmal, wie sie mit dem Schwanze wedelt. – Wenn nur Poppy hier wäre – die verwünschten Köter treiben sich auf der falschen Fährte umher.«

Roberts sprang bei diesen Worten vom Pferd und eilte zu dem Platz, wo Eddy, ein junge Hündin, augenscheinlich mit der sehr interessanten Besichtigung einer noch frischen Fährte beschäftigt war. Ein Bär hatte an diesem Morgen seinen Weg hier vorbei nach dem etwa zwei Meilen entfernten Flusse zu genommen und mochte an dieser Stelle wahrscheinlich eine kurze Zeit gesessen haben, denn der Hund ließ sich gar nicht wieder von der Stelle fortbringen.

»Pest und Donner!« rief Curtis, der jetzt ebenfalls vom Pferde gestiegen war, »das muß ein derber Bursche sein, und scheint auch gar nicht so leicht – seht nur, wie er die Ballen eingepreßt hat. Und hier – das hier ist gar keine Bärenfährte – da ist ein Mann gegangen – vielleicht der Indianer – und da noch einer; Assowaum konnte das nicht sein. Wo zum Henker stecken nur die Hunde? Der Bär ist schwerlich schon über den Fluß gegangen – blast einmal das Horn, Roberts.«

Dieser blies ein paar laute, schrille Töne auf dem einfachen Instrumente, und nicht lange währte es, bis er ein [] Keuchen in den Büschen, zu gleicher Zeit ein Rascheln hörte, und gleich darauf sprang das »Poppy«, wie es der alte Jäger nannte, auf den kleinen freien Platz, an dessen Rande die Männer hielten. Ihm folgten bald die übrigen Hunde, denn Poppy war der Leiter der Meute, und winselnd fuhren sie auf dem Platze umher, wo sie die Spuren ihres Feindes witterten. Da kam ein junger Brake auf die warme Spur, stieß ein scharfes Geheul aus und schoß wie ein Pfeil auf der »Rückfährte« in den Wald hinein, den Hügeln zu; Poppy, zum ersten Male seit langen Jahren irre geleitet, ließ sich anführen, spürte ebenfalls die warmen Zeichen und flog dem jüngeren Hunde nach. Die anderen waren natürlich jetzt nicht zu halten, und mit wildem Toben verschwanden sie bald in dem Dickicht, das sich mehrere hundert Schritt breit am Fuße der Hügel hinzog.

Vergebens schrie Roberts und stieß abwechselnd in sein Horn, daß es ihm die Halsadern zu zersprengen drohte; vergebens vereinigten die anderen Jäger ihr Geschrei mit dem seinigen, die Meute hörte es nicht.

»Giftpilze und Klapperschlangen,« rief der alte Roberts jetzt wüthend, indem er seine Jagdmütze mit wildem Ingrimm auf die Erde schleuderte, »hol' der Teufel die Canaillen, rennen sie auf der Rückfährte fort – nein, so 'was ist noch gar nicht dagewesen. Nun können wir uns mit unserer Jagd abmalen lassen!«

»Was den verrückten Hunden nur einfiel?« brummte Curtis.

»Das rothe Vieh war dran schuld,« sagte der andere Jäger, ein Krämer aus den östlichen Staaten, der gerade bei Curtis angekommen war und gern einmal eine ordentliche Jagd in Arkansas mitmachen wollte – »das rothe Vieh kratzte zuerst wieder nach den Bergen zu aus.«

»Das rothe Vieh!« rief Roberts in höchsten Unmuth, »war Curtis' Hund – die Canaille hat nicht mehr Begriff von einer Bärenfährte, wie ein Schaf von Cherokesischen. – Curtis – wenn der Hund mein wäre, schöss' ich ihn, weiß es Gott, über den Haufen.«

[] »Na, ich wünschte mir weiter nichts, als daß Mrs. Roberts und Mr. Rowson Euer Beten hier mit anhörten!« lachte Harper.

»Mr. Rowson soll sich um seine eigenen Geschäfte kümmern, ich würde mich auch nicht besonders geniren, wenn er da wäre –«

»Auch nicht vor Mrs. Roberts?«

»Die kommt nicht an den Petite-Jeanne-Sumpf. – Es ist aber wahr, jetzt stehen wir hier wie ein Bär im Pflaumengarten und wissen nicht, nach welcher Seite wir zuerst hinsollen. Daß die Hunde nicht vor drei, vier Stunden wiederkommen, darauf könnt Ihr Euch verlassen, und nachher sind sie müde wie – wie die Hunde.«

»Euer Poppy war aber doch auch dumm genug, zu folgen,« rief Curtis, selber ärgerlich.

»Nun ja – weil eine solche Bestie vornweg Bahn bricht und einen Spectakel macht, als ob sie Gott weiß was gefunden hätte! Na, freu' dich, Poppy – die Schläge!«

»Bst!« rief Harper plötzlich, indem er seinen linken Arm schnell vorstreckte und die rechte Hand, während er die Büchse vor sich auf den Sattelknopf legte, trichterförmig an das Ohr hielt. – »Bst – ich hörte etwas, das nicht wie Hundebellen tönte – ha – da noch einmal – das ist Assowaum, und jetzt wollt' ich meinen Hals darauf verwetten, er hat die Canaillen umgedreht. – Blast, Roberts – blast – er weiß noch nicht recht, wo wir eigentlich sind.«

Roberts ließ wiederum sein Horn schallen, und deutlich wurde der Ton jetzt durch einen langgezogenen Schrei beantwortet, der von dem nicht fernen Bergrücken herunter zu kommen schien.

»Hurrah – das war Assowaum's Stimme, und wenn der den Hunden begegnet ist, so bringt er sie auch wieder mit zurück – Poppy kennt ihn zu gut.«

Harper hatte Recht gehabt, nach einer kurzen Viertelstunde erschien der Indianer und vor ihm her, immer noch suchend, die Meute; Poppy brachte er jedoch an einem dünnen Lasso aus gedrehtem Lederriemen geführt.

[] »Hallo, Rothhaut, wo hast Du die Hunde gefunden?« rief ihm Roberts freudig entgegen.

»Ueber den Berg kam ein großer Bär,« sagte der Indianer – »tiefe Fährten und nicht hungrig; keinen Stein hat er unterwegs aufgehoben, um nach Würmern zu sehen, kein faules Holz umgedreht oder zerkratzt; seine Spur führte gerade dem Fluß zu. Im Rohrdickicht dort ist ein ruhiges Lager und nicht viel Mosquitos. Assowaum kennt die Stelle.«

»Aber wie kamst Du zu den Hunden?«

»Wenn Assowaum die Fährte eines Bären findet, so weiß er auch, auf welcher Seite er die Nase trägt; Poppy begegnete mir, und als er an mir heraufsprang, hielt ich ihn fest; wenn die Bienen schwärmen, so folgen sie immer einer, der größten, der gescheidtesten – so machen's die Hunde, wenn der Führer die Fährte verläßt, halten sie auch die anderen nicht lange mehr warm. Assowaum hat manches Stück Hirschfleisch in der Hütte – sie kennen ihn – Wah! –« und er breitete seinen Arm aus und zeigte ringsherum auf die Meute, die sich jetzt, einige junge Thiere ausgenommen, um die Jäger versammelt hatte.

»Capitaler Bursche, der Assowaum,« sagte Harper, sich vergnügt die Hände reibend, »capitaler Bursche. Jetzt die Köter auf die rechte Fährte gebracht, und wie ein Blitz –«

»Laufen sie wieder nach den Bergen zurück,« – sagte Assowaum; »nein – ich führe Poppy – die anderen folgen – haben wir sie erst im Gange, nachher verlassen sie die rechte Richtung nicht mehr.«

Der Rath des Indianers wurde augenblicklich angenommen, und schon nach wenigen Schritten schien Poppy wollkommen begriffen zu haben, daß er vor kurzer Zeit einen sehr dummen Streich gemacht, denn er ließ den Schwanz hängen und schaute trübselig zu seinem Führer empor. Dieser traute ihm jedoch noch immer nicht, bis er ihm wohl zweihundert Schritt auf der Fährte gefolgt war und nun sah, daß er ihn kaum mehr an der Schnur halten konnte. Da ließ er ihn los, und von seinem wilden Jagdschrei, der gellend durch den Wald hin schallte, angefeuert, fuhr das große, schöne Thier mit Winseln [] und Heulen der Spur nach und verschwand bald, von der laut klaffenden Meute gefolgt, im Dickicht.

»Jetzt heißt's auf den Pferden sitzen geblieben,« rief der alte Roberts, der in diesem Augenblick um zwanzig Jahre verjüngt schien, »hussa! Poppy ahuh – pih!« Und er stieß die letzte Silbe mit solcher Kraft hervor, daß selbst die Pferde, von der Jagdlust angesteckt, hoch aufsprangen und dem Rufe Folge leisteten.

Durch Dickicht und Sumpf, über Bäume und Lachen hinweg, in Stellen hinein, wo der ganze Wald nur durch ein einziges Gewebe von dorningen Schlingpflanzen verbunden schien, bis an das Rohrdickicht, das den Fluß in etwa dreihundert Schritt Weite umgab, ging die Jagd. Bis hierher hatten sich auch Alle ziemlich gut im Sattel gehalten, nur der Krämer ausgenommen, der gleich nach dem ersten Eintritt in die Greenbriars Greenbriars, eine dornige Schlingpflanze: das schlimmste Hinderniß in den nordamerikanischen Waldungen für den Jäger. von einem dieser oder einer Weinrebe abgestreifet war. Wenigstens rief sein klägliches Schreien die Jäger mit solcher herzzerreißenden Wehmuth zurück, daß Harper wirklich im ersten Augenblick seinem Pferd in die Zügel griff. Es war aber auch wirklich nur einen Augenblick, denn im nächsten Moment fühlte das treue Thier schon wieder den Hacken. Das wäre kein Arkansas-Jäger, der auf einer warmen Bärenfährte neben einem gestürzten Kameraden bliebe.

Am Rand des Rohrdickichts mußten jedoch auch die Anderen von den Pferden, und diese ihrem Schicksal überlassend, sprangen sie mit einem Satz aus dem Sattel und brachen sich durch das tolle Gewirr von Schlingpflanzen und Rohr, das an manchen Orten wirkliche Wände bildete und erst mit dem Messer durchhauen sein wollte, Bahn. Wohl hatten aber auch die Jäger Ursache, so schnell wie möglich vorzudringen, denn mitten im Dickicht und gar nicht mehr weit von ihnen entfernt, erhob sich jetzt der fürchterlichste Lärm, der sich nur in einem Rohrbruch denken läßt. Die Hunde heulten und [] bellten, das dürre Rohr krachte, das Laub raschelte, und die Männer schrieen, um die Kämpfenden noch mehr anzufeuern, daß man eben so gut hätte glauben können, ein Hurricane käme durch den Wald gebraust, oder der wilde Jäger gäbe mit seiner gespenstischen Meute im Urwald von Amerika Gastrollen.

Der Bär war gestellt, die Hunde hatten ihn im Lager überrascht, wo er sich wahrscheinlich erst vor kurzer Zeit niedergelassen, und so spät mußte er aufgestiegen sein, daß ihm die vordersten, Poppy und Eddy, schon dicht auf den Haken waren, ehe er sich vom ersten Schrecken erholen konnte.

Eddy war nur ein »Hound« Brake. und auf einer Fährte ausgezeichnet, beim wirklichen Kampf aber nicht viel werth, Poppy dagegen – eher etwas schwerfälliger gebaut – kannte keine größere Wonne, als einen Bären bei den Keulen zu nehmen, denn sehr vorsichtiger Weise machte er sich nahe den Vordertatzen desselben selten viel zu schaffen. Als sich Pätz daher mit wildem Sprunge, die Nase dicht am Boden, damit er unter all' den Schlinggewächsen wegschlüpfen konnte, empfehlen wollte, hatte ihn Poppy, ehe er sich's versah, am Fell und packte ihn so derb, daß er sich brummend wandte um den Zudringlichen mit kräftiger Klaue zurückzuweisen. Hierauf wartete Poppy aber keineswegs. Sobald er nur sah, daß der Bär hielt, war sein Zweck erreicht, denn mit Blitzesschnelle flog er zur Seite und entging dadurch dem gefährlichen Schlage; er wiederholte aber das Spiel von Neuem, sobald der Verfolgte ihm wieder die Kehrseite zuwandte. Lange hätte er ihn freilich nicht auf diese Art halten können, aber jetzt kamen auch die übrigen Hunde herbeigestürmt, und nun mußte Pätz ernstlich an Fersengeld denken, wollte er nicht die Hetze mit seinem Pelze bezahlen.

Er floh also dem nicht mehr sehr fernen Flusse zu, nach welcher Richtung hin das Dickicht auch am undurchdringlichsten war; doch immer wieder warf sich ihm die Meute entgegen, die ihn wie rasend umschwärmte, von der aber nur der kleinste [] Theil sich näher heranwagte. Endlich sah er sich genöthigt, einen offenen Theil des Waldes zu wählen und den Strom hinab eine seichte Slew Fließendes Sumpfwasser; in den Riederungen eine Art kleiner trüber Bäche. zu benutzen, deren etwas steile Ufer die Hunde verhinderten, ihm zu nahen. Im Fall eines Angriffs hätten sie ihm nicht ausweichen können. Hierdurch erwehrte er sich zwar eine Zeit lang der Zähne seiner Verfolger, die Jäger bekamen aber auch zugleich Gelegenheit, ihm den Weg abzuschneiden, da sie am Geheul der Meute augenblicklich merkten, wohin sich die Jagd wandte. Als der Bär daher, keineswegs in der besten Laune, eben wieder links abspringen wollte, um einen zweiten Versuch zu machen, zum Fluß zu kommen, brach Roberts dicht neben ihm aus dem Dickicht, legte an und feuerte. In demselben Augenblick krachte eine zweite Büchse, und Curtis' Kugel sauste nach der Bestie hinüber. Obgleich übrigens beide Kugeln saßen, so schienen sie doch wenig Wirkung auf den Bären zu haben, der nur einmal hoch aufsprang und ein schwaches Gestöhn, das fast wie ein Seufzer klang, ausstieß, dann aber mit gewaltigem Satz den Rand der Slew erreichte, hier den Rüden, der sich ihm entgegenwarf, mit einem Schlage seiner fürchterlichen Tatze zu Boden streckte und dem Flusse zu floh.

Roberts hatte unterdessen seine Zeit ebenfalls genutzt; mit einem Sprunge, der einem Panther Ehre ge macht haben würde, setzte er über die Slew und war mit seinem Messer dicht hinter der Bestie, als sie den Rand des Flusses erreichte. Hier krachte eine dritte Büchse, und in demselben Augenblick erreichte auch Roberts das tödlich verwundeten Thier und stieß ihm den breiten Stahl in die Flanke. In der Hitze des Nachsetzens hatte er aber den Ort nicht beobachtet, wo er sich befand. Der Bär fuhr noch mit letzter Kraftanstrengung, im Todeskampf in die Höhe, wehrte nicht einmal die beiden Hunden Poppy und Watch (Harper's Hund), die sich auf ihn warfen, sondern sprang die steile Uferbank hinab in den Fluß, und Bär, Roberts, Poppy und Watch verschwanden gleichzeitig [] in der über ihnen zusammenschlagenden, trüben Petite-Jeanne.

»Wah!« sagte Assowaum lachend, als er, sich mit der Linken an einem jungen Stamme festhaltend, über den Uferrand hinabschaute, »der weiße Mann hält merkwürdig fest.« Ehe jedoch einer der übrigen Jäger den Kampfplatz erreichen konnte, tauchten die Untergesunkenen wieder empor, und Roberts, keineswegs durch den freilich etwas unerwarteten Sprung außer Fassung gebracht, zog den jetzt verendeten Bären mit den beiden Hunden, die ihren Halt selbst unter dem Wasser nicht hatten fahren lassen, an's Ufer und nahm sich erst dann Zeit, zu der Stelle hinaufzusehen, von der er so urplötzlich, und keineswegs freiwillig, heruntergekommen war. Hier begegnete er dem Blick Harper's, der verwundert zu ihm hinabschaute und ausrief:

»Holla, Roberts, was zum Henker macht Ihr da unten mit der Bestie? wie sollen wir sie denn jetzt wieder heraufbekommen?«

»Ja, wenn ich selbst nur erst oben wäre,« erwiderte lachend der Gefragte – »herunter ging's' merkwürdig leicht, jetzt möcht' es aber seine Schwierigkeiten haben.«

»Warte!« rief Assowaum – »ich schaffe Rath.«

»Warten?« meinte Roberts mit komischer Wehmuth, »ich möchte wissen, was ich Anderes thun könnte, als warten; wer in so einer Falle drin sitzt, wie ich hier, hat gut warten.«

»Ist denn der Bär fett?« frug Harper.

»Ziemlich!« erwiderte Roberts, die Flanken des Thieres, das neben ihm noch halb im Wasser lag, befühlend, »wollt Ihr Euch nicht selbst überzeugen?«

»Danke schön,« lachte dieser, »ich glaube Euch auf's Wort, habe auch wirklich keine so gewaltige Eile.«

Assowaum hatte indessen einen kleine Hickory abgehauen, den er dort, wo er zuerst auszweigte, abhackte und nun den ganzen obern Theil von den Aesten befreite, diese aber doch noch so weit stehen ließ, daß sie eine Art leicht zu ersteigender Leiter bildeten. Dann erkletterte er eine kleine Weißeiche, die an einer Cypresse in die Höhe wuchs, und hieb von [] dieser eine dünne Weinrebe, so hoch er sie erreichen konnte, ab. Zuerst ließ er nun den schlanken Stamm zu Roberts hinunter, und dann reichte er ihm das eine Ende der Rebe, wobei er ihm bedeutete, die Hunde einen nach dem andern daran fest zu binden. Mit Hülfe des Gürtels und Taschentuchs war das leicht geschehen, und jene, durch die vereinten Kräfte der Männer hinaufgezogen, waren bald oben auf der Uferbank.

»Wie bekommen wir aber jetzt den Bären herauf?« frug Harper – »der Kerl wiegt wenigstens seine dreihundert Pfund, und ohne Stricke werden wir ihn wohl unten lassen müssen!«

»Ahem!« nickte Assowaum – »das ist auch gerade recht – seht Ihr die zwei Stücke faulen Holzes hier am Wasserrande? – die wälzen wir in's Wasser – binden den Bären daran fest, und Assowaum geht mit, den Fluß hinunter. Eine und eine halbe Meile von hier wohnt Mister Bahrens. – Ihr Anderen nehmt die Pferde und reitet am Rohrbruch hinunter. Mit Sonnenuntergang sitzen wir Alle bei Mister Bahrens.«

»Ein köstlicher Einfall, Assowaum,« rief Roberts, der jetzt mit großer Gewandtheit an dem dünnen Stamm emporstieg und bald wieder bei den Uebrigen war, »ein köstlicher Einfall. Bahrens hat überdies einen Weg bis zum Fluß hinunter gegraben, und da können wir unsere Beute mit größter Bequemlichkeit auf's Trockene legen.«

»Aber höre, Assowaum!« rief Curtis, als sich der Indianer schon mit großer Geschicklichkeit an die Ausführung seines Vorschlages machte, »wenn Du über Bahrens' Haus ankommst, da, wo wir im vorigen Sommer den Honigbaum fällten, dann binde doch Dein Fahrzeug eine Weile dort irgendwo an und komm erst ohne den Bären zum Haus. Bahrens prahlt immer so fürchterlich mit der Menge von Wild, das er erlegt, und wir wollen doch einmal sehen, was er für Lebensmittel im Haus hat. Sei also vorsichtig, daß er Dich nicht mit Deiner fetten Ladung bemerkt.«

Der Indianer lächelte und nickte mit dem Kopf, äußerte [] aber weiter nichts mehr und war bald emsig beschäftigt, die zwei Klötze in den Fluß zu rollen und den Bären dann mit abgeschälten Stücken Hickory-Rinde festzubinden. In kaum einer Viertelstunde hatte er Alles in Ordnung, legte seine Büchse über den Bären, der durch die leichten Holzstücke theilweise über Wasser gehalten wurde, und stieß, theils hinterher schwimmend, theils watend, das sonderbare Fahrzeug vor sich den Fluß hinunter.

»So ein Indianer ist im Walde gar nicht so übel,« meinte Harper endlich, als die Rothhaut hinter einer Biegung des Flusses verschwunden war, »höchst praktische Einfälle haben die Burschen, und was sie sich erst einmal im Kopfe zurecht gemacht, führen sie auch aus. – Aber hallo: – da kommt Hartford, der Krämer; hol' mich Dieser und Jener, wenn ich den nicht ganz vergessen hatte.«

»Nun sagt mir nur, was Ihr für curiose Dinge treibt?« rief der sich durch die Büsche Arbeitende, – »wo ist denn der Bär?«

»Assowaum stößt ihn den Fluß hinunter, bis zu Bahrens' Haus,« antwortete ihm Roberts. »Wir selber wollen aber zurück zu unseren Pferden gehen und am Schilfbruch hinabreiten, bis wir an den schmalen Weg kommen, der zu des alten Jägers Wohnung führt. Auf die Art erreichen wir sie am besten, denn sie liegt so tief im Dickicht versteckt, daß man sie sonst nur durch Zufall, oder Morgens, wenn die Hähne krähen, finden kann.«

»Ja, was hilft mir denn da aber meine Bärenjagd?« klagte Hartford, »wenn ich nicht einmal den Bären zu sehen bekomme!«

»Sollt ihn schon noch zu sehen bekommen, Mann,« rief Harper, »und zu kosten auch; aber jetzt vorwärts! Die Sonne ist keine Stunde mehr hoch, und aus diesem Dickicht möcht' ich doch gern heraus, ehe es dunkel wird. Hallo da, ihr Hunde – auf mit euch, heut Abend sollt ihr auch ordentliches Fressen haben – so recht, Watch, so schön, Poppy – geht den anderen mit einem guten Beispiel voran!«

Die Hunde, die sich erschöpft gelagert hatten, sprangen, von [] Harper's Stimme ermuntert, in die Höhe und folgten den Jägern. Diese benutzten im Anfang eine am Fluß hinabführende lichte Stelle und hielten dann erst, quer durch, nach den Hügeln hinüber, als der Krämer plötzlich stehen blieb und Roberts' Arm erfaßte.

»Bst – seht Ihr dort nicht – das da?« rief er mit schneller, aber unterdrückter Stimme.

»Was denn? wo denn?« frug Roberts.

»Dort im Busch – das Rothe!«

»Ah – wahrhaftig, ein Hirsch – er ist eben aufgestanden. – Schießt, ehe ihn die Hunde wittern, sonst ist's zu spät!«

Der Krämer hob schnell die Büchse, zielte einen Augenblick, und beim Krach sprang der Hirsch in die Höhe und floh mit gewaltigen Sätzen in das sich hinter ihm ausdehnende Dickicht.

»Der hat's – der hat's!« jubelte der Krämer, der schnell nach der Stelle hingelaufen war, wo er glaubte, daß der Hirsch gestanden habe – »seht Ihr? da ist Blut, und Poppy, das gute Thier, spürt ihn auch schon – er wittert das Blut.«

Die Hunde benahmen sich übrigens sehr sonderbar dabei. Eddy und einige der übrigen folgten allerdings dem flüchtigen Hirsch. Watch dagegen schnupperte höchst eifrig und aufmerksam in den Büschen herum, ohne auf das einladende Geheul der anderen Hunde zu achten, und Poppy setzte sich gar nieder, hob die Nase in die Höhe und heulte, daß es einen Stein hätte erbarmen mögen.

»Was, zum Teufel haben denn die Bestien?« rief Roberts, verwundert näher kommend. »Der heult wohl, weil Ihr den Hirsch gefehlt habt?«

»Gefehlt?« sagte der Krämer höchst entrüstet, »seht her – sieht das aus wie gefehlt? und da – und hier? und dort, nennt Ihr das gefehlt?«

»Wahrhaftig, da ist Schweiß genug,« sagte Curtis verwundert, »aber – wie ist mir denn, lief denn der Hirsch nicht dort hinüber, wohin die Hunde auch folgten? Mir war's doch, [] als wenn ich seinen weißen Wedel zwischen jenen Greenbriars hätte durchschimmern sehen?«

»Ja wohl,« sagte Harper – »da zwischen den beiden Zypressen ist er durch.«

»Nun, dann ist dies hier auch anderer Schweiß,« rief Curtis – »dieser führt nach dem Flusse zu.«

»Nicht möglich – war denn der Bär hier?«

»Ih bewahre – ein gut Stück weiter oben.«

»Kann man denn keine Fährten erkennen?«

»Nein – doch ja – hier ist der Jäger gegangen, da ist der Fuß eines Mannes,« rief Curtis, sich hinunter zur Erde beugend – »und da noch einer – es müssen Zwei gewesen sein, und sie haben sich sorgsam an beiden Seiten vom Schweiß gehalten, um die Zeichen nicht zu verwischen.«

»Was heißt denn das nur?« brummte Roberts vor sich hin – »der Boden ist doch weich genug hier, und ich kann nicht eine einzige Fährte im Schweiß erkennen!«

»Glaub's gern,« lachte Harper – »das ist kein Wild mehr, das sie verfolgt, sondern ein Thier, das sie erlegt haben. – Seht Ihr denn nicht, wie tief hier ihre Fersen eingedrückt sind! Zum Fluß haben sie's getragen, und es sollte mich gar nicht wundern, wenn es Bahrens gewesen wäre und wir heut Abend ein gut Stück Wildbret in seinem Hause fänden.«

»Bahrens trägt nie etwas Anderes als Moccasins,« meinte Curtis kopfschüttelnd, »aber der Eine hier hat grobe Schuhe angehabt, und der Andere ein Paar von den Ladenstiefeln, wie sich Brown kürzlich welche von Little Rock mitbrachte. Aber darum kann's doch sein, daß sie ihre Beute nach Bahrens' Hause hingeschafft haben.«

»Oh, kommt, Leute, laßt die Fährte in Ruhe,« rief Roberts jetzt – »die Sonne ist bald unter, und wir müssen wirklich machen, daß wir aus diesem verwünschten Schilfbruch herauskommen. Haben sie das Wild nach Bahrens' Hause geschafft, und ist der alte Bahrens wirklich dabei gewesen, so finden wir sie dort heut Abend und werden eine gewaltige Geschichte anhören müssen, das ist sicher; also vorwärts!«

[] »Aber so seht nur, wie sonderbar sich der Hund beträgt,« sagte Harper – »Poppy – schämst du dich denn nicht? das ist ja ein Geheul zum Rasendwerden.«

Poppy schien aber diesmal wirklich gar nicht auf seinen Herrn zu achten, sondern beschnupperte nur von Zeit zu Zeit die Schweißflecken und fing dann wieder so jämmerlich an zu heulen, daß sich die von der nutzlosen Hirschjagd zurückkehrenden Hounds um ihn sammelten und, ebenfalls die Schnauzen emporhebend, in das schauerliche Klagelied mit einstimmten.

»Gentlemen!« rief Roberts, plötzlich stehen bleibend, indem er seinen Hund scharf ansah – »hier ist etwas nicht in Ordnung – Poppy ist ein zu gescheidtes Thier, um unnütz solche Gefühle zu verrathen; – mit dem Schweiß dort ist's nicht richtig – das ist kein Schweiß, das ist Menschenblut!«

»Den Teufel auch!« sagte Curtis und sah ängstlich den Gefährten an.

»Laßt uns der Fährte bis zum Flusse folgen,« fuhr Roberts fort, »dort werden wir Aufklärung erhalten, oder wenigstens den Platz verbrechen können, auf dem wir morgen früh im Stande sind, die Untersuchung zu erneuern. Hier geht die Spur – deutlich genug – alle kleineren Büsche sind niedergetreten, der Körper muß schwer gewesen sein. – Bei einem Stück Wild wären die Träger auch vorn und hinten gegangen, also in einer Reihe, und hier sind die Spuren auf beiden Seiten der Last.«

»Mir graust's, wenn ich das Blut ansehe,« sagte der Krämer und wandte sich schaudernd ab.

»Das kommt davon, weil Ihr noch nicht lange in Arkansas seid,« meinte Curtis; »lebt Ihr erst einmal, wie ich, Eure zehn Jahre im Staate, denn werdet Ihr gleichgültig gegen derartige Sachen. Ich habe manche Leiche gesehen, seit ich hier bin, manchen Ermordeten mit begraben helfen – man gewöhnt sich wirklich dran. Nur einmal – einmal war mir's doch bald zu viel –«

»Jetzt hört auf mit Eurer Geschichte,« rief Roberts unwillig, [] »wir haben hier Schreckliches genug vor Augen, als daß Ihr noch mit Eurer großen ›Leichenschau‹ herauszurücken hättet – laßt die Todten ruhen.«

»Die Geschichte müßt Ihr mir erzählen,« rief der Krämer, »ich höre so etwas für mein Leben gern –«

»Ein ander Mal,« erwiderte Curtis – »aber dort ist der Fluß, nun werden wir wohl finden, was wir suchen.«

»Hier haben sie ihre Last abgelegt,« sagte Roberts, auf einen etwas niedergedrückten Platz deutend – »Hirsch oder Mensch, von da aus muß er in den Fluß geschafft sein.«

Curtis kniete neben die Stelle hin und bog sein Gesicht tief hinunter, aufmerksam den geringsten Eindruck im weichen Boden untersuchend, plötzlich sprang er auf und rief:

»Es war ein Mensch – da – da ist der Eindruck eines Knopfes in der weißen Ufererde. – Ihr könnt es deutlich erkennen – dort – gleich neben dem schwarzen Blutstreifen – vor dem gelben Blatte da –«

»Ja wahrhaftig,« sagte Roberts, der die Stelle ebenfalls betrachtet hatte – »es war ein Mensch – hier ist auch die Stelle, wo seine Hand gelegen hat, da ist das Zeichen des Fingernagels noch ganz deutlich. Gentlemen, hier ist ein Mord verübt – das unterliegt keinem Zweifel mehr, und morgen müssen wir hierher zurückkommen, die Sache genauer zu untersuchen – heute ist's zu spät. Bleiben wir noch zehn Minuten länger im Rohrbruch, so sind wir gezwungen, die Nacht hier zu campiren, denn im Dunkeln wär's unmöglich, durch das Dickicht zu dringen. Morgen aber mit Tagesanbruch wollen wir sehen, ob wir nicht das Opfer oder den Thäter ermitteln können. Jetzt fort von hier; mir graust's an der Stelle.«

Die Männer bedurften weiter keiner Aufforderung, den Platz zu verlassen. Schweigend hieben sie sich mit ihren breiten Jagdmessern Bahn durch das Rohr, erreichten bei schon einbrechender Dämmerung ihre Pferde wieder, schwangen sich in die Sättel, trabten, den ziemlich offenen Wald zwischen dem Rohr und der dicht mit Büschen bewachsenen Bergreihe benutzend, scharf weiter und erreichten noch vor völliger[] Dunkelheit die Fuhrt des Petite-Jeanne, an dessen anderem Ufer die kleine Hütte des alten Bahrens stand, der den nicht gerade ehrenhaften Beinamen »Lügen-Bahrens« in der Nachbarschaft trug.

[] 7.
Zwei ächte Backwoodsmen. – Bahren's und Harper's Erzählungen.

Der Alte stand vor der Thür und blickte, augenscheinlich die Jäger erwartend, nach der Stelle hinüber, auf der sie aus dem Walde treten mußten. Neben ihm kauerte Assowaum und zog seine Moccasins wieder an, die er bei der Wasserpartie abgelegt und neben der Büchse festgebunden hatte.

»Hallo da drüben,« schrie Roberts, »ist die Furth seicht genug?«

»Ay, ay!« war die Antwort – »knietief.«

Die Männer hielten die Versicherung für genügend und trieben die Pferde gerade die Bank hinunter und in den Fluß. Curtis aber, der voranritt, wäre der Spaß beinahe übel bekommen, denn er sank augenblicklich unter und sein Pferd mußte mit ihm an's andere Ufer schwimmen.

»Verdamm' Eure schwarze Seele,« rief er hier, wirklich ärgerlich aus, als er erst festen Boden erreicht hatte, »was zum Teufel jagt Ihr Einen denn mit Euren verdammten Lügen in's Wasser – he – ist das knietief?«

»Nun, versteht sich,« lachte Bahrens – »seht Ihr dort nicht das Cypressenknie Auswüchse von der Wurzel der Cypressenbäume, die oben wie ein Knie abgerundet erscheinen und oft zehn bis zwölf Fuß hoch werden, wenn sie aber niedrig sind, das Reiten in den Sümpfen besonders erschweren. Sie werden Cypressen-Knie genannt. in der Mitte vom Flusse? Dem geht's [] noch nicht einmal an den obern Rand – 's ist freilich sieben Fuß hoch –«

Roberts hatte augenblicklich gehalten, als er Curtis so Hals über Kopf in die Fluth eintauchen sah, und dieser rief ihm jetzt vom andern Ufer zu:

»Reitet noch ein Stückchen den Fluß hinunter, Roberts – dort, wo Ihr den Kies seht, da werdet Ihr trocken durchkönnen.«

»Wenn Ihr den Weg so merkwürdig gut wißt,« lachte Bahrens, »warum seid Ihr denn nicht selbst weiter hinunter geritten?«

»Weil ich Narr genug war, Euch auch nur ein Wort zu glauben,« erwiderte ihm dieser, galoppirte die steile Uferbank hinauf, sprang vom Pferd und schüttelte dem Alten die Hand, der ihn herzlich willkommen hieß.

Bahrens war einer von den ächten Pionieren oder Squattern des Westens. Vor fünf Jahren etwa hatte er sich in Poinsett County, in den fürchterlichsten Sümpfen und zwanzig Meilen von jeder menschlichen Wohnung entfernt, niedergelassen. Dort hatte er auch eine Zeit lang höchst zufrieden von der Jagd gelebt. Dann aber war etwas vorgefallen, von dem er nicht gern sprach und das er »Familienverhältnisse« nannte, was ihn zwang, jene Gegend zu verlassen. Die Bewohner des Fourche la fave munkelten zwar etwas von Pferdefleischliebhaberei, das war aber grundlos. Erstlich kannten sie die Gegend nicht, denn was sich nach seiner Hütte zu verlief, war ohnedies wild geworden und der Büchse des Jägers verfallen, und zweitens hatte sich Bahrens stets als ein ehrlicher Mann bewiesen, und keiner seiner »Nachbarn« konnte ihm etwas Böses nachsagen. Daß er manchmal die »Wahrheit ein wenig zerhackte,« wie sich Roberts ausdrückte, wurde freilich von den meisten seiner Bekannten bestätigt, er selbst aber leugnete auch dies hartnäckig und war stets bereit, jede seiner Geschichten zu beschwören, nur – wetten wollte er nicht darauf, obgleich [] er sich sonst nie lange zu einer Wette bitten ließ. Hauptsächlich trieb er Viehzucht und bebaute nur ein sehr kleines Stück Land, etwa fünf Acker, um Mais für sich und die Seinen zu ziehen; auch hatte er mehrere Pferde, doch nicht viele. Er meinte, die Luft in Arkansas sage den Pferden nicht zu. Seine Familie bestand aus seiner Frau, zwei Töchtern und einem Sohn, der aber nicht bei den Eltern lebte, sondern vor zwei Jahren fortgewandert war und natürlich, da er weder schreiben noch lesen konnte, nichts weiter von sich hatte hören lassen.

Das Haus selbst war eine der im Westen Amerika gebräuchlichen Blockhütten, aus rohen, unbehauenen Stämmen aufgeführt, deren Dach – grobgespaltene, kurze Bretter – durch schwere Stangen, sogenannte weight-poles, festgehalten wurde. Dem aus rohem Lehm und Balken aufgeführten Schornstein entstieg ein dünner blauer Rauch, und Bahrens war eben damit beschäftigt, Feuerholz für den Abend zu hacken, um eine freundliche Flamme im Kamin zu unterhalten. Nur eine kleine niedere Fenz hielt eine Masse von jungen Ferkeln ab, die friedliche Einsamkeit der Wohnung zu stören, und quietschend und grunzend umrannten sie die hindernde Einfriedigung, als ob sie das gewöhnliche Abendbrot, ein paar Maiskolben, erwarteten. In einer kleinen Einzäunung dicht daneben melkte die älteste Tochter, ein hübsches, schwarzäugiges Mädchen, eine große weiße Kuh, während die jüngere ein kleines Kalb an einem Stricke zurückhielt, daß es die Schwester nicht in ihrer Arbeit stören und warten sollte, bis die Reihe an es selbst käme. Neben dem Hause aber, auf den gewaltigen, durch die Axt des Farmers getödteten Stämmen, die noch in dem nur urbargemachten Felde standen, saßen eine Unmasse Aasgeier, als ob sie entweder von ihrem Raube verscheucht wären, oder diesen nur verlassen hätten, um mit dem nächsten Morgen ihr ekles Mahl wieder zu beginnen.

Die drei Jäger ritten jetzt ebenfalls zum Hause hin und Roberts rief dem Alten schon von Weitem zu:

»Ich hab' Euch doch wohl Unrecht gethan, Bahrens. Wir glaubten, wir würden Euch ohne Fleisch antreffen, die Aasgeier [] da oben zeigen aber, daß irgend 'was vorhanden sein muß, wenn nicht etwa eine Kuh gefallen wäre.«

»Guten Abend, Boys »Boys«, Knaben, die gewöhnliche freundliche Anrede, etwa wie »meine Burschen«., guten Abend – recht so, daß Ihr den alten Bahrens auch einmal aufsucht. – Kuh gefallen? Roberts, kein Fleisch in meinem Hause? Da kennt Ihr den alten Bahrens schlecht. Wie ich noch am Cashriver wohnte, konnte ich täglich, heißt das im Durchschnitt, zwischen acht- und neunhundert Pfund Fleisch erlegen – Curtis weiß es, nicht wahr, Curtis?«

»Ja gewiß,« lachte dieser – »zahmes!«

»Zahmes? – wilde Thiere, Büffel und wildgewordenes Rindvieh natürlich eingerechnet; aber steigt ab, steigt ab, macht's Euch bequem. – Betsy, wirf den Thieren einmal jedem einen Arm voll Mais in den Trog – hörst Du – bleib aber bei ihnen stehen, bis sie fertig sind, und wehre die Schweine ab, daß die Bestien den Trog nicht wieder umwerfen, wie gestern.«

»Bahrens, hier muß wahrhaftig ein Aas in der Nähe liegen!« rief Roberts, nachdem die ersten Begrüßungen vorüber waren – »es riecht meiner Seel' nach faulem Fleische.«

»Faulem Fleische?« lachte Bahrens, »Ihr habt gute Nasen – hier in der Nähe liegt nichts – die Canaillen, die Aasgeier, kommen immer, wenn man schlachtet –«

»Schlachtet?« frug Curtis entsetzt – »das, was Ihr geschlachtet habt, riecht so? Was hast Du denn, Assowaum? der Bursche zieht ja ein Gesicht, als ob er lachen wollte.«

»Mister Bahrens hat ein kleines Schwein geschlachtet,« – sagte der Indianer, und es war augenscheinlich, wie sehr es ihn ergötzte – »die Bussards sind aber dumme Thiere; das Schwein ist erst vor acht Tagen umgebracht, und heute kommen sie schon!«

»Und das sollen wir essen?« rief Roberts lachend – »wo sind denn die Hirsche?«

»Welche Hirsche?«

[] »Nun, die, die Ihr alle Tage schießt, wie Ihr es neulich erzähltet.«

»Oh, ich habe mir den Fuß verstaucht und seit drei Tagen nicht auf die Jagd gehen können.«

»Bahrens – hier ist ein Freund von mir, Mr. Harper – einer meiner Nachbarn, der gern Eure Bekanntschaft machen wollte – Harper – Mr. Bahrens, der Mann, von dem ich Euch so viel erzählt habe – ich denke, Ihr werdet wohl Freunde werden.« – Die Männer schüttelten einander die Hand, und Bahrens schwur, er wolle verdammt sein, wenn Harper nicht ein merkwürdig gutmüthiges Gesicht hätte.

»Aber, Bahrens,« unterbrach ihn Curtis jetzt, »morgen früh müssen wir mit Tagesanbruch zu der kleinen Slew hinauf. Dort, wo die drei dürren Cypressen stehen, ist ein Mord verübt; es sieht wenigstens ganz danach aus.«

»Ein Mord? das wäre schrecklich!«

»Es kann fast nicht anders sein; – wir fanden die Spuren zu deutlich, doch hatten wir keine Zeit, die Sache näher zu untersuchen. Es ist übrigens gar nicht weit von hier, und morgen früh läßt sich's leicht ermitteln. Die Thäter zu verfolgen, wäre heute doch unmöglich.«

»Alle Wetter, das ist wunderbar!« rief Bahrens, »ich bin erst heute Morgen da vorbeigekommen und habe gar nichts gemerkt!«

»Ich dachte, Ihr hättet Euch ein Bein verstaucht?« lachte Curtis.

»Nun ja – vor drei Tagen – Holzkopf! – Glaubt Ihr, daß ich deshalb mein Lebenlang hinken müßte? – Aber kommt herein, Boys, der Nebel fällt merkwürdig feucht heut Abend, und am Kamin sitzt sich's behaglicher.«

»Nein, altes Haus!« sagte Roberts, ihm auf die Schulter klopfend, »wenn Du so schlecht mit Provisionen beschlagen bist, so wollen wir unsern Vorrath anschaffen; Assowaum, laß uns den Bären haben. Jetzt dürfen wir nicht länger mehr damit hinter dem Zaun halten, sonst müssen wir dafür hungern. Ueberdies wird es dunkel.«

Zu Bahrens' freundigem Erstaunen kam der Indianer auch [] bald mit dem fetten Braten angeschwemmt. Durch die vereinten Bemühungen der Männer schleppten sie ihn aus dem Wasser vor das Haus hinauf, und in kurzer Zeit wurden den Frauen einige der besten Stücke zur Bereitung übergeben.

»Guten Abend, Mrs. Bahrens,« sagte Roberts, in das Haus tretend und diese begrüßend, »wie geht's? lange nicht gesehen; immer noch munter?«

»Muß ja wohl – Mr. Roberts,« erwiderte ihm die Frau freundlich, das große Kattunbonnet, das sie beim Kochen trug, um die Hitze von den Augen abzuhalten, aus dem Gesicht zurückschiebend. »Das ist recht, daß Sie uns besuchen, nächstens komm' ich auch einmal zu Ihnen hinüber. Mein Alter ist aber gar nicht von zu Hause fortzubringen.«

»Meine Alte hat Sie und die Töchter schon lange erwartet, Mrs. Bahrens,« erwiderte Roberts, ihr die dargebotene Hand schüttelnd, »wie geht's den Mädchen hier im Busch – eh? Sind aber das einsame Leben schon gewohnt, denn in den Cashsümpfen war's wohl auch nicht lebhafter. Schreckliches Land, die Cashsümpfe, als ich das letzte Mal dort war und bei Strongs vorbeiritt. – Sie kennen doch Strong, der die große Farm besitzt? Hat sich dort wahrhaftig an der besten Stelle niedergelassen und wird –«

»Halt ihn auf! – um Gottes willen halt ihn auf!« schrie Bahrens jubelnd, – »da geht er wieder hin mit verhängten Zügeln; wenn man ihn gehen läßt, ist er in fünf Minuten beim Revolutionskrieg. Gott sei uns gnädig, Roberts, mit Euch ist gar kein vernünftiges Wort mehr zu sprechen. – Aber, Kinder, daß Ihr so trefflich für Provisionen gesorgt habt, verdient eine Belohnung; hier, Lucy – reich' einmal die Kruke unter dem Bett vor – nimm Dich in Acht, Blitzmädel, wenn Du sie zerbrichst, sei Dir Gott gnädig! Jetzt, Boys, wollen wir einen fidelen Abend feiern, Bärenfleisch und Whisky – huh pih!« und der alte Mann stieß seinen Jagdschrei aus, daß die Hunde draußen unruhig wurden und zu heulen anfingen.

»Bahrens, die Bestien beißen sich draußen,« sagte Curtis endlich – »unsere sind auch hungrig; wo habt Ihr denn das [] Schweinefleisch? wir wollen's den Thieren geben, für Menschen ist es doch nicht genießbar.«

»Mein gutes Fleisch?«

»Ih, geht zum Teufel mit Eurem Fleische – ich dachte, Ihr könntet so viele Hirsche schießen?« –

»Ja, aber mein Bein!«

»Jetzt kommt er wieder mit seinem Bein, göttlicher Kerl! Aber, Harper, Ihr sitzt ja so stumm da und sagt gar keine Silbe; Ihr denkt wohl an den Mord?«

»Ja! aufrichtig gesagt, kann ich die Blutflecke nicht aus dem Gedächtniß bringen. Es sah zu schauerlich aus!«

»Schauerlich, Mr. Harper? da hätten Sie einmal sollen im vorigen Jahre am Cashriver wohnen,« erwiderte Bahrens; – »verdammt will ich sein, wenn nicht dort alle Tage zwei oder drei Leichen vorbeigeschwommen kamen – und was für Leichen! manche ohne Kopf.«

»Wo kamen aber die Menschen alle her?« frug Harper halb erschreckt und halb ungläubig, »ich dachte, es wäre eine so menschenleere Gegend gewesen?«

»Die Menschen? nun, da sollt' ich mich doch wohl nicht drum kümmern? und was ging das mich an?«

»Halt – spart Eure Gespräche bis nach Tische auf,« sagte Roberts lachend, »laßt uns vor allen Dingen nach den Pferden sehen, nachher schmeckt auch das Essen besser.«

Dem Rathe wurde augenblicklich Folge geleistet, als sie aber von den Futtertrögen zurückkehrten, rief die Frau schon zum Abendbrot, und bald saßen die Männer auf umgestülpten Fässern, hingerückten Kästen, Klötzen und rohgearbeiteten Sesseln um den schmalen Tisch herum, auf dem eine mächtige Schüssel voll gebratener Bärenrippen und in dünne Stücke geschnittenen Fleisches den Mittelpunkt bildete, während Maisbrod, eingekochter Kürbis, etwas Honig und Milch die übrigen Bestandtheile des Mahles ausmachten. Die Whiskyflasche ging indessen im Kreise herum, und wenn auch kein Wort weiter gesprochen wurde, bewiesen doch die klappernden Messer und die überall sichtbar werdenden, blank abgenagten Rippen, wie den Hungrigen die delicate Mahlzeit schmeckte.

[] Als sie geendet, standen sie einzeln, wie sie zuerst fertig wurden, vom Tische auf, und die Frauen, die sich wohlweislich einige Stücke aufbewahrt hatten, nahmen, ohne es der Mühe werth zu halten, die fetten Teller mit reinen zu vertauschen, die leergewordenen Sitze ein.

Die alte Madame Bahrens, etwa in den Vierzigen, zeigte noch Spuren früherer nicht unbedeutender Schönheit, ihre schlanke Gestalt war aber von einem keineswegs saubern baumwollenen, einst weiß gewesenen Kleide umhüllt, ihre schönen, braunen Haare hatte sie ziemlich nachlässig um den Kopf herumgesteckt, und ihre großen, dunkeln Augen verloren viel von ihrem Glanze durch die keineswegs brillante Fassung des etwas rauh und schmutzig aussehenden Gesichts. Die Töchter trugen sich schon besser und reinlicher, aber auch ihr Teint würde durch etwas warmes Seifenwasser nur gewonnen haben.

Als das Essen oder vielmehr das Geschirr abgeräumt war, denn das Essen verschwand spurlos, schob Bahrens den Tisch ein wenig zurück, daß die verschiedenartigen Sitze wieder in einen Halbkreis um den Kamin gerückt werden konnten, und rief dann fröhlich aus:

»Nun, Gentlemen, kommt das Beste – der Stew Ein in den westlichen Wäldern sehr beliebtes Getränk, aus Whisky, heißem Wasser, Gewürz, Zucker und Butter bestehend..«

»Du hast ja keine Butter!« sagte seine Frau.

»Alle Wetter, das ist wahr – aber hallo – was brauchen wir Butter, wir haben ja Bärenfett – Whisky und Bärenfett wird sich noch viel besser miteinander vertragen – Gentlemen, dies ist das Land, um drinne zu leben – es geht nichts über Arkansas!«

»Ih nun, Mr. Bahrens,« meinte Harper, der, als er die Vorbereitungen zu seinem Lieblingsgetränk bemerkte, aufzuthauen begann, »ih nun, ich weiß doch nicht; – Missouri ist auch nicht zu verachten, ich habe lange dort gelebt, und –«

»Missouri?« rief Bahrens verwundert – »Missouri? [] da sei uns Gott gnädig; und das vergleichen Sie mit Arkansas?«

»Nun, es grenzt doch dicht genug daran?«

»Grenzen? Es ist gerade so, als ob der liebe Gott den Finger genommen und einen Strich zwischen den beiden Staaten durchgezogen hätte, daß der eine fruchtbar und der andere unfruchtbar werden sollte – Missouri! – na, nu hört Alles auf; wie lange sind Sie denn eigentlich schon in Arkansas?«

»Etwa sechs Wochen.«

»Ach, dann ist es etwas Anderes, dann wissen Sie's noch nicht besser; Herr, hier ist das Land so fett, daß wir, wenn wir Lichter gießen wollen, den Docht nur in die Pfützen tauchen – es brennt eben so gut. – Wenn ein Mann in Arkansas sein Feld mit Fleiß und Aufmerksamkeit bestellt, so kann er darauf rechnen, hundert Bushel vom Acker zu ernten.«

»Das wäre viel!«

»Viel? das ist gar nichts – wenn er sich keine Mühe mit dem Land gibt und den Mais nur so roh aufwachsen läßt, so bleiben ihm immer noch fünfundsiebzig Bushel gewiß; und wenn er gar nicht pflanzt, so – so wachsen doch noch fünfzig – das Land ist nicht todt zu machen!«

Harper rückte ein wenig auf dem Kasten herum, auf dem er saß, und Roberts und Curtis warfen sich verstohlene Blicke zu.

»Und was noch ein Vortheil ist,« sagte Bahrens, »wir brauchen immer erst im Juni zu pflanzen, der Mais wächst so merkwürdig schnell. Denken Sie nur, im letzten Jahre hat er mir die Bohnen, die ich dazwischen gesteckt habe, mit der Wurzel aus dem Boden gezogen; – und die Kürbisse – zehn Menschen können um einen herumstehen.«

»Erstaunliches Land!« sagte Harper – »dann ist aber wohl Alles großartig darin, denn die Mosquitos und die Holzböcke sind noch gar nicht dagewesen.«

»Alles großartig?« fragte Bahrens, jetzt ganz auf seinem Steckenpferd, mit dem Lande zu prahlen, in dem er lebte – [] »Alles großartig? das will ich meinen; die Mosquitos fliegen in heißen Sommertagen so dick, daß sie oft durch den Schweiß zusammenkleben und klumpenweise aus der Luft herunterfallen. Die Holzböcke hab' ich mit meinen eigenen Augen beobachtet, wie sie mit den Vorderbeinen sich an irgend einem Stück Holz aufrichteten und nach den Kuhglocken horchten, und die Flöhe gehen Abends ordentlich zu Wasser an den Fluß, wie anderes Viehzeug auch. Und was für Flüsse haben wir! der Herr sei uns gnädig – die See drängen sie mit aller Gewalt ein ganzes Stück Weges zurück, wenn sie hineinkommen.«

»Sie kommen aber nicht hinein,« meinte Harper.

»Kommen nicht hinein? wo gehen sie denn hin?« frug Bahrens entrüstet – »sie verschwitzen sich wohl, heh? wo läuft denn der Petite-Jeanne hin?«

»In den Arkansas.«

»Nun, und der Arkansas?«

»In den Mississippi –«

»Und der Mississippi?«

»In den Golf von Mexiko.«

»Als ob das nicht Alles Eins wäre. – Da nehmen Sie einmal den südlichen Theil von Missouri – ist schon Jemand im südlichen Theil von Missouri gewesen?«

»Wahrscheinlich wir Alle,« erwiderte Roberts.

»Auch am Elevenpoints-River oben? – Gentlemen, ich will nicht übertreiben, aber dort war's so felsig, daß wir die Schafe bei den Hinterbeinen einzeln aufheben mußten, damit sie nur zwischen den scharfen Steinen das bißchen Gras herausholen konnten; die Wölfe wurden so mager und schwach, daß sie sich an einen Baum lehnten, wenn sie heulen wollten. Nun seh' Einer den Unterschied zwischen Missouri und Arkansas. Was fingen wir zum Beispiel im Winter an, wo wir nichts für das arme Viehzeug zu fressen hatten? nun? rathen Sie einmal.«

»Ließt es doch wohl im Walde herumlaufen?« frug Curtis.

»Was hätte ihm denn das für Nutzen gebracht, das möcht' [] ich wissen? Der Boden war ja so dürr, daß nicht einmal Rinde an den Büschen und Bäumen wuchs – nein, ich fiel auf ein ganz anderes Mittel. Ihr kennt Tom, Roberts – der später in aller Eile eine Geschäftsreise nach Texas machen mußte – ih – der große Tom, erinnert Euch doch nur, er war so lang, daß er jedesmal niederknien mußte, wenn er sich auf dem Kopfe kratzen wollte. – Gut – der war früher einmal, in Philadelphia glaub' ich, Mechanikus gewesen und hatte noch eine ganze Menge Handwerkszeug mitgebracht; – der mußte mir eine Partie großer grüner Brillen anfertigen, die setzt' ich den Kühen auf, gab ihnen Hobelspäne zu fressen, und verdammt will ich sein, wenn sie's nicht für Gras fraßen und fett wurden.«

»Gott sei uns gnädig!« rief Harper.

»Da haben wir's hier besser,« fuhr Bahrens entzückt fort, »hier sitzen wir gewissermaßen im Moos drin, und die Jagd –«

»Hallo!« rief Harper jetzt dazwischen, »auf die laß' ich, was Missouri anbetrifft, nichts kommen. Die kann nirgends besser sein.«

»Bessersein?« lachte Bahrens höhnisch – »besser? wenn ein Bär hier nur drei Zoll Fett auf dem Rücken hat, heißt er mager, die Hirsche –«

»Fängt man bei den Beinen!« lachte Roberts. Bahrens sah ihn verwundert an und Harper schnitt ein außerordentlich freundliches Gesicht.

»Nun, Roberts, das müßt Ihr selber sagen,« fuhr Bahrens fort – »aber, Betsy, das Wasser kocht; nun brau' das Getränk, mein Mädchen, Du weißt, wie wir es gern haben – das müßt Ihr selber eingestehen, Roberts, im Jagen thut mir's hier Keiner gleich. Kleines Wild schieß' ich gar nicht mehr, da hab' ich so meine eigenen Manieren, das zu fangen!«

»Wie bei uns die Jungen,« sagte Harper, »die fangen auch die Kaninchen in Fallen.«

»Fallen?« lächelte Bahrens verächtlich, »da braucht's auch noch Fallen dazu? – Kommt nach Arkansas, wenn Ihr etwas [] lernen wollt. Liegt ein bißchen Schnee, dann geh' ich hinaus in den Wald, nur weit genug, daß ich das Haus nicht mehr sehen kann –«

»Das ist nicht weit,« meinte Curtis.

»Gut – dort steck' ich kleine Stücke rothe Rüben in den Schnee und streue Schnupftabak darauf – Morgens liegen die Kaninchen todt daneben.«

»Fressen sie denn den Schnupftabak?« frug der Krämer verwundert.

»Fressen? nein, sie riechen daran und niesen so stark, daß sie sich den Hals brechen.«

»Bei dem Halsbrechen,« sagte Harper, »fällt mir ein, wie ich's neulich mit einer Eule machte. Die Canaille hatte mir drei Nächte hintereinander jede Nacht ein Huhn fortgeholt, und ich war immer vergebens hinausgeschlichen. Endlich, am vierten Tage, kommt sie Morgens früh, es regnete ein wenig, an's Haus geflogen. Ich merkt' es gleich an den Hühnern, die flatterten so sonderbar hin und her. Schnell griff ich nach der Büchse und lief hinaus, fand auch bald, daß die Eule in einem kleinen, dichtbelaubten Hickory sitze, ich konnte aber nur den Kopf von ihr sehen, und da ich sie nicht gleich todtschießen, sondern den Hunden auch noch einen Spaß lassen wollte, so ging ich im Kreise herum, um eine passende Stelle zum Schießen auszusuchen. – Ueberall faßen aber die Blätter gleich dicht, und die Eule guckte mich indessen mit ihren großen, rollenden Glotzaugen fest an. Dreimal war ich auf die Art, mit der Büchse im Anschlag, um den Baum herumgegangen, als auf einmal etwas in den Zweigen raschelte und die Eule herunterkam. Hol' mich der Böse, wenn sie sich nicht dadurch, daß sie mich immer im Auge behielt, ganz in Gedanken den Kopf abgedreht hatte.«

»Das ist keine Kunst!« rief Bahrens, der nicht daran dachte, die Wahrheit der Erzählung zu bezweifeln; »wie ich noch ein junger Bursche war, konnt' ich's mit jedem Truthahn im Rennen aufnehmen, und wenn er zu fliegen anfing und stieg nicht zu hoch, so hatt' ich ihn gewiß.«

»Was das Laufen anbetrifft,« meinte Harper, »so hätt' [] ich gewünscht, daß Sie meinen Bruder gesehen hätten, wenn er hinter Rebhühnern her war!«

»Sie wollen uns doch wohl nicht etwa hier erzählen, daß er Rebhühner im Fliegen gefangen hätte!« rief Bahrens erschrocken aufspringend.

»Nein,« sagte Harper, »das nicht, aber verdammt will ich sein, wenn er ihnen nicht bei jedem Sprunge eine Hand voll Federn aus dem Schwanze riß.«

»Gentlemen, hier kommt der Stew! Gott segne es, Betsy – Sie haben ihn stark gemacht!« rief Roberts – »nein, ich danke, kein Wasser mehr drunter, das nimmt ihm den würzigen Geruch, es muß mit gekocht werden. Aber, Bahrens, Ihr hattet wahrhaftig Recht – das Bärenfett schmeckt ausgezeichnet; so etwas Mildes und doch so feurig!«

Das Gespräch wurde jetzt für einen Augenblick unterbrochen und die Männer gaben sich ganz dem Genuß des Getränkes hin. Endlich brach Curtis das feierliche Schweigen und sagte schmunzelnd:

»Mrs. Roberts und Mr. Rowson sollten nur den gestrengen Herrn Roberts hier sitzen sehen und Whisky-Stew trinken, die würden schöne Gesichter schneiden.«

Roberts, der schon beim dritten Glase war und anfing warm zu werden, setzte ab und rief aus:

»Mr. Rowson mag zu – Grase gehen. – Das weiß ich, daß er mir in Nichts hineinschwatzen soll, was mich angeht! – Mit meiner Frau und Tochter mag er's machen, wie er will, oder – wie die wollen vielmehr.«

»Ich glaube, die wollen ziemlich, wie er will,« sagte Curtis.

»Leider Gottes – der glatte, geschmeidige Schleicher ist mir von je ein Dorn im Auge gewesen – schimpft immer auf die Römischkatholischen – hol's der Henker, wenn ich glaube, daß er um eine Prise Schnupftabak besser ist!«

»Der Rowson ist wohl höllisch in das Mädchen, in Eure Tochter, verschossen?« frug Curtis.

»Nun natürlich – in vier Wochen wollen sie zum Friedensrichter und halbpart machen – mir recht!«

[] »Hört, Roberts, ich war auch einmal unmenschlich verliebt,« sagte Bahrens schmunzelnd – »es war ein Mädchen aus der Stadt – aus St.-Louis. Ich handelte damals mit den Osagen oben, nach dem Missouri-und Yellowstonefluß hinauf, und lagerte etwa drei Meilen westlich von der Stadt. Wollt Ihr's wohl glauben? Alle drei Tage bekam ich einen großen Brief, in dem gewiß von lauter Liebe und Treue geschrieben stand. Nur schade, daß ich es selbst nicht lesen konnte, und die Indianer, mit denen ich zusammen lebte, wußten an einem Briefe ebenfalls nicht das Inwendige vom Auswendigen zu unterscheiden. Eine Liebesgluth muß aber in den Dingern gesteckt haben, das war fürchterlich – ich band sie zusammen und schob sie, als ich fortging, in einen ledernen Beutel, und wie ich nach Hause kam und machte ihn wieder auf, hatt' ich weiter nichts als Asche drin.«

»Aber, Leute, ich dächte, wir gingen zu Bett!« rief der Krämer gähnend, »morgen früh müssen wir doch mit der ersten Dämmerung aufbrechen, und mir ist's fast, als ob ich müde würde.«

»Ja – 's wird spät,« sagte Roberts, der in die Thür getreten war und nach den Sternen sah – »es muß schon zehn Uhr vorbei sein.«

»Nur noch einen Augenblick!« wandte Harper mit schon etwas schwerer Zunge ein; »da wir gerade von Liebe sprechen, so fällt mir da eine Geschichte von meinem Bruder ein, wie er noch ein junger Bursche war. – Den hättet Ihr kennen sollen – ein verfluchter Kerl; achtzehn Jahre alt, und schon drei Mädchen die Ehe versprochen. Kommt auch in Philadelphia zu einem Quäker, und das ist sonderbarer Weise gerade der Bruder des einen Mädchens. Der erkennt ihn, ist aber ganz freundlich und lädt ihn ein, bei ihm zu Tische zu bleiben; doch nach dem Essen steht er auf, schützt einige Geschäfte vor und verläßt das Haus, um die Constabler zu holen und meinen Bruder einstecken zu lassen. Was meint Ihr aber, was er fand, als er wieder nach Hause kam?«

»Nun, er hatte sich wahrscheinlich aus dem Staube gemacht –«

[] »Ja – aber nicht allein, er war mit des Quäkers Frau durchgegangen.«

»Ne, kann der Mensch lügen!« flüsterte Bahrens heimlich Curtis zu, der neben ihm stand.

»Also zu Bette jetzt – wo werden wir denn schlafen, Bahrens?«

»Ja, das müssen wir eintheilen. Drei Betten sind nur da, eins müssen die Mädchen behalten, eins ich und meine Alte, und das dritte sollte dann wohl den Aeltesten bleiben, also Roberts und Mr. Harper – Mr. Harper wird nach all' den Geschichten recht gut schlafen – und die anderen drei Gentlemen, Curtis, Mr. Hartford und Assowaum, nun für die finden sich Felle genug. So, das ist brav, Betsy – mach' ihnen das Lager zurecht, und morgen brechen wir mit dem Frühesten auf.«

Assowaum, der den ganzen Abend keine Silbe gesprochen, sich bei den Erzählungen der beiden Männer aber sehr amüsiert zu haben schien und dem Whisky später keineswegs unbedeutend zusprach, rollte sich jetzt ebenfalls in seine Decke. Als er aber nach dem Platze, wo er sich niederlegen wollte, hinschritt und dicht an der Kaminecke, nahe beim Feuer vorbeikam, stolperte er und wäre beinahe gefallen.

»Hallo, Indianer!« lachte Harper – »hast Du zu viel Whisky im Kopfe? das ist nicht gut.«

»Ist nicht gut, von irgend etwas zu viel,« sagte der »befiederte Pfeil«, indem er sich lang ausstreckte und einen dort liegenden Klotz unter seinen Kopf schob – »zu viel Whisky aber ist gerade genug;« und mit dieser ächt philosophischen Bemerkung legte er sich auf die Seite und war auch schon in wenigen Minuten eingeschlafen.

»Gebt Ihr irgend einer besondern Stelle des Bettes den Vorzug, Roberts?« frug Harper, als sie sich entkleidet hatten.

»Nein,« sagte dieser in aller Unschuld.

»Nun, dann mögt Ihr Euch drunter legen,« meinte Harper lachend, indem er unter die darauf gebreiteten gegerbten Hirschhäute kroch.

[] Roberts schien aber doch mit der Stelle nicht ganz einverstanden, denn er lag bald an Harper's Seite, und in kurzer Zeit ward weiter nichts als das leise Knistern des Feuers und das tiefe, regelmäßige Athmen der Schlafenden gehört.

Die Nacht ging ruhig und ungestört vorüber; einmal ausgenommen, als Curtis aufsprang und mit wildem Fluchen sämtliche Hunde hinaustrieb. Diese hatten sich nämlich, einer nach dem andern, hereingeschlichen und sich auf und neben die am Boden ausgestreckten Jäger gelagert.

[] 8.
Der Morgen in der Blockhütte. – Das Aufsuchen der am vorigen Abend gefundenen Blutspuren. – Assowaum taucht nach der Leiche.

Auf den dichtbelaubten Pfirsichbäumen, die das Blockhaus umstanden, krähten die Hähne und verkündeten den nahenden Morgen, draußen im Walde antworteten die wilden Welschhühner, und im Osten begannen die freundlichen Sterne ein klein wenig zu erbleichen. Da erhoben sich in der Hütte die drei Frauen, Mrs. Bahrens mit ihren beiden Töchtern, vom Lager, um sich in dem Raume, den sie mit so vielen Fremden theilen mußten, anzukleiden, ehe es heller wurde. Vorsichtig schritten sie dann über die am Feuer Lagernden hinweg und bliesen die verglimmenden Kohlen wieder zu lebendigerer Gluth an. Bald loderte auch, von hellflackernden Kienspänen genährt, eine wärmende Flamme empor, die große blecherne Kaffeekanne wurde auf hervorgezogene Kohlen gestellt, und schnell angerührter Brodteig flach geschlagen und auf eiserne Deckel vor die Gluth gelehnt.

[] »Ich hab' es dem Vater nun wohl fünfzigmal gesagt,« brummte die Frau, als sie die gebrannten Kaffeebohnen in einen Blechbecher that und vor sich, auf dem Herdsteine, mit dem Griff des Tomahawks zerstieß – »er sollte mir von Morrisons Bluff oder Little Rock eine Kaffeemühle mitbringen, aber nein – Gott bewahre. An seine Jagdgerätschaften denkt er, doch wenn's einmal etwas für mich ist, da kann ich's wer weiß wie viele Male sagen. – Gestern war er wieder drüben im Laden; den Whiskykrug – den vergaß er nicht, oh nein – aber die Kaffeemühle –«

»Brumme nicht, Alte!« – rief Bahrens aus dem Bette herüber – »nicht raisoniren!« –

»Ach, es ist wahr –«

»Nein, es ist nicht wahr – greif einmal dort in die Ecke, wo der Salzgum steht – mehr rechts – so – wie heißt das Ding?«

»Ei, meiner Seele eine Kaffeemühle, und da läßt Du mich hier in einem fortstoßen!«

»Wenn ich die Augen zuhabe, soll ich doch wohl nicht sehen, was Du machst?«

»Hört einmal, Roberts,« sagte Harper jetzt, indem er sich im Bett aufsetzte, »mit Euch zu schlafen ist wahrhaftig eine Kunst – Ihr seid gar nicht unverschämt.«

»Nun, Ihr werdet mir doch wohl die Hälfte vom Bett zugestehen!« murmelte Roberts, noch halb schlaftrunken.

»Allerdings,« erwiderte Harper, »aber nicht aus der Mitte heraus, daß ich an beiden Seiten liegen muß, um mein Theil zu haben – das ist gegen alles Völker recht.«

»Allons, Boys – get up! get up!« Steht auf, steht auf! rief nun der alte Bahrens, der an den Kamin getreten war und die Whiskyflasche hoch empor hielt. »Hier ist ein Magenstärker – wer will sein Bitteres?«

Das that seine Wirkung, Alles sprang auf die Füße, nur der Yankeekrämer lag noch und schnarchte, als ob im ganzen Hause Todtenstille herrsche. Curtis bearbeitete seine Rippen [] lange vergebens und behauptete zuletzt fluchend, der Bursche sei so lang, daß man ihn nur stückweise wecken könne. Als die Sonne ihre ersten Strahlen durch die feurig erglühenden Baumwipfel sandte, saßen die Männer um den Frühstückstisch herum, während die Mädchen draußen die Pferde fütterten und Schweine und Hühner von den Trögen scheuchten.

»Aber sagt einmal, Bahrens,« fragte Roberts während der Mahlzeit, »was wird denn jetzt aus unserer Schweinejagd? Wenn wir dem Mord nachspüren wollen, müssen wir die Schweine laufen lassen, und da wird meine Alte schön brummen.«

»Nun, Ihr könnt ja auf ein ander Mal wieder herüberkommen; überdies glaub' ich, daß wir sie ziemlich alle, die natürlich ausgenommen, die von den Bären gefressen sind, etwa zwei Meilen weiter den Fluß hinunter antreffen werden. Ich habe vorgestern eine Menge mit Eurem Zeichen bemerkt, und apropos – auch die Sau, die Eurem Vater gehört, Curtis, der der Bär das Stück Fett aus dem Nacken gebissen hat.«

»Was, die lebt noch?«

»Ja, und hatte elf allerliebste Ferkel bei sich.«

»Den Teufel auch!« – rief Curtis – »hört, Bahrens – haltet reinen Mund darüber. Ich sprach noch vorgestern mit dem Alten über die Sau, und er hält sie für todt – die kauf' ich ihm ab, ›wie sie im Walde läuft‹, das heißt, auf Finden und Nichtfinden. Für einen Silberdollar bekomme ich sie und dann treib' ich sie heim.«

»Auch nicht übel!« lachte Harper, »jetzt will der seinen eigenen Vater betrügen.«

»Das ist doch kein Betrug!« vertheidigte ihn der Krämer – »wer auf eine ehrliche Weise einen Dollar verdienen kann, betrügt Niemanden. Sein Vater ist ja nicht verpflichtet, ihm die Sau zu verkaufen.«

»Das wäre auch das Letzte, was ein Yankee verdammen würde,« sagte Bahrens, der ruhig zugehört hatte. »Aber jetzt fort, Boys – die Sonne ist auf, und wir dürfen keine Zeit [] weiter verlieren. Ist es wirklich ein Mord, der da verübt ist, so wär's jetzt vielleicht noch möglich, die Thäter einzuholen; ich glaube aber noch immer, Ihr habt Euch geirrt. Erstlich bin ich gestern Morgen dort vorbeigeritten, und dann muß Mr. Brown dieselbe Richtung gekommen sein.«

»Brown?« frug Harper schnell – »Brown? wie gerieth denn der in diese Gegend? er wollte ja nach Morrisons Bluff hinüber.«

»Das sagte er auch, und wenn er gerades Weges vom Fourche la fave kam, so war das freilich hier ein Umweg. – Doch fort – fort. Mittags können wir wahrscheinlich wieder zu Hause sein.«

Die Jäger nahmen jetzt von den Frauen Abschied, ritten durch die untere Furth, wobei sich Assowaum hinter Harper aufsetzte, um zuerst durch das Wasser und dann auch schneller vom Flecke zu kommen, und fort ging's in scharfem Trabe der Stelle zu, wo sie gestern die verdächtigen Zeichen gefunden hatten.

»Halt! Dort ist der Platz!« rief der Indianer, indem er vom Pferde sprang, »wir dürfen nicht weiter reiten, damit wir den Boden nicht mehr zerstampfen, als nöthig ist.«

Die Reiter stiegen schnell ab und befestigten die Pferde an niederhängenden schwankenden Weinreben, daß sie die Zügel nicht zerreißen konnten, Assowaum aber schritt voran und hielt an der Spur, die dem weichen Boden eingedrückt war. Er bog sich aufmerksam dazu nieder und untersuchte genau jedes verkehrt liegende Blatt, jeden Grashalm, stand dann wieder auf und schritt leichten Ganges neben den Spuren bis dorthin, wo das erste Blut sichtbar wurde. Kaum hatte er aber seine Augen hier umhergeworfen, als er ein lautes, tiefes »Wah!« ausstieß, das schnell die Jäger um ihn sammelte. Er wies auf die Umgebung, und die Greuelthat ließ sich nicht mehr verkennen.

Der Platz lag gerade am Fuße einer umgestürzten Fichte, aus deren Wurzelhöhlung ein dichtes Gewirr von Brombeersträuchen und dornigen Schlingpflanzen aufgewachsen war. Ein Pferd hatte dieses kleine Dickicht umgehen wollen, die [] Hufspuren führten halb darum herum, als irgend etwas, wahrscheinlich das mörderische Blei, den Reiter aufgehalten haben mußte. Dort lag das erste Blut; aber der Unglückliche war noch nicht gestürzt, das Pferd hatte einen Sprung gemacht.

»Die Kugel muß das Pferd getroffen haben,« meinte Roberts, »sonst wäre der Reiter doch wohl heruntergefallen?«

Assowaum wies schweigend auf einen nahebei stehenden Hickory, an dessen hellgrauer Rinde, wohl acht bis neun Fuß vom Boden, deutliche Blutspuren sichtbar waren.

»Wahrhaftig!« rief Harper entsetzt – »an den Hickory ist er mit dem Kopf geschlagen – und hier ist auch die Stelle, wo er stürzte.«

Der Boden war dort von vielen Fußtritten zerstampft – der Ermordete mußte sich augenscheinlich gewehrt haben, und einzelne Zweige zeigten, wo er sich mit letzter, verzweifelter Kraft an sie geklammert und die Blätter abgestreift hatte. Dort war er auf ein Knie niedergesunken, dickes, dunkles Blut bedeckte an dieser Stelle den Boden – und nie wieder aufgestanden. Doch ja, da noch einmal – wo die rothe Lebensfluth an allen Büschen hing und wie aus quellender Ader gegen den Stamm jener Fichte gespritzt war. Das mochte das Aufglimmen des letzten Lebensfunkens gewesen sein. Unter dieser Cypresse hatte er geendet, und hier war auch die Leiche eine Zeit lang liegen geblieben; die Lage, mit dem Rücken über die scharfe Wurzel getrümmt, hätte kein Lebender ausgehalten.

Die Männer starrten schweigend und schaudernd auf diese schrecklichen Zeichen des Mordes; denn Mord war es, ein Kampf hatte nicht stattgefunden, höchstens eine verzweifelte Vertheidigung. Der Todte war von seinem Pferde herabgeschossen oder gezerrt, und erschlagen.

»Kommt!« sagte Assowaum und folgte jetzt der Spur bis zum Ufer des Flusses, vorsichtig dabei im Gehen jede Fußspur untersuchend. »Zwei haben ihn getragen.«

»Das fanden wir gestern schon – die Zeichen gehen bis an die Uferbank.«

[] »Hier hat er gelegen, und zwei haben hier gestanden – was ist das? Da ist ein Messer – blutig.«

»Ein Federmesser, beim ewigen Gott – mit dem können sie den Menschen doch nicht umgebracht haben?«

»Zeigt mir einmal das Messer,« sagte Roberts, die Hand danach ausstreckend – »vielleicht erkenn' ich es –«

Harper bog sich vor, und Beide beschauten es genau, endlich sprach der Erstere kopfschüttelnd:

»Habe das Ding nie gesehen – ist auch noch neu.«

Harper erkannte es ebenfalls nicht, auch den übrigen Männern war es fremd.

»Ich will es zu mir nehmen,« sagte Roberts endlich – »vielleicht kommen wir dadurch auf eine Spur; doch das Blut wasch' ich ab. Es sieht gar zu schrecklich aus –«

»A-tia,« rief Assowaum jetzt und zeigte auf eine frisch aufgegrabene Stelle im Busch, nicht weit von dort entfernt, wo die Leiche gelegen – »was ist das da?«

»Dort haben sie den Körper begraben,« rief der Krämer.

»Nein, bewahre,« sagte Curtis, der hinzugetreten war, »das Loch ist ja kaum groß genug, ein Opossum darin zu verscharren, viel weniger einen Menschen. – Aber gegraben ist hier und zwar mit einem breiten Messer – doch ist die Erde, die hier herausgenommen wurde, nicht mehr da; wozu können sie nur die Erde gebraucht haben?«

Assowaum betrachtete genau die Stelle zwischen dem Ort, wo die Leiche gelegen hatte, und der kleinen Grube, dann sagte er, sich aufrichtend:

»Wenn sich die Luft in den Kleidern fängt, schwimmt ein Körper manchmal und bleibt an irgend einem vorragenden Busch oder Baum hängen – ist der Körper mit Erde gefüllt, so sinkt er unter.«

»Schrecklich! schrecklich!« rief Roberts – »dazu also das kleine Messer – die Leiche aufzuschlitzen. Gentlemen, das ist eine fürchterliche That. – Wer mag nur der Unglückliche sein?«

»Die Fluth verbirgt das,« erwiderte Harper dumpf – [] »wer weiß, ob es je an den Tage kommt, aber – was macht der Indianer? was willst Du thun, Assowaum?«

»Ein Seil machen und tauchen,« sagte dieser, indem er von einem nicht sehr entfernt stehenden kleinen Papaobaum die Rinde abschälte und zusammenknüpfte.

»Tauchen? Nach der Leiche?« fragte Roberts entsetzt.

»Jau e-mau,« flüsterte der Indianer, mit der Hand auf das Wasser zeigend – »er ist da!« und dabei warf er Jagdhemd, Leggins und Moccasins ab und wollte eben hinunter in das Wasser springen.

»Halt!« sagte der Krämer, der indessen diese Vorrichtungen mit großer Aufmerksamkeit beobachtet hatte und jetzt einsah, was er beabsichtigte – »wenn Ihr das Seil um die Leiche binden wollt, so dauert es zu lange – hier ist ein Fischhaken.« Dabei nahm er ein kleines Packet aus der Tasche, das alle möglichen Arten von Angelhaken enthielt, woraus er einen der größten dem Indianer reichte.

»Das ist gut,« rief dieser freudig, befestigte den Haken schnell an der zähen Papaorinde, schaute noch einmal auf den Ort zurück, wo der Leichnam den Fluthen übergeben war, und verschwand im nächsten Augenblick an der Schreckensstelle. – Todtenstille herrschte mehrere Secunden lang – Keiner wagte zu athmen. Die Fluth hatte sich schon wieder gänzlich über der darin versunkenen Gestalt des rothen Jägers beruhigt, denn der Fluß war hier ziemlich tief, und nur schnell nach einander aufsteigende Luftblasen verriethen die Stelle, wo er sich befand. Da tauchte das schwarze glänzende Haar empor, und gleich darauf hob sich das Haupt des Kriegers über der Fläche. – Einmal holte er tief Athem und dann strich er aus, dem Ufer zu, wo die Männer standen. Er kletterte die steile Bank hinauf, hielt den Haken aber noch immer in der Hand.

»Und die Leiche?« frug Roberts.

»Ich habe sie gefühlt,« war die Antwort Assowaum's – »meine Hand hat sie berührt, als ich danach umhertappte. Das Wasser hob mich aber zu schnell wieder – sie ist unten!«

[] »Will Einer der Weißen mir einen Stein holen?« frug er dann nach einer Weile, indem er sich erschöpft unter einen Baum warf – – »ich bin matt und möchte ruhen!«

»Willst Du denn noch einmal hinunter?« rief Harper erstaunt. Der Indianer nickte nur mit dem Kopfe, Hartford lief aber schnell nach der nicht sehr weit entfernten Kiesbank und brachte von hier aus einen ziemlich gewichtigen Stein angeschleppt, um den Curtis sogleich ein kurzes Seil schlang und eine Schlinge daran befestigte.

»So, Indian,« sagte er dann, »wenn Du das auf diese Art an Dein linkes Handgelenk hängst, so nimmt's Dich hinunter, und willst Du wieder nach oben, so brauchst Du es nur abzustreifen – siehst Du, so!«

Der Indianer bedurfte keiner großen Belehrung, er befolgte schnell den Rath des Weißen, ließ aber diesmal das Ende der aus Rinde gedrehten Schnur in Curtis' Hand zurück und nahm nur den Fischhaken in die Rechte, dabei wohl darauf achtend, daß er sich nicht verwickeln könnte, glitt jetzt an der steilen Lehmwand hinunter und tauchte zum zweiten Male in den Fluß.

Diesmal dauerte sein Aufenthalt unter dem Wasser länger als das vorige Mal, denn er war des schweren Steines wegen genöthigt gewesen, langsam auf dem Grunde fortzuschreiten und mit dem Fuß nach dem Gegenstande seines Suchens zu fühlen. Endlich zuckte es an der Schnur, die den Haken hielt, viele Schaumblasen quollen empor, und wiederum erschien der dunkle Haupt des Indianers, der schnell an das Ufer ruderte, dort dem Wasser entstieg und schaudernd zurückblickte. Sein Antlitz hatte eine Aschenfarbe angenommen, und als er sich das lange rabenschwarze Haar aus der Stirn strich, starrte sein Auge so stier und geisterhaft drein, als gehöre er selber nicht mehr dieser Erde an, als sei er der Geist des Erstammes, der der dunkeln Tiefe entsteige, weil er das feuchte Grab nicht mit einem Feinde seines Volkes theilen wolle.

»Die Schnur ist befestigt,« rief Curtis, der das Ende in der Hand hielt, »Assowaum hat den Leichnam gefunden!«

[] Während der Indianer jetzt schweigend auf die Wasserfläche hinaussah, zogen die Männer oben auf der Uferbank langsam und vorsichtig die Schnur an, daß sie nicht zerreiße. Der Körper, in dessen Kleidern der Haken befestigt war, hob sich dadurch, und bald war ein dunkler Gegenstand im Wasser sichtbar. – Die Fluth theilte sich und wich, wie schaudernd vor der unheimlichen Last, zurück, und im nächsten Augenblick ergriff Assowaum die Schulter der Leiche und zog sie auf's Trockene. Die Männer waren hinabgesprungen, und als der Indianer den Körper umwandte, daß das bleiche Antlitz nach oben kam, ertönte ein Schreckensschrei von der Lippe. Einstimmig riefen die Jäger:

»Heathcott!«

»Heathcott,« wiederholte Harper nach.

»Mehrere Minuten lang standen die Männer schweigend da und betrachteten mit entsetzten Blicken das fürchterliche Schauspiel. Der Leib des Unglücklichen war aufgeschnitten und mit Erde und Steinen gefüllt; an der Stirn klaffte eine breite Wunde, die Kugel schien aber durch die Brust gegangen. Roberts bog sich zur Leiche nieder und untersuchte den Einschuß.

Wie viel Kugeln schießt Brown's Büchse?« frug er leise, als ob er sich scheue, den Namen des jungen Mannes vor dem Leichnam auszusprechen.

»Dreißig,« flüsterte Harper zurück. Roberts wies schweigend auf das Loch, das die Kugel in die Brust des Todten gerissen.

»Haltet Ihr ihn für schuldig?« frug Harper jetzt, scheu den Blick im Kreis umherwendend.

»Schuldig? nein, bei Gott nicht,« rief Curtis; »kein Geschworenengericht in ganz Arkansas würde ihn schuldig sprechen, nachdem der da, wie ich von Smith gehört, solche Drohungen gegen ihn ausgestoßen. – Ich hätt' ihn auch erschossen. Leid thut mir's, wenn ich den kräftigen Burschen da so liegen sehe, daß er sein Leben auf solche Art vergeudete, wo er ein nützlicher Bürger im Staate werden konnte; aber Pest und Tod! wenn solche Gesellen, die dafür bekannt sind, daß sie bei [] Raufereien und Totschlägen ihr Wort halten, mit klaren Worten sagen, sie wollten irgend Einen, wo sie ihn zuerst wieder träfen, über den Haufen schießen, so verdienen sie weiter nichts als eine Kugel – das ist meine Meinung. – Nur – das – das Bauchaufschlitzen hätte er können sein lassen – die Aasgeier würden das eben so gut und noch schneller beendet haben; seht nur, wie sie schon in Schaaren herbeikommen. – Diesmal habt ihr euch aber geirrt, der Braten mächte euch entzogen werden. Wir müssen doch wohl darüber Meldung machen, oder sollen wir ihn liegen lassen?«

»Nein, auf keinen Fall,« sagte Roberts – »das dürfen wir nicht; am besten wird's sein, wir decken ihn hier mit Zweigen zu und melden es dem Friedensrichter; der mag seinen Constabler danach schicken. Ich will mich nicht weiter damit befassen; – was sucht Ihr, Hartford?«

Der Krämer war neben der Leiche niedergekniet und visitirte sehr sorgfältig das lederne Jagdhemd, das in nassen Falten auf der Brust derselben klebte.

»Der Mann hier,« sprach er endlich aufstehend, sehr ernst – »trug in der ledernen Tasche, die Ihr da seht – vierhundert und siebzig Dollar in Banknoten, alle so gut wie Silber, bei sich – ich habe sie gestern Morgen in Bowitt's Hause selbst gesehen, und verloren kann er sie nicht haben, denn der Knopf dort an der Tasche geht schwer auf – die Tasche ist von Jemandem geöffnet und das Geld – herausgenommen worden.«

»Wer wagt es hier, zu sagen, daß mein Neffe einen Todten beraubt habe?« schrie der alte Harper, während sein Antlitz Leichenblässe übergoß, das Messer aus der Scheide reißend, in die Höhe sprang. – »Wer nennt meinen Bill einen Dieb?«

»Haltet ein, Harper,« sagte Roberts freundlich, ihm die Hand auf den Arm legend, »wir haben alle Ursache zu glauben, daß Brown Heathcott erschoß. Das Geld kann ein Anderer genommen haben – es waren ihrer Zwei bei dem Werke.«

»Wer aber sollte noch bei ihm gewesen sein?«

[] »Das weiß nur Gott – nicht wir; aber hier sind die Fußspuren von zwei Männern, eine von Stiefeln, die andere von Schuhen, das ist augenscheinlich, und wenn Brown das Rachewerk verübte, so kann der Andere leicht Gelegenheit gefunden haben, das Geld für sich in Sicherheit zu bringen.«

»Brown würde das nie zugelassen haben.«

»Wenn er's gerade gesehen hat; aber das bleibt sich gleich; das Geld war da, denn vor meinem Hause erwähnte er, daß er eine Summe für drei Pferde bei sich trage. – Brown hörte das zwar, ich halte jedoch den jungen Mann für rechtlich, und wie gesagt, wer kennt Den, der ihm half?«

»Das ist schrecklich!« rief Harper, indem er das Gesicht mit den Händen bedeckte und sich, von den heftigsten Gefühlen bewegt, an einen Baum lehnte. Assowaum saß sinnend, mit untergeschlagenen Füßen, das Kinn in die linke Hand, den Ellbogen auf das Knie gestützt, am Fuße desselben Stammes.

»So laßt uns unser Werk denn beginnen,« sagte Curtis, indem er anfing, Zweige herbeizuschleppen – »mich schaudert's in der Nachbarschaft hier und ich möchte keine Stunde länger neben dem unheimlichen Antlitz da zubringen.«

»Recht so, Curtis,« sagte Roberts, indem er ihm half, einen etwas schweren heruntergebrochenen Ast zur Leiche hinzuschleppen – »noch ein paar solche Stücke wie dies hier, und dann ordentlich Zweige darüber, so werden die Raben und Geier den Platz schon eine Weile in Ruhe lassen; Wölfe kommen überdies nicht am Tage her.«

Curtis, Roberts und Hartford beendeten bald das einstweilige Grab des Gemordeten, indem sie mit ihren schweren Jagdmessern eine hinlängliche Quantität Zweige abhieben und davon ein Dach bildeten, Harper und Assowaum aber blieben dabei unthätig. Endlich war die traurige Pflicht erfüllt und die Männer rüsteten sich zum Aufbruch. Harper folgte ihnen zwar, als sie den Platz verließen, aber scheinbar bewußtlos; die Kraft des alten Mannes schien gebrochen. Er klagte nicht, doch kündete die bleiche Wange, der stiere Blick nur zu deutlich, was in seinem Innern vorginge. Daß Brown den Mord begangen hatte, daran zweifelte selbst er [] keinen Augenblick; das hätte ihm aber auch in den Augen der Welt, wenigstens in Arkansas, nicht zur Schande gereicht; doch das Geld – das Geld – es war entsetzlich! Er kannte die Menschen, die nur zu geneigt sind, von Jedem das Schlimmste zu denken, selbst da, wo das Schlimmste nicht solch' sprechende Beweise für sich hatte, und hier, wo sogar der Unbefangene schwankend werden mußte – es war fürchterlich. Er stieg in den Sattel und überließ das Pferd, das langsam den anderen folgte, sich selbst, achtete nicht einmal darauf, daß der Indianer in seiner sinnenden Stellung am Fuße des Baumes verharrte.

Assowaum blieb noch viele Minuten lang, als Jene schon Alle im Dickicht verschwunden waren, sitzen und starrte träumend vor sich nieder, dann aber, als auch der letzte Schall der Hufe, das letzte Kläffen der Hunde verhallt war, erhob er sich leise und begann von Neuem seine Untersuchung der Fährten und Zeichen. An dem Stiel seines Tomahawks bemerkte er mit dem kleinen Messer, das er im Gürtel trug, die genaue Länge und Breite der Fußstapfen, schulterte dann, nachdem er sich überzeugt hatte, daß nichts seiner Aufmerksamkeit entgangen war, die Büchse und drang in einer der, welche die Jäger eingeschlagen, entgegengesetzten Richtung in den dichten Wald.

[] 9.
Das vierblätterige Kleeblatt verhandelt eine Geschäftssache. – Rowson's gerechte Entrüstung über den Mord und Marions' Schwachheit.

Wir müssen den Leser zu dem Dickicht zurückzuführen, mit dem wir diese Erzählung eröffneten, und wo an demselben Morgen, an dem die Jäger am Petite-Jeanne den Leichnam [] aus dem Flusse fischten, die vier Verbündeten eintreffen und den Weitere ihres Planes bereden wollten. Cotton und Weston waren die Ersten auf dem Platze, Johnson und Rowson ließen aber ebenfalls nicht lange auf sich warten und wurden von den beiden anderen mit fröhlichem »Hurrah« bewillkommt.

»Bst – bst –« sagte Rowson beschwichtigend – »lärmt doch nicht, als ob Ihr auf der Countystraße ständet und Euch nichts daraus machtet, wer Euch hört.«

»Nun, ich mache mir auch nichts daraus,« lachte Weston – »was wär's denn weiter, wenn uns hier Jemand zusammen träfe?«

»Für Euch freilich nicht – aber für mich. – Meine Schwiegermutter ist eine gar fromme Frau und würde sich's wenig zur Ehre rechnen, wenn ich Euch Beide unter meine Bekanntschaft zählte.«

»Eure Schwiegermutter?« frug Cotton erstaunt; »nein, sagt Rowson, ist's denn wahr, was die Leute schwatzen? gedenkt Ihr wirklich des alten Roberts Tochter zu heirathen? Gehört hab' ich's schon, aber immer noch nicht glauben wollen.«

»Und warum nicht, Mr. Cotton? Dies ist der letzte Handel, den wir auf diese Art zusammen machen; – ich will ein ehrlicher Mann werden.«

»Zeit wär's, das ist richtig,« lachte Cotton, »fast schon ein bischen zu spät; aber Gott sei dem armen Mädchen gnädig!«

»Mr. Cotton, ich verbitte mir alle Anzüglichkeiten; in dieser Hinsicht verstehe ich keinen Spaß.«

»Frieden!« sagte Johnson; »wir sind nicht hierhergekommen, Eure alten Neckereien zu beginnen, der Zweck ist ernster. – Wie ist Eure Jagd abgelaufen, Cotton?«

»Vier Hirsche und einen Fuchs.«

»Dem Fuchs hättet Ihr das Leben schenken können; und Eure, Weston?«

»Zwei Hirsche und drei Truthühner.«

»Dann hab' ich am wenigsten,« sagte Johnson, »eigentlich [] könnte ich aber eine Entschuldigung geltend machen. Ich fiel gestern Morgen von einem der steilen Bergkämme herunter, das heißt ein Stein gab nach und ich rutschte, schlug mir auch dabei den ganzen Arm auf; das hat mich denn freilich sehr im Jagen gehindert.«

»Halt da – das ist einerlei,« rief Weston – »da gälte es bei einem Pferderennen ja auch nicht, wenn eins der Pferde unterwegs lahm würde. Nein, gleichen Auslauf und eigenes Risico –«

»Wo habt Ihr denn Eure Felle, heh?« frug Johnson halb ärgerlich.

»Neben Cotton's Hütte hängen sie. – Glaubt Ihr uns nicht, so kommt mit; ich dächte aber doch –«

»Ja, ja – es ist schon gut – war ja nur ein Scherz; also Rowson und ich beginnen den Tanz. Gott steh' uns bei, was das für Leben in der Ansiedelung geben wird. Doch nur vierundzwanzig Stunden Vorsprung, und ganz Arkansas soll die Thiere nicht wieder finden. Rowson hat einen vortrefflichen Plan; vergeßt also den Platz nicht, über Hoswels' Canoe, und Ihr, Weston, haltet Eure Pferde an dem Abend, wo Ihr uns erwartet, in der verfallenen Hütte am Horsecreek und macht dorthin so wenig Spuren wie möglich. – Doch Ihr werdet das schon gescheidt anfangen.«

»Wo halt' ich mich denn indessen am besten auf?« frug Cotton, »brach liegen möcht' ich gerade nicht. – Ih was, ich gehe zu Atkins hinüber, da kann ich ein wenig ausruhen.«

»Dort in der Gegend ist auch genug Wild, an Fleisch wird's nicht fehlen,« sagte Johnson.

»Und die Regulatoren?«

»Mögen zum Teufel gehen; ehe sie den Braten riechen, ist's zu spät, und sie haben dann, mit all' ihrer Weisheit, die beste Zeit versäumt. Freilich wird's nachher eine Zeit lang merkwürdig unruhig hier im County werden.«

»Wenn mir mein Plan gelingt,« sagte Rowson, »so werden uns die Regulatoren wenig anhaben können. Sie müssen auf die falsche Fährte kommen, und erst einmal Einen [] von den Hunden darauf gebracht, so zieht dessen Geheul die ganze kläffende Meute hinderdrein. Es wäre ein Hauptspaß, wenn besonders der bramarbasirende Husfield zum Narren gehalten würde.«

»Nun, wir werden Alle unser Möglichstes thun – wann brecht Ihr aber auf?«

»Gleich,« sagte Johnson – »je eher das beseitigt wird, desto besser ist's. Die Regulatoren-Versammlungen fangen jetzt an, kommt also erst das ganze Land, durch die verdammten Halunken rebellisch gemacht, in Gährung, so möcht' es zu spät sein, auf ein vernünftiges Geschäft einzugehen.«

»Ich muß auf jeden Fall noch vorher einmal zu Roberts,« sagte Rowson, »und zwar gleich heute Morgen – mache übrigens dabei auch gar keinen Umweg. Johnson kann indessen durch den Wald gehen, und wir treffen uns dann an den Quellen des Cypressenflüßchens, wo die Rothbuche steht, wieder.«

»Also wir gehen zu Fuß?« frug Johnson.

»Versteht sich,« erwiderte Rowson – »heißt das – hinwärts, zurück schwerlich!«

»Nein, hoffentlich nicht,« lachte Cotton, »und nun, Boys, Good bye – ich will machen, daß ich fortkomme.«

»Wann werdet Ihr am bestimmten Platze eintreffen?« frug Weston, »daß ich mich dort nicht gar zu lange mit den Pferden herumtreiben muß?«

»Nun, vor Freitag Abend auf keinen Fall,« erwiderte Rowson – »das heißt, wenn nichts dazwischen kommt. Finden wir am Donnerstag Abend, denn eher können wir den Platz zu Fuß nicht erreichen, keine gute Gelegenheit, so dauert es freilich bis Sonnabend, ich hoffe aber, es soll Alles gut gehen, und dann sind wir Freitag Abend mit Sonnenuntergang am bestimmten Platze; auf baldiges – frohes Wiedersehen also!«

»Auf Wiedersehen!« riefen Cotton und Weston und verloren sich in den Büschen. – Rowson blickte ihnen noch eine Weile nach und sprach dann kopfschüttelnd zu dem Gefährten:

[] »Johnson, dies muß das letzte Mal sein, daß wir mit dem Burschen, dem Cotton, etwas anfangen. Auf der Insel wollen sie auch nichts mehr von ihm wissen, sie haben erfahren, daß er sich immer betrinkt und nachher allerlei tolles Zeug schwatzt und Händel sucht.«

»Der Junge, der Weston, ist eben so wenig nach meinem Sinn,« erwiderte Johnson – »ich glaube wahrhaftig, wenn dem das Feuer recht auf den Nägeln brennte, er schwatzte aus der Schule. – Ich trau' ihm nicht.«

»Wir wollen hoffen, daß seine Schweigsamkeit nie auf die Probe gestellt wird,« sagte Rowson sehr ernst – »wer weiß, was wir Alle in solchem Falle thäten. Es hat etwas merkwürdig Verführerisches, sein eigenes Fell durch die Aufopferung von ein paar Anderen, Fremden, in Sicherheit bringen zu können. Mit uns Beiden ist es freilich etwas Anderes, ich glaube nicht, daß uns State's evidence Wenn Jemand der Kläger seiner Kameraden wird und für den Staat als Zeuge auftritt. viel hälfe, und wo –«

»Je weniger wir darüber sprechen, desto besser,« rief Johnson ruhig, indem er nach dem Pulver auf seiner Pfanne sah – »wo lassen wir die Pferde?«

»Wieder bei Fulweals – Weston weiß es schon und holt sie dort ab.«

»Gut – dann geh Du jetzt zur gerade nach der Straße zu und folge der, und ich halte mich im Walde – es ist besser, wenn wir nicht zusammen gesehen werden.«

»Glück zu indessen!«

»Glück zu!«

Rowson, der jetzt den Platz erreichte, wo sein Pferd angebunden stand, schwang sich hinauf und trabte gegen die Straße an, auf der er dem Pferd die Zügel ließ und scharf dahin galoppirte, bis er von fern das helle Dach der friedlichen Wohnung schimmern sah, in der sein Liebchen haufte. Hier griff er zuerst wieder dem Thier in die Zügel, näherte sich dem Hause in einem gemäßigten Schritt und stieg an [] der Thür ab. Wenn aber auch von Mrs. Roberts mit Freude, von Marion mit Freundlichkeit empfangen, hielt er sich doch nicht lange bei den Frauen auf, sondern verkündete ihnen, daß er nur gekommen sei, auf einige Tage Abschied zu nehmen. Theils zwinge ihn sein Beruf dazu, den nördlichen Theil des County ebenfalls zu bereisen und das Wort des Herrn zu lehren, theils auch nöthigten ihn seine Geschäfte, an den Arkansas River zu gehen, um dort eine Summe des erwarteten Geldes in Empfang zu nehmen.

»Bald, meine theure Marion,« fuhr er fort, indem er die Hand des leicht erbleichenden Mädchens zärtlich in die seine nahm, »bald wird nun auch mein heißester Seelenwunsch erfüllt, und wir Beide werden mit der Hülfe unseres Herrn Jesus Christus in Frieden unsere Wohnung mitsammen aufschlagen. Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei; das unstäte Leben sagt auch meinem Körper nicht zu, das ewige Herumreiten zwingt mich oft, einer Nachtherberge wegen Orte aufzusuchen, die ich sonst gern gemieden hätte.«

»Die Männer von Arkansas,« flüsterte Marion leise, »schlafen gern im Freien – Mr. Rowson hat das wohl noch nicht versucht?«

»Doch, liebe Marion, doch, aber es sagt meiner Gesundheit nicht recht zu – ich bin über die Jünglingsjahre hinaus; warum Beschwerden aufsuchen, die man vermeiden kann? Aber lebe wohl, liebes Kind – der Himmel nehme Dich indessen in seinen Schutz. Vorher nur wollen wir noch einmal brünstig zum Herrn beten, daß er unser schwaches Bemühen segne und uns gnädig sei.«

Damit nahm er sein kleines, schwarz eingebundenes Gebetbüchlein, das er stets in der Tasche trug, hervor und begann mit lauter Stimme seine Andacht. Die Frauen knieten, der Methodistensitte gemäß, an ihren Stühlen nieder, und Marion schaute über die gefalteten Hände hinweg mit feuchten Augen zu dem klaren, reinen Himmel empor. Ihre Gedanken schweiften weit, weit fort – sie vernahm nicht die rauhe Stimme des Frömmlers, der an ihrer Seite seine monotonen, auswendig gelernten Phrasen mit demselben Gefühl vielleicht hersagte, als [] der Spielmann sein tausendmal gespieltes Lied anhört – ihre Blicke hingen an dem heitern Dome des Herrn, und wenn auch ihre Lippen sich schweigend an die zarten Finger preßten, ihr Herz sprach mit ihrem Gott.

»Reib' die Pferde ein wenig ab, – in einer Stunde muß ich wieder fort!« sprach Roberts' Stimme draußen zum Neger – »kommt einen Augenblick herein, Harper, und ruht Euch aus – was wollt Ihr jetzt zu Hause? Kommt, ich bin selbst müde, und sehne mich danach, einen Augenblick auszuruhen. Hallo – da ist wahrhaftig wieder Betstunde,« fuhr er dann leise, zu dem Fremden gewendet, fort. – »Hol' der Teufel den Pfaffen! – Wenn ein Mensch auch gar nichts Anderes zu thun hat, als in einem fort auf den Knieen herumzurutschen – ob denn damit dem lieben Gott wohl ein Gefallen geschehen mag? – Tom, hol' uns ein paar Stühle aus dem Hause,« rief er dann wieder in lauterem Tone dem Neger zu, der eben die Sättel von den Pferden nahm. Rowson hatte aber die Ankunft der beiden Männer gehört, und brach sein Gebet ab, als der Neger eben in die Stube kam. Die Männer traten dann ohne weitere Umstände ein.

»Guten Morgen, Ladies!« sagte Harper – aber es sah bleich und elend aus, seine Augen lagen in ihren Höhlen, seine Kniee konnten kaum das Gewicht des Körpers tragen – er sank matt in einen Stuhl.

»Mr. Harper – um Gottes willen, was ist Ihnen?«

»Nichts – ich danke – es wird vorüber gehen – ein Glas Wasser, wenn ich bitten darf.«

Marion nahm den langstieligen Flaschenkürbis, der im Wassereimer lag, und reichte ihn dem alten Mann.

»Es ist ein Mord verübt,« sagte Roberts jetzt, indem er seinen Stuhl an den Kamin rückte und starr vor sich niedersah – »ein Mord – ein schrecklicher Mord – Heathcott ist erschlagen.«

»Heathcott?« rief Rowson, ihn anstarrend – »Heathcott? wer sagt das?«

»Ich habe die Leiche gesehen – Brown hat ihn erschlagen! [] Was ist dem Mädchen? Marion – Unsinn – was braucht sie ohnmächtig zu werden, wenn man von einem Morde spricht; es ist doch wahrlich nicht der erste, von dem sie hört.« Harper war leise an ihn herangetreten.

»Erwähnt hier nichts von dem Geld,« flüsterte er Roberts zu – »laßt uns erst sehen, ob wir nicht dem Andern auf die Spur kommen.«

»Habt keine Angst,« erwiderte Roberts – »hierin glaub' ich selbst an Brown's Unschuld.«

Rowson hatte einen Augenblick, wie in tiefes Gebet versunken, dagestanden, jetzt aber hob er die Augen seufzend empor und sagte schaudernd:

»Es ist schrecklich – fürchterlich – so jung noch, und schon Mörder und Räuber.«

»Räuber?« fuhr Harper wild auf.

»Aeußerte Heathcott hier nicht, daß er eine bedeutende Summe mit sich trage? Glaubt Ihr, sein Mörder wird das Geld mit ihm begraben haben?« Marion sah in ängstlicher Erwartung nach ihrem Vater hinüber, als ob sie dessen Antwort erwarte. Roberts schwieg und starrte schweigend in die im Kamin lodernde Flamme.

»Heathcott war ein sündiger Mensch,« fuhr Rowson mit strenger Stimme fort, »aber so zu sterben, so in seinen Sünden hinzufahren, das ist schrecklich. Wo ist die schauderhafte That verübt, Mr. Roberts?«

»Am Petite-Jeanne – wir fanden die Spuren, und Assowaum holte die Leiche aus dem Flusse.«

Der Prediger schwieg mehrere Minuten und starrte, in Gedanken versunken, vor sich nieder, dann erhob er sich plötzlich und frug, die Augen fest auf Roberts geheftet:

»Aber woher wissen Sie, daß Brown der Mörder ist?«

»Er ist an demselben Morgen in jener Gegend gesehen worden,« sagte Roberts seufzend, »und es waren Zwei, die den Mord verübten. – Brown hatte ja auch am vorhergehenden Tage den Zank mit dem Ermordeten, der damals solch' wilde Drohungen gegen ihn ausstieß.«

»Schändlich – schändlich,« rief Rowson in frommer Entrüstung [] – »ich will selbst an den Petite-Jeanne gehen, vielleicht kann man den Mörder noch einholen.«

»Mr. Rowson – es war Ihrethalben, daß der unglückliche junge Mann den Streit mit dem jetzt Todten begann,« sagte Marion ernst, zu ihrem Bräutigam aufsehend – »Ihnen geziemte es am wenigsten, den Stab über ihn zu brechen.«

»Marion!« rief die Mutter, entrüstet über die Kühnheit des sonst so sanften Mädchens – »Marion – was unterstehst Du Dich?«

»Lassen Sie das Kind, Schwester Roberts,« erwiderte Rowson mild – »sie urtheilt nach äußeren Eindrücken, wer kann es ihr verdenken? – Gott nur sieht das Herz und versteht es zu prüfen.«

»Würde Ihnen wenig helfen, meinen Neffen zu fangen,« sagte Harper jetzt ärgerlich aufstehend – »wir Alle sind bereit, die Drohungen zu beschwören, die Heathcott hier gegen ihn ausgestoßen hat. – Ein Geschworenengericht müßte und würde ihn freisprechen – überdies kommt er in acht Tagen zurück und wird sich selber verteidigen.«

»Er kommt zurück?« frug Rowson schnell.

»Gott sei gedankt – dann ist er auch nicht schuldig!« rief Marion in der Freude ihres Herzens.

»Miß Marion scheint vielen Antheil an dem jungen Mann zu nehmen,« bemerkte Rowson.

»An jedem Unschuldigen!« sagte das schöne Mädchen, zu gleicher Zeit aber selbst über den Eifer erröthend, mit dem sie des fremden Mannes Sache vertreten hatte.

»Das ist schön und lobenswerth,« erwiderte freundlich der Prediger – »möge der Herr Dich dafür segnen, mein gutes Kind, und Dir Deinen frommen Glauben erhalten. Du hast noch nicht solch' bittere Erfahrungen gemacht, wie wir – möge es auch nie geschehen!« Er trat darauf noch zu Mrs. Roberts und theilte ihr leise etwas mit, küßte dann seine Braut achtungsvoll auf die Stirn und folgte den beiden Männern, die sich nach kurzem Abschiedswort wieder in den Sattel geschwungen hatten, vor die Thür. Hier bestieg er[] sein kleines lebhaftes Pony, und ritt langsam den breiten Weg hinauf, der zwischen den zwei Maisfeldern hin und auf einen schmaleren Pfad führte, welcher später nordwestlich, dem Arkansasfluß zulief!

»Mutter,« sagte Marion nach einer stummen, schmerzlichen Pause, als sie allein mit einander waren, »Mutter – ich kann den Mann nicht lieben. – Mein Herz weiß nichts von einem Gefühl, das ich ihm am Altare heucheln müßte.«

»Kind,« rief die Matrone erschreckt, indem sie der Tochter Hand ergriff – »bete! es hat nichts auf der Welt etwas so Erquickendes als ein brünstiges Gebet, wenn der Versucher naht. – Du weißt, daß Mr. Rowson Dein und mein Wort hat – Du weißt, daß seine ganze Glückseligkeit davon abhängt, und an der Seite eines so frommen Mannes wirst auch Du jenen Grad von Seelenreinheit erringen, der Dir jetzt noch so gänzlich mangelt. Mr. Rowson hat, wie er mir eben vertraute, Hoffnung, seine Geschäfte noch vor der früher festgesetzten Zeit beendigt zu sehen, und sobald das geschehen sein wird, ist die Hochzeit. – Sei mein gutes Kind, wie Du es immer gewesen bist, und Du wirst so glücklich werden, wie Du es verdienst.« Marion lag an der Mutter Halfe und schluchzte laut.

[] 10.
Die Sheriffswahl in Pettyville. – Die Verfolger sind auf den Fährten.

In Pettyville war Wahltag. – Es sollte nämlich ein Sheriff und ein Clerk Gerichtsschreiber. für das County ernannt werden, und [] drei Candidaten hatten sich schon zu der ersteren, zwei zur letzteren Stelle gemeldet. Der Eine, ein wohlhabender Farmer aus der Nachbarschaft, Kowles mit Namen, hatte die Wähler mit einem Festessen, das er am vorigen 4. Juli, am Jahrestag der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, gegeben, auf seine Seite zu bringen gesucht. Auch jetzt noch trug er stets in der einen Tasche ein kleines Fläschchen mit Whisky, in der andern ein Stück Kautabak, und man sagte sich, daß er, wo nur die mindeste Hoffnung sei, eine Stimme zu erhalten, mit beidem sehr freigebig umgehe. Der zweite war ein Deutscher, aber schon ziemlich lange in Amerika, und hatte den Fluß weiter hinauf einen kleinen Kramladen; der Dritte dagegen ein Farmer vom Arkansasfluß, der die Stelle schon einmal bekleidet, später jedoch nicht wieder gewählt war, indem er den guten Leuten, sonst in dieser Hinsicht wirklich sehr nachsichtig, doch etwas zu viel trank. »Dreimal die Woche«, hatten Mehrere geäußert, »ließen sie sich ein bischen ›schräg‹ wohl gefallen, aber alle Tage, das sei zu viel.« Jetzt sollte er sich übrigens gebessert haben und hatte sehr viele Stimmen für sich. Vattel war auch wirklich ein herzensguter Bursche, machte sehr gern seinen Spaß mit, nahm nie einen Scherz übel, stand aber auch seinen Mann, wenn es galt, sein Amt zu behaupten.

Um zwei Uhr sollte die Wahl beginnen, und die bis jetzt anwesenden Farmer und Jäger, die in dem kleinen Häuschen, in dem der Tisch mit den Schreibmaterialien stand, und um dasselbe versammelt waren, vertrieben sich die Zeit nach besten Kräften. Das Haus war ein gewöhnliches Blockhaus, mit einem Bett in der einen, einem Tisch in der andern Ecke. An den Wänden lehnten überall Büchsen, an allen Nägeln oder vielmehr Pflöcken (denn an Eisen war im ganzen Gebäude kein großer Ueberfluß) – hingen Kugeltaschen und Pulverhörner, und theils auf Decken, theils auf den rauhen Dielen hingestreckt lagen mehrere Hinderwäldler und unterhielten sich höchst angelegentlich über Weiden, Wild und eine kürzlich in den Fourche la fave-Bergen angeblich entdeckte Goldmine.

Die eigenthümlichste Gruppe bildeten aber doch wohl die auf und neben dem Bett Gelagerten. Auf der untern Kante [] desselben, den linken Fuß gegen die Erde gestemmt, saß die lange, dürre Gestalt eine Mannes, in einem sehr abgetragenen hellblauen wollenen Frack, dessen Rücktheil übrigens keineswegs aus demselben Stoff bestand als Kragen und Aermel. Auf dem Kopf trug er einen alten Filz, in den er an drei verschiedenen Seiten Löcher hineingeschnitten hatte, um frische Luft hindurch zu lassen. Ein gleiches Experiment war mit seinen Schuhen vorgenommen, doch hier, wie es schien, weniger der Luft als der Hühneraugen wegen, und die Beinkleider, die um die Kniee herum wirklich nur noch durch verschiedene hirschlederne Riemen zusammengehalten wurden, sahen so buntfarbig aus wie eine Landkarte der Vereinigten Staaten selbst, von deren es Robin's Stolz war, sich ihren freien Bürgern zu zählen. Eine alte, abgenutzte lederne Kugeltasche hing ihm an der rechten Seite, und ein sehr kleines Messer mit hölzernem Griff stak vorn in seinem Gurt, der die oben beschriebenen Beinkleider verhinderte, sich ganz von einem Körper zu entfernen, dem sie überdies nur noch theilweise anzugehören schienen.

Trotz seines sehr unabhängigen Aeußern aber (wenn man das Wort unabhängig von einem Menschen gebrauchen kann, an dem wirklich Alles hing) saß er sehr gemüthlich auf dem höchst unbequemen, scharfkantigen Sitz und bekratzte in einer so entsetzlichen Art einer alte Violine, daß die Hunde, die sich draußen an der Hütte sonnten, unruhig auf ihren Plätzen hin- und herrückten, und augenscheinlich mit sich uneins waren, ob sie den guten warmen Platz im Stiche lassen oder noch länger das Gequietsche mit anhören sollten. Die Männer im Innern der Hütte schienen den ohrzerreißenden Lärm übrigens gar nicht zu bemerken, sie schwatzten und lachten, und beachteten den Spieler nicht weiter. Nur Einer, ein blondhaariger junger Farmer, der mit allen Zeichen größter Behaglichkeit in voller Länge ausgestreckt auf dem Bett, mit den Füßen nach dem Spieler zu lag, schien besondern Antheil an dem Vortrage des ganz in sich selbst vergessenen Künstlers zu nehmen, denn er folgte der Melodie, indem er dieselbe Weise, freilich in einer ganz andern Tonart, dazu pfiff. Der Spieler [] blieb aber bei einem und demselben Liede, und geigte den Vers wohl fünfzigmal herunter, immer wieder von vorn an, bis es selbst sein geduldiger Zuhörer endlich satt bekam. Dem zweiten Paganini mit der Fußspitze also einen gelinden Stoß versetzend, um seiner Aufmerksamkeit gewiß zu sein, rief er aus:

»Verdamm es – Robin, hier lieg' ich nun schon eine halbe Stunde und pfeife immer dasselbe Lied – könnt Ihr denn gar nichts Anderes? – So – das ist recht – Yankee Doodle.« Und wieder zurück auf das Kissen fallend, von dem er sich eben erst etwas erhoben hatte, begann er sein Pfeifen des neuen Stückes aus Leibeskräften.

»Wie ist es denn noch mit der Leiche geworden?« frug ein Farmer von der Mündung des Fourche la fave – »ich habe ja gar nichts weiter drüber gehört.«

»Nun, da ist weiter nichts geworden,« erwiderte ein Anderer – »die Männer, die sie gefunden, hatten sie mit Zweigen zugedeckt, und wir gingen Alle hinaus, um den Spuren zu folgen und den andern Burschen auszufinden, der die Hand mit im Spiele gehabt. Ihr wißt aber, daß es am Nachmittag so fürchterlich zu regnen anfing, und da ließ sich denn weiter nichts mehr thun.«

»Also Brown hat ihn wirklich über den Haufen geschossen?«

»Nun natürlich,« sagte der Friedensrichter, der zu ihnen trat – »das war auch vorauszusehen. Wer zum Teufel wird sich denn solche Drohungen an den Hals werfen lassen? Aber den Zweiten möcht' ich ausfinden, der Bursche hatte sicherlich keinen Grund, und man weiß auch wahrhaftig gar nicht, auf wen man eigentlich Verdacht haben soll.«

»Es war doch verdammt viel von dem Indianer, so unterzutauchen, um eine Leiche anzuhaken. – Weiß nicht, was mir Einer hätte geben müssen!«

»Ach, die Rothhäute sind so etwas gewöhnt – ohne den hätten wir ja auch gar nicht erfahren können, wer der Todte eigentlich sei, denn auf Heathcott würde Niemand gedacht haben –«

[] »Wenn sich der Indianer nicht so gut bei der Sache benommen hätte, würde ich auf ihn selbst Verdacht werfen,« sagte der Richter – »Brown und die Rothhaut sind überhaupt immer wie Hand und Handschuh mit einander, und es wäre gar nicht zu verwundern gewesen, wenn sie hier in einem und demselben Joch gezogen. Das scheint aber doch nicht so, denn sonst möchte sich Assowaum wohl gehütet haben, die Hand zu etwas zu bieten, was ihm gefährlich sein mußte und ohne ihn sicherlich unterblib.«

»Haben sich denn die Regulatoren schon einen andern Führer gewählt?«

»Am Sonntag wollen sie bei Bowitts zusammenkommen und Alles bereden. – Es leben Mehrere hier in der Gegend, denen sie auf der Spur sind.«

»Ob denn das wahr ist, daß sie den Todten auch beraubt haben?«

»Geld hatte er an demselben Morgen bei sich, das weiß ich gewiß,« sagte Cook, der auf dem Bette lag und jetzt einen Augenblick zu pfeifen aufhörte – »Geld hatte er, und zwar in einem kleinen rothledernen Taschenbuche inwendig in seinem Jagdhemd eingeknöpft – es war aber fort, als sie ihn fanden; natürlich haben sie das bei Seite gebracht –«

»Brown nicht, darauf wollt' ich schwören!« sagte der Richter – »Brown halte ich für einen ehrlichen Kerl, und es kommt mir das schon sonderbar von ihm vor, daß er sich noch jemand Anders zu Hülfe genommen hat, den Prahlhans unschädlich zu machen.«

»Robin,« sagte Cook vom Bett aus, auf dem er sich jetzt halb herumdrehte und dem Ebengenannten einen zweiten freundschaftlichen Stoß mit der Fußspitze verabreichte – »Robin, wenn Ihr nun nicht bald mit Eurem Yankee Doodle aufhört, so hol' ich wahrhaftig die Hunde herein; könnt Ihr denn weiter nichts als die zwei Stücke?«

Robin begann Washington's Marsch zu spielen, und Cook beruhigte sich wieder.

»Gentlemen,« rief jetzt der Richter – »es wird Zeit, daß wir anfangen, es muß zwei Uhr sein. Uebrigens fehlt [] uns noch ein Schreiber. – Wer könnte denn von den Anwesenden die Stelle versehen, heh? Cook – Ihr könnt schreiben!«

»Ja – meinen Namen; da ich aber nicht mit auf der Candidatenliste bin, so möchte der schwerlich vorkommen.«

»Smith – Ihr denn – oder Hopper – oder Moos – was zum Henker, kann denn keiner von Euch eine Liste führen?«

»Da draußen kommt Hecker – der Deutsche, der kann schreiben,« sagte Robin, mit seinem Violinbogen nach der offenen Thür zeigend.

»He, Hecker!« rief der Richter, »habt Ihr eine Stunde Zeit, die Namenliste hier zu führen?«

»Ja – zwei oder drei,« erwiderte der Angeredete, indem er in die Thür trat – »ich will nur mit Dunkelwerden an der Salzlecke drüben über dem Berge sein. Wenn ich um fünf Uhr fortgehe, komm' ich zeitig genug.«

»Gut – dann stellt Eure Büchse dort in die Ecke – ist sie geladen?«

»Denkt Ihr, ich schleppe ein leeres Rohr im Walde herum?«

»Nun, lehnt sie nur gut an – ich habe immer Angst, die verdammten kurzen Dinger könnten Schaden thun.«

Hecker, ein junger Deutscher, der sich dort in der Gegend von der Jagd ernährte, auch ganz wie die dortigen Hinterwäldler gekleidet war, rückte sich einen Stuhl zum Tisch, zog das große, breite Jagdmesser, das ihm beim Sitzen unbequem war, aus der Scheide, legte es vor sich hin und frug Smith, der neben ihm saß:

»Wär's denn nicht möglich, entweder Robin und Cook zu bewegen, mit ihrer schauderhaften Musik aufzuhören? Die Hunde werden noch krank davon.«

»Möchte schwer halten,« lachte dieser, »sie glauben Beide wunder wie schön sie's machen. – Aber da kommt wahrhaftig Wells! – was mag den zu uns führen, der hält sich doch sonst nicht bei Wahlen auf?«

»Er hat Wölfe gefangen – bei Gott!« rief der Richter – [] »bravo, Wells, das macht Ihr gescheidt, die Bestien thun Schaden genug!«

»Guten Abend zu Allen!« sagte der Jäger, indem er in die Hütte trat und drei blutige Wolfsscalpe auf den Tisch warf – »guten Abend, Richter – da – gebt mir einmal die Bescheinigung Auf einen Wolfsscalp standen in Arkansas drei Dollars Belohnung oder Prämie, doch wurde diese nicht in baarem Gelde bezahlt, sondern nur ein Schein darüber ausgestellt, und dieser dann für Staatstaxen angenommen. oder kauft sie mir ab, das wäre mir noch lieber, denn mit Taxen bin ich so nicht übermäßig geplagt.«

Wells war ein schlanker, wohlgewachsener Mann mit grauen, lebhaften Augen, sonst glich aber sein ganzes Wesen mehr einem Indianer als einem Weißen, und Viele behaupteten, daß seine Adern eben so viel rothes als weißes Blut enthielten. In seiner Kleidung unterschied er sich ebenfalls in Nichts von den halbcivilisirten rothen Söhnen der Wildniß. Wie diese trug er sein Haupt bloß, daß das lange, schwarze, glänzende Haar ihm die Schultern umflatterte, oder band höchstens bei sehr windigem Wetter einen Streifen Baumrinde um die Schläfe, es festzuhalten. Abenteuerliche Sachen erzählte man sich auch aus seinem Leben, besonders aus den letzten Jahren desselben, die er größtentheils in Texas zugebracht hatte. Jetzt wohnte er ganz ruhig und still auf einer wohlbebauten Farm, die er mit seinen zwei Söhnen, jungen Burschen von neun und elf Jahren, versah. Doch nur im Sommer arbeitete er, und auch dann nur die wenigen Wochen der Pflanzzeit – die anderen Monate jagte er und stellte den Raubthieren, besonders den Wölfen, Fallen. Sonst war er harmlos und in der ganzen Gegend seines freundlichen, wenn auch rauhen Benehmens sowie seiner unbeschränkten Gastfreundschaft wegen beliebt.

»Hört, Wells,« lachte Hecker, indem er mit dem Aermel seines Jagdhemdes das Wolfsblut von dem liniirten Bogen wischte – »wenn's Euch einerlei ist, so legt die nassen Dinger unter den Tisch – es schreibt sich besser –«

[] »Oh, ich habe das Papier schmutzig gemacht – thut mir wirklich leid. – Nun, man kann ja doch noch drauf schreiben; es ist ja blos die eine Ecke oben. – Hier, Richter – dreimal drei macht neune –«

»Ja – neun Dollar für drei Wolfsscalpe, das ist richtig genug, aber – Ihr müßt zuerst beschwören, daß Ihr sie wirklich selbst und in diesem County erlegt habt.«

»Das kann ich nicht – ich habe sie blos gefangen, meine Hunde haben sie nachher todtgebissen.«

»Das bleibt sich gleich – ob sie durch Eure Hand, Eure Hunde oder Eure Fallen vernichtet sind – beschwört mir das –«

»Nun, ich will verdammt sein, wenn's nicht wahr ist –«

»Gut – bei Gott!« rief Cook auf dem Bett, indem er Robin wieder einen leichten Tritt versetzte – »das verdient den Yankee Doodle –«

»Lieber Wells,« lächelte der Richter, »das ist nicht der richtige Schwur. Doch der Clerk wird Euch den abnehmen; jetzt aber zu unserer Wahl – also, Hecker, Ihr wollt schreiben, und wer sind meine beiden Mitrichter? Um die Wahlfähigkeit der stimmenden Leute zu ermitteln, werden stets drei Bürger des Staates als Richter genommen. Aha – Smith und Hawkes – setzt Euch nur, wir können anfangen.«

»Welches Datum haben wir heute?« frug Hecker.

»Den siebenundzwanzigsten –«

»Und welchen Wochentag?«

»Nun, Gott sei Dank, wißt Ihr nicht einmal den Tag? Freitag.«

»Wenn man ein paar Wochen draußen im Walde liegt, wird man ganz confus,« lachte Hecker – »ich glaubte, es wäre Sonntag.«

Einer der Farmer trat jetzt vor – Hecker schrieb den Namen. »Guten Abend, Heslaw – braucht weiter keine Legitimation, nicht wahr?«

»Nein – der nicht –«

[] »Für wen als Sheriff?«

»Vattel.«

»Und Clerk?«

»Hopper.«

»Euer Name?« frug Smith einen Zweiten, der zum Stimmen kam.

»Kattlin.«

»Wie lange im Staat?« Um zu solchen Wahlen stimmfähig zu sein, muß man sich sechs Monate im Staat, und sechs Wochen im County vorher aufgehalten haben.

»Sieben Monate.«

»Wie lange im County?«

»Acht Wochen.«

»Könnt's beschwören?«

»Ja wohl!«

»Nehmt ihm den Eid ab – Clerk.«

Dieser sagte dem Mann die Eidesformel mit etwas sehr schneller Stimme vor, hielt ihm die Bibel zum Küssen hin, und endete den Schwur mit dem üblichen feierlichen: »So help you Good.« So möge Euch Gott helfen.

»Hat's sehr nöthig!« sagte Cook gähnend, indem er sich auf dem Bett herumdrehte.

Die Wahl dauerte jetzt wohl in verschiedenen Zwischenräumen an zwei Stunden, bis alle Anwesenden ihre Stimmen abgegeben hatten, und eben wollten die beiden Schreiber zum Schluß ihre Namen unterzeichnen, denn das Protokoll mußte, um jeden Irrthum zu vermeiden, doppelt geführt werden, als die Draußenstehenden den alten Bahrens ankündigten, der auf seinem kleinen Pony angetrabt kam.

»Noch vor dem Abfang, Gentlemen?« rief er aus, als er in's Zimmer trat, »noch vor dem Abfang – nun aber doch wohl noch zeitig genug. – Hurrah für Vattel – das ist der Mann, Boys – trinkt manchmal sein Gläschen, ist richtig, hat aber nichts zu sagen, ist nachher immer wieder auf dem Zeug. – Schreibt Vattel, sag' ich –«

[] »'s war Zeit, daß Ihr kamt, Bahrens,« meinte Hecker, »ich wollte eben fort. Es ist schon fünf Uhr vorbei, und ich habe noch eine halbe Stunde zu gehen.«

»Wohin denn?«

»Zur nächsten Salzlecke; wollt Ihr mit?«

»Oh der Henker hole Eure Salzlecke; wir bleiben hier zusammen, nicht wahr, Boys? – Heut Abend soll's eine Spree Ausdruck der Amerikaner für »lustige Nacht«. geben. – Ich gehe nicht eher nach Hause, bis ich – nicht mehr gehen kann, und dann bleib' ich erst recht hier.«

»Das ist brav, Bahrens!« rief Cook, der zum Tisch getreten war, »das laß ich gelten. Ich habe zwei Hirschfelle mitgebracht, die vertrinken wir auch, – – es ist ja nicht alle Tage Wahl.«

»Ich kann also gehen?« frug Hecker.

»Geht meinetwegen zum Teufel! Boys, wer holt Whisky? In dem Laden drüben mag ich mich nicht hinsetzen, es ist mir dort so unheimlich. – Nun kommt, Hecker – trinkt erst einmal, denn die ganze Nacht dort trocken zu sitzen, ist auch kein Spaß. – Gott segne uns, wenn ich meine Hirsche nicht mehr am Tag schießen kann, dann geb' ich's auf; die Nacht mich draußen in's Freie zu legen, und neben mir ein Feuer zu haben, an dem ich mich nicht einmal wärmen darf – stets in Angst zu sein, daß ich einnicke und unter der Zeit mein Feuer ausgeht, ein Hirsch zur Salzlecke kommt und mich schnarchen hört – nein – das ist mein Geschmack nicht. – Gut – ich hindere Euch nicht – habt Eurern Willen – ich brauch' Euch nicht zu pflegen, wenn Ihr krank werdet, aber halt – das müßt Ihr noch hören, wie's mir einmal in Texas an einer Salzlecke ging.«

»Aber schnell,« sagte Hecker, der seine Büchse schulterte, »ich möchte nicht gern die Zeit versäumen.«

»Wär' auch schade, wenn Ihr das Gewitter nicht ganz auf den Pelz bekämt, was da heraufzieht, wär' wirklich schade – also. – Ich lag auch eines Nachts – (damals war ich [] eben solch ein Narr, wie Hecker jetzt ist, und saß Tag und Nacht draußen) mit der Büchse an einer Salzlecke. Wild war in Unmasse in der Gegend, und ich hatte mich ein wenig früh an Ort und Stelle gemacht, um eine gehörige Quantität Felle die Nacht zusammenzuschießen. – Es war also kaum dämmerig, als ich, neben einem tüchtigen Haufen Kienholz und unter einem leicht aufgebauten Gestell, niedergekauert war. Da hört' ich auf einmal, gar nicht weit entfernt, ein fürchterliches Getöse und Geschrei, als ob ein paar tausend Panther am Heulen wären. Der ganze Wald bebte – ich hörte den Lärm nicht mehr, ich fühlte ihn ordentlich – und (doch hier muß ich erst noch bemerken, daß ich etwa eine Viertelstunde von einem großen Baumwollenfeld und in einer sehr niedern sumpfigen Gegend lagerte) ehe ich mich daher recht ordentlich besinnen konnte, brauste es herbei, und nieder kam's auf mich wie ein Unwetter. Was meint Ihr aber, daß es gewesen wäre?«

»Das mag der Teufel rathen.«

»Wilde Gänse – ein paar tausend wenigstens. – Mein Gestell warfen sie mir ein, mein kleines Feuer, das ich eben angefacht hatte, schlagen sie mit den Flügeln aus, und mich selbst behandelten sie, als ob ich gar nicht existiert hätte. Ich aber nicht faul, zog mein Jagdmesser heraus und fing an auszuholen. Die mir am nächsten waren, merkten nun wohl, daß sie unter dem falschen Baum gebellt hätten, zu spät aber, denn ehe sie sich wieder von ihrem Schreck erholen und das Alarmzeichen geben konnten, hatte ich nicht schlecht unter ihnen aufgeräumt – wie sie fort waren, zählte ich einundfünfzig Gänse und achtundfünfzig Köpfe, die geblieben waren.«

»Was? sieben Köpfe mehr? wo wären denn die Gänse geblieben?«

»Die, denen die Köpfe gehörten? die fand ich am nächsten Tage. So dicht waren sie geflogen, daß die todten von den lebendigen Vögeln mit in die Luft und wohl fünfhundert Schritt weit fortgenommen waren – gute Nacht, Hecker, gute Nacht – rennt der Kerl! – und wie er die Beine wirft!«

[] »Bahrens, Ihr seid noch immer der Alte!« – lachte der Richter. – »Nichts als Unsinn, und lügen könnt Ihr, daß die Fenster anlaufen.«

»Das wäre eine Kunst hier!« rief Bahrens höhnisch, »Fenster anlaufen? – Ich glaube, es sind keine zwei Glasscheiben im ganzen County, die ausgenommen, die Smith da auf der Nase trägt. – Was hilft mir denn aber mein Erzählen, wenn Ihr kein Wort davon glaubt? – Warum thut Ihr die Mäuler nicht auf? Na, da kommt wenigstens der Whisky.«

»Wenn's nicht gleich so dicht hinter Bahrens' Geschichte herkäme,« sagte Curtis jetzt – »so möcht' ich Euch erzählen, was mir gestern Nacht passiert ist – 's ist aber auf mein Wort wahr, und Ihr braucht nicht drüber zu grinsen, Bahrens.«

»Hört Ihr jemals, daß ich solche Entschuldigungen einer von mir erlebten Begebenheit vorausschicke? Nie – das macht sie immer verdächtig« – erwiderte Bahrens kopfschüttelnd.

»Das habt Ihr auch gar nicht nöthig!« sagte der Richter lachend – »bei Euch bleibt sich's immer gleich. Aber weiter, Curtis, weiter – und seid so gut und laßt noch einen Tropfen von dem Stoff da im Becher.«

»Ich war gestern Abend wieder am Petite-Jeanne,« begann Curtis – »um nach den Schweinen zu sehen, von denen mir Bahrens neulich gesagt hatte, als wir später durch die Leichensucherei abgehalten wurden. Gut – ich kroch den ganzen Tag im Busch herum und sah überall, wo sie gelaufen waren, konnte aber keinen Schwanz von ihnen finden. Endlich gegen Abend, es fing schon an dunkel zu werden, sah ich 'was Helles in einem kleinen Papaodickicht stehen, und richtig war's die alte Sau mit den Ferkeln (ich habe aber nur zehn gesehen – Bahrens redete von elfen – vielleicht hat der Bär eins gefangen). Wie ich ich mich also überzeugt hatte, daß es wirklich Vaters Zeichen war, was sie in den Ohren trug – ein Loch im linken und einen Schlitz im rechten, so ließ ich sie zufrieden, um sie nicht unnöthiger [] Weise scheu zu machen. Da aber an dem Abend doch weiter nichts mit ihnen anzufangen war, streute ich ihnen nur ein paar Kolben Mais hin, die ich in der Kugeltasche mitgenommen hatte, und sah mich nach einem vernünftigen Fleck zum Schlafen um.

Den Petite-Jeanne-Sumpf hab' ich auf dem Striche. Alles naß und feucht, und Mosquitos so dick, das man nicht durchsehen kann. Nach langem Suchen fand ich einen trocknen Platz, zündete ein Feuer an, wickelte mich in meine Decke und legte mich nieder. Hunde hatt' ich nicht mitgenommen, weil ich die Schweine nicht scheu machen, auch überhaupt nicht jagen wollte, und müde vom vielen Umherrennen schlief ich bald genug ein. Wie lange ich gelegen haben mag, weiß ich nicht, denn die Bäume standen so dicht, daß ich kaum gerade über mir ein paar Sterne erkennen konnte, einmal aber wachte ich auf, und da war mir's, als ob ich irgend 'was leise um mich herumschleichen hörte. Ich horchte lange und aufmerksam, und hatte meine Büchse gespannt neben mir. Da ich aber nichts weiter hören konnte, überredete ich mich zuletzt, ich hätt' es blos geträumt, und legte mich wieder nieder; doch ging mir das Ding im Kopf herum. Ohne Hund befand ich mich nämlich in einer keineswegs angenehmen Lage, wenn mir so ein alter Panther in aller Freundschaft auf den Hals gesprungen wäre, wie's dem Dipolt da vor nicht gar langer Zeit am Washita begegnete. Halb im Schlafe, halb im Wachen lag ich also und horchte immer noch auf das geringste Geräusch, als ich dieselben Laute wieder zu vernehmen glaubte. Leise zog ich die Decke vom Gesicht – da war's mir, als ob ich etwas athmen hörte – deutlich und nahe, und fast in demselben Augenblick fühlte ich auch den heißen Athem irgend eines lebenden Wesens in meinem Antlitz. Trotz der Dunkelheit konnte ich einen dicht über mich hinggebeugten schwarzen Gegenstand erkennen, und ganz erstaunt vor Schreck und Ueberraschung blieb ich wirklich regungslos liegen und erwartete, was das räthselhafte Geschöpf über mir beginnen würde. Ein Panther konnt' es nicht sein, das wußt' ich, denn der hätte mich lange an der Kehle gehabt. Das [] war aber auch der einzige Gedanke, den ich zu fassen vermochte. Ich besann mich nicht einmal auf mein Messer im Gürtel, um wenigstens etwas zu meiner Vertheidigung zu haben, sondern lag nur wie todt da und starrte auf den dunkeln Gegenstand dicht über mir hin, dessen glänzendes Auge ich selbst in dieser Dunkelheit matt leuchten sehen konnte.

Ich weiß nicht, ich bin sonst nicht gerade furchtsam, hier aber war ich wirklich wie behext, und so machtlos, daß ich die sichere Beute irgend eines Raubthieres geworden wäre, das sich die Mühe genommen hätte, mich anzufressen.«

»Und das Thier?« frugen Alle.

»Auf einmal konnte ich wieder die Sterne über mir erkennen und fühlte den heißen Athem nicht mehr – gleich darauf hörte ich auch die leisen, sich entfernenden Schritte. Mein Besuch hatte mich verlassen und ich athmete so frei auf, als ob ich vom Tode erstanden wäre.«

»Ja, aber – brannte denn das Feuer nicht mehr?«

»Es glimmte nur noch, denn ich hatte am Abend vorher lauter trockenes Hickoryholz zusammengeschleppt.«

»Nun, was machtet Ihr denn nachher?«

»Ich kann mich nicht einmal mehr ordentlich darauf besinnen. – Erst wollt' ich vor allen Dingen aufstehen und das Feuer schüren, dann wollt' ich mein Messer aus der Scheide ziehen und neben mich legen, oder es gar in der Hand behalten, dann wollt' ich mich mit dem Rücken an einen Baum lehnen, um aufrecht sitzen zu bleiben; weiß aber nicht, wie es kam – ich muß wieder eingeschlafen sein, denn als ich recht ordentlich munter wurde, war es heller Tag.«

»Das ist doch eigenthümlich,« sagte der Richter – »was kann es nur gewesen sein? saht Ihr denn nicht nach den Fährten?«

»›Eigenthümlich‹,« brummte Bahrens – »ich hätte die Geschichte erzählen sollen, da wäre wieder von weiter nichts als ›Unsinn und Lügen‹ geschwatzt – und jetzt ist sie ›eigenthümlich‹.«

[] »Natürlich sah ich nach den Fährten,« antwortete Curtis, »auf der Stelle selbst konnt' ich jedoch nichts erkennen, der Boden war trocken und das Laub lag sehr hoch, etwas davon entfernt aber kam ich an die Spuren eines merkwürdig großen Bären, und das mußte auf jeden Fall mein Nachtwächter gewesen sein.«

»Das thun die Bestien,« lachte Smith – »ich weiß es aus Erfahrung, denn ich hatte vor zwei Jahren einen zahmen Bären, der stand mehrere Male des Nachts auf, kam an mein Lager und guckte mir gerade in's Gesicht – 's ist komisches Viehzeug!«

»Apropos, Curtis,« frug der Richter jetzt – »Ihr habt ja versprochen, mir in diesem Frühjahr einen jungen Bären zu fangen; meine Frau möchte gar zu gern einen haben. Ist's denn nicht mehr möglich?«

»Jetzt ist's nun freilich zu spät, im Mai laufen die kleinen Canaillen schon wie die Pferde. – Ich bin übrigens im Februar und März sechs Wochen deswegen im Walde nach allen Richtungen umhergekrochen, bin sogar zweimal nach den Magazinbergen hinübergegangen, um dort in ein paar Höhlen, die ich wußte, nachzusuchen, 's war aber nichts zu machen. – Hätte selbst gern einen kleinen, zahmen Petz – sie sind gar zu lieb.«

»Thorheit,« sagte Bahrens – »unbeholfene Dinger werden's. Schon im ersten Jahre werfen sie das Glaszeug und Geschirr aus den Gefachen, ziehen das Tischtuch vom Tische mit Allem, was drauf steht, zerren die Bienenstöcke um, beißen sich mit den Ferkeln und schütteln die Pfirsichbäume. – Nein, da giebt's noch manche andere Thiere, die harmlos sind und eben so vielen Spaß machen. In Nord-Carolina hatte ich einen zahmen Häring, der lief mir durch's ganze Haus nach.«

»Halt, Bahrens – verschnappt Euch nicht,« lachte der Richter, »ein Häring auf dem Trocknen, wie lange sollte der leben?«

»Leben!« rief der alte Jäger voller Eifer – »leben! Ein Thier kann sich an Alles gewöhnen. Der war in seiner Jugend auf eine Sandbank geworfen und hatte nie wieder [] Wasser gesehen – ich mußte ihm nur jeden Tag frischen Sand geben. – Jetzt hab' ich ein kleines Ferkel,« fuhr Bahrens, ohne einen weiteren Einwurf zu beachten, fort – »ein wunderbares Ding – und doch keineswegs ›eigenthümlich‹. – Es sieht aber gefleckt aus wie ein Hirschkalb, und der kleine Schwanz ist ihm so merkwürdig fest zusammengedreht, daß es schon seit drei Wochen die Hinterbeine nicht mehr auf die Erde gebracht hat.«

»Hurrah für Bahrens!« schrie Curtis, verstummte aber plötzlich und rief: »Heda, war das nicht eben ein Schuß?«

»Ja – ich glaube, ich hörte es auch,« entgegnete Bahrens. – »Hecker wird's gewesen sein; die Salzlecke ist lange nicht bewacht, an der er heut Abend sitzt, und es sollte mich gar nicht wundern, wenn er ein paar Mal zum Schusse käme.«

»Hallo im Hause!« rief plötzlich eine Stimme vor der Thür, und die Hunde schlugen scharf und gellend an.

»Da rief Jemand,« sagte der Richter.

»Hallo im Hause!« wiederholte die Stimme draußen und diesmal so laut, daß sie selbst das Gebell und Geheul der Hunde übertönte.

»Hallo da draußen – was gibt's?«

»Bringt ein Licht her – wollt Ihr?«

»Wer ist da?«

»Husfield vom Springcreek und Freunde. Kann man hier Kienholz oder ein paar Pfund Wachs bekommen, um große Lichter draus zu machen?«

»Ja,« rief Eastley – »Wachs hab' ich zwar nicht, doch Kien genug. Der muß übrigens erst gespalten werden, und Ihr steigt indessen lieber ab und kommt herein. Ruhig, ihr Hunde!«

»Husfield? was zum Henker bringt Euch hier in der Nacht her,« rief der Richter, der, von Cook gefolgt, vor die Thür trat, »wen habt Ihr da bei Euch?«

»Freunde vom Springcreek!« – erwiderte der Angeredete, wechselte einige Worte mit seinen Begleitern, stieg dann ab und kam in's Haus.

[] »Guten Abend, Gentlemen! – Ist Einer hier unter Euch, der die Furthen im Fourche la fave kennt und auf ein paar Stunden unser Führer sein möchte?«

»Was habt Ihr denn, seid Ihr Jemandem auf der Spur?«

»Niederträchtige Schufte,« rief Husfield, »haben mir in der Nacht vom Mittwoch auf den Donnerstag sechs Pferde gestohlen. Glücklicher Weise merkte ich's gleich am andern Morgen, eigentlich schon in der Nacht. Ein paar von meinen außerhalb weidenden Pferden kamen nämlich zum Hause, was sie sonst nie thun, wenn sie nicht von Fremden oder Wölfen geängstigt werden. Ich konnte aber natürlich im Dunkeln die Spuren nicht aufnehmen, rief jedoch noch vor Tagesanbruch meine Nachbarn zusammen, und mit der ersten Helle begannen wir die Verfolgung. Die Spuren waren natürlich breit genug, nach kurzer Zeit theilten sie sich aber, und drei gingen rechts, die anderen drei links. Nicht ohne Grund vermutheten wir, daß dies blos eine List sei, um Einen, der den Fährten folgen möchte, irre zu führen. Da wir nun Fünf waren, so theilten wir uns, um ganz sicher zu gehen, und wurden über die nördlichen Bergrücken vom Petite-Jeanne und durch die Magazinberge auf eine so entsetzliche Art und durch solch' fürchterliche steinige Strecken kreuz und quer geführt, daß ich noch jetzt nicht begreife, wie es die Pferde ausgehalten haben. Das nahm uns natürlich viel Zeit weg, denn die Schufte waren im Zickzack, und zwar, um uns von den Fährten abzubringen, auf Stellen herumgeritten, wo man eine Hufspur kaum erkennen konnte. – Endlich aber mußten sie sich doch sicher geglaubt haben, denn an den Quellen des Panthercreeks, wo er sich südlich nach dem Petite-Jeanne hinunterzieht, hatten sie sich wieder vereinigt und sind von hier an im offenen Walde dem Flusse zugeritten, bis sie die Straße erreichten, was wahrscheinlich gestern Abend geschehen ist. Von dort folgten sie, so unverschämt wie möglich, eine Strecke lang dem gebahnten Wege. Erst mit Tageslicht, schien es, hatten sie sich wieder in den Wald geschlagen und, um sich und die Pferde ein wenig verschnaufen zu lassen, gelagert, auch die[] Thiere gefüttert – Gott weiß, wo sie den Mais herbekommen haben, auf jeden Fall gestohlen. Wir mußten ebenfalls eine kurze Zeit ruhen, wollten auch unsere Thiere nicht zu arg abhetzen, da uns die Burschen jetzt ziemlich gewiß sind. Nur auf gut Glück folgten wir übrigens seit Dunkelwerden der Straße, die sie ein paar Meilen von hier wieder betreten hatten, und hielten es jetzt für besser, sicher zu gehen und die Nacht hindurch langsam mit Fackeln auf der Fährte zu bleiben. Da sie aber auf jeden Fall den Fluß gekreuzt haben, so möchten wir Jemanden mitnehmen, der die Furth kennt, daß wir nicht unnütz aufgehalten werden.«

»Ihr thut sehr wohl, auf den Fährten zu bleiben,« sagte Cook, »denn vor morgen früh regnet's auf jeden Fall. – Die Sonne ging höchst verdächtig unter.«

»Ich glaub' es auch,« erwiderte Husfield. »Um so mehr Ursache haben wir aber, die Verfolgung zu beschleunigen – oh, das ist genug Kien, Eastley, das thut's. – Wenn die Burschen sich nur die Nacht durch auf der Straße gehalten haben, was ich keinen Augenblick bezweifle, so müssen wir sie mit Tagesanbruch einholen, wenigstens nicht weit mehr hinter ihnen sein.«

»Weshalb sollen sie aber der Straße folgen?« fragte Cook. »Nach den heißen Quellen hinüber, glaub' ich doch unmöglich, daß sie die Pferde führen können. Die einzige Hoffnung, die sie haben, glücklich fortzukommen, wenn sie wirklich nicht gleich verfolgt würden, ist, den Arkansas zu erreichen. Aber auf eine augenblickliche Verfolgung müssen sie doch stets rechnen und darauf gefaßt sein.«

»Das ist wahr,« meinte Husfield nachdenkend – »doch wir werden es ja sehen, wenn wir an's andere Ufer des Fourche la fave kommen. Wollen sie zum Arkansas, so müssen sie sich von dort an durch den Wald schlagen, um die untere Straße zu erreichen. Dann vermögen wir freilich nichts zu thun, als bis morgen früh zu warten. Sind sie aber am andern Ufer der Straße wieder gefolgt, so ist das ein sicheres Zeichen, daß sie nach den heißen Quellen wollen, und wir [] könnten dann in aller Bequemlichkeit der breiten Straße nachreiten.«

»Wenn wir nur den Indianer aufzutreiben wüßten,« sagte der Richter – »der ist ausgezeichnet auf einer Fährte und würde von wesentlichem Nutzen sein. Gott weiß aber, wo er steckt.«

»Vielleicht war es der, den wir bei der Salzlecke hier oben trafen, der sprach gebrochen Englisch. – Es dunkelte schon bedeutend, und ich konnte sein Gesicht nicht ordentlich erkennen.«

»Nein, das ist ein Deutscher – gingen denn aber die Fährten dort vorbei?«

»Ja – in vierhundert Schritt. Sie müssen noch ganz in der Nähe sein. Er sagte uns, daß er die Männer, als er eben angekommen und noch kein Feuer gehabt, gesehen, sie aber nicht hätte erkennen können, doch wäre ihm die Gestalt des Einen sehr bekannt vorgekommen. – Denkt Euch, nur zwei von den Canaillen haben die ganzen sechs Thiere fortgeführt. Die müssen's aus dem Fundament verstehen.«

»Wie fandet Ihr denn den Deutschen?«

»Wir kamen auf der Straße herunter, sahen die Kienflamme, die auf dem Gestell brannte, und ritten hin, um ihn auf's Gerathewohl zu fragen. Der Jäger selbst sitzt, wie Ihr wißt, im Dunkeln. Unsere Gegenwart schien ihm aber nicht besonders angenehm zu sein; da wir ihm natürlich das Wild von der Salzlecke fern hielten, so blieben wir dort auch nicht länge.«

»Wer's nur sein mag?« meinte der Richter. »Wundern sollte mich's gar nicht, wenn dieser Halunke, der Cotton, die Hand mit dabei im Spiele hätte. Gesehen ist er vor einiger Zeit hier in der Gegend, und die Constabler haben auch den Auftrag erhalten, ihn einzufangen. Er muß aber Wind bekommen haben, denn er war auf einmal fort, ließ sich wenigstens nicht mehr öffentlich sehen.«

»Der entgeht dem Zuchthause nicht,« sagte Smith.

»Zuchthaus?« frug Husfield ärgerlich – »glaubt Ihr, daß wir lange Umstände mit ihm machen, wenn wir ihn mit [] den Pferden einholen? Seht Ihr das hier?« er zog bei diesen Worten einen dünnen Strick aus gedrehtem Leder hervor, den er dem Richter entgegenhielt – »so wahr ich Husfield heiße, hängt der Schuft an demselben Baume, unter dem wir ihn fassen. So lange Zeit zum Beten soll er haben, als ich brauche, die Schleife zu machen – nicht eine Secunde mehr. Den Canaillen müssen wir einmal Ernst zeigen, sonst ziehen sie uns noch selbst das Fell über die Ohren.«

»Aber die Gesetze,« sagte der Richter kopfschüttelnd.

»Die Gesetze sind recht gut für dort, wo sie gegeben werden, und in den Städten anzuwenden; hier im Walde ist das jedoch etwas Anderes. Kommt mir gerade so vor, als ob wir Hinterwäldler uns hier hinsetzten und für die Stadtleute in New-York Gesetze machen wollten – sie würden die Hälfte von alledem, was wir zusammenbrächten, nicht gebrauchen können, und wir würden sieben Achtel von dem vergessen haben, was ihnen dort unumgänglich nöthig ist. Nein, laßt jedes Land seine eigenen Gesetze aufstellen, die passen auch nachher. Wenn ich mir eine Scheide zu meinem Messer in einem Laden gleich fertig kaufe, nun ja, da find' ich wohl so ein Ding, wo es zur Noth hineingeht, ordentlich schließt's aber nie, und eh' ich mir's versehe, hab' ich's im Walde verloren. So ist's mit den Gesetzen. – Es sieht so aus, als ob sie paßten, bis Ihr in den Wald kommt; da hapert's nachher an allen Ecken und Enden. So lange wir uns selbst beschützen müssen, so lange wollen wir auch unsere eigene Gerichtsbarkeit ausüben, und – soll ich erst einmal durch Andere beschützt werden, nun – dann zieh' ich weiter westlich. – Also, wer geht mit?«

Cook, Curtis und mehrere Andere waren sogleich bereit, und von Curtis geführt, der als alter Ansiedler dort jeden Fußbreit Weges kannte, erreichten sie bald die Straße, die von Nord nach Süd den Fourche la fave kreuzte; dieser folgten sie und fanden hier auch bald in der weichen Erde die Hufspuren, von denen Husfield betheuerte, er wolle sie unter tausenden heraus als die seiner Pferde erkennen.

Der Himmel hatte sich indessen ganz umzogen, und ein [] feiner, durchdringender Staubregen fing an niederzufallen. Wenn er aber auch nach und nach die Kleider der Männer durchnäßte, vertilgte er doch bis jetzt noch nicht die Spuren.

[] 11.
Assowaum, der »befiederte Pfeil«, und seine Squaw. – Weston und Cotton erwarten ungeduldig die Kameraden.

An demselben Nachmittag, an welchem die im vorigen Capitel beschriebene Wahl stattfand, schritt, die Decke auf dem Rücken, die Büchse auf der Schulter, Assowaum, »der befiederte Pfeil«, von seiner Squaw gefolgt, schweigend durch den Wald am Ufer des Flusses hinauf. Alapaha trug der indianischen Sitte gemäß das wenige Kochgeräth, das diese Kinder der Wildniß gebrauchen, sowie eine wollene Decke und zwei getrocknete Hirschfelle, und leise trat sie in die Fußtapfen ihres Gatten und Häuptlings, der langsam und aufmerksam die beiden Ufer des kleinen Stromes mit den Blicken überflog, als ob er einen Gegenstand suche und nicht finden könne.

Als er hoch genug glaubte hinaufgegangen zu sein, kehrte er wieder um und begann seine Nachforschungen auf's Neue, aber mit nicht besserem Erfolg als das erste Mal.

»Ist dies nicht der Baum, an dessen Wurzel sonst das Canoe angebunden lag?« frug er endlich, stehen bleibend, sein Weib, indem er auf eine alte, sturmdurchtobte Platane deutete, deren schneeweiße Aeste wie geisterhafte Riesenarme nach den dunklen, hinter ihnen sich aufthürmenden Wolkenmassen hinauf zu langen schienen.

»Assowaum kann ein Stück von der Rinde sehen, an das es früher befestigt war,« sagte Alapaha, während sie sich über [] den steilen Flußrand hinunterbog und auf eine vorstehende Wurzel des Stammes, an der noch einige Rindenstreifen hingen, niederdeutete.

»Das Canoe ist fort,« sagte Assowaum, »und wir müssen hindurchschwimmen, wenn wir an der andern Seite lagern wollen.«

Alapaha entledigte sich ohne weiter ein Wort zu erwidern, ihres Gepäcks, rollte mit des Häuptlings Hülfe zwei niedergebrochene Aeste in den Fluß, um auf diesen die wenigen Habseligkeiten, welche sie bei sich hatten, trocken ans andere Ufer zu schaffen, und Beide klommen bald darauf die gegenüberliegende steile Uferbank empor.

»Und welchen Weg schlägt Alapaha ein?« frug der Indianer jetzt stehen bleibend, indem er mit ruhigem Blick das schöne junge Weib betrachtete.

»Eine halbe Meile den Fluß hinauf kreuzen wir einen Weg – der führt gerade nach dem Hause des Mr. Bowitt, und dort hat Mister Rowson versprochen, morgen Betstunde zu halten. – Will Assowaum nicht einmal den Worten des weißen Mannes lauschen? – Er spricht gut – seine Worte sind Honig und sein Herz ist rein wie ein herbstlicher Himmel.«

»Alapaha, es wäre besser, wenn auch Du – ha – was ist das?«

Ein leichtes Rauschen war im dürren Laube gehört, und gleich darauf trat ein stattlicher Hirsch aus dem Dickicht, hob den schönen Kopf in die Höhe und schaute ruhig und sicher, keine Gefahr ahnend, umher. Assowaum hatte bei dem ersten Laut des knisternden Laubes seine Büchse schußfertig gehalten, hob sie jetzt langsam an die Backe, und in demselben Moment sprang auch schon der Hirsch, von dem tödlichen Blei getroffen, hoch empor und verendete zuckend.

»Gut!« sagte der Indianer, indem er ruhig stehen blieb und seine Büchse wieder lud – »sehr gut – Mr. Harper hat kein Fleisch mehr und ist zu krank, selbst den Fährten zu folgen – Alapaha wird ihm Fleisch in sein Haus bringen –«

»Und weiß Assowaum nicht, daß ich auf dem Wege bin, um das Wort Gottes zu hören?« flüsterte die Frau, indem [] sie ihre schlanke Gestalt neigte und leise ein Gebet murmelte.

»Es gab eine Zeit,« sprach Assowaum, düster vor sich hinblickend – »es gab eine Zeit, wo Alapaha der Stimme des ›befiederten Pfeiles‹ lauschte und das Rascheln der Baumwipfel wie das Singen des Geistervogels darüber vergaß. Es gab eine Zeit, wo sie dem Gott des weißen Mannes den Rücken wandte und ihre Hände zum Manitu der rothen Männer erhob. Es gab eine Zeit, wo sie für den Gatten den geheiligten Wampum flocht und mit geheimnißvollen Zeichen ihm Glück auf der Jagd sicherte. Die Zeit ist vorbei – Alapaha ist todt und eine Christin ist dafür erstanden – Maria. – Sie trägt dieselben Moccasins noch, in denen sie die Ihrigen verließ und dem Gatten in die Verbannung folgte. Sie trägt dasselbe Tuch noch um ihre Schläfe, das Assowaum einst von den Schultern jenes wilden Häuptlings der Sioux riß, um daheim die Stirn seiner Squaw damit zu schmücken. Sie trägt dieselbe Schnur noch von den Klappern heiliger Schlangen, und deren Töne sollten sie an die Heimath, an das Land ihrer Väter erinnern. Aber nein – ihr Ohr ist verschlossen – es hört nicht – aber mehr noch verschlossen ist ihr Herz – es fühlt nicht.«

»Assowaum!« sagte mit leisem, bittendem Ton das schöne Weib – »Assowaum – zürne mir nicht. – Sieh, unser Leben ist kurz und vor mir ausgebreitet sehe ich die schönste, glänzendste Zukunft. – Oh, Du weißt nicht, wie herrlich, wie entzückend der Himmel der Weißen ist – willst Du mir das rauben, was mir noch in diesem Leben, außer den Pflichten gegen Dich, heilig und theuer ist?«

»Nein!« sagte Assowaum – »Alapaha mag gehen und dem Gott der Weißen dienen – es ist gut so.«

»Und willst denn Du nie den Tönen des heiligen Mannes lauschen, von dessen Lippen Manitu selbst spricht?«

Assowaum streckte den rechten Arm aus und war im Begriff etwas darauf zu erwidern. Ein anderer Gedanke schien sich aber gleich darauf seiner zu bemächtigen, und er hob die Büchse auf die Schulter und sagte:

[] »Alapaha kann nicht allein beten, sie will auch essen. – Nicht weit von hier, am Ufer des Flusses, steht eine kleine unbewohnte Hütte – dorthin wollen wir das Fleisch tragen, und Alapaha mag es heut abend dörren. – Das Haus wird ihr Schutz gegen Sturm und Unwetter dieser Nacht gewähren, und morgen früh ist's nicht mehr weit zur Ansiedlung des Weißen, wo der blasse Mann von seinem Gott erzählt.«

»Und Assowaum?«

»Hat dem kleinen Mann das Versprechen gegeben, seinen Sohn aufzusuchen – er wird es halten. Die weißen Männer reden bös von ihrem Bruder, weil sie den Tritt seines Fußes nicht unter sich hören. – Er ist fern – er wird zurückkommen und die Schuldigen werden schweigen und zu ihm aufsehen.«

»Aber er ist bös –«

»Welche Schlange hat ihr Gift in Alapaha's Ohr geblasen? Sie hat den Tönen des Machinito gelauscht und wirft Staub auf die Hand, die ihr Gutes gethan!«

»Mr. Rowson sagt, daß der Sohn des kleinen Mannes einen Bruder erschlagen und ihn dann beraubt habe.«

»Der blasse Mann lügt!« rief der Indianer, sich hoch aufrichtend, während das Blut in seine Schläfe trat und seine Augen glühten – »der blasse Mann lügt!« wiederholte er – »und – er weiß es!«

»Assowaum zürnt dem Christen, weil er Alapaha dem Glauben der Ihrigen abwendig machte. Assowaum ist brav und edel, er wird keinen Menschen schmähen, weil er anders denkt als er.«

»Wir wollen das Fleisch in die Hütte tragen,« brach der Indianer das Gespräch ab – »es wird spät. Assowaum muß noch Meilen weit wandern, ehe es dunkelt.«

Mit geübter Hand brach er jetzt das erlegte Wild auf, löste Schulterblätter, Hals und Kopf aus der Haut, was er den Wölfen oder Aasgeiern überließ, und hing dann das Uebrige an eine schnell abgehauene Stange, deren eines Ende er erfaßte, während Alapaha das andere auf ihre Schulter [] legte, und so schritten sie schweigend weiter und erreichten nach nicht langer Wanderung den ersterwähnten Ort.

Es war eine roh aufgerichtete Blockhütte, von einem früheren Ansiedler erbaut und nach kurzer Benutzung wieder verlassen, da das Land ringsum zu niedrig und also den Ueberschwemmungen des Flusses zu sehr ausgesetzt lag. Das Dach und die Wände befanden sich in noch ziemlich gutem Zustande, sonst bot es aber auch nicht die geringsten Bequemlichkeiten, denn selbst der Kamin war eingestürzt und eine Diele nie gewesen. Der fehlende Kamin war aber keineswegs ein Hinderniß, ein Feuer im Innern anzuzünden, denn die überall offenen Spalten der Wände öffneten dem Rauch überall einen Durchzug, und gar sonderbar rauschte und brauste der Wind durch die breiten Ritzen der Stämme, klapperte mit den lose daran herumhängenden Stücken Rinde und pfiff über das moosige Dach zum Fluß hinunter, der sich dicht neben der unfreundlichen Stelle dahinschlängelte, von dieser aber noch durch wild aufwucherndes Buschwerk getrennt wurde.

Diesen Platz erreichte jetzt Assowaum mit seinem Weib und trug das Fleisch in das Innere der Wohnung. Die Thür war aus den hölzernen Angeln gebrochen und lag umgeworfen vor dem Eingange, hinderte also keineswegs den Eintritt. Assowaum sah sich einen Augenblick in dem leeren Gebäude um und sprach dann:

»Das Haus ist gut und wird Alapaha Schutz gewähren. Wenn sie von ihrem frommen Wege zurückkommt, trägt sie das Fleisch in die Hütte des kleinen Mannes. – Assowaum wird bei ihr sein, ehe der Whip-poor-will zum dritten Mal gesungen hat.« – Damit wandte er sich und schritt schweigend mit niedergesenktem Haupt in den Wald.

Alapaha that indessen, wie ihr Gatte befohlen, hieb mit dem kleinen zierlichen Tomahawk, der an ihrer Seite hing, dünne Stäbe ab, und ein Gestell davon zum Trocknen des Fleisches zu errichten, trug Holz herbei, um die leichte Gluth zum Dörren des Wildbrets und zu gleicher Ueit für die Nacht ein erwärmende Feuer zu unterhalten, schnitt dann das Fleisch in Streifen, steckte es an zu diesem Zweck abgeschnittene [] Rohrstäbe und hing es über die durch Hülfe trockenen Laubes entzündete Gluth.

Der Himmel hatte sich indessen immer mehr und mehr bezogen, ein feuchter Staubregen fiel, und der Wind rauschte wild und unheimlich durch die über das Dach der Hütte hängenden Baumwipfel. Alapaha kauerte sich neben der knisternden Flamme nieder, summte leise eine Hymne, die sie von den Weißen gelernt hatte, und erwartete die einbrechende Dunkelheit, sich ihr Lager zu bereiten. Aufmerksam behielt sie aber dabei das dörrende Wildpret im Auge, daß es bis zum nächsten Morgen trocken genug sei, um zusammengebunden und aufbewahrt zu werden.

Aber nicht so ganz einsam und von Menschen verlassen war die Gegend, wie Alapaha im Anfang geglaubt haben mochte. Zu derselben Zeit, in der sie so eifrig mit ihrer Arbeit beschäftigt war, trat auf dem Wege, der eine kleine halbe Meile den Fluß weiter hinauf lag, ein junger Mann am jenseitigen Ufer aus dem Dickicht und schaute ungeduldig nach dem andern Ufer hinüber, als ob er Jemanden von da erwarte. Die Luft war keineswegs warm, und er rieb sich bald die Hände, bald schob er sie unter die Arme, bald lehnte er sich an eine überhängende Platane und machte mehrmals Miene, auf dem mit Laub bedeckten Boden ungeduldig auf- und abzugehen, hielt aber jedesmal gleich wieder inne und betrachtete mißtrauisch den betretenen Platz, ob seine hinterlassenen Spuren wohl auffallend und leicht zu erkennen wären.

Ihm schloß sich bald ein Zweiter an, der, in eine wollene Decke eingehüllt, den alten, arg mitgenommenen Filz tief in die Stirn gedrückt, die Büchse unter dem Arm, um das Schloß soviel als möglich vor der niedertauenden Nässe zu bewahren, leise an ihn heranschritt und lachend frug:

»Nun, Weston, Euch wird die Zeit hier lang, heh? Ihr friert – warum habt Ihr Eure Decke nicht mitgebracht? – Ich sagt's Euch gleich. – Noch nichts gehört?«

»Nicht die Probe,« erwiderte verdrießlich der Angeredete – »ich glaube auch gar nicht, daß sie noch heut Abend kommen; dann wird es wirklich ein charmanter Spaß. Wenn ich die [] ganze Nacht hier ohne Decke und Feuer lagern muß, bin ich morgen früh eine Leiche.«

»Das wär' ein Verlust von wenigstens zwanzig Dollar für den Sheriff!« lachte Cotton, denn dies war der würdige Begleiter des jungen Mannes. »Uebrigens glaub' ich kaum, daß wir noch lange werden warten müssen. – Rowson ist dort mit jedem Winkel bekannt, und Johnson wohl auch, da können sich ihnen nicht viele Schwierigkeiten entgegenstellen. Ueberdies sagtet Ihr ja selbst, daß Rowson auf morgen Mittag Betstunde in der Ansiedelung drüben angekündigt hätte. Das schon wird ihn sicher veranlassen, Alles zu thun, was in seinen Kräften steht, um die Zeit zu halten und keinen möglichen Verdacht zu erregen. Ich kann den heuchlerischen Schuft nicht leiden, aber in Geschäften ist er vortrefflich, das muß wahr sein; man sieht's, daß er aus den Yankee-Staaten stammt.«

»Die Geschichte von Heathcott's Tode macht jetzt recht viel Aufsehen bei den Leuten,« sagte Weston. »Brown soll ihn doch auf die Seite geschafft haben – Euer Name wird aber auch dabei genannt.«

»Meiner? was zum Donnerwetter haben sie denn mit mir dabei? Ich habe den Laffen in meinem ganzen Leben nicht gesehen; muß ich denn an jedem Streich schuld sein, der ihnen hier gespielt wird?«

»Das kann Euch nun ziemlich gleich sein,« lachte Weston – »den Mord schieben sie übrigens nicht auf Eure Schultern, sondern nur das Geld!«

»Was für Geld?«

»Der Todte soll den einkassierten Betrag für drei gute Pferde in der Tasche gehabt haben, vier- oder fünfhundert Dollars – und die sind weg.«

»Alle Wetter – das wäre schon der Mühe werth gewesen! – Zwei Fliegen mit einem Schlag, einen Regulator und einen Haufen baar Geld. – Brown ist nicht dumm – aber – hört, Weston, Brown hat doch im Leben nichts mit uns zu thun gehabt – was geht denn den der Regulator an?«

[] »Andere Sachen, was weiß ich's. Die Frauen oben in der Ansiedlung behaupteten, Heathcott und Brown bewärben sich um ein Mädchen, darum der Streit. – Doch das ist Alles Nebensache, die Hauptsache ist, daß wir Heathcott los sind; wie und auf welche Art, kann uns gleich sein.«

»Aber hört, Husfield läßt auch nicht mit sich spaßen, und wenn der uns auswittern sollte, so wird's Ernst. – Ich sehe überhaupt noch nicht recht, wie wir die Spuren so verwirren wollen, daß uns die Canaillen nicht wiederfinden. So viel ist gewiß, wär' ich auf Euren Fährten, es sollte Euch schwer werden.«

»Das ließet Ihr wohl bleiben,« lachte Weston verschmitzt – »die Sache ist verdammt pfiffig angefangen, Rowson hat das ausgetüftelt. Seht – ehe sie den Fluß erreichen, wollen sie wieder in die offene Straße hineinreiten.«

»In die offene Straße?« frug Cotton verwundert.

»Ja wohl – in die freie, offene Straße, daß ihre Fährten klar und deutlich sind – dann in den Fluß und dann – nicht wieder hinaus.«

»Wohin aber? Im Fluß können sie doch nicht halten bleiben? Wohin dann?«

»Den Fluß hinunter, bis sie aus Spürweite sind, und dann hinein in die Welt.«

»Das lange Schwimmen halten ja die Thiere nicht aus.«

»Deshalb habe ich das Canoe dort versteckt – seht Ihr da – unter dem vorhängenden Rohrbüschel – und dort, gleich daneben noch eins. Das ist unten von der Mündung, von Stewarts, die glauben wahrscheinlich, es sei losgerissen und in den Arkansas getrieben. Mit Hülfe der beiden Fahrzeuge können wir die Pferde herrlich die nöthige Strecke hinunterschaffen, bis wir den mir von Rowson bezeichneten Platz erreichen, und von da an müßt Ihr die Führung übernehmen, denn ich kenne den Weg nach der ›Insel‹ nicht, wie Ihr ihn nennt. Johnson soll die Verfolger indessen auf die falsche Spur bringen, und gelingt das, so sind wir Beide außer aller Gefahr, besonders wenn es morgen ein regnerischer Tag wird. Dann jagen wir mit den Thieren durch den Wald, [] und haben wir erst einmal die Mississippi-Niederung erreicht, gute Nacht, Verfolgung. – Johnson hat mir versichert, dort fänden wir überall Schutz und Hülfe, und das wissen die Schufte hier oben wohl auch recht gut – so weit hetzen sie gar nicht hinterher.«

»Ja, das ist Alles recht schön und hört sich recht gut an, die vom Springriver werden aber doch keine solchen Esel sein und glauben, wir wären mit den Pferden durch die Luft davongeflogen, wie ich's neulich einmal bei den Deutschen drüben auf einem Bilde gesehen habe?«

»Das sollen sie auch nicht, jetzt kommt gerade das Beste. – Hier unten im Schilfbruch – das heißt nicht im Schilfbruch, sondern unterm Schilfbruch, im Flußbett, auf den Felsenplatten, steht mein Pferd, Eures –«

»Meins?«

»Euer Pferd und Johnson's zwei Schimmel. – Sobald wir unsere Reise mit der frischen Sendung angetreten haben, werden diese Pferde die kleine Strecke den Fluß hinauf, der hier vollkommen seicht ist, bis an die Landung gebracht, dort setzt sich Johnson auf und galoppiert mit den Thieren frischweg auf der Straße fort, als ob er nach den heißen Quellen hin wollte. Kommen die Verfolger erst morgen oder übermorgen, und regnet's indessen tüchtig, so war es freilich unnöthig; sind sie aber den – abgeholten Pferden näher auf den Hufen, was ich fast fürchte, so werden sie natürlich die Hufspuren, die hier an der Furth auf der einen Seite in den Fluß, auf der andern wieder aus demselben führen, für ein und dieselben halten und ohne Bedenken, was aber die Hauptsache ist, ohne abzusteigen und die Sache näher zu untersuchen, ihnen folgen. Holen sie dann Johnson ein, so hat er ganz natürlich nicht ihre Pferde, weiß auch von denen gar nichts, und sie sehen zu spät ein, daß sie den falschen Thieren nachgerannt sind.«

»Holen sie ihn aber nicht ein?« frug Cotton.

»Desto besser – dann nimmt er die Pferde auf einem Umwege zur Insel, meldet die bald nachfolgende Sendung und verkauft die unsrigen.«

[] »Was – mein Pferd?«

»Seid doch kein Narr, Cotton,« lachte Weston – »erstlich bekommt Ihr das Geld dafür –«

»Ja, aber wie viel? nicht den halben Preis!«

»Und dann,« fuhr Weston fort, ohne sich unterbrechen zu lassen, »dürft Ihr Euch überhaupt vor keinem Menschen mehr hier blicken lassen und müßt die Gegend in sehr kurzer Zeit verlassen.«

»Was hat das aber Alles mit meinem Pferde zu thun?«

»Daß ich Euch schlecht kennen müßte, wenn ich glauben wollte, Ihr würdet auf Eurem eigenen Pferd Abschied vom Fourche la fave nehmen –« lachte Weston.

»Da habt Ihr Recht, Weston – das war ein gescheidtes Wort,« lachte Cotton – »und wißt Ihr wohl –«

»Schreit nicht so, weiß der Henker, ob hier nicht irgendwo Jemand herumschleicht. Ich habe überdies heute Nachmittag in der Gegend schießen hören.«

»Wißt Ihr wohl, daß ich mir schon ein Pferd ausgesucht habe, das mir ganz mordsmäßig gefällt?«

»Und das wäre?«

»Roberts' Hengst – ein prächtiges Thier.«

»Hört, Cotton, Ihr seid gar nicht dumm. Auf dem könnt Ihr auch jeder Verfolgung lachen. – Hu – da wird's wieder einen Spektakel geben!«

»Der Plan ist übrigens gut,« sagte Cotton nachdenkend – »ja, ja – was Geschäfte anbetrifft, da ist Rowson vortrefflich – und wie herrlich führt er das Weiberzeug in der Ansiedelung an der Nase herum. – Die würden Augen machen, wenn sie ihn heut Abend mit zwei Pferden an der Leine durch den Wald galoppiren sähen.«

»Mrs. Roberts hält ihn für einen wahren Heiligen – nun meinetwegen. Schade ist's nur um das hübsche junge Mädchen, das ihn die heirathen muß; den möcht' ich auch zum Mann haben! Aber hört einmal, Cotton, ich muß eine Frage an Euch thun – ich höre jetzt von weiter nichts mehr sprechen, als immer nur von der Insel, bin sogar selbst [] auf dem Sprunge, sie kennen zu lernen, so sagt mir doch zum Teufel, was hat das mit der ›Insel‹ für eine Bewandtniß – was für eine Insel ist es und wo liegt sie?«

»Ich darf nicht plaudern,« erwiderte Cotton geheimnisvoll. »Das ist eine Geschichte, in die zu Viele verwickelt sind, und ich möchte die Zunge nicht im Munde tragen, die sich daran verbrennte. – So viel nur kann ich Euch vertrauen, daß sie im Mississippi liegt, und daß die Leute darauf uns freundlich gesinnt sind. – Betreten habe ich sie selber noch nicht.«

»Im Mississippi, bah, da liegen viele Inseln – und freundlich gesinnt – freundlich gesinnt ist halb Arkansas gegen uns und fünf Sechstel von Texas; nein, sagt mir etwas Näheres – welche Nummer ist's im Mississippi? Ihr wißt doch, daß die Inseln in dem Strom alle von oben herab unter bestimmten Nummern bekannt sind?«

»Ob ich das weiß!« lachte höhnisch der ältere Gefährte – »doch – weiter darf ich Euch nichts verrathen – Ihr werdet übrigens die ganze Geschichte jetzt bald genug erfahren, in wenigen Tagen sind wir dort. Bis dahin also geduldet Euch in Eurer Neugierde. Doch halt! – Haubt Acht – was war das?«

»Still!« rief Weston – »das war ein Whip-poor-will – Rowson wollte das Zeichen auf diese Art geben – sollten sie es sein? – Ich will auf jeden Fall antworten, denn sicher ist ja doch Alles hier.«

Er hielt die Finger an den Mund und ahmte eben so täuschend den scharftönenden Laut des kleinen Vogels nach.

»Huhpih!« schrie Johnson's Stimme, als jetzt auf einmal ein rasches Pferdegetrappel hörbar wurde; gleich darauf hielten die sehnlich Erwarteten am Ufer und schwenkten die Hüte zum Zeichen des glücklichen Gelingens hinüber nach den Kameraden.

[] 12.
List der Pferdediebe. – Die Ueberraschung. – Alapaha und Rowson.

»Hurra!« rief Weston, alle frühere Vorsicht vergessend, beim Anblick der herrlichen Pferde, die in diesem Augenblick das jenseitige Ufer herunterkamen und am Wasserrande hielten. – »Hurrah – das nenn' ich Pferde!«

»Seid Ihr Beide wahnsinnig?« rief Rowson ärgerlich hinüber – »wollt Ihr mit Gewalt irgend einen hier zufällig Umherstreifenden herbeiziehen? Haltet die Mäuler und spart Eure Ausbrüche der Freude für die Zeit auf, wo Ihr selbst das, was Euch obliegt, gut und glücklich ausgeführt habt. Wo sind Eure Pferde?«

»An dem bestimmten Platz hier unten,« sagte Weston.

»Gut! holt sie schnell – seht Euch aber vor und laßt keine Fährten am Ufer; bleibt im tiefen Wasser.«

»Ay, ay – weiß schon – Weston ist auch nicht auf den Kopf gefallen.« –

Der junge Bursche sprang schnell zu dem Platze hinunter, wo er seine Pferde gelassen hatte, und kehrte auch in sehr kurzer Zeit wieder zurück, vorsichtig dabei die Thiere mitten in der Strömung haltend, die hier kaum drei Fuß tief sein konnte.

»Wo sind die Boote jetzt?« fragte Rowson – »es kommt nicht darauf an, ob diese Pferde hier den Grund eine Weile zerstampfen, denn wenn sie uns wirklich verfolgen, werden sie denken, wir wären unschlüssig gewesen, ob wir den Durchgang versuchen sollten. Lassen wir aber die anderen Thiere am jenseitigen Ufer stehen und viele Fährten machen, so zwingt sie das, die Spuren näher zu untersuchen, und dann möchten sie ausfinden, daß es andere Hufspuren[] wären. Cotton's Pferd hat außerdem solch' große Hufe.«

Weston verschwand mit Cotton gleich darauf im Schilfbruch, und nach kurzem Säumen glitten sie in ihren Canoes herbei.

»Halt!« rief Johnson – »nicht weiter – sie dürfen die Eindrücke der Boote nicht am Ufer sehen, – so – kommt in die Mitte her – jetzt nehmt die Pferde hier in Empfang – steigt lieber ein, Rowson. – Also Zwei in das große und Einer in das kleine Canoe. – Halt da – laßt mich erst die Pferde wechseln; ah – nun ist mir ordentlich ein Stein vom Herzen, daß ich wieder auf dem Rücken meines eigenen Thieres sitze.«

»Jetzt zeig' aber, daß Du reiten kannst, Johnson,« sagte Rowson, indem Jener sich fertig machte, die Bank hinauf zu klimmen – »laß die Pferde laufen, was sie können, sie haben sich ausgeruht. – Gieb ihnen Sporen und Peitsche und bedenke, daß jede Viertel stunde, die wir die Verfolger von der rechten Spur abbringen, Gold werth ist.«

»Nur keine Angst!« lachte Johnson – »die müssen scharf reiten, die mich einholen wollen, und wenn sie mich einholen, lach' ich sie aus. Ich habe schon vorgearbeitet und mehreren von meinen Bekannten erzählt, wie ich meine und noch einige andere Pferde in den südlichen Theil des Staates schaffen wollte, da ich dort einen gewaltigen Preis für sie zu erhalten hoffte.«

»Also fort,« erwiderte Rowson, »der Teufel traue. Wer weiß, wie bald sie hinterhergekleppert kommen, und wir befänden uns gerade jetzt hier in einer höchst interessanten Stellung. – Gott segne mich, wir würden schön ankommen, Alle miteinander.«

»Wie wird's denn mit den Provisionen?« frug Cotton.

»Den brauch' ich nicht!« rief Johnson zurück, als er eben den obersten Kamm der Uferbank erreichte. – »Ausruhen müssen die Pferde doch einmal dann und wann, und das kann eben so gut bei einem Hause geschehen.«

»Nur nicht noch in dieser Nacht, daß die Nachkommenden [] nicht zu früh die Farbe der Pferde erfahren. Die beiden Schimmel möchten sie stutzig machen –«

»Habt keine Angst – bis morgen Mittag müssen sie aushalten – auf ein frohes Wiedersehen!« Damit stieß er seinen Jagdruf aus, setzte dem Thiere, das er ritt, die Hacken in die Seiten und verschwand im nächsten Augenblick im Walde.

»Das wäre also besorgt,« sagte Rowson, »nun, Cotton, müssen wir sehen, wie wir mit diesen Thieren zu Stande kommen. Vor allen Dingen werden wir uns am besten von hier entfernen und etwa eine halbe Meile den Fluß hinuntergehen. An der Straße hier sind wir nicht allein dem ausgesetzt, von jedem Reisenden gesehen zu werden, sondern dürfen auch erwarten, daß uns die verdammten Regulatoren unversehens über den Hals kommen. Laßt also die Binderei jetzt, das kleine Streckchen Weg bringen wir sie schon so hinunter, sie haben überdies wahrscheinlich die ganze Strecke Grund. An der ersten Kiesbank setzen wir Alles in Stand und können vor Dunkelwerden noch mit unserer ganzen Einrichtung fix und fertig sein.«

Es lag zu viel Wahres in diesen Worten, als daß sie einer weiteren Erwiderung bedurft hätten. Schnell waren daher auch alle nöthigen Vorkehrungen getroffen, und wenige Minuten darauf glitten die Boote, jedes mit drei Pferden daran befestigt, um die Biegung des Flusses, die es unmöglich machte, daß sie von der Straße aus gesehen werden konnten.

»So – jetzt fängt mir's erst an ein wenig behaglich zu werden,« flüsterte Rowson. – »Es dunkelt immer mehr und mehr, und sollten uns unsere Verfolger wirklich noch in dieser Nacht nachkommen, so gehen sie ohne Zweifel in die Falle, die wir ihnen gestellt haben. – Hurra! wenn ich mir die Kerle denke, wie sie mit mordlustigen Blicken auf den Fährten dahingaloppieren, mit jeder Minute eifriger den muthmaßlichen Dieb verfolgen – endlich ihn sehen, noch zur letzten Anstrengung den eigenen Thieren die Hacken in die Seite setzen, und dann – die verblüfften Gesichter – das [] Fluchen und Schimpfen, und Johnson's unschuldige Schafsmiene, wie er bedauern wird, die unbewußte Ursache gewesen zu sein, die vielleicht die Verbrecher der so gerechten Strafe entzogen hat – hahaha – schon der Gedanke ist köstlich!«

»Hier ist die Kiesbank,« sagte Weston, indem er mit der Hand nach dem linken Ufer hinüber deutete; »die Thiere haben Grund, und es wäre besser, die Zäume und Halftern jetzt ein wenig in Ordnung zu bringen. Auch müssen wir die Pferde besser an den Booten vertheilen, denn gleich hier unten, sobald wir diese Biegung des Flusses umgangen haben, wird die Strömung tief und die Pferde müssen jene ganze Strecke schwimmen. Ich habe es heute Morgen, als ich hier heraufkam, genau untersucht.«

»Wenn ich nicht irre,« meinte Cotton, zum Ufer hinaufsehend, »muß hier irgendwo an dieser Kiesbank eine kleine verödete Hütte stehen. – Vor etwa drei Jahren lagerten wir drin, als ich damals mit Johnson in die Nation Unter »Nation« werden in Arkansas fast stets die Cherokesen verstanden. ging. Die Büsche sind aber jetzt so drum herum aufgewachsen, daß man gar nichts mehr von ihr sehen kann. Ja, dies ist die Stelle,« fuhr er fort, als sie mit den Kähnen landeten – »ich kenne sie an der niedergestürzten Platane; – die fiel in derselben Nacht, in der wir hier lagerten, und hätte sie eine andere Richtung genommen, so wär's um uns geschehen gewesen.«

»Arkansas würde nicht getrauert haben,« lachte Rowson.

»Nein, wohl schwerlich – doch davon schweigen wir lieber. Was wollt Ihr denn da machen?«

»Wir müssen das kleine Boot an das größere anhängen,« sagte Rowson – »nachher können wir zwei Pferde an jede Seite nehmen und zwei hinten nehmen; zu rudern haben wir auch nicht viel nöthig, denn die Strömung ist ziemlich stark. Allenfalls kann auch Einer von uns ein wenig nachhelfen, besonders steuern, die anderen Beiden geben dann auf die Pferde Acht, daß sich diese nicht verwickeln. Bis um Zwölf müssen [] wir am ›Devils Crook‹ sein, dort steige ich aus und überalsse Euch Zwei Eurem Schicksal. Schont die Pferde nicht und vermeidet nur da die breite, offene Straße, wo der Wald licht genug ist, eben so schnell hindurch kommen zu können. Sollten sie wirklich schon morgen, was aber gar nicht zu erwarten steht, ja was fast nur durch einen Zufall möglich wäre, die richtigen Fährten finden, nun so habt Ihr etwa zwölf Stunden Vorsprung und tüchtige Pferde – Cotton, Ihr kennt den Weg?«

»Na, ich sollte denken,« brummte dieser – »bin ihn oft genug gehetzt – einmal mit fünf Kerlen auf den Hacken. Haben wir nur erst den Mississippisumpf erreicht, wo ich die Fährten durch alle die Bayous und Lagunen weiß, dann sind wir sicher. Ein Platz ist dort besonders, wenn ich da hindurch bin und haue von der andern Seite einen Baum über die Stelle, so nimmt's den Verfolgern einen ganzen Tag, um zu Pferde mir nachzukommen. – Den Platz habe ich mir bis jetzt immer für einen Nothfall aufgehoben.«

»Wo bekommt Ihr aber eine Axt her?«

»Erst im vorigen Monat versteckte ich dort meine Axt in einen hohlen Baum; drängt die Noth, so soll's an Handwerkszeug nicht fehlen.«

»So – das wird jetzt wohl in Stand sein,« sagte Rowson, der eben seine Vorrichtung an den Kähnen beendet hatte – »nun, Cotton, noch ein Wort zu Euch über Euer Verhalten, und dann fort an die Arbeit. Die Stelle kennt Weston, wo Ihr zuerst das Land berühren dürft; – es ist dort, wo die breiten Steinplatten bis hoch hinauf zwischen die Bäume laufen. Wir haben dadurch den Vortheil, daß unsere Spuren vom Wasser aus gar nicht bemerkt werden können. Etwa hundert Schritt den Fluß hinunter, wo eine Fichte und ein Pawcornbaum kreuzweis dem Bette zugestürzt sind, hat Atkins einen Sack mit Mais und noch andere Lebensmittel verborgen –«

»Warum geht Ihr denn nicht mit bis an jene Stelle?« frug Weston.

»Dort könnten meine Fährten gefunden werden,« erwiderte [] Rowson, »was am Devils Crook nicht möglich ist; mache ich daher von da aus einen kleinen Umweg über die Berge, so komme ich nachher wieder von einer ganz andern Richtung in die Ansiedlung zurück. Ich traue dem verdammten Indianer nicht, besonders wenn sie ihn einmal auf unsere Fährten hetzen sollten, bin deshalb auch so vorsichtig wie nur irgend möglich. Aber, Cotton – habt Ihr nicht irgend 'was zu essen mit? Mich hungert fürchterlich. Wie wir herkamen, war's mir beinahe, als ob ich gebratenes Hirschfleisch röche – ich wollte, ich hätt' jetzt ein Stück jetzt. – Daß Ihr auch gar keine Provisionen mitgebracht habt – man kann doch nicht an Alles denken.«

»Oben im Schilfbruch, wo die Pferde standen, liegt mein Halstuch mit Maisbrot und Hirschfleisch,« sagte Weston, »ich habe es aber schändlicher Weise vergessen – jetzt ist's wohl zu spät, es wieder zu holen.«

»Den Teufel auch – an das hättet Ihr früher denken sollen – es wird's doch niemand finden können?«

»Nein, es hängt versteckt – aber wollen wir nicht fort?«

»Wartet nur noch, bis Cotton den Zaum ausgebessert hat,« sagte Rowson – »wenn er unterwegs reißen sollte, hätten wir mehr Aufenthalt und könnten ihn am Ende im Dunkeln nicht einmal zu Stande bringen.«

»Wie erwischtet Ihr denn eigentlich die Pferde, Rowson?« frug Cotton, der emsig beschäftigt war, den einen zerrissenen Halfter wiederherzustellen, »erzählt's uns jetzt, denn unterwegs werden wir nicht viel Zeit zum Schwatzen haben und erfahren es nachher gar nicht.«

»Mit wenigen Worten kann das geschehen,« erwiderte Rowson schmunzelnd, indem er sich in aller Bequemlichkeit ein großes Stück Kautabak abschnitt und in den Mund schob. »Glücklicher Weise begegneten wir unterwegs keinem Bekannten und erreichten die Stelle an der Fenzecke, wo der Springcreek dicht vorbeifließt, gerade mit Dunkelwerden – so etwa um diese Zeit. Die Mühle hatten wir geschickt umgangen, und als die erste Eule laut wurde, standen wir an der Umzäunung, in der sich die Stuten befanden. Mir wurde nicht wohl bei [] der Sache, denn meiner Berechnung nach hätten die wild umherlaufenden Pferde schon da sein müssen; das ließ sich aber nicht ändern, und Johnson und ich kletterten auf ein paar Bäume, um erstens vor Ueberraschung sicher zu sein und dann auch alles Herankommende eher bemerken zu können. Ein Glück war's, daß wir's thaten, denn kaum saßen wir oben, als, straf' mich Gott, – Husfield selber – sagtet Ihr 'was, Cotton?«

»Nein – warum?«

»Mir war's, als hört' ich einen Laut, – Husfield selber mit einer ganzen Koppel Hunde von der Jagd heimkehrte und dort vorbeikam. Wären wir unten auf der Erde gewesen, so hätten uns die Bestien so gewiß wie was aufgestöbert, und dann gute Nacht, Johnson, denn auf den hat es Husfield besonders gemünzt; die Zügel, die wir bei uns trugen, würden uns auch auf jeden Fall verrathen haben. So schnüffelten die verdammten Hunde nur unter den Bäumen herum, hoben die Nasen in die Höhe und windeten eine Weile, daß uns angst und bange wurde, folgten dann aber kläffend ihrem Herrn, der indessen schon eine Strecke Weges vorausgeritten war.

Wir Beide hatten Todesschweiß geschwitzt, unsere Noth endete übrigens hiermit, denn gleich darauf kamen die Pferde. Wir suchten uns, so lange es noch nicht ganz dunkel war, die, die uns am besten gefielen, darunten aus, zäumten sie auf, schwangen uns drauf, und fort ging's wie ein Sturmwind durch den Wald, daß ich ein paar Mal glaubte, wir müßten Hals und Beine brechen. Um sie irre zu führen, zickzackten wir auch eine Weile auf steinigem Boden umher, schlugen verschiedene Richtungen ein und setzten erst dann, als wir uns sicher galubten, unsern Ritt mit weniger Vorsicht, aber dafür auch um so viel rascher fort.«

»Wurden denn die anderen Pferde nicht scheu, als Ihr Euch einen Theil von ihnen herausfischtet?«

»Ja – sie schnoben gewaltig, und gerade wie wir die letzten bei der Mähne erwischt hatten, brachen die übrigen schnaubend und wiehernd davon und galoppierten um die Fenz, wahrscheinlich wieder in den Wald hinein. – Der Fuchs hier [] hat mich wohl sechsmal im Kreise herumgerissen, ehe ich ihn zum Stehen bringen konnte.«

»Na, Husfield wird schön wüthen,« lachte Cotton – »sechs Pferde auf einmal sind seit Menschengedenken keinem Farmer gestohlen worden –«

»Und der fromme Rowson an der Spitze!« jubelte Weston.

»Hört einmal, Rowson,« sagte Cotton jetzt, indem er über den Zügel zu dem schmunzelnd Dastehenden hinüberblinzelte, »über welches Thema werdet Ihr denn morgen predigen? Jammerschade ist's, daß ich das nicht mit anhören kann; so etwas müßte der Mühe werth sein.«

»Verdammt!« rief Rowson ärgerlich – »morgen schenkt' ich ihnen den Unsinn gern, ich werde zu unaufmerksam sein; zu viel Angst haben, was aus Euch geworden ist.«

»Aus den Pferden, meint Ihr?«

»Nun ja, auch aus den Pferden, und da muß ich denn stehen und Gebete plappern und langweilige, alberne Lieder herplärren.«

»Und das ›Glory‹ rufen nachher und das Ohnmächtigwerden von der dicken Witwe!« lachte Weston.

»Und die frommen Gespräche mit der schönen Indianerin,« fiel Cotton ein – »hört, Rowson, Ihr habt gar keinen so schlechten Geschmack –«

»Verdamm' es!« rief Rowson, »macht fort, daß wir vom Platze kommen, mir wird nachgerade kalt, und die Pferde frieren ebenfalls. – Führt Niemand einen Tropfen Whisky? – Johnson, der Halunke, hat meine Flasche in der Tasche und sagt kein Wort. – Oh zum Teufel, laßt noch einen Tropfen drin, Ihr saugt ja, als ob Ihr sie luftleer pumpen wolltet!«

Cotton reichte ihm die Flasche hinüber, und Rowson that einen langen Zug; dann korkte er sie wieder zu und gab sie zurück.

»Nicht wahr, der labt?« frug Cotton schmunzelnd – »ja, und hitzt dazu; – ich habe eine ganze Hand voll spanischen Pfeffer hineingethan – das giebt Wärme.«

[] »Es thut Einem auch gut heut Abend,« sagte Rowson, sich schüttelnd – »der dürre Regen kältet merkwürdig.«

»So – jetzt kann's weiter gehen!« rief Cotton – »nun schnell, daß wir von hier fortkommen; es wird immer dunkler, und dort dro – dro – ben – Pest und Gift!« fuhr er schnell flüsternd fort – »was ist das? da schimmert ein Licht durch die Büsche!«

»Wo?« fuhr Rowson wild auf.

»Da oben – das muß in dar Hütte sein.«

»Dort in dem Busch kauert etwas Helles!« rief Weston jetzt, dessen scharfes Auge die Umrisse einer Gestalt bemerkte, die in die dunklen Sträucher, welche das Flußufer begrenzten, hineingeschmiegt stand.

»Tod und Teufel,« schrie Cotton – »das ist Verrath!« und wie ein Pfeil vom Bogen flog er, von Rowson gefolgt, mit wenigen Sätzen die Uferbank hinauf und stand im nächsten Augenblick dem einsamen Wesen, das von dort oben aus das ganze Treiben der Männer beobachtet – jedes einzelne Wort gehört hatte, gegenüber.

»Alapaha!« rief Rowson entsetzt.

»Das rothäutige Weib!« knirschte Cotton, fast eben so erstaunt als erschreckt.

»Du bist allein?« frug Rowson jetzt schnell die Indianerin. – »Du bist allein? wo ist Assowaum?«

Das arme Weib vermochte aber nicht zu antworten, eine Weile stand sie starr und aufrecht, und blickte mit einem so geisterhaft ernsten, ja fürchterlichen Ausdruck in den kalten Zügen den entlarvten Prediger an, daß dieser die Augen scheu niederschlug – er konnte den Blick nicht ertragen. Es war aber nur ein Moment, in dem dir stolze Tochter der Wälder vernichtend vor dem Mann stand, der ihr ihren Glauben an ihren Gott, ihre Liebe für ihren Gatten entwendet hatte. Dann kam der Gedanke an ihr grenzenloses, entsetzliches Elend über sie – wie sie dem großen Geist entsagt, den ihres Väter schon im Rauschen der mächtigen Wälder, im Rieseln des stillen Baches verehrten, wie sie den Worten eines Mannes gelauscht hatte, den sie für einen Heiligen gehalten, und der jetzt – [] das Herz schauderte ihr, als sie ihn vor sich erblickte – ein Dieb und Räuber war.

Sie barg das Gesicht in ihren Händen, und große helle Thränen rieselten zwischen den zusammengepreßten Fingern hindurch.

»Die Pferde werden unruhig!« rief Cotton ärgerlich – »was fangen wir mit der hier an?«

»Geht – überlaßt sie mir,« flüsterte ihm Rowson zu und richtete sich mit teuflich wildem Blick empor.

»Sie Dir überlassen? das glaub' ich!« lachte der Jäger höhnisch – »bist nicht so dumm – ist's jetzt Zeit zu solchen Possen?«

»Fort mit den Pferden,« rief Rowson mit unterdrückter Stimme – »der Fluß macht hier den Bogen, wohl drei Meilen im Umkreise – es ist aber keine hundert Schritt gerade hinüber zu Land, man kann auf die Art die ganze Biegung abschneiden. – Fort also – Weston vermag nicht die Thiere allein zu halten.«

»Und was soll mit dem Weibe geschehen?«

»Habt keine Angst,« flüsterte ihm Rowson zu – »ist Einer durch ihre Aussagen gefährdet, so bin ich es –«

»So geht denn zum Teufel und – kommt bald nach,« fluchte Cotton – »die Folgen über Euch, wenn Ihr uns warten laßt.« Er sprang die Uferbank wieder hinunter, über die lockeren Kiesel hinweg, und wenige Secunden darauf glitten die Boote mit den schnaubenden und keuchenden Pferden hinein in die auf dem Wasser lagernde Dunkelheit.

[] 13.
Der Prediger von der Indianerin entlarvt. – Die gelungene Flucht.

»Wo ist Assowaum?« fragte mit leiser, aber fester Stimme der Prediger, als er sich mit der jungen Indianerin allein sah. Diese jedoch schien seine Frage zu überhören oder wollte ihr nicht lauschen. – Nichts unterbrach die stille Nacht, als das Schluchzen des armen Weibes und das schwere Athmen des Priesters.

»Wo ist Assowaum?« frug dieser endlich nach einer für ihn peinlichen Pause zum zweiten Mal und erfaßte zu gleicher Zeit mit seiner Rechten den Arm der Weinenden. Wie von einer Schlange berührt, fuhr aber die Unglückliche empor, machte sich los von dem Griffe des finstern Mannes und rief, vor ihm zurückschaudernd:

»Fort – fort – Dein Athem ist Gift – Deine Berührung Tod – Deine Zunge ist doppelt, und Deine Augen lügen Gott, während Deine Brust den Teufel birgt. Fort – Gras und Blume muß welken, wohin Du Deinen Fuß setzest; die Vögel müssen schweigen, wenn Du in ihre Nähe trittst. – Der Rauch der heiligen Pfeife muß vor Dir zurückfliehen und darf Dich nicht umgeben. Dein Gott ist ein Lügengott, denn sonst hätte er lange seinen Blitz gesandt, Dich Verfluchten zu zerschmettern – fort!«

»Wo ist Assowaum?« frug der Prediger mit heiserer Stimme, ohne die Bannworte der Indianerin zu beachten.

»Oh daß er hier wäre, Dich zu züchtigen!« sagte diese leidenschaftlich, sich zu ihrer ganzen Höhe emporrichtend – »daß er hier wäre, die Schmach zu tilgen, die Du auf den Scheitel seines armen Weibes gehäuft. – Aber wehe Dir – er soll Dich finden – er soll Dich treffen; sein Kriegsruf soll in Deine Ohren tönen; – oh – Du hast ihn noch [] nicht gesehen in seiner kriegerischen Herrlichkeit,« fuhr sie stolz fort, als sie das höhnische Lächeln der Amerikaners bemerkte – »Du hast ihn noch nicht gesehen mit geschwungenem, blitzendem Tomahawk, mit dem Schlachtschrei auf den Lippen und dem Tod der Feinde im Auge, mit wehender Scalplocke und blitzender Speerspitze. Du hast ihn noch nicht gesehen beim Kriegstanze mit den Tod kündenden Streifen im Antlitz; hast ihn noch nicht gesehen roth vom Blut der Erschlagenen und mit den Skalpen der Besiegten am Gürtel. – Aber er wird kommen, er wird zurückkehren!«

»Wann – Weib, wann?« frug der Priester schnell, indemseine Hand ängstlich zuckend nach der Seite fuhr.

»Wann?« lachte die Indianerin triumphierend – »wann? zu schnell noch für Dich – ehe die Sonne zweimal im Osten wieder emporsteigt, ist er da, und wehe Dir, wenn sein Pfad den Deinen kreuzt!«

»Aber wo ist er jetzt?«

»Ha – wie Du zitterst, elender Feigling, schon bei dem Gedanken an seinen Arm, an die Schärfe seiner Waffe – ha, wie Du bebst und ängstlich umherblickst, aus Furcht, er könnte jetzt aus den Büschen treten. – Ich bin nur ein Weib, aber ich werde stolz, wenn ich auf Dich herniedersehe.«

»Wo ist er jetzt?« frug zähneknirschend, aber immer noch nicht frei von Furcht, der Weiße, denn er konnte sich nicht denken, daß die Indianerin ihren Wigwam allein verlassen habe und hier im Walde ohne den Schutz ihres Mannes gelagert sei.

»Wo er jetzt ist?« fuhr Alapaha höhnisch lächelnd fort – »nicht allein wird er zurückkehren – die starke Hand ist bei ihm, die den erschlug, der sie beleidigte – zittere, denn Dein Gott wird Dich nicht schützen!«

»Ha!« fuhr Rowson auf, indem eine teuflische Freude seine Züge durchzuckte – »so ist er hinüber, den Genossen zu holen; – dacht' ich's doch. – Gut! dann bist Du mein, und weder Gott noch Teufel soll Dich mir entreißen.«

»Zurück!« schrie die Indianerin, erschreckt auffahrend, als sie Rowson umschlingen wollte, und flüchtete nach der Hütte [] zu – »zurück, Teufel! – Deine Augen glühen – zurück!«

»Du bist mein!« lachte Rowson wild auf – »Du bist mein, und ich trotze dem rothhäutigen Schuft, er mag kommen – aber Dich soll mir nichts entreißen – und daß Dein Mund uns nicht verräth, dafür lass' mich sorgen.«

»So möge denn der Manitu unseres Volkes, dem ich von diesem Augenblick an wieder gehöre, mir Kraft geben!« rief Alapaha, sich noch einmal dem Arme des Wüthenden entreißend und ihren Tomahawk, den sie an der Seite trug, ergreifend. – »Stirb, Verruchter, von der Hand eines Weibes, und mag Aasgeier und Wolf Deine Gebeine umherzerren – stirb!«

Bei den letzten Worten sprang sie mit wildem Satz auf den erschreckt Zurücktaumelnden zu, und der nächste Augenblick hätte sein Schicksal besiegelt, aber die aus den Haspen gestürzte Thür hielt ihren Fuß, sie wankte, stürzte und sah sich im nächsten Augenblick in der Gewalt ihres Feindes. –

»Wenn Rowson dem Geschrei nicht bald ein Ende macht,« brummte Cotton unwillig vor sich hin, »so wird er sich oder uns Jemanden auf den Hals locken. – Ich habe sicher den Nachmittag hier irgendwo schießen hören, und es wäre gar kein unmöglicher Fall, daß die Rothhaut noch irgendwo im Walde läge.«

»Ich wollte, er käme,« sagte Weston, ebenfalls ärgerlich – »das blos mit dem Strom Treiben geht zu langsam, und man kann doch wahrhaftig nicht drei Pferde halten und auch noch rudern. Die Thiere werden überdies unruhig; das Wasser ist kalt und das Ganze mag ihnen wohl ungewohnt und sonderbar genug vorkommen.«

Die Männer lauschten einen Augenblick, und wieder drang der schrille Hülferuf der Indianerin durch die stille Nacht daher, daß die Eule in den dunklen Fichten am Flußufer [] höhnend darauf antwortete und neugierig dem Orte zuflog, von dem solch' unheimliche Laute herübertönten.

»Die Pest über den Narren!« rief Cotton noch einmal ärgerlich – »ich wollte bei Gott, sie entwischte ihm, und – wenn wir nur selbst erst einige fünfzig Meilen weiter fort wären. Entkäme die Rothhaut aber jetzt und gäbe Alarm, Höll' und Teufel! ich glaube, wir hätten morgen eine Armee hinter uns her.«

»Er wird sie doch nicht umbringen?« sagte Weston schaudernd, als er athemlos nach der Richtung hinüberlauchte. – »Es ist jetzt auf einmal Alles so todtenstill – mir graust's, Cotton – er wird doch kein Blut vergießen?«

»Narr!« brummte Cotton – »wollt Ihr Euren eigenen Hals in die Schlinge legen, heh? gelüstet's Euch, von den Regulatoren an irgend einem bequem gewachsenen Eichenast in die Höhe gezogen zu werden? Rowson wird thun, was nöthig ist. Kann's ohne Blutvergießen abgemacht werden, desto besser, ich bin selbst kein Freund davon. Geht das aber nicht –«

»Oh kein Blut – kein Blut –« rief Weston ängstlich. »Ich habe mich mit Euch verbunden, die Pferde zu stehlen – das ist kein Verbrechen – aber Blut – mich überläuft's, wenn ich daran denke – Blut mag ich nicht auf dem Gewissen haben; – und das war ja auch nur ein Weib.«

»Desto gefährlicher,« lachte Cotton, »wenigstens da, wo es gilt, etwas zu verschweigen. Doch seid kein Narr – Rowson wird's schon machen – er thut gewiß nichts, als was er – habt auf das Pferd da Acht, es fühlt Grund und will an's Ufer – Pest, da drüben hat's schon den Huf in den Schlamm gedrückt – seht Euch vor, Weston – wir wissen nicht, wer uns auf den Fährten sitzen wird.«

Der Teufel mag sie alle in Ordnung halten, rief Weston ärgerlich – »warum bleibt Rowson so lange – die Thiere werden ungeduldig, und mir sterben die Hände schon ab vom langen Halten.«

»Dort ist die Stelle, wo er zu uns stoßen wollte,« sagte [] Cotton – »seht Ihr dort, wo die Wurzel im Wasser liegt – gerade vor Euch – ich habe hier oft in der Gegend gejagt und kenne den Bogen, den der Fluß macht, gut genug.«

»Da steht auch Jemand neben der Wurzel!« flüsterte Weston leise. In dem Augenblicke tönte der Ruf des Whip-poor-will von der Stelle her, und gleich darauf sprang Rowson, denn er war es, von dem Steine, auf dem er stand, in das hier nur wenige Zoll tiefe Wasser und watete an die Boote heran, da die darin Sitzenden nicht anhalten konnten, ihn aufzunehmen.

»Hier sind Provisionen,« sagte er mit heiserer Stimme, indem er einen Arm voll auf Stäbe gereihte Stücke Hirschfleisch in das Boot warf – »delikates Wildpret.«

»Wo ist die Indianerin?« frug Weston, dem finstern Mann ängstlich in's Auge sehend.

»Sicher!« antwortete dieser lakonisch und wandte sich ab vor dem forschenden Blicke des Fragenden.

»Sicher? Ihr habt ihr doch kein Leid angethan?«

»Unsinn – bekümmert Euch um Eure eigenen Geschäfte – was geht Euch mein Handeln an? – So, gebt mir die Pferde und nehmt Ihr das Ruder ein wenig – das Wasser wird hier tief und wir kommen etwas schneller vom Fleck.«

»Wie weit ist's noch zu dem Platze, wo wir landen?« frug Cotton.

»Drei Meilen – eher etwas mehr als weniger.«

»Und wie weit geht Ihr mit?«

»Noch zwei etwa – wir werden die Hügelreihen bald erreichen, an deren Fuß ich aussteige – aber – Weston – kommt doch noch einmal her und nehmt die Zügel – Cotton – habt Ihr nicht ein altes Tuch oder so etwas bei Euch?«

»Was wollt Ihr damit? – mein Halstuch!«

»Gebt es her – oder – bindet es mir hier um den Arm – da – da gerade an der Schulter.«

»Ja, dann müßt Ihr aber den Rock ausziehen – ich[] kann auch nicht gut dazu – das verwünschte Boot schwankt so, und ich fürchte, es schlägt um.«

»Gut – dann warte ich noch eine Viertelstunde, bis wir wieder an eine seichte Stelle kommen, und gehe nebenher im Wasser – nachher macht sich's besser.«

»Was habt Ihr denn an der Schulter?« frug Cotton, als Jener den Rock auszog und den Aermel auffstreifte.

»Ih – die kleine Hexe erwischte einmal, ich weiß selbst nicht wie, den Tomahawk, den ich ihr schon weggenommen, und – doch es hat weiter nichts zu sagen. – Dort unten, wo es so hell schimmert, hört das tiefe Wasser auf, und dann können wir etwas darum binden.«

Schweigend verfolgten die Männer jetzt wieder bis zu der bezeichneten Stelle ihre Bahn, dann aber stieg Rowson, erst vorsichtig mit dem kurzen Ruder nach Grund fühlend, über Bord, und während er neben dem langsam dahingleitenden Kahn herging und sich mit der rechten Hand dabei am Rande desselben festhielt, verband ihm Cotton die keineswegs unbedeutende Wunde.

»Wenn nur der Mond ein wenig schiene,« rief Weston nach einer Weile, »daß wir doch wenigstens den Punkt erkennen könnten, an dem wir landen müssen!«

»Sehnt Euch auch noch nach dem Mond,« brummte Cotton, »weiter fehlte gar nichts. – Ich wünschte, es regnete, was vom Himmel herunter wollte.«

Die Boote glitten jetzt an einer steilen Hügelreihe vorbei, deren schroffe Felskanten bis hinein in den Strom reichten, während einzelne dunkle Cedernbüsche aus der senkrechten Wand emporwuchsen und lange, unheimliche Felsspalten sich bis zu dem Gipfel der Berge hinaufdehnten. Die Kuppe krönten hohe, schwankende Fichten und Kiefern, und Cedern und Hickories bildeten das dichte, feste und beinahe undurchdringliche Unterholz.

»Wir sind nicht mehr weit vom Ziel!« sagte Rowson, »gleich dort unten ist die Stelle, an der ich Euch verlasse, und, Cotton – Ihr kennt ja den Platz, wo Ihr aussteigt!«

»Hat keine Noth – den verfehl' ich nicht. – Doch wenn [] auch – etwa eine Viertelmeile weiter unterhalb ist eben wieder eine solche Stelle. Aber halt! – was ist das? ein Feuer am Ufer? Dort lagert Jemand.«

»Nur ruhig,« flüsterte Rowson – »wer es auch sei, das Rohr läßt ihn hier nicht dicht an's Ufer, und der Schatten der Bäume wird uns wohl jedem neugierigen Blicke verbergen.«

Am Ufer schlug jetzt kläffend ein Hund an, und sie konnten sogar eine Stimme hören, die ihn beruhigte. Das Rohrdickicht war aber, wie Rowson ganz richtig bemerkt hatte, so dick und verworren, daß es unmöglich gewesen wäre, gerade an dieser Stelle den Fluß zu erreichen, oder ihn von dem Orte aus, wo das Feuer flammte, zu übersehen, und lautlos schwammen die Männer in der hier ziemlich tiefen Strömung vorüber.

»Verdamm' die Pferde, wie sie schwanken,« flüsterte Cotton nach einer Weile.

»Es ist Zeit, daß sie an's Land kommen,« – erwiderte Rowson – »hier ist übrigens der Ort, wo ich landen muß – so – haltet Euch ein klein wenig näher heran, daß ich abspringen kann – und nun macht Eure Sache klug – sitzt fest jetzt!«

Mit diesen Worten schwang er sich aus dem schaukelnden Boot auf einen vorspringenden Stein, winkte noch einmal mit der Hand hinüber und verschwand im Dunkel.

Es gehörte aber ein so geübter Canoeführer als Cotton dazu, um das schwanke Fahrzeug bei dem Herausspringen eines Menschen vor dem Umschlagen zu bewahren. Doch war es für ihn mit nur geringen Schwierigkeiten verbunden; der Kahn schaukelte kaum einige Secunden und glitt dann, ohne einen Tropfen Wasser eingenommen zu haben, weiter auf seiner Bahn.

Weston sprach keine Silbe mehr; seit dem letzten krampfhaften Schrei der Indianerin, der ihm noch in den Ohren tönte, hatte sich eine eigene, unbezwingbare Angst seiner bemächtigt. – Er fuhr bei dem geringsten Geräusch empor, und das Herz klopfte ihm in fieberhaften Schlägen.

[] Ohne weiter ein Wort mit einander zu wechseln, erreichten sie bald darauf die von Rowson bezeichnete Stelle, wo breite, glatte Felsplatten bis in die Hälfte des Flusses hineinliefen und sich bis oben hinauf zu dem mit dichtem, niederem Gebüsch bewachsenen Ufer erstreckten. Dort hielten sie und führten die schnaubenden und ungeduldig stampfenden Pferde auf das Trockene.

»Ja, trampelt nur,« lachte Cotton – »es soll euch bald warm genug werden. Haltet sie einen Augenblick, Weston, ich muß das eine Canoe erst versenken, daß es Niemand findet und Verdacht schöpft; das andere mag schwimmen, das kennt Keiner, und wenn sie's kennen, werden sie glauben, es habe sich losgerissen.«

Damit warf er schnell seine Kleider ab, um am Schwimmen nicht gehindert zu sein, füllte das Canoe mit Steinen, ruderte es an eine tiefere Stelle und ließ es sinken.

»So,« sagte er, als er bei Weston wieder an's Land sprang und seine Kleider überwarf – »so – das wird so bald Niemand zu sehen bekommen, wenigstens nicht früh genug, uns Schaden zufügen zu können. – Jetzt aber fort, mir brennt der Boden hier unter den Füßen.«

»Und kennt Ihr den Weg auch genau?« frug Weston besorgt – »Nachts gehört ein tüchtiger Waldmann dazu, eine genaue Richtung im Walde beibehalten zu können.«

»Seid unbesorgt,« rief Cotton, »wir müssen uns überdies etwas auf dem Bergrücken halten, denn da ist das wenigste Gestrüpp und ein Wegverfehlen auch nicht mehr möglich. Wenn wir überhaupt nur erst aus dem Schilfdickicht heraus sind, und das ist hier kaum fünfhundert Schritt breit, dann hat's keine Noth mehr. Also frisch in den Sattel, Weston – apropos – was habt Ihr denn für Sättel mit von zu Hause gebracht?«

»Für Euch einen alten spanischen, für mich gar keinen – ich nehme das Büffelfell hier. Wie weit ist's denn?«

»Nun, Gott sei Dank,« lachte Cotton – »morgen oder übermorgen kommen wir nicht hin; doch was thut's. Wer solche Geschäfte übernimmt, darf nicht so besonders auf Bequemlichkeit [] sehen. Rowson's Plan ist übrigens capital, und ich denke, wir werden den Mississippisumpf wohl ungestört erreichen. Soll mich nur wurdern, ob sie Johnson nichts am Zeuge flicken.«

»Wenn ich nur wüßte, ob Rowson der Indianerin kein Leid zugefügt hat!« sagte Weston seufzend.

»Oh, die Pest auf Eure Indianerin, was kümmert uns die! Höll' und Teufel, da fängt's wieder an zu regnen. Doch halt, ich will nicht fluchen, das ist gut genug und kann uns nur lieb sein, Johnson besonders, denn dem können sie nachher nicht nachsuchen, von woher er mit den Pferden gekommen ist. Aber jetzt fort – hier hindurch, Weston; das ist die Mündung eines der kleinen Bäche, und wenigstens schilffrei.«

Weston hatte indessen das erwähnte Fell auf dem Rücken eines der Pferde befestigt, schwang sich hinauf und folgte, zwei andere führend, dem Gefährten, der unter der Zeit schon das Dickicht betreten hatte und im Dunkel verschwunden war. Wenige Augenblicke noch konnten man das Brechen und Krachen des trockenen und verdorrten Rohre hören, als sich die Pferde zwischen diesen hindurchdrängten, dann verhallte auch dies; und Totenstille ruhte auf der Wildniß, und die Dunkelheit der Nacht barg Sünde und Verbrechen.

Der Leser muß aber jetzt noch einmal mit mir zu der Furth zurückkehren, an der wir uns beim Anfang des vorigen Capitels befanden.

Gar nicht so sehr lange waren hier die vier Verbündeten unter dem dunklen Schatten der Bäume verschwunden, als die Straße entlang, mit Kienfackeln in den Händen, die Reiter vom Springriver mit den in Pettyville hinzugekommenen Farmern heransprengten.

»Hier sind sie hinunter,« rief Husfield jetzt, sich im Steigbügel niederbeugend und die Kienspäne so nahe wie möglich [] an die Erde haltend – »das sind meine Pferde – verdammt will ich sein, wenn die Unverschämtheit nicht in's Grenzenlose geht; galoppieren mitten auf der breiten Countystraße durch's Land, als ob sie auf ihren eigenen Kleppern ritten. Aber wartet, Halunken, wartet – der Strafe entgeht Ihr diesmal nicht.«

»Bezweifle sehr, daß sie warten werden,« lachte Cook – »die Spuren sehen auch gar nicht danach aus; – Wetter, wir sie hier eingegriffen haben – Husfield, wir werden scharf reiten müssen, wenn wir sie morgen einholen wollen.«

»Ob wir scharf reiten – und wenn ich auch diese Pferde zu Grunde richte; lieber alle verloren, aber hängen muß ich die Canaillen sehen – hängen – sonst kann ich nicht mehr ruhig schlafen.«

»Mir war's, als ob ich einen Schrei hörte, wie wir dort oben um die umgefallene Eiche herumritten,« sagte Curtis – »war's Euch nicht auch so?«

»Ja,« erwiderte Husfield – »ich hörte etwas, das wird aber wohl ein Panther gewesen sein, es gibt deren noch einige hier im Schilfbruch.«

»Oh genug,« rief Cook – »besonders hier in der Gegend. Vor acht Tagen habe ich erst einen geschossen, und Fährten sind im Ueberfluß da.«

»Wie ist denn die Furth?« frug Husfield jetzt, sich im Sattel zurückbiegend; »irgend eine tiefe Stelle hier, die gefährlich werden könnte?«

»Ja – auf der anderen Seite,« erwiderte Curtis, »laßt mich nur voranreiten, ich kenne den Platz.«

Damit ließ er sein Pferd langsam die steile Uferbank hinuntergehen und ritt, von den Uebrigen einzeln gefolgt, zum anderen Ufer.

»Seht Ihr die Fährten da?« frug Husfield, der den Zug beschloß.

»Ja wohl – versteht sich,« rief Curtis zurück – »sie könnten auch nirgends anders hinauf – gerade fort auf der Straße, so wahr ich Curtis heiße. Sie verlassen sich auf die schnellen Hufe ihrer Thiere.«

[] »Wär's aber nicht besser, wir würfen die Fackeln jetzt weg?« frug Cook; »sollten wir ihnen wirklich nahe kommen, so sehen sie die leuchtenden Brände zu weit.«

»Das ist wahr!« bestätigte Curtis, »die Fackeln löschen wir aus; sind sie auf der Straße geblieben, was ich jetzt keinen Augenblick mehr bezweifle, so holen wir sie auch ein, und da können uns die leuchtenden Kienspäne nur Schaden thun, also fort mit ihnen!« Und ohne weiter eine Zustimmung der Uebrigen abzuwarten, schleuderte er seine Fackel hinüber in das feuchte Laub, wo sie augenblicklich erlosch. Seinem Beispiel folgte Cook, nur Husfield suchte noch dem Licht am Boden, um die bekannten Hufspuren wieder aufzufinden.

»Sie sind hier hinauf,« rief ihm Curtis zu, »hier auf der Straße selbst sind ja die Fährten.«

»Ihr habt Alles vertreten,« sagte Husfield; »nun, meinetwegen auch im Dunkeln. Den Weg werden wir ja nicht verfehlen können.«

»Ist nicht möglich,« erwiderte Cook, »wenigstens nicht in dieser Nacht, denn es wird wohl hell sein, ehe wir die Stelle erreichen, wo er anfängt undeutlich zu werden.«

»Gut – vorwärts denn,« rief Husfield, indem er seine Kienspäne ebenfalls von sich warf, »vorwärts, und wer von Euch die erste Hand an die Schufte legt, hat ein Faß Whisky bei mir zu Gute.«

Die Männer jubelten laut auf über den Preis, und hin auf der Straße, den »heißen Quellen« zu, flogen sie im gestreckten Galopp – Johnson's Fährten folgend.

[] 14.
Brown auf dem Rückwege. – Die geheimnißvolle Zusammenkunft. – Der Indianer. – Der alte Farmer. – Canoefahrt.

Es war in der Dämmerung desselben im letzten Capitel beschriebenen Abends, als das Pittsburger Fährboot, von zwei kräftigen Negern über den Arkansas gerudert, an dem gegenüberliegenden südlichen Ufer des Flusses landete. Es setzte dort den einzigen Passagier, einen jungen blassen Mann, ab, der sein kleines rauhhaarigss Pony im Boot am Zügel gehalten. Der Reisende bezahlte das verlangte Fährgeld und ließ sein Pferd, dem er den Zügel über den Nacken warf, allein aus dem Boote springen. Dasselbe bewerkstelligte dies auch sehr geschickt mit einem kurzen Satze, lief dann etwa zwanzig Schritt weiter die Uferbank hinauf, und hielt dort, an den Wurzeln einzelner Birken das dem sandigen Boden sparsam entkeimende Gras abzureißen und zu verzehren.

»Aber, Massa,« sagte einer der Fährleute, dessen entsetzlich breite Nasenlöcher mit einem schmalen wolligen Schnurrbart zu wetteifern schienen, wer von ihnen beiden sich am weitesten über die Mundwinkel hinunterdehnen könnte, und dessen Haar mehr wie von der Sonne verbrannt als gekräuselt aussah, »ich hab' Euch schon drüben gesagt, daß kein Haus auf sieben Meilen ist, und Massa wird die Nacht im Freien und im Regen zubringen müssen.« – Während er diese Worte sprach, schob er den erhaltenen halben Dollar Fährgeld in eine kleines schmutzige lederne Taschenbuch und barg dieses dann wieder mit großer Vorsicht in der einen weiten Tasche seiner baumwollenen Hose.

»Ich weiß das,« erwiderte gleichgültig der Fremde – »seit wann aber ist die Hütte nicht mehr bewohnt, die, nicht [] weit von hier, am Rande der kleinen Prairie steht? Früher waren Leute darin – Ansiedler aus Illinois.«

»Oh, schon sehr lange, Massa,« entgegnete der Neger – »die Frau starb und – die beiden Kinder auch. Da zog denn der Mann wieder fort, verkaufte aber das kleine Stück Land mit der Hütte vorher an meinen Master in Pittsburg, und wie ich drüben hörte, soll er den Mississippi hinauf nach Hause gegangen sein.«

»Das Haus steht noch?«

»Ja, Massa – aber –«

»Nun – aber? – ist kein Dach drauf?«

»Oh ja, Massa – ein gutes Dach – Alles in Ordnung noch – aber – die Leute drüben erzählen – es wäre nicht ganz richtig in dem Hause.«

»Nicht richtig, wie so?«

»Nun – die Frau, die sie dort unter den fünf Pfirsichbäumen begraben haben, die soll –«

»Etwa noch gar ihr Wesen treiben?« lächelte der Fremde.

»Ahem!« nickten die beiden Schwarzen jetzt sehr bedeutend zusammen und sahen ängstlich die öde Uferbank hinauf und hinunter.

»Weshalb glaubt man das?« frug der Weiße, indem er sich zum Gehen wandte – »hat Jemand den Geist gesehen?«

Wieder nickten die beiden Neger auf eine lebensgefährliche Art mit den Köpfen, denn es schien fast unmöglich, mit solcher Kraft eine solche Bewegung auszuführen, ohne das Genickdabei zu brechen. Uebrigens bedurfte es einer zweiten Frage, um etwas Näheres über die gespenstische Wohnung zu erfahren, und der, welcher zuerst gesprochen, sagte dann aus, daß man sich allerlei entsetzliche Geschichten von jener Stelle erzähle, worunter die allgemeinste die sei: »Der Mann habe zuerst seine Frau, die er los zu sein wünschte, und nachher die beiden Kinder ermordet und sich dann auf einem Dampfschiff den Fluß hinunter begeben; wohin? wisse man nicht. Das Grab hätten jedoch nach seiner Abreise zwei Doktoren in Gegenwart von Gerichtspersonen geöffnet und ihren Verdacht bestätigt gefunden; einer der Doctoren solle übrigens [] die beiden Kinderleichen gestohlen haben, und die Mutter suche nun Nachts ihre Kleinen und kehre erst mit der Morgendämmerung in das Grab zurück.«

Der Neger glaubte jetzt wahrscheinlich zu viel über einen so schaurigen Gegenstand gesprochen zu haben, als sich mit der Nähe des Ortes und der mehr und mehr einbrechenden Dunkelheit vertrug, stieß daher, ohne weiter eine Antwort abzuwarten, vom Ufer, wünschte dem Fremden eine gute Nacht, und gleich darauf glitt, unter den langsamen, aber kräftigen Ruderschlägen, das breite, unbehülfliche Fahrzeug über den Strom zurück.

Brown, denn kein Anderer als unser junger Freund war der Fremde, der sich auf seinem Rückweg nach dem Fourche la fave befand, schaute ihm noch lange sinnend nach. Weiter und weiter verschwand es in dem feuchten Nebel, der sich auf der Wasserfläche lagerte, und schien endlich nur noch ein unbestimmter dunkler Fleck, von welchem aus jedoch die abgemessenen Schläge der Ruder scharf und deutlich herübertönten. Endlich verschollen auch diese – das Boot hatte sein Ziel erreicht, und wie aus einem Traum erwachend, seufzte der junge Mann schwer und sorgenvoll, stieg dann zu seinem grasenden Thier empor, ergriff dessen Zügel und schritt langsam den schmalen Fußsteig hinauf, der von der Fährbootlandung zu der obenliegenden Fläche führte.

Dort angelangt, blieb er einen Augenblick stehen und überschaute schweigend die vor ihm ausgebreitete, mit düsteren Regenwolken überhangene Landschaft. Wenige hundert Schritt vom Flusse aus schien der Boden durch das Steigen des mächtigen Stromes aufgewühlt und mit dem weißen, ihm eigenthümlichen Sand viele Fuß hoch bedeckt zu sein. An manchen Stellen waren sogar Birken und Baumwollenholzstämme halb von ihm verschlungen, und die Erde selbst glich mit ihren langen, wellenförmigen Erhöhungen einem wogenden Meer. Weiterhin aber, wo die Gewalt des angeschwollten Stromes durch Dickichte von Papaos und Platanen gehemmt worden, lag die weiße, blendende Sandschicht wie eine ebene Schneedecke auf dem ursprünglichen Fruchtboden und dehnte sich [] bis dorthin aus, wo das Land, höher steigend, dem gierigen Strom einen Damm entgegengestellt hatte. Dort bildete grünes, üppiges Gras den weichen Teppich einer Art Prairie, an den sich ein weiter, ungeheuer großer, wilder Pflaumengarten schloß. Solche »Pflaumengärten« findet man in den westlichen Staaten nicht selten, und ihre buschig niederen Fruchtstämme sind sämtlich in früheren Zeiten von den Indianern, besonders den Cherokesen, gepflanzt worden. Die früheren Eigenthümer dieses Landstrichs hatte man jetzt freilich von ihrem Grund und Boden vertrieben und weiter westlich transportiert, und der Garten war zur Wüste geworden.

Am Rande dieses »Cherokesischen Pflaumengartens,« wie der Ort von den Bewohnern jener Gegend noch immer genannt wurde, lag nun das vorerwähnte kleine Haus, das, nach des Negers Aussagen, solch' unheimlichen Gäste beherbergen sollte. Brown wandte sich aber nichtsdestoweniger jener Stelle zu und erreichte mit einbrechender Dunkelheit den verrufenen Ort.

Es war eine jener kleinen Niederlassungen, wie sie sich zu Tausenden in dem fernen Westen Amerikas finden: eine niedere Blockhütte, mit jetzt umgeworfenem Lehmkamin, ein kleines, verwildertes, etwas zwei Acker großes Feld, dessen Umzäunung theils niedergefault, theils verbrannt war, ein halbverfallenes Seitengebäude, das wahrscheinlich als Küche oder Vorrathskammer gedient hatte, und ein umgestürzter Brunnen, dessen Oeffnung das abgesägte Stück eines hohlen Baumes bedeckte. Der Platz schien seit langen Jahren nicht mehr bewohnt, aber etwas so Wildes, Unheimliches ruhte auf der verödeten Stätte, daß Brown unwillkürlich, als er eben die niederliegende Fenz überschreiten wollte, inne hielt und nach der benachbarten Baumgruppe hinüberschaute, gleichsam mit sich zu Rathe gehend, ob ein Nachtlager im Freien, unter den grünen Bäumen des Waldes, nicht dem in der, wenn auch trockenen, doch keineswegs traulichen Wohnung vorzuziehen sei. Ein stärkerer Windstoß von Westen her, der ihm den Nebel in dünnem, kaltem Sprühregen entgegenwarf,[] machte aber seiner Unschlüssigkeit auf einmal ein Ende, denn er zog jetzt, ohne weiteren Zeitverlust, das treue Thier in die innere Umzäunung und zu dem kleinen Nebengebäude hin, das er vor allen Dingen untersuchte und als noch benutzbar fand. Zwar sah er sich genöthigt, ein paar keineswegs leichte Balken aus dem Wege zu heben, um seinem Pony den Durchgang zu gestatten; dann aber hatte er auch die Genugthuung, das wackere Thier, das ihn heute schon eine lange, lange Strecke getragen, trocken und vor den kalten Nordwestwinden ziemlich geschützt zu wissen. Jetzt sehr zufrieden damit, die Platz erreicht zu haben, schob er einen in der Ecke lehnenden Trog herbei, holte den kleinen Sack, den er, an seinen Sattel geschnallt, mit sich führte, und schüttete dem freudig wiehernden Pony seine Mahlzeit geschälten Mais hinein.

Das zuerst besorgt, dachte er nun auch an sein eigenes Lager und trat in das Haus, um unter dem schützenden Dach desselben den matten Körper zu rasten und für neue Anstrengungen zu stärken. So wüst und unbewohnt die aber auch von außen her erscheinen mochte, so fand der junge Jäger doch bald, daß es erst noch vor kurzer Zeit ebenfalls einem Wanderer Schutz und Obdach gewährt haben mußte, denn in dem Kamin lag Asche und unter dieser glimmten sogar noch einige Kohlen. Angenehmeres hätte ihm nicht leicht begegnen können, und schnell trug er einen Arm voll abgebrochener Fenzstangen herbei, schnitzte mit seinem Jagdmesser dünne Späne und sah bald darauf zu seiner Genugthuung ein helles, erwärmendes Feuer emporlodern.

Sattel und Decken hatte er mit hereingebracht; die letzteren breitete er jetzt vor der freundlichen Gluth aus, verzehrte als sehr frugales Abendmahl ein kleines Stück getrocknetes Hirschfleisch und warf sich dann auf das harte, doch ihm vollkommen genügende Lager nieder.

Bis jetzt hatten die Vorbereitungen zu seiner eigenen Bequemlichkeit, wie zu der seines Thieres, die geistigen Kräfte den jungen Mannes in Anspruch genommen. Er war beschäftigt gewesen und keine Zeit war ihm dabei geblieben, über [] sich oder seine Lage nachzudenken. Jetzt aber, vor dem knisternden Kohlen ausgestreckt, in dem engen, unstäten Lichtkreis des flackernden Feuers, öffnete sich sein Herz, und neben den wenigen seligen Minuten der letzten Vergangenheit schritt vor ihm sein Schicksal ernst und trübe in die dunkle Zukunft hinaus. Er sah sich im heißen Kampfe mit den mexikanischen Söldlingen, die Freiheit einer jungen Nation vertheidigend; er sah sich unter dem Donner der Tod und Vernichtung herüberschleudernden Geschütze anstürmen gegen die feindlichen Batterien – er sah sich blutend im Todeskampf unter den Gefallenen, aber auf siegreich gewonnenem Schlachtfeld liegen, und ein fast triumphierendes Lächeln überflog seine bleichen Züge, während er krampfhaft die neben ihm ruhende Büchse erfaßte und, mit stolzem, todesmuthigem Blick sich halb von seinem Lager erhebend, durch den eingestürzten Kamin hinausstarrte in die finstere, sternenlose Nacht. Da plötzlich drängte sich das Bild der Geliebten vor seine Seele, wie sie, einem schönen Opfer gleich, ihre Hand in die des ihr zugetheilten Gatten legte – er sah sie erblassen, sah, wie sie ängstlich nach Hilfe – nach ihm umherschaute – hörte ihren halbunterdrückten Schmerzensschrei, und – der stolze, kräftige Mann brach zusammen unter den auf ihn einstürmenden tödtlichen Gefühlen. Er barg das Antlitz in den Händen, warf sich auf das rauhe Lager zurück und weinte – weinte, als ob ihm das Herz brechen wollte.

Aber auch dieser wilde, tobende Schmerz gab endlich einer weichen, besänftigenden Wehmuth Raum; die Hand auf das pochende Herz, die brennende Stirn gegen die rauhe Bärenfelldecke des Sattels, die ihm zum Kopfkissen diente, gedrückt, betete er – für das Glück der Geliebten, für die Ruhe der eigenen schwerbedrängten Brust, und mit dem Namen des theuren Mädchens auf den Lippen nahm ihn endlich der Schlummergott in die weichen Arme und trug ihn hinüber an das Herz der so heiß Ersehnten.

Mitternacht mußte vorüber sein, als er aus seinem süßen Traum erwachte und sich in der traurigen Wirklichkeit nicht mehr vor dem wärmenden Feuer, sondern vor dem offenen [] Kamin befand, durch den ihm der wilde Sturm den kalten, schneidenden Wind hereinjagte. Die Kohlen waren dabei gänzlich ausgebrannt – kein Funke mehr zu finden, und fröstelnd rückte er sein Lager zurück in die mehr gegen Sturm und Wetter geschützte hintere Ecke der Gebäudes, um hier die ersehnte Morgendämmerung zu erwarten.

Kaum war dies jedoch geschehen, als ihm vorkam, als ob er an der Außenseite des Hauses Stimmen höre. Schnell rief ihm dies die Erzählung des Negers, die er fast schon vergessen, in's Gedächtniß zurück, und auf den rechten Ellbogen gestützt, fühlte er erst sorgfältig nach Büchse und Messer, ob ihm die treuen Waffen zur Seite lagen, und lauschte dann mit zrückangehaltenem Athem und der gespanntesten Aufmerksamkeit dorthin, von woher er zum ersten Mal die Töne vernommen zu haben glaubte. Aber nichts ließ sich weiter hören, und schon wollte er, mit einem Lächeln über seine eigene Gespensterfurcht, zurück auf das Lager sinken, als er wieder, und zwar ganz in der Nähe, menschliche Laute unterschied. Fast in demselben Augenblick riß Jemand die Thür auf und betrat den engen Raum, während eine rauhe Stimme ausrief:

»Verdammtes Nest! Ich glaubte schon, ich würde es in der dunklen Nacht nicht wiederfinden. – Ist das ein Wetter – gut für Geschäfte übrigens.«

»Doch nicht naß genug,« erwiderte ein Zweiter, »verwischt zwar ein bischen, aber nicht hinlänglich.«

»Hol' mich der Böse, wenn's nicht für mich wenigstens hinlänglich ist. – Mich schüttelt's, daß mir die Zähne im Munde zusammenschlagen; wenn wir nur ein Feuer anzünden könnten.«

»Mit was denn?« frug der Andere – »Alles ist naß und aufgeschwemmt, und ich habe nicht einmal einen Tomahawk bei mir, um trockene Späne zu bekommen. Als ich heute Nachmittag hier war, hatt' ich zwar ein kleines Feuer, hab' es auch, wie ich fortging, mit Asche bedeckt, um Gluth zu haben, jetzt aber,« sagte er, in dem Kamin mit der Fußspitze herumfühlend und die Asche bei Seite schiebend, »ist Alles dunkel wie die Nacht. Wir dürfen uns übrigens gar nicht [] so lange hier aufhalten, ich wenigstens nicht, denn ich muß morgen Abend wieder zu Hause sein, da sich unsere Nachbarschaft in der nächsten Woche ein wenig in Aufregung befinden wird. Sobald das Wetter nur etwas nachgelassen hat, geh' ich.«

»Unsere Pferde werden sich doch indessen nicht losreißen? wir hätten sie lieber mit herbringen sollen.«

»Denken gar nicht dran – in solchem Wetter stehen sie still und rühren sich nicht. – Nein, ich habe sie mit Willen nicht in diese Gegend geführt, da ich hier nicht gern Pferdespuren haben will. Doch jetzt zu unserer Verabredung; die Zeit ist kostbar, und das uns vergönnte halbe Stündchen müssen wir benutzen. Wann gedenkt Ihr wieder zurück zu sein?«

Brown, für den die erste Ueberraschung im Anfang wirklich etwas Lähmendes gehabt hatte, wurde noch mehr durch die dunkeln Worte stutzig gemacht, die dieses Wetter als »gut für Geschäfte« priesen, und er wußte wirklich nicht gleich, was er thun, ob er sich zu erkennen geben oder ruhig liegen bleiben sollte. Der Gedanke, den Horcher zu spielen, war ihm aber zu fatal, und schon wollte er durch einen Anruf seine Gegenwart verrathen, als ihn die Aeußerung des Einen auf's Neue in seinem Vorsatze wankend machte. Der Widerwille des einen Fremden gegen Pferdespuren in der Nähe dieser Hütte machte ihn stutzig.

»Sollten diese Männer zu der Bande gehören, zu deren Unterdrückung sich die Regulatoren vereinigt hatten?« war sein erster Gedanke, und das fortgeführte Gespräch mußte ihn immer mehr in diesem Verdacht bestärken. Leise zog er deshalb nur das Messer aus der Schneide, denn wenn er entdeckt, mußte er auf einen Angriff gefaßt und zur Vertheidigung gerüstet sein, und schmiegte sich dann mit angehaltenem Athem in seine Ecke zurück, um zu vernehmen, welche Pläne diese würdigen Leute hierher geführt, und ob es ihm vielleicht vorbehalten sei, einen ihrer Anschläge zu nichte zu machen.

»Wann ich zurück sein kann?« antwortete der Andere nachdenkend – »ja darüber können immer vierzehn Tage bis drei Wochen verlaufen. – Der Platz ist weit von hier und ich muß sehr vorsichtig zu Werke gehen.«

[] »Vergeßt nur, ehe Ihr zu meinem Hause kommt, nicht die Vorsicht an dem kleinen Bach,« erwiderte ihm der Andere. »Wenn Spuren auf mein Haus zurückführten und die gottverdammten Regulatoren Wind bekämen, so möchte eine Nachsuchung unvermeidlich werden, und das könnte Euch ebenfalls Schaden bringen.«

»Mir? wie so denn?«

»Nun, wenn sie Eure Pferde erwischen, glaubt Ihr, ich bezahle Euch nachher den Gewinn oder vielmehr Verlust heraus?«

»Ja so – ich glaubte schon, Ihr meintet es auf andere Art; – nein, habt keine Angst, ich kenne die Vorsichtsmaßregeln genau. Aber halt – da fällt mir noch etwas ein: wahrscheinlich werde ich selbst die Pferde nicht ganz bis zu Euch transportieren können. Ich habe gerade in jener Zeit Geschäfte, die mir hoffentlich mehr einbringen sollen; sind diese beendet, dann kehre ich bei Euch ein und wir können mit einander abrechnen. Uebrigens noch Eins: vertraut dem Mann, der Euch die Pferde bringt, in jeder Hinsicht, nur – nur gebt ihm kein Geld für mich.«

»Habt keine Angst. – Wird er aber die Platz kennen, wo er vor meinem Hause vom Wege abbiegen muß?«

»Genau – er hat sie mir Stelle selbst und zuerst beschrieben.«

»Kenn' ich den Mann?«

»Ich glaube nicht.«

»Wie soll ich aber da wissen, ob er der ist, dem ich mein Geheimniß anvertrauen darf?«

»Hahaha – der kennt es gut genug, doch halt – damit Ihr Euch besser verständigen könnt, so mag er nach dem Fourche la fave fragen. – Ihr antwortet ihm darauf, daß der neben dem Hause fließt. Seine nächste Frage hierauf sei: ›wie steht's mit der Weide in hiesiger Gegend?‹ und wenn er Euch zum dritten Mal um einen Trunk Wasser ersucht, so öffnet ihm Thor und Thür – es ist der Rechte.«

»Gut – solche Vorsicht ist allerdings nothwendig, denn ich habe nicht allein oft Gäste aus der Nachbarschaft, sondern [] meine Pflegetochter, die bei mir im Hause wohnt, darf ebenfalls nichts davon erfahren. – Der Teufel traue Weiberzungen, 's ist schon gefährlich genug, daß es meine Alte weiß. Doch jetzt gute Nacht – der Regen hat nachgelassen, und ich muß heim. Euch wär's auch besser, daß Ihr diesen Platz so schnell wie möglich wieder verließet. Mich wundert's, daß Ihr, wenn nur die Hälfte von dem wahr ist, was man sich von Euch erzählt, nur noch überhaupt das Herz habt, hierher zu kommen.«

»Kindergeschichten,« murrte der Andere. – »Es wird übrigens nicht lange trocken bleiben, wir bekommen wahrscheinlich einen nassen Morgen.«

»Vielleicht nicht, meiner Meinung nach fängt es an kälter zu werden, und dreht sich der Wind –«

»Nun, was habt Ihr?« frug der Eine, als Jener, durch irgend etwas gestört, plötzlich in seiner Rede einhielt.

»War mir's doch, als ob ich hier ganz in der Nähe ein Pferd stampfen hörte,« sagte dieser.

»Oh, Unsinn,« murrte sein Kamerad – »die Thiere stehen eine Viertelmeile von hier entfernt. – Doch kommt, es scheint wirklich, als ob es besser Wetter werden wollte.«

Die Thür öffnete sich wieder – die Männer traten hinaus, und Totenstille herrschte auf's Neue in der verödeten, dunklen Hütte. Lange aber noch lag Brown regungslos in seine Decke gehüllt und lauschte dem Sturm, der jetzt tobend durch die Ritzen und Spalten des Hauses pfiff, mit den losgerissenen Dachbrettern spielte, in den Wipfeln der Bäume rauschte und seine Bahn in tollem Muthwillen die breite Fläche des Arkansas nieder verfolgte.

»Wer konnten nur die Männer gewesen sein, die hier in solcher Nacht und an solcher Stelle mit einander verkehrt hatten?« Das war der Gedanke, der ihn fast einzig und allein beschäftigte. Etwas Gutes lag nicht in ihrem Plane, sonst hätten sie bessere Zeit und Gelegenheit gewählt – wer aber waren sie? Die eine Stimme besonders kam Brown bekannt vor, und er wußte genau, daß er dieselbe schon einmal gehört [] hatte. Wo aber oder wann, hier in Arkansas oder in Missouri, ja gar über dem Mississippi drüben, das war ihm nicht möglich zu entscheiden. Im Nachdenken darüber verwirrten sich jedoch seine Ideen wieder – er schloß die Augen, zog die Decke über den Kopf, um ungestört von äußeren Eindrücken jene Stimme in die verborgensten Tiefen seines Gedächtnisses verfolgen zu können, und – träumte in wenigen Minuten wieder. Die beiden Stimmen wurden ihm dabei immer bekannter, immer vertrauter, und zuletzt konnte er sogar die Gestalten erkennen – Marion und Rowson, wie die Geliebte vor der Umarmung des ihr aufgedrungenen Bräutigams zurückfloh – immer weiter und weiter, und ihr Verfolger immer tollere und entsetzlichere Gestalten annahm, ihr immer näher und näher kam – sie zu erfassen drohte, und das arme Mädchen endlich in höchster Todesangst um Hilfe hinausrief in die dunkle, stürmische Nacht.

Entsetzt warf er die Umhüllung von sich und sprang empor – der kalte Schweiß stand ihm auf der Stirn, doch – es war ja nur ein Traum gewesen. Draußen aber heulte der Uhu sein monotones, schauriges Morgenlied, ein paar Wölfe antworteten aus weiter Ferne, und ein mattes Licht, das von dem öslichen Himmel ausging, kündete den nahenden Morgen.

Die Luft war bitterkalt geworden, der Wind hatte sich nach Nordost gedreht, und kein Wölkchen trübte mehr das reine, blaue Himmel. Brown, den die Vorfälle der Nacht jetzt fast wie ein wirklicher Traum vorkamen, da sie sich mit dem seinigen verschmolzen, blieb sinnend und brütend stehen und versuchte auf's Neue, aber wiederum vergebens, jene Personen mit von ihm erlebten Scenen zu verbinden. Umsonst – er mußte den Versuch endlich aufgeben, und ging nun mit um so größerem Eifer daran, sich in der Beschäftigung des Augenblicks zu zerstreuen und zu vergessen, was er doch nicht ändern oder ergründen konnte. Mit dem letzten Mais, der ihm geblieben, fütterte er sein Pony, führte es dann an eine kleine, durch das feuchte Wetter gebildete Lache, um seinen Durst zu löschen, sattelte es und war schon im muntern Trabe auf dem Heimweg, [] ehe noch die Sonne durch einen einzigen Strahlengruß ihr Kommen angekündigt hatte.

Die frische Morgenluft und der scharfe Ritt gaben aber seinem Körper wie seiner Seele neue Spannkraft, und das kleine muthige Thier, das er ritt, trabte, von dem leichten Schenkeldruck berührt, mit freudigem Schnauben durch das flache, sumpfige Thal des Arkansas, bis es die ersten niederen Hügelreihen betrat und nun, festen Boden unter den Hufen fühlend, über denselben hinflog, als ob es sich selber danach sehne, die heimische Weide recht bald wieder zu begrüßen.

Da sah der Reiter auf dem breiten, ausgehauenen Wege, dem er folgte, einen Fußgänger schnell daher schreiten und erkannte im Näherkommen zu seinem unbegrenzten Staunen den Indianer.

»Assowaum!« rief er, indem er dem Pony mit rascher Hand in die Zügel griff. Das blieb übrigens schon von selber stehen, da es rothen Krieger gut genug kannte und wohl wußte, es verstehe sich von selbst, daß die beiden befreundeten Männer auch mit einander plandern müßten. – »Assowaum – was in aller Welt führt Dich dieses Weges? wohin willst Du?«

»Bis zu dieser Stelle,« antwortete ruhig der Indianer, indem er die ihm dargereichte Hand faßte und drückte.

»So hast Du mich gesucht? was ist vorgefallen?«

»Viel – sehr viel – und weiß mein Bruder gar nichts davon?«

»Ich? woher ich – war ich nicht – und doch – die beiden Männer in der letzten Nacht – ihre geheimnißvolle Zusammenkunft – wer weiß, in welcher Verbindung das mit dem steht, was Du mir zu sagen hast. Doch heraus mit der Sprache – ich brenne vor Neugierde.«

»Und wißt Ihr gar nichts?«

»Oh zum Henker, Assowaum, schneid' nicht so ein ernstgewichtiges Gesicht,« rief Brown lächelnd. »Wenn ich am andern Ufer des Arkansas bin, wie kann ich da wissen, was am Fourche la fave vorgeht?«

»Aber vor Eurer Abreise –«

[] »Mein Streit mit Heathcott?«

»Heathcott ist ermordet!« sagte der Indianer ernst, indem er dem jungen Mann forschend in's Auge sah.

»Gerechter Gott!« rief Brown, das Pony zurückreißend, daß es hoch aufbäumte in jähem Schmerz – »das wäre schrecklich!«

»Der Verdacht ruht auf Euch,« fuhr der Indianer, sein Auge nicht von ihm wendend, fort – »und man endschuldigt Euch auch vollkommen. Der Todte hat wilde Drohungen ausgestoßen – hätte sie vielleicht wahr gemacht – war möglicher Weise im Begriff, sie wahr zu machen, und Eure That wird, wie sie sagen, dadurch gerechtfertigt, nur –«

»Assowaum!« rief, diesen unterbrechend, der junge Mann, indem er aus dem Sattel sprang und neben den Indianer trat – »Assowaum – bei jenem blauen Himmel da droben, der sich über uns ausspannt – bei dem Grabe meines Vaters – bei dieser Hand, die ich rein und frei emporstrecke – ich bin unschuldig an dem Morde. – Ich habe den Unglücklichen seit dem Augenblick, wo wir uns vor Roberts' Hause trennten, nicht wieder gesehen. Glaubst Du noch, daß ich schuldig sei?«

Der Indianer streckte ihm lächelnd die Hand entgegen und rief mit freudigem Tone: »Assowaum hat es nie geglaubt – wenigstens nicht von dem Augenblick an, wo er hörte, der Ermordete sei beraubt worden.«

»Und auch dessen beschuldigt man mich?« frug Jener entsetzt.

»Böse Menschen – ja – die guten kennen Euch besser. Mr. Harper und Mr. Roberts glauben es nicht.«

Brown barg bei Roberts' Namen das Gesicht in den Händen und stützte sich seufzend auf den Sattelknopf des ruhig neben ihm anhaltenden Thieres.

»Laßt Euern Fuß sehen!« sagte jetzt der Indianer, indem er den Tomahawk aus dem Gürtel zog.

»Weshalb? Hast Du die Fährte gemessen?«

»Ahem,« nickte und Wilde und hielt den Stiel der Waffe an die Sohle des Freundes.

[] »Dreiviertel Zoll zu lang,« sagte er dann vergnügt vor sich hin – »dacht' es doch!«

»Ich trug die Stiefel nicht einmal an jenem Morgen, an dem ich den Fourche la fave verließ,« sagte Brown, indem er in die Satteltasche griff: »hier diese Moccasins. – Waren es Stiefelfährten, die Du bei der That entdecktest?«

»A–hem,« nickte der Indianer wieder, aber langsamer als vorher, und es war fast, als ob ein neuer Gedanke ihm plötzlich durch's Hirn zucke. – Er legte den Tomahawk vor sich auf die Erde nieder und schien mit der Länge am Stiel ein anderes Maß zu vergleichen, das er sich durch Ausspannen der Finger gemerkt, dann aber schaute er plötzlich mit einem so wilden und stieren Blick zu dem jungen Amerikaner empor, daß dieser entsetzt einen Schritt zurücktrat und ihn frug, was er habe – an was er denke.

»Nichts – nichts,« lächelte Wilde geheimnisvoll, »kommt – wir müssen zurück – die Zeit vergeht. Sie halten Euch für schuldig; böse Menschen sprengen allerlei Gerüchte aus – und der kleine Mann ist krank geworden – er liegt allein; Alapaha hört die Predigt des blassen Mannes und wird erst am Abend zu ihm zurückkehren. Will mein Bruder ihnen nicht selber sagen, daß er schuldlos ist?«

»Aber wo geschah der Mord? wie erfuhr man das Entsetzliche?«

»Fort – fort; wir können gehen und reden – Assowaum muß an den Fourche la fave.«

Mit schnellen Schritten eilte der Indianer jetzt den Weg, den er eben erst gekommen, zurück, und Brown mußte das Pony fast stets in einem kurzen Trabe halten, um nur an seiner Seite zu bleiben. Dabei machte jener ihn mit allen den Vorgängen, bei denen er Zeuge gewesen war, bekannt und erfuhr nun auch seinerseits Alles, was Brown über das nächtliche Rendezvous der beiden Männer wußte. Der Indianer behauptete dabei, daß ihm heute Morgen ein Mann auf großem, braunem Pferde begegnet sei. Er habe aber sein Gesicht nicht erkennen können, da er ganz in seine wollene [] Decke eingehüllt gewesen wäre und diese beim Anblick des Indianers eher noch fester um sich gezogen hätte.

»Vielleicht, daß dies Einer der Beiden war,« fuhr Assowaum fort, indem er auf die Hufspuren hindeutete, die vor ihnen herliefen, »vielleicht nicht; aber hier ist die Spur, und wir können ihr folgen.«

Davon wurden sie jedoch abgelenkt, denn als sie in das Fourche la fave-Thal kamen, war dies durch den Regen der vorigen Nacht und durch das Austreten einiger kleiner Gebirgsbäche so sumpfig geworden, daß der Indianer vorschlug, den nicht mehr weit entfernten Fluß in gerader Linie zu erreichen und den Weg in einem Canoe, das er bei einem dort wohnenden Farmer zu erhalten hoffte, fortzusetzen. Bei hohem Wasser schoß der kleine Strom nämlich mit ungeheurer Schnelle dem Arkansas zu, und dehnte sich auch der Weg durch die unzähligen Wendungen der Strömung um manche Meile weiter aus, so konnte er doch in einem leichten Fahrzeuge schneller zurückgelegt werden, als wenn die Wanderer ihren schlammigen Bahn Meile nach Meile langsam fortsetzen mußten.

Brown gehorchte gern dem Rathe des Freundes, da er solcher Art Roberts' Wohnung umgehen konnte. Das sumpfige Thal also vermeidend, folgten sie einem sogenannten spur oder Ablaufe der Berge, der sie trockenen Fußes bis unmittelbar an das Ufer des Flusses brachte, und die Sonne stand noch mehrere Stunden hoch, als sie dort die Wohnung eines der älteren Ansiedler des Fourche la fave, Namens Smeiers, erreichten.

Wie es der Indianer aber gedacht hatte, so schäumte der Fluß in zorniger Wuth gegen die ihn beengenden Felswände an; der Farmer warnte auch die Männer, sich dem kleinen, schwankenden Kahne anzuvertrauen, da sie Stellen zu passieren hätten, in denen sich selbst ein geübter Schwimmer nicht würde retten können. Doch überließ er ihnen gern den Kahn und versprach auch, am nächsten Tage, als an einem Sonntag, das Pony mit seinem ältesten Knaben nach Harper's Wohnung hinunter zu schicken. Das Canoe aber kaufte ihm [] Brown gleich ab, da er es im Fluß, an seines Onkels Hause zu behalten wünschte.

Ihr freundlicher Wirth tischte indessen auf, was in seinen Kräften stand, um die müden Wanderer zu erquicken und zu stärken: wilden Truthahn und Honig, süße Kartoffeln, Kürbismuß und Maisbrod, sowie einen Becher woll ächten Monongehela-Whiskys, und Beide ließen sich nicht lange nöthigen, an dem freundlich gebotenen Mahle Theil zu nehmen.

»'s ist heute wieder einmal Alles ausgeflogen,« sagte der alte Mann, als ein kleines Negermädchen die letzte Schüssel hereingetragen und die Gläser der Gäste mit frischer, köstlicher Milch gefüllt hatte.

»Wohin?« frug Brown, das Glas von den Lippen nehmend.

»Betversammlung ist heute!« unterbrach ihn der Indianer, indem er das Messer neben sich in den Tisch stieß und den Truthahnflügel in die Finger nahm – »der bleiche Mann muß nicht viel von der Tugend der Weißen halten, denn er läßt sie alle Wochen ein paar Mal zu ihrem großen Geiste beten.«

»'s ist wahr!« meinte der Farmer, indem er einen herzhaften Schluck aus dem Whiskybecher gethan und diesen dann dem Weißen hinüberreichte – »es wird mir bald selbst zu toll. – Mein Nachbar hier – Smith – ist auf einmal mit seiner ganzen Familie re ligiös geworden, wie sie's nennen, und da half denn weiter gar nichts, meine Alte mußte ebenfalls mit, und schleppt sich nun zur Gesellschaft die armen Mädchen mit hinüber, die doch wahrhaftig noch an 'was Anderes zu denken hätten, als nur an Beten.«

»Die Frauen fühlen eher das Bedürfniß, sich zu ihrem Gott zu wenden, als wir Männer,« erwiderte Brown – dachte er doch der Geliebten, wie er sie so oft in kindlich-frommer Andacht gesehen. »Unser ganzes Schaffen und Wirken läßt uns schon zu wenig Zeit übrig, das Herz Gefühlen zu eröffnen, die genährt und gepflegt sein wollen, und nicht auf einmal, schnell emporgerufen, in's Leben springen können. Den auf den engen Kreis ihrer Häuslichkeit angewiesenen [] Frauen ist die Religion dagegen fast ein Theil ihrer selbst, und ich möchte sie drum nicht tadeln, wenn sie mit einer Innigkeit und Verehrung an jenen kirchlichen Gebräuchen hängen, die der rauhere Mann in dem Grade wohl nicht für sie empfindet.«

»Bester Herr,« sagte der Alte in freundlichem Tone, »der liebe Gott soll mich behüten, daß ich den Frauen gram oder auch nur hinderlich werden sollte, wenn sie beten wollen; aber verdammt will ich sein, wenn ich nicht glaube, daß sie auch noch etwas Anderes auf der Welt zu thun haben, als nur zu beten. – Der Teufel hole die Betschwestern – das sag' ich, und das ist, glaub' ich, das Schlimmste, was man mit gutem Gewissen selber dem Teufel wünschen kann.«

Assowaum nickte lächelnd mit dem Kopf und sagte:

»Ich werde Alapaha hier heraufschicken – solche Predigt thäte ihr besser, als die des blassen Mannes.«

»Mißverstehen Sie mich nicht,« erwiderte Brown, »Gott weiß es, wie zuwider mir das Frömmeln ist, und es scheint wirklich, als ob es in diesen Ansiedlungen ein wenig überhand nehmen wollte, doch – liegt das vielleicht mehr an den Leuten selbst, als an dem Prediger. Ich glaube wenigstens, daß Mr. Rowson mit Ueberzeugung spricht und das im innern Herzensgrunde fühlt, was er predigt.«

»Aufrichtig gesagt, glaub' ich das nicht,« rief der Farmer, ungeduldig auf dem Stuhle herumrückend, »ich habe ihn zwar erst einmal gehört, da hat er mir aber nicht gefallen. – Das Augenverdrehen ist ein böses Zeichen. Wenn ein Mensch erst anfängt, wie ein krankes Huhn auszusehn, dann kann ich mir nicht denken, daß er noch im Stande ist, große Andacht zu haben. Doch – meinetwegen – ich werde ihm nicht wieder beschwerlich fallen, wünsche aber wirklich, er gäbe meinen Frauen, wenigstens nur einer von ihnen, jedesmal Urlaub, daß es doch bei mir auch aussähe, als ob ich eine Heimath hätte. – Aber Sie sind fertig und scheinen zu eilen; nun, mein Geschwätz soll Sie nicht länger aufhalten. Nehmen Sie sich übrigens mit der Nußschale in Acht – die Strömung ist sehr arg und ein Unglück leicht geschehen.«

[] »Keine Angst, Sir,« lächelte Brown. – »Wir wissen Beide mit solchen Fahrzeugen umzugehen, und habe ich ja einen Indianer, der das Steuer führen wird; in besseren Händen könnt' es nicht sein. Also das Pony kommt sicherlich morgen hinunter?«

»Nach Mr. Harper's Haus – Sie können sich sicher drauf verlassen,« sagte der Farmer. – »Ihr Name ist Harper, nicht wahr?«

»Brown! Sir.«

»Brown?« frug der Alte schnell und erschrockt, indem er das Auge fest auf den jungen Mann heftete, der seinem Blicke indessen ruhig begegnete, »Brown? Doch nicht der –«

»Von dem man sagt, daß er den Regulator ermordet habe? Derselbe, Sir,« erwiderte der junge Mann; »aber,« fuhr er fort, indem er einen Schritt vortrat und ein höheres Roth seine Wangen färbte, »es ist schändliche Verleumdung, und ich bin jetzt auf dem Wege, das Gerücht Lügen zu strafen. Ich habe den Mann nicht erschlagen.«

»Er hatte Euer Leben bedroht,« fuhr der Farmer, noch halb zweifelnd, fort.

»Ja!« rief Brown in edlem Feuer – »und ich würde ihn getötet und dann frei und offen die That bekannt haben, hätte er sich mir im ehrlichen Kampfe entgegengestellt. Der Mann ist aber, wie mir hier der Indianer sagte, von Zweien überfallen, gemeuchelmordet und beraubt, und – sehe ich denn aus wie ein Meuchelmörder?«

»Nein – straf' mich Gott: nicht,« rief der ehrliche Landmann, des jungen Mannes Hand ergreifend – »nein. – Ich kenne Euch nicht weiter, aber Ihr habt 'was Ehrliches, Braves im Gesicht, und da Ihr selber sagt, daß Ihr's nicht waret, so will ich verdammt sein, wenn ich's nicht glaube. Meine Mädchen waren gestern unten bei Roberts gewesen, und die meinten auch, Mr. Rowson's Braut hätte Euch sehr in Schutz genommen.«

»Assowaum, wir müssen wirklich fort,« rief Brown, sich plötzlich zu dem Indianer wendend, der schon, seiner harrend, in der Thür stand.

[] »Ich bin bereit – es wird spät,« erwiderte dieser, und noch einmal drückte der junge Mann dem Farmer herzlich die Hand, dankte ihm nicht allein für seine Freundlichkeit und Güte, sondern noch mehr für das Zutrauen, das er in ihn setzte, und sprach die Hoffnung aus, seine Unschuld bald und völlig an's Tageslicht gebracht zu sehen. Die Männer bestiegen nun das Boot, Assowaum setzte sich in das Hintertheil desselben, den schmalen Nachen zu lenken, während Brown im Vordertheile nahm und Beide ihre Gewehre an sich befestigten, damit sie diese, im Fall eines Unglücks, nicht einbüßten. Vom Ufer losgebunden, glitt das scharfe, leichte Fahrzeug, jetzt von den zwei kräftigen und geschickten Männern getrieben, mit fast wunderbarer Schnelle über die kochende, schäumende Fluth und verschwand schon in der nächsten Minute um den vorspringenden, eine spitze Landzunge bildenden Felsen, der sich mehrere hundert Schritt unterhalb der Wohnung in den Fluß hineinstreckte.

Glücklicher Weise aber passierten die beiden Freunde die gefährlichsten Stellen noch bei Tageslicht, besonders solche Plätze, wo in den Fluß hineingeschwemmte Birken und Weiden einem so schwanken Fahrzeuge leicht hätten gefährlich werden können. So erreichten sie, als es eben anfing zu dämmern, den seichteren, aber auch breiteren Theil des Stromes, der auf seiner nicht mehr so dunkelschafttig überhangenen Bahn jeden fremden Gegenstand im Fahrwasser leicht erkennen ließ.

Schweigend glitten sie jetzt, nicht mehr rudernd, sondern blos steuernd, mit der Fluth hinab, als Assowaum plötzlich mit der Hand nach vorn deutete und seinen Gefährten, der mit dem Rücken nach dem Bug des Kahnes gewendet saß, auf einen hellen, vor ihnen sichtbar werdenden Schein aufmerksam machte.

»Sonderbar – was kann das sein?« sagte Brown, sich danach wendend, »so weit es die dichten Büsche erkennen lassen, sieht es aus wie viele Lichter oder Fackeln. In welcher Gegend mögen wir uns nur befinden? Ist denn hier ein Haus am Ufer?«

»Ja!« sagte der Indianer leise, den Kahn dort hinübersteuernd [] – »ja – eine leere Hütte. – Alapaha war hier gestern Abend – wir wollen landen,« – und im nächsten Augenblicke schoß auch schon das kleine leichte Fahrzeug an die Uferbank –, wo es von seine Eigenthümern schnell mit der gewöhnlichen Ankerkette, einer dünnen Weinrebe, am Stamme einer jungen Birke befestigt wurde.

15.
Die Betversammlung. – Die Schreckensbotschaft.

Die Sonne hatte die Mittagslinie etwa zwei Stunden überschritten, als von mehreren Seiten zu gleicher Zeit verschiedene Gruppen an einem kleinen Blockhause erschienen, das einsam und allein im weiten, stillen Walde lag. Der Besitzer desselben, Mr. Mullins, ebenfalls ein neuer Ansiedler und ein fleißiger, ordentlicher Mann, hatte schon in kurzer Zeit ein recht hübsches Stück Land urbar gemacht. An dem Haus selbst konnte man aber nichts davon bemerken, denn dieses stand, ganz unähnlich der sonstigen amerikanischen Farmsitte, wohl eine halbe Meile vom Felde entfernt, am Abhang eines kleinen felsigen Hügels, dee die erste Abdachnung jenes die Wasser des Fourche la fave und den Petite-Jeanne scheidenden Gebirgsrückens bildet. Um die Wohnung selbst lagen dabei in wilder Unordnung gefällte Bäume und gespaltene Fenzstangen umher, was dem Platz ein zwar neues, aber auch zu gleicher Zeit ungemüthliches, ja trauriges Aussehen gab.

Wie öde und still jedoch auch Alles den ganzen Morgen über dareingeschaut hatte, so belebt wurde es jetzt. Kein Busch, an dem nicht ein Pferd angebunden stand, kein gefällter Stamm, auf dem nicht ein paar sonntäglich gekleidete [] Männer saßen und traulich mit einander plauderten, während die Frauen in das Haus traten, um dort vor allen Dingen ihre Hüte und Tücher abzulegen. Dort bot sich für sie dann allerdings auch zugleich die Gelegenheit, sich, ehe der Prediger kam, nur ein klein wenig und ganz insgeheim über die Sünden ihrer Nebenmenschen aufzuhalten, natürlich mit dem sehr freundlichen Zweck, dieselben so sehr zu bemänteln, wie sich das nur möglicher Weise mit einer genauen und vollständigen Aufzählung derselben vereinigen ließ.

»Sonderbar, daß Mr. Rowson noch nicht da ist,« sagte Madame Pelter zu Madame Mullins, »er hält doch sonst so pünktliche Stunden.«

»Wird wohl mit Roberts kommen,« war die Antwort – »in drei Wochen ist ja die Hochzeit, und da darf er die Braut doch nicht so lange mehr allein lassen.«

»Was? – Hochzeit?« frugen drei oder vier Andere, sich neugierig hinzudrängend, »ist's wirklich wahr, daß Mr. Rowson Marion heirathet?«

»Ich hab's von der Mutter selbst, und die sollt' es doch wissen – daß sie einander lieben, war ja außerdem schon lange eine altbekannte Sache. Uebrigens muß ich Sie bitten, noch keinen Gebrauch davon zu machen, denn ich weiß nicht, ob es schon veröffentlicht werden darf. – Aber wahrhaftig, da kommen Roberts ohne Mr. Rowson; nun weiß ich doch in der That nicht –«

»Er war ja an den Arkansas gegangen,« meinte ein Verwandter von Bowitt, »am Ende hat er so viele Geschäfte dort zu besorgen, daß er gar nicht zur rechten Zeit zurück sein kann.«

»Das wäre recht schade,« seufzte die jüngste Miß Smeiers; »ich hatte mich so auf die Predigt heute gefreut.«

»Oh, er kommt gewiß,« rief die alte Madame Smeiers, eine wohlbeleibte, freundliche Matrone, »es thut auch noth, daß wir in der Ansiedelung hier Gottes Wort recht fleißig hören. Solche Sündhaftigkeit, wie jetzt überhand zu nehmen droht – der Herr wolle uns nur gnädig bewahren!«

»Und dabei giebt's noch Leute, die gar nicht an's Beten [] denken,« sagte Mrs. Bowitt – »Leute, die zu keiner Versammlung gehen, und wenn sie im Nachbarhause gehalten würden – Leute, die fluchen und schwören –«

»Ach, wenn ich nur meinen Mann ein einziges Mal dazu bewegen könnte, das Wort Gottes mit anzuhören,« sagte Mrs. Hostler – »jedesmal verspricht er's mir, und nie hält er's.«

»Sie müssen es mit ihm so machen, wie ich neulich mit meinem Manne,« erwiderte Mrs. Hennigs; »der hatte sich Nachmittags ruhig in die Ecke zum Schlafen hingelegt, und wie er erwachte, saß das ganze Zimmer voller Menschen und der Prediger vom Petite-Jeanne drüben fing gerade sein Gebet an. Die Augen hätten Sie einmal sehen sollen, die Hennigs machte; er konnt' es aber nicht mehr ändern und mußte geduldig aushalten. Noch zwei- oder dreimal so, und ich bin überzeugt, er kommt von selbst. – Ach, wenn sie nur erst einmal das Süße und Wohlthuende einer solchen Predigt empfunden haben, dann zieht sie's immer wieder hin.«

»Mr. Hennigs hat aber zu meinem Mann gesagt,« behauptete Madame Smith, »daß er sich das nächste Mal die Hunde mit zum Schlafen hineinnehmen wollte, damit die Spektakel machten, sobald Jemand käme.«

»Das soll er sich nur unterstehen!« rief Mrs. Hennigs entrüstet; »die Hunde auf meine Betten, nicht wahr? Da wollt' ich denn doch einmal sehen, wer – Guten Abend, Mrs. Roberts,« unterbrach sie sich selbst, als in diesem Augenblick die Genannte mit ihrer Tochter in das Haus trat – »wie geht's, Miß Marion?«

Begrüßungsformeln wurden nun von allen Seiten gewechselt, und die Frauen hatten, in übergroßem Eifer, den neuen Putz der immer wieder neu Hinzukommenden zu mustern, ganz übersehen, daß Mr. Rowson indessen wirklich angekommen war und jetzt plötzlich mit einem freundlichen Gruß mitten unter ihnen stand.

Aber, großer Gott, wie sah er aus! Sein Antlitz war bleich, seine Wangen hohl, die Augen eingefallen und seine Sprache zitterte merklich, als er, den linken Arm tief in die Weste hineingeschoben, die niedere Schwelle heraufstieg.

[] »Mr. Rowson!« riefen die Frauen fast wie aus Einem Munde – »sind Sie krank? Was fehlt Ihnen denn? – Sie sehen ja todtenbleich aus!«

»Sie müssen krank sein!« sagte Mrs. Roberts, indem sie an ihn herantrat – »oder ist etwas vorgefallen?«

»Nein – gar nichts – ich danke Ihnen,« erwiderte freundlich lächelnd der Prediger – »von ganzem Herzen danke ich Ihnen für Ihre Theilnahme, meine verehrten Freundinnen und Schwestern, es ist aber nur eine etwas übermäßige Anstrengung. Ich komme aus den nördlichen Niederlassungen herunter und bin die ganze Nacht geritten, um mein Wort zu halten und zur bestimmten Zeit hier zu sein. Das mag mich wohl etwas zu sehr angegriffen haben, da mein Körper an dergleichen nicht gewöhnt ist.«

Er trat dabei zu Marion und reichte ihr freundlich die Rechte, als diese die sonderbare Haltung seines linken Armes bemerkte und ihn besorgt frug, ob er sich auf irgend eine Art verletzt habe.

»Eine Kleinigkeit,« erwiderte der Priester – »die bald vorübergehen wird. Mein Pferd stürzte gestern Abend über einen im Wege liegenden Ast und warf mich gegen einen Baum, wobei ich mir den Arm ein wenig aufriß. Da es ganz unbedeutend war, achtete ich im Anfange gar nicht darauf; nach der sehr feuchten, unfreundlichen Nacht schwoll es jedoch gegen Morgen an, und der Arm ist mir jetzt etwas steif geworden. Es wird jedoch, wie gesagt, bald vorübergehen.«

»Ach, Mr. Rowson – ich habe eine herrliche Einreibung,« sagte Mrs. Mullins, zu ihm herantretend – »wenn Sie mir erlauben wollen –«

»Danke wirklich – danke innigst für all' diese Freundlichkeit; es ist in der That nicht der Mühe werth, sich auch nur im Mindesten darum zu sorgen. – Nein, ich muß, auf mein Wort, danken, beste Schwester Mullins. Wäre es auch bedeutender, als es ist, eine kleine, bald vorübergehende Erkältung, so möchte ich dadurch nicht die Veranlassung sein, die[] so viele fromme und gläubige Seelen eine Stunde länger ihrem Herrn entzieht. Lassen Sie uns beginnen, verehrte Freundinnen, Sie sehen, wie zahlreich sich die Guten versammelt haben. Wollen wir im Hause bleiben, oder sollen wir in's Freie gehen? Des Raumes wegen möchte wohl der offene Platz vorzuziehen sein.«

»Wenn es Ihnen nur nicht zu kalt in der frischen Luft ist!« sagte Mrs. Roberts ängstlich. – »Es weht immer noch ein recht kalter und feuchter Wind.«

»Tragen Sie meinethalben keine Sorge,« lächelte der Prediger, indem er ihr die Hand drückte, »ich stehe im Dienste des Herrn, und in solchem Dienste darf man nicht lässig sein. Die Bewegung wird mir übrigens gut thun, und in wenigen Tagen hoffe ich wieder ganz hergestellt zu sein.«

Alles weitere Zureden blieb fruchtlos. Der kleine Tisch wurde unter die zwei Maulbeerbäume getragen, die der Farmer, als er den übrigen seine Wohnung umschattenden Baumwuchs fällte, ihrer süßen Frucht wegen stehen gelassen hatte, und in einer kleinen halben Stunde später sandte die scharfe, weitschallende Stimme des Priesters ihre Gebete und Danksagungen zu dem reinen Himmelsblau empor. – Und die Bäume brachen nicht schmetternd über ihm zusammen, die Erde verschlang nicht den Heuchler, der die blutbefleckten Hände zu dem Allerbarmer erhob und ihm dankte, daß er seine schwachen Bemühungen mit seiner Vaterhuld gesegnet und sie Alle – Alle die Seinigen fromm und gläubig hier unter dem grünen Laubdach seines Domes zusammengeführt habe! Dort stand er und erröthete nicht, als sich ein freundlicher Sonnenstrahl hindurchstahl durch das dichte Blätterdach des Unterholzes, und erröthete nicht, als sich die Frauen in seiner Nähe zuflüsterten, ein Heiligenschein umgebe die Schläfe des Gottseligen. Dort stand er und schlug das freche Auge nicht zu Boden, als er dem reinen, frommen Blick seiner Braut begegnete, die sich zum ersten Mal mit inniger Zuneigung zu ihm hingezogen fühlte, da auch sie glaubte, der übergroße Eifer seines frommen Berufes habe ihn so angegriffen und verändert. Der Frauen Herz wird ja oft durch Mitleiden [] gewonnen, und der bleiche Mann hatte dem leidenden Ausdruck seiner Züge das zu danken, was er durch Monate lange Mühe und Anstrengung nicht zu erreichen vermochte. Marion glaubte an diesem Abend zum ersten Mal, an seiner Seite, wenn auch nicht glücklich, doch ruhig und zufrieden leben zu können.

Rowson beendete indessen mit unerschütterter Ruhe die heilige Handlung. Seine Lippe bebte nicht, als er die Verzeihung des Höchsten für sich und seine Zuhörer erflehte, seine Stimme zitterte nicht, als er das Amen und den Segen sprach. Nur einmal, einmal nur, als Alles um ihn her in Andacht hingegossen auf den Knieen lag, durchzuckte ihn ein jäher Schreck, und er stockte mehrere Sekunden lang; denn hoch – über den wehenden Wipfeln der Eichen strichen nach Nordwest hinüber vier Aasgeier. Er konnte das schwere Schlagen ihrer Flügel nicht hören, aber er wußte, welchem Orte sie mit gierig vorgestreckten Hälsen entgegenstrebten; wußte, was ihr Mahl sein würde, ehe die Sonne dort drüben im Westen untersank. Da, sich mit Gewalt emporraffend, stimmte er ein lautes »Hallelujah« wie im grimmen Spott seiner selbst an, und die Gemeinde fiel ein in die bekannte Melodie, während er unter den lautschwellenden Tönen sich wieder sammelte und für den Schluß des Gottesdienstes kräftigte.

Indessen schienen nicht alle dort eingetroffenen Ansiedler auch Theil am Gebete zu nehmen, denn eine kleine Gruppe derselben war etwa hundertfünfzig Schritt von der Versammlung entfernt gelagert. Zu diesen gehörten besonders Bahrens, der Krämer Hartford, Roberts und Wilson, Letztere ebenfalls ein junger Ansiedler an demselben Fluß, nur auf der ander Seite. Ihr Gespräch, das der Krämer bis jetzt größtentheils mit Klagen über den schlechten Handel belebt, hatte jedoch in den letzten Minuten etwas gestockt. Die lautschallenden Ermahnungen Rowson's waren nämlich bis zu ihnen gedrungen, und Bahrens schob ein kleines Fläschchen mit Whisky, das er eben zu Tage fördern wollte, verschämt wieder in die Tasche zurück. Wilson aber bemerkte diese Bewegung [] und griff nach dem Arm, der ihm das Labsal entziehen wollte.

»Halt da!« sagte er lachend – »das ist gegen die Gesetze der Menschlichkeit; zeigt Einem erst den ›ächten Stoff,‹ und wollt ihn dann wieder bei Seite schaffen? – da wird nichts daraus.«

»Aber, Wilson – wenn Rowson zufällig hierher sehen sollte, oder gar eine von den Frauen!«

»Ach – was da; die müßten scharfe Augen haben, wenn sie durch die Büsche erkennen könnten, was wir hier angeben. – Und wenn auch – zum Donnerwetter, was schert uns das Geplapper; wären wir deshalb hergekommen, so säßen wir mitten zwischen ihnen.«

»Laßt's aber nicht mehr sehen, als nöthig ist,« sagte Bahrens; »meine Alte singt auch mit, und das muß ich sonst acht Tage hören.«

»Keine Noth – Alterchen,« lachte Wilson, indem er der frommen Gesellschaft geschickt den Rücken wandte und, die Flasche an die Lippen hebend, den hellklaren Himmel einige Angenblicke mit besonderer Aufmerksamkeit betrachtete.

»Nun,« sagte Roberts, während er das Ende des Gefäßes herunterdrückte – »erstickt nur nicht gar – Ihr wollt wohl drin wohnen bleiben? hättet Ihr vorhin ein klein wenig besser aufgepaßt, so würde Euch Rowson's Moral: Andern zu thun, wie Ihr erwartet, daß sie Euch thun, von großem Nutzen gewesen sein.«

»Ach, geht mir zum Henker mit Eurer Moral,« sagte Wilson ärgerlich, indem er sich unter der Fichte, wo er bis jetzt gesessen hatte, ausstreckte und in die dichten Zweige derselben hinaufschaute – »das ist ein ewiges Morallesen und auf den rechten Weg Bringen in unserer Ansiedlung; es gefällt mir gar nicht mehr.««

»Ihr wißt's wohl, was ich eigentlich sagen will. Mir behagt das ewige ›Wegweisen‹ nach dem Himmel nicht; wer zum Henker soll sich danach zurechtfinden?«

»Ich glaub' auch nicht,« sagte Bahrens lachend, »daß der [] Bursche da drüben, der die Augen so fromm und andächtig in dem bleichen Gesicht herumdreht, den Weg richtig beschreiben kann. Sei dem aber wie ihm wolle, mir gefällt er nicht.«

»Meine Frau hat einen Narren an ihm gefressen,« sagte Roberts. »Noch gestern Abend behauptete sie, er wäre ein Heiliger, sie könnte ordentlich fühlen, wie fromm und gut ihr um's Herz würde, wenn er nur zur Thür hereinkäme.«

»Gott sei uns gnädig!« rief Bahrens erschrocken – »nächstens wird er ein Paar Flügel bekommen, auf einen Baumast fliegen und Manna fressen.«

»Seht nur einmal, wie die Aasgeier heute Nachmittag da hinüberstreichen,« sagte Wilson, »das ist nun schon der dreiundzwanzigste, den ich zähle, seit ich hier liege.«

»Die Predigt scheint beendet zu sein,« sagte der Krämer, der seit einigen Minuten dem Gespräch schweigend gelauscht hatte – »das ist das Schlußlied – ich kenn' es.«

»Ihr seid wohl auch musikalisch, Hartford?« lachte Bahrens.

»Und warum nicht?« erwiderte dieser etwas pikirt – »ich spiele die Violine und kann einige ausgezeichnete Stücke auf der Flöte. Wenn Sie es nicht glauben wollen, ich habe sie bei mir,« und mit diesen Worten langte er mit der Hand in die tiefe Rocktasche hinein, und war eben im Begriff, seine Drohung wahr zu machen, als ihm Roberts erschrocken in den Arm fiel und ausrief:

»Um Gottes willen, Mann, behaltet das schreckliche Instrument im Beutel. Was denkt Ihr wohl, was die fromme Versammlung da drüben sagen würde, wenn wir hier anfingen zu musiciren. Wir hatten einmal so einen Spaß im vorigen Jahre mit Wells unten, der jetzt freilich ganz zurückgezogen lebt und nirgends mehr hingeht, wenn er nicht apart zu einem Klötzerrollfest oder etwas Derartigem gerufen wird. Neulich war er einmal bei mir, als er den Bienenbaum gerade am Flusse gefunden hatte; er mußte eine Axt haben, weil er nicht erst deswegen nach Hause gehen wollte, und da bin ich mit ihm hinaus in den Wald gegangen, aber so 'was von einem Bienenbaum hab' ich doch im Leben noch nicht gesehen. – Der und ein An derer –«

[] »Ja, aber –« unterbrach ihn der Krämer, der die Angewohnheit Roberts' noch nicht kannte – »Ihr wolltet ja von Musik erzählen –«

»Oh, warum hieltet Ihr ihn auf!« lachte Bahrens. »Er war auf dem besten Wege, und es hätte gar nicht lange gedauert, so fänd er sich in New-Orleans oder New-York wieder.«

»Wie so denn?« sagte Roberts, »das ist nun wieder barer Unsinn – ich dachte weder an New-Orleans noch an New-York, ich wollte Euch von Wells erzählen, dessen Nachbar auch so ein langes spitzes Ding mit Löchern drin, gerad' wie eine Flöte, mitgebracht hatte. Er nahm es aber an der Spitze in den Mund, nicht an der Seite. Gut, der war oben bei Smiths über Nacht geblieben, und Abends, wie gebetet werden soll, nimmt er das Ding vor. – Er war gerade von Fort Gibson heruntergekommen und kannte unsere Gebräuche noch nicht, hatte auch, glaub' ich, eine unmenschlich lange Zeit an der indianischen Grenze gelebt, und erzählte merkwürdig gern, was sie für ewigen Kampf und Streit mit den Choktaws gehabt hätten, die erst damals von Georgien nach dem Westen geschafft waren. Die armen Teufel haben mir übrigens selbst leid gethan, denn um ihr Land hat man sie damals doch schändlich betrogen; da kamen aber die großen Herren von Washington und New-York –«

»Hurrah!« schrie Bahrens, der nur auf das Stichwort, wenngleich mit der ernsthaftesten Miene von der Welt, gewartet hatte – »ob ich's denn –«

»So schreit doch nur nicht so!« sagte Wilson – »sie sehen ja Alle hierher. Aber Gott sei Dank, es ist vorbei; heute hat's Rowson einmal recht kurz gemacht.«

»Er sieht auch elend genug aus,« warf Roberts ein, »ich erschrak ordentlich, wie er mir vorhin an der Feldecke dort unten begegnete.«

»An der Feldecke? ich glaubte, er wäre von oben herunter, aus den nördlichen Ansiedlungen gekommen –« sagte Wilson.

»Nun, das kann er ja auch,« entgegnete Bahrens, »wenn [] er sich drei Meilen von hier rechts gehalten hat, um den sumpfigen Stellen aus dem Wege zu gehen, so mußte er bei der Feldecke ungefähr wieder herauskommen; ich bin den Weg auch schon einmal geritten. An den Hügeln ist's aber doch trockener.«

Die Versammlung war indessen aufgebrochen, und Alles bewegte sich jetzt bunt durcheinander. Madame Bahrens kam aber vor allem Dingen auf die sehr muntere kleine Gesellschaft zu, erwichte ihren »Alten«, wie sie ihn nannte, bei einem Knopf, und hatte ihm dann, etwa eine Viertelstunde lang, irgend etwas sehr ernsthaft einzuprägen, wobei Wilson Roberts bedeutend in die Rippen stieß und ihn frug, ob er dergleichen Verhandlungen wohl kenne?

»Kinder, es wird spät,« sagte endlich Smith, der die Betversammlungen eifrig besuchte und für einen sehr frommen Mann galt – »die Sonne ist in der That schon am Untergehen, und ich habe noch mehrere Meilen zu machen. – Wilson, Ihr begleitet mich wohl?«

»Doch wohl nicht,« entgegnete dieser, »ich habe Bahrens versprochen, mit ihm nach Hause zu reiten – er will mir gern etwas erzählen, was er in der letzten Woche erlebt hat.«

»Nun, dann Glück zu,« lachte Mullins, »laßt's uns nur auch wissen, wenn's beendet ist.«

»Damit Ihr Euer Maul drüber breit reißen könntet, nicht wahr?« sagte Bahrens. »Ich bin mit meinen Erzählungen vorsichtig geworden, denn – Gott sei uns gnädig – wie sieht der Mensch aus?«

Dieser letzte Ausruf galt einem jungen Manne, der in diesem Augenblick aus dem Dickicht trat und sich ihnen näherte, dabei aber ein so geisterbleiches, entsetzliches Aussehen hatte und mit den glanzlosen, weit aufgerissenen Augen so ängstlich umherstierte, daß mehrere der Frauen wirklich erschreckt vor ihm zurückwichen, und Wilson aufsprang und ausrief:

»Halway – zum Teufel – habt Ihr den Verstand verloren, daß Ihr am hellen Tage wie eine Leiche umherrennt und die Leute erschreckt? – Was ist vorgefallen?«

»Fürchterliches!« stöhnte der junge Mann, indem er matt [] auf einen Baumstamm niedersank. – »Fürchterliches!« wiederholte er mit hohler Stimme, »drüben in dem alten Blockhaus –«

»Nun, was ist dort?« fragten Zehn zugleich.

»Laßt mich nur erst zu Athem kommen; drüben im alten Blockhaus – liegt – mich schaudert's, wenn ich daran denke – liegt die Leiche der Indianerin.«

»Alapaha's?« rief die Menge entsetzt – »Assowaum's Weib? schrecklich! fürchterlich!« tönte es von allen Seiten durcheinander. »Wie fandet Ihr sie? woran ist sie gestorben? wie sieht sie aus?« und tausend ähnliche Fragen kreuzten sich mit Gedankenschnelle.

»Laßt mir nur erst Zeit, mich zu sammeln,« sagte Halway – »Ich bin die Strecke von dem Schreckensort hierher – in fast wunderbar kurzer Zeit gelaufen. – Die Angst gab mir Flügel –«

»Aber so erzählt doch nur – was ist denn geschehen?«

»Gleich – gleich – so hört denn. Ich war in der letzten Woche an der Mündung des Flusses gewesen und hatte dort gejagt, brach aber vorgestern von dort auf, um von hier meine erlegten und getrockneten Häute abzuholen. Gestern schon gedachte ich bis Tanner's Haus zu kommen, es wurde aber dunkel, und ich mußte am Flußufer, im dichten Schilf, übernachten. Wie manchen Abend hab' ich nun schon draußen im Walde allein zugebracht, wie manchen Sturm, wie manches Gewitter abgehalten und nie Furcht gekannt, gestern aber lief mir's ein paar Mal mit eisigen Schauern über den Leib, und ich schürte mein Feuer noch einmal so groß an, als ich's eigentlich gebraucht hätte. Es mußte die Ahnung von dem sein, was in meiner Nähe vorging. Sonst blieb übrigens Alles ruhig, nur einmal schlug mein Hund an, und mir war's schon, als ob ich hätte ein Pferd schnauben hören, doch mußte das ein Irrthum sein, da der Schilfbruch dort undurchdringlich ist und der Fluß an der Stelle gerade sehr tief vorbeifließt.

Hoswells hatte mir nun schon früher sein Canoe zu borgen versprochen, gleich früh Morgens sah ich aber Bienen [] arbeiten und versuchte bis gegen Mittag den Baum zu finden, und da mir das nicht glückte, so sah ich mich nach dem Canoe, und zwar mit nicht besserem Erfolge um. Um alle Biegungen kroch ich, konnte jedoch weiter nichts entdecken, als ein Taschentuch mit Provisionen, das ein Jäger muß im Busch aufgehangen und vergessen haben, und ging endlich bis an den Weg hinauf, um dort durch den Fluß zu schwimmen.

Von dort aus war es nun meine Absicht, links ab und noch etwa zwei Meilen stromauf zu wandern, um ein anderes Canoe, das ich dort weiß, zu erhalten. Ich konnte aber nicht umhin, den auffallenden Zug der Aasgeier zu beobachten, die sich alle nicht sehr weit unterhalb des Weges niederzulassen schienen. Ueber den Weg liefen auch zwei ganz frische Wolfsfährten in derselben Richtung hin, und ich beschloß, da ich doch nichts Besonderes zu versäumen hatte, einmal nachzusehen, was für Wild dort läge, oder ob der Bär vielleicht ein Schwein oder gar der Panther ein Pferd gewürgt habe. – Allmächtiger Gott, ich war nicht auf den Anblick vorbereitet!

Als ich den dicht mit Unterholz verwachsenen Fleck, wo die kleine Hütte stand, erreichte, glaubte ich gewiß zu sein, daß eins der Schweine in die Klauen eines hungrigen Bären gefallen sei, noch dazu, da ich erst heute Morgen Spuren eines solchen an der Uferbank bemerkt hatte. Das aber schon machte mich stutzig, daß sich keiner der Aasgeier niedergewagt; sie saßen alle auf den Aesten der Bäume um die Hütte herum und schlugen gierig mit den Flügeln, als ich mich ihnen näherte.«

»Und die Wölfe?«

»Nach deren Fährten sah ich nicht – ich wußte jetzt, das Aas müsse in der Hütte selbst liegen, und trat nun, immer noch nicht an einen menschlichen Körper denkend, hinein; aber – erlaßt mir die Beschreibung, es war die Leiche der Indianerin, das erkannte ich noch, ehe ich wieder hinausstürmte, dann floh ich in wilder Eile zuerst dem nächsten Haus zu, wo mich aber ein kleines Negermädchen beschied, es sei Niemand daheim, sondern Alles zur Betversammlung hierher gegangen, und wie von einem bösen Feind getrieben, hetzte ich nun [] weiter, nur immer weiter, um wenigstens zu Menschen zu gelangen.«

»So erzählt uns aber doch –«

»Nichts – gar nichts – Ihr müßt es selbst sehen, und zwar gleich – die Leiche darf auf keinen Fall diese Nacht dort liegen bleiben. Die Wölfe, die sich heute scheuten, das einst von Menschen bewohnte Gebäude zu betreten, würden bei wieder einbrechender Dunkelheit, und das ist nicht lange mehr hin, Muth gewonnen haben und den Körper zerreißen.«

»Wo aber ist Assowaum?« frug Roberts, »sollte er dem Thäter schon auf der Fährte sein?«

»Würde er seine Squaw unbeerdigt zurückgelassen haben?« warf Bahrens ein, »nein – nie!«

»Es ist doch nicht möglich, daß Assowaum selbst –« sagte scheu umherblickend Smith, – »er war stets dagegen, daß sie zu den Gebeten des Weißen ging, und hat ihr manches harte Wort, ihres Uebertritts zum Christenthum wegen, gesagt.«

»Eher wollt' ich glauben, daß sie von ihrer eigenen Mutter, als von Assowaum erschlagen sei!« rief Roberts heftig, »ich weiß, wie lieb er sie hatte. Doch wir müssen fort, die Zeit verfliegt, und es ist keine kleine Strecke bis dahin. Habt Ihr Kienholz im Hause?«

»Genug,« sagte Mullins, »und gleich fertig gespalten. Ich wollt' es am Montag Abend mit an die Salzlecke nehmen, hierzu ist's aber nöthiger – wir können gleich aufbrechen. Wo ist Mr. Rowson?«

»Hier!« sagte der Priester, der bis jetzt, von Niemandem beachtet, an einem Stamme gelehnt hatte, »wir müssen augenblicklich gehen, um dem Schrecklichen nachzuspüren.«

»Großer Gott, Mr. Rowson,« sagte Madame Roberts – »Sie müssen wirklich hier bleiben – Sie sind krank – ernstlich krank und sehen leichenblaß aus.«

»Ich glaube doch wohl, daß es meine Pflicht ist,« sagte der Priester, »allerdings habe ich peinliche Kopfschmerzen –«

»Nein, wir geben es auf keinen Fall zu,« rief Mrs. Mullins – »der Anblick würde Ihnen auch nichts taugen.«

»Ich weiß aber doch nicht – beste Schwester Mullins –«

[] »Bleiben Sie nur hier,« mischte sich Roberts jetzt in das Gespräch – »Sie sehen wirklich sehr unwohl aus, und bei dem traurigen Amt, das wir heute zu versehen haben, bedarf es Ihrer nicht. Morgen, beim Begräbniß, ist es etwas Anderes, da werden wir, wenn Sie sich indessen stark genug fühlen, Ihre Hilfe in Anspruch nehmen.«

Der Prediger nickte schweigend, halb dankend mit dem Kopfe und wollte sich umwenden, um dem Hause zuzuschreiten, da trat ihm seine Braut noch in den Weg, reichte ihm mit halb schüchternem, halb freundlichem Blicke die Hand und flüsterte leise: »Gute Nacht, Mr. Rowson – legen Sie sich nieder und erwachen Sie morgen wieder wohl und heiter – gute Nacht.«

Es waren nur sanfte, liebende Worte, die ihm aus dem Munde des lieblichen Mädchens entgegenströmten, wie mit eisiger Faust griffen sie aber in sein Inneres, und entsetzt – vernichtet wollte er vor der Berührung der reinen Jungfrau zurücktaumeln. Da begegnete sein Auge den auf ihm haftenden Blicke der Umherstehenden, seine alte Seelenstärke erwachte, er zog das erröthende Mädchen zu sich heran, drückte einen leisen Kuß auf ihre Stirn, legte segnend seine Hand auf ihre Kopf und schritt dann festen Ganges in das Haus, um das für ihn in der Eile, aber warm und weich bereitete Lager aufzusuchen.

»Welch ein Engel!« murmelte Mrs. Smith, während sie die Hände faltete, den Kopf auf die eine Seite neigte und ihm sinnend nachschaute, – »aber da brechen sie wirklich schon auf. Ob wir Frauen denn auch mitgehen?«

»Das geht doch nicht gut,« sagte Mrs. Bahrens, »mein Alter würd' es auch wohl nicht gerne sehen. Ich reite nach Hause; aber zum Begräbniß morgen kommen wir doch Alle wieder zusammen.«

»Sicherlich,« erwiderte Mrs. Smith, indem sie ihr Pferd an einen umliegenden Baumstamm führte und mit dessen Hülfe in den Sattel stieg. Die Anderen folgten jetzt ebenfalls meistens ihrem Beispiel, und kurze Zeit nachdem die Männer auf ihren flüchtigen Ponies davongesprengt waren und die [] Sonne scheidend hinter den westlichen Hügelreihen hinuntersank, verließ auch der weibliche Theil der Versammlung den Platz. Das geschah jedoch nicht, ohne vorher noch herzliche Grüße und Besserungswünsche für ihren Seelenhirten der geschäftigen Wirthin des Hauses aufgetragen zu haben, die auch fest versprach, sie alle auszurichten und für den Kranken wie für ein eigenes Kind zu sorgen.

16.
Die Leichenwache.

Von Mullins' Haus bis zu der alten Hütte mochte es etwa vier Meilen in gerader Richtung sein, die Männer aber hatten die Entfernung in außerordentlich kurzer Zeit zurückgelegt, und noch war es nicht ganz dunkel, als sie die kleine »todte Rodung«, wie derartige Plätze in der Landessprache genannt werden, erreichten. Hier hielt Roberts, befestigte sein Pferd, welchem Beispiel sämtliche Gefährten folgten, und schlug Feuer. Es waren sechzehn Männer, aber Keiner von ihnen sprach ein Wort, lautlos trugen sie Holz zusammen und fachten eine helle Flamme an, lautlos banden sie mit dünnen Streifen Hickoryrinde ihre langgespaltenen Kienspäne zusammen – lautlos entzündeten sie dieselben an der Gluth, und von Roberts und Wilson geführt, betraten sie klopfenden Herzens den Schreckensort.

Die beiden ersten traten ziemlich bis in die Mitte der Hütte und bis fast dicht vor den Leichnam der Unglücklichen hin, die hier von Mörderhand gefallen, während die Anderen leise nachdrängten und jetzt einen Kreis um das Opfer schlossen, wobei die hoch über den Köpfen gehaltenen Kienfackeln das Ganze schauerlich mit ihrer rothen Gluth erleuchteten.

[] »Sie ist ermordet!« sagte endlich Roberts leise, und leise hallte es von den Lippen der Uebrigen nach:

»Ermordet!«

Die schreckliche Tatsache unterlag auch keinem Zweifel weiter, der Hieb über den Kopf, mit schweren amerikanischen Bowiemesser geführt, hätte allein schon genügt, sie zu tödten, jener eine Schlag, ohne die drei Stiche mit derselben breiten und gefährlichen Waffe, die dem Lebensquell die rothen Thore geöffnet. Uebrigens ging auch schon daraus hervor, daß die erste Wunde die todbringende gewesen, da ihr aus zartgegerbten Fellen bestehender Ueberwurf nur auf einer Seite von Blut benetzt war, was sich außerdem an keiner andern Stelle der Hütte fand. Nach dem ersten Schlage mußte sie regungslos liegen geblieben und gestorben sein.

»Hat hier Jemand einen Verdacht, auf welche Art und durch wen diese Unglückliche ihr unzeitiges Ende gefunden?« frug Roberts jetzt. Niemand antwortete – endlich sagte Bahrens:

»Es ist nicht möglich, den Menschen in's Herz zu sehen, was sie drinnen brüten. Diese Indianerin schien mir aber so brav und gut, so gefällig und freundlich zu sein, daß ich nicht begreifen kann, wie und auf welche Art sie sich hier in der Ansiedlung einen Feind gemacht haben sollte. Ich weiß Niemanden, den ich für fähig hielte, so Schreckliches zu verüben.«

»Ich auch nicht – wir Alle nicht,« war die tieftönende Antwort.

»Wer hat die Todte zuletzt gesehen?« frug Wilson jetzt.

»Ich begegnete den Beiden – Alapaha und Assowaum, gestern Nachmittag auf der andern Seite des Flusses,« erwiderte Pelter; »sie schienen freundlich gegen einander gesinnt, wer kann aber ergründen, was ein Indianer im Sinne trägt!«

»Assowaum ist unschuldig,« rief Roberts heftig – »ich würde mit meinem Leben für ihn stehen!«

»Weshalb?« frug da, in der Thür der Hütte, die volle, wohltönende Stimme des Häuptlings, der in diesem Augenblicke, von Brown gefolgt, in der Versammlung erschien. [] Ahnungslos schritt er gegen die Mitte vor, während ihm die Männer zu beiden Seiten halb scheu, halb mitleidig Platz machten, so daß er das Entsetzliche nicht eher bemerkte, als bis er dicht vor der Leiche seines Weibes stand.

»Wah!« schrie er und sprang wie ein angeschossener Hirsch hoch vom Boden empor – »was ist das? –«

»Alapaha!« rief Brown entsetzt, der ihm gefolgt war – »Alapaha – großer Gott! ermordet!«

»Ermordet?« wiederholte in wildem, hohlem Ton der Indianer, während seine Augen sich aus ihren Höhlen zu drängen drohten und die Rechte unwillkürlich das scharfe Scalpiermesser aus dem Gürtel riß, als müsse er das Herz des Verräthers finden, der sein Weib erschlagen. »Wer sagt ermordet?«

»Sieht das aus wie Schuld, Ihr Männer von Arkansas?« rief Roberts, indem er seine Hand auf die Schulter des Indianers legte und die Freunde fragend anblickte.

»Nein – bei Gott nicht! Der arme Indianer! Schrecklich! Wer war der Thäter?« so schallte es in einzelnen Ausrufungen von den Lippen der Farmer, während Assowaum mit stierem Blick Jeden im Kreise anstarrte, der ein Wort äußerte, auch für den Augenblick wirklich das ganze Bewußtsein seiner Lage verloren zu haben schien. Da trat Brown neben Roberts und sagte mit leiser Stimme, von der aber die kleinste Silbe verstanden werden konnte, während er dabei auf die Leiche deutete:

»Dies ist das zweite Opfer, das innerhalb einer Woche von Mörderhand gefallen; das Gerücht legte vor meine Thür die erste Blutschuld; ich bin hierher gekommen, um die Anklage zu widerlegen – meine Unschuld zu beweisen. Rein ist mein Herz von so entsetzlicher Schuld, aber der Mörder lebt unter uns.

Vor wenigen Tagen noch war es meine Absicht, diesen Staat zu verlassen und nach Texas zu gehen; sie ist es noch, aber nicht eher jetzt, als bis die Hand entdeckt ist, die jene Wunde schlug, bis mein Name wieder rein und schuldfrei vor [] der Welt dasteht. Doch nicht meine Pläne allein, nein, auch meine Ansichten haben sich geändert.

Ihr wißt, Männer von Arkansas, viele von Euch wenigstens, die mich näher kannten, daß ich bis jetzt dem Treiben und Wirken der Regulatoren entgegen war; ich hielt ihre Ungesetzlichkeit für einen vollgültigen Grund, sie zu verdammen – ich denke nicht mehr so. Hier zu unseren Füßen liegt ein Wesen ermordet, das harmlos und unschuldig Keinen kränkte oder betrübte; wer ist hier, dem sie nicht durch ihr anspruchslos freundliches Wesen gefallen, den sie nicht durch ihre streng gemeinte und gläubige Religiosität, wodurch sie selbst dem Glauben ihres Stammes untreu wurde, gerührt hätte? Sie ist todt – und die Gesetze konnten sie nicht schützen; sie ist todt – und die Gesetze sind zu machtlos, den Mörder zu erreichen und zu bestrafen. Hier aber hebe ich meine Hand empor und schwöre bei dem allmächtigen Gott, daß ich nicht eher ruhen und rasten will, bis ihr Blut, wie das jenes unglücklichen Mannes, gerächt ist, daß ich nicht eher ruhen und rasten will, bis wir die Natterbrut, die sich unter uns eingeschlichen hat, gefunden und ihre Köpfe zertreten haben. Männer von Arkansas, wollt Ihr mir beistehen mit Euren Armen und Euren Herzen?«

»Ja!« hallte es dumpf und leise durch die niedere Hütte – »ja! so wahr uns Gott helfe!«

»So laßt uns vor allen Dingen den Leichnam zu dem nächsten Hause schaffen; dorthin muß morgen früh Jemand den Prediger holen, der ja wohl in der Ansiedlung zu finden sein wird. Wir wollen dann das arme Weib beerdigen.«

Mehrere der jungen Leute begannen, dieser Aufforderung zu Folge, Stangen abzuschlagen und eine rohe Bahre herzurichten. Da trat Assowaum, der bis jetzt schweigend, den Blick auf die Züge seines todten Weibes geheftet, neben der Leiche gestanden hatte, vor, schob die ihm Nächsten mit den Armen sanft hinweg und machte eine Bewegung, als wenn er sie bitten wollte, das Haus zu verlassen.

»Was willst Du thun, Assowaum?« frug Brown.

»Laßt mich allein!« hauchte der Krieger, indem er das [] Messer, das er noch vom ersten Augenblick an blank in der Hand trug, wieder in die Scheide zurückschob – »laßt mich allein mit Alapaha – nur diese Nacht.«

»Sollen wir denn nicht –?«

Eine verneinende Bewegung des Indianers drängte sie, seinem Willen zu gehorchen. Schweigend traten sie zurück und beriethen nun vor dem Eingange der Hütte leise, was zu thun sei.

»Wär's nicht besser, wir lagerten hier draußen?« meinte Bahrens, als sie einen etwas entfernten und ziemlich offenen Platz erreicht hatten, »Assowaum mag die Leichenwache halten, und morgen früh sind wir dann gleich an Ort und Stelle.«

»Wohl wahr,« sagte Brown, »aber Assowaum erzählte mir unterwegs, mein Onkel sei krank, und er habe Alapaha mit Lebensmitteln an ihn abgeschickt. Das unglückliche Weib wurde aber ermordet, der arme kranke Mann liegt also allein und hilflos in seiner Hütte, ich muß spätestens morgen früh dort sein.«

»Wie wäre es denn,« sagte Wilson, »wenn wir jetzt zu Mullins zurückgingen, dort zuerst sähen, wie sich Rowson befindet und ob er im Stande ist, die morgende feierliche Handlung zu begehen, und dann vor Tagesanbruch mit einigen Lebensmitteln für den Indianer wiederkehrten? Alapaha nehmen wir dann in dem Canoe zu ihrer eigenen Hütte, die dicht neben unserer Wohnung liegt. Es wird auch des Indianers Wunsch sein, die Squaw neben seinem Wigwam beerdigt zu haben.«

»Bei diesem tobenden Wasser können aber nur höchstens vier Personen in dem Canoe sitzen,« sagte Roberts.

»Mehr sollen auch gar nicht darin fahren,« entgegnete Brown. »Von Mullins zu Harpers ist es, wenn Ihr von Heinzes aus eine gerade Richtung durch den Wald einschlagt, kaum sechs Meilen, also nur wenig weiter als von hier; Wilson und ich übernehmen daher das Fortschaffen des Indianers und der Leiche, und Ihr Anderen verfolgt indessen mit dem Priester den Landweg; wir treffen dann ziemlich zu gleicher Zeit bei meinem Onkel ein.«

[] »Gut,« sagte Bahrens – »damit bin ich einverstanden. Sollen wir aber jetzt, ehe wir den Platz wieder verlassen, nicht versuchen, die Fährten des Mörders aufzufinden?«

»Das wäre nutzlos,« warf Roberts ein, »der Boden hier im Innern ist zu hart und trocken, um etwas unterscheiden, und draußen hat der Regen, der nach Mitternacht in Strömen herabgoß, Alles verwischt; wir würden nur unnütz unsere Zeit verschwenden. Nein, der Mörder ist für den Augenblick vor jeder Verfolgung sicher, wer es aber auch sei, er wird unserem rächenden Arm nicht entgehen, und daran sollen uns weder die frommen engherzigen Ermahnungen eines Priesters, noch die machtlosen Drohungen eines Gouverneurs uns abhalten, da einzugreifen und zu strafen, wo wir an unserem Heiligsten verletzt wurden.«

»Ich möchte noch einmal zu Assowaum hineingehen,« sagte Brown zögernd.

»Stört ihn heut Abend nicht mehr,« bat Roberts – »er hat als Indianer seine eigenen Ansichten und Gefühle, und ich glaube kaum, daß ihm bei denen der Anblick eines Weißen, und wäre es der eines Freundes, willkommen ist.«

Die Männer entzündeten hiernach ihre größtentheils verlöschten Kienfackeln wieder, bestiegen die Pferde und ritten langsam zu Mullin's Hause zurück. – Das einsame Blockhaus aber umschloß still und schweigend die beiden Wesen, die, wenn auch nicht freundlos, doch fremd unter einem Volke gelebt, das ihren Stamm vernichtet und aus dessen Mitte jetzt eine Mörderhand die letzte zarte Blüthe zernickt hatte.

Der dunkelklare Himmel funkelte in all' seiner mitternächtlichen Herrlichkeit, rauschende Lüfte spielten mit den hochragenden Wipfeln der riesigen Bäume und schlugen in abgemessenen Zwischenräumen die gewaltigen guirlandenartigen Weinreben an die schlank aufstrebenden Stämme an; der Fluß tobte dazu schäumend und brausend dicht an der halbverfallenen Hütte vorbei, und es war fast, als ob er gierig hinauflecke nach der blutigen Leiche und sich danach sehne, sie in seinen Armen mit fortzuführen, ein Spiel dem noch wilderen Gesellen, dem breiteren und mächtigeren Arkansas.

[] In dem innern Raume aber, des Rauschens der Wipfel, des murmelnden Brausens der aufgeregten Wasser nicht achtend, saß zu den Füßen seines todten Weibes der Indianer und schaute schweigend und sinnend, wie ihn die Männer verlassen hatten, auf ihr schmerzdurchzucktes, blutiges und doch noch so schönes Antlitz. Das Feuer war ziemlich niedergebrannt und nur noch manchmal glühte vor dem Erlöschen ein rother Flammenstrahl daraus empor, um die nachfolgende Dunkelheit so viel auffallender und unheimlicher zu machen. Da sprang auf einmal, wie von einer Natter gestochen, der rothe Sohn der Wälder empor – seine Augen drängten sich fast aus ihren Höhlen, mit bebenden Händen warf er, was er an dürren Spänen in der Nähe fand, auf die fast verglommene Gluth, fachte diese in zitternder Hast wieder zur neuen Flamme an, wandte sich jetzt in Fiebergluth zu der Leiche und beobachtete mit ängstlicher Sorgfalt ihre Züge.

Ach! das ungewiß flackernde Licht hatte ihn getäuscht, ihm war es gewesen, als ob sich die starren Züge wieder belebt, die bleichen Lippen geöffnet hätten. Er konnte sich ja noch nicht zu der Ueberzeugung zwingen, daß das Weib seines Herzens, seine Alapaha, hier todt – todt zu seinen Füßen liege, und an jeden Strahl von Hoffnung klammerte sich mit der Kraft der Verzweiflung die sinkende, schmerzdurchschauerte Seele. Bald erfüllte den Unglücklichen aber nur zu sicher die schreckliche Wahrheit. Alapaha, die Blume der Prairien, war wirklich todt – nur eine gefühl- und seelenlose Leiche traf sein liebender Blick, und traurig entfielen die flammenden Späne der matt und kraftlos niedersinkenden Hand.

Der augenblickliche Hoffnungsstrahl hatte ihn jedoch wenigstens aus seiner träumenden Lethargie aufgerüttelt; er strich sich die langen, wild und unordentlich seine Schläfe umflatternden Haare aus der Stirn, schaute, fast wie ungläubig, einige Secunden in dem engen Raum umher und bebte erst dann schaudernd wieder zusammen, als er dem starren Geisterblick der Gebliebten begegnete.

Die Wölfe, die in der vorigen Nacht nicht gewagt hatten, das von Menschenhänden errichtete Gebäude zu betreten, [] näherten sich jetzt, und zwar durch Hunger kühner geworden, der Stelle, welche ihre schauerliche Beute enthielt. Scheuchte sie aber schon die Witterung der vielen frischen Fährten zurück, so ward ihre Furcht noch durch die Nähe eines lebenden Wesens vermehrt, und schon umzogen sie in weiten Kreisen die Wohnung des Todes und heulten in klagend ängstlichen Weisen ihren Leichengesang. Assowaum achtete ihrer kaum; er kannte diese Hyänen des Waldes, fürchtete sie aber nicht und beschäftigte sich nur mit dem früheren Gegenstand seiner Liebe – jetzt seines Schmerzes. Noch einmal schürte er das Feuer an, daß es in hellen Flammen die Wände der Hütte wie mit Tageshelle erleuchtete, und wanderte nun spähend umher und forschte nach Spuren und Zeichen der verübten That.

Die Hütte, vor langen Jahren von einem neuen Ansiedler errichtet, der sie bald darauf wieder verließ, war seit dieser Zeit nur höchst selten von einzelnen Jägern bei stürmischem Wetter als Lagerplatz benutzt worden, und deshalb gänzlich vernachlässigt und verfallen. Früher hatte auch wohl der erste Besitzer ein kleines Stückchen Land dicht daneben urbar gemacht und Mais darauf gezogen, jetzt aber nahm kräftig aufwachsendes Unterholz mit seinen engverzweigten Wurzeln den Acker ein, und selbst im Innern der Hütte verriethen einzelne junge Stämme die üppige Vegetation des Bodens, der hier, von Regen und Sonnenschein gleich entfernt gehalten und nur durch die Feuchtigkeit des vorbeiströmenden Flusses genährt, mehrere junge Eichen- und Hickorystämmchen an derselben Stelle emporgetrieben hatte, wo vor noch nicht so langer Zeit Menschen unter schützendem Dache gehaust. Neben einem dieser Schößlinge lag die Leiche, Assowaum suchte jetzt vergebens nach Spuren, die ihm den Mörder hätten verrathen können. Der Boden war zu hart, um die Spuren eines Menschenfußes in deutlichen Umrissen bewahrt zu haben, und was sich noch etwa hätte zeigen können, hatten die Männer zertreten. Nur dort, dicht neben dem kleinen Gestell, auf dem Alapaha das von dem Gatten erlegte Hirschfleisch getrocknet – in der zerstreuten Asche – entdeckte er, von den Anderen noch nicht zerstört, die theilweise Fußspur eines Mannes.

[] Assowaum betrachtete sie lange und aufmerksam, es war aber nur der vordere Theil des Fußes, er konnte nicht die ganze Länge erkennen, und dann wieder rührte sie von einem solchen Stiefel her, wie ihn Brown trug; es mochte des jungen Mannes Spur sein, der ja eben erst die Hütte verlassen hatte. Assowaum maß die Spitze ebenfalls am Stiel seines Tomahawks und schaute mehrere Minuten lang sinnend auf die niedergetretene Asche.

Solches Zeichen genügte aber nicht und er wanderte weiter umher, forschte nach irgend einem zurückgelassenen Gegenstand des Mörders und fand – den Tomahawk der Geliebten, der blutig von rauher Hand in die Ecke der Hütte geschleudert schien und dort bis jetzt seinem Adlerblick entgangen war.

Ein stolzes Lächeln des Triumphes durchzuckte jedoch zum ersten Mal die Züge des wilden Kriegers, als er die Blutspuren an der leichten, doch scharfen Waffe seines Weibes bemerkte: Alapaha war einer Indianerin würdig gestorben, und der Feind, der sie vernichtet, hatte zuerst von ihrer Hand geblutet. Das brachte aber auch das Andenken an den Tod der Geliebten mit erneuter Heftigkeit vor seine Sinne, und den Tomahawk fest mit den Eisenfingern umspannend, richtete sich der wilde Krieger hoch empor und schaute mit blitzenden Augen umher, als ob er den Mörder erspähen und ihn mit dem Racheschrei auf den Lippen zu Boden schmettern wollte.

Ach zu spät! wo war diese rettende Hand in der Stunde der Noth? wo war dieses starke Herz im Augenblicke der Gefahr gewesen? weit – weit von hier, und das arme Wesen mußte hülflos und unbeschützt fallen und verbluten. Assowaum knirschte wind, in ohnmächtiger Wuth. Dann aber siegte endlich die kalte, ruhige Ueberlegung des Indianers. Noch einmal durchforschte er jeden Winkel, jede Ecke des kleinen Raumes, verließ dann die Hütte und untersuchte im Freien jeden Strauch und jeden offenen Moosfleck – vergebens. Der niederströmende Regen hatte Alles verwischt, nur zwischen dem Flusse und der Hütte, jetzt zwar schon von den steigenden [] Fluthen erreicht, fesselten einzelne Birkenzweige seine Aufmerksamkeit, von denen die Blätter gewaltsam abgestreift zu sein schienen; doch hatte, wie schon gesagt, der wachsende Fluß jede Spur darunter verwaschen, und der Indianer kehrte, ohne seinen Zweck erreicht zu haben, in die Hütte zurück.

Hier bereitete er nun für die ermordete Gattin das Todtenlager; seine Decke breitete er aus und legte ihre starren Glieder darauf, aus dem Flusse trug er Wasser herbei und wusch ihr das blutige Antlitz und Haar rein von dem rothen, geronnenen Lebensstrom, schob ihr dann die eigene Decke unter das Haupt, daß sie gut und sanft ruhe wie vor alten, schönen Zeiten, und versuchte, ihre Hände auf dem Herzen, das ihn so treu und innig geliebt hatte, zu falten. Die Rechte hielt aber krampfhaft geschlossen, und schon wollte er den Versuch aufgeben, mit Gewalt die im Tode erstarrten Finger zu lösen, als er etwas Fremdartiges in ihnen fühlte, seine Anstrengungen erneute und in dem Griff der Leiche einen dunkeln Hornknopf, den sie im Todeskampf gefaßt und gehalten hatte.

Was war aber mit solchem Zeichen zu beginnen? Wie konnte das auf die Spur des Thäters führen? Assowaum schüttelte traurig mit dem Kopfe, schob jedoch den Gesundene in die Kugeltasche an seiner Seite und setzte sich nun wieder still zu den Füßen der Gattin nieder, als ob sie nur schlummere und er ihren Schlaf bewachen wolle.

So saß er regungslos viele lange Stunden; das Feuer fiel in sich zusammen, flackerte noch manchmal zuckend empor und verglomm endlich; dichte Finsterniß erfüllte den kleinen Raum – draußen im Walde zogen sich die Wölfe scheu vor der Nähe des Menschen zurück, kein Laut unterbrach die feierliche Stille, als das Plätschern und Gurgeln des Flusses. Selbst die Eule hatte den schaurigen Platz gemieden, und nur weit, weit entfernt lockte ihr klagender Ruf den Gefährten, den sie dann mit leisem, geräuschlosem Flügelschlag in die freundlicheren Hügel folgte – Alles schwieg, und immer noch kauerte die dunkle Gestalt vor der stillen Leiche, bis draußen die frische Morgenluft den Thau von den Büschen schüttelte, [] im Osten ein heller Streifen den nahenden Tag verkündete und die Vögel der Nacht mit lauten, wehmüthigen Tönen Abschied von dem weichenden Dunkel nahmen.

Da wurden Stimmen vor der Hütte laut, und von Wilson gefolgt trat Brown wieder in das stille Gemach der Trauer. Der Indianer schien ihn aber nicht zu bemerken; sein Auge, das er keinen Augenblick von dem Antlitz Alapaha's gewandt hatte, hing immer noch an den theuren Zügen, und erst als ihm der Freund mit leisem Finger die Schulter berührte, starrte er, wie aus tiefen Traum erwachend, empor.

»Komm, Assowaum!« sagte Brown jetzt, indem er ihm freundlich die Hand entgegenhielt, »sei ein Mann – schüttle den Gram ab, der Dich zu verzehren droht, und laß uns an's Werk gehen, zuerst Dein Weib beerdigen, und dann sie – rächen!«

Der Indianer hatte theilnahmslos den Worten des weißen Mannes gelauscht, bis das letzte sein Ohr berührte.

»Sie rächen!« rief er, indem er mit leuchtenden Augen emporsprang – »ja – sie rächen – komm, mein Bruder – der Anblick dieser Leiche entmannt mich – komm!« Damit nahm er den kleinen Tomahawk seines Weibes und steckte ihn in den Gürtel, half dann aber den beiden Männern mit festen Schritten die Leiche in das schwankende Boot zu tragen, das an seinem Rebenanker auf den durch die überschwemmten Bäume gebrochenen Wellen schaukelte.

Wilson bot ihm nun einige für ihn mitgebrachte Erfrischungen an – er wies aber Alles zurück, nahm schweigend seinen gewöhnlichen Platz im Canoe ein und steuerte dieses, das, von den kräftigen Armen der beiden Männer gerudert, mit Blitzesschnelle über die kochende Fluth dahinschoß, sicher und ruhig stromab der zu Wasser etwa zehn Meilen entfernten Wohnung Harper's zu.

[] 17.
Das Begräbniß der Indianerin.

Harper's Blockhaus stand kaum hundert Schritt vom Ufer des Fourche la fave entfernt, im Schatten von jungen schlanken Hickory- und Maulbeerbäumen; die beiden Männer aber hatten erst seit Kurzem begonnen, das Land in der Nähe des Hauses urbar zu machen, und noch lagen toll und wild auf der Nordseite des Gebäudes die gefällten und theils abgehauenen, theils noch unberührten Stämme durcheinander. Am Hause selbst schienen dagegen viele, und bei den gewöhnlichen Farmern sogar selten gefundene Bequemlichkeiten getroffen. Ein kleines Fenster war nicht allein ausgehauen, sondern auch mit wirklichen Glasscheiben versehen, ein Brunnen trotz der Nähe des Flusses gegraben, um frisches, gesundes Trinkwasser zu erhalten, und eine wohlgefüllte »Corncrip«, wie der Aufbewahrungsort das Mais genannt wird, verrieth, daß die Männer, wenn sie auch noch selbst kein Getreide gezogen, doch keineswegs Mangel daran litten und sich wohl versorgt hatten. Hühner und Enten, ja selbst ein Volk stolzer Truthühner umgab scharrend und gluckend die Thür und schien sehnsüchtig auf Futter zu harren, während zwei braune kräftige Pferde, augenscheinlich im Norden erzogen, an dem leeren Trog standen und sich mit den Nasen daran scheuerten, als ob sie ungeduldig und unzufrieden wären, die gewöhnliche Anzahl Maiskolben nicht an ihrer gewöhnlichen Stelle vorzufinden.

Auf dem freien Platze vor der Wohnung war aber jetzt die Gesellschaft der am vorigen Abend bei Mullins versammelten Männer eingetroffen, und Roberts besonders fiel die stille, unheimliche Einsamkeit des Platzes auf. Schnell ritt er zur offenen Thür des Hauses, sprang vom Pferde, trat ein und fand hier wirklich seine schlimmsten Befürchtungen [] bestätigt. Auf hartem, rauhen Lager, die Decken in heißer Fiebergluth von sich gestoßen, lag der sonst so heitere, fröhliche alte Mann, der sich fast keinem Hause in der Nachbarschaft nähern konnte, ohne mit herzlichem Händedruck und freundlichem Lächeln begrüßt zu werden, allein und hülflos, mit nicht einer Seele zu seinen Diensten, die ihm nur einen Becher Wasser hätte reichen können, um die brennenden Lippen zu kühlen.

Roberts und Bahrens traten erschüttert zum Bette des Leidenden und ergriffen seine Hand, er kannte sie aber schon nicht mehr und phantasirte in wilden, ungeregelten Bildern von Jagden und Märschen, von seinem Bruder, der die Braut eines Andern liebe, und von seinem Neffen, der den Gegner erschlagen habe, und nun mit dem Blute desselben bedeckt vor ihm erschienen sei. In diesem Augenblick trat Rowson, der seine ganze Festigkeit und Ruhe wieder erlangt hatte, in das niedere Gemach und zu dem Bette des Kranken, der sich bei seinem Anblick aufrichtete und ausrief:

»Fort – fort – wasche Deine Hände – sie starren von Blut – wische den Stahl ab, er könnte Dich verrathen – ha – Deine Kugel trifft sicher, welch ein Loch sie reißt – die Wunde wird schwer zu heilen sein – gerade durch's Hirn.«

Rowson erbleichte und trat schaudernd einen Schritt zurück, Roberts aber, ohne den Blick von dem Antlitz des Kranken zu wenden, sagte leise: »Er träumt von seinem Neffen – er hält ihn für schuldig und fürchtet für sein Leben.«

»Wilde Phantasien,« flüsterte leise der Priester, indem er sich schnell gesammelt zu dem Kranken niederbeugte.

»Mister Harper!« rief er diesem dann freundlich zu, indem er seine kalten Finger auf dessen brennende Stirn legte, – »kommt zu Euch – Freunde sind in Eurer Nähe –« Aber noch hatte er die Rede nicht ganz vollendet, als der Leidende mit einem Schmerzensschrei vom Lager emporfuhr.

»Wasser! Wasser!« schrie er, »der böse Feind streckt seine Krallen nach mir aus. – Ich war es nicht, der ihn erschlug, nein, der – nein – ja – ich war es doch – ich bin's [] gewesen – nimm – mich – ich – führte – den – Streich,« flüsterte er dann leise und brach bewußtlos auf dem Lager zusammen.

»Er ist recht krank,« sagte Bahrens mitleidig, »bleibt ein wenig bei ihm, und ich will ihm einen Trunk Wasser holen, seinen Fieberdurst zu löschen. Das Viehzeug draußen muß auch gefüttert werden, ich kann's nicht mit ansehen, daß das Alles hier so hungrig und herrenlos umherläuft.«

Ohne weitere Worte machte sich Bahrens augenblicklich daran, das Gesagte auszuführen, und ehe noch die Männer an der Landung mit ihrer traurigen Fracht anlegten, hatte er, von Roberts unterstützt, des Kranken Schläfe durch kalte Umschläge gekühlt, sein Lager besser in Stand gesetzt, einen erfrischenden Trunk für ihn bereitet, das Vieh versorgt, das Haus ausgekehrt und aufgeräumt und Alles wieder ein wenig wohnlicher und menschlicher hergerichtet. Rowson saß indessen neben Roberts am Bett des Kranken und reichte ihm, was er begehrte, bis er endlich, nach mehrstündigen wilden Fieberträumen, in einen mehr durch Erschöpfung als geistige Ruhe herbeigeführten Schlummer fiel.

Kurz darauf landete auch das Canoe, und Brown und Wilson trugen, von dem Indianer gefolgt, die Leiche die Uferbank hinauf und legten sie an dem moosigen Fuße einer gewaltigen Eiche nieder.

»Wo sollen wir das Grab graben?« frug Mullins jetzt, zu Brown hinantretend. Der Indianer aber ergriff schweigend die Hand des Mannes und führte ihn, etwa hundert Schritt von Brown's Wohnung entfernt und dicht neben seinem eigenen, aus breiten Rindenstücken und ungegerbten Fellen errichteten Wigwam, zu einem alten indianischen Grabhügel, wie sie sich in großer Anzahl in Arkansas finden, und sagte:

»Laßt die Blume der Prairien bei den Kindern der Natchez ruhen. Haß und Zwietracht entzündete in alten Zeiten die Herzen der Lenni Lenapes gegen ihre rothen Brüder im Süden. Der große Gott hat sie dafür gestraft – ihre Asche ruhe friedlich bei einander.«

Die Männer warfen nun mit regem Eifer an der beschriebenen [] Stelle die Erde aus, bis sie die Grube für hinlänglich tief hielten, und wollten dann die Leiche in den in voriger Nacht rauh zusammengezimmerten und hierher geschafften Sarg legen. Hieran verhinderte sie aber noch der Indianer, der aus seinem Wigwam eine Anzahl fein gegerbter Felle herausholte, den Körper seines Weibes mit diesenumhüllte und dann mit Hülfe Brown's, den Bahrens aus dem Zimmer getrieben hatte, damit er seiner Onkel nicht wieder in dem kurzen stärkenden Schlummer störe, die junge Gattin hinein in ihr letztes, stilles Haus legte.

Mullins nahte sich jetzt, einen Hammer und Nägel in der Hand, um den Deckel zu bestigen. Doch auch diesem wahrte der Wilde und umschlang den Sarg mit seinem ledernen Fangriemen, den er aber wieder ablöste, als die Erde ihr rothes Kind aufgenommen.

Rowson trat hierauf an die offene Gruft, und Assowaum machte schon eine Bewegung, als ob er die christliche Feier des weißen Mannes zurückweisen wolle, da fiel sein Blick auf das Kreuz, das jener in der Hand trug und zu dem die Todte mit solcher Ehrfurcht gebetet hatte. Er barg das Antlitz in den Händen, kniete neben dem Grabe nieder, und jetzt zum ersten Mal brach sich der lange verhaltene, bis zu diesem Augenblick männlich bezwungene Schmerz Bahn. Seine Brust hob sich convulsivisch, und die Thränen drägten sich in großen krystallhellen Tropfen zwischen den dunkeln Fingern hindurch und träufelten in die aufgeworfene Erde nieder, die in wenigen Minuten das Wesen bedecken sollte, um das er Stamm und Freunde, Heimath und Eltern verlassen hatte und ein einsamer Wanderer unter dem fremden Volke geworden war.

Indessen begann der Methodistenpriester mit leiser, zitternder Stimme seine Leichenrede über der Asche der von seiner eigenen Hand schändlich Gemordeten. Er pries ihre Tugend und Frömmigkeit; er lobte ihren Eifer, mit dem sie dem wahren Gott angehangen und an ihn geglaubt habe; er rühmte ihren Fleiß und ihre Liebe zu ihrem Gatten und Häuptling und erflehte dann vom Himmel, zu dem er es nicht wagte die scheuen, verbrecherischen Blicke zu erheben, »Gnade für die [] Verstorbene und – Vergebung für die Hand, die, vielleicht im Zorne, unschuldiges Blut vergossen«. –

Er hatte sein Gebet aber noch nicht beendet, als ein eigenes wildes Feuer den Indianer zu durchzucken schien. Langsam nahm er die Hände von den Auge, und wie sein fester, durchdringender Blick dem des Priesters begegnete, und dieser vor dem dunkelglühenden Augen des Kriegers heimlich erschaudernd schwieg, richtete sich der Häuptling stolz empor, erfaßte mit der Rechten den Tomahawk seines Weißes, den er noch im Gürtel trug, und die Linke gegen den Methodisten ausstreckend, sprach er mit lauter, klangvoller Stimme:

»Alapaha ist todt – ihr Geist ist zu den seligen Gefilden des weißen Mannes gegangen, ihr Herz hatte sich von dem großen Geist gewandt, dessen Rache sie jetzt erreicht hat; aber weswegen bittet der blasse Mann bei seinem Gott um Gnade für das Weib, das Alles vergaß, um nur ihm anzugehören? – das dem Glauben ihres Stammes entsagte und zu dem weißen Gott betete? Sie bedarf keiner Gnade! Du hast mir oft gesagt, Dein Gott sei gerecht, und Assowaum's Weib soll nicht einmal von einem Gott Gnade zu erbitten haben, wo es Gerechtigkeit verlangen kann. Ist Dein Gott gerecht, so muß er die Unglückliche belohnen, die seinethalben das vergaß, was ihr sonst lieb und heilig war.«

Rowson wollte ihn unterbrechen, doch hielt ihn wiederum der fest auf ihm ruhende Blick des Wilden zurück, der mit immer lauterer und kräftiger tönender Stimme fortfuhr:

»Deine Lippen flehen aber auch um Vergebung für den Mörder. Er tauchte seine giftige Hand in das reine Herzblut der Blume der Prairien; wer ist hier, der sie nicht kannte und – nicht liebte? Nein! Keine Vergebung – Fluch treffe den Mörder, Assowaum wird ihn finden, sein Leben hat fortan nur den einen Zweck: den Mörder zu strafen. Mag ihn nachher weiße oder rothe Erde decken, der große Geist wird ihn mit offenen Armen und lächelndem Antlitz empfangen.«

Rowson, der nur mit gewaltiger Kraftanstrengung sich bezwungen hatte, den finstern, drohenden Blick des Kriegers auszuhalten, [] hob jetzt schweigend, wie in stillem Gebet versunken, die Hände und sagte nach langer andächtiger Pause:

»Vergieb ihm, Herr, vergieb dem Unglücklichen, der, von bitterem Schmerz übermannt, Worte des Zornes und Hasses aussprach, wie sie nicht wohlgefällig vor Deinem Angesichte sind. Vergib ihm, Herr – vergieb uns Allen, die wir hier über eine That entrüstet stehen, welche ja ebenfalls durch Deine unerforschliche Weisheit verhängt wurde. – Vergieb uns, die wir vielleicht ebenfalls Gedanken des Zornes und der Rache hegen, und erleuchte uns mit Deinem Lichte, auf daß wir erkennen, wie nur in Deiner Gnade, in Deinem Frieden das Heil liegt, das uns zu guten und gottesfürchtigen Menschen macht, und uns stärkt, das Auge zu Dir, Du Allmächtiger, reinen Herzens emporheben zu können. Amen!«

»Amen!« hauchten die Umstehenden nach, nur Assowaum blieb in finsterem Schweigen, die Rechte noch immer am Tomahawk, stehen, bis jetzt der Sarg von den Männern erfaßt und langsam in die enge Gruft hinabgehoben wurde. Da brach auch sein Stolz, er sank mit vor das Antlitz gepreßten Händen am Grabe nieder, und als er sich wieder erhob, war der kleine Hügel gewölbt, und Rowson pflanzte das schwarze Kreuz zu Häupten desselben oben darauf.

Die Feierlichkeit war beendet und die Nachbarn verfügten sich zurück, in ihre Wohnungen, nur Bahrens und Wilson blieben mit Brown in der kleinen Hütte des Freundes, um ihn in seiner Krankheit, so viel es in ihren Kräften stand, zu pflegen; Brown aber trat noch, ehe sich Rowson entfernt hatte, zu diesem, dankte ihm für seine freundliche Bemühung, den Leib unglücklichen Weibes beerdigen zu helfen, da er doch selbst krank und angegriffen sei, und bat ihn, sein Haus, im Fall er nicht augenblicklich wieder zurück wolle, ganz als das seine zu betrachten. Doch Rowson wies das Anerbieten freundlich zurück, da er zu seiner kurz bevorstehende veränderte Lebensweise so viele Vorbereitungen treffen müsse, daß an ein müßiges Vergeuden ganzer Tage nicht mehr zu denken sei, und schied mit dem friedlichen Segensgruß auf den Lippen und tiefer Demuth und Frömmigkeit im Blick von [] dem jungen Mann, der ihm noch lange, in finsteres Brüten versunken, nachschaute. – Das war der Mann, der ihm sein ganzes irdisches Glück geraubt, oder ihm doch unmöglich gemacht hatte, es je zu erreichen. Das war der Mann, dem die Geliebte Herz und Hand geopfert, dem sie angehören mußte, von nun an bis zu der Zeit, wo der Tod mit seinem eisernen Griff die Bande trennen würde, die, von Gott selbst geknüpft, für das Leben unzerreißbar sein sollten.

»Lebe wohl,« hauchte er leise – »lebe wohl, du schöner Traum, den ich einst in wilden Jugendphantasien geträumt – lebe wohl, du Bild häuslicher Glückseligkeit, das ich mit Tantalusqualen mich umgeben sehe, und das den lechzenden Lippen doch ewig entzogen bleibt. – Lebe wohl, Du holdes, reines Wesen, und Gott lindere Deinen Schmerz; Vergiß den Unglücklichen, dessen böses Geschick ihn in Deinen Weg warf, um Deinen – seinen Frieden zu untergraben. – Lebe wohl!«

»Lebewohl,« flüsterte Assowaum, der an seine Seite getreten war und das letzte Wort gehört hatte – »Lebewohl – ein wunderbares Wort, einer Todten nachzurufen!«

»Einer Todten?« frug entsetzt auffahrend Brown.

»Sprachst Du nicht mit Alapaha?«

»Ich sprach mit einer Todten,« hauchte Brown, sein Antlitz in den Händen verbergend – »sie ist todt – todt – todt!«

»Todt!« stöhnte Assowaum in dumpfem Echo nach – »gemordet – doch den Mörder muß ich finden. – Der Geistervogel soll mir in nächtlichen Träumen den Namen in's Ohr flüstern; neben dem Grabe will ich lagern, bis ich seine Stimme gehört. – Wird mein weißer Bruder mir beistehen, um der Todten willen? Wird er dem Arm des Freundes seine Sehnen leihen, ehe er in ein anderes Land geht, um für die Freiheit eines fremden Volkes zu kämpfen?«

Brown reichte ihm schweigend die Hand und schritt dann langsam zu dem Bett seines kranken Oheims zurück, während der Indianer, für den Augenblick seinen Schmerz bezwingend, mit regem Fleiß daran ging, aus starken Rindenstücken ein [] Dach über dem Grabe zu erbauern, um den Regen davon abzuhalten. Schon neigte sich die Sonne wieder ihrem Untergange, als er die letzte Wohnung seines Weibes beendet hatte und nun am obern Theile derselben, da wo der Kopf der Leiche ruhte, eine kleine Oeffnung mit dem Tomahawk hineinhieb.

Brown litt es indeß nicht lange am Bett des Kranken, dem er für den Augenblick doch nichts weiter nützen konnte, und er kehrte zu Assowaum zurück, ihm etwas Trank und Speise zu bereiten. Als er zu ihm trat, war der Indianer gerade damit beschäftigt, die Oeffnung in das Dach zu hauen.

»Und Du zerschlägst das wieder, was Du errichtet?« frug ihn Brown.

»Ich zerstöre es nicht,« sagte der Wilde – »aber die Seele muß einen Ausgang haben, daß sie den Körper verlassen und zu ihm zurückkehren kann.«

»Die Seele kehrt nicht zurück, armer Freund,« entgegnete ihm traurig der junge Mann – »sie ist dort hinauf gegangen, wo die Seligen wohnen. – Sie wird die Erde nicht vermissen.«

»Es giebt zwei Seelen,« flüsterte leise der Indianer, »zwei Seelen giebt es,« wiederholte er eifriger, als er sah, daß der Weiße ungläubig mit dem Kopfe schüttelte. »Fliegt Assowaum's Seele nicht im Traume zu den Jagdgründen seines Stammes zurück? sieht sie nicht dort den Wigwam, vor dessen Eingang er seine frühsten Kinderspiele spielte? folgt sie nicht dort in dunkler Schlucht dem Elenthier, das schnaubend und prasselnd sich Bahn bricht durch den dichtverwachsenen Wald? Sieht sie nicht dort den Vater, wie er mit starker Hand dem schwachen Knaben hilft den Bogen spannen? Ja – sie ist weit – weit hinweg, in fernen Landen, und dennoch lebt Assowaum – er liegt auf seinem Lager und athmet. Könnte er athmen, wenn er nur eine Seele hötte und diese im Lande seines Stammes weilte, während er solbst zwischen den Hütten der Weißen am ›rauschenden Wasser‹ Arkansas. lebt? Nein – der rothe Mann hat zwei Seelen.«

[] Als die Nacht anbrach, nahm Assowaum die Speisen, die ihm Brown gebracht, stellte sie neben die Oeffnung, zu Häupten des Grabes und zündete dann ein kleines Feuer vor demselben an, das er auch sorgfältig unterhielt, während er, als sich dichtere und dichtere Finsterniß auf die schlummernde Erde lagerte, mit leiser, klagender Stimme den eintönigen, schaurigen Todtengesang seines Volkes sang:

»Wo ach – wo achWeilst Du, Liebchen? Sieh, es blühenHier im ThaleAlle Blumen, alle – Du nur fehlest.Wo ach – wo achTönt die Stimme, die ich liebte?Horch, es schallenTausend Stimmen, tausend – Du nur fehlest.

Droben – drobenIn dem Wipfel jener EicheSitzt der Vogel,Und er singt des Geisterrufes Klage.Droben – drobenIst Dein Geist, oh werd' ich nimmerHier im ThaleDeine lieben Laute wieder hören?

Unten – unten –Fest am Boden lieg' ich lauschendHier im Thale,Und ich höre Deine Stimm' im Grabe.Unten – untenDeine leisen – leisen Klagen,Und sie rufenMahnend auf zur Rache. – Lieb', ich folge!«

[] 18.
Roberts' Abenteuer auf der Pantherjagd. – Die Wasserpartie.

Zwei volle Wochen waren seit den in den vorigen Capiteln beschriebenen Scenen verflossen, alle Nachforschungen aber, die schuldigen Verbrecher aufzuspüren, fruchtlos geblieben, und vergebens hatte Brown, dessen Onkel sich in letzter Zeit wieder ziemlich erholt, mit unermüdlichem Eifer geforscht und gearbeitet, um eine Spur der Mörder zu finden.

Assowaum selbst konnte mehrere Tage nach der Beerdigung seines Weibes durch nichts bewogen werden, ihr Grab zu verlassen. Dann aber war er plötzlich verschwunden, und selbst Brown wußte nicht, wohin er sich gewendet.

Die Ansiedler wurden aber durch diese erfolglosen Anstrengungen keineswegs entmuthigt und sahen darin nur einen so viel sprechenderen Beweis, wie nöthig es wäre, daß sie sich selbst zum Schutz ihrer Rechte verbänden, da auch in diesem Falle die Gerichte nicht das Mindeste hatten ergründen können, und der Mörder, für jetzt wenigstens, sicher und unentdeckt zu bleiben schien. Dadurch von der Nothwendigkeit eines ernsten Schrittes überzeugt, war der größte Theil der Farmer jener Verbindung, die sich die »Regulatoren« nannte, beigetreten, und eine Hauptversammlung, die sehr zahlreich zu werden versprach, festgesetzt worden. Dort sollten ernstere Schritte verabredet werden, um besonders Verdächtige, die sich in ihrer Nachbarschaft aufhielten, denen aber kein wirklich begangenes Verbrechen bewiesen werden konnte, vor ihr Gericht zu fordern. Möglicher Weise wollten sie hieran den Faden knüpfen, der sie auf die Spur der Schuldigen, wenn auch nur im Anfang auf die der Pferdediebe, brächte, und unter denen hofften sie dann, und nicht mit Unrecht, die Mörder der beiden Erschlagenen zu entdecken. –

[] Freundlich lag der warme Sonnenschein auf dem grünen Laubdach des Waldes. – Stiller Friede herrschte in der ganzen herrlichen Natur, kein Lüftchen regte sich, aber tief, tief unten im finstern Dickicht drinnen, da, wo der Fourche la fave seine Fluth durch unwegsam Rohrbrüche und von dunkelschattigen Sumpfbäumen überhangen hindrängte, tobte die Jagd und schallte das bald dumpfe Bellen, bald helle Kläffen der Rüden hervor.

»Joho – joho – ihr Hunde – Huh – pih!« schrie Roberts, als er auf schäumendem Roß über einen breiten sumpfigen Fleck dahinbrauste und das vor fröhlichem Jagdeifer schon überdies erhitzte Thier immer noch mehr durch lauten Ruf und kräftigen Hackenstoß anfeuerte, daß es wild hinten aushieb und vorsprang in ein Gewirr dicht verwachsener Weinreben. Die Meute war voraus, und zerstreut hetzten die Jäger einzeln, wie ihre Pferde sie gerade getragen, oder die Bahn, den sie zufällig gefolgt, es erlaubt hatte, hinterdrein, jeder mit gellendem Jagdgschrei die Hunde ermuthigend, sobald er nur hoffen durfte, von ihnen gehört zu werden.

»Huhpih!« schrie Roberts noch einmal, indem er, mit der Büchse in der Linken, die Rechte mit dem schweren Jagdmesser bewaffnet, um im Nothfalle Schlingpflanzen und Reben zu zerhauen, eine gewaltige umgestürzte Cypresse überflog und mit gleicher Zeit mit kräftigem Hiebe eine seilartig verwachsene Gründornliane von einander trennte, die seinen Fortgang aufzuhalten drohte. Dadurch hatte er aber eine andere, wenn auch schwächere, doch deshalb nicht minder zähe Weinrebe übersehen, und ehe er noch zu neuem Schlage ausholen oder dem wild dahinstürmende Pony in die Zügel fallen konnte, schlüpfte dieses dicht darunter hin, und im nächsten Augenblicke lag Roberts mit Büchse und Messer neben dem Stamme, den er eben erst mit so kühnem Satze übersprungen.

»Pest!« murmelte er, als er sich aus dem zähen Schlamme, in den er gerade mit den Schultern gefallen war, vorarbeiten mußte – »Pony, hier! – kob – kob – Pony! – der Teufel hole die Bestie, ich glaube, die will auf eigene Hand [] jagen!« – Er hatte nicht Unrecht; das kluge Thier, das Roberts auf allen Jagden geritten, nahm viel zu großen Antheil an der Hetze selbst, als daß es jetzt hätte auf seinen Herrn warten und dadurch die schöne Zeit versäumen sollen. Wie ein losgelassener Sturmwind folgte es daher, des schweren Reiters bar, der Meute und war in wenigen Secunden weder zu hören noch zu sehen.

»'s ist wahrhaftig fort!« sagte der alte Jäger brummend, als er mehrere Minuten lang aufmerksam umhergeschaut und gehorcht hatte – »nicht die Spurr mehr zu merken – jetzt sitz' ich schön auf dem Trockenen. – So wollte ich denn doch – daß die – aber halt, die Jagd dreht sich nach den Hügeln herum; da wär' es gar nichts Unmögliches, daß sich der Panther, wenn er nicht dem Petite-Jeanne zu flieht, noch einmal hier herunter in die Niederung wendet, und dann ist sein Lieblingsplatz der Rohrbruch da drüben über dem Fluß. Wart', mein Bursche, vielleicht bin ich dennoch, trotz meiner alten Knochen, bei der Ernte. – Nur Geduld – ich habe mich schon in schlimmeren Lagen befunden.« Roberts' Gedanken führten ihn jetzt augenscheinlich wieder zu dem Revolutionskrieg zurück, denn er lächelte sehr selbstzufrieden in sich hinein und schritt, da er während des vorigen Selbstgesprächs seine Büchse von dem Schlamme gereinigt und frisches Pulver aufgeschüttet, wie sein Messer wieder in die Scheide gesteckt hatte, dem nahen Flusse zu.

Hier jedoch bot sich dem aus dem Sattel Gehobenen eine neue Schwierigkeit: das Hinüberkommen nämlich und vergebens hatte er schon eine Strecke hinauf und hinab gesucht, ob er nicht irgendwo eine seichte Stelle finden und benutzen könnte. Da sah er dicht am steilen Ufer einen angefaulten Baumstamm, an dem ein Bär ganz frisch gearbeitet und mehrere Stücken heruntergerissen zu haben schien. Leider befanden sich aber die Hunde jetzt auf einer warmen Pantherfährte, und von der sie abzulenken, wäre unmöglich gewesen, hätte Roberts auch nur je einem solche Gedanken Raum gegeben. Daran aber dachte er wahrlich nicht. Ein Panther hatte erst vor wenigen Tagen eins seiner Füllen und die nächste [] Nacht ein großes, auswachsenes Arbeitspferd zerrissen, dem er von einem Baume aus auf den Hals gesprungen war – diesen unschädlich zu machen, war jedenfalls das Wichtigste, was sie vornehmen konnte.

Der alte Jäger wußte aber auch, wie ungern der Panther, wenn er wirklich seinen kaum verlassenen Schlupfwinkel wieder aufsuchte, den Fluß zum zweiten Mal durchschwimmen würde. Um so nöthiger wurde es daher, schnell an's andere Ufer zu kommen. Ueberdies tönte das Geheul der Meute wieder deutlicher herüber, und die Jagd konnte sich jeden Augen blick nach dieser Richtung drehen. Roberts wälzte und hob also das vorerwähnte Stück faulen Holzes dem steilen Uferrande zu, warf es hinab und stieg dann selbst, sich an Rohrwurzeln und Schif anhaltend, zum Wasser nieder, legte seine Büchse auf das Holz und wollte eben seinen Uebergang beginnen, als er ganz nahe das Gebell und Gekläff der Hunde hörte. Diese eilten, was sich ganz deutlich unterscheiden ließ, dem Flusse wieder zu und brachen plötzlich in ein solch' wildes, rasendes Geheul aus, daß Roberts nichts Anderes glauben konnte, als der Panther sei aufgebäunt und dadurch für den Augenblick den Zähnen seiner Verfolger antgangen.

Jetzt war aber auch keine Zeit mehr zu verlieren. Schnell stieß er das Holz in den Strom und hatte eben das tiefere Wasser und etwa die Mitte des Flusses erreicht, als am gegenüberliegenden Ufer die Büsche raschelten, das dürre Rohr brach und fast zu gleicher Zeit eine dunkle Gestalt am äußersten Rande der Uferbank erschien und sich mit Gedankenschnelle hineinwarf in die über ihr zusammenschlagende Fluth.

Es war der Panther, und so dicht neben dem Jäger sank er nieder, daß dieser durch das aufspritzende Wasser überschüttet wurde. Die kleinen erregten Wellen schaukelten sein rohes Floß, während der Kopf des Raubthieres wieder emportauchte und dem andern Ufer zustrebte. Jetzt hatte aber auch Roberts seine ganze Ruhe und Geistesgegenwart wieder gewonnen, die ihn im ersten Augenblick wirklich durch die unvorhergesehene Ueberraschung verlassen. Das Schloß seiner Büchse war glücklicher Weise trocken geblieben, schnell zog er den [] Hahn auf, und mit dem linken Arm auf dem Holze ruhend, während er mit den Füßen langsam austrat, zielte er in dieser keineswegs bequemen Lage auf den Panther, der jetzt eben glatt und triefend dem Wasser entstieg. Dieser zuckte, von der Kugel getroffen, hoch auf und glitt in den Strom zurück und Roberts wollte schon ein Triumphgeschrei ausstoßen, versah aber das Gleichgewicht des Flosses ein wenig und verschwand mit Büchse und Pulverhorn in dem nämlichen Augenblick in der trüben Fluth, als sich das verwundete Thier wieder aufraffte und mit flüchtigen Sätzen den steilen Abhang hinanfloh.

Als Roberts gleich darauf sprudelnd und plätschernd wieder an die Oberfläche kam, erreichten die Hunde, die vorher auf der verlorenen Fährte geheult hatten, gerade den Platz, von welchem der Panther abgesprungen. So wenig sie aber sonst geneigt gewesen wären, das Wasser schnell anzunehmen, so bereitwillig folgten sie jetzt ihrem gewandten Vorgänger, als sie die dunkle Gestalt in dem Flusse bemerkten, die sie in dem Augenblick für den verfolgten Feind hielten. Roberts' Lage gehörte in diesem Augenblick keineswegs zu den beneidenswerthen, denn hätten ihn die vor Eifer winselnden Rüden, die mit aller Gewalt dem vermeintlichen Feinde zustrebten, noch im tiefen Wasser erreicht, so würde sich die Masse auf ihn gedrängt und ihn erstickt haben, ehe er im Stande gewesen wäre, sie von ihrem Irrthum zu überzeugen. So aber bemerkte er noch glücklicher Weise die Gefahr, in der er schwebte, zeitig genug, schwamm, in der Linken immer noch fest und sicher die schwere Büchse haltend, dem Ufer zu und hatte kaum einen Ort erreicht, auf welchem er Grund fühlen konnte, als die Hunde ihn auch umgaben und Poppy selbst an ihn hinanfuhr. Er aber hob sich schnell in die Höhe, stieß die nächsten mit dem Kolben von sich und schrie die erschrocken zu ihm auffahrenden mit wilder Stimme an:

»Zurück, ihr Bestien – ihr verdammten Köter ihr – zurück – du, Poppy, du nichtsnutzige Canaille – willst du deinen eigenen Herrn anbeißen? Zurück da, ihr Schlingel – [] nehmt die rechte Fährte und geht zum Teufel – du, Poppy!« Der letzte Ausruf galt aber wieder, obgleich unschuldiger Weise, dem eigenen Hund, der seinen Herrn jetzt erkannte und freudig zu ihm hinanschwimmen wollte. Roberts jedoch, der dem Frieden nicht so recht traute, that abwehrend einen Schritt zurück, trat in ein etwas tieferes Loch und verschwand noch einmal, und zwar in demselben Augenblicke unter Wasser, als Bahrens am Ufer erschien. Schnell riß er dabei die Büchse hinauf, dem Panther eins aufzubrennen, denn auch er glaubte nicht anders, als daß er es mit dem verfolgten Raubthiere zu thun habe. Diesmal waren es jedoch die Hunde, die den Jäger vor der Kugel des Gefährten schützten, denn um nicht etwa einen von diesen zu treffen, hielt Jener noch sein Blei zurück und erkannte bald darauf zu seinem nicht geringen Erstaunen den Freund. Dieser ahnte die neue Gefahr aber nicht einmal, sprudelte nur, sobald er wieder festen Boden erreicht hatte, das verschluckte Wasser aus und brachte dann die Hunde fluchend auf die Fährte des Angeschossenen. Die Meute witterte indessen kaum das frische Blut, als sie mit wildem Toben dem Feinde nachstürmte und ihn nicht lange darauf und noch im Thallande stellte.

»Hallo, Roberts!« schrie Bahrens jetzt vom Ufer aus, »was zum Henker macht Ihr denn da im Fourche la fave?«

»Ich krebse!« rief dieser, noch ärgerlich über seine nichts weniger als behagliche Lage, indem er dem Wasser entstieg und an der schlüpfrigen Uferbank hinaufkletterte. Sein Spott sollte aber zur Wahrheit werden, denn zweimal noch, ehe er die sichere Höhe erreichen konnte, glitt er aus und kam viel schneller, als er sich hinaufgearbeitet hatte, wieder zurück, jedesmal zum Ergötzen seines sich vor Lachen die Seiten haltenden Freundes. Endlich siegte jedoch seine Beharrlichkeit, er ergriff, oben angelangt, einen jungen Stamm, schwang sich hinauf und verschwand, ohne den Jubelnden weiter eines Blickes zu würdigen, im Dickicht.

Dieser eilte übrigens ebenfalls seinem Pferde zu, das er, als er die Hunde im Wasser hörte, eine kurze Strecke zurückgelassen [] hatte, bestieg es wieder und galoppierte nach der weiter oben sich befindenden Furth. Er kam jedoch zu spät auf dem Kampfplatz an, denn noch im Schilfbruch drin hörte er den scharfen Knall der Büchse und gleich darauf das Winseln der unter dem Baume sehnsüchtig harrenden Hunde. Noch aber ging der Panther oben, als er auf den kleinen offenen Fleck trat, auf welchen sich jetzt die ganze Jagd concentrirt hatte. Die Krallen tief in den Ast der Eiche eingeschlagen, klammerte er sich mit der letzten Spannkraft seiner Sehnen an das schützende Holz; bald aber bewies ein den freischwebenden Körper erschütterndes Zucken den Todeskampf des Schwergetroffenen. Seine Tatzen öffneten sich und zwischen die wild aufjauchzende Meute hinein stürzte er gerade auf einen der jungen Hounds, dessen Rückgrat er im Falle brach, und der dann winselnd und heulend vorzukriechen suchte unter dem schweren Körper.

Im Anfange war es übrigens kaum möglich, das arme verkrüppelte Thier zwischen den wüthend den verendeten Panther zerzausenden Hunden vorzuziehen. Endlich aber gelang es den vereinten Kräften der Männer und Cook, einer von dessen Hounds es war, und der wohl einsah, daß es für das arme Geschöpf doch keine Rettung mehr gab, hielt ihm die Mündung seiner Büchse vor die Stirn und machte mit der Kugel dem Leiden desselben ein Ende.

»Das ist nun schon der siebente Hund, den ich auf solche Art umkommen sehe,« sagte Bahrens ärgerlich, indem er seinen Kolben vor sich niederstieß, »das dumme Viehzeug ist aber nicht fortzubringen, wenn so eine Bestie oben sitzt. Ehe sie sich's versehen, kommt sie dann herunter und schlägt mit den schweren, ungeschickten Knochen ein paar zu Schanden.«

»Ein Bär, den ich im vorigen Jahre schoß,« sagte Roberts, vor Frost mit den Zähnen klappernd, »schlug auf diese Art zwei todt und brach einem dritten den linken Hinterlauf. Ich mußte ihn auch abstechen.«

»Hallo, Roberts,« lachte Bahrens, »Ihr seht liebenswürdig aus, wir wollen lieber ein Feuer anmachen. Doch, Cook, wo kommt Ihr denn her? Ich habe Euch ja seit vierzehn [] Tagen, wo Ihr damals die nutzlose Hetze hinter den falschen Pferden her machtet, nicht wieder gesehen. Habt Ihr die Bestie geschossen?«

»Ja,« erwiderte Cook, der eben seine Büchse wie der auswischte und lud, »ich war bei Harper drüben und hörte die Hunde so in der Nähe, daß es mir nicht möglich war, ruhig im Hause sitzen zu bleiben.«

»Wir sind wohl ganz in der Nähe von Harper's Haus?« frug Roberts – »die Gegend hier kommt mir wenigstens bekannt vor. Nicht wahr, es liegt gleich da drüben, hinter jenen Cypressen?«

»Kaum fünfhundert Schritt von hier,« erwiderte ihm Cook; »wir gehen am besten gleich zum Hause, dort kann sich Mr. Roberts trocknen und da ist's auch noch immer Zeit, das Bestie abzustreifen.«

»Ich wollte, ich wüßte, wo mein Pferd wäre,« meinte Roberts besorgt, »wenn das nur nicht irgendwo mit dem Zügel im Busche hängen bleibt. Ich habe ihm zwar einen Knoten hineingemacht, und er kann nicht sehr weit herunterhängen, es ist aber doch möglich.«

»Habt keine Sorge,« sagte Bahrens, »da kommt Mullins und bringt es mit sich. – Wo war das Pferd, Mullins?«

»Es stand dort, wo der Panther wahrscheinlich zum ersten Mal durch den Fluß setzte, und weidete, der Ufer mochte ihm zu steil gewesen sein,« rief Mullins, der in diesem Augenblick mit dem vermißten Thiere herbeikam; »aber hallo, das ist ein starker Bursche. Von dem wundert's mich nicht, daß er das große Pferd umwerfen konnte.«

Es war auch allerdings ein außerordentlich starker Panther, dem sie von Tagesanbruch an nachgehetzt, ehe sie ihn zum Aufbäumen bringen konnten. Wahrscheinlich hätte er sich auchjetzt noch nicht ohne Roberts' Kugel gestellt, die ihn geschmerzt und geschwächt. Er sollte nun auf Cook's Pferd gehoben werden; obgleich Cook aber versicherte, daß dies schon mehr als zehn Bären, und ohne das mindeste Zeichen von Furcht zu verrathen, getragen habe, so war es doch unter keiner Bedingung zu bewegen, den todten Panther auch nur auf fünf [] Schritt an sich hinan zu lassen. Vergebens wischten sie ihm den Schweiß des Erlegten an das Maul – es war nicht der Schweiß, vor dem es sich scheute, es war die scharfe, ihm fürchterliche Witterung und die Männer mußten sich zuletzt dazu verstehen, den Panther an Ort und Stelle abzustreifen und die Haut allein mitzunehmen. Aber selbst diese brachten sie nur mit genauer Noth auf den Rücken eines der Pferde, das fortwährend scheu den Kopf zurückwarf und durch alle nur erdenklichen Seitensprünge der ihm unangenehmen Last sich zu entziehen suchte.

Bald erreichten sie jedoch Harper's Wohnung, befestigten dort ihre Thiere an den diese umgebenden Büschen und traten ein.

19.
Harper's Wohnung. – Cook's Bericht über die Verfolgung der Pferdediebe. – Harper's und Bahrens' wunderbare Erzählungen.

Dort sah es freilich noch immer nicht so freundlich und wohnlich wieder aus, als damals, da Harper noch kräftig und stets in guter Laune die kleine Junggesellenwirthschaft führte. Zwar hatte er sich in der letzten Woche wieder ziemlich von seiner Krankheit erholt, die Schwäche aber, die stets eine unvermeidliche Folge des Fiebers bleibt, war noch aus allen seinen Bewegungen leicht zu erkennen, ja sogar das sonst so lebensfrohe, gesundkräftige und rothe Antlitz hatte eine recht häßliche Aschfarbe angenommen und die Backenknochen ragten daraus hervor, als ob sie sich, über solche Veränderungen verwundert, im übrigen Gesicht umschauen wollten.

[] Die Nachbarn verließen ihn aber in der Zeit der Noth nicht; Jeder war ihm gut und abwechselnd waren sie mit Brown an seinem Bette, so lange er noch darnieder liegen mußte, und brachten oft Tage damit zu, ihn zu zerstreuen und aufzuheitern.

Bahrens besonders hatte eine eigene Zuneigung zu ihm gefaßt und war ein häufiger und gerngesehener Gast in der Hütte der beiden Männer geworden.

Auf dem rauh aufgeschlagenen Bettgestell, auf seiner mit spanischem Moos gestopften Matratze lehnte Harper, und seine Augen, wenn auch noch immer nicht in dem alten Feuer erglühend, glänzten beim Anblick der lieben Gäste fast in gewohnter Fröhlichkeit. Herzlich grüßend, streckte er den Eintretenden, besonders Roberts und Bahrens, die ebenfalls etwas abgemagerte, bleiche Hand entgegen.

»Willkommen, Ihr Alle! Willkommen, Roberts – Ihr seid mir ein schöner Patron; also wilde Bestien sind nöthig, um Euch einmal zu mir zu bringen; wahrlich nicht übel. Doch Gott segne mich, wie seht Ihr denn aus, Ihr seid ja wie aus dem Wasser gezogen. Heh, Bill, gieb doch Roberts andere Kleider, der kann ja den Tod davon haben.«

»Danke, danke,« sagte dieser, als der junge Mann ihm einen warmen, trockenen Anzug brachte und ihm beim Aus- und Ankleiden behilflich war, »danke schön; – aber, Brown – mit Euch habe ich ein besonderes Hühnchen zu pflücken; meine Alte ist schön bös auf Euch, daß Ihr Euch gar nicht mehr sehen laßt. Noch von der Panthergeschichte her, als Marion mit Euch war, wo Ihr auf so eine Bestie schosset, die auch ziemlich gut getroffen sein mußte, denn wie ich höre, hat sie Cook's ältester Junge zwei Tage darauf gefunden, das Gerippe wenigstens, und einen Theil der Haut, sonst waren die Aasgeier –«

Brown hätte ihn ruhig fortreden lassen, Cook faßte ihn aber am Arm und rief:

»Hallo da – jetzt geht die Reise wieder fort, gerade östlich, wie die Post – so – da setzt Euch zum Feuer, und Ihr, Harper, kommt ebenfalls lieber näher zum Kamin, denn [] wenn wir auch die Spalten ziemlich verstopft haben, so ist doch noch immer Luft genug, und Ihr könntet Euch wieder erkälten. Der verdammte Wind pfeift hindurch.«

»Habt Ihr wohl ein Waschbecken hier?« frug Roberts; »beim Herausklettern aus dem Fluß bin ich mit den Händen so schändlich tief in den Schlamm gefahren –«

»Ach, Cook, seid so gut und gebt ihm einmal das eiserne Aufwaschgeschirr dort – das ohne Griff – Ihr wißt ja schon!«

»Ob ich's weiß!« lachte der junge Farmer, indem er mit einem langstieligen Flaschenkürbis das Wasser aus dem vor der Thür der Hütte stehenden Eimer in das verlangte Gefäß schüttete, – »natürlich kenn' ich Euer Geschirr hier vielleicht besser jetzt, als Ihr selbst. Man bedarf auch keiner langen Zeit, um damit bekannt zu werden.«

»Kein Handtuch?« frug Roberts.

»Nun, Ihr werdet doch wohl ein Taschentuch bei Euch haben?« entgegnete Cook.

»Ja – aber es ist Alles naß geworden.«

»Ach so, na, dann nehmt mein's hier.«

»Die Jagd müßt Ihr mir erzählen!« rief Harper – »das ist ein merkwürdig großes Pantherfell – wollt Ihr's nicht aufspannen, Cook? Dort vor der Thür liegen ja wohl noch Schilfstäbe. – Hängt's nur an den kleinen Ahornbaum hier rechts – aber hoch – die verdammten Hunde haben mir das letzte Hirschfell, das ich so sauer verdienen mußte, auch heruntergerissen und gefressen – die Bestien!«

Roberts mußte jetzt erzählen, wie es ihm gegangen, und Cook spannte indessen das Fell auf und brachte es in Sicherheit, hatte aber dabei vollauf zu thun, den Erzähler an allen möglichen Absprüngen und mehrmaligem Durchgehen zu verhindern.

»Sagt einmal, Roberts,« rief er endlich, als dieser geendet hatte, »habt Ihr denn das damals auch so gemacht, als Ihr um Eure jetzige Frau freitet? – Hol' mich dieser und jener, wenn ich da an ihrer Stelle nicht die Geduld verloren hätte.«

»Das jetzt bei Seite, Cook,« sagte Roberts, »es ist heute [] das erste Mal, daß ich Euch oder überhaupt Einen von Denen wiedersehe, die vor vierzehn Tagen auf den falschen Fährten hinter den Pferdedieben herhetzten, wie war denn die Sache eigentlich?«

»Ja, das hat er mir auch noch nicht erzählt,« rief Harper, »und ist doch alle Tage ein paar Stunden hier.«

»Ihr waret krank,« erwiderte Cook, »was sollt' ich Euch da mit der langweiligen Geschichte quälen; nun, die Sache ist sehr einfach. Wir fanden die Spuren, die durch den Fluß gingen, und folgten, weil wir sie natürlich für die rechten hielten und nirgends andere gekreuzt hatten. Husfield behauptete auch noch außerdem, ehe wir in den Fluß hinunterritten, daß er darauf schwören wolle, es seien seine eigenen Pferde. Er muß sich aber doch wohl geirrt haben. Am anderen Ufer suchten wir nicht lange, warfen die Fackeln fort und sprengten nun, was unsere freilich schon etwas müden Klepper rennen konnten, hinter den vermeintlichen Dieben her.

In der Nacht hielten wir nur einmal an, um unsere Pferde rasten zu lassen und selber etwas zu genießen, hörten auch hier, daß ein Mann mit Pferden vorbeigekommen und ziemlich scharf geritten sei. Der Farmer hatte natürlich blos das Klappern der Hufeisen vernommen und die Thiere selbst nicht gesehen, versicherte uns aber, wir würden ihn bald einholen, falls das unsere Absicht sei, denn er wäre vor kaum einer halben Stunde dort vorbeipassiert. ›Meine armen Pferde,‹ stöhnte damals Husfield, ›wie sie der Hund nun abhetzen wird – aber gnade ihm Gott, wenn ich ihn erreiche – hier an dem Strick‹ – er trug den Strick bei sich – ›soll er seine schwarze Seele ausstrampeln!‹ Er hatte gut Rache schwören; bei Tagesanbruch kamen wir, als wir mit verhängten Zügeln auf den breiten Spuren einen kleinen Abhang hinab galoppirten, plötzlich an den Mann mit den Pferden, der ruhig unter einem Baum saß und, als er unsere Annäherung bemerkte, keineswegs die geringste Bewegung zur Flucht machte. Ich sah Husfield verwundert an, der aber starrte mit aufgerissenen Augen nach den Pferden hinüber und schrie endlich, indem er seinen eigenen Thier in die Zügel riß, ›Höll' [] und Teufel, das sind nicht die meinigen!‹ Er hatte ganz Recht, es waren ein paar Schimmel dabei, die Niemand von uns kannte, und der Fremde ritt sein eigenes Pferd und war kein Anderer, als der Bursche Johnson, der sich seit einiger Zeit am Fourche la fave herumtreibt und, so viel ich weiß, von der Jagd lebt.

Husfield war wüthend, noch dazu da er, wie er mir später gestand, einen besonderen Grimm auf den liederlichen Gesellen hatte und ihm das Schlimmste zutraute. Es ließ sich aber in dieser Sache gar nichts thun. Wir ritten zu den Pferden hin, Johnson gab uns jedoch sehr kurze Antworten und erwiderte auf die Frage, was er mit den Pferden anzugeben gedenke, er könne doch hoffentlich mit seinen eigenen Thieren thun, was er wolle.«

Husfield knirschte vor Wuth mit den Zähnen, und ob ich gleich versuchte, ihn im Guten wieder zurückzubringen, so war er doch zu aufgeregt, und es dauerte nicht lange, so standen sich die beiden Männer im feindlichen Wortwechsel gegenüber. Johnson blieb dabei zwar sehr kaltblütig und ruhig, hielt jedoch die rechte Hand fortwährend unter der Weste verborgen, wo er natürlicher Weise seine Pistolen und Messer stecken hatte.

»Husfield schwor zuletzt die fürchterlichsten Eide, er wolle ihn lynchen, sobald er ihn einmal auf seinem eigenen Lande fände, und Johnson lachte dazu und erwiderte, er würde sich nächstens einmal das Vergnügen machen und ihn besuchen. Endlich bracht' ich sie auseinander. Vergebens war es aber jetzt, irgend eine weitere Spur zu finden, der nächtliche Regen hatte Alles verwaschen und wir mußten die Verfolgung aufgeben. Husfield behauptete nun steif und fest, die Thiere seien noch in der Ansiedlung, und wir suchten jeden Winkel der Niederung aus, in den nur ein Pferd möglicher Weise eindringen konnte, doch umsonst. Sie sind fort, obgleich das Wie? mir selbst ein Räthsel ist.«

»Auch wohl das Wohin?« sagte Bahrens.

»Nun, das weniger, doch wahrscheinlich nach Texas. Ich muß nur selbst einmal nach Texas gehen, um das Volk dort [] kennen zu lernen. Wenn man auch keine bekannten Menschen da finden sollte, bekannte Pferde trifft man sicherlich.«

»Es war ja auch an jenem Abend, an welchem die Indianerin ermordet wurde, nicht wahr? Habt Ihr denn gar nichts davon gehört?« frug Roberts – »Ihr müßt dicht an der Stelle vorbeigekommen sein.«

»Ich glaube – ja, mir ist es wenigstens so, als ob Jemand erwähnt hätte, er höre einen Schrei. Das war gerade, als wir an die Furth kamen, und es wird wahrscheinlich das arme Weib gewesen sein; die Entfernung zwischen der Hütte und der Straße ist gar nicht so bedeutend. Wißt Ihr denn nicht, wo der Indianer jetzt ist, Brown?«

»Nein,« erwiderte dieser, »vier Tage nach dem Begräbniß seiner Squaw, in welcher Zeit er ein kleines Feuer am Grabe unterhalten und fortwährend frische Speisen daneben gestellt hatte, verließ er die Gegend, hat sich wenigstens nicht wieder bei uns sehen lassen. Doch erwarte ich ihn mit jedem Tage zurück, denn daß er das Land verlassen habe vor der Erfüllung seines Racheschwures, glaub' ich nun und nimmermehr.«

»Wo mag er sich aber nur herumtreiben?«

»Sorgt für den nicht,« sagte Bahrens – »der kriecht umher und spionirt, wer weiß, wie bald er wieder da ist und irgendwo ein Nest aufgefunden hat. Ihr Regulatoren könnt Euch kein besseres Mitglied wünschen, als eben den Indianer.«

»Ist es wahr, Brown, daß sie Euch zum Anführer an Heathcotts Stelle gewählt haben?« frug Roberts.

»Husfield und mich,« erwiderte der junge Mann, »ihn am Petite-Jeanne, mich am Fourche la fave; doch werde ich meine Stelle niederlegen, sobald mein Schwur erfüllt ist und die Mörder des jungen Heathcott wie die der Indianerin entdeckt und bestraft sind. Wie ich aber höre, soll Mr. Rowson sehr eifrig gegen die Verbindung der Regulatoren, als etwas nicht allein Ungesetzliches, sondern auch Unchristliches predigen.«

»Er ist seit acht Tagen verreist,« sagte Roberts, »wie ich [] höre, an den Mississippi und nach Memphis, um dort verschiedene Einkäufe zu machen, muß aber in dieser Woche wieder eintreffen. So viel ich weiß, will er Atkins Land kaufen, was ganz guter Boden ist, wenn er nicht so viel Sumpfland –«

»Atkins will ausverkaufen?« frug Mullins, »davon weiß ich ja noch keine Silbe. Also er hat schon einen Käufer?«

»Rowson schien das Land zu gefallen,« sagte Roberts, »und ich habe nichts dagegen, dann kommt Marion wenigstens nicht so weit fort. Und da wir das neue Bethaus am Wege nach der Lefthandfork bauen wollen, denn die Stämme sind schon seit Weihnachten dazu gehauen, und ich sollte sie zusammen –«

»Gentlemen, rückt Eure Sitze her zum Tisch und nehmt fürlieb mit dem, was wir haben,« rief Brown jetzt dazwischen, der indessen mit Cooks Hülfe das einfache Mahl bereitet.

»Wie wär's, wenn wir ein Stück Pantherfleisch kosteten?« lachte Roberts.

»Danke schön,« sagte Bahrens, »danke, das hab' ich einmal versucht, und der Ekel hat mich nachher sterbenskrank gemacht.«

»Wo denn?« rief Harper, der eben seine Tasse Thee zum Munde führen wollte und nun erwartungsvoll inne hielt.

»Wo denn? Nun im Walde draußen, wo denn anders?« erwiderte Bahrens – »es war am Washita, und wir hatten den ganzen Tag gejagt, bis Abends spät, wo ich ohne eine Klaue an dem verabredeten –«

»Ihr hattet Euch wohl den Fuß vertreten?« fragte Roberts, indem er Harper von der Seite zublinzelte.

»Oh, geht zum Teufel!« fuhr Jener ärgerlich in seiner Erzählung fort – »zu dem verabredeten Lagerplatz zurückkam. Da ging's hoch her. Eine Menge Knochen lagen am Feuer und dicht daneben über dem kurz abgehauenen Zweig eines niederen wilden Pflaumenbäumchens hing ein abgestreiftes und, wie die Anderen sagten, junges Hirschkalb, das delicat schmecken sollte; die Läufe, der Kopf und eine der Keulen [] fehlten übrigens, und als ich danach frug, sagten sie, sie hätten die Keule gegessen und das Uebrige den Hunden gegeben. Ich also nicht faul über das Wildbret her, schnitt mir ein tüchtiges Stück herunter und briet und verzehrte es ganz allein, da die Schufte satt zu sein behaupteten.

Wie ich im besten Essen war, kommt mein Hund, der ebenfalls hungrig, überall herumgeschnüffelt hatte, und bringt etwas im Maule angeschleppt bis dicht zu mir hin, als ob er sagen wollte: ›Du, sieh einmal nach, was sie hier geschossen haben‹, und was war es? der Kopf eines jungen Panthers. Der Bissen blieb mir im Halse stecken, und ich schaute erschrocken zu den grinsenden Schuften auf, die um mich herum saßen. Wie die aber jetzt nicht mehr an sich halten konnten und in ein schallendes Gelächter ausbrachen, da wurd' ich falsch und beschloß nun, sie glauben zu machen, daß Pantherfleisch ein Lieblingsgericht von mir wäre. Ich würgte den Bissen hinunter, der unterwegs stak und nicht weiter wollte, schnitt mir ein anderes Stück ab und frug sie mit der unbefangensten Miene von der Welt, warum sie mir nicht gleich gesagt hätten, das wäre Pantherfleisch, da hätt' es mir noch einmal so gut geschmeckt. In Tennessee hätt' ich einmal einen ganzen Monat von nichts als Pantherfleisch gelebt und nur manchmal Sonntags eine wilde Katze gegessen.

Die Mäuler blieben ihnen indessen vor Verwunderung offen stehen, und Einer, ein junger Bursche von siebzehn Jahren, der mir gerade gegenübersaß und zusah, schnitt, da es ihn wahrscheinlich ekeln mochte, die schauderhaftesten Gesichter und kaute in Gedanken immer mit. Der Bissen aber, den ich im Munde hatte, wollte nicht hinunter; je mehr ich ihn mit den Zähnen bearbeitete, desto mehr schwoll er an; – ich zwang mich noch eine Weile, endlich konnt' ich's jedoch nicht länger aushalten, sprang auf und – na das Andere braucht Ihr jetzt nicht zu wissen. – Hört, Brown, der Truthahn ist delicat – habt Ihr viele dieses Frühjahr geschossen?«

»Es geht an,« sagte der junge Mann, noch immer über das eben Gehörte lächelnd, »sie sind dieses Jahr übrigens sehr feist und schmecken ausgezeichnet.«

[] »Habt Ihr schon einmal Klapperschlangen gegessen?« frug Mullins.

»Nein, danke,« sagte Harper, den der Thee etwas aufgeregt hatte, und der sich heute, seit langer Zeit zum ersten Mal wieder, wohl und leicht fühlte – »danke schön – gut aussehendes Fleisch haben die Bestien, so zart wie Hühnerfleisch, aber sie riechen so fatal.«

»Nur der Körper,« warf Mullins ein, »der Schwanz ist eine Delikatesse.«

»Schadet denn das Gift nichts?« frug Bahrens erstaunt.

»Nicht, wenn Ihr's verschluckt,« sagte Brown; »überdies sitzt doch auch im Fleisch kein Gift, der Geruch ist nur fatal, sonst ist es unschädlich, und ich kenne Einen, der von der ›gehörnten Schlange‹, die doch, wie Ihr wißt, die giftigste sein soll, ein tüchtiges Stück gegessen hat, ohne daß es ihm das Mindeste geschadet hätte.«

»Ob die giftig ist!« rief Harper; »ich sah einst so eine Hornschlange an einer großen Eiche auf und abspielen, und wollte sie eben schießen. Da fuhr sie herum und biß in voller Wuth in einen der kleinen Schößlinge, die im Frühjahr hier und da am Stamm unten auswachsen; gleich darauf hielt sie sich einen Augenblick ruhig, und ich schnitt ihr mit der Kugel den Kopf weg. Die Eiche starb aber noch in demselben Monat ab; der kleine Ast, wo sie hineingebissen hatte, wurde ganz schwarz und sogar die Schlingpflanzen, die daran hinaufrankten, welkten und fielen ab.«

»Das ist noch gar nichts,« sagte Bahrens, sich nach Harper herumwendend – »Ihr wißt, was für eine Gegend Poinsett County ist, und das ganz besonders in Hinsicht giftiger Schlangen; es können in den Mississippi-Niederungen kaum mehr sein. Unter denen findet sich auch manchmal, wenngleich glücklicher Weise nur selten, die ›Hornschlange‹. – Vor zwei Jahren war dorthin ein Deutscher mit seiner Familie gezogen (jetzt ist er freilich wieder fort, das heißt, er starb, und seine Familie konnte das Klima nicht vertragen), und damals, als er gerade ankam, lebte ein Verwandter oder Bekannter, oder was weiß ich, bei ihm, der die gröbste Arbeit im Hause verrichten [] sollte. In der Woche hatte der aber immer das Fieber, und sehr wundermerkwürdig sah er aus, wenn er Sonntags so recht ordentlich herausgeputzt in's Freie kam. Dann trug er eine hellgelbe und roth gestreifte Weste – einen fürchterlichen Filzhut, kurze schwarze und ganz eng anliegende Beinkleider (seinen Beinen wären etwas weitere keineswegs schädlich gewesen) und einen blauen Tuchrock bis auf die –«

»Aber was geht uns denn sein Rock an?« sagte Harper, ungeduldig werdend.

»Mehr als Ihr denkt,« nickte Bahrens bedeutend mit dem Kopfe und fuhr dann, ohne sich weiter irre machen zu lassen, fort – »bis auf die Knöchel herunter, mit sehr schmalem Kragen und sehr großen, weißleinenen Rocktaschen, die immer offen standen und in die ihm die liebe Jugend häufig zerquetschte Pfirsiche und Stückchen von Wassermelonen und dergleichen andere Vegetabilien hineinschob. Eine besondere Zierde daran waren noch die sehr großen messingenen Knöpfe –«

»Aber was gehen uns die Knöpfe an?« rief Harper wieder.

»Viel – sehr viel!« nickte Bahrens bedeutungsvoll – »doch hört. Dieser junge Mann also geht eines Sonntags, eine große schwarz eingebundene Bibel unter dem Arm, zu einem Nachbar hinüber, wo eine dieser unausweichbaren Betversammlungen sein sollte, als er dicht neben dem schmalen Fußpfad, dem er folgte, einen der kleinen grünen Papaquets oder Papageien findet, der eben erst vom Zweige gefallen zu sein schien. Er bückt sich und will ihn aufheben, hat aber unglücklicher Weise die ›Hornschlange‹ nicht gesehen, deren Beute er sich so unbesonnen zueignen wollte und die jetzt unter dem gelben Laube, wo sie verborgen gelegen hatte, vorschoß und den Unglücklichen gerade unter dem Ellbogen, durch den Rock hindurch, in den Arm biß.

Natürlich starb er schon nach wenigen Minuten und sein Verwandter, der mit seiner Frau hinterher kam, fand ihn todt auf dem Wege. Zwar holte er gleich Hülfe, es war aber zu spät; sie trugen ihn auf einer schnell gemachten Bahre zum Hause, zogen ihm dort den Rock aus und fanden die kleine, aber schon schwarz gewordene Wunde. Todte lassen [] sich nicht mehr erwecken, also wurde der arme Teufel noch an demselben Abend, denn es war sehr warm, in einem schnell zusammengezimmerten Sarg beigesetzt und der blaue Rock blieb neben der Thür an einem Nagel hängen.

Was geschah aber mit dem von der Schlange gebissenen Rock? Als die Deutschen am nächsten Morgen aufstanden, hatte der Aermel, in dem das Gift saß, lauter helle Streifen bekommen, gegen Mittag wurden die Nähte ganz hellblau und einzelne Theile trennten sich auf, der rechte Aermel dagegen bekam eine schöne schwarze Farbe mit einem etwas röthlichen Schein; Nachmittags gingen ihm die Knöpfe aus und fielen einzeln, in schaurigen Zwischenräumen, auf die Erde, die Knopflöcher rissen aus, die Taschen und das Unterfutter schwollen an, und gegen Abend riß der Henkel, der Rock fiel herunter und – fing an zu riechen.«

»Aber, Bahrens!« schrie Harper entsetzt.

»Fing an zu riechen, sage ich – sie mußten ihn hinausschaffen und einscharren,« fuhr Bahrens, ohne sich irre machen zu lassen, fort.

»Ne, nu hört Alles auf,« rief Harper, die Tasse niedersetzend und aufspringend, »der Rock –«

– »crepirte förmlich,« sagte der alte Jäger in höchster Gemüthsruhe, indem er ein Stück Tabak aus der Tasche nahm und mit dem Tischmesser ein großes Stück davon herunterschnitt, das er dann wohlbedächtig in den Mund schob.

Schallendes Gelächter folgte diesem Schluß, und Bahrens that ordentlich beleidigt, daß man seinen Worten nicht besseren Glauben gönne. Steif und ernsthaft blieb er auf seinem abgesägten Baumblock, der die Stelle eines Stuhles vertrat, sitzen und trommelte mit den Fingern auf dem hölzernen Tischtuche.

»Kinder, wir müssen wirklich nach Hause,« mahnte Roberts, als der Jubel ein wenig nachgelassen hatte. »Ich wenigstens,« fuhr er fort, als er sah, daß sich nur Mullins bereit zeigte, ihn zu begleiten – »meine Alte brummt sonst. Ueberdies sollte Rowson heut Abend dort eintreffen, und noch Mehreres, seine baldige Heirath betreffend, in Richtigkeit gebracht werden. – Ihr thätet mir wohl nicht den Gefallen, [] mitzureiten, Brown? Es wird Manches dabei zu schreiben geben, und wenn ich auch in meiner Jugend – wo wir die Woche fünfmal Schreibestunde hatten – wofür der Lehrer –«

»Es ist mir heute wirklich nicht möglich, bester Mr. Roberts,« sagte Brown etwas verlegen, »ohnedem wollen sich die Regulatoren vom Fourche la fave morgen bei Bowitt versammeln.«

»Ich glaubte, die Versammlungen wären bei Smith?«

»Den hat Mr. Rowson so lange überredet, daß eine solche Gesellschaft sündhaft sei,« lächelte Brown, »bis er ausgetreten ist. Das schadet aber nichts, Bowitt wohnt nicht weit von ihm, an einer Stelle, zu der wir es Alle fast gleich weit haben, und ist dabei selbst ein eifriger Verfechter unserer Sache.«

»Ueber Heathcott's Mörder hat man also noch gar nichts Näheres erfahren können?«

»Nicht das Mindeste – Sie wissen, daß gleich nach der That auf mir der fast alleinige Verdacht ruhte. Ich sollte sogar einige Tage nach Alapaha's Ermordung verhaftet werden, doch unterblieb es, da Beweise fehlten. Die Spuren rührten außerdem von Stiefeln her, und ich konnte durch Hoswells beweisen, daß ich an jenem Morgen Moccasins getragen. Damit hörte aber auch aller Verdacht auf, denn der einzige dem ähnliche Schuhwerk in der ganzen Nachbarschaft trägt Mr. Rowson, und Niemand hätte wohl den anzuklagen unternehmen mögen.«

Roberts sah bestürzt zu ihm auf. – »Doch,« sagte er dann halbleise vor sich hin – »der Todte hätte das unternommen – er konnte den Prediger nie leiden –«

»Unglücklicher Weise hat es dieses ganze Frühjahr fast jeden Morgen etwas geregnet,« fuhr Brown fort – »und da wurden auch jene Spuren verwaschen. – Das kleine Messer, was wir bei der Leiche fanden, kannte ebenfalls Niemand –«

»Ein Federmesser!« murmelte Roberts vor sich hin.

»Uebrigens haben wir noch nicht alle Hoffnung aufgegeben. [] Wir sind, obgleich wir diese Zeit unthätig schienen, thätig genug gewesen, und es wirft sich jetzt Verdacht hier und da auf Leute, von denen ich es wenigstens früher nie vermuthet hätte.«

»Was ist denn aus dem Mann geworden, auf dessen Fährte die Verfolger kamen?«

»Johnson?« sagte Cook; »der soll wieder hier gesehen worden sein, ob aber zum Aufenthalt oder zur Durchreise, weiß ich nicht.«

»Hört, Brown, Ihr könnt mir wenigstens einen Gefallen thun, wenn Ihr in die Ansiedlung hinaufreitet,« sagte Roberts, »wann brecht Ihr auf?«

»In einer halben Stunde etwa; ich hatte im Sinne, bei Wilson zu übernachten.«

»Oh schön! dann kommt Ihr überdies morgen früh an Atkins' Wohnung vorüber, und da wär' es mir lieb, wenn Ihr ihn bätet, den nächsten Montag zu Hause zu bleiben, weil ich dann mit Rowson hinüberreiten und die Farm in Augenschein nehmen will. – Kann ich mich darauf verlassen?«

Brown gab ihm sein Wort, es nicht zu vergessen; Roberts zog dann seine jetzt getrockneten Kleider wieder an und verließ bald darauf mit Mullins die Hütte, um heim zu reiten.

20.
Rowson bei Roberts. – Assowaum.

Fast drei Wochen waren seit jenem Abend, an welchem Brown von Marion Abschied genommen, verflossen. Er hatte [] sich damals geschworen, sie nie wieder aufzusuchen – und seinen Schwur treu und fest gehalten. Was er aber in jener Zeit gelitten, wie er mit sich gerungen, wußte nur er, und sein Antlitz war bleich geworden, seine Augen hatten den Glanz, das frühere Leben verloren. Nichts würde ihn auch vermocht haben, länger in einer Gegend zu weilen, wo er nur zu bald selbst Zeuge sein mußte, wie ein Wesen geopfert wurde, an dessen Seite er einen Himmel hätte finden können. Ehe er aber ging, wollte er wenigstens in den Augen der Welt seinen guten Namen hergestellt wissen, daß kein Makel auf ihm haftete, keine giftige Zunge mit verleumderischer Nachrede ihn beflecken konnte. Marion hielt ihn eines solchen Verbrechens nicht für fähig, davon war er überzeugt, aber auch seine Freunde in Arkansas sollten das nicht, und so beliebt er bei ihnen sein mochte, hielten ihn doch jetzt noch Viele für den wirklichen Thäter. Ja, sie entschuldigten ihn noch dabei, fanden den Mord als Nothwehr vollkommen gerechtfertigt und zuckten nur mit den Achseln, wenn die Sprache auf das Geld kam. – »Es hätte dem Todten auch weiter keinen Nutzen bringen können, wenn er das gute Geld mit in den Strom genommen.«

Der wirkliche Thäter mußte deshalb entdeckt und bestraft, auch die Indianerin gerächt sein, dann wollte er ein Land verlassen, in dem doch für ihn fortan nur Kummer und Schmerz blühen konnten.

Und was empfand Marion indessen für den Freund, den sie so nahe und doch wieder so fern wußte? Das Herz des Weibes ist stark, und gewaltige Leiden müssen es sein, die es brechen; Marion aber fühlte, daß sie ihre Pflicht that, und in dem Gedanken fand sie Beruhigung für den sonst sicher zu herben, vernichtenden Gram. Rowson hatte ihr Wort; zwar kannte sie damals, als sie es gab, den Mann noch nicht, bei dessen erstem Anblick sie erst empfinden sollte, was Liebe eigentlich sei, aber es war gegeben, freiwillig, ohne Zwang und Zureden – sie durfte nicht zurücktreten. Und hätte sie es auch vor Gott verantworten können, das Herz des einen Mannes, und dieser Eine ihr rechtmäßiger Bräutigam, zu [] brechen, um einen Andern glücklich zu machen? Hatte ihr nicht Rowson mit seiner weichen, klangvollen Stimme erst noch neulich gesagt, wie er nur in ihr seine irdische Seligkeit finden könne, wie ihm ihr Antlitz das sei, was der Pflanze Luft und Sonnenschein, daß ihre Nähe schon eine stille, fromme Gluth durch seine ganze Seele gieße, und er verzweifeln müßte, wenn sie sich je von ihm wenden würde?

Ach, das arme Mädchen benetzte in jener Nacht ihr Kissen mit heißen, heißen Thränen. Kein Mensch sah sie, aber im brünstigen Gebet kam ihr Trost und Beruhigung in das gequälte bangende Herz, und der andere Morgen fand sie stark und gefaßt.

Es war wieder ein Freitag, gerade vierzehn Tage nach jenem entsetzlichen Abend, an welchem die arme Indianerin dem feigen Mörder zum Opfer fiel; die Sonne stand noch über den maigrün schimmernden Wipfeln der herrlichen Baumgruppen, die sich an der Grenze des kleinen Feldes dicht zusammendrängten, als ob sie jetzt fest entschlossen seien, dem weiteren Vorrücken der tolldreisten Menschenfaust kräftig und gemeinsam entgegenzutreten. Recht ernstlich reichten sie sich die starken, gewaltigen Arme herüber und hinüber und flochten mit den rankenden Schlingpflanzen die mächtigen Netze, die sie auf immer und ewig mit einander verbinden sollten. Dazu schüttelten sie im leichten Südwind altklug und schlau die buschigen Häupter, und kecke Eichhörnchen trugen spielend und scherzend die Botschaften hin und her. Armer Wald – du wirst der Axt nicht widerstehen, die sich langsam, aber sicher in deine Reihen frißt. Deine Stämme werden fallen, und ranken sich dann auch in enger, liebender Umarmung Liane und Weinrebe fest um dich her und lassen nicht ob von dem Gestürzten, es ist umsonst, sie können mit ihm sterben, aber ihn nicht retten.

Vor und in dem Farmhause des alten Roberts herrschte [] indessen ein reges, freudiges Leben. Die holde Marion stand, mit einem kleinen Korb am Arm, unter einer flatternden und gackelnden Schaar von Hühnern, Enten und Gänsen und streute weit hinaus in den reinlichen Hof die goldenen Maiskörner; draußen an der niedern Fenz aber stürmte ein ganzes Rudel grunzender und tobender Ferkel auf und ab und suchte vergebens in wilder Hast einen Eingang, um an dem freigebigen Mahle Theil zu nehmen. Die Mutter saß dabei und schaute lächelnd dem lebendigen Treiben zu, als Marion plötzlich einen leisen Schrei ausstieß und den leeren Korb, den sie eben zum Hause zurücktragen wollte, fallen ließ.

An der Fenz stand Rowson und winkte ihr mit freundlich lächelndem Antlitz einen Gruß herüber. Er hatte seine Geschäfte beendet und war gekommen, um seine Braut heimzuführen.

»Was ist Dir?« rief im ersten Moment erschrocken die Matrone, bemerkte aber auch zu gleicher Zeit den lange und sehnsüchtig Erwarteten und sagte – ihm freundlich die Hand entgegenstreckend: »Nun, das ist schön, Mr. Rowson – sehr schön von Ihnen, daß Sie endlich wieder da sind. Wir haben Sie recht sehnsüchtig erwartet.«

»Marion auch?« frug der Priester lächelnd, indem er, über die niedere Fenz tretend, die Hand des erröthenden Mädchens ergriff und leise preßte, »Marion auch?«

»Ich freue mich recht, Sie gesund und wohl wieder zu sehen,« flüsterte die Jungfrau, »Sie wissen ja, daß Sie uns stets willkommen sind.«

»In Ihrem Hause – aber auch in Ihrem Herzen, Marion?« frug Rowson dringend. Das Mädchen zitterte und schwieg. »Marion,« fuhr der Methodist nach langer Pause fort – »der Segen des Himmels ist auf meinem jetzigen Zuge mit mir gewesen. Ich bin jetzt wohlhabend genug, um mir hier in unsern bescheidenen Verhältnissen eine Heimath gründen zu können. Marion, willst Du mein sein, willst Du am nächsten Sonntag, am Tage des Herrn, mein Weib werden?«

»Ja,« sagte die Mutter gerührt, als sie das bebende, keines Wortes mächtige Kind an ihre Brust zog – »ja, ehrwürdiger [] Herr – sie hat es mir schon gestanden, daß sie Euch gut sei, und das Uebrige findet sich Alles, Ihr werdet sie sicherlich glücklich machen.«

»Was in meinen Kräften, in den Kräften eines armen sündigen Menschen steht,« sagte der Methodist, indem er die Augen fromm zum Himmel erhob, »werde ich thun. Ich glaube auch gewiß, daß Marion fest davon überzeugt ist; darf ich es wenigstens hoffen?«

Das schöne Mädchen reichte ihm lautlos die Hand hinüber, die er an seine Lippen drückte, und schluchzte laut am Herzen der Mutter.

»Hallo, Rowson!« sagte der alte Roberts, der in diesem Augenblick neben der Fenz erschien, »Ihr habt richtig Wort gehalten. Nun, wie stehen die Geschäfte?«

»Vortrefflich, Mr. Roberts!« erwiderte der Methodist freudig, »besser sogar, als ich erwartet hatte, und ich komme nun, um Euch um Euren Segen zu der Verbindung mit Eurer Tochter, und zwar auf nächsten Sonntag, zu bitten.«

»Wird das dem Mädchen aber nicht zu unerwartet und schnell kommen?« frug Roberts, indem er sein Pferd dem Negerknaben übergab und, die Fenz übersteigend, zu ihnen hinantrat.

»Sie ist damit einverstanden,« sagte die Mutter, »was brauchen wir auch hier im Walde große Vorbereitungen? Wie aber ist's mit Ihrer Wohnung, Mr. Rowson?«

»Ich wollte Sie Beide zu gleicher Zeit bitten,« sagte der Prediger, »diese morgen früh, wenn Sie mir ein paar Stündchen Zeit schenken können, in Augenschein zu nehmen. Sie ist zwar noch klein und beengt, ich werde aber wahrscheinlich in dieser Woche mit Atkins handelseinig werden und dessen Platz kaufen; nachher können wir uns schon besser rühren.«

»Wäre es denn aber gerade darum nicht besser,« meinte Roberts, »Ihr wartetet noch mit der Heirath, bis das geschehen ist? Es ersparte viele Umstände beim Ausziehen und – ist auch dem Mädchen sicherlich lieber, gleich in eine kleine Farm, als blos in eine Blockhütte einzuziehen.«

»Das ist allerdings nicht zu leugnen,« erwiderte Rowson [] »dann aber ist es noch unbestimmt, wann Atkins fortzieht, es können vier, ja vielleicht sogar acht Wochen darüber hingehen, und, bester Mr. Roberts, Sie werden es mir nicht verdenken können, wenn ich mich jetzt, nach Beseitigung so vieler Hindernisse, sehne, Marion die Meine zu nennen.«

»Nun, in Gottes Namen,« sagte der alte Mann, »nehmt sie hin und seid glücklich mit einander.«

»Dank – herzlichen Dank!« rief Rowson, gerührt seine Hand ergreifend – »Marion soll nie bereuen, ihr künftiges Schicksal meiner Hand anvertraut zu haben. Doch jetzt lebt wohl, Ihr lieben Eltern, erlaubt, daß ich Euch so nennen darf, und bald –«

»Aber wollen Sie denn nicht lieber heut Abend bei uns zubringen?« fragte Mrs Roberts – »Sie sind so lange fort gewesen, und es ist eigentlich nicht recht, die Braut fortwährend allein zu lassen.«

»Die Zeit ist kurz, meine gute Mrs. Roberts,« seufzte Rowson, »und hier in unserer Ansiedelung, wo die Nachbarn so weit von einander entfernt wohnen, vergeht, mit nur wenigen Besorgungen, ein Tag ungemein geschwind. Ich hoffe aber bis morgen Abend Alles beendet zu haben und dann wenigstens noch die letzten Stunden vor dem glücklichen Tag in Ihrer Gesellschaft, in der Gesellschaft meiner Braut verbringen zu können.«

»Gut – gut, Mr. Rowson,« sagte der Alte – »das ist ganz in der Ordnung. Sie sind jetzt eine Woche von zu Hause fort gewesen, da ist natürlich viel in Ordnung zu bringen; also morgen Abend sehen wir uns wieder – apropos – es bleibt doch dabei, daß wir am Montag zusammen zu Atkins gehen?«

»Sicherlich,« sagte der Prediger.

»Nun gut,« fuhr Roberts fort, »ich habe schon heut Abend Brown darum gebeten, uns anzumelden; der kommt morgen früh dort vorbei, um der Regulatorenversammlung beizuwohnen, die bei Bowitts gehalten werden soll.«

»Mir wurde gesagt, die Regulatoren hätten sich aufgelöst,« sagte Rowson etwas eifriger, als sich sonst mit seinem ruhigen, [] gesetzten Benehmen vertrug. »Auf meiner Reise hört' ich das als ganz bestimmt.«

»Nicht doch – es soll jetzt erst recht losgehen. Ich glaube, sie haben, wie ich heute hörte, Verdacht auf mehrere Personen der Nachbarschaft, und da wollen sie wohl morgen mit einander berathen, was jetzt, da die Zeiten doch einmal so gefährlich –«

»Wäre es nicht möglich, dieser Versammlung einmal beiwohnen zu können?« unterbrach ihn Rowson.

»Warum nicht,« lachte Roberts, »dann müssen Sie aber Regulator werden, und meines Wissens haben Sie bis jetzt sehr dagegen geeifert.«

»Den Regulatoren thäte ein Mann noth,« sagte Rowson schnell gefaßt, »der ihren zu stürmischen Eifer manchmal zügelte und sie von Excessen, wie die zum Beispiel in White County, zurückhielte. In diesem Sinne würde ich es selbst mit meiner Stellung nicht unvereinbar finden, mich ihnen anzuschließen.«

Roberts sah ihm forschend in's Auge, und Rowson fuhr leicht erröthend fort:

»Sie glauben, daß ich in so kurzer Zeit meine Meinung geändert habe? Nein, wahrlich nicht, ich halte die Versammlung der Regulatoren noch immer für unrecht, weil sie ungesetzlich ist –«

»Aber –?« sagte Roberts, als Jener stockte.

»Nun, Du hast es ja schon gehört!« rief Mrs. Roberts halb ärgerlich, »der gute Mr. Rowson hat ganz Recht. Das junge Volk tobt da toll und wild in den Tag hinein – ich sage ja gar nicht, daß sie's böse meinen, – aber sie glauben recht zu handeln und üben dann vielleicht manchmal das größte, schreiendste Unrecht aus, und ich, an Mr. Rowson's Stelle –«

»Es werden Keine in den Verein aufgenommen,« sagte Roberts, den Prediger dabei fortwährend ansehend, während dieser den Blick mehrere Mal niederschlug, endlich aber dem seinigen fest begegnete, »die nicht auch thätigen Antheil [] nehmen. Ich glaube nicht, daß sie einen Rathgeber, wenn sie auch dessen bedürfen sollten, dulden werden.«

»Es kommt auf einen Versuch an!« rief Rowson, der jetzt seine ganze Geistesgegenwart wieder erlangt hatte. »Ich werde mich morgen, wenn es mir irgend möglich ist, dort einfinden und nicht eher gehen, bis sie mich fortweisen; ich habe in diesem Falle meine Schuldigkeit gethan – mehr kann selbst Gott nicht verlangen.«

»Brav,« sagte Roberts, ihm die Hand treuherzig schüttelnd, »brav gesprochen. Es freut mich, wenn ich sehe, wie ein Mann seinen Grundsätzen treu bleibt.«

»Wer ist jetzt ihr Anführer?«

»Brown – wenigstens für den Fourche la fave.«

»Der ist dann wenigstens seinen Grundsätzen nicht treu geblieben,« entgegnete der Prediger, indem er zu dem alten Mann aufsah; »ich erinnere mich noch recht gut der Worte, die er hier an dieser selben Stelle über eben diese Verbindung äußerte.«

»Das ist etwas Anderes,« erwiderte ernsthaft der alte Farmer. »Brown sah sich halb und halb dazu gezwungen, an dieser Verbindung thätigen Antheil zu nehmen, da sein eigener guter Name auf dem Spiel stand. Er war als Mörder förmlich angeklagt, und sein einziges Streben ist jetzt, den wirklichen Mörder Heathcott's heraus zu bekommen. Er hatte zwar den Streit mit ihm, denn Heathcott war überhaupt etwas rauher Natur, und ich weiß mich noch recht gut zu erinnern –«

»Ich glaubte, die Hauptabsicht der Regulatoren beschränkte sich auf die Entdeckung der Pferdediebe,« sagte Rowson, leicht erbleichend.

»Nur theilweise, doch wenn Ihr morgen der Versammlung beiwohnt, werdet Ihr das Alles hören. Jetzt gilt es, so viel ich erfahren habe, die Verdächtigen aufzugreifen, um von diesen, wenn sie auch wirklich nicht die Thäter sind, wenigstens auf die Spur gebracht zu werden.«

»Wenn sie nur den schändlichen Mörder der armen Wilden entdeckten,« sagte Mrs. Roberts. »Oh, Mr. Rowson, Sie [] glauben gar nicht, wie ich schon deshalb gebetet habe! Die Frau war so fromm und gut und hing mit einer solchen Ehrfurcht an Ihnen. Ach, wie oft habe ich sie während Ihrer Predigten weinen sehen, als ob ihr das Herz brechen wollte – und nun so jung und auf solche Art sterben zu müssen.«

»Ja, es ist schrecklich!« sagte Rowson, selbst tief erschüttert, freilich um einer andern Ursache willen. »Doch, meine Freunde – ich muß wirklich fort, also gute Nacht für heute. – Gute Nacht, Marion, wo ist das Mädchen?«

»Marion – Kind! – so komm doch heraus hier!« rief die Mutter – »Herr Rowson will Dir gute Nacht –«

»Laßt sie gehen, verehrte Freundin,« sagte der Methodist abwehrend – »das Herz ist ihr voll und sie wird sich mit ihrem Gott unterhalten. Morgen hoffe ich sie recht froh und heiter anzutreffen.«

Damit winkte er Beiden noch einen herzlichen Gruß zu, bestieg sein kleines Pony und trabte fort, in den jetzt dämmernden Wald hinein.

»Mutter, was ist dem Mädchen eigentlich?« frug Roberts, als der Priester sich entfernt hatte – »sie kommt mir so sonderbar vor. Ich will doch nicht hoffen, daß sie zu einer Heirath mit dem Manne gezwungen wird?«

»Närrischer Mann, wer sollte sie denn zwingen?« lächelte die Matrone. »Es ist nur noch ein halbes Kind, und da beträgt es sich ängstlich und wunderlich; mag ihr auch wohl schwer genug ankommen, die Eltern zu verlassen. Nun, an dieses Mannes Seite –«

»Ja, schon gut,« sagte Roberts, den Sporn abschnallend und ihn auswendig am Haus unter einem kleinen Vorbau neben den Sattel und Zaum hängend – »schon gut, das hab' ich schon oft gehört –«

»Du hast keine Vorliebe für den frommen Mann –«

»Nein – Vorliebe nicht; ich sehe nicht ein, warum unser Kind mit ihm gerade so viel glücklicher werden sollte, als mit jedem Andern. Ein ächter braver Kerl mit einem guten Herzen, und der – etwas mehr ein Mann wäre, würde [] mir, aufrichtig gesagt, eben so willkommen gewesen sein, vielleicht noch willkommener, doch – wie Gott will. Ihr Frauen seid damit einverstanden, und ich habe weiter nichts dabei zu thun, als Ja zu sagen. Einen Anfang hat er, um eine kleine Farm zu beginnen, und ein fleißiger Mann wird dabei in Arkansas nicht zu Schanden.«

Rowson's treuherziges Benehmen hatte den Alten wieder ganz für sich gewonnen, denn selbst so recht von Herzen gut und brav, traute er auch Anderen nicht leicht etwas Schlechtes zu, warum also gerade Dem, der in der ganzen Ansiedelung als ein so frommer und gottesfürchtiger Mann bekannt war. Durchkreuzte auch wirklich manchmal ein dunkler Verdacht sein Hirn, so wurde er sich entweder selbst nicht recht klar darüber, oder er verwarf ihn augenblicklich wieder als toll und falsch.

Was waren aber indessen die Gefühle des Priesters, der langsam und sinnend durch den schattig-dunkeln Wald dahinritt? Weit genug von dem Hause entfernt, daß er von dort aus nicht mehr gesehen oder beobachtet werden konnte, stieg er von seinem Pferde, nahm es am Zügel und schritt ernst und in tiefen Gedanken versunken auf der schmalen Straße hin, die sich, allen Hindernissen, sowie starken Bäumen und sumpfigen Stellen ausweichend, durch den Wald schlängelte. Endlich blieb er stehen und sagte halbleise und vor sich niederstarrend:

»Es wird mir fast zu heiß hier in Arkansas – der Teufel kann einmal sein Spiel haben und durch irgend einen Zufall – man hat da wunderbare Beispiele – Sachen an das Licht bringen, die meinem guten Rufe in dieser Gegend gerade nicht förderlich sein würden. Ich muß fort – und das sobald als möglich – Atkins mag sehen, wie er seine Farm verkauft, ich will mich nicht hier fesseln, daß ich nachher, wenn alle Anderen ihren Rücken gedeckt haben, allein der Rache jener kläffenden Hounds preisgegeben bin. Nein! – Zwar ist der Indianer verschwunden,« fuhr er nach einer Weile fort – »und ohne den möcht' es ihnen doch schwer werden, irgend etwas – ich weiß wirklich nicht einmal, wie es mit dessen Hülfe möglich ist – das Federmesser –«

[] Das Pferd spitzte die Ohren und der Indianer stand neben ihm.

»Good day, Mr. Rowson,« sagte er leise, als er aus dem Dickicht trat und leicht grüßend an ihm vorüber schritt.

»Assowaum!« rief Rowson, wie er selbst fühlte mit Todesblässe im Antlitz – »Assowaum – wo – wo waret Ihr so lange? – wir haben Euch in der Ansiedelung vermißt.«

»Der blasse Mann ist ja ebenfalls fern gewesen,« erwiderte der Indianer, das Auge dabei fest auf den Prediger geheftet – »Assowaum kehrt zu dem Grabe seines Weibes zurück.«

»Und hast Du noch nichts von dem Mörder entdeckt?«

»Nein!« sagte der Wilde mit fast tonloser Stimme – »noch nicht – der große Geist hat dem heiligen Vogel gewehrt, mir den Namen des Verräthers in das Ohr zu flüstern. Assowaum hat deshalb mit dem Geiste seines Volks an einer Stelle gesprochen, die noch von keines Weißen Fuß entweiht wurde. Er harrt jetzt der Stimme seines Manitou.«

»Möge er Dir günstig sein,« sagte der Priester, ganz seinen früheren Abscheu gegen den Götzendienst des Indianers vergessend. Dieser aber schritt grüßend weiter, der Methodist schwang sich in seinen Sattel und flog, als ihn eine Biegung der Straße den Augen des rothen Mannes verbarg, seinem Pony die Hacken in die Seiten bohrend den Weg entlang, daß seine langen braunen Haare in dem frischen Abendwinde flatterten, und das Roß, solcher Behandlung ungewöhnt, schäumte und schnaubte, als es mit seinem ungeduldigen Reiter durch das flache Thalland dahinbrauste.

[] 21.
Wilson's Geständnisse. – Die schöne Wäscherin. – Arkansische Wiege. – Der Rückzug.

Roberts hatte noch nicht lange Harper's Hütte verlassen, als sich Brown ebenfalls rüstete, zu Bowitt hinauf zu reiten, an dessen Haus am nächsten Morgen die Versammlung der Regulatoren gehalten werden sollte. Cook begleitete ihn ein Stück Weges, ritt jedoch dann links ab, um in seinem eigenen Hause zu übernachten und mit Tagesanbruch nachzufolgen, während Bahrens bei dem Reconvalescenten zu bleiben versprach. Harper verschwor sich übrigens hoch und heilig, daß das der letzte Tag gewesen sein solle, den er sich habe in dem verwünschten Hause einsperren lassen.

»Ich muß wieder einmal Laub und Moos unter den Füßen fühlen,« rief er aus, »muß wieder einmal das grüne Blätterdach über mir sehen, eher werde ich nicht gesund.« Es wurde also verabredet, daß er am nächsten Tage mit nach Bahrens' Hause reiten und dort eine Woche zubringen solle. Da die Tour aber für einen durch die Fieber Geschwächten auf einmal zu groß geworden sein würde, so wollten die Männer die erste Nacht bei Roberts übernachten, der sie schon lange eingeladen hatte.

Brown trabte indessen auf seinem feurigen kleinen Pony den schmalen, im Laube kaum erkennbaren und sonst nur durch abgeschälte Stücke Baumrinde bezeichneten Pfad fort und erreichte in etwa anderthalb Stunden Wilson's kleine Farm, den er ebenfalls gerade im Begriff fand, sein Pferd zu besteigen.

»Hallo, Wilson – wohin soll die Reise gehen? auch zur Regulatorenversammlung'?« rief Brown ihm freundlich entgegen.

[] »Ja!« sagte der junge Mann, wurde aber merklich roth dabei und schnallte mit einem ganz verzweifelten Eifer am Sattelgurt. Der war indessen schon überdies zum Zerplatzen angespannt und veranlaßte nur das Pferd, einige höchst ungeduldige Bewegungen zu machen, während es mehrere Male bedeutend nach Luft schnappte.

»Was macht Ihr denn, Wilson?« lachte Brown, der es bemerkte – »schnürt ja dem armen Thiere die Seele aus dem Leibe. – Wollt Ihr denn ein Wettrennen halten, daß Ihr so nach dem Zeuge seht?«

»Nein, das gerade nicht,« murmelte der Andere, »welchen Weg reitet Ihr?«

»Ich wollte zu Euch – und Ihr?«

»Ich? – ich gedachte bis Atkins –«

»Nun, das ist schön, dann komm' ich ein andermal zu Euch und bleibe heute Abend mit bei Atkins. – Ich habe überdies dort eine Bestellung von Roberts auszurichten.«

Wilson wollte noch etwas dagegen einwenden, Brown achtete aber nicht darauf, oder mußte es überhört haben, denn er rief dem Freunde nur flüchtig zu, aufzusitzen, und drehte dann seines Pferdes Kopf dem neu bestimmten Lagerplatze zu.

Wilson war bald an seiner Seite und frug endlich, wahrscheinlich nur um das Schweigen zu brechen:

»Ihr habt also einen Auftrag von Roberts – wohl für Rowson? Der will ja Atkins' Farm kaufen, wie man sagt – wenn Atkins nämlich wirklich fortzieht.«

»Ist denn das noch nicht bestimmt?«

»Wer weiß es denn? Der alte Bursche ist finster und verschlossen, wie das Grab. Mir sagt er's schon gar nicht.«

»Warum denn Euch nicht eben so gut als jedem Andern?« frug Brown lächelnd, während Wilson auf einmal ganz unerwartet ein Lied zu pfeifen anfing und mit der Reitgerte, die er sich von einem Busche gebrochen, seine Leggins klopfte. Auch schien er eine Weile die Antwort auf diese Frage schuldig bleiben zu wollen, bis sie Brown wiederholte, dann aber zügelte er sein Pferd ein, streckte dem jungen Mann, als dieser ebenfalls [] neben ihm halten blieb, die Hand herüber und sagte mit herzlichem Ton und Blick:

»Ihr sollt meine ganze Geschichte erfahren, Brown, mit ein paar Worten ist sie gesagt, und – Ihr meint es gut – vielleicht könnt Ihr mir selbst einen Rath geben.«

»Nun, laßt hören,« entgegnete ihm der Freund, »vielleicht, vielleicht auch nicht – es ist nicht oft, daß ich um Rath gefragt werde, und noch dazu in – Herzensangelegenheiten,« lächelte er zu Wilson hinüber, als er sah, wie diesem das Blut in Wangen und Schläfe stieg.

»Ja – Ihr habt Recht,« flüsterte er endlich – »es ist eine Herzensangelegenheit, doch – keine glückliche. Seid Ihr in Atkins' Hause bekannt?«

»Ich war nie dort.«

»Er hat ein Kind – eine angenommene Waise – ein Mädchen – ach, Ihr lacht mich aus, wenn ich von ihr reden wollte, wie's mir um's Herz ist. – Ja, ich weiß wohl, wenn Ihr auch schon mir zu Liebe an Euch hieltet, inwendig machtet Ihr Euch doch über mich lustig. Nun, ich will Euch die Beschreibung erlassen; ich liebe das Mädchen schon seit einem Jahr, wo sie damals mit Atkins an den Fourche la fave zog, und der Vater – will sie mir nicht geben. Es ist zwar nur ihr Pflegevater, hat sie aber erzogen und eine wackere Dirne aus ihr gemacht, was freilich nicht die Schuld seiner Frau ist. Jetzt jedoch will er ihr einen Mann aufdringen, den sie nicht mag und den sie unter keiner Bedingung nehmen will – aber – er quält sie doch.«

»Das ist freilich schlimm,« sagte Brown – »wie alt ist sie?«

»Ach, leider erst siebzehn Jahre,« seufzte Wilson – »wäre sie einundzwanzig, so brauchten wir den Alten nicht zu fragen.«

»Hat sie Euch denn recht von Herzen lieb?«

»Sie hat es mir mehr als tausendmal gestanden.«

»Nun, worin besteht denn da eigentlich die große Noth? Das Herz der Eltern wird sich doch Wohl noch mit der Zeit erweichen lassen,« tröstete ihn Brown.

[] »Ja, wenn es nur Zeit hätte!« rief Wilson ungeduldig aus; »Rowson hält morgen Hochzeit, und da soll Ellen hinüber kommen und den jungen Leuten die Wirthschaft führen helfen.«

»Morgen?« hauchte Brown erbleichend.

»Ja – am Nachmittag,« fuhr Wilson, ohne es zu bemerken, fort. »Hat Atkins dann ausverkauft, so will er nach Texas, und – das Mädchen muß mit.«

»Nun, so geht Ihr mit ihm,« sagte Brown, der kaum noch hörte, was der Andere sprach.

»Das geht nicht,« erwiderte dieser – »ich habe meine alte Mutter in Tennessee, nicht weit von Memphis, wohnend, und die müßt' ich auf jeden Fall erst holen. Sie lebt jetzt bei fremden Leuten, und dort soll sie mir einmal nicht sterben.«

»Da werd' ich freilich wenig für Euch thun können,« seufzte Brown etwas zerstreut, »ich kenne Atkins gar nicht, habe ihn erst einmal gesehen, und es ist doch höchst unwahrscheinlich, daß er auf meine Fürsprache auch nur das geringste Gewicht legen würde.«

»Das sollt Ihr auch nicht bei Atkins versuchen, sondern bei jemand ganz Anderem.«

»Und bei wem?«

»Bei Madame Rowson. – Ihr seid mit Roberts gut bekannt, und Marion hält viel auf Euch, das weiß ich. Wenn Ihr sie recht schön für mich bitten wolltet, sie thät' es Euch sicherlich zu Gefallen.«

»Madame Rowson,« sagte Brown leise und wie in tiefen Gedanken verloren, – »Madame Rowson – kann sie helfen?«

»Oh, sie gilt sehr viel bei Atkins,« betheuerte Wilson. »Als Atkins' Frau im letzten Sommer so lange und gefährlich krank lag, hat sie ganze Wochen lang mit Ellen an ihrem Bette gewacht. – Ihr thun sie Alles zu Liebe, es ist ein gar so gutes Mädchen –«

»Ja – ja!« seufzte Brown tief auf.

»Nicht wahr, das glaubt Ihr auch?«

[] »Was?«

»Daß sie ihr Alles zu Gefallen thun werden.«

»Guter Wilson,« sagte Brown, sich halb von seinem Begleiter abwendend – »Ihr hättet Euch in dieser Sache sicherlich an einen Besseren wenden können, als an mich. Rowson selbst würde da vielleicht ein nützlicherer Fürsprecher sein.«

»Ja,« sagte Wilson halb ärgerlich, »das weiß ich; aber verdammt will ich sein, wenn ich den Mann leiden kann. Die ganze Nachbarschaft hat ihn gern, die Frauen wenigstens, die ganz versessen auf ihn sind, doch ich, ich weiß nicht, mir wird's immer unbehaglich, wenn ich mit ihm freundlich thun soll. Sonderbar müssen auch seine Verhältnisse sein. Vor einem Jahr kommt er hierher, sagt selbst, daß er arm ist, arbeitet nicht das Mindeste, predigt nur und bekommt von keinem Menschen einen Cent dafür, hat aber immer Geld, treibt sich auf solche Art zwölf Monate im ganzen County umher und heirathet auf einmal das schönste Mädchen am Fourche la fave (Ellen ausgenommen, denn, ich weiß nicht, die gefällt mir doch noch besser). Ich selbst habe weiter nichts gegen Rowson, kann nichts gegen ihn haben, denn daß er feig ist, nun, was kümmert das mich, aber – um eine Gefälligkeit möcht' ich ihn nicht bitten, und wenn mein ganzes Lebensglück auf dem Spiele stände.«

»Habt Geduld, Wilson,« tröstete ihn Brown, »wenn Euch das Mädchen liebt und der andere Mann ihr Wort noch nicht hat, so wird sich auch Alles noch einrichten lassen. Ihr habt viele Freunde hier und seid jung und fleißig – was wollt Ihr mehr?«

»Das Mädchen will ich, Brown,« sagte Wilson treuherzig, »und wenn Ihr auch noch so schön predigt, so seht Ihr mir doch ebenfalls aus, als wenn Ihr den entsetzlichsten Kummer auf der Welt hättet und keinem Menschen ein Wort davon anvertrauen könntet. Nein, so still halt' ich's nicht aus. Bis Atkins fortgeht, muß sich mein Schicksal entscheiden, und will oder kann mir bis dahin Keiner von Euch helfen, daß ich das Mädchen im Guten bekomme, nun so hol' mich[] der Teufel, wenn ich sie nicht entführe – und mit geht sie, das weiß ich.«

»Habt Ihr denn schon bei Atkins um sie angehalten?«

»Ja, und sie – die Alte – ein bitterböses Weib, hat mir gedroht, mich zur Thür hinauszuwerfen, wenn ich mich noch einmal dort blicken ließe.«

»Und jetzt wollt Ihr hin?«

»Allerdings – aber nicht in's Haus,« lachte Wilson – »so auf den Kopf gefallen bin ich nicht. Nein, Ellen wäscht heute unten am Bache, ein paar hundert Schritt vom Hause entfernt, im Busch drin, und da das fast die einzige Zeit ist, wo ich ungestört ein Wörtchen mit ihr plaudern kann, so wollt' ich die Minuten wenigstens benutzen. Nachher, wenn sie ihre Arbeit beendet hat, reit' ich noch nach Bowitts hinüber; das Wetter ist ja warm und schön.«

»Kann ich denn Euer Liebchen nicht einmal zu sehen bekommen, daß ich doch wenigstens weiß, welchen Geschmack Ihr habt?« lächelte Brown.

»Warum das nicht?« rief freudig Wilson, »sie wird Euch gefallen, und ich brauche mich ihrer nicht zu schämen; aber kommt denn, wir sind nicht weit mehr von dem Platze entfernt und müssen hier rechts abbiegen, sonst sehen sie uns vom Hause aus. – Halt – hier laßt Euer Pferd, denn durch die Slew können wir nicht reiten, und zur Brücke liegt nur eine alte, dürre Cypresse darüber hin. Mein Pony nehme ich übrigens hinunter in das Schilfdickicht – da ist sein gewöhnlicher Platz«.

»So,« sagte er, als er jetzt schnell wieder zurückgesprungen kam und dem Freunde über die schmale Brücke voranlief – »so – dort ist sie, aber nur leise, wir wollen sie überraschen.«

Die Männer schlichen auf den Zehen einem kleinen offenen Fleck im Walde, gerade in der Biegung des Baches zu, der seine Wasser dem nicht weit entfernten Fourche la fave in tausend Krümmungen entgegenführte, und blieben hier, von dem lieblichen Schauspiel, das sich ihnen bot, wirklich überascht, stehen. Wilson aber warf dem Freund einen triumphirenden [] Blick zu, als ob er hätte sagen wollen: siehst Du, daß ich Recht habe? Ist das ein Wesen für Texas, und soll ich mir diese holde Blume entführen lassen?

Neben dem kiesigen Bachufer, von zwei niederen Holzgabeln gestützt, hing über einem kleinen knisternden Feuer ein mächtiger schwarzer Kessel; mehrere kleine Bänke standen in einem Halbkreis umher und trugen in einzelnen Abtheilungen die verschiedenen Wäscharten, farbige und weiße, und vor einem tischähnlich befestigten Brett stand Ellen, Wilson's holdes Lieb, schlug mit dem breiten Waschholz die einzelnen Stücke Weißzeug, die sie aus einem neben ihr stehenden Kübel nach einander vornahm, und begleitete mit ihrer silberhellen Glockenstimme die regelmäßigen Schläge des Klöppels. Aber nicht ihre einzige Beschäftigung war das. Dicht daneben, zwischen zwei schlanken Hikorystämmen befestigt, hing, von dem leichten Südwind geschaukelt, eine kleine, aus Papaorinde geflochtene Hängematte, in der ein rothbäckiges Kindchen bis jetzt still und friedlich geschlummert hatte. Das schlug aber jetzt die großen dunkeln Augen auf, that einen Blick in die Höhe und verzog dann, anstatt die herrliche, es umgebende Natur freundlich anzulächeln, das kleine liebe Gesichtchen zu einer so entsetzlich sauern Miene, daß alle Anzeichen eines nahenden Sturmes und Wehegeschreis zu fürchten waren. Ellen hatte den kleinen Schläfer aber nicht außer Acht gelassen und bemerkte kaum das Erwachen des angehenden, ungeduldigen Weltbürgers, als sie auch ihren Klöppel schnell fallen ließ, die Hängematte in etwas lebhaftere Bewegung setzte und dem durch ihre Gegenwart sogleich beruhigten Kinde mit leiser, schmeichelnder Stimme ein Wiegenlied vorträllerte. Die Männer lauschten schweigend und Ellen, ihre Nähe nicht ahnend, sang, munter bald sich zu dem jetzt lächelnden Kinde niederbiegend, als ob sie es küssen wollte, bald neckend von ihm zurückfahrend:

Es schaukelt so leise

Der spielende Wind

Im sicheren Netze

Das lächelnde Kind.

[]

Es scheucht Dir die Fliegen

Und fächelt Dich, Lieb',

Und raubt tausend Küsse,

Der schelmische Dieb.

Er küßt Dir die Schläfe,

Die Wänglein so rund,

Er küßt Dir die Locken,

Den rosigen Mund.

Er pflückt von den Zweigen,

Was Lenz ihnen gab,

Und wirft Dir auf's Bettchen

Die Blüthen herab.

So schlumm're, mein Herzchen,

Dein Wächter, der Wind,

Dein freundlicher Hüter,

Er schaukelt das Kind.

Er schaukelt's so leise,

Was willst Du denn mehr? –

Mit neckischem Kosen

Wohl hin und wohl her. –

»Ach Gott!« fuhr sie aber erschrocken auf, als Wilson bei dem letzten Vers leise an sie herangetreten war und seine Hand um ihre Hüfte legte – »ach Du böser Mensch, wie Du mich erschreckst hast!«

»Sei nicht böse darüber, mein liebes Mädchen,« flüsterte Wilson, einen Kuß auf die Lippen der sich nur schwach Sträubenden pressend, »aber sieh, hier hab' ich Dir einen Freund mitgebracht – der –«

Ellen wandte sich rasch und erschrocken um. Als aber ihre Blicke denen des freundlich lächelnden jungen Fremden begegneten, der ja auf jeden Fall auch den Kuß gesehen haben mußte, färbte sich ihr Hals und Antlitz wie von Purpur übergossen und flüchtigen Fußes wollte sie fort. Wilson aber faßte noch zeitig genug ihre Hand und bat flehend:

»Ellen – es ist ja ein guter Freund und er weiß, daß wir uns lieb haben; überdies,« fuhr er neckend fort, »darf das kleine Fräulein auch unter keiner Bedingung fortlaufen und [] den ihr anvertrauten Schutzbefohlenen zurücklassen. Also – da der Schelm in der Hängematte gerade keine besondere Lust bezeigt, auszuwandern, so bleibst Du am liebsten hier. – Hab' ich Recht oder Unrecht?«

»Unrecht,« flüsterte lächelnd das Mädchen, indem sie sich, immer noch von hoher Gluth übergossen, vor dem Fremden verneigte – »Unrecht, Du weißt, daß Du immer Unrecht haben mußt.«

»Schöne Gesetze,« sagte Wilson mit ernst-komischer Miene zu Brown – »sehr schöne Gesetze. Da sind unsere Regulatoren noch gar nichts dagegen.«

»Die häßlichen Regulatoren –« rief Ellen.

»Halt da,« unterbrach sie lachend Wilson – »nicht so voreilig, Miß – hier stehen zwei.«

»Du ein –«

»Stop a little – hier ist unser Hauptmann, und ich –«

»Oh, Sie sind kein Regulator, nicht wahr?« sagte halb ängstlich, halb schmeichelnd das Mädchen zu Brown, »das glaube ich nicht.«

»Haben Sie einen so fürchterlichen Begriff von diesen Menschen?« lächelte Brown.

»Ach ja – Mutter und Vater haben mir entsetzliche Dinge von ihnen erzählt: wie sie die unschuldigen Männer Nachts aus ihren Betten holen, nur wenn Einer von ihnen auf Jemanden böse ist, und sie dann an einen Baum binden und so lange peitschen, bis sie sterben. Vater hat geschworen, Jeden todt zu schießen, der Nachts in feindlicher Absicht über seine Schwelle käme.«

»Sie sind nicht so schlimm, als es Ihr Vater wohl glaubt,« meinte Brown, »und wenn auch –«

»Nun bitt' ich aber ebenfalls darum, ein Wort mit einlegen zu dürfen,« rief Wilson, zwischen sie tretend. »Ich bin denn doch wahrhaftig nicht hierher gekommen, einer Abhandlung über die Regulatoren zuzuhören. Ellen, hast Du noch einmal mit Deiner Mutter gesprochen?«

»Ja,« sagte das arme Mädchen, traurig das Köpfchen senkend – »sie meinte aber –«

[] »Du brauchst Dich vor Mr. Brown nicht zu scheuen, er weiß Alles,« betheuerte Wilson, als er bemerkte, wie seine Braut diesem einen ängstlichen Seitenblick zuwarf.

»Ach, es hilft ja auch nichts, es zu verschweigen,« seufzte das arme Mädchen, ganz Arkansas wird's doch wohl bald erfahren, daß ich den rohen Cotton heirathen soll.

»Cotton?« frug Brown erstaunt.

»Ja – leider. – Zwar hat es mir die Mutter streng untersagt, den Namen gegen irgend Jemand auszusprechen, aber weshalb nicht? – Eher sterb' ich, als daß ich den Menschen heirathe.«

»Du sollst ihn auch nicht heirathen,« sagte Wilson trotzig – »verd – ja so, das darf ich auch nicht,« unterbrach er sich selbst, als ihm sein Liebchen einen strafenden Blick zuwarf. »Ich weiß aber schon, was ich thue; haben wir erst die Raubbande entdeckt, die hier ganz in unserer Nähe ihr schändliches Wesen treibt, und will sich Atkins noch immer nicht erweichen lassen, nun gut, dann soll mich – Dieser und Jener holen – das ist nicht geflucht – wenn ich nicht einen dummen Streich mache und mit Dir davonlaufe.«

»Und das nennt der Herr einen ›dummen Streich‹?« sagte Ellen mit einem gar so lieben und doch auch wieder recht wehmüthigen Lächeln.

»Du weißt ja, wie ich's meine,« bat Wilson – »aber was ist Euch, Brown – Ihr seht so gedankenlos oder gedankenvoll, wie man's nehmen will, in die Baumwipfel hinauf?«

»Haben Sie den Mann, den Sie Cotton nannten, kürzlich gesehen?« wandte sich Brown jetzt, ohne Wilson's Bemerkung zu beachten, an das junge Mädchen.

»Ja,« sagte diese, »vor etwa vier Tagen kehrte er, ich glaube vom Mississippi, zurück, wohin er fast vor zwei Wochen aufgebrochen war. Er kommt aber immer nur Abends, und ich mag sein heimliches, häßliches Wesen nicht leiden; – kennen Sie ihn?«

»Ich glaube, weiß es aber wirklich nicht gewiß; kommt er wohl – aber was ist mit Wilson?«

Brown hatte auch alle Ursache, diesem bestürzt nachzusehen, [] denn wie eine Schlange glitt er plötzlich in's Dickicht und war in wenigen Secunden spurlos verschwunden. Die Ursache dieses eigenthümlichen Rückzuges blieb aber nicht lange ein Räthsel, denn fast zu gleicher Zeit erschien in dem nach dem Hause zuführenden Pfade die stattliche und selbst noch jugendliche Gestalt der Mrs. Atkins, deren helles, schimmerndes Kleid Wilson noch zur rechten Zeit gewarnt hatte, und der es jetzt dem Freunde überließ, mit dem anrückenden Feinde fertig zu werden.

»Hallo da, Miß!« rief die sich mit gewaltigen Schritten und hochgehobenem Haupte nähernde Frau, »hallo da – Herrengesellschaft? Ich habe schon seit einer Viertelstunde keinen einzigen Schlag gehört, die Wäsche soll sich wohl allein fertig machen?«

»Das Kind –« stotterte Ellen.

»Was da – Kind – das liegt so ruhig wie ein Gotteskäferchen in seinem Neste; leere Ausreden –«

»Ich muß Sie bitten, die junge Dame meinetwegen zu entschuldigen,« unterbrach jetzt Brown vortretend die Zürnende, indem er sie freundlich grüßte, »ich komme mit einem Auftrag von den Herren Roberts und Rowson und beabsichtigte eigentlich, die Nacht in Ihrer Wohnung zuzubringen.«

»Dies ist nun freilich der breite Weg nicht,« sagte Mrs. Atkins, jedoch schon merklich besänftigt.

»Allerdings nicht,« lächelte Brown, jetzt nur bemüht, dem armen zitternden Mädchen jedes harte Wort zu ersparen, »ich kam aber ein Stück durch den Wald und wußte an der Slew nicht recht, ob ich hinauf- oder hinunterreiten solle, um das Haus am schnellsten zu erreichen, ging also zuerst über den darüber hinwegliegenden Stamm, um zu recognosciren, und fand die junge Dame hier, die ich freilich durch meine Fragen einige Minuten in ihrer Arbeit störte.«

»Junge Dame – hat sich 'was ›junge Dame‹, setzen Sie dem Mädchen nur keinen Unsinn in den Kopf. Doch mein Mann ist oben im Hause; wo steht denn Ihr Pferd, ich will den Jungen danach schicken!«

»Gerade dort, wo die Cypresse über der Slew liegt,« [] erwiderte Brown, dem jetzt daran lag, die zürnende Frau mit zum Hause zurück zu nehmen, um Wilson freien Spielraum zu lassen.

»Gut, so kommen Sie,« sagte Madame Atkins – »und Du, Mamsell, hältst Dich dazu und bist fleißig. Noch nicht die Hälfte von der Wäsche geklopft – es ist eine Schande, und schon an zwei Stunden hier unten! Daß Du mir vor Dunkelwerden fertig wirst! Und was macht das Kleine?« wandte sie sich dann mit wahrhaft mütterlicher Zärtlichkeit in dem sonst so rauhen Tone zu der schwebenden Wiege des Kindes nieder, das der bekannten Gestalt mit freundlichem, jauchzendem Lächeln entgegenstrampelte – »das gefällt dem Kinde? nicht wahr? schaukeln – den ganzen Tag schaukeln, und nachher schläft's die Nacht nicht, und Ellen muß bis Tagesanbruch mit ihr herumlaufen – der kleine Schelm; aber ja – Sie warten; also Ellen, daß Du mir fleißig bist!«

Und mit den Worten warf sie noch dem Säugling einen freundlichen Kuß zu und schritt dann, von Brown gefolgt, dem nicht sehr fernen Wohnhause wieder zu.

22.
Atkins' Wohnhaus. – Der fremde Besuch. – Die Parole.

Atkins' Wohnhaus unterschied sich, und zwar sehr zu seinem Vortheile, bedeutend von den meisten Blockhütten der Ansiedelung, obgleich es auch eigentlich nur aus Stämmen errichtet war. Diese aber, von innen und außen behauen, bildeten zwei vollkommen gleiche, anderthalb Stockwerk hohe Häuser, welche in der Mitte durch einen nach Norden und [] Süden offenen Zwischenraum verbunden wurden, wobei sich das Ganze unter einem Dache befand. Auch inwendig war der Farmer außergewöhnlich thätig gewesen, und die sauber abgehobelten Bretter, mit denen er jede Spalte höchst sorgsam vernagelt, wurden nur hier und da durch einige riesengroße Ankündigungen wandernder Kunstreitergesellschaften, Wachsfigurencabinette und Menageriebuden verdeckt. Eine der letzteren, auf hellgelbem Papier, zeichnete sich besonders aus und stellte einen Mann dar, der, mit sehr engen Beinkleidern und zwei außergewöhnlich großen Federn auf dem Baret, einem Löwen im Arm lag und diesem höchst angelegentlich etwas in's Ohr zu flüstern schien. Andere verkündeten Aehnliches und waren jedenfalls einmal von den Eigenthümern der Wohnung aus Little Rock, der Hauptstadt des Staates, als Curiosität mitgebracht worden.

Das eine der beiden einander ganz ähnlichen Gebäude wurde nur zum Schlafzimmer benutzt. Fünf Betten mit einer Anzahl von Matratzen und Steppdecken, vielleicht noch einem Dutzend anderer Gäste zum Lager dienen zu können, füllten seine Räume, während an den Wänden die Garderobe der Frauen und – in einem ganz besondern Winkel – der Sonntagsstaat des Eheherrn hing. In dieses Zimmer wurden die Gäste aber nur erst Abends, zur Schlafenszeit, eingeführt, wo die verschiedenen Lager alle hergerichtet und der müden Glieder der Fremden gewärtig waren. Am Tage blieb es jedem nicht zu dem Hausstand gehörenden Auge ein fest verschlossenes Heiligthum. Selbst Atkins wagte nicht, es ohne Erlaubniß seiner Frau, die den Schlüssel dazu bei sich trug, zu betreten.

In dieses Wohn- und Staatszimmer wurde Brown jetzt eingeführt, und dort fand er seinen Wirth, der sich auf den Hinterbeinen eines Stuhles balancirte, dazu ein Lied pfiff und an einem Stückchen Cedernholz mit dem halb abgebrochenen Federmesser schnitzelte. – Das Eintreten des Gastes störte ihn aus seinen Betrachtungen auf, er hatte aber kaum den Blick auf die Thür geworfen und den eben Gekommenen erkannt, als er, augenscheinlich erbleichend, von seinem Sitz [] emporsprang, wild nach dem Gesims über der Thür schaute, wo eine lange Büchse auf zwei Pflöcken lag, und sich erst dann beruhigte, als er sah, daß der Gast allein und in einer keineswegs feindlichen Absicht sein Haus betreten habe.

Brown war selber über das unbegreifliche Erschrecken des Farmers bestürzt, ignorirte es jedoch soviel wie möglich und sagte, indem er auf ihn zuging und ihm freundlich und offen die Hand entgegenstreckte: »Mr. Atkins, es sollte mir sehr leid thun, wenn ich Sie etwa gestört haben sollte.«

»Oh – ganz und gar – ganz und gar nicht,« stotterte, immer noch nicht recht gefaßt, der Farmer, »es war nur – es sollte sich doch auch –«

»Ich bin allerdings in dieser Gegend ein seltener Gast,« lächelte Brown, »und wenngleich am Fourche la fave heimisch, hier doch ein Fremder. Doch mag die Zeit, in der wir leben, meine Störung, wenn ich eine solche versucht habe –«

»Aber, bester Mr. Brown,« unterbrach ihn Atkins, der jetzt seine ganze Fassung wiedergewonnen hatte, »erwähnen Sie doch nur so etwas nicht; Sie sind zwar ein seltener, aber darum nicht minder willkommener Besuch, und möge dies der Anfang zu einer recht fleißigen und fortgesetzten Bekanntschaft werden.«

»Ich will es wünschen,« sagte Brown, die dargebotene Hand schüttelnd, »und möglich ist es, daß wir in einem fremden Lande die hier begründete Freundschaft fortsetzen. Ich habe wenigstens gehört, daß Sie nach Texas auszuwandern gedenken –«

»Ja – aber Sie auch? wenn mir recht ist; doch wurde mir in voriger Woche erzählt, Sie – Sie hätten sich den Regulutoren angeschlossen, ja – wären sogar ihr Anführer geworden.«

»Ja und nein,« lächelte Brown, »angeschlossen habe ich mich ihnen wirklich und bin auch für den Augenblick ihr Anführer geworden, sollte es etwas zu führen geben, aber nur bedingungsweise, und zwar bis zu der Zeit, wo die beiden kürzlich hier geschehenen Mordthaten aufgedeckt und die Mörder [] bestraft sind. Dann leg' ich mein Amt nieder und verlasse den Staat, um ein Bürger der Republik Texas zu werden.«

»Aber die Pferdediebe!« warf Atkins ein.

»Kümmern mich nur insofern, als ich in ihnen ebenfalls die Mörder vermuthe. Natürlich werde ich, so lange ich an der Spitze stehe, auch gegen sie mit allem Eifer handeln, falls wir auf die Spur kommen sollten. Die scheint aber zu vorsichtig versteckt zu sein, und man muß dabei dem Zufall viel überlassen. Jetzt kenne ich nur das eine Ziel, jene Mörder aufzuspüren, und der Herr sei ihnen gnädig, wenn wir sie herausbekommen. Von den Menschen habe sie keine Gnade zu hoffen.«

»Sonderbar,« sagte Atkins nachdenkend, »daß man auch in beiden Fällen noch auf keine Seele Verdacht geworfen hat. – Ja – ich weiß – Sie wurden der ersten That beschuldigt, doch widerstritten dem im Anfang gleich Mehrere; besonders hatten Sie die Frauen auf Ihrer Seite, auch war Ihr Benehmen an jenem Morgen gegen Heathcott, so weit ich es nämlich erfahren konnte, keineswegs so, als ob Sie sich gescheut hätten, ihm frei und männlich entgegen zu treten. Ein solcher Ausweg wäre also für Sie sicher nicht nothwendig gewesen. Es muß ihn Jemand nur seines Geldes wegen beraubt haben, das hab' ich mir gleich gedacht, und wer weiß da, mit wem er Alles verkehrt und wer das Geheimniß der Summe, die er bei sich trug, noch außer Denen gewußt hat, die hier am Fourche la fave wohnen.«

»So halten Sie keinen der Unsrigen für schuldig?«

»Aufrichtig gesagt, nein, denn selbst Die,« setzte er etwas leiser und fast wie mit sich selbst redend hinzu, »die es vielleicht in anderen Fällen mit ihrer Ehrlichkeit nicht so genau nähmen, halte ich doch, was Menschenblut betrifft, für unfähig, einen solchen kaltblütigen Mord zu begehen.«

»Ich will es wünschen,« seufzte Brown, indem er sich mit der Hand an den obern Balken des Kamins stützte und gegen diese die Stirn legte – »ich will es wünschen; übrigens erwarte ich mit jedem Tage den Indianer zurück, und der kommt sicherlich nicht ohne Kunde wieder.«

[] »Nicht ohne Kunde – so?« sagte Atkins; »ja, der Indianer ist sehr schlau, aber mit den Hufspuren wußte er damals doch nicht umzugehen –«

»Weil er nie nachforschte,« erwiderte Brown. »Der Tod seines Weibes hatte ihn so erschüttert, daß ich wirklich ernstlich für sein Leben fürchtete. Uebrigens kam er auch einen Tag zu spät, denn die Diebe waren schon geflohen, und der Regen hatte indessen die Spuren verwaschen.«

»Ein verwünschtes Ding mit dem Regen,« lächelte der Farmer, sich hinter dem Rücken seines Gastes leise und selbstgefällig die Hände reibend, »hat schon manche Spur verwischt und solchen Sappermentern fortgeholfen. Mir haben sie ebenfalls im vorigen Jahr ein paar herrliche Pferde gestohlen.«

»Ihr hättet schon lange kräftiger gegen die Burschen auftreten sollen; sie sind zu kühn geworden und holen Euch die Thiere zuletzt unter den eigenen Augen weg. Man sagt sogar, es wohne hier irgendwo am Flusse ein Hehler, der einen sichern Aufbewahrungsort für geraubte Pferde habe.«

»Wer sagt das?« frug Atkins schnell auffahrend.

»Es wurde in unserer letzten Versammlung erwähnt,« entgegnete Brown, ohne die Bewegung zu beachten oder seine Stellung zu verändern, »man sprach auch davon, wenn die Diebereien nicht nach ließen, eine Durchsuchung vorzunehmen, oh man nichts entdecken könne.«

»Es wird sich nicht Jeder einer Haussuchung unterwerfen,« erwiderte Atkins unwillig. »Wir sind hier in einem freien Lande, und wen ich nicht auf meinem Grund und Boden dulden will, dem sag' ich ganz einfach ›marsch!‹, und wenn er da nicht geht, so nehm' ich die Büchse vom Haken.«

»Ja, sehen Sie, Mr. Atkins,« entgegnete Brown, sich freundlich nach ihm umwendend, »das ist ja gerade die Ursache, weshalb wir Regulatoren zusammengetreten sind. In diesem Falle sind die Gesetze zu schwach in Arkansas. Ein Mann, gegen den kein weiterer Beweis vorliegt, und wenn er der ärgste Schurke wäre, könnte ruhig und ungestört auf seiner Farm sitzen bleiben. Er hat das Recht, Jeden nieder [] zu schießen, der sich mit Gewalt bei ihm eindrängen will – gut! hierdurch wird aber auch dem Verbrechen auf eine Art Vorschub geleistet, bei der die Bevölkerung im Allgemeinen nicht bestehen kann. Wer soll sein Eigenthum gesichert wissen, wenn es der Räuber bei regnerischem Wetter, das die Spuren verwischt, vielleicht nur nach Hause zu treiben braucht, um es außer aller Gefahr zu wissen, und ein solcher nicht zu gleicher Zeit dem ausgesetzt ist, daß das Volk in Masse gegen ihn aufsteht, ihn hervorholt aus seinem Schlupfwinkel und – züchtigt.«

»Wofür haben wir aber die Gesetze?« frug Atkins mürrisch, »wofür, wenn sie zu schwach sind?«

»Sie sind nicht zu schwach,« erwiderte Brown, »können aber nicht ausgeführt werden. Ich will den Fall setzen, der Verbrecher wird von dem Sheriff erfaßt und vom Gericht verurtheilt: wohin bringt man ihn, bis er in das Zuchthaus des Staates abgeliefert werden kann? in eins der kleinen zu diesem Zweck errichteten Blockhäuser, aus dem ihn seine Freunde in der ersten Nacht befreien.«

Atkins lächelte.

»Wie mir gesagt wurde,« fuhr Brown, ohne es zu bemerken, fort, »haben Sie davon selbst in diesem County einige Beispiele. Erreicht er aber wirklich im günstigsten Falle die Penitentiary in Little Rock, hat ihn der Staat sicher unter Schloß und Riegel, so ist das doch kaum für eine, höchstens zwei Wochen, denn ein paar von den daraus entsprungenen Verbrechern sollen ja selbst geäußert haben, das Zuchthaus sei so schlecht gebaut, daß sie der Sheriff gar nicht so schnell hineinsperren könnte, wie sie wieder herauskämen. Was hilft es uns also, wenn wir den Gesetzen gehorchen, die Sträflinge abliefern und sie dann, wenn wir sie sicher und unschädlich hinter Schloß und Riegel glauben, schon nach vierzehn Tagen wieder unter uns und mit unserem Eigenthum beschäftigt finden?«

»Ach ja,« lächelte Atkins, »die Sache ist nicht so ganz ohne. Ich weiß, daß Cotton –«

»Wo ist Cotton jetzt?« frug Brown schnell.

[] »Cotton?« wiederholte Atkins schnell gefaßt und, wie es schien, sehr verwundert – »Cotton? Lieber Gott, wer weiß, wo der jetzt steckt. Wie ich neulich gehört habe, sucht ihn sogar der Sheriff. Aber wie kommen Sie zu der Frage?«

»Er soll sich in dieser Gegend haben blicken lassen,« erwiderte Brown, der Ellen's Aussage nicht anführen wollte, um dem armen Mädchen keine Unannehmlichkeiten zu bereiten, jetzt aber, durch seines Wirthes Leugnen, zum ersten Mal Verdacht schöpfte. »Man will ihn sogar auf dieser Straße bemerkt haben.«

»Ja, das ist sehr leicht möglich,« lächelte Atkins, »es reitet Mancher auf dieser Straße hin, ohne gerade bei mir einzusprechen. Die Leute schwatzen aber viel.«

»Ich bin heute eigentlich im Auftrage der Herren Roberts und Rowson hier,« sagte Brown, der dem Gespräch eine andere Richtung zu geben wünschte. »Mr. Roberts nämlich – ach, da kommt mein Pferd,« unterbrach er sich selbst, als der Mulatte den Braunen vor die Thür ritt und dort aus dem Sattel sprang.

»Bitte – bleiben Sie hier,« hielt ihn Atkins auf, als er sah, daß sein Gast hinausgehen wollte, »Dan wird das schon besorgen. – Nimm das Pferd in den Stall, füttere es gut und leg' das Geschirr nachher hier zwischen die Häuser,« rief er diesem zu, »und wenn Du damit fertig bist, so –« er war bei diesen Worten zu ihm hinaus getreten und vollendete seinen Satz mit leiserer Stimme, so daß Brown nichts weiter davon verstehen konnte. Der Mulatte nickte aber sehr bedeutend mit dem Kopfe, als ob er Alles ganz vollkommen begriffen habe, führte das Pferd fort und ließ sich an diesem Abend nicht weiter blicken.

»Sie wollten mir etwas von einem Auftrage sagen?« frug Atkins den Gast jetzt, als er in das Haus zurückkehrte.

»Ja,« antwortete dieser, wie aus einer Zerstreuung erwachend, »Mr. Roberts wird mit – mit seinem Schwiegersohn am Montag Morgen oder Mittag zu Ihnen kommen, um Haus und Felder in Augenschein zu nehmen, und läßt [] Sie daher bitten, auf ihn zu warten, wenn er auch vielleicht ein wenig spät eintreffen sollte.«

»Schön – sehr schön!« erwiderte Atkins freundlich, »ich denke, daß wir ein Geschäft mitsammen machen können. Es sind Beides ein paar wackere Leute, die einen armen auswanderungslustigen Teufel nicht drücken werden. Die Hochzeit soll wohl morgen schon stattfinden?«

»Ja!« erwiderte Brown mit leiser Stimme, »ich glaube – morgen.«

»Sie werden wohl auch bei der Trauung sein?«

»Wer – ich? nein – ich glaube nicht. – Unsere Versammlung wird wahrscheinlich bis spät Abends dauern, und dann bleibe ich bei Bowitts.«

»Welche Versammlung?«

»Die der Regulatoren; wir kommen morgen in Bowitt's Hause zusammen.«

»Morgen Versammlung? Das muß ja recht heimlich zugegangen sein, ich habe keine Silbe davon gehört.«

»Natürlich wurde es nur an Die bestellt, die Regulatoren sind,« fuhr Brown fort, der in diesem Augenblick eine Gelegenheit gefunden zu haben glaubte, für den armen Wilson ein gutes Wort einzulegen – »doch wundert es mich, daß Ihnen Wilson nichts davon gesagt hat. – Er hatte die Bestellung in dieser Gegend übernommen, die keineswegs geheim gehalten werden sollte.«

»Mr. Wilson ist sehr lange nicht in meinem Hause gewesen,« erwiderte Atkins, dem die Erwähnung dieses Namens unangenehm zu sein schien, »daher kommt es denn wohl, daß mir die Sache fremd blieb. Doch ist das einerlei; ich bin kein Regulator, habe also auch kein Interesse an der Versammlung. In Texas sollen sich ja ebenfalls solche Compagnien gebildet haben.«

»Ja,« sagte Brown, übrigens nicht willens, seinen Angriff so bald aufzugeben, »aber was ich gleich sagen wollte, Wilson scheint sich ja hier in der Gegend für immer niederlassen zu wollen. Ich glaube kaum daß Sie sich einen besseren Nachbar wünschen könnten.«

[] »Sie vergessen, daß ich mich kaum noch zu dieser Gegend rechnen kann,« erwiderte Atkins. – »Doch da kommt meine Alte schon mit dem Tischzeuge – die Tage sind noch recht kurz. Apropos, Mr. Brown, wie geht es denn mit Ihrem Onkel? Es hat uns Allen recht leid gethan, daß das Fieber den armen Mann so gewaltig packte. Das verwünschte Fieber will sich aber nicht abweisen lassen und die gesündesten Menschen greift es am stärksten an.«

Brown sah wohl, daß, für jetzt wenigstens, jede weitere Anspielung vergeblich sein würde, noch dazu, da auch Madame Atkins und bald darauf Ellen mit dem Kinde zum Hause zurückkehrten. Gern hätte er nun freilich ein wenig mit dem schönen Mädchen geplaudert, doch fürchtete er ebenfalls, ihr dadurch unangenehme Worte zuzuziehen, ein freundlich dankender, ihm verstohlen zugeworfener Blick sagte ihm jedoch deutlich genug, daß sie seine frühere Güte, die Pflegemutter mit fortzunehmen, erkannt und – was noch besser war – benutzt hatten.

Das Gespräch drehte sich jetzt um allgewöhnliche Gegenstände, um Weide, Jagd, Vermessung des Landes in der Nachbarschaft und die nicht selten damit verknüpften Streitigkeiten der neben einander Wohnenden; um einen vor etwa fünf Tagen vorgefallenen Mord am andern Ufer des Arkansas, wo ein Viehhändler erschossen und seiner Brieftasche, die etwa tausend Dollars enthalten haben sollte, beraubt worden, ohne daß man den Mörder hätte entdecken können; dann um die jetzige Gesetzgebung, Sheriffs- und Gouverneurswahlen etc. etc., bis die buntfarbige, den Kaminsims zierende Yankee-Uhr Acht schlug. Jetzt aber begann das Kleine, das bis dahin sanft in seiner im Hause befestigten Hängematte geschlafen hatte, unruhig zu werden und zu schreien. Ellen nahm es aus dem Bettchen heraus und ging mit ihm im Zimmer auf und ab, es schrie aber immer ärger, wollte sich nicht mehr beruhigen und wurde in kaum einer Viertelstunde so krank, daß die Frauen, zu Tode geängstigt, hin-und hersprangen, um alle möglichen, im Hause nur aufzutreibenden Heilmittel herbeizuholen.

[] Es blieb aber Alles vergeblich, das Kind schrie mit jedem Augenblick ärger und in Todesangst schickte nun die Mutter nach Hülfe aus. Ein junger Amerikaner hatte in den letzten Tagen für Atkins ein großes und sehr geräumiges Canoe aushauen müssen und hielt sich noch im Hause auf. Dieser wurde jetzt mit dem Mulatten nach verschiedenen Richtungen abgeschickt, die benachbarten und fernen Farmersfrauen, die irgend etwas von Kinderkrankheiten verstanden, mit dem Zustande des armen Würmchens bekannt zu machen und sie, so schnell sie ihre Pferde tragen würden, herbeizurufen.

Die Mutter geberdete sich indessen wie eine halb Wahnsinnige. Wie ihrer Sinne beraubt, lief sie im Hause umher und machte dabei der armen Ellen fortwährend die bittersten Vorwürfe, daß sie das Kind vernachlässigt habe und es selbst gern aus der Welt schaffen möchte, nur um seiner Wartung und Pflege überhoben zu sein.

Umsonst betheuerte das arme Mädchen seine Unschuld, berief sich auf die Liebe, die es dem kleinen Schreier stets bewiesen; es war Alles vergeblich und unter den härtesten, ungerechtesten Vorwürfen befahl ihr die Frau, still zu sein und »keinen Mucks weiter zu thun«, wenn sie nicht erfahren wollte, wie man widerspenstige Dienstboten behandle.

Brown war entrüstet hierüber und beschloß, von nun an Alles zu versuchen, was in seinen Kräften stehen würde, den Freund zu unterstützen und das Mädchen einer solchen Mißhandlung zu entziehen, wußte aber nur zu gut, daß in diesem Augenblick jede Vorstellung nicht allein nutzlos sein, sondern für die Arme nur noch unangenehmere Folgen haben würde.

Die Verwirrung hatte jetzt ihren höchsten Grad erreicht. Das arme kleine Wesen schien mit jedem Augenblick kränker zu werden, Ellen ängstigte sich mit stillthränenden Augen ab, dem Liebling Hülfe zu leisten, und die Mutter lief, des Fremden Gegenwart gar nicht mehr beachtend, im Zimmer auf und ab und rief, fortwährend die Hände ringend, daß dies des Himmels Strafe wäre, der sie jetzt in dem armen unschuldigen Kinde für alle ihre Sünden und Schwachheiten heimsuche. Da begehrte von draußen her plötzlich eine fremde Männerstimme [] Einlaß und die Hunde, dadurch erweckt, schlugen laut bellend und heulend an. Der Wind, der den ganzen Tag nur schwach von Süden her geweht, hatte sich gedreht, schüttelte, von Nordwesten kommend, die Aeste und Zweige der gewaltigen Stämme wild durcheinander und blies, als die Thür geöffnet wurde, das auf dem Tische stehende Licht aus. Das Feuer im Kamin war indessen ebenfalls ziemlich niedergebrannt und das Haus lag plötzlich in tiefer dunkler Nacht.

»Hallo da drinnen – kann ich hier übernachten?« rief da die Stimme zum zweiten Mal – »der Henker hole die Hunde – wollt ihr die Mäuler halten!«

»Ruhig, Hector – ruhig, Deik – nieder mit euch, ihr Canaillen – könnt ihr einen Mann nicht zu Worte kommen lassen?« schrie Atkins, der in die Thür getreten war, ärgerlich nach den Hunden hinüber – »steigt ab!« wandte er sich dann an den Fremden, »mein Bursche soll das Pferd besorgen.«

»Beißen die Hunde?« frug Jener, vorsichtig der Einladung Folge leistend und seinen Weg über die Fenz fühlend.

»Nein,« sagte Atkins, »nicht, wenn ich dabei bin. Kommt nur hierher und fallt nicht über das Holz dort – halt – dort steht die Stahlmühle – stoßt Euch nicht – so – drei Stufen, die unterste wackelt ein wenig. Oh, Ellen, zünde doch das Licht wieder an!«

Ellen war indessen schon emsig beschäftigt gewesen, ein paar Kienspäne zum Brennen zu bringen. Bald war der Raum auch hinlänglich erleuchtet, um den Mann wenigstens erkennen zu können, der in diesem Augenblick in's Zimmer trat, dort seinen alten Reitermantel und die Otterfellmütze ablegte und nun freundlich grüßend zu der Familie an den Kamin und in den hellen Schein des jetzt wieder hoch auflodernden Feuers schritt. Es war ein kleiner untersetzter Mann mit lebhaften grauen Augen, langen, schlichten blonden Haaren und vielen Sommersprossen, dabei in ein baumwollenes Jagdhemd und ebensolche Gamaschen gekleidet, während eine alte, vielgebrauchte Satteltasche, die er über dem Arm trug und jetzt neben dem Kamin niederlegte, alles Das zu enthalten[] schien, was er auf einem Ritt durch den Wald und in solch wilder Gegend bedurfte. Sein Blick schweifte übrigens, als er sich den beiden Männern näherte, unruhig von Einem zum Andern und er schien mit sich selber zu Rathe zu gehen, welchen von ihnen er als den Wirth des Hauses anreden solle.

Madame Atkins mochte übrigens mit dem neuen Gaste, der nur noch mehr Störung und Unruhe versprach, weniger zufrieden sein, denn sie nahm jetzt mit ziemlich mürrischem Blicke das kleine leidende Wesen auf den Arm, hüllte es in eine Decke und rief Ellen zu, ihr mit dem Licht und Feuerzeug in das andere Haus zu folgen, wo augenblicklich ein Feuer im Kamin angezündet werden sollte. Ellen gehorchte schnell dem Befehl und es war alle Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß Madame an diesem Abend nicht weiter sichtbar sein würde.

»Schrecklicher Wind draußen,« sagte der Fremde nach einer Weile, in der er, als er mit sich selbst über die Identität des Wirthes einig zu sein schien, starr vor sich niedergesehen hatte; »bläst, als ob er die Eichen mit der Wurzel ausreißen wollte.«

»Ja, es ist draußen ein wenig unruhig,« meinte Atkins, seinem Gaste einen forschenden Blick zuwerfend. »Ihr kommt wohl weit her?«

»Nein, nicht so sehr – vom Mississippi.«

»Weiter westlich?«

»Ja – nach Fort Gibson – wie weit ist's noch bis zum Fourche la fave?«

»Ich wohne an dem Flusse,« sagte Atkins und begegnete dabei dem Blick des Fremden. Brown, durch die Unruhe mit dem Kinde und den Eintritt des Neuangekommenen aufgestört, hatte indessen seinen Sitz am Feuer wieder eingenommen und unterhielt sich damit, den langen Feuerstock, der an der Kaminecke lehnte, dann und wann in die Kohlen zu stoßen, um hier und da ein in der Gluth sich formendes Bild zu zerstören oder neu zu gestalten.

»Ihr seid am Ufer des Flusses mehrere Meilen hingeritten,« mischte er sich jetzt in das Gespräch, »konntet ihn aber [] nicht sehen, da das Schilf wohl eine Viertelmeile breit und sehr dicht ist.«

»Ja, ich dachte mir, daß der Fluß in der Nähe sein müßte. – Schönes Schilf das – muß herrliche Fütterung geben. – Die Weide ist wohl gut hier?«

»Sehr gut,« antwortete Atkins und wieder traf er den Blick des Fremden, der, vorsichtig Brown von der Seite im Auge behaltend, zu ihm aufschaute. Dieser aber hörte mitten in seiner Beschäftigung auf, ließ ganz in Gedanken den Stock in der Gluth, der hell zu flammen anfing, und sah sinnend in den Kamin hinein, als ob er sich irgend etwas hätte in's Gedächtniß zurückrufen wollen, das ihm schon halb und halb entfallen war.

»Ich bin scharf geritten,« brach jetzt der Fremde das kurze Schweigen, »und der Wind macht durstig; dürft' ich Sie wohl um einen Schluck Wasser bitten?«

»Von Herzen gern,« erwiderte Atkins und eilte schnell auf den Eimer zu, um dem Gaste das Verlangte zu reichen. Aber auch Brown sah sich, von einem plötzlichen Gedanken durchzuckt, nach diesem um und fand dessen Blicke fest auf sich selber haftend, doch drehte er sich sogleich nach Atkins zu, nahm den Flaschenkürbis aus seiner Hand und that einen langen, langen Zug.

»Da ich den Herrn hier nach Wasser fragen hörte, fiel auch mir ein, daß ich durstig sei,« sagte Brown jetzt wieder ganz gefaßt, indem er sich nun mit aller Klarheit des Gespräches in der gespenstischen Hütte am Arkansas erinnerte und auf keinen Fall die beiden Männer merken lassen wollte, daß er in irgend einer Sache Verdacht schöpfe oder ihr Verständniß ahne.

»Halt, Gentlemen,« rief jetzt Atkins – »Sie trinken da das kalte Zeug so in sich hinein, noch dazu bei solchem Sturme draußen; wie wär's, wenn wir erst ein Tröpfchen Whisky vorangössen? Der mag Bahn brechen und das Wasser thut nachher auch keinen Schaden mehr.«

»Wird uns allen Dreien von Vortheil sein,« sagte schmunzelnd der Fremde, während der Wirth an einen kleinen Seitenschrank [] ging und gleich darauf einen Krug und drei Blechbecher zum Vorschein brachte.

»Hier, Mr. Brown – schenkt Euch selbst ein,« sagte er zu diesem, ihm den Krug hinhaltend – »oh – ordentlich, das ist ja kaum ein Tropfen – so recht. – Je unfreundlicher es draußen stürmt, desto freundlicher müssen wir sehen, es im Innern zu erhalten. – Und nun Sie, Sir, wie ist Ihr Name eigentlich? ich heiße Atkins und der Herr da Brown!«

»Mein Name ist Jones,« erwiderte der Gast, »John Jones, leicht zu behalten, nicht wahr? nun, auf bessere Bekanntschaft, Mr. Atkins – auf bessere Bekanntschaft, Mr. Brown!« Und er hob den Becher freundlich, zu den Männern aufblickend, an die Lippen. Atkins' Züge aber überflog ein halb spöttisches, halb ängstliches Lächeln, als der Mann, der sich Jones nannte, mit dem Regulator »auf bessere Bekanntschaft« anstieß. Er durfte aber, was er dachte, mit keiner Miene, mit keinem Blick verrathen und begnügte sich nur, die Becher der Beiden zu berühren, während er wirklich aus tiefster Seele sagte, »auf daß wir immer recht gute Freunde bleiben mögen!«

Ellen hatte indessen mehrere Decken und Matratzen auf der Erde ausgebreitet und begann ein Lager daraus herzurichten, erwiderte aber auf Atkins' Frage nach dem Befinden des kranken Kindes, daß es arge Schmerzen zu haben scheine, obgleich Keiner von ihnen wisse, was ihm fehle.

»Kannst Du ein Viertelstündchen von der Pflege desselben abkommen?« frug der Vater.

»Ich weiß kaum – Madame –«

»Schon gut – setze nur die Töpfe an's Feuer,« unterbrach sie Atkins – »Du mußt schnell noch etwas Abendessen für Mr. Jones hier zurecht machen. Ich will es indessen meiner Frau sagen.«

Er verließ bei diesen Worten das Zimmer und Ellen traf rasch alle nöthigen Vorbereitungen zu der einfachen Mahlzeit der westlichen Farmer, die aus nichts mehr als warmem Maisbrod, gebratenem Speck, heißem Kaffee und etwas Butter, Käse und Honig bestand. Die beiden Männer saßen indessen [] ruhig am Kamin und Brown beobachtete die schlanke Gestalt des schönen Mädchens, das mit geschäftiger Eile und gewandter Hand alles Nöthige besorgte, während Jones, wie in tiefen Gedanken, mit dem langen Stock im Feuer herumarbeitete und die glühenden Kohlen von den großen Klötzen abstieß. Diese Arbeit unterbrach er nur dann, wenn er mit etwas ungeduldiger Miene einen Blick zuerst auf die über dem Kamin stehende Uhr und dann nach der Thür warf, durch die er Atkins zurückerwartete.

Dieser erschien endlich und zu gleicher Zeit war das Abendessen für den späten Gast bereitet. Ellen sollte aber noch mehr zu kochen bekommen, denn eben hielten draußen an der Thür wieder mehrere Pferde; Frauenstimmen wurden gehört und die scharfen Töne der Mrs. Atkins riefen gellend herüber, den Kaffee aufzusetzen und eine tüchtige Kanne voll bereit zu halten.

Brown saß noch immer sinnend, den Kopf an den Seitenbalken gelehnt, neben dem Kamin; Atkins aber zündete ein zweites Licht an und sagte freundlich zu ihm:

»Mr. Brown, Sie scheinen müde zu sein, hier ist Ihr Licht und wenn Sie sich niederlegen wollen, will ich Ihnen Ihr Bett zeigen.«

»Oh bitte, machen Sie sich meinetwegen keine besonderen Umstände!« rief der junge Mann, der die von Ellen herbeigeschafften Betten zusammengerollt in der Ecke liegen sah – »ich kann warten und bin keineswegs schläfrig.«

»Wir haben ein Bett hier oben,« erwiderte ihm Atkins, »dort können Sie ungestört liegen und morgen früh, so früh es Ihnen gefällt, nach Bowitts aufbrechen. Ueberdies werden wir hier unten wenig zur Ruhe kommen, da ich eben mehrere Nachbarinnen ankommen hörte. – Das Kind ist doch wohl kränker, als ich im Anfang selber glaubte.«

»Sie scheinen Damenbesuch zu bekommen?«

»Leider,« seufzte der Farmer mit unverstelltem Entsetzen, »und der liebe Gott gebe nur, daß sich das arme kleine Würmchen bald wieder erholt, sonst schwatzen sie es todt – also wenn –«

[] »Ja, da halt' ich es selbst für besser, daß ich mich zurückziehe,« lächelte der junge Mann; »also gute Nacht, meine Herren – Mr. Jones kommt wohl später auch hinauf?«

»Es ist nur ein Bett oben, Mr. Jones werd' ich wohl ersuchen müssen, hier unten –«

»Oh, machen Sie um Gottes willen mit mir keine Umstände!« rief dieser, Ellen seine Tasse hinüberhaltend, die von ihr wieder aus der großen schweren Blechkanne gefüllt wurde – »also gute Nacht! Wenn Sie morgen nicht zu früh aufbrechen, habe ich vielleicht das Vergnügen Ihrer Gesellschaft auf der Straße – ich weiß zwar nicht, welche Richtung –«

»Aufwärts. – Nein, so sehr früh werde ich nicht reiten,« entgegnete Brown; »also auf Wiedersehen!«

Damit nickte er noch einen freundlichen Gutenachtgruß der Jungfrau zu und war im nächsten Augenblick in dem obern Theile des Hauses verschwunden, der eigentlich nur durch quer über die Balken weggelegte Bretter gebildet wurde. Atkins kehrte bald darauf wieder mit dem Lichte zurück, und er sowohl als der Fremde beobachteten, so lange Ellen noch im Zimmer war und theils das Lager für den Gast bereitete, theils das Geschirr und Tischtuch wieder abräumte, tiefes Stillschweigen. Endlich aber hatte sie Alles vollendet, stellte das Licht auf den Tisch, nahm die Kaffeekanne und einen Korb voll Tassen mit hinüber und zog sich mit einem leisen »Gute Nacht«, das von keinem der beiden Männer gehört, wenigstens von keinem beachtet wurde, zurück.

Kaum hatte sie das Zimmer verlassen, als Atkins aufstand, das Licht auslöschte, daß der Raum nur noch sparsam durch die knisternden Scheite erhellt wurde, und dem Gaste winkte, ihm zu folgen.

»Euch sendet Jemand zu mir?« flüsterte er dann, als er ihn weit genug vom Hause fortgeführt hatte, um nicht von dort aus gehört zu werden.

»Ja,« erwiderte der Fremde – »Euer Name?«

»Atkins.«

»Gut – ich bringe Pferde.«

»Wo sind sie?«

[] »In der Biegung des Baches.«

»Im Wasser selbst?«

»Nun versteht sich.«

»Aber woher kennt Ihr die Stelle? Waret Ihr schon früher einmal in dieser Gegend?«

»Ich sollte denken,« lächelte Jener. »Ich habe hier den ersten Axthieb gethan, und von mir kaufte Brogan den Platz, von dem Ihr ihn wieder erstanden habt.«

»Also Ihr selbst legtet jenen geheimen –«

»Schon gut,« unterbrach ihn vorsichtig Jones, »was hilft's, Sachen zu nennen, die ja doch ein Anderer hier im Dunkeln, möglicher Weise hören könnte. Ich habe nie von solchen Gegenständen gesprochen. Befindet sich das Thor noch an der obern Fenzecke?«

»Ja wohl; wo der Bach vorbeifließt.«

»Gut, dann trefft Anstalten, die Thiere unterzubringen ich hole sie indessen.«

»Und braucht Ihr keine Hülfe?«

»Keine, bis wir sie im Innern der Umzäunung haben,« und mit diesen Worten wandte sich der bündige Sprecher von seinem Wirthe ab und war in wenigen Secunden im Dunkel verschwunden. Atkins aber kehrte zum Hause zurück, umging dieses, schritt dann quer über den kleinen Platz einer Art Hof zu, in welchem sechs oder acht Pferde frei umherliefen, überstieg die sich darum hinziehende Fenz und verlor sich dann ebenfalls in der finstern, rabenschwarzen Nacht.

Brown fand, als er durch die Spalten der Decke die beiden Männer das Haus leise zusammen verlassen sah, seinen Verdacht bestätigt und war lange unschlüssig, ob er ihnen folgen und sie auf der That ertappen, oder ihr nächtliches Werk ruhig vollenden lassen solle. Was konnte er, der Einzelne, Unbewehrte, aber gegen sie ausrichten, die sicher auf eine Ueberraschung vorbereitet und bewaffnet waren? Er hätte sie nur gewarnt, daß sie entdeckt wären, und jede weitere Enthüllung des Verbrechens selbst vernichtet. Ruhig blieb er daher auf seinem Lager ausgestreckt liegen und überdachte [] die Vorfälle und einzelnen Umstände des vergangenen Tages.

Ellen, das unschuldige Kind, war auf keinen Fall in die Frevelthat eingeweiht, sonst hätte sie nicht so unbefangen den Aufenthalt und Besuch Cotton's, dem der Sheriff schon seit mehreren Wochen nachspürte, verrathen. Wo aber lebte dieser Cotton? wo gab es eine Hütte oder ein Dickicht, das so viele Tage lang einen Verbrecher verbergen konnte, ohne daß die Nachbarn auch nur das Mindeste von ihm verspürt hatten? Hier in der Nähe mußte es sein, denn weite Märsche durfte jener Mann, besonders bei Tage, schwerlich wagen zu unternehmen. Wo also war sein Schlupfwinkel? Wer wohnte hier in der Nachbarschaft? Wilson? bei dem war es nicht – Pelter? gehörte mit zu den Regulatoren – Johnson? das wäre eher möglich gewesen, und hier öffnete sich eine neue Quelle des Verdachts. Johnson's Pferde hatten die Verfolger in jener Nacht eingeholt; Husfield schwor, die Fährten zu erkennen, und noch am nördlichen Ufer seine Spuren gesehen zu haben; am andern Ufer waren sie nur diesen Pferden gefolgt und fanden fremde Thiere, die auf keinen Fall ihre Hufe am jenseitigen Ufer eingedrückt hatten; Curtis, Cook und Husfield setzten wenigstens ihre Seligkeit zum Pfande, die großen Hufe des einen Pferdes am vorigen Tage nirgends bemerkt zu haben.

Johnson und Cotton – zwischen diesen Beiden mußte ein Verständniß herrschen; aber nicht allein konnten sie alles dies ausgeführt haben; wer waren die Anderen, und standen jene mit den beiden Todtschlägern in irgend einer Verbindung?

Der Kopf that ihm zuletzt weh vom vielen Nachsinnen, seine Gedanken verwirrten sich. Die verschiedenen Gestalten und Plätze, die er gesehen, verschwammen zu tollen, bunten Bildern; er träumte zuletzt, er sei in den Prediger Rowson umgewandelt, und Marion beuge sich über ihn hinüber und küsse ihn, und nenne ihn mit den zärtlichsten Namen, während ihm das Herz blutete, daß alles dieses dem Bilde seines Nebenbuhlers gelte. Endlich verließen ihn auch diese unruhigen [] Träume; der Geist unterlag, wie der Körper, der gehabten Anstrengung, und er schlief sanft und fest.

23.
Die verbündeten Verbrecher. – Unerwartete Gäste. – Der neue Plan.

Wir müssen noch einmal zu der Dämmerungsstunde dieses nämlichen Abends und zwar in eine kleine, aber wohnliche Blockhütte zurückkehren, die im dichten Walde lag und durch keine, wenigstens keine leicht erkennbare Straße mit den übrigen verschiedenen Wohnungen des County in Verbindung stand. Johnson hauste hier und hatte den Platz vor etwa Jahresfrist von einem Jäger für zwanzig Dollars baares Geld, eine wollene Decke und ein Bowiemesser erstanden, später zwar einmal den Anfang zu einem kleinen Felde gemacht, dieses aber gar bald wieder liegen lassen und dann nur einen kleinen Hofraum eingefenzt, um die wild umherstreifenden Schweine und Kühe von seiner Thür abzuhalten, oder auch ein Pferd, das er bei sich zu behalten wünschte, daran zu hindern, das Weite zu suchen. Da er übrigens nur selten in seiner Wohnung anzutreffen war, und diese selbst, wie schon gesagt, ganz aus dem Wege und isolirt dalag, so verlor sich nicht oft ein Ansiedler, höchstens ein Jäger in diese Gegend, und der Eigenthümer sah schon dadurch vollkommen seinen Wunsch erfüllt: allein und ungestört leben zu können.

Der Einzige, mit dem er in dieser Nachbarschaft Umgang pflog, war Atkins, und dessen Mulatte, in das Geheimniß [] seines Herrn eingeweiht, trug oft Botschaft herüber und hinüber. Jetzt aber sah es in der sonst so einsamen Hütte keineswegs leer und öde aus, denn in dem Kamin knisterte ein helles, erwärmendes Feuer, an einer darüber hinweg gelegten und befestigten Stange hing ein großer eiserner Topf, und um die Gluth herum, auf niederen Sesseln und Stühlen, saßen Cotton und Johnson im eifrigen Gespräch begriffen und Beide augenscheinlich mit Sehnsucht das Kochen des vor ihnen hängenden Kessels oder Topfes erwartend.

»Hört, Johnson – jetzt steigen Blasen auf,« sagte endlich der rauhe Cotton ungeduldig – »macht fort, daß ich meinen Trunk bekomme, ich muß eilen, sonst find' ich Atkins vielleicht nicht mehr im Hause.«

»Wartet noch ein paar Secunden, das Getränk wird flau, wenn das Wasser nicht ordentlich siedet,« erwiderte der Gefährte – »aber halt – jetzt fängt es an; nun reicht Euren Becher her, ich will Euch nicht länger aufhalten.«

»Donnerwetter, das ist heiß!« fluchte Jener, als er ungeduldig den Blechbecher an die Lippen brachte – »in den verwünschten Geschirren kühlt sich's auch gar nicht ab.«

»Ja, das läßt sich nicht ändern,« lachte Johnson, »Glas und Porzellan können wir hier nicht – alle Teufel, wer kommt da?«

»Wo?« rief Cotton und sprang mit einem Satze die Hälfte der kleinen Leiter hinauf, die den obern Theil des Hauses mit dem untern in Verbindung setzte.

»Oh bleibt hier,« sagte Johnson, der nahe an eine der Spalten getreten war und hindurchgesehen hatte, »es ist Dan – Atkins' Mulatte.«

»Nun, was zum Henker will der?« rief Cotton verwundert, indem er zurückkam und seinen Sitz wieder einnahm, »doch hoffentlich keine böse Nachricht?«

»Da ist er selbst und kann für sich sprechen,« sagte Johnson, die Thür öffnend und den treuen Gelben einlassend. »Nun, Dan, was bringst Du?«

»Massa Cotton soll da bleiben,« antwortete dieser, die [] Zähne fletschend und den Hut abnehmend, »Massa Brown ist oben und wird dort schlafen.«

»Brown? was in's drei Teufels Namen führt den hier oben her?« rief Cotton ärgerlich – »ich hätte gerade heute so Wichtiges mit Atkins zu bereden.«

»Hat morgen Regulatorenversammlung bei Bowitt,« sagte der Mulatte, indem er seinen alten Kautabak in den Kamin spuckte und mit ziemlicher Vertraulichkeit ein neues Priemchen von dem Stück abschnitt, das nebst einem Messer auf dem kleinen viereckigen Tische, dicht neben dem einen Bett, lag.

»Regulatorenversammlung – Pest!« knirschte Cotton, »wenn ich könnte, wie ich möchte, so sollten die Kerle schön tanzen morgen. – Aber wartet, Eure Zeit kommt auch, und kann man Euch nichts im Ganzen anhaben, so wird's mit den Einzelnen desto weniger Schwierigkeiten machen.«

»Hat Dein Herr sonst noch etwas an uns bestellt?« frug Johnson.

»Nein, Massa – nichts weiter, er wird wohl selbst morgen früh herüberkommen.«

»Dann sag' ihm, wir würden ihn erwarten – hörst Du? nun, was stehst Du noch und gaffst?«

»Danke, Massa,« sagte Dan, goß das heiße Getränk in einem Zuge die ausgepichte Kehle hinab, nickte Beiden noch einen kurzen Gruß zu und brach im nächsten Augenblick auch schon wieder vollen Laufes durch die dichten, den Platz umgebenden Saffafrasbüsche, um so rasch er konnte nach Haus zurückzukehren.

»Nun,« brummte Cotton, indem er sich behaglich auf dem eben erst verlassenen Sitz niederließ, »dann kann ich's mir wenigstens heut Abend bequem machen und brauche mich nicht abzuhetzen. Aber dieser Brown – Regulatoren – Gift und Klapperschlangen über die Kerle – daß sie die –«

Seine Rede wurde in diesem Augenblick durch deutliches Pferdegetrampel kurz abgebrochen, und mit einem Satze stand er wieder, diesmal jedoch mit dem gefüllten Becher in der Hand, auf der Leiter, um, wenn es noth thäte, sich jedem unberufenen Auge entziehen zu können. Aber wiederum war [] seine Vorsicht unnöthig gewesen, denn »Rowson!« rief Johnson, der nachgesehen hatte, erstaunt aus, und ehe noch Cotton zum Feuer zurückkehren und Johnson den Pflock vor der Thür wegziehen konnte, rüttelte der würdige Mann auch schon an der nur schlecht verwahrten Pforte und verlangte Einlaß.

»Höll' und Teufel, so laßt Einen nicht eine Stunde hier draußen warten!« rief er ungeduldig aus, als Johnson den hölzernen Vorstecker nicht schnell genug zurückziehen konnte.

»Hallo da,« lachte Cotton, als die Thür aufging, »das klingt christlich – Ihr habt's ja verdammt eilig. Wenn wir nun zufällig fremde Gesellschaft hier hätten, heh? würde sich da der ehrbare Methodist mit dem Maul voller Flüche nicht sehr wunderbar ausgenommen haben?«

»Hol' die Pest sie Alle!« zürnte der Prediger, »es wird bald sehr gleichgültig sein, ob die Leute hier glauben, daß ich bete oder fluche. – Ich muß fort.«

»Was!« rief Johnson, erschrocken wieder von dem Stuhle aufspringend, auf dem er sich eben niedergelassen hatte – »fort? haben sie entdeckt, daß –?«

»Unsinn,« sagte der Prediger ärgerlich – »wahre lieber Deine Zunge – noch ist nichts entdeckt, aber es kann in jedem Augenblick geschehen. – Der Indianer ist zurück.«

»Daß ihn unterwegs sein Nannabozho geholt hätte,« grollte Cotton, »mir ist die Rothhaut ein Dorn im Auge, und ich wollte 'was drum geben, wenn ich sie aus dem Wege schaffen könnte –«

»Nun, der Indianer wird das Kraut noch nicht fett machen,« lächelte Johnson verächtlich, indem er seinen Becher auf's Neue füllte und einen andern an Rowson hinüberreichte, der ihn auf einen Zug leerte – »die Spuren sind lange vertilgt, und ohne die kann der kupferfarbene Schuft nichts ausrichten.«

»Das ist's nicht allein,« zürnte der Methodist, »der Böse ist auch in das Gesindel hier herum gefahren, und der alte Regulatorenteufel spukt einmal wieder unter ihnen. Morgen ist große Versammlung, und es leben einige Verdächtige hier [] in der Gegend, die sie aufgreifen und natürlich peinlich verhören wollen. Wie gefällt Euch das?«

»Alle Wetter!« rief Johnson, »dann wird mir ebenfalls eine Luftveränderung ganz zuträglich sein. Zu diesem Neste hier kommen sie zuerst; aber ich weiß nicht, was Du dabei zu fürchten hast? Auf Dich kann doch Niemand auch nur den mindesten Verdacht geworfen haben.«

»Der Indianer ist's, der mich besorgt macht,« knirschte Rowson; »wenn ich nur wüßte, wie ich den scalplockigen Halunken bei Seite schaffte.«

»Das wird schwer halten,« sagte Cotton nachdenkend, »aber möglich ist's –«

»Und bringen dann das Land erst recht in Aufruhr, nicht wahr? Nein, es ist hier Blut genug geflossen, und das Beste wird sein, wir suchen sobald als möglich das Weite. Das Ungewitter kann sich mit jedem Tage über unseren Köpfen entladen.«

»Müßte nur vorsichtig betrieben werden,« fuhr Cotton, ohne Rowson's Einwand zu beachten, fort. »Man behauptet hier allgemein, der Indianer habe in seinem Stamme einen Häuptling erschlagen und sei dann entflohen; nichts ist natürlicher, als daß ihm von dort aus ein Verwandter des Getödteten gefolgt sein könnte, um die Blutschuld zu sühnen. So etwas aber sicher auszuführen, würde er natürlich auch nichts Anderes als einen vergifteten Pfeil benutzt haben, und da müßte man nicht Jahre lang in Texas und dem Arkansas-Territorium gelebt haben, wenn man nicht so einen Pfeil zurechtmachen könnte.«

»Versteht Ihr die Zubereitung des Giftes?« frug Rowson schnell.

»Ach, was hilft Euch das!« rief Johnson ärgerlich dazwischen, »der Indianer ist immer nur eine Person, die wir uns leicht vom Halse halten können; die Gefahr liegt tiefer. Wenn diese hündischen Regulatoren wirklich auf die rechte Spur kämen und einen von Denen erfaßten, die das Herz nicht, sondern nur das Maul auf der rechten Stelle haben, so könnte der Teufel bei uns Gevatter stehen. Nein, in dem [] Falle hat Rowson Recht, dann wär' es besser, wir befänden uns Alle jenseits der Grenze von Onkel Sam's Grund und Boden; doch können wir es ja abwarten. Noch sind Leute unter uns, auf die kein Verdacht gefallen ist, wie zum Beispiel Du, Rowson, und selbst Atkins – Ihr müßt Euch den Versammlungen anschließen, und hört Ihr dort etwas, das Euch verdächtig scheint, nun, dann frisch gesattelt und scharf geritten. Ein Arkansas finden wir überall wieder.«

»Das möchte ich bezweifeln,« sagte Rowson, »und überdies habt Ihr ledigen Leute gut reden, Ihr werft Eure Büchse auf die Schulter, und in dem Augenblick, wo Ihr das rechte Bein über den Sattel hebt, seid Ihr freie Menschen – aber ich –«

»Du bist auch noch ledig,« warf Johnson ein.

»Ja – heute noch – morgen Abend nicht mehr.«

»Ihr seht die Sache zu schwarz, Rowson,« lachte Cotton – »Gott verdamm' mich, wenn ich einen solchen Namen hier in der Nachbarschaft hätte, wie Ihr, und so bei den Frauen angeschrieben stände, mich brächten keine zehn Pferde aus Yell County. Wenn Ihr übrigens solche Angst habt, warum heirathet Ihr denn? Schiebt doch den Bettel noch auf. Es wird überhaupt ledern, wenn man nachher zu Euch kommt und auf jedes Wort passen muß, das man über die Zunge bringt.«

»Ich kann, ohne Verdacht zu erregen, nicht mehr zurück,« sagte der Priester, heftig dabei im Zimmer auf- und abgehend, »hätt' ich das Alles nur heute Morgen gewußt – da war es noch möglich, die Sache wenigstens aufzuschieben, – aber – Pest und Gift, wenn ich erst verheirathet bin, muß mir meine Frau auch folgen, wenn ich gehe, und das kann in sehr kurzer Zeit geschehen. Ein Brief von meiner alten Tante in Memphis, die mich vor ihrem Tode noch einmal sehen will, wird hinlängliche Entschuldigung sein, und bin ich erst einmal fort, dann können sie mir nachreden, was sie wollen. Daß sie mich nicht wiederfinden, sei meine Sorge. – Nur der Indianer; vor der verwünschten Rothhaut ist mir bange –«

[] »Ih nun,« brummte Cotton, »wenn der einmal zu gefährlich werden sollte, dann ist das aus dem Wege räumen immer schnell geschehen. Jetzt aber würde es, wie Ihr ganz richtig bemerkt, nur noch mehr böses Blut unter den Ansiedlern machen, die durch das letztvergossene schon überdies aufmerksamer wurden, als gerade nöthig ist; aber vorbereiten –«

»Laßt doch nur den verwünschten Indianer aus dem Spiel,« zürnte Johnson – »die Regulatoren sind's, die wir zu fürchten haben; das ist die Seite, von der uns Gefahr droht, nach der Richtung hin müssen wir also auch wirken. Kannst Du der Versammlung beiwohnen, Rowson?«

»Ja – ich hoffe es,« erwiderte dieser, »es giebt wenigstens keinen erheblichen Grund, den sie bis jetzt gegen meine Gegenwart haben könnten. Ich gedenke es auf jeden Fall zu versuchen.«

»Gut – dann ist auch für jetzt noch keine Ursache vorhanden, weshalb wir uns ängstigen sollten. Leicht wird es Dir sein, Dich von jeder wichtigen Verhandlung in Kenntniß zu setzen, und wir brauchen nicht mehr zu fürchten, überrascht zu werden.«

»Ich kann es aber unmöglich jetzt wagen, Atkins' Haus und Land zu kaufen,« sagte Rowson, »der Teufel kann sein Spiel haben, und dann wär' ich schändlich gebunden.«

»Es kommt darauf an, wie's mit Deiner Kasse steht,« erwiderte Johnson – »liegen Dir die zweihundert Dollars, die Jener dafür verlangt, nicht so besonders am Herzen, dann bringst Du schon durch den Kauf Manchen zum Schweigen, der im andern Falle vielleicht hier und da Verdacht geschöpft hätte. Ist das aber –«

»Ja, Du hast Recht!« sagte Rowson, schnell entschlossen – »ich kaufe den Platz, und zwar gleich am Montag; übrigens sage ich mich von heute an los von jedem Antheil an neuen Unternehmungen. Ich will es wenigstens einmal versuchen, als ehrlicher Mann zu leben und ruhig zu schlafen.«

»Zeit wär's,« lächelte Cotton verächtlich; »da würde ich [] aber dem Herrn Prediger rathen, mit seiner jungen Frau nach der Insel zu ziehen – das wäre ein herrlicher Platz für einen Missionär.«

Rowson wandte sich finster ab, Johnson nahm aber das Gespräch auf und sagte zu Rowson:

»Da Cotton gerade die Insel erwähnt, so denke ich, wär's wohl auch an der Zeit, mich einmal mit deren Verhältnissen genau bekannt zu machen. Zwar weiß ich, daß sie im Mississippi, auch wo sie liegt, bin aber, obgleich ich selbst zweimal Pferde dahin abgeliefert habe, noch nie darauf gewesen. Die Schufte, die sie in Empfang nahmen, thaten immer so geheimnisvoll, daß nichts aus ihnen heraus zu bekommen war.«

»So ist mir's diesmal auch gegangen,« fluchte Cotton; »wären uns die Regulatoren auf den Fersen gewesen, so hätten sie uns, Gott straf' mich, erwischt, denn verdammt will ich sein, wenn uns die Kerle in ihr Boot nahmen. Wir mußten die Pferde abliefern, und Weston und ich lagerten an der Uferbank, bis sie nach etwa zwei Stunden wieder zurückkamen und uns das Geld brachten. Weston ist bald vor Neugierde gestorben.«

»So hört denn,« flüsterte Rowson leise, als ob er fürchte, von jemand Anderem dabei behorcht zu wer den, »es kann uns doch Niemand von außen hören?«

»Nein,« sagte Johnson – »Du kannst getrost reden – ich wollte aber doch, Cotton hätte seinen Hund hier und ihn nicht bei Atkins gelassen.«

»Er ist besser dort aufgehoben,« meinte dieser – »aber macht fort – die Zeit vergeht, und ich bin müde.«

»Nun gut,« sagte Rowson, »ich sehe auch nicht ein, warum Ihr nicht ein Geheimniß ganz erfahren solltet, von dem Ihr doch schon alles Das wißt, was es verrathen könnte. Die Insel kennt Ihr – den Weg dahin wenigstens – weiter unterhalb liegt aber noch eine zweite, mit mehreren trefflich versteckten Schlupfwinkeln, im Fall die Bewohner der obern einmal angegriffen oder überrascht werden sollten. Ein guter Schwimmer kann die untere, besonders bei Nacht, leicht erreichen. [] Die Leute, die jenes Land inne haben, standen früher unter Morrel's Befehl, der jetzt im Philadelphia-Zuchthaus ich glaube Schuster oder sonst irgend etwas geworden ist; sie haben ihn auf jeden Fall ein Handwerk gelehrt. In diesem Augenblick ist der Anführer der Insulaner ein gewisser – doch der Name thut nichts zur Sache – ich habe schwören müssen, ihn zu verschweigen.«

»Ist es denn eine wohlorganisirte Raubbande?« frug Cotton.

»Ja, besser noch als je eine bestand, und fast ganz gesichert vor Entdeckung, denn Die, mit denen sie in Verbindung stehen, können nur durch ihr Existiren, nie aber durch Verrath Nutzen gewinnen.«

»Und auf welche Art betreiben sie ihr Geschäft, da ihre Nachbarn nie belästigt werden, ja ihr Vorhandensein nicht einmal ahnen?«

»Das macht der Fuchs ebenso,« lachte Rowson, »in den seinem Aufenthaltsort nächsten Farmhöfen stiehlt er nur im äußersten Nothfall ein Huhn; wir ähneln ihm in der Hinsicht.«

»Laßt Eure moralischen Bemerkungen, wenn's gefällig ist,« brummte Cotton – »zur Sache – zur Sache.«

»Nun gut denn, zur Sache. – Mit den Staaten, zwischen denen sie wohnen, haben sie sehr wenig zu thun, ausgenommen mit dem östlichen, denn nach Mississippi hinein erstrecken sich ihre Verbindungen bedeutend, und dazu bedürfen sie auch unserer Pferde, weil sie sich auf jener Seite in dem dichtbebauten Lande gewaltig vorsehen müssen. Von oben herunter kommt aber ihr ganzer Wohlstand. In allen großen Städten nämlich, am Mississippi wie Ohio, am Wabasch, Illinois, ja selbst am Missouri, haben sie ihre Agenten, größtentheils junge Burschen aus Kentucky und Illinois, und diese spioniren umher, welche Boote den Fluß hinuntergehen und mit was sie beladen sind. Ist es etwas, das sie zu haben wünschen, oder das sie in den südlichen Städten schnell und vorteilhaft glauben verkaufen zu können, so suchen sie eine Stelle als Steuermann, und geht das nicht, als gewöhnliche [] Ruderer, darauf zu bekommen, führen das Boot richtig und ordentlich bis zu ihrer Insel und lassen es dort mit List oder Gewalt auf den Strand laufen. Natürlich muß das in der Nacht geschehen, wenn nur höchstens Einer der Bootsleute an Deck ist. Ein vorheriges Zeichen verkündet die Ankunft neuer Beute, und die Mannschaft – muß in's Gras beißen.«

»Hölle und Schwefel!« rief Cotton, »dann wundert's mich auch nicht mehr, woher die vielen Leichen im Mississippi kommen; Anfang Februar war ich in Natchez, da kamen einmal sieben zusammen, und alle ohne die mindeste Verletzung. Wir glaubten damals, es sei ein Boot mit ihnen umgeschlagen.«

»Ja, sie wissen es schon klug einzurichten,« sagte Rowson – »das Geschäft ist mir aber zu blutig; ich mag nichts damit zu thun haben.«

»Nein, ich auch nicht,« sagte Cotton schaudernd – »Gott sei uns gnädig, das heißt ja die Sache wie das Fleischerhandwerk betreiben! Wenn nun Frauen in den Booten sind?«

»Junge Frauen werden auf der Insel behalten, und zwar wohl bewacht im Innern derselben, denn jedes Mitglied darf eine Frau haben.«

»Also die schaffen sie nicht bei Seite?« frug Johnson.

»Das weiß ich nicht, geht mich auch nichts an,« entgegnete Rowson, »das aber ist gerade der Insel größter Schutz, daß sie von uns Allen stets als letzter Zufluchtsort betrachtet werden kann. Sind wir in äußerster Gefahr, so werden wir dort aufgenommen und auch beschützt, darauf könnt Ihr Euch verlassen.«

»Das hab' ich diesmal gesehen!« rief Cotton. »Verderben hätte ich am Ufer können, keiner der Himmelhunde würde eine Hand gerührt haben.«

»Weil Ihr das rechte Zeichen nicht wußtet,« lachte Rowson. »Glaubt Ihr, sie holen Jeden hinüber, der sich an den Landungsplatz hinstellt und schreit und winkt?«

»Aber welches ist das Nothzeichen?«

»Lauft viermal zwischen den beiden Pawcornbäumen, die [] dort am Ufer stehen, hin und her – Nachts natürlich mit einem brennenden Scheit Holz – und paßt auf, wie schnell Bewaffnete mit einem Boot bei der Hand sind –«

»Also viermal?« sagte Cotton nachdenkend – »nun wer weiß, wie bald mir Alle von der Gastfreundschaft jener Leute Gebrauch machen.«

»Einmal aber die Insel betreten« – warnte ihn Rowson, »und Ihr seid unrettbar der Ihrige –«

»Waret Ihr schon darauf?« frug lauernd der Jäger.

»Nein – noch nicht,« entgegnete kurz abgebrochen der Methodist – »doch wo ist Weston, wär' es nicht besser, daß er ebenfalls von der uns drohenden Gefahr in Kenntniß gesetzt würde?«

»Atkins hat ihn in die oberen Ansiedelungen geschickt,« warf Johnson ein. »Er wollte morgen wieder bei ihm eintreffen und dann auch zu mir kommen.«

»Meinetwegen,« sagte Cotton gähnend – »ich bin müde und lege mich nun schlafen. Ist noch etwas im Topfe, Johnson?«

»Nein, Ihr habt den Rest da im Becher«

»Nun gute Nacht denn, wer zuerst morgen aufwacht, weckt die Anderen.« Damit schob er sich ein paar Hirschhäute, die in der Ecke lagen, zurecht, nahm eine alte wollene Decke über die Schultern, warf sich auf das harte Lager und war in wenigen Minuten fest eingeschlafen.

Johnson und Rowson saßen schweigend neben einander und starrten in die Kohlen; Beide hatten augenscheinlich noch etwas auf dem Herzen, aber Keiner wollte beginnen, und mehrere Male schon war der Methodist aufgesprungen, im Zimmer auf- und abgegangen und dann wieder am Kamin stehen geblieben. Endlich brach Johnson das Schweigen und sagte leise:

»Fürchtest Du, daß man uns entdeckt hat?«

»Nein,« antwortete mit eben so vorsichtig gedämpfter Stimme der Prediger. »Nein – aber daß es geschehen wird, fürcht' ich.«

»Wie ist das möglich? –«

[] »Möglich? Frag' lieber, wie es möglich war, daß es noch nicht geschehen ist.«

»Du bist ein Thor und siehst überall Gespenster.«

»Solche Thorheit hat noch Niemandem Schaden gebracht,« antwortete düster der Prediger – »ich fürchte, der Indianer hat Verdacht geschöpft. Der Blick, den er mir heute zuwarf, läßt mich fast mit Gewißheit darauf schließen.«

»Du hast freilich besondere Ursache, den Indianer zu fürchten,« flüsterte Johnson leise.

»Und wer hat Dir gesagt –?«

»Bst,« beruhigte ihn der Freund – »der da – aber nur ruhig – es ist vielleicht sogar besser für Dich, daß ich darum weiß. Ueberdies war es nöthig und ich hätte ebenso gehandelt. Hast Du aber auch vorsichtig alle Zeichen vertilgt?«

»Die Frage war überflüssig. – Meine Kleider wusch ich noch in derselben Nacht, obgleich mir's mit der Wunde im Arm hart genug ankam. Das Loch, das der Tomahawk der kleinen Hexe im Aermel des Rockes machte, schnitt ich aus und setzte einen andern Fleck darauf, und mein Messer vergrub ich eine ganze Woche lang. Trotz alledem erfaßt mich aber eine unbeschreibliche Angst, wenn ich an jenen Abend zurückdenke, und – ich weiß nicht – bald ist mir's, als ob ich halb und halb bereute –«

»Oh, Unsinn,« sagte Johnson verächtlich – »wie ist es denn mit dem andern – hast Du das kleine Messer wiedergefunden?«

»Nein,« flüsterte Rowson, noch viel leiser als vorher, »das ist in Roberts' Händen – ich hab' es selbst gesehen; er frug mich, ob ich es kennte. – Johnson, daß ich mich in dem Augenblicke nicht verrieth, begreif' ich jetzt noch kaum.«

»Es sollen am Arkansasfluß einem reichen Kerl über tausend Dollars abgenommen sein,« sagte dieser jetzt, indem er einen scharfen Seitenblick auf den Freund warf – »Du warst ja zu jener Zeit in der Gegend – hast Du etwas davon gehört?«

»Oh, die Pest über Dein unsinniges Schwatzen!« fluchte [] der Gefragte. – »Soll ich von jedem Morde wissen, der innerhalb des Staates verübt wird? Kümmere Dich um Deine eigenen Angelegenheiten und laß mich aus dem Spiel. Bist Du auch sicher, daß Weston reinen Mund hält? Wir hätten ihn nicht mit bis an die Insel schicken sollen.«

»Ich glaube, daß er treu ist,« erwiderte nachdenkend Johnson – »man kann dem Menschen übrigens nicht in's Herz sehen. – Und Du willst wirklich morgen heirathen?«

»Ja – freilich unter nicht gerade freundlichen Aussichten; doch ist es das Beste, was ich thun kann. – Wird die Sache ruchbar, nun dann mag der Teufel den ganzen Bettel holen; das wird nachher die kleinste Sünde sein, an die Frau zuletzt zu denken.«

»Bei den Grundsätzen kann Dir die Ehe nicht besonders hinderlich sein,« lachte der Freund. – »Du machst Dir also nichts aus dem Mädchen?«

»Glaubst Du, ich würde mich dem Allen ausgesetzt haben, sie zu erringen, wenn ich sie nicht liebte?« frug der Prediger rasch; »eine wilde, rasende Leidenschaft ist's, die mich zu dem reinen Wesen hinzieht, und ich fühle es recht gut, daß gerade diese Liebe die größte Sünde ist, die ich in meinem Leben begangen.«

»Und doch kannst Du jetzt schon daran denken, sie wieder zu verlassen?«

»Zeige mir die Möglichkeit, sie auf der Flucht, gegen ihren Willen, mitzunehmen, und Du wirst mich mit Seel' und Leib bereit finden – es geht aber nicht an. Jeder Fremde, den sie anspräche, würde ihr Schutz gewähren, und dem wollen wir uns nicht aussetzen. Nein – könnte ich noch zurücktreten – vielleicht thät' ich's – vielleicht auch nicht; aber es geht nicht mehr, also mag sie mein Geschick theilen, so lange es möglich ist. – Sie wird doch mein!«

»Hast Du denn in Deinem Hause irgend welche Vorsichtsmaßregeln getroffen, wenn einmal eine Flucht nöthig sein sollte?«

»Ich sollte denken, Du kenntest mich lange genug,« sagte der Priester. »In dem kleinen Schilfbruch, gleich unter dem [] Hause, liegt sorgfältig versteckt ein kleines Canoe, ein kleiner Koffer mit allen nöthigen Reisebedürfnissen steht schon seit jener Nacht, in der uns die Indianerin entdeckte, fertig gepackt, und meine Waffen sind stets in Ordnung und bei der Hand – den geheimen Weg kennst Du selbst –«

»Wie Viele trägt das Canoe.«

»Vier, auch Fünf im Nothfall – es ist groß genug und vortrefflich gebaut; mit drei Rudern könnten wir in sechs Stunden den Arkansas erreichen.«

»Das ist vorsichtig gehandelt – ich will übrigens wünschen, daß wir's nicht gebrauchen. Können wir dieses Mal die Regulatoren von unserer Fährte abbringen, so sind wir geborgen. Doch gute Nacht – leg' Dich dort auf die Matratze – ich will indessen noch einmal nach Deinem Pferde sehen.«

Rowson, sehr ermüdet, folgte gern der Einladung, und für kurze Zeit ward kein anderer Laut als das tiefe Athemholen der Ruhenden gehört. Da tönte plötzlich der laute, schrille Ruf einer Eule durch die stille Nacht; jetzt wieder, und nun zum letzten Mal. Johnson stand auf und stieg über die in der Mitte der Stube Lagernden hinweg, der Thür zu.

»Nun, was kriechst Du denn da herum?« frug Rowson, dem er auf den Arm getreten hatte.

»Hast Du die Eule gehört?« sagte leise der Gefragte.

»Nun, Gott sei Dank, Du, willst wohl Eulen schießen?« brummte der Müde; »Du hast doch wahrhaftig keine Hühner hier, die –«

»Bst!« rief Johnson, als dieselben Töne wiederum, und zwar diesmal in vier einzelnen Rufen, gehört wurden – »es ist Atkins – bei allen Lebenden! Was mag den hier in Nacht und Nebel herumtreiben? – Nur näher!« rief er dann, in die Thür tretend – »nur näher – es sind Freunde hier!«

»Guten Abend, Johnson,« sagte der breitschulterige Farmer, als er über die kleine Fenz stieg und sich der Thür näherte – »wir sind späte Gäste, nicht wahr?«

[] »Wir? wen bringt Ihr noch?«

»Einen Freund, der Waare abgeliefert, er wollte Euch gerne vorgestellt sein. Aber wer ist denn überhaupt bei Euch im Hause?«

»Cotton und Rowson.«

»Rowson?« frug der in seinen dunkeln Mantel gehüllte Fremde, jetzt schnell vortretend –»Rowson? ei, hätt' ich doch nicht gedacht, heut Abend noch einen alten Bekannten zu finden!«

»Alter Bekannter?« brummte Rowson drin am Kamin, wo er eben bemüht war, die halb erlöschten Kohlen wieder zu neuer Gluth anzufachen – »alter Bekannter? Wer mag das sein?«

»Ihr kennt Rowson also?«

»Ob ich ihn kenne!« lachte der Kleine – »predigt er noch?«

»Das kann er wohl selber am besten beantworten,« sagte der Methodist, nicht eben in der freundlichsten Laune, indem er mit hochgehaltenen flackernden Kienspänen vortrat. Kaum hatte er jedoch nach erstem, fast ungläubigem Starren den jetzt frei in das Licht tretenden Fremden erkannt, als er fröhlich die Hand ausstreckte und jubelnd ausrief:

»So wahr ich lebe, Hokker! – Was führt Dich denn einmal wieder nach Arkansas? Wurde es Dir in Missouri zu warm? Nun, sei uns herzlich willkommen, alter Junge – komm nur herein, der Wind bläst hier die Fackeln aus!«

»Wir dürfen nicht lange bleiben,« sagte Atkins, »denn wir haben uns nur leise von zu Hause fortgestohlen. Sollte –«

»Ohmacht keine langen Umstände,« rief Cotton aus dem Innern des Hauses heraus – »die Zeit vergeht Euch vor der Thür nicht langsamer als hier drinnen, und durch die offene Thür kommt's verdammt kalt herein.« Dagegen ließ sich nichts sagen, und die Männer folgten dem voranleuchtenden Rowson zu dem kaum verlassenen Kamin, wo noch die leeren Trinkgefäße unaufgeräumt umherstanden und lagen.

»Habt Ihr noch einen Trunk?« frug Atkins, als er den großen eisernen Topf halb niederbog, um das Licht hineinscheinen [] zu lassen – »keinen Tropfen mehr drin gelassen, so wahr ich lebe!«

»Geduldet Euch eine Viertelstunde,« sagte Johnson, »und es soll an dem nicht fehlen.«

»Nein,« warf Atkins ein, »wir müssen sogleich wieder fort –«

»Nun, sagt nur erst, was Ihr zu sagen habt,« unterbrach ihn der Wirth, »indessen kocht das Wasser. Das braucht Euch wenigstens nicht zu hindern.«

»Nun, Hokker, wie sieht's in Missouri aus?« frug Rowson, diesem noch einmal derb die Hand schüttelnd.

»Vor allen Dingen nicht mehr Hokker,« lachte der Fremde – »ich heiße Jones – J. Jones, wenn Dich Jemand fragen sollte.«

»Gut, gut,« schmunzelte Rowson, »das bleibt sich ziemlich gleich – aber was führt Dich her?«

Der Fremde, der, wie sich bald aus dem Gespräch ergab, in früheren Zeiten ein ziemlich vertrauter Freund Rowson's gewesen war, erzählte jetzt diesem wie den Kameraden, daß er Missouri »einzelner Mißverständnisse« wegen verlassen und seinen Wohnsitz in Franklin und Crawford County, den westlichen Theilen des Staates, aufgeschlagen habe. Dort allein sei es nämlich, wie er sich ausdrückte, möglich, mit den Indianern wie den Weißen zu gleicher Zeit »in Handelsverbindung« zu bleiben. Gegenwärtig hatte ein »Compagniegeschäft« ihn veranlaßt, Yell County zu besuchen, da durch »neidische Menschen« der früher beliebte Weg, den Arkansas hinunter, gefährlich gemacht war, und er beabsichtigte nun, sich wenigstens einige Tage hier in der Gegend aufzuhalten. Einestheils wollte er seine Fährten kalt werden lassen, anderntheils auch diesen Landstrich, für den er noch von alten Zeiten her eine besondere Vorliebe habe und von dem er in »neuester Zeit« so viel Rühmliches gehört, einmal in seinen jetzigen Verhältnissen näher kennen lernen.

Rowson hatte den Worten seines alten Freundes mit besonderer Aufmerksamkeit und nicht selten mit beifälligem Kopfnicken gelauscht, jetzt aber, als Jener geendet und Johnson [] mit dem indessen wieder frisch gebrauten, süß und kräftig duftenden Trunke die Becher füllte, sprang er auf, streckte Jones die Hand hinüber und rief aus:

»Willst Du der Unsere sein? Willst Du augenblicklich Deine Rolle in dem Lustspiel, das wir hier aufführen, übernehmen, so schlag ein! Morgen früh schon beginnt Dein Geschäft.«

»Das hat eigentlich schon längere Zeit begonnen,« lächelte der Fremde »und was das Lustspiel anbetrifft, so bin ich sogar seit einiger Zeit mit Vortheil in Intriguenstücken verwendet worden, wie sie in Little Rock beim Theater sagen. Keineswegs habe ich die Zeit, die ich in New-Orleans verlebt, unbenutzt vorübergehen lassen. Aber topp, es sei; wenn ich der Sache gewachsen bin und uns oben im Staate vielleicht auch noch dabei nützlich sein kann, so hast Du an mir Deinen Mann gefunden. Ich weiß nur noch nicht recht wie?«

»Das sollst Du augenblicklich erfahren,« sagte, sich freudig die Hände reibend, Rowson, während er seinen Sitz wieder einnahm und zu gleicher Zeit einen ihm von Johnson dargereichten Becher halb leerte. – »Morgen ist Regulatorenversammlung.«

»Nun, wenn das die ganze freudige Botschaft ist, die Du mir bringen willst,« sagte Jones lachend, »dann hättest Du Dir die Mühe und Anstrengung sparen können. Das würde eher ein Grund sein, mich meine Reise schneller fortsetzen zu lassen, als ich im Anfang beabsichtigte.«

»Nein, das darfst Du nicht,« rief Rowson, »Du mußt der Versammlung beiwohnen!«

»Ich? Weiter fehlte mir gar nichts!« rief Jones erstaunt aus.

»Ja, Du!« fuhr Rowson, ohne sich irre machen zu lassen, fort. »Keiner der jetzigen Ansiedler kennt Dich hier; die, die damals in dieser Gegend lebten, als Du Atkins' Haus bautest, sind lange todt oder ausgewandert. Ich selbst wollte im Anfang den Verhandlungen beiwohnen, bei mir hat die Sache aber mehrere Haken. Erstlich erlaubt es morgen kaum meine Zeit, das hätte aber doch möglich gemacht werden müssen, wenn Du nicht gekommen wärest. Dann aber sind auch Einige [] hier am Flusse mir nicht recht grün und würden sich, wie ich fest überzeugt bin, in meiner Gegenwart über Manches zu sprechen scheuen. Dich aber stelle ich morgen früh dem jungen Brown vor (ich muß noch dort eintreffen, ehe Ihr aufbrecht), und zwar als einen ›Regulator aus Missouri‹, der hier nach Arkansas gekommen ist, um mit den hiesigen Regulatoren Verbindungen anzuknüpfen, damit beide Staaten in dieser Hinsicht ihre Kräfte vereinigen könnten. Solcher Art sei es dann am leichtesten möglich, dem Unwesen zu steuern, das, hinsichtlich des Pferdefleisches, die braven und fleißigen Farmersleute der Backwoods zu ruiniren drohen.«

»Herrlich! köstlich!« jubelte Atkins – »das ist ein ganz capitaler Plan.«

»Ich weiß aber nicht, ob ich so lange Zeit habe,« sagte Jones bedenklich, indem er mit dem geleerten Blechbecher vor sich auf den Sessel klopfte.

»Zeit haben!« erwiderte, Rowson; »Du kannst ja Deine Zeit nicht besser anwenden, als Pläne zu ergründen und ihnen dann zu begegnen, die, wenn ausgeführt, eine Verbindung für Dich und Deine Freunde zu einer Unmöglichkeit oder doch so gefährlich machen möchten, daß kein vernünftiger Kerl mehr seinen Hals zur Ausführung derselben hergeben würde.«

»Das ist allerdings wahr,« sagte Jones sinnend, während er den Becher zum Wiederfüllen gegen den Kessel hielt – »allerdings wahr – aber – wird mir Brown glauben? Ich habe doch heut Abend nichts davon gegen ihn erwähnt.«

»Du wußtest ja doch auch nicht, daß er Regulator war, und wirst nicht jedem Fremden eine solche Nachricht aufhängen.«

»Allerdings – nicht übel – werden aber die übrigen Regulatoren –«

»Das hat keine Noth,« sagte Johnson, »ich habe schon davon reden hören, daß sie sich mit den angrenzenden Counties in Verbindung setzen wollen, und da wird ihnen ein solches Anerbieten gerade erwünscht kommen.«

»Spion – wirklicher, unverfälschter Spion!« lachte der Missourier still vor sich hin, »und mitten zwischen die Regulatoren [] hineingeworfen, wie ein Veilchen in ein Rosenbouquet; ganz amüsantes Abenteuer!«

»Und Du gehst es ein?« frug Rowson.

»Versteht sich,« fuhr der Kleine, immer noch mit sich selber redend, schmunzelnd fort – »werde die Einen zum Aufpassen dahinauf und die Anderen dorthin sprengen – werde einen sehr guten Namen hier bekommen und wenn wir einmal einen richtigen Streich führen wollen, nun, dann schicken wir sie Alle auf einen Klumpen in die falsche Himmelsgegend und – hahaha – haben die Luft rein. Gottvoller Einfall das!«

»Und Ihr wollt also morgen nicht mit in die Versammlung gehen, Rowson?« frug Cotton.

»Nein – nun ist es nicht nöthig,« erwiderte Jener.

»Wie sollen wir aber erfahren, was sie beschlossen haben?«

»Ist etwas Wichtiges im Werke,« sagte Rowson nachdenkend, »so mag Jones, der doch gegen Abend auf jeden Fall zu Atkins zurückkommt, dessen Mulatten herüberschicken und Euch Kunde geben. Ich selbst jedoch muß morgen früh noch einige wichtige Geschäfte abmachen und morgen Abend bei Roberts zubringen, will aber Sonntag früh um neun Uhr an der Krenzeiche sein – Ihr kennt den Baum, Atkins, in den der Persimonast hineingefallen ist, daß es wie ein Kreuz aussieht. Nun gut – an der Stelle halt' ich und dahin sendet mir den Mulatten; was auch vorfällt, es ist einerlei, denn möglich wär's, ich hätte selbst eine Botschaft für Euch, und die ganze Strecke zu reiten, bleibt mir keine Zeit.«

»Das wäre also abgemacht,« sagte Atkins, »so kommt denn, Jones, damit wir zu Hause nicht etwa vermißt werden. Der Teufel ist heut Abend bei mir los, mein Kind ist krank und Betsy hat den Mulatten und meinen weißen Arbeiter nach allen Himmelsrichtungen ausgeschickt, um Hülfe herbei zu holen. Drei alte Weiber aus der Nachbarschaft waren schon angekommen, ehe wir den Platz verließen, und ich bin fest überzeugt, morgen haben wir das ganze Haus voll. Es ist mir schon einmal so gegangen.«

»Laßt aber Brown nicht fort, ehe ich dort eintreffe,« ermahnte Rowson noch einmal.

[] »Nein – habt keine Angst, kommt aber nicht gar zu spät, denn wenn ich auch eine halbe Stunde oder so mit dem Frühstück zögern kann, zu lange darf's doch nicht dauern.«

Die Männer riefen sich jetzt leise gute Nacht zu, Atkins und Jones übersprangen die Fenz und verschwanden in der dahinterliegenden Dunkelheit und die Uebrigen suchten auf's Neue ihr Lager, um das jetzt an Schlaf wieder einzubringen, was sie durch den späten und unerwarteten Besuch versäumt hatten. Cotton brummte aber noch, als er sich wieder in seine Decke einhüllte: »Wer mich heute zum zweiten Mal stört, dem dreh' ich den Hals um – das ist sicher« – und schon im nächsten Augenblick bewies sein entsetzliches Schnarchen, wie müde er sei und wie sehr er der Ruhe bedürfe.

24.
Die Pionier-Familie. – Der neue Regulator stellt sich selbst seine Falle.

Der wilde Westwind, der in voriger Nacht getobt, ballte, ehe der Morgen hereinbrach, mit letzter, verzweifelter Kraftanstrengung noch einen Arm voll dunkler, gewitterschwangerer Wolken zusammen, die er in fliegenden Schauern über die Erde ausschüttete. Dann aber erschöpft und matt, gab er dem siegenden Tage Raum, und als die Sonne mit ihren ersten Strahlen die fernen Hügelspitzen und auch hier und da einzelne hohe Kiefern im Thale küßte, lagerte sich eine nach dem vergangenen Sturm so viel heiligere Ruhe und Stille auf den nur leise rauschenden und flüsternden Wald.

Die früh munteren Haushähne hatten schon aufgehört zu [] krähen und stolzirten mit wichtiger Miene und hochgehobenem Haupte, in dem wohlthuenden Gefühl, ihre Pflicht erfüllt und den benachbarten Genossen kundgethan zu haben, daß sie sich auch noch des Lebens freuten, auf den kleinen Hofräumen der verschiedenen Farmen umher. Sehnsüchtige Blicke warfen sie dabei nach den eben geöffneten Thüren der Wohnungen, ob nicht bald eine freundliche Seele mit einem Arm voll Mais erscheinen und die schon seit einer Viertelstunde an der Fenz unruhig hin und her trabenden und ungeduldig wiehernden Pferde füttern wollte. Natürlich erwarteten sie in dem Falle auch ihr Scherflein von freiwillig und unfreiwillig gegebenen Körnern. Die Gänse schnatterten, die Hunde bellten, aus den Lehmkaminen der kleinen Wohnungen wirbelte dazu der blauklare Rauch kerzengerade und traulich in die mit Millionen strahlenden Diamanten geschmückten Fichten hinauf und selbst der lehmgelbe Strom, der sich unter den niederhängenden Schilfmassen und Flußweiden hinwälzte, schien lebhafter und freudiger in dem Alles belebenden Sonnenlichte zu rauschen.

Ganz im Einklang mit dem freundlichen Morgen stand aber ein einzelner Reiter, der die Ansiedelungen lange hinter sich gelassen und auf schlankem kräftigen Pony, ein munteres Lied trällernd, durch den Wald trabte.

Es war ein alter Bekannter von uns, Cook, der heute Morgen nüchtern von zu Hause aufgebrochen war, um den Versammlungsort sobald als möglich zu erreichen, und jetzt sein Thier manchmal zu schärferem Lauf antrieb, in dem nächsten, noch etwa drei Miles entfernten Hause nicht etwa zu spät zum Frühstück zu kommen.

So sorglos er aber bis dahin seinen Weg verfolgt, so erstaunt griff er plötzlich in den Zügel des rasch stutzenden Ponys und horchte nach vorn. – Was war das? – Sogar das Pferd schien nicht weniger überrascht als sein Herr, spitzte die Ohren und lauschte aufmerksam einem an dieser Stelle sicher nicht erwarteten Ton.

In einem Umkreise von drei vollen Meilen war nämlich kein einziges Haus zu finden und dennoch krähte hier, mitten im Walde, gerade hinter jenem Dickicht von Holly- und Sassafrasbüschen, [] ein sehr munterer und sich trefflich bei Stimme befindender Haushahn, und Cook sah verwundert und wirklich verdutzt um sich her.

»Ich habe mich doch nicht verirrt?« brummte er leise vor sich hin. – »Ih Gott bewahre, ich kenne ja jeden Hirsch- und Kuhpfad im Walde. Neue Ansiedler? Das ist an dieser Stelle auch nicht gerade zu erwarten; aber hallo – sind das nicht Radspuren hier neben dem Wege? der Regen hat es freilich verwaschen; aber ja, wahrhaftig – dort haben sie den Busch niedergefahren und hier an der Eiche gestreift, – also Auswanderer, da wird man etwas Neues erfahren,« und mit leichtem Schenkeldruck theilte er seinem Pony den Wunsch mit, die Fremden einzuholen. Dieses ließ sich auch nicht lange bitten, denn eine dunkle Ahnung von verschiedenen goldglänzenden Maiskolben, in einem hölzernen Kübel herbeigebracht, stieg vor seiner innern Seele auf (und warum sollte ein Pony, das in den unwegsamen Waldungen so ganz auf sich und seine Geisteskräfte angewiesen ist, keine Seele haben?), und laut wiehernd machte es durch einen Seitensprung und das zeitgemäße Hintenausschlagen beider Hinterbeine seinen Reiter darauf aufmerksam, mit welcher freudigen Bereitwilligkeit es diesen neuen Bekannten entgegeneile.

In wenigen Minuten hatte der Reiter die ihn noch von den Fremden trennende kleine Erhöhung zurückgelegt und sah sich jetzt vor einem jener Lager von Auswanderern, die, besonders in Arkansas und auf dem Wege nach dem Westen oder nach Texas zu, häufig angetroffen werden.

Zwei große, mit weißen Leinen überspannte Wagen bildeten den Mittelpunkt der Gruppe, um welche mehrere Gespanne Stiere, je zwei und zwei durch das große hölzerne Joch zusammengefesselt, angebunden standen. Ein kleiner weißköpfiger Bursche, etwa acht oder neun Jahre alt, stand bei ihnen und schob ihnen abwechselnd und jedem einzeln kurzgebrochene Kolben Mais in das Maul. Die Thiere aber, die großen gutmüthigen Augen matt und schläfrig auf das nächste ihnen zukommende Stück geheftet, zerkauten und verschluckten in aller Gemüthsruhe das wirklich erfaßte und leckten dann mit der [] langen scharfen Zunge wie bittend oder ermahnend den Aermel und die Hand ihres jungen Fütterers, ihn darauf aufmerksam zu machen, daß sie jetzt für eine erneute Auflage empfänglich und bereit wären. Fünf Pferde weideten, mit Glocken um den Hals und die Vorderfüße zusammengebunden – der Landessprache nach »gehobbelt« – in dem vorzüglichen Schilfbruch, ganz in der Nähe. Die Auswanderer selbst hatten augenscheinlich die Nacht über im Innern der Wagen zugebracht, da weiter kein Zelt oder Schutzdach den Platz verrieth, wo ein Mensch im Regen geschlafen haben könnte. Jetzt aber waren sie eben im Begriff, sich um den auf der Erde gedeckten Tisch zu lagern, während ausgebreitete wollene Decken die Sitze bildeten. Der muntere Hahn, der zuerst die Gegenwart der hier Eingetroffenen mit heller Stimme verrathen, ließ jetzt zum zweiten Mal den Warnungs- oder Begrüßungsruf ertönen.

Die kleine Familie bestand, außer dem schon vorerwähnten achtjährigen Burschen, aus dem Mann, der Frau, zwei erwachsenen Töchtern und zwei jungen Burschen von achtzehn und zweiundzwanzig Jahren und ließ sich jetzt ganz nach türkischer Art um das aufgetragene Mahl nieder.

»Komm, Ben,« rief der Vater diesem zu – »die Thiere haben genug, sie standen ja die ganze Nacht im Schilf, fressen auch gar nicht mehr. – Ruhig, ihr Hunde, was wittern denn die Bestien schon wieder und haben erst die ganze Nacht gekläfft und gebellt, weil es einmal einem lumpigen Panther einfiel, in der Nähe zu heulen. – Nieder mit euch!« –

Trotz dieser freundlichen Zusprache waren die also angeredeten und unter dem Wagen festgebundenen Hunde dennoch keineswegs gesonnen, der Warnung Folge zu leisten. Nur so viel wüthender bellten sie die Straße hinab, von der Cook jetzt, sich der Gruppe nähernd, herübertrabte.

»Guten Morgen Allen,« rief dieser freundlich, als er, kaum zehn Schritte von ihnen, aus dem Sattel sprang und dem kleinen schnaubenden Thiere den Zügel über den Nacken warf, »guten Morgen, schmeckt's?«

»Soll erst,« rief ihm der Farmer entgegen – »kommt [] – legt Euch mit her und eßt, wenn Ihr noch nicht gefrühstückt habt. – Hier, Anna – einen Becher für den Gentleman langt zu – helft Euch selber!«

»Danke schön,« sagte Cook, der ohne die mindesten Umstände der Einladung Folge leistete, »das trifft sich prächtig, ich hatte allerdings nicht gehofft, hier mitten im Walde so gute Gesellschaft und ein so treffliches Frühstück zu finden, aber« – er sah sich dabei nach seinem Pferde um, das sich, klug genug, durch Grasen keinen Vortheil zu vergeben wünschte, während es mit andächtig gespitzten Ohren und gerunzelter Stirn nach dem noch mit dem Mais raschelnden Ben hinüberschaute.

»Bring einen Arm voll Mais her, Ben,« rief der Farmer, ohne den Gast ausreden zu lassen – »Du kannst ihn in den eisernen Topf thun, der dort neben dem Wagen steht. Dem Pony wird wohl das Geschirr gleichgültig sein, aus dem es frißt.«

Das Pony gab durch ein halbunterdrücktes, leises Wiehern seine volle Beistimmung zu diesem Vorschlag und that gleich darauf mit sehr geschäftigen Kinnbacken dem vor ihm hingesetzten Mahl alle Ehre an.

»Und woher kommt Ihr, Sir?« frug Cook endlich, nachdem eine etwa viertelstündige Pause von sämmtlichen Mitgliedern des kleinen Kreises auf das Zweckmäßigste benutzt worden war.

»Aus Tennessee, vom Wolfriver.«

»Und wollt?«

»Nach Franklin County, an den Fuß der Ozarkgebirge.«

»Schon einen Platz ausgesucht?«

»Noch nichts Besonderes, werde jedoch bald einen finden. Ich habe einen Bruder dort wohnen.«

»Ahem! – ist hier auch capitales Land –«

»Ja – weiß wohl, die Leute am Fourche la fave sollen aber das Pferdefleisch zu lieb haben.«

»Hoho,« lachte Cook, »haben Euch die Arkansas-Flußleute auch schon einen Floh in's Ohr gesetzt? So schlimm ist's nicht. Doch – aufrichtig gesagt, schlimm genug, ich bin gerade auf [] dem Wege zu einer Regulatorenversammlung, hoffe aber, wir werden dem Unwesen jetzt ein Ziel stecken. Arkansas soll nicht länger nur dann genannt werden, wenn man von Raub- und Diebesbanden spricht.«

»Arkansas im Allgemeinen?« lachte der Farmer, »ja! – In den Vereinigten Staaten überhaupt, in Tennessee und weiter südlich, nördlich und östlich, da kennen sie in der Hinsicht nur Arkansas. Kommt man aber einmal über den Mississippi in den Staat selbst, dann heißt's Fourche la fave. – Ihr habt einen ausgezeichneten Ruf im Lande.«

»Mag sein,« sagte Cook, »so schlimm ist's aber doch wohl nicht, wie es gemacht wird, und sind auch einige nichtsnutzige Burschen hier in der Gegend, so müßte es mit dem T – ja so, was ich gleich sagen wollte – wir werden sie schon fortbringen. Ich wollte, Ihr könntet unserer Versammlung heute beiwohnen. – Es ist überdies Sonnabend, und morgen reist Ihr wohl schwerlich weiter.«

»Morgen?« frug der Farmer, »wegen des Sonntags? Das macht keinen Unterschied. Meine Alte da ist vernünftig genug, und die Mädchen hat auch noch keiner von den herumkriechenden Methodisten angst und bange vor kommendem Höllenfeuer machen können. Das gute Wetter muß benutzt werden, und da ich, wenn irgend möglich, noch gern in diesem Jahre ein paar Acker Mais aussäen möchte, so hab' ich, wie Ihr wissen werdet, keine Zeit zu versäumen –«

»Nein, allerdings nicht. Ich glaubte aber, es würde Euch vielleicht interessiren, unsere Regulatorengesetze kennen zu lernen.«

»Allerdings würde es das,« sagte der Tennesseer. »Also wollt Ihr wirklich das Lynchgesetz ausüben? Gehört hab' ich schon zu Hause davon, es aber immer noch nicht geglaubt.«

»Ja, es ist nöthig,« erwiderte Cook, »wir sind hier in unserem Staate noch nicht darauf eingerichtet, Verbrecher erst vor Gericht zu stellen und dann in sicherem Gewahrsam zu halten. Es ist noch Alles zu neu hier. Kein Staat hat es aber so nöthig, als gerade Arkansas, und da muß etwas [] geschehen, wenn wir nicht unter uns selbst zu Grunde gehen oder, wie Ihr selbst sagt, einen solchen Ruf in den übrigen Staaten erhalten wollen, daß kein Mensch mehr zu uns zieht, und unser Land, wenn nicht werthlos, doch auch nicht werthvoller wird.«

»Ja, ja,« sagte der Tennesseer – »ganz recht, wir haben es vor fünf Jahren ebenso gemacht, denn im ›District‹ hatte sich damals auch eine nicht unbedeutende Bande Lumpenpacks gebildet. Aber ein paar Ellen Hanf und ordentlichen Ernst hinter der Sache, da drückten sich die Schufte bald. Es ist am Arkansas drüben auch nicht so geheuer; als wir in den ersten Tagen dieser Woche am Fluß heraufzogen, wurde ein dort ansässsger Farmer, der in der ›Indian Nation‹ gewesen war und Schweine verkauft hatte, auf seiner Rückkehr von einem Halunken gemeuchelmordet.«

»Ich habe davon gehört,« sagte Cook schaudernd, »hat man den Thäter nicht entdeckt?«

»Nein,« sagte der Alte, mit der Faust ärgerlich vor sich auf das Tischtuch schlagend, daß das lose darunter liegende Brett ein kleines gläsernes Salzfaß hoch emporschnellte, »nein – und ich wollte nur, der glatte Schuft käme mir wieder so nahe wie damals, als ich mit der Büchse im Anschlag hinter einem Baum stand, oder auch auf der offenen Prairie, verdammt will ich sein, wenn ich nicht Tageslicht durch seinen Hirnschädel ließe!«

»So kennt Ihr ihn?«

»Nein – ich kenne ihn nicht, aber ich habe ihn gesehen; es kann wenigstens kein Anderer gewesen sein. Unser Wagen fuhr nämlich auf der Straße hin, und ich und Ned da, mein Aeltester, waren ein wenig mit unseren Büchsen seitab gegangen. Wir dachten, vielleicht einen Hirsch zu schießen, von denen wir sehr viele Fährten im Wege bemerkt hatten. An der Spitze eines kleinen Sees hatte Ned die eine und ich die andere Seite genommen, als ich einen schmalen Pfad bemerkte, der aus dem Dickicht kam und augenscheinlich der eben verlassenen Straße zuführte, auf der die Wagen, vielleicht eine halbe Meile hinter uns, herkamen. Da hörte ich etwas in [] den Büschen rascheln und trat, in der Meinung, es sei ein Hirsch oder ein Volk Truthühner, hinter einen Baum. Es waren aber zwei Reiter, beide in das gewöhnliche blaue Wollenzeug gekleidet, der eine nur mit einem breiträndigen schwarzen Hut auf. Diese sprachen sehr eifrig mit einander und ritten an mir vorüber, ohne mich zu bemerken; ich redete sie auch nicht weiter an, da ich kein unnöthiges Geräusch machen und mir vielleicht in der Nähe äsendes Wild verscheuchen wollte.«

»Hundert Schritt mochte ich wieder langsam weiter geschlendert sein, und die Fremden waren indessen im Gebüsch hinter mir verschwunden, als ich plötzlich, nach derselben Richtung hin, einen Schuß hörte. Nun glaubte ich im Anfang, Ned habe des Wassers wegen nicht drüben um den See gekonnt, sei mir nach- und zufällig zum Schuß gekommen, denn keiner der beiden Männer trug eine Büchse. Ich stieß deshalb meinen Jagdruf aus, um zu erfahren, ob er irgend etwas getroffen; aber gleich darauf antwortete mir mein Junge von der gegenüberliegenden Seite des Sees, und ich vermuthete nun natürlich nichts Anderes, als daß noch ein dritter Jäger dort in der Gegend sei, und mich um den nicht weiter kümmernd, setzte ich meinen Weg ruhig fort.

Das war schon spät am Nachmittag, und an dem selben Abend noch überholten uns Leute auf der Straße, wo wir lagerten, die uns von einem Mord erzählten, der vorgefallen. Der Todte sei durch den Kopf geschossen. Von den Reitern war übrigens keiner an unseren Wagen vorbeigekommen.«

»Wie ich das hörte, setzte ich mich augenblicklich auf meinen Rappen (die Weiber hier schrieen nicht schlecht, denn sie fingen an, sich zu fürchten) und galoppirte, was das Thier laufen konnte, dorthin, wo der Leichnam in einem Farmhause nicht sehr weit von da, wo die That geschehen, liegen sollte. Es war richtig, wie ich vermuthet, einer von Denen, die ich an demselben Tage hatte zusammen reiten sehen, und zwar der Aeltere; der Schuft mit dem breiträndigen Hute mußte also der Mörder sein. Ich beschrieb ihn, so gut ich konnte, keiner der Anwesenden wollte ihn aber kennen, ja erinnerte sich nicht [] einmal, ihm je begegnet zu sein. Vergebens blieb ich noch zwei Tage in der Nachbarschaft, der Thäter war spurlos verschwunden, und nach Berechnungen von Leuten, die genau wußten, wie viel Schweine der Ermordete mit fortgenommen und wie der Preis bei den Indianern stand, mußte er etwa tausend Dollars bei sich gehabt haben. Natürlich wurde von denen ebenfalls nichts weiter gesehen.«

»Ja, ja,« sagte Cook, »es sind hier auch ähnliche Sachen vorgefallen, fast noch schlimmer, als offener Raubmord. – Nun, wir wollen hoffen, daß wir wenigstens den Kopf der Schlange treffen, die sich in diese Gegend eingenistet hat. Die über dem Arkansas drüben mögen sehen, wie sie mit ihrer Seite fertig werden. – Doch welchen Weg gedenkt Ihr einzuschlagen?«

»Ich weiß es selbst nicht genau; die Straße führt wohl an dieser Seite hin?«

»Ja – an beiden Seiten, die jenseits möchte aber für Euch die gerathenste sein, denn weiter oben, wo die Lefthandfork hereinkommt, ist der Durchgang durch den Fluß, besonders mit Wagen, sehr beschwerlich.«

»Auf welche Art komme ich denn da am besten hinüber? Wie weit ist's noch bis zum nächsten Hause?«

»Nun, das nächste Haus ist Wilson's,« sagte Cook, »das zweite, etwa anderthalb Meilen weiter, Atkins'. Am ersten könnt Ihr aber schon übersetzen; es ist dort ein recht gutes Fährboot und ein breiter, bequemer Weg zum Fluß hinunter.«

»Ist des Fährmanns Name Wilson?«

»Nein, der wohnt nur dort; der Fährmann heißt Curneales.«

»Gut denn, ich dank' Euch für den Rath und werd' ihn befolgen; kommt Ihr aber einmal in meine Nähe, so fragt nur nach dem alten Stevenson und sucht mich auf. Ihr sollt mir herzlich willkommen sein!«

»Danke, danke!« sagte Cook, der indessen aufgestanden war und sein Pferd wieder gesattelt und gezäumt hatte; »jetzt wird's übrigens Zeit, daß ich ausgreife, sonst komme ich zu [] spät, ich habe noch verschiedene Meilen zu machen. Also behüt' Euch Gott!«

Mit herzlichem Gruß und Händedruck nahm der junge Farmer dann von jedem Einzelnen der Familie, Ben, der sein Pferd so wacker gefüttert hatte, nicht ausgenommen, Abschied und trabte bald darauf singend und mit seinem ebenso zufriedenen Pony sich unterhaltend dem vorgesteckten Ziele zu.

Nach scharfem, etwa einstündigem Ritt erreichte er Atkins' Haus, wo er zu seinem Erstaunen Brown noch vorfand. Den hatte er schon lange an Ort und Stelle, oder doch wenigstens auf dem Wege dahin vermuthet, und fand ihn jetzt noch hier ganz ruhig neben den gesattelten Pferden stehen. Brown unterhielt sich übrigens sehr angelegentlich mit dem am vorigen Abend angekommenen Fremden, den ihm der eben eingetroffene Rowson gerade als einen alten Freund vorgestellt hatte.

»Hallo, Cook!« rief diesem der Regulatorenführer freudig entgegen, »das ist herrlich, daß Ihr kommt; jetzt können wir zusammen reiten.«

»Guten Morgen – guten Morgen!« lautete der Gegengruß, »aber ich glaubte Euch schon lange unterwegs.«

»Das ist meine Schuld,« sagte Atkins, Cook die Hand hinaufreichend, »oder eigentlich die Schuld meiner Frau, die heute Morgen unverzeihlich lange mit dem Frühstück trödelte. Das kranke Kind mag sie aber wohl verhindert haben –«

»Ich wäre schon lange fortgeritten,« sagte Brown, »aber Mr. Atkins –«

»Doch nicht ohne einen Bissen genossen zu haben?« unterbrach ihn dieser, »das hätte ich nie zugegeben, nein; Sie kommen überdies noch zeitig genug und haben jetzt dadurch neue Gesellschaft gewonnen.«

»Es ist auch noch nichts versäumt,« sagte Brown, dem Freunde Cook, der neben ihm halten geblieben war, ebenfalls die Hand schüttelnd; »aber, Mr. Rowson,« wandte er sich dann zu diesem, der sein Pferd eben dem Mulatten übergeben hatte, »wollen Sie denn nicht mit uns kommen? Ich glaubte, als ich Sie sah, daß das der Zweck Ihres Hierseins gewesen sei.«

[] »Ich würde sehr gern dieser Versammlung beigewohnt haben,« erwiderte der Methodist, »hielten mich nicht gerade heute wichtige Geschäfte davon ab. Ich feiere morgen die Verbindung mit meiner Braut, und da werden die Herren wohl einsehen, daß es unter solchen Umständen selbst unaufschiebbare Besorgungen geben kann.«

»Allerdings,« erwiderte Brown fast tonlos – »und dieser Herr ist, wie Sie sagten, ebenfalls ein Regulator? Er äußerte davon gestern Abend keine Silbe.«

»Sie werden das sehr begreiflich finden,« lächelte Mr. Jones, »wenn Sie bedenken, daß ich mich unter lauter Fremden befand.«

»Allerdings eine höchst lobenswerthe Vorsicht. – Sie wollten nach Fort Gibson, nicht wahr?«

»Das war mein Wille und ist es noch. Da ich aber hier ganz zufällig und unerwartet einen alten Bekannten in Mr. Rowson gefunden habe, gedenke ich ein paar Tage in der Nachbarschaft zu verweilen. Es würde mir dabei sehr angenehm sein, wenn ich der heutigen Versammlung der Regulatoren beiwohnen könnte; vielleicht ist es möglich, diese mit unseren Verbindungen im Norden zu vereinigen, und mit einem gemeinsamen Ziel im Auge wäre es dann weit eher möglich, das zu erreichen, was beide Parteien jetzt einzeln nur so viel schwerer erlangen können.«

»Allerdings haben Sie da Recht,« erwiderte Brown, ihm dabei fest in's Auge sehend, »und Sie wünschen also durch mich den Regulatoren vorgestellt zu werden?«

»Das ist mein Wunsch, und Sie würden mich sehr verpflichten –«

»Ich selbst würde Ihnen im Namen meines Freundes sehr dankbar sein,« unterbrach ihn Rowson zu gleicher Zeit, »und wenn er dann auch, meiner jetzigen neuen Haushaltung wegen, nicht gleich bei mir ein Unterkommen finden könnte, so ist Mr. Atkins vielleicht so gütig, ihn noch einmal in nächster Nacht zu beherbergen Später treffen wir dann schon ein Abkommen mit einander.«

»Machen Sie sich deshalb keine Sorgen, Mr. Rowson,« [] sagte Brown lächelnd, »ich zweifle nicht daran, daß sich Mr. Jones einige Zeit hier bei uns aufhalten wird. Ob ihm der Fourche la fave nur gefällt, ist eine zweite Frage.«

»Ich bin leicht befriedigt,« entgegnete Jones dem jungen Mann sehr freundlich: »doch, möchten wir nicht lieber aufbrechen? Es wird spät.«

»Mr. Jones' Pferd!« rief Aktins dem Mulatten zu, der in der Thür stand und nach den Männern herüberstarrte.

»Hört, Brown, dessen Gesicht gefällt mir gar nicht,« flüsterte Cook dem Freunde zu, während er sich zu ihm hinunterbog.

»Wenn wir zu Bowitts kommen, muß ich ein paar Worte mit Euch allein sprechen,« flüsterte dieser zurück.

»Ist etwas –?«

»Bst – nur ruhig – es hat Zeit, bis wir oben sind.«

Jones war indessen ebenfalls aufgestiegen, und Brown schwang sich gerade in den Sattel, als der Mulatte noch zwei andere Pferde, und zwar eins mit einem Damensattel belegt, herausführte.

»Gott segne mich!« rief Cook – »noch ein Frauensattel, ich zählte eben ganz erstaunt die da drin im Zwischenhause aufgehangenen; sieben Stück, und das hier ist der achte; was habt Ihr denn vor?«

»Es ist Besuch bei meiner Frau,« sagte Atkins, »Krankenbesuch, des Kindes wegen. Der hier aber gehört Ellen – sie soll nach Roberts hinüber.«

In dem Augenblicke öffnete sich die Thür und Ellen kam mit Sonnenhut und Tuch aus dem Hause. Sie trug ein kleines Bündel in der Hand, das der Mulatte ihr draußen abnahm, und als sie das von dem tiefen Bonnet beschattete Köpfchen nach Brown zukehrte, konnte dieser die rothgeweinten Augen nicht verkennen. Schnell wandte sie sich jedoch ab, stieg mit Hilfe eines dort stehenden und zu diesem Zweck glatt abgehauenen Baumstumpfes in den Sattel und galoppirte gleich darauf, von dem Farbigen gefolgt, die Straße hinab.

»Was fehlt dem Mädchen?« frug Brown teilnehmend den [] Herrn des Hauses, der ihr kopfschüttelnd nachschaute – »mir kam es vor, als ob sie ganz verweinte Augen hätte –«

»Ih – Unsinn,« sagte der Angeredete – »sie wollte nicht von dem kranken Kinde fort – sie sagte, sie säh' es nicht wieder, und da – hatte meine Frau wohl einen kleinen Tanz mit ihr – die Alte brummt manchmal, meint es aber nicht so bös. – Das hat sich das dumme Ding denn zu Herzen genommen. Nun, sie wird schon vernünftig werden, wenn sie einmal einen ordentlichen Mann bekommt.«

»Brown – zum Donnerwetter, laßt das Trödeln. – Die Zeit vergeht!« rief Cook ungeduldig.

»Ja, ja,« erwiderte dieser, »ich muß nur noch ein paar Worte mit Mr. Rowson sprechen; eine Frage –«

»Der ist in's Haus gegangen, das kann ja morgen oder heut Abend geschehen; es wird Mittag sein, ehe wir's uns versehen, und die Leute oben erwarten uns sicherlich schon seit vier Stunden.«

»Gut denn, auf Wiedersehen!« sagte der junge Mann, winkte den Zurückbleibenden noch einmal zu und trabte dann, von den Anderen gefolgt, schnell auf dem in den Wald führenden Pfade hin.

25.
Harper und Marion. – Ellen's Ankunft bei Roberts.

Still und freundlich beschien die leuchtende Morgensonne Roberts' wohnliche Heimath. Noch hatten die das Feld und den Hofraum begrenzenden Kiefern und Eichen ihren thauigen Perlenschmuck nicht verloren, warfen ihn aber jetzt in leisen [] glitzernden Schauern auf die duftende Erde nieder und winkten und nickten dazu mit den Zweigen, als ob sie hätten sagen wollen: »Geht – geht – ihr könnt uns doch nicht verlassen, ihr glänzenden Tropfen, und wenn es nur erst dunkelt, steigt ihr schon wieder heimlich in feuchten Dünsten empor, drängt euch uns wieder auf und sammelt euch hier oben zu eurer stolzen, prahlenden, lieben Herrlichkeit auf's Neue. – Geht – geht – ihr kommt schon wieder und wenn wir euch noch tausendmal abschütteln.«

Vier große, stattliche Truthühner, aus im Walde gefundenen Eiern aufgezogen, strutteten stolz und kollernd auf dem das Haus umgebenden freien Fleck umher und schienen die Maiskörner, die ihnen Marion in einem kleinen Körbchen brachte, erst durch das ganze Ausbreiten ihrer Pracht und Schönheit verdienen zu wollen, ehe sie sich herabließen, die Morgengabe in Empfang zu nehmen. Auf den kleinen, niederen Hickorybüschen, die des Schattens wegen in der Nachbarschaft der Wohnungen gelassen waren, lärmten die blauen Heher und zwitscherten die feuerrothen Cardinäle und hier und da glitt ein munteres silbergraues Eichhörnchen an irgend einem Stamme herunter. Rasch sprang es dort auf die Fenz, lief an dieser, genau den Zickzackwindungen derselben folgend, hin und schwang sich dann wieder, durch irgend ein im Laube raschelndes Huhn aufgescheucht, mit flüchtigem Satz an dem ihm nächststehenden Baum hinauf, bis es sich in Sicherheit wußte. Nicht lange aber dauerte es, so schaute es oben, das Köpfchen gar schlau und pfiffig von der Seite drehend, vorsichtig um den schlanken Stamm herum, mit den weit vorgespitzten kleinen Ohren herunterlauschend, was das verdächtige Geräusch denn wohl verursacht habe.

Die beiden Frauen waren allein. Roberts hatte sich mit den Hunden schon fast vor Tagesanbruch in den Wald begeben, um dort nach seinen Heerden zu sehen, aber versprochen, noch vor Mittag wieder zurück zu sein, und Madame Roberts wirtschaftete jetzt auf eine wunderbar geschäftige Weise zwischen allen nur möglichen Pfannen und Töpfen herum. Ja sogar das Rauchhaus wurde durchstöbert und von dorther einige sehr [] geheimnißvoll zugebundene und verwahrte Büchsen und Gläser herbeigeschafft, die theils saure Gurken und Honig, theils aber auch die verschiedenen Waldesfrüchte, auf treffliche und delicate Art eingemacht, enthielten und heute zu einem sowohl seltenen als glänzenden Festmahle hervorgeholt wurden.

Marion hatte das Geschäft des Brodbackens überantwortet bekommen und knetete das zarte, weiße Mehl mit den noch viel zarteren, feineren Händen zu kleinen flachen »Biscuits«. Späterhin sollten diese in der hohen eisernen Deckelpfanne gebacken werden, für jetzt aber lagen sie noch in langen, gleichen Reihen auf dem Tisch ausgebreitet und wurden nur vor der Hand mit einer Gabel eingestochen, um der Luft freien Zutritt zu gestatten und sie etwas zu heben.

Die beiden Frauen waren, ganz auf die gewöhnliche Art der amerikanischen Hinterwäldlerinnen, in selbstgewebte Anzüge gekleidet, der Stoff aber von der besten und vorzüglichsten Art, und die Farben und Muster auf das Geschmackvollste und Sinnigste gewählt. Mrs. Roberts suchte etwas darin, in dieser Arbeit von »keiner Einzigen in Arkansas und in den anderen Staaten eben so wenig,« wie sie sich ausdrückte, übertroffen zu werden, obgleich sie gern und nicht ohne fast eben so viel Stolz eingestand, ihre Tochter stände ihr an Geschicklichkeit fast gleich.

Marion hatte die vollen kastanienbraunen Haare einfach und glatt zurückgescheitelt und in einem Knoten befestigt. Der einzige Schmuck, den sie trug, waren zwei kleine, halb aufgeblühte weiße Rosen, und süß und zart, wie ihre schwellenden Lippen, glühte und duftete aus deren kaum erschlossenem Kelch das sanfte jungfräuliche Roth der aufkeimenden Blüthen. Sie hatte ihre Arbeit beendet, und schaute jetzt stumm und sinnend, die Hände vor sich gefaltet, das Köpfchen wie ermüdet an den blank gescheuerten Thürpfosten gelehnt, die Straße hinab.

»Kommt er noch nicht?« frug die Mutter, indem sie mit Kennermiene eine eben geöffnete steinerne Büchse an die Nase hielt.

[] »Wer?« sagte Marion, erschrocken auffahrend und sich schnell nach der Mutter hinwendend.

»Wer?« fuhr diese, ohne die Bewegung zu beachten, fort, »wer? närrisches Mädchen – Sam – den Du doch selbst nach Mr. Harper hinuntergeschickt hast, um ihn auf heute einladen zu lassen. Hat's aber gar nicht verdient, daß man die Leute nach ihm in die Welt hineinjagt. – Hätte sich wohl in der langen Zeit einmal wieder können blicken lassen.«

»Er war ja krank –«

»Nun, sein sauberer Neffe denn, der jetzt zu den Regulatoren übergegangen ist. – Du warst auch unwohl und es wäre nicht mehr als artig gewesen, einmal nachzufragen, wie Dir's ginge. Er ist immer freundlich hier aufgenommen und hat gar nichts auf der weiten Gotteswelt zu Hause zu thun –«

»Er hat seinen Onkel gepflegt,« sagte Marion leise.

»Oh ja – ich weiß wohl, Du vertheidigst ihn immer seit der Geschichte mit dem –«

»Mutter!« unterbrach sie fast noch leiser als früher und mit einem leichten Vorwurf im Ton das tieferröthende Mädchen.

»Nun ja – er hat Dir damals einen großen Dienst erzeigt, das ist richtig,« murmelte die alte Dame, »aber auch nicht mehr, als jeder Andere an seiner Stelle gethan haben würde, und – Doch ich will gar nichts gegen ihn sagen, Kind,« schwatzte sie dann redselig weiter, die nicht mehr nöthigen Gefäße dabei an ihre gehörigen und bestimmten Plätze zurücktragend – »ich habe keineswegs etwas gegen ihn. – Es ist so weit ein lieber junger Mann, aber darum bin ich ja gerade böse auf ihn, daß er nicht manchmal herkommt. Freilich ist die Sache mit Heathcott –«

»Aber, Mutter!« rief mit vorwurfsvollem Tone die Tochter.

»Ich weiß, was Du sagen willst,« fuhr diese, ohne sich irre machen zu lassen, fort – »ich weiß, was Du sagen willst; warum hat er sich denn aber seit jener Zeit nicht wieder hier sehen lassen, wenn er ein so ganz gutes, reines Gewissen hat? – Mr. Rowson gab mir darin neulich ganz recht.«

»Und Mr. Rowson hätte gerade volle Ursache, Herrn Brown zu vertheidigen, wo es in seinen Kräften steht,« [] rief Marion, sich eifriger als bisher zu ihrer Mutter umwendend. – »Das ist etwas, was mir an ihm nicht gefällt.«

»Er hat ihn auch vertheidigt,« entgegnete diese, »hat ihn wacker vertheidigt; aber was kann er dafür, wenn er selbst den Verdacht nicht ganz abzuschütteln vermag?«

Marion wandte sich zur Seite, um eine Thräne zu verbergen, die sich ihr ungerufen in's Auge stahl. Ihre Mutter hatte aber jetzt auch vollauf zu thun, um verschiedene Fleischstücke herbeizuholen, die sie noch vor zwölf Uhr zubereiten wollte. Zufällig trat sie dabei einmal an das kleine, in die Stämme eingeschnittene Fenster, das, eigentlich gegen arkansische Sitte, mit einer Glasscheibe versehen war, und entdeckte plötzlich zu ihrem Entsetzen drei Reiter, die auf der Straße herankamen. Es war der erwartete Harper mit seinem Nachbar Bahrens und hinter denen ihr eigener Negerknabe.

»Ei bewahre!« rief Madame Roberts erschrocken aus, »da kommt Harper schon und ich bin noch nicht fertig. – Ei, der Schlingel von einem Jungen! Er hat doch bestellen sollen: erst um Zwölf.«

»So laß doch, Mutter,« lächelte Marion, leise mit dem Finger den feuchten verrätherischen Fleck von den Wimpern wischend – »die beiden Männer neh men das nicht so genau, es sind ja gute Freunde vom Vater; Sam hat sie sicher schon unterwegs getroffen.«

Es war übrigens hierbei auch weiter nichts zu thun; Mrs. Roberts ordnete nur noch in aller Geschwindigkeit ihre, wie sie glaubte, etwas verschobene Haube vor dem kleinen Spiegelglas, strich sich die Schürze glatt und trat dann den beiden Gästen, wenn auch mit noch von der Arbeit ein wenig erhitztem Gesicht, freundlich und herzlich entgegen.

»Willkommen, Mr. Harper, willkommen als von den Todten auferstanden!« sagte sie, diesem die Hand reichend. – »Nur herein, Gentlemen, mein Mann wird gleich wieder zu Hause sein, er will blos einmal nach ein paar Kühen sehen, die lange nicht zum Melken nach Hause gekommen sind. – Nur näher, Mr. Bahrens, wenn ich auch noch nicht ganz in Ordnung bin.«

»Madame Roberts,« sagte dieser lachend, »ich dränge mich [] heute ungeladen ein, erfuhr aber erst, daß Sie Gäste hätten, als ich schon auf dem Wege war.«

»Ich glaubte Sie mit bei der Regulatorenversammlung,« antwortete Mrs. Roberts, »sonst hätt' ich schon lange zu Ihnen hinübergeschickt – aber nur herein, vor der Thür machen wir das Alles nicht ab.«

Die beiden Männer folgten der Einladung, und Harper, zwar noch immer sehr blaß und angegriffen, aber doch mit dem ganzen früheren gemüthlichen Wesen, das ihm gerad' so viele Freunde in der Ansiedelung erworben, mußte sich nun vor allen Dingen niedersetzen, einen Becher des für ihn ganz apart aus Honig und Früchten bereiteten Getränkes zur Stärkung zu sich nehmen und dann erzählen, wie es ihm in seiner Krankheit gegangen, wer ihn Alles gepflegt, was er für Arzeneien genommen und wie er wieder besser geworden sei. Er willfahrte auch mit der freundlichsten Bereitwilligkeit von der Welt dem Allen und rühmte besonders seinen Neffen und seine drei Nachbarn, Wilson, Cook und Roberts, die sich sehr verdient um ihn gemacht hätten. »Selbst Bahrens,« fuhr er, diesem die Hand hinüberreichend, fort, »hat sein Maisfeld verlassen und ist auf ein paar Tage zu mir herübergekommen. Sie haben mich Alle lieb, was kann ich denn hier im Walde mehr verlangen?«

Das Gespräch wandte sich jetzt auf die ihnen zunächst liegenden Gegenstände, das heißt alle mögliche Arten von Vegetabilien und andere Eßwaaren, die theils schon auf dem Feuer brodelten, theils noch der weiteren Verwendung harrend auf einem kleinen Seitentische aufgeschichtet standen, während Mrs. Roberts ein scharfes Messer heraussuchte und ihre Absicht kundthat, in den Garten zu gehen, um etwas Salat zu holen.

Bahrens, der ihr indessen schon einige außerordentlich wunderbare Begebenheiten von fabelhaft großen Spargeln und märchenhaften Kohlköpfen erzählt hatte, bestand darauf, sie zu begleiten, und Harper blieb mit der Jungfrau allein im Hause zurück.

Marion hatte sich schon den ganzen Morgen danach gesehnt, [] mit Harper ein paar Minuten allein über den fernen Freund zu sprechen. War er ja doch der Einzige, zu dem sie sprechen durfte. Als dieser Wunsch aber wirklich erfüllt war, schien es, als ob ihr alles Herzblut hinaufströmte nach Gesicht und Schläfen. Die Zunge klebte ihr am Gaumen und sie konnte keinen Laut hervorbringen. Auch Harper schwieg, doch dachten Beide sicherlich nur an den einen Gegenstand, fürchteten aber, etwas für Beide so Schmerzliches zu berühren und konnten es doch nicht über's Herz bringen, ein anderes, gleichgültiges Gespräch anzuknüpfen. Da brach endlich Harper das peinlich werdende Schweigen und sagte, dem jungen Mädchen mit wehmüthig freundlichem Ausdruck die Hand hinüberreichend:

»Wie geht es Ihnen, Marion? Gut, hoff' ich, nicht wahr? Das ist recht. – Seien Sie ein braves, starkes Kind – es freut mich – freut mich herzlich, Sie so wohl und – und zufrieden zu finden. – Mr. Rowson,« fuhr er dann fort, als ihm Marion lautlos die Hand gereicht hatte – »Mr. Rowson ist ein sehr wackerer Mann und wird Sie schon so glücklich machen, als Sie es verdienen. – Der – der Junge ist doch ein Sausewind, und – sehen Sie, es ist vielleicht viel besser so –

Er ist jetzt mit bei den Regulatoren,« erzählte er, ihren fragenden Blick verstehend, weiter, »will aber nur sehen, ob er nicht die wirklichen Mörder herausbekommen kann. – Pest und Gift! – es müßte eine Wonne sein, die Kerle hängen zu sehen.«

»Und er ist nicht schuldig – nicht wahr?« frug das Mädchen mit bittendem Blick.

»Schuldig?« fuhr Harper in seinem Stuhl auf – »schuldig? Ist da noch Einer, der ihn für schuldig hält? – Nein, Sie nicht,« sagte er dann, die weiße Hand, die er nicht wieder losgelassen, liebkosend streichelnd, »Sie gewiß nicht, aber auch andere Leute sollen das nicht mehr. Ich selbst freilich glaubte es einmal; ich kannte sein schnell aufloderndes Blut. Das geraubte Geld machte mich aber gleich stutzig, und später erst fand es sich dann, daß er an jenem Tage seine Moccasins [] getragen, und die Spuren waren beide von Stiefeln oder Schuhen. Nein – er hat keine Schuld an jenem Blute, hoffentlich aber wird schon irgend einmal ein Zufall den wirklichen Thäter verrathen.«

»Die Regulatoren sind ja, wie Sie sagen, deshalb versammelt,« erwiderte leise die Jungfrau.

»Ach, das sind auch nur Menschen,« meinte kopfschüttelnd der alte Harper – »nicht einmal Indianer. Ja, wenn Assowaum bei uns geblieben wäre; der Schlingel hat sich aber recht heimlich – recht indianisch fortgeschlichen und nie wieder etwas von sich hören lassen. Bill behauptet freilich noch immer, daß er wieder zurückkommt.«

»Mr. Rowson äußerte hier neulich, die heimliche Entfernung des Indianers spreche sehr gegen ihn,« sagte Marion.

»Oh – Mr. Rowson sollte ein wenig sparsamer mit seinem Verdacht umgehen,« rief etwas ereifert der alte Mann. »Es ist nicht hübsch, einem Menschen gleich so Schreckliches aufzubürden, und wenn es auch nur ein Indianer ist. Uebrigens war der es nicht, dagegen wollt' ich mit Freudigkeit meinen Hals zum Pfande setzen.«

»Wird Mr. Brown noch nach Texas gehen?« flüsterte zitternd das Mädchen.

»Ja,« bestätigte Harper, auf einmal wieder traurig und niedergeschlagen. »Ich kann ihm den tollen Gedanken nicht ausreden und glaube, wenn sie heute den Mörder fänden, er ginge morgen fort. – Hat er schon das Pferd von Ihrem Vater gekauft?«

»Das eben ließ mich fragen,« sagte Marion – »ich hörte, wie mein Vater heute Morgen äußerte, er müßte den Fuchs für Mr. Brown einfangen, der oben im Thalgrunde gewöhnlich weidet. Es thut mir unendlich weh, die Ursache zu sein, die ihn fort – von Ihnen forttreibt –«

»Es hat so sein sollen, liebe Marion,« beruhigte sie der alte Mann, indem er aufstand und ihre Stirn küßte – »und – es ist vielleicht recht gut, daß es gerade so und nicht anders gekommen ist; wer kann es denn wissen. Also Herz gefaßt, mein liebes Mädchen, und die starke Seite nach außen [] gekehrt.« Dabei hob er ihr mit leiser Hand das Kinn in die Höhe und wollte recht heiter und sorglos ihr in's Auge schauen, die Stimme zitterte ihm aber doch, und er mußte hart kämpfen, daß er nicht am Ende selbst von ihrer Wehmuth angesteckt wurde.

Gerade noch zur rechten Zeit kam jetzt Mrs. Roberts mit Bahrens aus dem Garten zurück und zwar die Erste lachend, dennoch aber mit einer gewissen religiösen Entrüstung in den Zügen, daß Mr. Bahrens da Sachen erzähle, die »doch unmöglich wahr sein könnten, so gern sie auch seinen Worten glaube«. Bahrens dagegen bestand fest auf dem Erzählten und rief jetzt Harper bei Mehrerem, das er auch ihm schon mitgetheilt haben wollte, zum Zeugen auf.

Sie waren noch in diesem halb ernsten, halb scherzhaften Streite begriffen, als zwei Reiter vor dem Hause hielten und Ellen, von dem jungen Mulatten gefolgt, eintrat.

Die Mädchen kannten sich schon von früher her und begrüßten sich herzlich, aber auch Mrs. Roberts empfing die junge Waise mit wirklicher Güte, da Rowson ihr (in diesem Falle einmal die Wahrheit) nicht allein sehr viel Liebes und Gutes, sondern auch das von ihr erzählt hatte, daß ihre Pflegemutter, Madame Atkins, sie eigentlich mehr wie eine Sclavin, als wie das Kind, wenn auch das angenommene, behandele.

Harper war Ellen noch fremd, Bahrens hatte sie aber schon häufig gesehen, und sie frug nach den ersten Begrüßungen schüchtern ihre neue Herrin oder vielmehr Freundin, ob sie noch zeitig genug eingetroffen sei, da sie sich zu Hause etwas verspätet.

»Zeitig genug, liebes Kind,« unterbrach sie Madame Roberts – »zeitig genug; morgen früh erst wollen wir hinüberreiten in Eure neue Wohnung. Es wird wohl noch Manches darin nöthig sein, denn man kann doch nicht erwarten, daß ein Junggeselle seine Wirthschaft so ganz vollkommen eingerichtet haben sollte. Später besuchen wir den Richter, wo Mr. Rowson Nachmittags predigen wird, und jener verbindet dann die jungen Leute mit einander. Abends bringen wir [] sie nach Hause, und Du, liebes Kind, bleibst mit unserem Negerknaben, den Ihr zu Eurer ersten Einrichtung eine Zeit lang dort behalten könnt, bei ihnen.«

Diese Angelegenheit war bald in Ordnung gebracht und es rückte nun die viel wichtigere des Mittagessens heran. Weder Rowson noch Roberts kamen aber, und die Matrone fing schon an, sehr ungeduldig zu werden. Bahrens hatte auch, auf wiederholtes Anregen, soeben zum zweiten Mal in das lange gerade Blechhorn stoßen müssen, das den Ton weit hin durch den Wald trug, als dieser endlich von dem freilich noch sehr fernen Jagdrufe Roberts' beantwortet wurde, und bald tobten, als fröhliche Vorboten, jauchzend und kläffend die Hunde die Countystraße herunter. Wenige Minuten später kamen die Beiden, Roberts und Rowson, in etwas größerer Eile als gewöhnlich, zusammen angetrabt, wahrscheinlich um dem dringenden Rufe Folge zu leisten und die Frauen nicht länger warten zu lassen.

26.
Die Regulatorenversammlung. – Jones befindet sich in einer höchst unangenehmen Lage. – List gegen List.

Um Bowitt's kleine Wohnung hatte sich an demselben Morgen nicht allein eine ziemliche Anzahl der benachbarten, sondern auch der entfernter wohnenden Farmer und Jäger versammelt. Das Haus selbst durfte aber Keiner betreten. Dort wirtschafteten und arbeiteten nämlich zwei wohlbeleibte, von der benachbarten, einem wohlhabenden Mann aus Little Rock gehörenden Mühle geliehene Negerinnen, um für Manche, die schon eine weite Strecke Weges gekommen, Frühstück zu [] bereiten und unterdessen auch wieder die nöthigen Vorbereitungen zum Mittagessen zu treffen. Zu gleicher Zeit hing vor dem Hause auf zwei niederen Stäben befestigt und über einem lodernden Feuer, ein nicht unbedeutender eiserner Kessel, um kochendes Wasser bereit zu halten und dann und wann die kühle Morgenluft mit einem heißen, erquickenden Trank zu dämpfen und angenehmer zu machen.

Trotzdem aber, daß der Becher häufig im Kreise herumging, der doch sonst so schnell Leben und Fröhlichkeit unter die »Männer von Arkansas« brachte, schien heute ein fast feierlicher Ernst die Zungen der Meisten gefesselt zu haben. Unter einem dichtlaubigen Baume, der das darunter gestreute vorjährige Laub vor dem niederfallenden Regen geschützt hatte, standen die Regulatoren, finstere Aufmerksamkeit und feste Entschlossenheit in den dunkeln, sonngebräunten Gesichtern, und dicht um einen einzelnen Mann geschaart, der mit lebhaften Geberden und geläufiger Zunge ihnen etwas scheinbar sehr Interessantes mitzutheilen schien.

Es war eins jener, keinem besondern Staate angehörenden Mitteldinge, halb Weißer, halb Indianer, dessen fast zu dunkle Farbe bei den Amerikanern gar nicht selten den Verdacht nach niederer Abstammung erweckt. In den Backwoods hießen aber diese Art Leute kanadische Franzosen, Halbindianer oder auch wohl mit einem Spottnamen »Gumbos«. Gumbo, ein Lieblingsgericht der von französischen Eltern in den südlichen Staaten geborenen Creolen, und als Spottname dort für Alles, was von französischer Abstammung ist, gebraucht. Dieses braune Individuum, sonst ein kräftiger, derber Bursche, erzählte aber mit lebhaften Gesticulationen seinen Zuhörern, wie er aus der Nation der Cherokesen der Spur von gestohlenen Pferden gefolgt sei, etwa fünf Meilen von da aber die Fährten verloren habe und schon wieder auf dem Heimwege gewesen sei. Da hatte er von der »Regulator Meeting« gehört und war nun hierher geritten, die Regulatoren, wenn er die Thiere auch jetzt nicht wiederbekäme, doch auf diese[] wenigstens aufmerksam zu machen und ihre genaue Beschreibung zu hinterlassen.

Der Kanadienser, denn Kanada nannte er seine Heimath, war ein kleiner untersetzter Mann, mit glänzend schwarzen, langen Haaren, dunkeln feurigen Augen, blendend weißen Zähnen und ganz indianisch vorstehenden Backenknochen, wie etwas breitgedrückter Nase und großen Nasenflügeln. Seine Gesichtsfarbe erschien freilich kaum dunkler gefärbt als die der ihn umstehenden Männer; seine Kleidung war aber vollkommen indianisch, und selbst der Gürtel, den er trug, aus perlengestickter rother Wolle gefertigt und reich mit Pantherfängen und Bärenkrallen verziert.

Die Regulatoren riethen noch hin und her darüber, wie sonderbarer Weise die meisten Fährten in ihre Nachbarschaft führten und da, auf fast wunderbare Weise, verschwänden, als Brown, Jones und Cook herbeiritten und von den vor der Hütte Versammelten mit freudigem Gruß empfangen wurden. Zu gleicher Zeit fast traf auch Husfield von der andern Seite her ein und erquickte sich vor allen Dingen an dem Frühstück, da er schon, seiner Aussage nach, fünfzehn Meilen nüchtern geritten war.

Erst als er dies beendet, näherte er sich den letztangekommenen Freunden, zu deren Besten der Kanadienser seine Erzählung wiederholte. Da mischte sich Jones mit in das Gespräch und frug den Halbindianer, ob nicht ein weißes Pferd mit einem schwarzen Hinterbein unter den vermißten gewesen sei.

Mit freudig erstauntem Eifer bejahte es der Fremde.

»Dann hab' ich sie gesehen,« sagte Jones, mit der rechten Faust in die linke geöffnete Hand schlagend, »dann hab' ich sie, straf' mich Gott! gesehen.«

»Aber wo?« frug schnell und hitzig der Verfolger.

»Etwa fünfzehn Meilen von hier; schon spät gestern Abend und oben auf dem Bergrücken, der die Wasser der Mamelle und dieses Flusses von einander trennt.«

»Und welchen Weg nahmen sie?« frug jener voll Eifer – »waren sie auf der offenen Straße, oder –«

[] »Sie kreuzten die Straße, gerade als ich den steilen Berg von der andern Seite heraufkam,« erwiderte Jones.

»Und wie viel Männer waren mit ihnen?«

»Einer nur, den ich sehen konnte.«

»Das sind sie,« rief der Halbwilde frohlockend aus – »ein Farmer an der Grenze hatte sie ebenfalls gesehen, konnte mir nur den Mann nicht beschreiben, da er zu weit entfernt gewesen war. Aber wo etwa find' ich die Fährten?«

»Die werden freilich Regen und Wind verweht haben,« sagte Jones nachdenklich – »kommt Ihr aber auf den Berg (das letzte Haus, das Ihr von hier passirt, ist Greathouses) und seid etwa vier oder fünf Meilen von da hingeritten, ohne die Spuren anzutreffen, so thut Ihr meiner Meinung nach am besten, gleich hinüber an den Arkansas zu reiten. Der fließt von dort nicht so sehr weit entfernt, und in den am Uferrande stehenden Blockhütten werdet Ihr sicher Kunde von den Dieben bekommen.«

»Dann will ich wenigstens keine Zeit weiter versäumen, daß ich nicht auch diese, wenngleich sehr kalte Fährte verliere,« rief der Fremde – »dank' Euch für die Weisung – Good bye, Gentlemen!« Und ohne weitere große Umstände wollte der Kanadienser zu seinem Pony eilen und dem Dieb nachsetzen. Brown faßte ihn aber am Aermel seines ledernen Jagdhemdes, und als ihn der also Zurückgehaltene verwundert ansah, sagte er freundlich:

»Schenkt uns noch etwa eine halbe Stunde. Die also angegebene Spur ist doch, wie Ihr einsehen müßt, sehr unsicher und zeitraubend, und auf so wenige Minuten kann es Euch unmöglich ankommen. Ueberdies scheint Euer Pferd ermattet und bedarf der Ruhe. Seid Ihr also in einer Stunde noch gesonnen nachzusetzen, so könnt Ihr meins nehmen, das frischer bei Kräften ist und Euch die versäumte Zeit, bald einbringen wird. Auf dem Rückwege tauschen wir wieder um.«

»Wenn aber der Bursche unterdessen ein Boot finden sollte, was ihn aufnähme?« sagte Jones.

»So schnell wird das nicht gehen, denn so häufig sind die [] Dampfboote noch nicht auf dem Arkansas. Also Ihr bleibt noch ein wenig und nehmt dann mein Pferd?«

Der Indianer nickte sehr befriedigt und jetzt wieder voller Hoffnung mit dem Kopfe, folgte aber fast noch freudiger dem Winke Bowitt's als dem Rathe Brown's, welcher Erstere ihn zu dem gedeckten Tische lud. Dort zeigte er sich im Anfange allerdings etwas zurückhaltend, bald gestand er aber, daß er seit dem vorigen Morgen keinen Bissen über die Zunge gebracht, und wüthete nun ordentlich, zum Entsetzen der Negerinnen, unter den Speisen und Getränken.

»Gentlemen,« redete jetzt Brown, als sich der Halbindianer zurückgezogen hatte, die Versammelten an, »ich habe Ihnen vor allen Dingen einen mir von Herrn Rowson empfohlenen Fremden vorzustellen, der als Regulator aus Missouri bei uns eingeführt zu werden wünscht. Er hofft dadurch zwischen uns und den nördlichen Staaten eine Verbindung herzustellen, wünscht aber zuerst vor allen Dingen unsere Versammlung zu besuchen und den Geist kennen zu lernen, der sie beseelt. Nicht wahr, Mr. Jones?«

Der also Gefragte verbeugte sich blos verbindlich.

»Da er gleich damit begonnen hat,« fuhr Brown fort, »einem Hülfsbedürftigen auf den rechten Weg zu helfen, um sein verlorenes Eigenthum wieder zu er halten, so glaube ich nicht, daß es noch weiterer Empfehlung bedarf, ihm den Zutritt zu unserer, sonst eigentlich geheimen oder wenigstens geschlossenen Versammlung zu gestatten – meinen Sie nicht auch?«

»Genügt vollkommen,« riefen die Männer fast einstimmig, und Husfield trat vor und drückte dem Fremden seine besondere Freude aus, gleich mit dem Bruderstaat in solcher Art verbunden zu werden.

»Was wolltet Ihr mir denn sagen, Brown?« frug diesen jetzt Cook, als er einige Schritte mit ihm abseits getreten war.

»Geht dem eben Eingeführten nicht von der Seite,« flüsterte Brown schnell – »er gehört mit zur Bande – bst – kein Wort weiter – theilt es Wilson mit, und Ihr Beide bewacht ihn – habt Ihr Euer Terzerol?« (Cook bejahte es.) [] – »Gut – ich will nur erst die Neger dort bei Seite haben; ich traue den Schuften nicht, und sie könnten den Alarm geben –«

»Also ist das mit den gesehenen Pferden auch eine Lüge?« frug Cook schnell.

»Bst – er sieht hierher,« flüsterte Brown – »er darf noch nichts merken – nehmt Euch Wilson zur Hülfe, und dann müssen wir das Mittagessen schnell vorüber haben, daß die Neger fortkommen.«

Die Männer trennten sich jetzt auf kurze Zeit, als Jones aber gleich darauf von dem Kanadienser wieder vorgenommen und über mehrere Einzelheiten befragt wurde, trat Cook noch einmal an den jungen Führer heran und sagte leise:

»Die Neger bekommen wir nicht fort, sie bleiben den ganzen Tag hier. Was geschehen soll, muß also bald geschehen. Daß die schwarzen Canaillen aber nachher nicht fortkommen und das Gerücht aussprenge, dafür will ich schon sorgen.«

»Habt Ihr es Wilson gesagt?« frug Brown.

»Ja – seid außer Sorgen, der kommt nicht weg – das giebt einen Hauptspaß. Doch die Versammlung soll beginnen.«

Husfield näherte sich in diesem Augenblick Brown und frug ihn, ob sie nicht anfangen sollten, da manche der hier Anwesenden vielleicht noch an demselben Tage nach Hause zurückzukehren wünschten. Brown erwiderte, hierauf kein Wort, führte ihn aber einige Schritte von den Uebrigen fort und erzählte ihm nun in der Kürze und mit so wenig Worten als möglich seinen Verdacht.

»Und was wollt Ihr thun?« frug Husfield schnell.

»Davon nachher,« flüsterte Brown – »mir bangt nur vor den Negern. Wer weiß, wenn wir hier etwas vornehmen, ob die nicht –«

»Pest! Ihr habt Recht,« unterbrach ihn Husfield – »mir kam es überdies schon vor, als ob der Fremde dem einen Nigger ganz verstohlen zugenickt hätte – Verrath könnte uns hier Alles verderben – doch halt – laßt mich sorgen – [] Bowitt muß dafür stehen und kennt seine Leute; den will ich unterrichten. Verzögert Ihr indessen die Entscheidung, bis Ihr mich in den Kreis treten und den Hut abnehmen seht – fort! Jones kommt, es mag ihm wohl nicht angenehm sein, wenn Zwei mit einander heimlich flüstern.«

Husfield verlor sich gleich darauf unter den Uebrigen, und Brown, als gewähltes Oberhaupt dieses County, rief die Männer herbei und eröffnete die Versammlung. Nach echt arkansischer Art trat er dabei, um etwas höher zu stehen und sowohl Alle sehen zu können als auch von Allen gesehen zu werden, auf den Stumpf eines gefällten Baumes und sprach zur Einleitung über den Zweck, der sie hier zusammengeführt, wie über das Gesetzliche der Versammlung selbst, frug sie aber zum Schluß, ob sie auch fest und ernstlich gesonnen wären, den ungesetzlichen Theil ihrer Verbindung, die Ausübung des sogenannten Lynchgesetzes, in kräftiger Gesammtheit durchzuführen und die zu strafen, und zwar selbst am Leben, wenn es die Mehrzahl der Regulatoren für nöthig finden sollte, die Strafe und solche Strafe verdient hätten. Ein laut donnerndes »Ja« gab das Zeugniß, wie aus der Seele gesprochen dies Alles sei und wie fest sie entschlossen wären, das mit Leib und Leben zu vertreten, was sie einmal begonnen und unternommen hätten.

Unterdessen bemerkte Brown, wie Bowitt eine Zeit lang mit zwei jungen Burschen gesprochen hatte, und diese sich jetzt von den Uebrigen absonderten. Einer nahm darauf seinen Platz gerade der Hausthür gegenüber, setzte sich dort auf einen Holzklotz und begann das Schloß seiner Büchse sehr aufmerksam zu untersuchen, während der Andere, das gesattelte Pony am Zügel, neben ihn trat und eine Unterhaltung mit ihm anknüpfte.

»Nun, Massa,« sagte die eine Negerin zu den Beiden, als sie eben einem jungen, etwa zwölfjährigen schwarzen Knaben einen Korb voll Späne abnahm und diese neben die Thür der Hütte schüttete, »wollen Sie nicht der Versammlung zuhören?«

»Noch zu jung, Lyddy,« lachte der Eine, »und nicht [] hübsch genug. – Es dürfen blos hübsche Leute dabei sein.«

»O, Golly,« sagte die Schwarze. »Unsinn das, Massa – Massa Hokker dort –«

»Wer, Lyddy?«

»Oh – Massa – Massa Hostler dort,« rief die Schwarze, augenscheinlich verlegen werdend – »Massa Hostler auch nicht groß hübsch; was hat Massa mit dem Gewehr? – Alles in Ordnung –«

»Das verstehst Du nicht, Lyddy,« sagte der junge Bursche. »Wenn eine Armee irgendwo campirt, dann werden Posten ausgestellt –«

»Oh, Golly – Golly!« schrie die Schwarze lachend, daß ihre Augen wie zwei große weiße Kugeln fast aus den Höhlen herausdrängten und ein Paar Reihen von Zähnen sichtbar wurden, deren sich ein Haifisch nicht hätte zu schämen brauchen – »Schildwachen vor die Küchenthür! – oh, Golly – Golly!«

Die jungen Leute lachten ebenfalls und scherzten und spaßten mit den beiden Negerinnen, die indessen im Innern des kleinen Gebäudes das Geschirr aufwuschen und auf's Neue zum Feuer gestellte Lebensmittel beaufsichtigten. Dennoch traten sie abwechselnd in die Thür und schienen besonderen Antheil an den nicht sehr entfernt von da gehaltenen Verhandlungen zu nehmen.

»Wir sind also heute hier zusammengekommen, meine Freunde,« fuhr Brown, sich jetzt hochaufrichtend und im Kreise umherschauend, fort, »um dem Unwesen des Pferdediebstahls, das uns bei sämmtlichen Staaten der Union in Mißcredit gebracht hat, zu steuern. Wenn wir aber auch kräftig und bestimmt gegen die offenen Feinde und Die, welche uns von außen als Fremde angreifen, auftreten können, so ist das bei Solchen, die sich unter uns als unsere Freunde und Genossen einschleichen, die uns schmeicheln und am Tage herzlich die Hand drücken, während sie in der Nacht mit der Raubbrut aus anderen Gegenden verkehren, unmöglich.«

»Wie aber diese auffinden?« hör' ich Euch fragen, »wie sie [] entlarven, wenn sie sich schlau und listig dem forschenden Auge der Gerechtigkeit zu entziehen wissen? Allerdings ist das schwer, aber es lebt auch dort oben ein Gott, der die Sünder manchmal da, wo sie es am wenigsten vermuthen, in die Hand der Rächer liefert.«

Husfield trat in diesem Augenblick heran, nahm den Hut ab und trocknete sich die Stirn.

»Nennt es Zufall oder Schicksal,« fuhr Brown, seinem Blicke begegnend, fort – »was mich gerade zum Mitwisser eines solchen Geheimnisses machen mußte; aber Mitwisser wurde ich, und jetzt, Kameraden, hoff' ich, daß wir die Fährte gefunden haben, auf der die Wölfin nächtlich ausschleicht und ihre Beute in Sicherheit bringt.«

»Wo? – was gefunden? – was habt Ihr entdeckt, Brown? wer ist es? hier in der Ansiedelung? am Fourche la fave Einer?« tönten die Stimmen wild durcheinander, und Jones, der bis jetzt sehr ruhig und selbstzufrieden an einem Baum gelehnt, wandte leise und fast unmerklich seinen Kopf der Hütte zu. Er wollte sehen, ob er auch im schlimmsten Falle den Rückzug zu seinem Pferde frei habe, das unfern von dort und etwas abgesondert von den übrigen, angebunden war. Wie er jedoch den Kopf drehte, begegnete er Cook's Blicke, der dicht neben ihm, etwas zu rück, stand und ihm freundlich und leise zuflüsterte:

»Nicht wahr, Ihr hättet zu keiner günstigeren Zeit hierher kommen können? Die werden in Missouri staunen, wenn sie das hören.«

»Ja sehr günstig,« sagte Jones – »sehr günstig, ich – bin außerordentlich neugierig,« (er wandte den Kopf nach der andern Seite und sah Wilson dort, anscheinend gleichgültig, am Baume lehnen) »ja, wirklich außerordentlich neugierig, wer damit gemeint ist. Schade, daß ich die Leute nicht selber kenne!«

»Oh, Ihr lernt sie vielleicht kennen,« erwiderte Cook – »aber hört nur!«

»Gleich, meine Freunde,« beruhigte Brown die Ungeduldigen, »Ihr sollt Alles erfahren, habt nur ein ganz klein [] wenig Geduld. Ein Zufall nämlich, wenn wir's denn einmal so nennen wollen, brachte mich vor einigen Wochen – das Wie? erzähl' ich ein anderes Mal – in den Besitz eines Schlüssels, von dem ich damals zwar keinen Gebrauch zu machen wußte, der mir aber seit kurzer Zeit klar und deutlich geworden ist. Es war die Verabredung zweier Ehrenmänner, sich durch gewisse Worte und Redensarten, wenn auch sonst einander gänzlich fremd, an einem dritten Orte zu erkennen und zu verstehen.«

»Wünschen Sie etwas?« frug Cook Jones, der in diesem Augenblick an ihm vorbeitreten wollte, um den äußern Rand des Kreises zu erreichen.

»Nur ein Glas Wasser,« flüsterte dieser zurück, »ich bin augenblicklich wieder da –«

»Lyddy, ein Glas Wasser für Mr. Jones!« rief plötzlich mit lauter Stimme Cook, daß sich Alle verwundert nach jener Stelle umsahen, Brown einige Secunden lächelnd in seiner Rede anhielt und Jones leichenblaß wurde. Die Schwarze aber, die schon lange auf eine Gelegenheit gewartet hatte, den Männern, und besonders jener Gegend, wo Jones stand, näher zu rücken, ergriff in aller Eile einen Becher mit dem verlangten Getränk und watschelte, so schnell es ihre außergewöhnlich wohlbeleibte Gestalt erlaubte, dem Baume zu, an welchem er stand.

Er dankte, nahm den Becher und trank, flüsterte dabei aber der Schwarzen einige Worte zu und blieb jetzt außerhalb des Kreises stehen, während Wilson ebenfalls vortrat, die Negerin um einen zweiten Trunk bat und sich an die andere, Cook entgegengesetzte Seite des Fremden verfügte.

Brown hatte mit schnellem Blick das eben Beschriebene übersehen und fuhr nach kleiner, hierdurch entstandener Pause wieder laut fort:

»Eine Frage nach dem Fourche la fave, eine Frage nach der Weide dieser Gegend und eine Bitte um einen Trunk Wasser waren die Zeichen, und wo glaubt Ihr, daß der Verräther unter uns gelauert habe?«

Lyddy kam in diesem Augenblick mit einem kleinen Korb [] voll Mais aus der Küche und ging zu dem Ponny des Fremden, dessen Zügel sie, wie sich Cook mit schnellem Blick überzeugte, in Ordnung brachte. Alles in der Versammlung lauschte dabei mit athemlosem Schweigen dem Berichte, der ihnen Die enthüllen sollte, die so lange als Verräther und Schurken verdachtlos und ruhig unter ihnen geweilt hatten.

»Gentlemen,« sagte der Regulatorenführer da nach kurzer athemloser Pause mit erhobener Stimme, »ich war gestern Abend in dem Hause unseres bisherigen Nachbars Atkins, und ist er der Verräther.«

»Sonderbare Geschichte das,« flüsterte Cook, seinen Arm vertraulich auf die Schulter von Jones lehnend, der ihm mit stierem Blick und aschfarbenen Wangen in's Auge sah – »sehr sonderbare Geschichte das!«

Dieser fühlte, daß er verrathen war; fühlte, wie der Blick des Regulatorenführers auf ihm haftete, wenn er ihm auch nicht selbst in's Auge schaute. – Er wußte, daß für ihn jetzt keine andere Rettung als schnelle Flucht sei und er sich zu dieser den Weg bahnen müsse, wie er nur immer könne. Leise daher, aber schnell die rechte Hand unter die Weste bringend, ergriff er das dort verborgen gehaltene Bowiemesser und warf noch einen Blick forschend hinüber zu der Negerin, die eben ihre Vorbereitungen beendet hatte.

Das Ganze, so lang hier im Erzählen, hatte in der Wirklichkeit nur wenige Secunden in Anspruch genommen, während bei den letzten Worten Brown's ein Murmeln des Erstaunens und der Verwunderung die Versammlung durchlief.

»Jener Bube aber,« fuhr Brown jetzt mit erhöhter Stimme fort, indem er seinen Arm gegen den Fremden ausstreckte, »der sich mit seinem diebischen Treiben, unter dem Mantel der Nacht, in unsere Ansiedelung, ja als ›Regulator aus Missouri‹ sogar in unsere Mitte schlich – ist dieser!«

Alles wandte sich erschrocken und empört nach dem Bezeichneten um; Jones hatte aber auf diesen Augenblick des Erstaunens gerechnet. Mit schnellem Griff riß er das breite, haarscharfe Messer aus der Scheide und schwang es hoch empor, um sich Bahn zu hauen, so daß die ihm zunächst Stehenden, [] die keine Ahnung von solchem Schluß gehabt, entsetzt zurückprallten. Wilson aber, der von der ersten Bewegung Jones' an dessen Absicht errathen, wußte, was er mit der Hand unter der Weste suchte, und verstand vollkommen dessen Plan. Kaum blitzte daher der breite Stahl in der Hand des entdeckten Verräthers, als er ihm auch mit schnellem und sicherem Griff in den Arm fiel, und im nächsten Augenblick lag der Spion, von der kräftigen Faust des Hinterwäldlers niedergeworfen, unter dessen Knie und knirschte vergebens gegen die Macht an, die ihn, wie in einem eisernen Schraubstock, regungslos gefesselt hielt.

Ein wildes Staunen, eine eigene, wie sinnverwirrende Ueberraschung schien in dem ersten Augenblick die versammelten Männer rath- und thatlos gemacht zu haben, so, ihrer fast unbewußt, drängten sie sich durch einander, so erstarrt standen sie über das Ungeahnte, noch nicht Begriffene. Aber nur wenige Secunden dauerte diese fast zauberartige Lähmung, denn zu rascher Thätigkeit wurden bald alle ihre Kräfte aufgerufen.

»Haltet den Neger!« schrie Brown, der, sobald er den Feind gefangen sah, die offene Lichtung mit seinem Adlerblick überflog und eben noch die helle Jacke des Negerknaben bemerkte, der schlangengleich in die dichten Büsche hineinglitt. Wahrscheinlich wollte er fliehen und die Kameraden des Verbrechers warnen. Der Zuruf war aber nutzlos. Einer der jungen, als Wache aufgestellten Leute hatte den Burschen, der ihm von Anfang an verdächtig vorgekommen, nicht aus den Augen verloren und sich, sobald dieser Miene machte, das Dickicht zu erreichen, in den Sattel seines kleinen muthigen Thieres geschwungen. Von Peitsche und Sporn getrieben, flog dieses mit ihm wie eine Windsbraut über die im Wege liegenden Stämme weg, und in wenigen Secunden hatte er den Neger eingeholt.

Dieser machte auch, da er sich auf solche Art verfolgt sah, keinen weiteren Versuch zur Flucht, sondern drückte sich auf die Erde nieder und bat mit flehender Stimme, ihm nichts [] zu thun, er wolle ja nicht weglaufen, er wolle keinen Schritt vom Hause fortgehen.

Die beiden dicken Negerinnen selbst waren wie vom Schlage gerührt, versuchten jedoch natürlich keinen Fuß vor das Haus zu setzen, da ihrerseits eine Flucht unmöglich war. Das kleine Gebäude mit den drei Schwarzen im Innern wurde jetzt von mehreren Schildwachen umstellt, die ihren zeitweiligen Gefangenen übrigens freundlich zusprachen und sie besonders darauf aufmerksam machten, um Gottes willen das Mittagessen nicht zu vernachlässigen.

Jones war indessen gebunden und in den Kreis der Männer geführt, wo er jedoch, wenn auch mit niedergeschlagenen Augen, hartnäckig auf keine Frage Antwort geben wollte.

»Legt ihm den Hickory über!« riefen da mehrere Stimmen; »verdamm' den Hund – bindet ihn an einen Doogwood und laßt ihn Rinde schälen! Der Doogwoodbaum – eine Art wilder Corneliuskirsche, aber mit bitteren, ungenießbaren Beeren, hat eine ziemlich leicht abzubröckelnde Rinde und wurde, da er in Arkansas in ungeheurer Menge wächst und selten stärker als drei bis fünf Zoll im Durchmesser wird, von den Regulatoren oder auch von den Sclavenaufsehern sehr häufig dazu benutzt, die Verbrecher oder Sclaven mit den Händen daran festzubinden, wo sie sich dann unter den Schmerzen der Züchtigung wanden und dadurch die Rinde von den schwachen Stämmen gänzlich abrieben. Daher der in Arkansas gebräuchlich gewordene Ausdruck »Jemanden Doogwood-Rinde schälen zu lassen«, anstatt ihn zu peitschen. – hängt ihn an den Händen auf und hetzt die Hunde auf ihn!« – Lauter freundliche Rathschläge, die alle dem Opfer galten, das bleich und gebunden, aber mit fest und krampfhaft aufeinander gebissenen Zähnen zwischen ihnen stand. Er schien das Aergste zu erwarten, aber jetzt, da es einmal über ihn hereingebrochen, keineswegs, zu fürchten.

Mehrere der wilden Backwoodsmen wollten übrigens ihre Drohungen schon thatkräftig in Anwendung bringen, und einer besonders streifte mit großem Eifer die zähe Rinde eines Papaobaumes ab, um den Gefangenen damit an den beschriebenen [] Baum zu befestigen. Brown wehrte ihnen aber und sagte ruhig:

»Halt – laßt den Mann noch in Frieden. So lange wir die Aussicht haben, unsern Zweck ohne solche Mittel zu erreichen, ist es immer besser. Noch bleibt uns Atkins, der auch auf jeden Fall mehr von den hiesigen Verhältnissen weiß, als dieser Bursche, denn er und Atkins waren sich, wie ich fest überzeugt bin, vorgestern Abend gänzlich fremd.«

»Dann ist das auch eine Lüge, daß er meine Pferde gesehen hat, und er wollte mich auf einen wilden Ritt in die Mamelleberge schicken!« rief jetzt der Halbindianer, zornig vortretend. Doch Brown hielt auch ihn zurück und sagte:

»Eure Pferde hat er auf jeden Fall gesehen, denn ich zweifle keinen Augenblick daran, daß er selbst Derjenige ist, der sie hierher gebracht hat –«

»Ei, so soll –«

»Halt!« fuhr Brown fort, den Zürnenden an der Schulter fassend – »sie sind da, noch kann sie Atkins nicht weiter befördert haben, wenn er das auch in nächster Nacht beabsichtigt hätte –«

»Dann wollen wir doch gleich hin,« rief Husfield – »finden wir die Thiere bei ihm, so liegt ja der Beweis klar auf der Hand.«

»Ich fürchte nein,« sagte Brown – »heute Morgen war ich in seinem Hofraum und beobachtete die ganze Einrichtung desselben. Wenn er die Pferde in seinem Gewahrsam hat, so sind sie keinesfalls innerhalb seiner Fenzen, und es muß irgendwo hinter dem Feld oder Viehhof einen Platz geben (in dem niedern, mit Schilf bewachsenen Thalgrund wahrscheinlich), wo die Thiere durch das dichte Rohr selbst, wie vielleicht durch umsichtig abgehauene Bäume, in einer gewissermaßen natürlichen Umzäunung eingefenzt gehalten werden.«

»Dann ist aber doch der Eingang nur von seinem Lande aus,« rief Cook ungeduldig.

»Allerdings,« entgegnete Brown, »ich kann es mir wenigstens nicht anders denken, doch das ist einerlei. Er kann vor Gericht nicht dafür verantwortlich gemacht werden. [] Was frei im Walde läuft – denn außerhalb der Fenzen ist Freiheit –«

»Oh verdamm' die Gerichte!« sagte Smeiers, jetzt vortretend und mürrisch die Mütze rückend; »wir sind hier nicht zusammengekommen, um zu fragen, was die Gerichte dazu sagen würden – verdamm' sie! ruf' ich noch einmal. Wir wollen unser eigenes Recht suchen, und wenn wir davon überzeugt sind, daß es Recht ist, nun so geht uns der andere Firlefanz weiter nichts an. Darum und in diesem Sinne haben wir Euch zu unserem Anführer gemacht; wenn Euch das nicht recht ist, so sagt's, dann übernimmt's ein Anderer.«

Brown wollte darauf erwidern, Husfield unterbrach ihn aber, bat einen Augenblick um das Wort und wandte sich hierauf, im Ganzen wohl an die Versammlung, besonders aber an Den, der zuletzt gesprochen und jetzt den größten Theil der Regulatoren auf seiner Seite zu haben schien.

»Gentlemen,« sagte er, »ich glaube, Sie kennen mich Alle, und Keiner von Ihnen wird denken, mein Eifer, der guten Sache zu dienen, sei schwächer als der seine, aber – Mr. Brown hat Recht. Uns genügt jetzt nicht allein, zu wissen, ob Atkins als Helfershelfer der Pferdediebe Pferde verhehlt und aufbewahrt hat, wenn wir auch den Beweis dort finden, sondern ob er es noch thut und auf welche Art es geschieht.«

»Daß er dabei Hülfe haben muß, liegt klar am Tage – bindet den Jungen dort, wenn er noch einen Fuß aus der Hütte setzt« – unterbrach er sich jetzt selbst und wies nach dem jungen Neger hinüber, der in diesem Augenblicke wieder schnell und augenscheinlich sehr verlegen, in die Thür zurückglitt – »habt bessere Wacht auf den Burschen, er könnte uns sonst den ganzen Plan verderben.«

Die Wächter hatten zu aufmerksam nach den Reden hinüber gehorcht und traten jetzt, über ihre Nachlässigkeit beschämt, wieder in die Thür. Husfield aber fuhr fort: »Wie ich hier überall gehört habe, geht Atkins selten oder nie von zu Hause fort, er muß also Leute an der Hand haben, die [] ihm derlei kleine Gefälligkeiten besorgen. Diese können jedoch nicht weit entfernt von ihm leben.«

»Johnson hat eine Hütte nur kurze Strecke von seinem Hause entfernt,« sagte Wilson.

»Verdamm' die Canaille,« brach Husfield, bei dieser Entdeckung seine ganze frühere Ruhe vergessend, los, »so steckt auch der Hund mit ihm unter einer Decke, und das Spiel mit den Pferden damals war falsch. Die Pest über ihn – Doch halt –« fuhr er dann nachdenkend fort – »auch hier wird List und Ruhe nachdrücklicher wirken, als tolles Toben und rohe, unberechnete Gewalt. Nochmals also stimme ich Mr. Brown's Vorschlag bei, die Sache erst reiflich zu überlegen, ehe wir rasch und vielleicht thöricht handeln. Wir haben noch mehrere Stunden Zeit, ehe wir gedrängt werden, etwas zu beschließen. Mr. Brown ist vielleicht jetzt so gut und macht uns indessen mit dem Plane bekannt, den er entworfen hat.«

»Gern,« sagte der junge Mann, seine frühere Rednerbühne wieder besteigend – »er ist leicht mitgetheilt und wird eben so leicht begriffen werden. Wir wissen die Zauberformel, die uns Zutritt zu dem heimlichen Hehlerplatz unseres Nachbars sichert. Noch aber ist es nicht bekannt, daß wir sie wissen, noch ist das Geheimniß unser. Mein Vorschlag ist also der: heut Abend einen Mann, den Atkins nicht kennt, mit mehreren fremden Pferden zu ihm zu schicken; hier dieser Kanadienser wäre vielleicht gleich der Rechte.«

Der also Bezeichnete schüttelte mit dem Kopfe.

»Nein – verdammt,« sagte er dann – »ich war schon dort – heute Morgen mit Tagesanbruch – er hat wohl mein Pferd nicht gesehen, das stand draußen, aber mich selber – viel Weiber drin –«

»Das ist fatal. Nun, dann finden wir einen Andern, der bei ihm einkehren mich, die Parole giebt, die draußen angebundenen Pferde nach seiner Anweisung herbeibringt und zu dem Platze gelangt, auf welchem die Thiere zu dem für sie bestimmten Versteck geführt werden. Wir liegen indessen dort [] in der Gegend im Hinterhalt und springen nur nach einem gegebenen Zeichen auf den Wahlplatz.«

»Das ist Alles recht schön und gut,« sagte Wilson, »wo aber nehmen wir noch vor Abend Jemanden her, den Atkins nicht kennt; denn Atkins kennt fast jeden Menschen in ganz Arkansas.«

»Was machtet Ihr denn bei Atkins?« frug Husfield den Kanadienser.

»Was ich machte? ich frug nach Pferden,« erwiderte dieser.

»Und er antwortete?«

»Er habe keine gesehen.«

»Das war wenigstens blos eine einfache Lüge. Allerdings wird es schwer halten, einen Mann zu finden – Euch kennt er auch, Kefner?«

»Ich sollte denken,« lachte dieser – »seit fünf Jahren!«

»Und Euch, Jankins?«

»So genau wie seine Nachbarn.«

»Und Euch, Williams?«

»Er kennt sie Alle, Mr. Brown,« sagte der zuletzt Angeredete, »da müssen wir weiter gehen. Wenn wir auf der Straße vielleicht –«

»Halt!« rief Cook – »ich hab' es – ein köstlicher Einfall – dem alten Mann wird es auf ein oder zwei Tage nicht ankommen, wir können ihm Mais und Lebensmittel genug liefern.«

»Wem denn?« frugen Mehrere.

»Habt Ihr heute Morgen keine Wagen auf Eurer Fähre übersetzen sehen, Wilson?« frug diesen jetzt Cook.

»Ich bin seit gestern Abend hier,« sagte der Angeredete, leicht erröthend – »doch was sollen die uns nützen?«

»Die können höchstens uns hier gegenüber, an der andern Seite des Flusses, also kaum zwei Meilen in gerader Richtung, entfernt sein,« erwiderte Cook, »ein alter Tennesseer mit seinen beiden Knaben führt die Wagen. Einer von diesen, die Jungen oder der Vater selbst, muß uns beistehen. Die kennt Atkins nicht, und Alles schlau angefangen, geht der alte Fuchs vielleicht in die Falle.«

[] »Wer reitet aber hinüber?« frug Wilson, »und wie soll man sie finden?«

»Oh, nichts leichter als das,« beschrieb ihm Cook. – »Ihr setzt hier gleich durch den Fluß, schneidet gerade durch die Niederung, links an dem kleinen See vorbei, und seht, wenn Ihr die Straße erreicht, nur nach den Wagengleisen. Sind die Auswanderer schon vorbei, was ich kaum glaube, so müßt Ihr sie in sehr kurzer Zeit, einholen, und haben sie jene Stelle noch nicht passirt, nun desto besser, so reitet Ihr ihnen blos entgegen.«

»Da wär's aber viel besser,« sagte Brown, »Ihr ginget selber, Cook. Wie ich weiß, habt Ihr mit dem alten Mann schon Bekanntschaft gemacht, und vielleicht wird es Euch gerade dadurch leichter, ihn für unsere Bitte zu gewinnen.«

»Meinetwegen,« entgegnete Cook entschlossen, »mir auch recht. – An mir soll es nicht liegen, und wo ich helfen kann, thu' ich's gern. Uebrigens wird es wahrlich nicht schwer halten, den alten Haudegen auf unsern Plan eingehen zu machen. Ich möchte meinen Hals verwetten, daß er selber kommt.«

»Das wäre also abgemacht,« lachte Curtis, sich fröhlich die Hände reibend – »Eidechsen und Regenwürmer, jetzt glaub' ich auch, daß wir den verdammten Buschkleppern, die so freigebig mit heißem Blei und kaltem Stahl sind, auf die Spur kommen, und dann gnade ihnen Gott. – Sie sollen Hanf zu schmecken bekommen, daß sie genug haben. Was machen wir aber indessen mit den Gefangenen? Ich traue dem Neger nicht. Die schwarze Canaille hat schon ein paar Mal entwischen wollen, und ich zweifle nicht im Mindesten, daß sie nachher gerade zu Atkins hinübergebrannt wäre.«

»Wir müssen sie binden,« sagte Brown, »denn der Gefahr, jetzt verrathen zu werden, dürfen wir uns nicht aussetzen.«

»Die Negerinnen auch?« frug Wilson.

»Den Burschen wenigstens,« sagte Husfield, »für die beiden Frauen genügt eine Wache, und macht der Junge wieder den geringsten Versuch zur Flucht, so binden wir ihn an einen Doogwood und lassen ihn tanzen. Wo ist die Papaorinde?«

[] »Nehmt lieber Stricke,« wandte Bowitt ein, »dort unter dem Bett in der Ecke liegen einige. Ist denn auch Jones sicher verwahrt?« Er trat bei diesen Worten an den Gefangenen hinan und wollte nach dessen Banden sehen, als der Missourier, der auf irgend eine, Allen unerklärbare Weise seine Hände frei gearbeitet hatte, dem Baum entsprang, an den er gefesselt gewesen, und mit flüchtigen Schritten dem Walde zueilen wollte. Er kam aber nicht weit. Wilson befand sich, als jener den ersten Satz that, vor dem Bowitt mehr überrascht als erschreckt zurückfuhr, in kaum zehn Schritt Entfernung von ihm und hatte ihn nach kurzem Wettlauf eingeholt. So wüthend war aber der dabei Ertappte, daß er sich dem viel stärkeren Gegner stellte und ihn mit Faust und Zähnen in aller Wuth der Verzweiflung zu verwunden strebte.

Wilson bedurfte auch wirklich seiner ganzen Gewandtheit, den wüthenden Bissen des Rasenden auszuweichen, doch warf endlich ein kräftiger, von seiner Hand geführter Faustschlag den zum Aeußersten Getriebenen zu Boden. Hier wurde er dann an Händen und Füßen festgeknebelt und in das Haus getragen, das, durch vier Wachen mit geladenen Büchsen umstellt, keine weitere Gefahr von dieser Seite fürchten ließ.

Cook sattelte indessen sein kleines Pony und trabte bald darauf mit diesem dem Flusse zu, um seine Bekannten vom Morgen wieder aufzusuchen. Brown und Husfield dagegen stellten nach allen Richtungen hin Wachen aus, die Verbindung mit den übrigen Ansiedelungen abzuschneiden und zu verhindern, daß Atkins gewarnt werden könnte, während die anderen Regulatoren indessen dafür sorgten, daß das Mittagessen bereitet sowie sonst alles Nöthige hergerichtet würde. Im Schatten der einzelnen, in der Lichtung stehen gelassenen Baumgruppen lagerten sie dann gemeinschaftlich, theils ihren Plan für den Abend zu bereden, theils der Ruhe zu pflegen und mit Sonnenuntergang zu neuen Anstrengungen gestärkt und gekräftigt zu sein.

[] 27.
Die Rückkehr von der Versammlung.

In den wilden, noch wenig angebauten Wäldern des Westens, wo die zerstreut und einzeln liegenden Farmerswohnungen oft durch weite ungangbare Strecken von einander getrennt liegen, fühlen und kennen die Bewohner derselben auch um so mehr den Werth des Nachbarthums. Besteht er doch nicht blos darin, daß sie freundschaftlichen Verkehr mitsammen unterhalten, sondern sie greifen sich auch einander unter die Arme, und helfen und unterstützen, wo es noth thut und die Kräfte des Einzelnen nicht mehr ausreichen. Sei das nun im Pflügen des ersten Ackers, im Zusammenrollen der ungeheuren Stämme, die verbrannt werden müssen, um dem Mais die segenreiche Bahn zu eröffnen, sei das im Aufrichten eines Hauses oder im Aushauen eines Canoe. Die einfache Aufforderung darf nur ergehen, und mit Axt oder Pflug finden sie sich ein und arbeiten bis zum späten Abend so hart und angestrengt, wie sie es vielleicht das ganze Jahr nicht einen einzigen Tag für sich selber thun möchten.

Kommen die Männer aber schon gern und willig zu solchen Arbeiten, die auch allenfalls, ohne große Gefahr, noch kurze Zeit liegen bleiben könnten, wie viel bereitwilliger sind da nicht die Frauen, wenn es Krankheit gilt, und sie, was in der That selten genug geschieht, zu Rath und Hülfe zusammengerufen werden. Keine, die irgend ihr Haus verlassen kann, wird den zweiten Boten abwarten, und mit allen möglichen in der Eile zusammengerafften Medicinen versehen, besteigen sie ihre Pferde und traben dem Orte der Noth so freudig und willig zu, als gälte es ein Fest zu feiern oder einem fröhlichen Tage beizuwohnen.

Madame Atkins war nun freilich in der ganzen Nachbarschaft [] gerade nicht besonders beliebt, denn erstlich besuchte sie fast Niemanden und kam nur höchst selten zu einer Betversammlung der Frommen, was ihr vorzüglich nachgetragen wurde; dann aber ließ sie sich auch zu keinem einzigen »Steppdeckenfrolick«, bei keinem »Klötzerrollfest« blicken, bei denen doch ihr Mann selten fehlte, und schon hierdurch mußte sie den schönen Arkansanerinnen sehr entfremdet werden. Desto mehr fiel es daher auf, daß sie jetzt, und zwar mit so dringender Bitte um Hülfe, die nächtliche Einladung umhergesandt hatte. Ohne wirkliche Gefahr war das nicht geschehen, und dem Wunsche, einem Kinde zu helfen, konnten nur sehr Wenige widerstehen. Des alten Grolles wurde nicht weiter gedacht, und ehe die Sonne im Mittag stand, hatten sich elf, meistens verheirathete und ältliche Frauen mit allen nur erdenklichen Pulvern und Elixiren, vorzüglich aber mit einer fast unglaublichen Quantität Kalomel eingefunden, um »dem armen kleinen Würmchen das süße Leben zu erhalten.«

Während sich nun die Frauen damit beschäftigten, die Schmerzen des kleinen Leidenden theils durch kalte Umschläge an den Schläfen, theils durch warme auf dem Unterleib zu lindern, und genug Latwerge, Thees und Kalomelpulver in ihn hineinfüllten, um sechs weniger abgehärtete Kinder der Städte damit umzubringen, ritten auf der Straße, die von Bowitt's zu Atkins' Hause führte, drei der verbündeten Regulatoren im langsamen Schritt hin und blieben von Zeit zu Zeit halten, als ob sie noch Jemanden erwarteten, der sie erst einholen müsse. Endlich, wie sie gerade eine kleine Anhöhe erreicht hatten, wurde ein Reiter auf der gegenüberliegenden Höhe sichtbar, der im scharfen Galopp dahergesprengt kam und schon von Weitem, sobald er der Männer ansichtig wurde, mit dem Hute winkte, als ob er wolle, daß sie auf ihn warten sollten.

Es war Cook – dessen kleines Pony in Schweiß ordentlich gebadet schien –, der mit erhitztem Gesicht endlich bei den drei Freunden, Brown, Curtis und Wilson, einzügelte.

»Pest,« rief er aus, als er sich, neben ihnen angekommen, [] den Hut auf den Kopf warf und mit kräftigem Schlag bis tief in die Augen trieb, »was rennt Ihr denn fort, als ob Ihr wunder was zu versäumen hättet? – seht einmal mein Pferd an, wie das aussieht. – Ich werde mir von der Versammlung ein neues ausbitten.«

»Wir wollten Euch auf der Anhöhe erwarten, Cook,« sagte Curtis, »da wir –«

»Und war das nicht eben so gut bei Bowitt's Hause möglich, daß wir wie verständige Christen zusammen aufbrechen und weiter reiten konnten? Glaubt Ihr, der Tennesseer saß da an der Straße, fertig gesattelt und aufgezäumt bis ich kam?«

»Nun? willigt er ein?« frug Brown schnell.

»Wenn er nun nicht einwilligte, heh?« frug Cook, sich nach ihm herumdrehend, »dann hätten die Herren doch einen hübschen Spazierritt umsonst gemacht.«

»Er kommt aber – nicht wahr?«

»Nun, versteht sich,« lachte Wilson – »seht Cook nur in's Gesicht, er kann die Freude ja gar nicht verbergen. Nur heraus mit der Sprache, Cook, die Zeit drängt, und wenn wir hier so lange halten bleiben, können wir leicht Verdacht erregen.«

»Und dennoch müssen wir hier halten bleiben, bis wir Alles mit einander verabredet haben,« sagte Cook – »warum habt Ihr nicht an Ort und Stelle gewartet, das geschieht Euch ganz recht. Ihr glaubt, wenn Ihr mit Eurem Mittagessen fertig geworden seid, dann können andere Menschen bis zur nächsten Mahlzeit hungern, nicht wahr? Doch jetzt im Ernste, Stevenson kommt, und zwar mit seinem ältesten Sohn und drei von seinen Pferden.«

»Ohne die, die er reitet?« frug Brown.

»Jeder Pferdedieb reitet doch natürlich die gestohlenen Pferde,« lachte Cook – »Brown, Ihr seid noch sehr weit in der Cultur zurück. Das sind ja gerade die beiden Hauptbedingnisse eines tüchtigen Pferdediebes, in einem Striche Wochen lang auf dem Rücken eines Thieres hängen und dann auch wieder unmenschliche Fußtouren machen zu können. Jedes [] eigene Pferd, das er reitet, ist reiner Verlust. – Doch welchen Plan habt Ihr Euch ausgedacht?«

»Hat ihn Euch Husfield nicht mitgetheilt?«

»Nein, er vertröstete mich darauf, daß ich Euch überholen würde. Der faule Bursche lag unter einem Baum und schien sich zu der Arbeit auf heut Abend vorbereiten zu wollen.«

»Das hat er Euch doch gesagt, daß Ihr und Curtis bei Atkins übernachten müßt?«

»Ja – weiter aber auch nichts.«

»Und wo ist der Tennesseer?«

»Oben bei Bowitts mit seinem Sohne. Der Alte war ganz Feuer und Flamme, als ich ihm von unserem Plan erzählte, und wollte die Jungen gleich alle zusammen mitnehmen. Wie aber die Frauen von dem Raubgesindel in der Nachbarschaft hörten, gab es einen Hauptspectakel, und nun sollte gar keiner fort. Der alte Tennesseer blieb aber über Wasser und verstand sich nur endlich dazu, daß die beiden Jüngsten zum Schütze der Familie zurückbleiben möchten. Die wurden dann, um die Frauen zu beruhigen, mit Messern und Pistolen besteckt, wobei Ben, der Kleinste, noch die besondere Warnung erhielt, sich ›nicht weh zu thun‹, und fort trabten wir, was die Pferde laufen konnten. Nun zu Eurem Plan.«

»Der ist einfach der folgende,« erwiderte Brown. »Der Tennesseer – wie ist sein Name?«

»Stevenson.«

»Also Stevenson bleibt bis gegen Abend bei Bowitts, um etwa eine Stunde nach Dunkelwerden bei Atkins einzutreffen. – Ihr Beide – Cook und Curtis – begleitet uns bis Atkins und kehrt dort unter irgend einem Vorwand ein. Wir zwei, Wilson und ich, reiten vorüber.«

»Weshalb kommt Ihr denn da jetzt schon mit herunter? Ihr konntet ja ebenfalls so lange bei Bowitts bleiben,« sagte Cook.

»Damit Atkins nicht möglicher Weise Verdacht schöpfen soll,« entgegnete Wilson. – »Sieht er uns aber hier ruhig vorbei- und nach Hause reiten, so glaubt er natürlich, daß Alles in Ordnung sei, und forscht nicht weiter nach. Da [] Brown der Anführer von Fourche la fave ist, muß er, wie sich das von selbst versteht, mit dessen Heimritt auch die Versammlung für aufgehoben halten.«

»Wo aber bleibt Ihr indessen?«

»Wir reiten bis Wilson's Haus – lassen dort unsere Pferde und kehren zu Fuß wieder zurück.«

»Hört – da nehmt Euch vor Curneales in Acht – dem trau' ich keine Büchsenläng!« warnte Cook.

»Wir eben so wenig,« erwiderte Wilson; »um ihn aber irre zu führen, schultern wir unser Schießeisen und gehen nach der Salzlecke zu, die südlich von meinem Hause liegt. Von dort aus können wir, und wenn wir auch erst mit der Dämmerung aufbrächen, immer noch zur rechten Zeit auf dem Platze eintreffen.«

»Und wo haltet Ihr Euch verborgen?«

»Wilson der früher oft in Atkins' Hause war, glaubt mit ziemlicher Genauigkeit den Platz angeben zu können, wo sich die heimliche Thür befindet. Wie dem aber auch sei, in dem Schilfbruch, der hinter Atkins' Hause bis zum Fourche la fave hinuntergeht, muß der Versteck liegen, es giebt dort keinen andern Platz und in den einzudringen, hat mir Hecker schon neulich versichert, sei unmöglich. Der hatte einen Truthahn geschossen und konnte ihn, obgleich er ihn fallen gehört, nicht bekommen, so wild und verworren lagen umgestürzte und gefällte Bäume über- und durcheinander hin.«

»Wie viel Mann mustern wir zu dem Ueberfall?«

»Etwa achtzehn – die sind vollkommen hinreichend.«

»Und was sagen wir ihm, wenn er nach Jones fragt?«

»Das weiß Curtis schon, doch kann ich es Euch noch schnell wiederholen. Husfield hätte Jones mit an den Petite Jeanne zu einer dort morgen zu haltenden Versammlung der Regulatoren genommen. Jener Fluß liegt dem Missouri-Staat etwas näher, ist also auch Räubereien von dort her mehr ausgesetzt, und er wird es ganz in der Ordnung finden, daß man von dort eine Abtheilung unserer Leute nach der Grenze zu schicken will.«

»Wird er das glauben?«

[] »Warum nicht? – er wird denken, Jones selber habe sie dazu überredet, um sie von der Fährte der hier hausenden Pferdediebe abzulenken. Ihr könnt ihm auch zu verstehen geben, daß die Anregung von Jones ausgegangen. Seid Ihr nun im Hause und hört Ihr unser Zeichen – den scharfen Pfiff – so bemächtigt Euch augenblicklich der dortigen Waffen, denn Blut wollen wir, wenn es vermieden werden kann, nicht vergießen.«

»Aber die vielen Frauen, die heute Morgen dort waren?«

»Die sind uns freilich im Wege, das läßt sich jedoch nicht ändern. Ueberdies schlafen die, wenn sie ja noch alle da sein sollten, in dem andern Hause, und werden uns an der Ausführung unseres Vorhabens auf keinen Fall hindern können.«

»Wäre ein Schuß zum Zeichen nicht besser?«

»Ein Schuß? – mitten in der Nacht, und nicht einmal Mondschein? Nein, das halt' ich nicht für gut. Wozu die Nachbarschaft alarmiren, wenn es mit einer solchen Kleinigkeit abgemacht werden kann.«

»Habt Ihr auch an den Mulatten gedacht? Der steckt natürlich mit seinem Herrn unter einer Decke und wird, wenn wirklich Helfershelfer in der Nähe liegen, diesen auf jeden Fall Kunde bringen.«

»Wir besetzen alle Wege,« sagte Curtis, »und auf einem von diesen muß er uns in die Hände fallen.«

»Sollte er nicht den Weg durch den Wald vorziehen?«

»Bei solcher Dunkelheit? nein, ich glaube kaum,« erwiderte Brown, »doch läßt sich das nicht ändern. Haben wir den Haupthehler erst einmal auf der That erwischt, so muß dieser die Schurken nennen, die Husfields letzte Pferde fortschaffen halfen, und unter diesen finden wir dann auf jeden Fall den Mörder der Indianerin.«

»So kommt,« sagte Cook, »das lange Zögern hier auf dem Berge könnte nur, im Falle wir von Jemandem gesehen würden, Verdacht erregen. Ich wollte übrigens, wir hätten heute den Indianer bei der Hand, der sollte treffliche Dienste leisten. Bald fange ich selbst an zu glauben, daß er nicht [] wiederkommt, so unwahrscheinlich mir das im Anfange war. Jetzt hat er aber volle neun oder zehn Tage nicht das Mindeste von sich hören lassen.«

»Mullins behauptete, ihn gestern im Walde gesehen zu haben,« sagte Curtis, »doch war es an einer sehr dichten Stelle und nur für einen Augenblick gewesen. Er erzählte mir auch, er hätte ihn angerufen, d.h. nach der Richtung hin, in der er ihn bemerkt, in den Wald geschrieen, weiter aber nichts von ihm zu sehen bekommen.«

»Fort ist er nicht,« behauptete Brown, »darauf wollt' ich schwören. Ich habe ihm mein Wort geben müssen, nicht eher aus dieser Gegend zu scheiden, als bis Alapaha gerächt sei; es ist also nicht wahrscheinlich, daß er mich im Stiche lassen sollte.«

»Nun, wir werden sehen,« sagte Cook kopfschüttelnd; »hat er aber überhaupt im Sinne wieder zu kommen und wünscht er, daß etwas in seiner Sache geschehen soll, so hätte er viel lieber hier bleiben und die Nachforschung an Ort und Stelle eifriger betreiben sollen. – Doch, wie gesagt, wir werden ja sehen.«

Die Männer verfolgten indessen ihren Weg wieder und näherten sich jetzt der am Fuß des anschwellenden Landes liegenden Wohnung Atkins'. Dieser stand schon vor der Thür und schien sie erwartet zu haben. Als sie übrigens die Fenz erreichten und er den Fremden nicht bemerkte, kam er den Regulatoren bis an den äußersten Eingang entgegen und mochte wohl die Frage nach jenem auf den Lippen haben, scheute sich aber doch, sie auszusprechen.

»Was macht das Kind, Mr. Atkins?« frug Brown, während er sein Pferd einzügelte und neben dem Grüßenden halten blieb.

»Danke – nicht besonders, Sir – ich fürchte, wir werden das arme kleine Ding verlieren. – Nun, ist die Versammlung vorüber?«

»Für diesmal, ja! – Die Nachbarinnen sind noch alle hier – nicht wahr?«

»Fast alle, wenigstens elf; – genug, um ein halbes[] Dutzend Kinder umzubringen; meine Frau will's aber so haben. Nun, ist etwas bestimmt worden? – Wollen Sie denn aber nicht ein wenig absteigen und rasten, Gentlemen?« unterbrach er sich selber in seiner Frage – »Sie haben ja noch vollkommen Zeit, die nächsten Häuser zu erreichen – oder bleiben vielleicht gar bei mir über Nacht.«

»Nein, ich danke, Atkins,« sagte Brown ablehnend, »für mich selbst wenigstens; Onkel ist zu Roberts hinübergeritten, und da werde ich nach dem Hause sehen und die Thiere füttern müssen; sonst recht gern.«

»Hört, Brown – da mögt Ihr immer allein weiter reiten,« sagte Curtis – »ich bleibe die Nacht hier. Zu Hause versäume ich doch nichts.«

»Gut – dann leist' ich Euch Gesellschaft – wenn Atkins nämlich noch Platz für Gäste hat und die Damen nicht beide Zimmer eingenommen haben,« rief Cook.

»Platz genug – steigt nur ab, ich bin überdies neugierig, Nachrichten von oben zu hören. Wo haben Sie denn meinen gestrigen Gast gelassen?«

»Der ist mit Husfield an den Petite Jeanne, doch davon im Hause,« erwiderte Cook, während er aus dem Sattel stieg, diesen dann augenblicklich abschnallte und über die Fenz hing. Curtis folgte seinem Beispiel, und Brown (Wilson war unter der Zeit langsam vorangeritten) grüßte noch einmal und trabte schnell hinter dem Freunde her.

Indessen führte Atkins seine beiden Gäste in das Haus, wo sie am Kamin noch einen fremden jungen Mann fanden. Ihr Wirth stellte ihnen denselben als Mr. Weston, »seinen Neffen«, vor, der an den Fourche la fave gekommen sei, um sich hier anzusiedeln, und wahrscheinlich eine Zeit lang bei ihm wohnen werde.

»Ich müßte mich sehr irren,« sagte Curtis, »aber ich glaube Sie schon einmal früher gesehen zu haben – oder es war Jemand, der Ihnen ungemein ähnlich sah –«

»Das ist wohl möglich,« lächelte Weston etwas verlegen. »Ich ging damals nach Little Rock und hielt mich hier einige [] Tage auf. – Ich glaube, ich bin Ihnen einmal auf der Jagd begegnet –«

»Ja wohl,« sagte Curtis – »jetzt erinnere ich mich auch – es war hier oben am Fluß, – wo Sie lagerten. Also hatt' ich doch Recht.«

»Sie erwähnten, daß Mr. Jones mit an den Petite Jeanne geritten sei,« unterbrach ihn Atkins – »dort wird er wohl längere Zeit bleiben?«

»Nein,« entgegnete Curtis – »er trug uns noch auf, Ihnen zu sagen, daß er spätestens übermorgen Mittag zurück sein würde.«

»Die dortigen Regulatoren versammeln sich ebenfalls?«

»Morgen früh, so viel ich verstanden habe. Husfield hat noch mehrere vom Fourche la fave mit hinüber genommen.«

»Aber ich dachte, es sollten Verdächtige bezeichnet, gefangen genommen und peinlich verhört werden?« frug Atkins, und man sah es ihm an, welches Interesse er an der Beantwortung dieser Frage nahm.

»Ja – das sollte auch geschehen,« sagte Cook wie nebensächlich, indem er an den Kamin trat und dort seine Stiefel, um sie zu trocknen, in der Flamme umdrehte, »wir haben aber darüber noch nicht recht einig werden können. Einmal liegt hierzu gegen Niemanden genug Verdacht vor, und dann schienen auch Jones sowohl wie Brown mit der Maßregel nicht recht einverstanden.«

»Mr. Brown auch nicht?« rief Atkins verwundert.

»Nein – nächste Woche hoffen wir es aber durchzusetzen, denn geschehen muß etwas,« mischte sich Cook in das Gespräch. – »Die Spitzbuben lachen sonst am Ende gar noch die Regulatoren aus.«

»Weston – Du bist wohl einmal so gut und siehst ein wenig nach den Pferden der Herren hier,« wandte sich Atkins jetzt zu dem jungen Mann, der aufgestanden und an die Thür getreten war. – »Nimm auch die Sättel draußen von der Fenz,« fuhr er fort, als Jener schnell dem Wunsche Folge leisten wollte. »Die verwünschten Kühe haben mir erst gestern, wieder eine Satteldecke zerkaut – und dann geh doch auch [] ein wenig hinüber zu meiner Frau, sie wollte Dir noch etwas sagen.«

Weston nickte ihm zu, daß er Alles nach Wunsch besorgen werde – trug dann die Sättel in die Porch und ging um das Haus herum. Hier aber, anstatt den kleinen Stall aufzusuchen, in welchem die fremden Pferde standen, sprang er, sobald er vom Hause aus nicht mehr gesehen werden konnte, über die Fenz und war im nächsten Augenblicke in dem dahinter liegenden dichten Walde verschwunden.

28.
Der Indianer auf Johnson's Fährten.

»Wo nur Weston bleibt,« sagte Cotton in der kleinen Hütte, die ihm nun schon seit einigen Tagen zum Aufenthalt und Schutzort gedient hatte, ungeduldig auf-und abgehend; »er hat mir heute Morgen versprochen, gleich Nachricht zu bringen, und jetzt müssen die Regulatoren doch wahrhaftig schon wieder auseinander gegangen sein. Eine ganze Woche werden sie nicht oben sitzen bleiben. – Gift und Klapperschlangen – mir wird es hier unbehaglich bei dem Gedanken, aufgegriffen und gelyncht zu werden; die Pest über die Hunde! Ich werde doch wohl der hiesigen Gegend ade sagen müssen. Das Leben, auf solche Art geführt, soll der Henker holen!«

»Zum Flüchten haben wir noch immer Zeit,« erwiderte ihm gähnend Johnson, der auf der einzigen im Hause stehenden Bettstelle ausgestreckt lag. »Ich möchte noch gar zu gern die neue Sendung mitnehmen, von der Jones erzählt hat, [] und die in nächster Woche folgen soll. Höllenelement – siebzehn Pferde! nachher ist's auch der Mühe werth, Fersengeld zu geben.«

»Ich sehe nur nicht ein, wie wir die alle glücklich fortbringen sollen,« brummte Cotton. »Außerdem werden die übrigen Pferde, die Weston aufgespürt hatte, mit jenen zu gleicher Zeit eintreffen; und wenn sie nicht auf den Spuren bleiben können, müssen sie blind sein.«

»Die reiten wir nicht durch den Wald,« erwiderte Johnson – »Weston hat schon mit einem Dampfbootcapitain accordirt, der sie in Fort Gibson an Bord nimmt.«

»Nun, dann kommen sie ja aber erst recht auf ihre Spur,« rief Cotton, erstaunt in seinem Marsch einhaltend. »Wenn sie den Indianern fortgenommen und gleich an Bord geschafft werden, kann ihnen ja ein Kind folgen.«

»Und was liegt daran?« lachte Johnson; »dem Dampfboot können sie nicht nachrennen und in Little Rock schiffen wir die Thiere wieder aus. Sollten sie nachher wirklich in einem anderen Boote nachsetzen wollen, vorausgesetzt, daß noch ein anderes daläge, so müßten sie auf den breiten Straßen von Little Rock aus unfehlbar die Spur verlieren. Wie dem aber auch sei, auf jeden Fall behalten wir Zeit, den Mississippisumpf und von da die Insel zu erreichen, und Fourche la fave sieht mich nachher nicht wieder.«

»Wird es sehr bedauern,« erwiderte Cotton; »doch wahrhaftig, dort kommt Weston! Nun, Zeit ist's – die Sonne geht eben unter.«

Während Cotton noch sprach, sprang der eben Er wähnte über die niedere Fenz und erschien im nächsten Augenblick in der schmalen Thür der niederen Hütte.

»Alle Teufel!« rief aber Johnson, erschrocken von seinem Lager aufspringend, als er das leichenbleiche Gesicht des jungen Mannes erblickte – »Unglücksbote, was bringst Du? sind die Regulatoren –«

»Nein – nein,« flüsterte Weston, mit dem Kopfe schüttelnd – »von denen haben wir noch nichts zu fürchten.«

»Nun, was habt Ihr denn,« sagte Cotton ärgerlich, »Ihr [] seht ja so blau im Gesicht aus, wie verdorbene Buttermilch. – Heraus mit der Sprache – was ist's?«

»Der Indianer ist da,« keuchte Jener, sich erschöpft auf den einzigen Stuhl niederwerfend, der im Zimmer stand.

»Nun, wenn's weiter nichts ist,« höhnte Johnson und nahm seine frühere Stellung auf dem Bett wieder ein, »da hättet Ihr uns den Schreck ersparen können. Unsinn verdammter, da hereingestürzt zu kommen, als ob Euch ein halbes Dutzend von den kläffenden Regulatorenschuften auf den Fersen wäre. Wie ist die Versammlung abgelaufen? wo ist Jones?«

»An den Petite Jeanne mit Husfield – morgen ist dort ebenfalls Versammlung – Cook und Curtis sind bei Atkins – über uns ist noch nichts beschlossen. Das ist Alles gut und in Ordnung – Ihr aber, Johnson, solltet den Indianer gerade nicht so leicht nehmen, er ist auf Eurer Spur.«

»Auf meiner Spur?« rief Johnson, doch wieder etwas bestürzt, aber immer noch halb ungläubig. »Wie soll er auf meine Spur kommen? – Husfield war doch mit der ganzen Bande darauf und hat wieder unverrichteter Sache abziehen müssen.«

»Seid Ihr heute Nachmittag den Pfad entlang gegangen, der zwischen hier und Atkins' Hause liegt?« frug Weston.

»Ja – vor etwa einer halben Stunde, und weshalb?«

»Wie ich vor einer halben Stunde auf eben diesem Pfade herangelaufen komme,« erzählte Weston, »gerade dort, wo der junge Gumbaum in den Weg gestürzt ist, und um den Wipfel desselben herumbiegen wollte, sah ich sich etwas auf dem Pfade selbst bewegen. Im ersten Augenblick glaubte ich, es wäre ein Bär, der sich hierher verlaufen hätte, erkannte aber gleich darauf, und zwar nicht zu meiner freudigen Ueberraschung, den Indianer, der niedergebückt und die Augen fest auf den Boden geheftet heran-, und zwar gerade auf mich zugeschritten kam. Ein Begegnen schien unvermeidlich, und schon wollte ich hinter dem Strauche vortreten und ihn anreden, als er plötzlich, kaum fünfzehn Schritt von mir entfernt, an eine kleine feuchte Stelle kam und dort halten blieb. [] Im Anfange wurde ich nicht recht klug daraus, was er eigentlich wolle, bald aber fand ich, daß er eine der dort vollständig abgedrückten Fährten genau untersuchte. Er nahm seinen Tomahawk aus dem Gürtel und verglich die Spur, die er dort traf, mit einer, die er an diesem angezeigt zu haben schien, richtete sich dann auf einmal hoch in die Höhe, schwang, mir den Rücken zugewendet, die Waffe mit drohender Geberde nach der Richtung des Hauses hin und verließ jetzt den Pfad, von wo aus er rechts, gerade über den ersten niedern Hügel hinweg, in den Wald hineinschritt.«

»Und die Spur?« frug Johnson dringend.

»War die Eure,« sagte Weston. »Sobald der verdammte Wilde über die Anhöhe verschwunden war, sprang ich schnell hinter meinem Versteck hervor und sah nach der Fährte. – Es war richtig Euer rechter Schuh, so schön und sauber in dem weichen Schlamm abgedrückt, als ob die Form dazu ganz besonders für Euren Fuß gemacht wäre.«

»Seid Ihr denn dem Indianer nicht weiter nachgegangen?« frug Cotton, während Johnson in tiefem Sinnen im Zimmer auf- und abschritt, mit dem Fuße stampfte und ingrimmig dazu mit den Zähnen knirschte.

»Gewiß bin ich!« erwiderte Weston, und Johnson frug, sich rasch nach ihm umdrehend:

»Was wurde aus ihm?«

»Erst traut' ich dem Frieden nicht so recht,« sagte Weston, »denn aufrichtig gestanden, hätte ich mich nicht gern von der Rothhaut in ihren eigenen Fährten erwischen lassen. Bis auf den Hügel zu steigen, konnte ich mir aber nicht versagen, da ich weiß, daß man von dort aus die ganze lange Schlucht, bis unten zu dem Greenbriardickicht, hinabsehen kann. Ich schlich also so leise wie möglich bis auf den Gipfel, denn wie leicht konnte das rothe Scalpirmesser irgendwo dort oben geblieben sein! Da war er aber nicht, und schon wollte ich mich zurückziehen, weil ich glaubte, er hätte sich vielleicht durch eine der Seitenschluchten wieder dem Fourche la fave zugewandt, oder sei auch durch das Kieferndickicht dem oberen Gebirgsrücken zu gestiegen. Die Dämmerung war indessen [] angebrochen; da war es mir plötzlich, als ob ich tief unten in der Schlucht einen Feuerstrahl sähe. Gleich darauf war Alles wieder finster, doch nach einer kleinen Weile sah ich den Schein auf's Neue, und es blieb mir jetzt kein Zweifel mehr, daß es der Indianer sei, der dort unten sein Feuer anzündete, um wahrscheinlich die Nacht da zu lagern.«

»Und wo ist die Stelle?« frug Johnson rasch.

»Kennt Ihr den Platz gleich diesseits des Greenbriardickichts,« beschrieb ihm Weston, »da, wo die vielen Kiefern bei dem letzten Hurricane den Berg heruntergestürzt sind?«

»Etwa in der Gegend, wo wir die wilde Katze aus der kleinen Ulme herausschossen?«

»Gerade da,« rief Weston schnell, »so viel ich erkennen konnte, muß er ganz genau in jenem Bezirk lagern –«

»Dann wird er sich keinen andern Platz gewählt haben, als unter dem etwas vorspringenden Felsen, wo er vor dem Thau wie vor einem Gewitterschauer hinlänglich geschützt ist,« zischte Johnson hinter den fest zusammen gebissenen Zähnen hervor, indem er in die Ecke trat und seine Büchse aufgriff.

»Was wollt Ihr thun?« frug Cotton bestürzt.

»Dem verdammten rothen Spion die Witterung legen,« knirschte Jener.

»Unsinn, Johnson,« rief Cotton ärgerlich – »Ihr werdet uns noch die ganze Nachbarschaft auf den Hals hetzen. Was, zum Teufel, schiert es Euch denn, ob die rothe Bestie die Länge von Euren Sohlen weiß oder nicht. So lange Unsereiner den Schuh im Schlamm abdrückt, hat es keine Not, und er kann sich ruhig nachspüren lassen. Mit Hufeisen ist's etwas Anderes –«

»Das versteht Ihr nicht,« sagte Johnson finster, »es ist nicht das erste Maß, was der Hund von meinem Fuße nimmt. Ich weiß von sicheren Leuten, daß das auch schon bei anderen Gelegenheiten geschehen ist. Jetzt unterliegt es keinem Zweifel mehr, er ist auf der rechten Fährte und – das Schlimmste bei der Sache – er weiß es – darum muß er sterben.«

[] »Verdammt will ich sein, wenn ich Euch verstehe,« brummte Cotton, die Scheite im Kamin mit dem Fuß zusammenstoßend. »Ist die Sache übrigens nicht sehr dringend, so würde ich Euch rathen, es noch so lange aufzuschieben, bis –«

»Mich die Regulatoren am Kragen haben und an die nächste Eiche hängen? Nicht wahr, Ihr Ueberklug? Nein – für mich giebt es keine Sicherheit, so lange die Rothhaut lebt, also fort mit ihr –«

»Ich möchte wissen, was Ihr mit der Rothhaut habt?« wandte Cotton, noch immer unwirsch, ein. – »Als die – die – Geschichte da – mit der Squaw vorfiel, waret Ihr doch schon wer weiß wie viele Meilen auf der Straße hin, und auf Euch kann also weniger als auf irgend einen andern Menschen in ganz Arkansas Verdacht fallen. Und was die Pferde –«

»Ich sage Euch aber,« rief Johnson, jetzt zum Aeußersten getrieben – »Pferde haben hierbei gar nichts zu thun, und – doch was hilft es mir, Euch den Brei noch einmal vorzukneten –«

»A–h–s–o–« sagte jetzt Cotton, überrascht stehen bleibend, als ob ein neuer Gedanke in ihm aufdämmere, »weht der Wind aus der Richtung? – Also bei dem Geschäft –«

»Oh geht zum Teufel mit Euren Vermuthungen,« brummte Johnson. »Wenn's nur erst vollkommen dunkel wäre, der Boden brennt mir hier unter den Füßen.«

»Ja, ja,« fuhr Cotton, ohne die rauhe Anrede zu beachten, sinnend fort – »steht die Sache so, dann möchte ich freilich selber zu einem freundlichen Ausweg rathen. Aber warum habt Ihr mir denn nie ein Wort davon gesagt, ich hätt' Euch doch wahrlich nicht verrathen.«

»Von was redet Ihr denn eigentlich?« frug Weston jetzt ganz erstaunt; »ich werde ja aus Eurem Wischwasch gar nicht klug. Was soll denn die ewige Geheimnißkrämerei?«

»Ja, jetzt wär's Zeit, Geschichten zu erzählen,« brummte [] Johnson; »nein, ich breche auf, ich halt' es hier nicht länger aus.«

»Johnson,« sagte da Cotton, »die Büchse gefällt mir nicht. – Der Knall – mitten in der Nacht, man hört es zu weit, und wozu der unnütze Lärm! Ich habe die Pfeile zurecht gemacht, von denen wir neulich sprachen. Könnt Ihr mit dem Bogen umgehen?«

»Wie ein Indianer,« erwiderte Johnson, »ich habe ja sieben Jahre zwischen den Shawanesen gelebt; aber zum Teufel auch, – ich weiß nicht – ein Bogen kommt mir immer wie eine verdammt unsichere Waffe vor – da lob' ich mir die Kugel –«

»Gut, probirt wenigstens einmal die Pfeile,« sagte Cotton, während er die niedere Leiter zu dem obern Raum hinaufstieg und gleich darauf mit einem aus zähem Hickory verfertigten Bogen und vier Pfeilen zurückkehrte. – »So,« sagte er, »jetzt schießt einmal, halt, da ist eine Kartoffel, die will ich hier in die Asche legen, nun tretet zurück, dort in die Ecke – trefft mir einmal die Kartoffel.«

Johnson wog den Bogen einen Augenblick lächelnd in der Hand, legte dann den Pfeil auf, zielte wenig Secunden, und gleich darauf zitterte der hölzerne Schaft, der das Ziel vollkommen durchbohrt hatte, in der weichen Erde des Herdes.

»Vortrefflich,« jubelte Cotton, »ein Meisterschuß; trefft den rothen Halunken auf die Art, und er läuft Euch nicht weit mehr.«

»Es bleibt immer ein unsicheres Schießen,« sagte Johnson, noch halb unschlüssig, aber durch den guten Schuß auch wieder gereizt.

»Unsicher? Das Gift an der rauhgefeilten Spitze hier tödtet in fünf Minuten,« flüsterte der Jäger. »Trefft Ihr den Indianer damit nur in den Arm, nur in einen Finger, so könnte er dieses Haus nicht mehr erreichen, und wenn er in gerader Richtung so schnell liefe, als ihn seine Beine trugen.«

»Das Gift tödtet unfehlbar?«

[] »So wahr ich hoffe, den Fängen der schurkischen Regulatoren zu entgehen –«

»Oh, laßt den armen Indianerleben,« bat Weston, »warum dessen Blut vergießen? Es ist ja wahrhaftig schon genug geflossen. Mir wird es ordentlich unheimlich bei Euch; Ihr redet über ein Menschenleben, als ob es ein Hirsch oder Bär wäre.«

»Jetzt fängt Der an, dummes Zeug zu schwatzen,« sagte Johnson ärgerlich, indem er die Pfeile immer noch unschlüssig in der Hand hielt. »Kümmert Euch doch um Eure eigenen Geschichten, laßt uns zufrieden. Der Indianer stirbt!«

»Dann will ich wenigstens nichts weiter damit zu thun haben,« rief Weston entschlossen, »sein Blut komme über Euch, morgen kehre ich nach Missouri zurück. Ich hatte mich mit Euch zum Pferdehandel verbunden, hier aber ist nichts als Blut und immer wieder Blut. – Mir graust's – gute Nacht! –«

Er stand auf und wollte das Zimmer verlassen.

»Halt,« rief Johnson, halb bestürzt halb drohend vor die Thür springend, während er die vergifteten Pfeile, ohne jedoch wie es schien daran zu denken, dem jungen Mann entgegenhielt – »Ihr wollt uns verrathen!«

»Hülfe!« schrie Weston, entsetzt vor der gefährlichen Waffe zurückspringend – »Mord!«

»Pest und Tod,« rief Cotton ärgerlich, indem er den immer noch mißtrauischen Johnson von der Thür zurückschob und sich selbst zwischen ihn und den jungen Mann stellte, »laßt doch, zum Teufel, die Possen.«

»Ich dachte gar nicht an die vergifteten Pfeile,« sagte Johnson – »weshalb aber will Weston fort?«

»Weil ich bei Atkins eines Theils vermißt werde und dann auch nicht Zeuge eines neuen Mordes sein will. Zu glauben, daß ich Euch verrathen wollte, ist nicht allein schlecht, sondern auch unsinnig. Ich stecke übrigens zu tief mit in der Schuld hier, um leicht auf Vergebung hoffen zu können, bände mich nicht überdies mein Schwur.«

»Ihr gedenkt des Schwures noch?« frug mahnend Johnson.

[] »Ja,« hauchte leise zusammenschaudernd Weston, »Ihr habt von mir nichts zu befürchten – ein ander Mal geht aber vorsichtiger mit solchen Waffen um und – laßt ihn leben – Johnson, laßt ihn leben,« bat er dringend, den Arm des finstern Mannes ergreifend. »Es kann ja doch vielleicht ohne sein Blut auch noch Sicherheit für uns geben. Bedenkt, daß der arme Teufel schon sein Weib –«

»Verdammt will ich sein, wenn ich das Geschwätz noch länger mit anhöre,« rief Johnson, ärgerlich den jungen Mann von sich schüttelnd. – »Geht – fort mit Euch – Ihr könnt uns hier doch nichts nützen; doch, Weston – gedenket des Schwures und glaubt nicht, wenn Euch auch selbst Gott verziehe, meiner Rache zu entgehen.«

»Spart Eure Drohungen,« sagte Weston ernst, »ich bin kein Verräther, will mit Euch aber auch fortan keine Gemeinschaft mehr haben. Ich kehre morgen früh nach Missouri zurück – zu solchem Handwerk bin ich verdorben –«

»Oder noch zu neu,« lachte Cotton; »nun Glück zu, Weston, wenn's wirklich Euer Ernst ist, und – hab' ich Glück, so komm' ich in ein paar Jahren einmal hinauf nach Missouri.«

»Lebt wohl, Johnson,« sagte Weston, dem Angeredeten die Hand entgegenhaltend – »kein Groll wenigstens beim Scheiden.«

»Lebt wohl,« erwiderte dieser mürrisch und halb abgewendet.

Der junge Mann verließ das Haus, überstieg die Fenz und war im nächsten Augenblick durch die dichten, das kleine Haus umgebenden Büsche den Augen der beiden ihm nachschauenden Männer entrückt.

»Wir hätten ihn doch nicht sollen ziehen lassen,« sagte Johnson, jetzt unruhig im Zimmer auf- und abgehend, »ich traue dem Burschen nicht.«

»Er ist treu,« behauptete Cotton – »ich kenne ihn – der verräth Niemanden. – Da giebt es andere Menschen, denen ich nicht traue.«

[] »Ihr meint Rowson?« sagte Johnson, vor ihm stehen bleibend.

»Ja!«

»Der sitzt zu tief drin – wenn Alle so sicher wären –«

»Ja, jetzt – laßt ihn aber einmal in die Patsche kommen, laßt ihn den Strick an der einen und die Hoffnung auf Rettung an der andern Seite sehen, und dann paßt auf, was er thut. Oder dann paßt lieber nicht auf, denn in diesem Falle möchte ich mich eher auf meine Beine, als auf seine Ehrlichkeit verlassen. Ich traue ihm nicht.«

»Es wird dunkel,« sagte Johnson, »ich will gehen, aber – ich weiß nicht – die Büchse wäre mir lieber –«

»Ihr seid ein Thor,« rief Cotton, »Ihr schießt, zum Henker, eben so sicher mit dem Pfeil als mit der Kugel, und das Eine kann Euch vor Entdeckung sichern, das Andere muß Euch verrathen. Wenn man den Leichnam findet –«

»Bin ich lange fort von hier,« lachte Johnson – »glaubt Ihr, ich lasse bei dieser Regulatorenwirthschaft meinen Hals in der Schlinge?«

»Aber die neuen Pferde –«

»Mögt Ihr allein besorgen, morgen schon breche ich nach der Insel auf – diese Nacht kann ich meine wenigen Habseligkeiten in Ordnung bringen, und mit Tagesgrauen hol' ich mir eins von Roberts' Pferden, die zwischen hier und seinem Hause weiden. Ehe man den Indianer gefunden hat, bin ich über alle Berge.«

»Aber Rowson.«

»Mag nachkommen, wenn er Gefahr sieht – er weiß, wohin ich gehe. Wollt Ihr mit?«

»Ich habe Atkins versprochen, die nächste Sendung befördern zu helfen, und mein Wort will ich halten, muß ich halten, denn mit meiner Kasse sieht's erbärmlich aus. Die letzte Hetze hat verdammt wenig eingebracht. Bin ich damit im Reinen, so kann es sein, daß ich Atkins nach Texas begleite. – Also Ihr wollt doch die Büchse nehmen?«

»Büchse und Pfeile,« sagte Johnson. »Erst versuch' ich [] das Gift, und bin ich mit meinem Schuß nicht so recht zufrieden, dann mag das Blei nachhelfen.«

»Glaubt Ihr denn sicher an ihn heranschleichen zu können?«

»Wenn er da lagert, wo ich ihn vermuthe, ja –« erwiderte Johnson, die schweren Schuhe mit den leichten geräuschlosen Moccasins vertauschend. »Auf jenen Felsen liegt nicht einmal trockenes Laub, was mich durch sein Rascheln verrathen könnte.«

»Nun, wenn's doch einmal sein muß, dann trefft ihn wenigstens sicher,« warnte Cotton.

»Nur keine Angst, bin ich ihm erst einmal in Schußnähe, dann ist er mein. Uebrigens liegt jene Stelle abgelegen genug, und er müßte laut schreien, wenn er dadurch Jemanden herbeilocken wollte. Wo bleibt Ihr indessen?«

»Hier – ich will einen tüchtigen Stew unter der Zeit brauen, daß Ihr bei der Rückkehr etwas Warmes findet. Also Heathcott –«

»Oh, schweigt mit der alten Geschichte und braut Euer Getränk – das ist nützlicher.«

»Laßt nicht zu lange auf Euch warten,« rief ihm der Jäger noch nach.

»Daß ich mich nicht erst zu ihm setzen werde, könnt Ihr Euch denken,« sagte Jener mürrisch, warf die Thür hinter sich zu und glitt gleich darauf mit leisem, aber schnellem Schritt durch die dunkle Waldung hin, dem nächsten Bergkamm zu, von welchem aus Weston das Feuer des Indianers bemerkt haben wollte.

Die Nacht war rabenschwarz, kein Stern leuchtete an dem mit finsteren Wetterwolken überzogenen Himmel, und das dumpfe, schauerliche Rauschen der mächtigen Wipfel kündete schon den nahenden Sturm. Weit oben auf dem Gebirgsrücken, der die Wasser des Fourche la fave und der Mamelle von einander scheidet, schrie mit scharf gellendem Klagelaut ein einsamer Wolf sein Nachtlied ab, und die Eule antwortete spottend aus dem dunkeln Kiefernwipfel heraus, in dem sie vor dem heranrückenden Unwetter Schutz zu finden hoffte. [] Thier und Mensch suchten ein Obdach, den warmen Kamin oder den dichten Schilfbruch, nur der Mörder mit seinen blutigen Gedanken schritt, unbekümmert um die immer stärker und drohender werdenden Anzeichen einer Windsbraut, Büchse und Bogen krampfhaft fest in der geschlossenen Hand haltend, seine düstere Bahn entlang, und je toller und wilder die Elemente zu toben begannen, desto kühner und trotziger blitzte sein Auge. War ja doch der Sturm sein Bundesgenosse, und fand er durch ihn gerade größere Sicherheit für sein blutiges Werk. Lagerte nämlich der Indianer wirklich an jener Stelle, so hatte er bei solchem Wetter auf jeden Fall den Schutz des überhängenden Felsens gesucht, der ihn eben so vollständig gegen den drohenden Regen wie gegen etwa stürzende Bäume decken mußte, und dann war es nicht möglich, seinen Schritt oder sein Nahen zu hören: das Rauschen und Brausen in den Aesten und Zweigen der Waldung übertobte Alles. Sein aber war die Rache, sobald er nur das Opfer fand.

Vorsichtig folgte er dem Lauf der kleinen Schlucht, obgleich er einen näheren Weg nach der ihm wohlbekannten Stelle hätte einschlagen können. Schwer ist es aber bei Nacht, ohne Sternenlicht gerade Richtung durch den Wald beizubehalten, und selbst der geübte Backwoodsman versucht es nicht gern ohne dringende Noth. Die Spitzen der vergifteten Pfeile hatte er mit einem wollenen Tuche dicht umwickelt, daß er sich nicht durch bösen Zufall selbst verwunde, und seine Waffen im linken Arm, schritt er, vorsichtig mit der Rechten seine Bahn fühlend, höher und höher hinauf, bis er an dort heruntergestürzten Fichten die Gegend erkannte und nun wußte, wo er sich befand.

Gerade da bildete die Schlucht einen Winkel, und dicht über demselben war der Stein, unter welchem der Indianer liegen mußte, und zwar dem sich von dieser Seite Nähernden schräg gegenüber. Johnson beschloß also, vor allen Dingen zu recognosciren, da Entdeckung, durch den immer stärker heulenden Wind geschützt, gar nicht mehr zu fürchten war. Jedes unnöthige Geräusch jedoch vermeidend, kroch er unter den kreuzweis über die Schlucht hingestürzten Stämmen durch, ließ da, wo er sie [] augenblicklich wieder finden konnte, seine Büchse, um von den vielen Waffen im Hinanschleichen nicht gehindert zu werden, und glitt, einer Schlange gleich, der Ecke zu, die ihn bis jetzt noch von seinem Opfer trennte.

Triumph! Sein Herz schlug fast hörbar – dort – am Feuer hingestreckt, lag der rothe Sohn der Wälder, die Gefahr nicht ahnend, die ihn mit Gift und Blei bedrohte; die Waffen ruhten an seiner Seite, und auf den rechten Arm gestützt, schaute er sinnend in die unstät flackernde Gluth. Johnson hob sich, den Bogen mit starker Hand fassend, convulsivisch empor und blickte forschend hinüber, um die Stelle zu bestimmen, in die er den tödtlichen Pfeil senden sollte, denn die Entfernung zwischen ihm und seinem Opfer betrug kaum zehn Schritt. Hier aber fand sich ein neues Hinderniß. Die aufgespannte Decke des Indianers, die dieser an der Windseite angebracht hatte, um auch gegen den etwa schräg einschlagenden Regen geschützt zu sein, verbarg den größten Theil seines Körpers, so daß von diesem eigentlich nur der vordere Theil des Kopfes mit dem rechten Arm vollkommen sichtbar war, während die übrige Gestalt unter dem wollenen Schutzdach versteckt lag. Zwar konnte Johnson genau die Stelle bestimmen, wo er den Indianer treffen mußte, und er würde auch, hätte er die Büchse statt der Pfeile bei sich gehabt, keinen Augenblick länger gezögert haben, so aber stieg plötzlich die sonderbare Idee in ihm auf, die Wolle könne, wenn nicht den Pfeil aufhalten, doch falsch lenken oder gar dem Gift seine Kraft nehmen; kurz, er scheute sich, auf diese Art einen Schuß in's Ungewisse zu thun.

Dazu kam noch eine nicht unterdrückbare Furcht vor der kräftigen Gestalt seines Feindes, den er zum Aeußersten entschlossen wußte, und der, wenn blos verwundet, dennoch vielleicht so viel Kraft behalten würde, ihn einzuholen und des Tomahawsk Schärfe an seinem Schädel zu versuchen.

Wie übrigens die Decke gespannt war, brauchte es höchstens zwanzig Schritt zur Rechten, gerade bis hinter die stattliche Ulme, die am Abhang des Hügels stand, hinan zu kriechen. Dann bot sich ihm die Brust des Lagernden zum breiten, unfehlbaren [] Ziel, und von da aus konnte der Pfeil seine tödtliche Wirkung nicht verfehlen.

Der erste Blitz zuckte jetzt durch den wilden Sturm daher und warf sein bleiches, geisterhaftes Licht über die Landschaft. Schaurig, wie Hülfe suchend, schlugen und wehten in seinem grellen Schein die gigantischen Bäume mit ihren Riesenarmen, der nächste Moment aber hüllte Alles wieder in noch viel undurchdringlichere Nacht. Da hob sich Johnson empor, um schnell die ersehnte Stelle zu erreichen und die That zu vollenden, ein Stein aber glitt unter seiner rechten Hand, mit der er sich bis jetzt an der vorwachsenden Wurzel einer Eiche festgehalten, vor und rollte einige Schritte hinab, in den Grund der Schlucht. Regungslos blieb er, dicht an den Boden geschmiegt, liegen, um seinem Opfer nicht verrathen zu werden, und hob dann nur leise den Kopf, die Wirkung zu beobachten, die dieses außergewöhnliche Geräusch auf den Indianer hervorgebracht haben könnte.

Der Ton war auch dem wachsamen Ohr des Wilden nicht entgangen, und hochauf horchte er und hob den ganzen Kopf über die Decke empor, den von dem Feuer ausgehenden Lichtkreis zu übersehen; Johnson lag aber im Schatten der Eiche, die etwas höher, als wo er selbst sich befand, aus dem Abhang emporstieg, und der Blick Assowaum's schweifte über ihn hin. Da erhellte ein noch grellerer Blitz als vorher die Schlucht, und der Mörder bebte scheu zurück. Aber auch den Indianer schien der Strahl geblendet zu haben, denn er preßte die Hand schnell gegen die Augen und sank dann, scheinbar beruhigt, in seine frühere Stellung zurück.

Jener beobachtete ihn noch einen Augenblick und glitt nun schlangengleich etwa fünf bis sechs Schritt zurück, wo er von seinem Opfer selbst bei Tageshelle nicht hätte gesehen werden können. Hier klomm er an der rechten Seite bis hinter die Ulme hinan, von der aus er das Lager des Feindes dicht vor sich hatte, spannte, an Ort und Stelle angekommen, leise den Bogen, legte den tödtlichen Schaft darauf und hob sich jetzt schnell, aber vorsichtig zum Schuß in die Höhe. – Da – fast unwillkürlich entfuhr ihm ein Laut des Staunens und [] Schrecks, denn – die Stelle am Feuer war leer – Assowaum verschwunden.

Ehe er jedoch nur einen Gedanken fassen, nur ein Glied rühren konnte, fühlte er eine Hand auf seiner Schulter, schaute – entsetzt zurückfahrend, in das wild drohende Angesicht seines Feindes, sah den Arm des rothen Kriegers erhoben – der Tomahawk blitzte im Schein des von unten herausflammenden Feuers und von der flachen Seite der gefährlichen Waffe getroffen, brach er betäubt und lautlos zusammen.

Schrecklich war sein Erwachen. Durch die schwankenden Baumwipfel prasselten und zischten die schwefelgelben Strahlen, laut schmetternd brach der Donner hinterdrein und die Schleusen des Himmels schienen geöffnet – die ganze Natur in Aufruhr; aber gefesselt und geknebelt, daß er kein Glied rühren, keinen Laut, ausstoßen konnte, lag der ertappte Verbrecher an der Wurzel eines Hikorystammes angebunden, allein zurückgelassen im Toben der zürnenden Elemente. Vergebens rang er mit der Kraft der Verzweiflung, seine Banden zu sprengen oder wenigstens einen Arm aus den seine Sehnen fast zerschneidenden Stricken zu befreien. Vergebens dehnte er die Glieder, daß das Blut unter dem scharfen ledernen Riemen, der ihn umschlungen hielt, hervorspritzte; sein Sieger verstand die Kunst, einen Knoten zu schürzen, seine Bande unzerreißbar zu machen. Matt, erschöpft mußte er endlich in seinen fast wahnsinnigen Bemühungen einhalten und blieb nun keuchend, ja besinnungslos liegen.

Der Sturm hatte nachgelassen; von den Blättern strömte aber noch immer das Wasser wie im stärksten Regen herunter, der Wind scheuchte die dunkeln Wolkenmassen vor sich her und die helle Mondesscheibe sandte hier und da, durch auseinandergerissene Dunstschleier, ihr bleiches, silberhelles Licht auf die Erde nieder.

Johnson war eben aus seiner zweiten Ohnmacht er wacht – Fieberfrost schüttelte seine Glieder, und zum ersten Mal drang sich ihm jetzt der entsetzliche Gedanke auf, daß ihn der Indianer hier zurückgelassen habe, um nicht wiederzukehren; daß Cotton, der seine Rückkunft vergebens erwartet, flüchten [] würde und er hier langsam verhungern müsse, wenn nicht ein mitleidiger Wolf seinem elenden Dasein früher ein Ende mache.

Er konnte ihre schrillen Laute schon von den nahen Bergen herüber hören – sie sammelten sich nach dem Unwetter, um gemeinsam auf Raub auszuziehen, und da, gerade da, wo er sich jetzt befand, hatte er ihre Spuren oft und oft bemerkt, wie sie die Schlucht gekreuzt und von den Gebirgen herunter zu dem Flusse gezogen waren.

Allmächtiger Gott, sollte er auf so schreckliche Weise umkommen? – Das Geheul kam näher – der Wolf wittert seine Beute auf viele Meilen Entfernung. Wieder stemmte sich der Elende gegen seine festen Banden, wieder knirschte er in den Knebel und strengte sich an, bis ihm das Blut die Adern zu zersprengen drohte. Die Verzweiflung gab ihm Riesenkräfte, aber er konnte des Indianers Fesseln nicht brechen. – Da lag er plötzlich so still und starr wie aus Stein gehauen – wohin lauschte so ängstlich und hoffend sein Ohr? – Weshalb heftete sich sein Blick so stier und fest auf jenen dunkeln Waldstreifen – die Schlucht hinab? Dort heulten die Wölfe nicht, ihr Geschrei tönte von einer andern Gegend zu ihm herüber.

Nein – die Wölfe waren das nicht, aber einen Ruf hatte er vernommen, einen bekannten freundlichen Ruf. – Es war die Nachahmung des Eulenrufs, das Zeichen unter den Verbündeten – es mußte Atkins oder Cotton sein – vielleicht Beide. – Sie kamen, ihn zu retten, und hier – hier lag er, gefesselt und geknebelt, vermochte kein Glied zu rühren, keinen Ton zu antworten, um die Stelle zu bezeichnen, auf der er schmachtete. Aber näher und näher kam die Stimme, lauter und dringender wurden die Aufforderungen der Suchenden. Jetzt schritt er am obern Ende der Schlucht heran – Johnson konnte die Umrisse seiner Gestalt auf dem dunkleren Hintergrunde deutlich erkennen; wieder tönte der Eulenruf lauter und dringender; erst drei-, jetzt viermal; der Gefangene wand und krümmte sich wie ein Wurm – den Banden aber und dem Knebel entwand er sich nicht.

[] Endlich – endlich schollen die Tritte näher; der Suchende hatte die Schlucht durchkreuzt – er kannte die Stelle, wo der Indianer gelegen, und umging sie – er mußte jetzt an dem Freund vorbei – dicht vorbeikommen. – Wieder tönte der Ruf und lauschend, mit vorgebeugtem Körper horchte der Jäger. Johnson versuchte das Aeußerste, nur das Laub mit dem Fuß rascheln zu machen – den jungen Stamm zu schütteln, an dem er hing – vergebens. Der Wind rauschte und wehte noch in den Zweigen und das Laub war feucht und weich, der Fuß, der sich krampfhaft hineinwühlte, blieb unhörbar.

Da kam die Gestalt heran – es war Cotton – Johnson konnte deutlich den Hut erkennen, den er auf dem Kopfe trug – konnte den helleren Schein seines bleichen Angesichts sehen, er kam gerade auf ihn zu – noch zwanzig Schritt in der Richtung fort und er mußte auf seinen Körper treten. Da hielt er – wieder tönte der Ruf und überallhin wandte der Suchende den Blick; aber er erwartete nicht, den Freund zu sehen, er lauschte blos hinein in die Nacht, ob er die antwortende Stimme nicht hören würde. Sein Auge glitt fast bewußtlos und ohne alle Theilnahme über die Formen hin, die sich ihm boten, nur manchmal warf er einen scheuen, ängstlichen Blick in die Schlucht hinunter, wo er wahrscheinlich den Leichnam des Indianers vermuthete.

Da wandte er sich um – er schien seinen Plan geändert zu haben – horchte noch einmal hinaus in den rauschenden Wald, ob vielleicht jener winselnde Schrei der Wölfe der erwartete Eulenruf sei, und glitt dann, als er sich wiederum getäuscht sah, schnell und lautlos in das nächste Dickicht.

Es war vorbei – keine Aussicht mehr auf Rettung, und verzweifelt und elend sank der Gefangene in sich zusammen. Er achtete nicht weiter auf das Geheul der wilden Bestien, der Tod war ihm gleichgültig, wenn nicht erwünscht. Nur noch einen Blick des Trotzes und der ohnmächtigen Wuth warf er hinauf zu dem klaren, jetzt hell und golden über ihm ausgespannten Sternenhimmel und schloß dann die Augen, [] als wenn er mit diesem Blick von dem Leben wie von jeder Hoffnung Abschied genommen hätte.

29.
Rowson bei Roberts. – Die Truthühnerjagd. – Ellen und Marion.

Das Mittagessen war beendet, das Geschirre aufgewaschen und fortgestellt, und vor dem Eingange der kleinen Wohnung saßen im traulichen Kreise die Freunde und plauderten von diesem und jenem. Rowson hatte seinen Stuhl neben Madame Roberts und ihr liebliches Töchterchen gerückt und hielt die Hand der Braut in der eigenen, während Harper an Ellen's und Bahrens an des alten Roberts Seite Platz genommen. Nach welchen verschiedenen Richtungen das Gespräch aber auch immer hinüber und herüber kreuzte, auf den Ehestand kam es stets wieder zurück und Harper war nun schon zum dritten Mal gefragt worden, warum er sich nicht nach einer Frau umsehe, die ihm seine alten Tage versüßen könne.

»Davor bin ich sicher – ich wüßte nicht, wie ich eine bekommen sollte. Die einzige Art wäre, daß ich es wie mein Bruder machen müßte, der sich in die Lotterie gesetzt und ausgespielt hat.«

»In die Lotterie gesetzt, Mr. Harper? sich selbst?«

»Nun, die Sache war sehr einfach; er machte sechshundert Loose, jedes zu zehn Dollars, für Mädchen und Wittwen unter dreißig Jahren – bei der Untersuchungscommission hätten Sie sein sollen – und setzte sich selbst mit den also gewonnenen sechstausend Dollars ein.«

[] »Aber, Mr. Harper –«

»Nun wurde er jedoch blos fünfhundert und einige dreißig los, behielt also einige sechszig und hatte die starke Hoffnung, sich selber wieder zu gewinnen – ja Prosit. Ein junges Mädchen, die drei Zeugen gebracht, daß sie erst achtundzwanzig Jahre alt sei, bekam ihn, und er ist jetzt glücklicher Familienvater. Hier in Arkansas möchte es aber schwer werden, sechshundert Loose anzubringen.«

»Nicht wenn Sie im Einsatz ständen,« lächelte Marion. – »Ich bin fest überzeugt, die Candidatinnen kämen von allen Seiten.«

»Und würden Sie auch ein Loos nehmen?«

»Warum nicht,« lachte Marion – »man gewinnt ja manchmal etwas, das man nicht gebrauchen kann. Ich könnte Sie ja im günstigsten Falle an eine gute Freundin verschenken; an Ellen zum Beispiel – das gilt doch?«

»Ei warum nicht,« sagte Harper, »und ich würde noch dazu nur wenig Einwendungen gemacht haben.«

Rowson hatte indessen dem Gespräch zugehört und sich nur selten hineingemischt, hielt aber in seiner Hand einen ausgespannten Truthahnflügel als Fächer und scheuchte damit seiner Braut die sie hier und da umschwärmenden Fliegen und Mosquitos fort.

Madame Roberts nahm ebenfalls einen Fächer, denn die Hitze wurde wirklich drückend.

»Wir werden ein Gewitter bekommen,« sagte Roberts, den Rock abwerfend, »die Luft ist so sonderbar schwül – ich muß doch einmal nach dem Thermometer sehen – apropos, Rowson,« fuhr er fort, indem er aufstand und der Thür des Hauses zuging – »wißt Ihr, wer die Leute waren, deren Wagen wir noch sahen, als Ihr oben bei der Salzlecke zu mir kamt? Tennesseer – ein früherer Nachbar von mir – Stevenson, ein prächtiger alter Mann. Ich habe mich recht gefreut, ihn wieder zu sehen; und, Marion, die Mädchen sind einmal herangewachsen, die würdest Du gar nicht wieder erkennen.«

»Oh, warum sind sie denn nicht bei uns eingekehrt?« frug [] Mrs. Roberts – »man sieht doch so selten alte Freunde. Kennen Sie Stevensons auch, Mr. Rowson?«

»Nicht daß ich mich erinnere,« erwiderte dieser, »und ich habe sonst ein ziemlich gutes Gedächtniß. Stevenson – der Name ist mir jedenfalls von Tennessee her bekannt, die Familie selbst aber schwerlich.«

»Er war drüben am Arkansas gewesen, wie der letzte Mord vorgefallen ist,« sagte Roberts, jetzt mit dem Thermometer in der Hand zurückkommend, »und hat den Mörder gesehen – Zwanzig Grad – es ist erstaunlich –«

»Das ist nicht möglich!« rief Rowson, sich vergessend.

»Oh doch – sehen Sie hier! zwanzig – und noch dazu reichlich,« entgegnete Roberts, dessen Ausruf auf den Wärmegrad beziehend und ihm das Thermometer entgegenhaltend.

»In der That,« erwiderte Rowson, sich schnell sammelnd. »Wie aber konnte er das?«

»Konnte was?«

»Wie kann Mr. Stevenson den Mörder gesehen haben? Es wurde ja behauptet, der Mann habe sich selbst erschossen, eben weil man Niemandes Spur entdeckt hatte.«

»Unsinn,« sagte Roberts, den Kopf schüttelnd. »Er stand hinter einem Baum, wo die Beiden in nur wenig Schritten Entfernung an ihm vorbeigekommen sein sollen, kaum fünf Minuten früher, als der Schuß fiel. Er hat mir zugeschworen, er wollte den Burschen unter Tausenden wieder herauserkennen. Wären Sie nur hundert Schritt weiter oben heraus und auf die Straße gekommen, so mußten Sie am Lager vorbei; es ist ein prächtiger alter Mann; er würde Ihnen ungemein gefallen haben.«

»Ich zweifle gar nicht daran,« sagte Rowson, »aber –«

»Nun sagt mir einmal, Roberts,« unterbrach ihn Bahrens – »wie ist denn das Ding da, das Ihr in der Hand habt und ein Thermometer nennt, eigentlich eingerichtet, daß Ihr an dem sehen könnt, ob es warm oder kalt sei?«

»Nun, das Quecksilber steigt in der Hitze,« erwiderte der Gefragte, »und fällt, je kälter es wird, desto mehr in sich zusammen!«

[] »Und danach richtet sich das Wetter?«

»Nein, das Thermometer richtet sich nach dem Wetter –«

»Ihr habt mir aber doch einmal erzählt, in den grünen Gebirgen wäre es 1829 nur deshalb so unmenschlich kalt geworden, weil sie kein solch' Ding oben gehabt hätten.«

»Ih bewahre,« lachte Roberts.

»Damals war aber eine Kälte!« rief Harper. »In dem Winter lebte ich am Eriesee in Cleveland und das Quecksilber fiel Gott weiß wie tief unter Null. Ein alter Pennsylvanier, bei dem ich wohnte, behauptete auch, es wäre noch tiefer gefallen, wenn das Thermometer nur länger gewesen wäre.«

»Wird sich Mr. Stevenson noch einige Tage in dieser Nachbarschaft aufhalten?« frug Rowson, der bis jetzt in tiefen Gedanken vor sich niedergeschaut hatte.

»Nein – bewahre! Er sagte ja – ja so, Sie kamen erst nachher zu mir – nein, er geht direct nach der Gegend, in der er sich niederlassen will, an den Fuß der Gebirge. Wie er mir aber versicherte, gefällt ihm unser Land hier am Fourche la fave ungemein und er schien gar nicht übel Lust zu haben, gleich hier zu bleiben. Seine Frau jedoch und seine Töchter fürchteten sich unmenschlich vor den Pferdedieben, denn da diese, wie sie am Arkansas gehört hatten, wo sie, wenn ich nicht irre, zwei Tage gehalten und ein paar neue Stiere eingehandelt hatten, denn die alten –«

»Nun, deswegen brauchten sich die Frauen nicht zu fürchten,« sagte Bahrens, »mit der Gesellschaft werden wir schon noch fertig werden.«

»Allerdings,« lächelte Rowson – »die Leute machen es auch gefährlicher, als es wirklich ist. Der Fourche la fave hat einen viel schlimmeren Namen, als er verdient und –«

»Hallo – was haben die Hunde da?« rief Roberts aufspringend – »Poppy hat schon in einem fort gewindet und jetzt geht's durch's Feld, als ob der Böse dahinter her hetzte.«

»Es sind Truthühner, Vater,« sagte Marion, »Ellen und ich gingen vor Tisch dort unten herum und sahen, gleich am Bach, ein ganzes Volk.«

[] »Ei warum habt Ihr denn das nicht lange gesagt?« rief Roberts, aufspringend – »ich habe seit acht Tagen keinen Truthahn geschossen – geht Ihr mit, Bahrens?«

»Gewiß,« sagte dieser, seine Büchse, die er stets bei sich führte, aus dem Hause holend – »und wenn ich nicht irre, so haben sie die Hunde auch schon in den Bäumen.«

»Ja wohl, ich kenne Poppy's Stimme. Doch jetzt müssen wir eilen, sonst ziehen sie hinunter in die Niederung und da ist schlecht nachkommen.«

Bahrens bedurfte keiner weiteren Aufmunterung und schnellen Laufes rannten die beiden Männer an der Fenz des Maisfeldes hinab, wo die Hunde wild unter den Bäumen umherfuhren und nicht mehr zu wissen schienen, auf welchem von ihnen die geflüchteten Thiere saßen. Aber auch die Jäger blickten sich vergebens nach den Gesuchten um, denn erstens war das Laub zu dicht und dann hatten sich die schlauen Truthühner so fest an die Aeste gedrückt, daß sich nirgends einer erkennen ließ.

»Es wird ein alter Gobler (Truthahn) gewesen sein,« sagte Bahrens »und der ist doch jetzt nicht besonders zu essen.«

»Nein,« meinte Roberts, »ich habe hier erst gestern vier Hennen zusammen gesehen, die dieses Jahr auf keinen Fall brüten können. Einen fetteren Braten giebt's auf der Welt nicht, als eine solche Henne in dieser Jahreszeit.«

»Nun, dann müssen wir uns hinsetzen,« entgegnete Bahrens, – »ruft die Hunde. – Bleibt Ihr hier und ich will dahinüber auf die kleine Anhöhe gehen. Können wir die Hunde ruhig halten, so wird es nicht lange mehr dauern, bis sich die Hennen wieder melden – lange schweigen sie nicht gern.«

Roberts, vollkommen mit diesen Vorsichtsmaßregeln einverstanden, rief seine Hunde zu sich, die sich dicht neben ihm niederlegen mußten, und wohl eine Viertelstunde rührte keiner der Männer ein Glied. Endlich ahmte Bahrens leise, aber täuschend den Ruf der Hennen nach, und es dauerte auch nicht lange, so antwortete gerade aus einem Baume über Roberts heraus eine andere.

Die Hunde sahen erst altklug zu ihrem Herrn empor, als [] ob sie hätten sagen wollen – »hörst Du's da oben?« und dann wieder in die Bäume und fingen an, ungeduldig zu werden. Roberts wollte aber warten, bis Bahrens ebenfalls einen Vogel zum Schuß hatte, und erst als mehrere von verschiedenen Gegenden her antworteten und Jener die Büchse hob, richtete er sich empor und legte auf sein Wild an.

Die Truthenne war indessen von dem Aste, an welchem sie dicht angeschmiegt gesessen, aufgestanden und schaute eben, den langen Nacken nach allen Richtungen drehend, umher, ob die frühere Gefahr verschwunden sei. Da krachte Bahrens' Büchse, fast in demselben Augenblicke war aber auch Roberts schußfertig geworden und beide Vögel stürzten mit schwerem Fall und fast in einer Secunde von ihrer gar nicht unbeträchtlichen Höhe hernieder, wo sie von den Hunden augenblicklich in Empfang genommen wurden.

Madame Roberts und Harper hatten indessen, während die beiden Männer dem Wild nachgegangen waren, ein Gespräch mit dem Methodisten anzuknüpfen gesucht und bald von diesem, bald von jenem begonnen. Rowson schien aber heute wenig zu ausführlichen Antworten geneigt und überhaupt entsetzlich zerstreut zu sein.

Besser unterhielten sich während dessen die Mädchen, die Arm in Arm vor der kleinen Wohnung umhergingen. Aber nicht von ihren künftigen Plänen (Beide vermieden wunderbarer Weise jede Berührung derselben) sprachen sie, sondern von ihren verlebten Kinder- und Jugendjahren und riefen sich all' die zwar längst vergangenen, aber immer noch lieben Spiele und Freuden in's Gedächtniß zurück.

»Ach, liebe Ellen,« sagte Marion, indem sie stehen blieb und der Freundin seufzend in's Auge schaute, »das waren doch recht schöne, selige Zeiten und wir wußten damals noch nicht, was Sorge und Kummer, was Gram und Schmerz sei. Der Uebergang aus diesem glücklichen Alter in das reifere Leben ist auch so unmerklich, kommt so allmälig, daß man es nicht eher bemerkt, als bis man alle jene süßen Tage weit, weit hinter sich hat und nun wie vor einem Abgrund –« sie hielt plötzlich inne, als ob sie sich scheue, den Satz zu [] vollenden, und wandte den Kopf ab, daß Ellen die zwei hellen Thautropfen nicht bemerken sollte, die ihr im Auge perlten.

»Warum bist Du so traurig, Marion?« fragte aber schmeichelnd die Freundin, »Du stehst doch am Ziel Deiner Wünsche, und ich sollte denken, die Verbindung mit dem Manne, den wir lieben, dürfte uns nicht so traurig und wehmüthig stimmen. Daß man sich mit einem gewissen Bangen zu einem solchen Schritt entschließt, finde ich eher begreiflich. Hast Du einen Kummer?«

»Nein, liebe Ellen,« flüsterte Marion, immer noch das jetzt thränenfeuchte Antlitz von der Freundin abwendend – »nein – ich bin nur ein thörichtes Kind und – und sollte eigentlich recht freudig und mit froher Zuversicht in die Zukunft schauen. – Aber horch – da fielen eben zwei Schüsse – sie scheinen die Truthühner gefunden zu haben. Nun giebt's für uns Beide noch etwas zu thun, heut Abend,« fuhr sie dann, sich lächelnd zu Ellen wendend, fort. Aber auch in dieser Augen bemerkte sie die Spuren von heimlich vergossenen Thränen und sagte nun schnell und ängstlich:

»Ach, Ellen, liebe, beste Ellen, was fehlt denn Dir? Sieh, ich bin ein so verzogenes und nur immer mit mir selbst beschäftigtes Wesen, daß ich es kaum bemerkt, wenigstens nicht beachtet habe, wie auch Du mir so niedergeschlagen und still seit einiger Zeit erscheinst. Darf ich es wissen?«

»Ja!« sagte Ellen, durch ihre Thränen lächelnd. – »Du sollst Alles wissen – doch nicht heute – in einigen Tagen erst, wenn Du selbst ruhiger und mit Dir im Reinen bist. Dann sollst Du Alles erfahren; aber« – fuhr sie schmeichelnd fort – »habe ich Dich erst einmal zu meiner Vertrauten gemacht, dann mußt Du mir auch helfen – ich helfe Dir wieder.«

»Wenn Du könntest – liebe Ellen –«

»Also fehlt Dir doch etwas?«

»Mutter rief mich, wenn ich nicht irre, ich bin gleich wieder bei Dir,« sagte Marion und floh in das Haus. Aber keine Mutter hatte gerufen, nur fort wollte sie aus der Nähe der Freundin und das Gefühl bekämpfen, das sie mit kaum widerstehlicher Gewalt zwang, dem Herzen derselben Alles – [] Alles, was sie peinigte und quälte, anzuvertrauen. Sie fühlte, daß schon der Gedanke an den ach! so heißgeliebten Mann Sünde sei, und ihre Aufgabe war von nun an, selbst diesem zu entsagen und ganz den Pflichten zu leben, die ihr an der Seite ihres Gatten heilig und theuer sein mußten.

Die Männer kehrten jetzt, mit ihrer Beute beladen, von der Jagd zurück und das Gespräch ward wieder allgemein. Die Mädchen hatten jedoch vollauf zu thun, die Truthühner, ehe sie erkalteten, zu rupfen, und selbst jetzt war das mit bedeutender Schwierigkeit verknüpft. Beide behaupteten, seit langer Zeit kein so fettes Wild unter Händen gehabt zu haben.

Rowson aber hatte das, was ihn beunruhigt oder gestört, indessen ebenfalls abgeschüttelt und seine ganze sonstige Ruhe wiedererlangt. Er schien sogar an diesem Abend einmal das ernste, strenge Wesen des orthodoxen Priesters bei Seite legen zu wollen und zeigte sich lebhaft, ja sogar heiter und mehr als je, selbst in Marion's Augen, zu seinem Vortheil. Madame Roberts war entzückt, und der alte Roberts nahm Bahrens zweimal bei Seite und gab ihm im Vertrauen zu verstehen, er glaube, der Prediger sei ausgewechselt. Erstlich wäre er schon nahe an sechs Stunden im Hause, ohne ein einziges Mal zu predigen, und dann habe er eine so gewisse Ungezwungenheit und Keckheit nicht allein im Ton und Wesen, nein sogar auch in seinen Bewegungen, wie er sie früher noch nie an ihm bemerkt hätte.

»Er ist heut Abend eine ganz andere Person,« rief er nach einer Weile wieder, sich die Hände reibend, »verdammt, wenn's nicht wahr ist – und merkwürdig hat er sich verändert – aber sehr zu seinem Vortheil, Bahrens – sehr zu seinem Vortheil.«

Dem Gebete sollte Roberts aber dennoch nicht entgehen, denn vor Schlafengehen hielt Rowson erst noch eine sehr lange, salbungsvolle Predigt, der sich die Männer in Geduld fügen mußten.

Am nächsten Morgen wurde nun beim Frühstück der Plan zu dem heutigen Sonn- und Festtag entworfen, und Madame Roberts war dafür, sogleich zusammen aufzubrechen, um ihres [] künftigen Schwiegersohnes Wohnung hübsch einzurichten, dort zu Mittag zu essen und dann den Nachmittag zu dem von dort kaum eine Meile entfernten Hause des Richters hinüber zu reiten. Hierin stimmte ihr auch Mr. Rowson vollkommen bei, bat jedoch die Gesellschaft, nur noch etwa eine Stunde seiner zu harren, da er vorher einen kleinen Weg zu reiten habe, aber in ganz kurzer Zeit zurück sein würde.

»Aber nicht wahr, Mr. Harper und Bahrens, Sie bleiben heute unsere Gäste?« frug Madame Roberts diese. – »Nichts da – – Madame Bahrens wird nicht zanken,« setzte sie freundlich hinzu, als Bahrens Schwierigkeiten machen wollte. »Wir müssen diesen Tag zusammen feiern, und ich wünschte nur, Mr. Brown wäre auch noch hier. Das läßt sich freilich jetzt nicht mehr ändern. Machen Sie also Ihre Geschäfte recht schnell ab, Mr. Rowson, und Sie sollen uns, wenn Sie zurückkommen, fertig gerüstet und bereit finden.«

Rowson bestieg das ihm von dem Negerknaben vorgeführte Pferd, winkte noch einen Gruß zurück und trabte, schneller als es sonst seine Art war, wenn er Roberts' oder irgend ein anderes Haus der Ansiedlung verließ, die schmale Countystraße entlang.

30.
Der Hinterhalt.

Nachdem Weston Atkins' Wohnung verlassen, hatten es sich die beiden Fremden so bequem gemacht, als es die Umstände erlaubten, und Curtis trat jetzt in die Thür und schaute sinnend zu den blauschwarzen Wolkenmassen empor, die sich im Westen aufzuthürmen begonnen.

[] »Sollte mich gar nicht wundern, wenn das Wetter hierherzu käme,« sagte Atkins an seiner Seite – »seht einmal, wie die weißen dünnen Nebelschleier vorneweg jagen. – Wenn wir nur keinen Hurricane bekommen. Vor sechs Jahren am Whiteriver sah's ebenso aus, und da war nachher der Teufel los.«

»Waret Ihr vor sechs Jahren am Whiteriver?« frug ihn Cook.

»Ja – und wohnte etwa zwei Meilen unterhalb der Straße, die von Memphis nach Batesville führt.«

»Das muß ja wohl zu der Zeit gewesen sein, wo sie den Witchalt hingen, der seinen Vater erschlagen hatte, nicht wahr?« frug Curtis.

»Später,« meinte Atkins, »ich kam etwa vier Wochen, nachdem er gehangen war.«

»Die Whiteriver Boys übten strenge Gerechtigkeit,« lachte Cook – »den Pferdedieb – wie hieß er doch gleich – ließen sie auch baumeln.«

»Das kann ich ihnen nicht verdenken,« rief Curtis – »mit Pferdedieben darf kein rechtlicher Kerl Erbarmen haben – das heißt, wenn er selbst Pferde hat, nicht wahr, Atkins?«

»Ihr betreibt Eure Gerechtigkeit sehr eigennützig,« – antwortete dieser ausweichend – »aber – Ihr werdet hungrig sein, nicht wahr? Ich will –«

»Danke – danke,« rief Curtis, ihn aufhaltend – »wir haben tüchtig zu Mittag gegessen und können recht gut bis zur gehörigen Zeit warten – macht Euch keine Umstände. – Eurer Frau wird heute überdies nichts an außerordentlichen Mahlzeiten liegen.«

»Nein, allerdings nicht,« sagte Atkins, »denn das ist eine Wirthschaft da drüben, daß Einem Hören und Sehen vergeht.«

»Ist das Kind denn noch immer nicht besser?«

»Leider nein – wie wär's aber auch anders möglich? Es ist schon schlimm genug, wenn ein Kranker einem Doctor in die Fäuste fällt, hier sind ihrer aber elf drüberher, und [] ich baue jetzt so fest auf meines Kindes Constitution, daß ich wirklich glaube, sie können's nicht todtmachen, sonst wär' es schon lange gestorben. – Ich will aber lieber Licht holen, es fängt an, dunkel zu werden. Donnerwetter, wie der Wind draußen pfeift, wir haben doch dieses Jahr einen merkwürdig stürmischen Frühling.«

Er verließ bei diesen Worten das Zimmer, und die beiden Regulatoren sahen sich im alleinigen Besitz desselben.

»Hört, Curtis,« sagte nach einer kleinen Pause Cook zum Freunde, »um Atkins thut mir's wahrhaftig leid, daß der auch Einer von den Schuften ist.«

»Sprecht leiser,« ermahnte dieser – »wer zum Henker weiß denn, ob nicht da oben irgend Jemand versteckt liegt. – Ja mir auch, beiläufig gesagt; er ist sonst im Ganzen ein recht ordentlicher Kerl, und ich habe ihn immer ganz gut leiden können. Freilich hat er einen etwas falschen Blick, das kommt aber wahrscheinlich von dem vielen ›um die Ecke gucken‹«.

»Ich bin neugierig, was sie mit ihm anfangen werden,« fuhr Cook nachdenklich fort – »ich hoffe doch nicht, daß sie ihn hängen – hört, Curtis – schuld an seinem Tode möcht' ich nicht sein; Strafe hat er verdient, und ich sehe recht gut ein, daß wir dem Unwesen steuern müssen, aber hängen – nein – schon der Frau und des Kindes wegen nicht.«

»Nun, das wäre ein sauberes Schutzmittel,« lachte Curtis. »Dann brauchten ja nur alle Schufte zu heirathen, um sicher vor dem Strange zu sein – das dürfte nicht als Hinderniß betrachtet werden – aber leid sollt' er mir auch thun. Nein, hängen sollte man ihn nicht, nur –«

»Still, er kommt,« unterbrach ihn Cook, und der verdachtlose Wirth trat mit einem aus Wachs und Hirschtalg gegossenen Licht in die Stube, setzte es auf den Tisch und zündete es mit einem Kienspan an.

»Das pfeift draußen, als ob es uns das Dach über dem Kopfe wegblasen wollte,« sagte er, die Kohlen im Kamin ein wenig aufstörend; »wenn's der Wind nicht theilt und vertreibt, so müssen wir das Unwetter in zehn Minuten hier haben.«

[] »Bös für Die, die heute draußen sind,« sagte Curtis, »das Vieh drängte sich auch gegen Abend merkwürdig um's Haus herum.«

»Waren viele Leute vom Petite Jeanne bei der Versammlung?« frug Atkins.

»Nicht besonders viele,« sagte Cook – »sie hatten sich wohl meistens darauf verlassen, daß sie es morgen näher haben würden. Ein Fremder nur, der ihm gestohlene Pferde suchte.«

»Ein Halbindianer –« erwiderte Atkins – »ja, der war auch hier bei mir und erkundigte sich nach ihnen. Ich konnte ihm aber leider keine Auskunft geben.«

»Ihr habt gar nichts von seinen Pferden gesehen?« frug Cook, ihn scharf fixirend.

»Nein – wie sollte ich,« erwiderte Atkins, ohne dem Blick zu begegnen. – »Ich bin überhaupt seit den letzten vierzehn Tagen nicht aus meiner Fenz hinausgekommen, und vor den Häusern werden die Pferdediebe denn doch wahrhaftig die gestohlenen Thiere nicht vorbeitreiben.«

»Schwerlich,« lächelte Curtis – »aber was haben denn die Hunde – sie lärmen ja merkwürdig.«

»Vielleicht noch einer der Regulatoren, den das nahende Gewitter hier hereintreibt,« sagte Cook.

»Wahrscheinlich –« erwiderte Atkins – »ich will doch einmal nachsehen – Ruhe da – ihr Bestien! – Ruhe!«

Er trat mit diesen Worten vor die Thür, und Curtis flüsterte Cook zu: »Das ist Stevenson, paßt auf. Der hat aber schlechte Zeit gewählt, das Wetter werden wir auf jeden Fall vorüberlassen müssen. Die im Schilfbruch werden übrigens gute Zeit bekommen; da befinden wir uns doch hier am behaglichsten.«

»Wie weit ist's noch bis zum Fourche la fave?« überschrie jetzt draußen eine Stimme das Toben der Hunde.

»Pest und Gift,« murmelte Atkins vor sich hin und sprang von den Stufen hinunter, der Fenz zu – »das wäre ja verdammt schnell, wenn da schon die zweite Sendung käme – Jones hat mir doch gesagt, es würde noch acht Tage dauern –«

[] »Er fließt gleich nebenbei,« sagte er dann laut zu dem Mann, der, in einen weiten Regenmantel dicht eingehüllt, auf seinem Pferde saß. »Wer seid Ihr – Sir? – Ich heiße Atkins.«

»Habt Ihr gute Weide hier?« war die leise Antwort.

»Von woher kommt Ihr?« flüsterte Atkins eben so leise – »sprecht –«

»Ich bitte um einen Trunk Wasser.«

»Höll' und Teufel! Jones sagte mir doch, es würde noch acht Tage –«

»Laßt uns die Pferde schnell in Sicherheit schaffen,« flüsterte der Fremde – »ich habe meinen Jungen bei ihnen, und es ist ein fürchterliches Wetter im Anzug.«

»Das Naßwerden wird ihnen nichts schaden –« erwiderte Atkins – »ich habe Fremde im Haus und kann jetzt nicht fort –«

»Aber der Regen würde die Fährten so schön wieder verwaschen,« wandte Jener ein.

»Das ist allerdings wahr – aber – wie viel habt Ihr?«

»Drei.«

»Drei nur? Jones sagte mir von sieben.«

»Die anderen kommen morgen Abend – wir durften die Fährten nicht zu breit machen.«

»Ist das der Junge, den ich zum Weiterschaffen der Thiere hier behalten soll?«

»Den Jungen? Ja so – ja – er weiß um Alles.«

»Kennt er auch den Weg nach dem Mississippi?«

»Wir kommen eben –« verschnappte sich der alte Mann, bemerkte aber noch glücklicher Weise zeitig genug seinen Fehler und fuhr nach kurzem Husten fort – »von Westen zwar, der Junge ist aber auch schon oft in der Gegend gewesen. Doch macht fort – die großen Tropfen fangen schon an zu fallen.«–

»Gut – dann wartet nur einen Augenblick, und ich will denen da drinnen sagen, Ihr sähet selbst nach Eurem Pferde oder sonst irgend was – hallo – wer ist das da?«

[] Ein Mann näherte sich der Fenz, gab sich aber gleich darauf als Weston zu erkennen.

»Ach – Ihr kommt mir gelegen, Weston,« rief Atkins.

»Hier ist ein Fremder, der Pferde hat – Ihr wißt schon – geht mit ihm hinten herum und bringt sie in Sicherheit, und nachher kommt herein. Ich kann die beiden Regulatoren nicht gut allein lassen!«

»Regulatoren habt Ihr da drinnen?« frug der Reiter scheinbar erschrocken.

»Es sind Gäste, die blos hier übernachten,« beruhigte ihn Atkins – »aber Ihr müßt wahrhaftig warten, bis das Wetter vorüber ist – es wird augenblicklich losprasseln. Wenn die Pferde im Bach stehen, schadet's auch nichts; Fährten sollen sie doch nicht finden.«

»Im Bach?« sagte der Fremde, »sie stehen aber nicht im Bach. Ich habe sie oben an der Feldecke.«

»Ei, so hol' Euch der Henker; warum brachtet Ihr sie denn nicht auf den alten Platz?«

»Es ist das erste Mal, daß ich hier bin.«

»Ja, dann nehmen wir sie doch lieber gleich herein,« rief Atkins ärgerlich – »da oben an der Fenzecke möchte ich nicht gern morgen früh Pferdehufspuren haben – der Halbindianer ist noch in der Nähe. Geht Ihr also mit ihm bis an die hintere Thür, Weston, ich will erst einen Augenblick in's Haus treten und komme gleich nach.«

»Entschuldigt, Gentlemen,« sagte er dann zu den beiden Regulatoren, als er wieder in's Zimmer kam und die Thür hinter sich zuzog; »es ist ein Fremder gekommen, der sehr eigen zu sein scheint und sein Pferd selbst unter Dach und Fach bringen will. Er wird gleich hereinkommen. Aber hallo – da bricht das Wetter los – nun wahrhaftig, das tobt nicht übel. – Der Blitz leuchtet ja, daß man sein Augenlicht kaum wiederfinden kann.«

»Sonderbar, wie hell er macht,« sagte Curtis, durch ein kleines, in die Wand gehauenes Fenster schauend – »bei einem solchen Blitz kann man die ganzen Felder mit einem Blick übersehen.«

[] »Wollen Sie sich nicht an den Kamin setzen, Gentlemen?« bemerkte Atkins etwas unruhig – »es zieht dort, und hier ist's behaglicher.«

»Warum nicht,« rief Cook – den Stuhl hinanschiebend, während er sich niedersetzte und die Füße oben unter das Kaminbrett schob – »kommt, Curtis – laßt das Wetter draußen brummen und dankt Gott, daß Ihr Eure eigene Haut trocken wißt.«

»Dafür bin ich auch dankbar,« lachte Curtis, indem er eine Flasche aus der Satteltasche nahm, »und damit Ihr seht, wie ich es zu würdigen weiß, so wollen wir gleich einmal auf den Schreck trinken. – Wo wollt Ihr denn hin, Atkins?«

»Ich muß auf einen Augenblick hinüber zu meiner Frau, die Weiber fürchten sich am Ende, wenn sie so allein sind. Ich bin gleich wieder hier.«

Er schlüpfte schnell aus der Thür und drückte sie zurück in's Schloß – das heißt in die hölzerne Klinke, welche die Stelle des Schlosses versah, und einige Secunden lang blieben die beiden Regulatoren noch laut- und regungslos auf ihren Stühlen sitzen. Dann aber sprang Cook in die Höhe und flüsterte leise:

»Curtis – mir fängt das Herz merkwürdig an zu klopfen – was das für eine Nacht ist – die Blitze riechen ordentlich nach Schwefel. Nun, die im Schilfbruch draußen werden gehörig eingeweicht.«

»Das läßt sich nicht ändern,« erwiderte Curtis, überall im Zimmer umherblickend – »also da liegen zwei Büchsen – über jeder Thüre eine – das ist vorsichtig. Das Beste wird sein, wir machen sie unschädlich. Wir werden sie nicht gebrauchen, und Atkins könnte am Ende doch Schaden damit anrichten.« Dabei stieg er auf einen Stuhl und nahm erst die eine und nachher auf der andern Seite auch die zweite herunter. »Wahrhaftig, beide geladen; – puh – hier auf der liegt Staub. Nun, ich denke, wir blasen ihm das Pulver ein wenig von der Pfanne. Zum frisch Aufschütten bekommt er doch keine Zeit. Sonst noch Waffen?«

[] »Ich sehe weiter keine,« sagte Cook, überall im Zimmer umhersuchend – »er müßte sie denn versteckt haben –«

»Visitirt einmal das Bett – unten – ist da nichts?«

»Nein – fühle nichts – aber – ja hier – wahrhaftig – zwei Pistolen. Oh, nicht übel, recht hübsch bei der Hand, wenn Noth an den Mann geht. Nun warte, Schelm, Dir wollen wir den Spaß ebenfalls verderben – so – ihr seid auch besorgt. Jetzt möchte ich sehen, welches von den vier Schießeisen am ersten losginge.«

»Seht Euch lieber mit den Pistolen vor – sie feuern manchmal doch, und ein einzelner Funke –«

»Ich habe ein wenig Tabakssaft hineingespritzt – thut das bei den Büchsen lieber auch; – und wenn er die Federn abschnappt, fangen thät' keine.«

»Mich sollte es gar nicht wundern, wenn der Sturm das Dach vom Hause risse – hörtet Ihr eben den Baum stürzen? Alle Wetter, mir fängt es an unheimlich zu werden; ich wollte doch, wir hätten eine ruhigere Zeit abgepaßt.«

»Das Herz klopft mir wie ein Schmiedehammer,« sagte Cook – schnell im Zimmer auf- und abgehend – »wir werden den Pfiff durch das Toben draußen gar nicht hören.«

»Das bleibt sich ziemlich gleich; unsern Posten dürfen wir doch nicht verlassen – aber – ich wollte, ich könnte etwas sehen. 's ist fatal, so ganz in der Irre und Ungewißheit herumzutappen, wenn man indessen draußen eine Rotte tüchtiger Burschen im Hinterhalt weiß. Es kommt mir gerade so vor, als ob man Nachts im Walde lagert, hört etwas rauschen und weiß nicht, wo und was es ist.«

»Oder in einer weiten Höhle mit der Kienfackel, und man hört den Bären winseln – und kann nicht herausbekommen, auf welcher Seite er steckt. Ich – das muß eingeschlagen haben, Blitz und Donner waren ja fast zusammen! – Ich bin einmal in dem Falle gewesen –«

»Hörtet Ihr nichts?«

»Nein – was soll man denn vor dem Toben draußen hören! – Der arme Stevenson dauert mich nur, und sein Junge – na, die werden an Arkansas denken –«

[] »Ist denn der Kanadienser mit bei denen im Schilfbruch, oder haben sie ihn in den Wald postirt?«

»Ei bewahre – der ist mit bei den Angreifern, und ein tüchtiger Bursche dazu. – Horcht – war das nichts?«

»Ich habe nichts gehört. – Was nur die Frauen drüben dazu sagen werden?«

»Mich dauert's, daß das Kind gerade trank sein muß.«

»Das läßt sich nicht ändern, warum – bei Gott, das war der Pfiff – jetzt, Cook, aufgepaßt – der Tanz beginnt –«

»Kommt schnell,« flüsterte Atkins den draußen an der Fenz seiner harrenden Männern zu – »haben wir es erst einmal hinter uns, ist's so viel besser, denn das Wetter vernichtet jede Spur – aber straf' mich Gott, wenn es nicht zu arg ist, in solchem Regen draußen zu sein. Jones sagte mir doch, Ihr kämet erst in acht Tagen –«

»Oh zum Donnerwetter, spart Euer Geschwätz, bis wir im Trocknen sind,« brummte, sich mürrisch stellend, der Alte – »ist das ein Wetter zur Unterhaltung? Ich habe weiter nichts dabei zu thun, als die Thiere abzuliefern, und wollte zu Gott, ich hätte es einem Andern überlassen. Solchem Regensturm den Rücken hinzuhalten, könnte Einem den Tod geben.«

»Wo stehen die Pferde?«

»Da oben an der Ecke irgendwo – mein Junge ist bei ihnen, heißt das, wenn's den armen Burschen nicht heruntergewaschen hat.« Er schob bei diesen Worten den Finger zwischen die Zähne und pfiff leise, aber scharf.

»Was zum Teufel macht Ihr?« frug Atkins erschrocken.

»Hört Ihr's? Da drüben antwortete er,« sagte der Alte, »er lebt wahrhaftig noch. Wo habt Ihr den Eingang?«

»Gleich da oben – Ihr seid nicht weit davon entfernt, wenn Ihr aber wieder kommt, so reitet etwa hundert Schritt weiter aufwärts in den Bach hinein. Seht Ihr dort!«

[] »Sehen? jetzt bitt' ich Einen um Gottes willen, sehen, bei solchem Wetter sehen; keine Hand vor Augen, ausgenommen wenn's blitzt. Doch da ist der Junge – he, Ned – komm hierher; lebst Du noch?«

»Ja, Vater,« flüsterte der junge Mann – »es ist aber ein entsetzliches Wetter. Mir graust's.«

»Unsinn – werden schon wieder trocken werden – komm, folge uns. Haben die Thiere ruhig gestanden?«

»So ziemlich – nur der Rappe scheute bei den Blitzen.«

»Natürlich, welches Vieh soll denn dabei auch ruhig stehen – aber was macht Ihr? Legt Ihr die Fenz nieder?«

»Ja,« sagte Atkins, – »ich habe mit Willen hier oben keine Thür – sondern Futtertröge in der Ecke angebracht. Es sind zu viel Spione in der Nachbarschaft, und das mindeste Auffallende erregt gleich Verdacht. – So – hier kommt herein. – Nehmt Euch in Acht, dort liegen noch abgehauene Stämme. Ah – der Blitz kam apropos!«

»Ist denn der Platz, wo Ihr die Pferde laßt, weit von hier?«

»Keine hundert Schritt mehr – Pest, das war ein Schlag! – Laßt die Fenz nur liegen, bis wir wieder zurückkommen; jetzt läuft keins von den Thieren fort – sie stehen alle unter dem Schuppen – so – nur mir nach – dies ist der Platz.«

In demselben Augenblick erhellte wiederum ein greller Blitz den ganzen sie umgebenden Raum, und Stevenson sah, daß sie an einer Fenz standen, über die von der andern Seite abgenagtes Schilf herüberging.

»Wartet einen Augenblick,« sagte Atkins jetzt schnell, »ich schiebe nur die Fenzriegel und die unteren Stämme weg – es wird gleich Luft werden. – So, nun hinunter mit den Thieren, dort sucht sie Keins, und dann in's Haus – ein warmer Schluck – Höll' und Teufel, was macht Ihr? – Verrath! –«

Er hatte aber wohl Ursache, überrascht zu sein, denn kaum war der Eingang zu dem geheimen Versteck geöffnet, als Stevenson einen lauten schrillen Pfiff ertönen ließ. Im nächsten Augenblick erleuchtete ein greller Strahl den Platz mit Tageshelle. [] Atkins, von dem Schein halb geblendet, sah eine Masse dunkler Gestalten herbeistürmen, und während der Donner in mächtigen Schlägen schmetternd und krachend am Firmamente hindröhnte, fühlte er, wie der kräftige Tennesseer die Hand nach ihm ausstreckte und ihn am Kragen erfassen wollte.

Hier jedoch kam die Dunkelheit dem mit Grund und Boden genau Vertrauten sehr zu statten, denn wie eine Schlange glitt er unter der drohenden Faust hinweg. Stevenson erfaßte statt seiner den Sohn, der ebenfalls herbeigesprungen war, den Verbrecher zu halten; ein zweiter Blitz verrieth ihnen aber die fliehende Gestalt des Hehlers, und auch Weston, den die erste Ueberraschung fast gelähmt hatte, floh der Stelle zu, auf der sie eben die Umzäunung betreten.

Der Platz war übrigens besetzt, und fast wäre er zwei anderen Männern in die Hände gesprungen, denen er gerade entgegenlief, als wieder ein Blitz ihm die neue Gefahr verrieth. Schnell wandte er sich und suchte über die Fenz zu entkommen. Da hörte er auch hier das Zeichen der Verfolger und sah nun, daß dies keine plötzliche, zufällige Entdeckung, sondern ein verabredeter Ueberfall sei, sah jeden Rettungsweg abgeschnitten, und hoffte nur noch, durch das Haus, oder am Haus und Rauchhaus vorbei den schmalen, fast stets von den Hunden eingenommenen Raum offen zu finden. Dort konnte er möglicher Weise den Wald und mit diesem wenigstens augenblickliche Sicherheit gewinnen.

Eben aber, als er in die Porch sprang und zwischen den Gebäuden hindurch wollte, hörte er in der Stube zu seiner Rechten wildes Ringen und Fluchen – vor sich die laute Stimme der zusammenrückenden Feinde, im Rücken die Verfolger, und stürzte sich nun in Angst und Verzweiflung in das Gemach der Frauen, die mit einem Schrei des Entsetzens von ihren Sitzen in die Höhe fuhren.

[] 31.
Die Damengesellschaft. – Die Ueberraschung.

»Oh, Madame Mullins, ich möchte Sie bitten, mir noch eine Tasse Kaffee einzuschenken,« sagte die Wittwe Fulweal, als sie das ängstlich stöhnende Kind eben wieder aus der Hängematte genommen hatte und damit im Zimmer auf und ab lief. »Wie ihm das kleine Köpfchen glüht,« rief sie dann, den Kleinen so dicht an's Licht haltend, daß er das fieberheiße Gesichtchen ängstlich verzog und eben in einen neuen Schmerzensschrei ausbrechen wollte.

»Was kriegt denn das Kind hier für blaue Fleckchen?« sagte Madame Bowitt, sich zu ihm niederbeugend.

»Wo? wo?« schrie die Mutter entsetzt – »was ist mit den blauen Flecken? Sind die gefährlich? Ach Gott, das Kind stirbt mir!«

»Unsinn,« sagte Mrs. Fulweal – »blaue Flecken – ich möchte wissen, wo blaue Flecken sein sollten. Was weiß denn Madame Bowitt von Kinderkrankheiten; das dritte, das ihr starb, war kaum sechs Monate alt, und alle drei sind keine acht Tage krank gewesen.«

»Die blauen Flecken sollen, wie mir einmal ein fremder Doctor versichert hat – ein sehr böses Zeichen sein,« piepte die jüngste Miß Heifer – »Bruder George's Mädchen bekam sie, und es fehlte nicht viel, so wäre es dieselbe Nacht gestorben; so aber lebte es doch noch bis zum nächsten Morgen.«

»Bekommt denn das Kind wirklich blaue Flecken?« klagte Mrs. Atkins in Todesangst – »ist es denn schon so weit? Muß es denn wirklich sterben?«

»Oh bewahre,« sagte Mrs. Hostler, »so – gefährlich ist es gar nicht – die blauen Flecken machen nichts. – Wenn [] es nur nicht das Pfeifen beim Husten hätte – mein armes, kleines Mädchen, das im vorigen Monate starb, keuchte ebenso.«

Die Mutter setzte sich in trostlosem Jammer auf das eine Bett und rang die Hände.

»Ladies!« nahm Mrs. Kowles das Wort. Sie hatte bis zu diesem Augenblick schweigend ihre Pfeife geraucht und klopfte jetzt die Asche auf dem einen Herdstein aus, der den ungeheuren Vorderklotz im Kamin trug – »ich sehe wirklich nicht ein, warum Sie die arme Mutter so ängstigen. – Herr Jesus, der Blitz – ist mir's doch in alle Nerven gefahren! – Weder blaue Flecken noch Keuchen und Pfeifen sind so sichere –«

Sie mußte aufhören zu reden, denn der rollende Donner übertäubte wohl eine Minute lang selbst das Schreien des Kindes – »sichere Anzeichen,« fuhr sie endlich, als sich der Sturm legte, in ihrer Rede fort – »daß man bei ihnen immer nur auf Tod zu zählen hätte. Bewahre, ich weiß selbst zwei Fälle, wo die Kinder beide davon kamen, das heißt, das eine wurde blind, und das andere biß ein toller Hund, da waren aber die Flecken nicht daran schuld. Wozu sich ängstigen, wenn noch keine Gefahr da ist?«

»So glauben Sie, daß mein Kind wieder genesen kann?«

»Warum denn nicht? Es hat genug Medicin genommen, um sechs Kinder gesund zu machen, und wenn es nicht so gelb in den Augen aussähe –«

»Gelb in den Augen?« frug die auf's Neue gequälte Mutter, indem sie mit dem Lichte zu dem Kinde stürzte – »und was bedeutet das? Madame Fulweal – Sie haben doch Erfahrung; glauben Sie, daß –« sie wagte nicht den Satz zu vollenden, sondern barg ihr Gesicht in den Händen und lispelte leise: »Das habe ich verdient – an Ellen verdient – verdient durch mein Mitwissen –« Erschrocken fuhr sie empor, ob Niemand die verrätherischen Laute gehört habe, und sank erst dann wieder in ihre vorige Stellung zurück.

Da schmetterte jener schon zweimal erwähnte furchtbare Schlag über den Wipfeln des rauschenden und zitternden Waldes dahin, und die Frauen fuhren entsetzt vor dem zürnenden Sturmgott zusammen, der an den Grundvesten der Erde rüttelte.

[] Mrs. Atkins war emporgesprungen und horchte aufmerksam nach außen hin.

»Rief nicht da draußen Jemand?« frug sie, bleich und erschrocken ihr Ohr an die Spalten der Hütte haltend.

»Ih Gott bewahre,« brummte Mrs. Fulweal, »wer sollte in solchem Wetter draußen sein – ja – was ich sagen wollte – Jesus im Himmel!«

Mit ihr sprangen alle Frauen entsetzt und geängstigt in die Höhe, denn auf flog die Thür und herein stürzte – Todesfurcht und Grauen im Blick, mit fliegenden, nassen Haaren und stieren Augen, der junge Weston – während er mit von Furcht erstickter Stimme schrie:

»Verbergt mich, oder ich bin verloren!« Dann brach er, schon halb bewußtlos, aber noch mit einem gewissen Instinct den sichersten und verstecktesten Winkel der Stube in einem Sprunge erreichend, hinter dem Bett, das ziemlich die eine Ecke ausfüllte, zusammen.

»Um Gottes willen – Weston – was ist vorgefallen?« hauchte in Todesangst Mrs. Atkins. Jener behielt aber keine Zeit zum Antworten, denn in diesem Augenblick schon sprang die dunkle Gestalt des Halbindianers in die offene Thür, und mit rauher Stimme rief er aus:

»Hier herein muß er sein – wo ist er?«

»Wo ist wer?« sagte Madame Fulweal, die, mit Cotton und Weston vertraut, halb und halb begriff, was geschehen, und also auch am ersten ihre Geistesgegenwart wieder gewonnen hatte. »Wo ist wer? Ist das eine Manier, in fremder Leute Häuser zu kommen, und noch dazu in ein Zimmer, wo Ladies und Kranke sind? – Wo ist wer? was steht der Herr da und gafft – der Wind bläst das Licht aus – drüben wohnen die Leute!« und ohne weiter den verdutzten und durch diese trotzige Bewegung überraschten Kanadienser weiter zu Worte kommen zu lassen, schob sie ihn von der Thür zurück und warf diese in's Schloß.

»So!« sagte sie, als sie den kleinen eisernen Riegel vorschob, der an dieser Thür – ein wahrer Luxusartikel in Arkansas [] – angebracht war – »nun wollen wir einmal unsern Gefangenen betrachten.«

Indessen hatten aber auch die übrigen Frauen, Mrs. Atkins ausgenommen, ihre Besinnung und Zungen wieder erlangt, und ein solches Durcheinander-Rufen und- Fragen begann jetzt, daß selbst das kranke Kind erschrocken und geängstigt das Köpfchen hob. Beim Ausbruch der Verwirrung war es wieder in seine Hängematte gelegt worden und schwieg einen Augenblick erschreckt still. Dann aber warf es sich wieder auf sein Kissen zurück und hob ein solches Zeter-Mordio an, daß es sich Mrs. Fulweal als eine besondere Gnade vom Himmel erbat, dieses unermüdliche Kind einmal zum Schweigen gebracht zu sehen.

»Was ist hier vorgefallen? wer ist der Mann? was hat er verbrochen? wem gehörte das dunkle Gesicht? woher kam der nasse Mensch auf einmal? sollen wir ihn verbergen, oder wird noch einmal nach ihm gefragt werden?« Das Alles schwirrte und schwamm in einem wahren Chaos von Tönen durcheinander, daß die einzelnen Damen kaum die Fragen hören konnten, die sie selbst stellten. Da faßte etwas an die Klinke, und gleich darauf pochte Jemand von außen an die Thür.

»Wer ist noch so spät da draußen, und was wollen Sie?« frug die Wittwe Fulweal, sich wiederum das Sprecheramt zueignend, das ihr die Andern gern überließen; »wissen Sie nicht, daß hier ein krankes Kind liegt?«

»Ladies – Sie werden mir eine Frage erlauben,« sagte die Stimme, die Mrs. Atkins mit Entsetzen als die Brown's erkannte – »hat sich ein junger Mann in dieses Zimmer geflüchtet?«

Mrs. Fulweal sah, ehe sie antwortete, ihre Mitverschworenen im Kreise an. Bei denen hatte aber auch schon zu Gunsten Weston's das weiche weibliche Herz – das Mitleiden – gesiegt, und was er auch verbrochen hatte (sie waren übrigens sämmtlich fest entschlossen, das herauszubekommen), ausliefern wollten sie ihn nicht. Ein allgemeines Kopfschütteln antwortete dem Blick, und Wittwe Fulweal, als Dolmetscher der Festung, [] übernahm die Vertheidigung. Um aber nicht geradezu eine bestimmte Lüge auszusprechen, hielt sie es für zweckmäßiger, die Beleidigte und Gekränkte zu spielen, und rief daher mit ihrer etwas scharfen und schneidenden Stimme sehr empört und indignirt aus:

»Nun, jetzt wird's mich wundern, was Sie sonst noch hier suchen wollen? Zu Narrenspossen ist's doch wahrhaftig mitten in der Nacht und bei einem solchen Wetter keine Zeit. – Wir sind im Begriff schlafen zu gehen, und wünschen ungestört zu sein – good night, Sir!«

Damit war die Verhandlung abgebrochen und der Frager schien befriedigt. Er hatte wenigstens jeden weiteren Versuch, etwas Näheres über die Sache zu erfahren, aufgegeben und die Thür verlassen. Mehrere Minuten lang lauschten nun Mrs. Fulweal und alle die Uebrigen, klopfenden und ängstlich schlagenden Herzens, an der Thür. Kein Laut ließ sich aber weiter hören – Alles war still und ruhig wie das Grab, und auf den Zehen wollte jetzt die Wittwe zu dem noch immer regungslos hinter dem Bette kauernden Flüchtling schleichen, als ihre Aufmerksamkeit, wie die der sämmtlichen übrigen Frauen, auf Mrs. Atkins gelenkt wurde. Diese hielt sich nämlich krampfhaft an der Lehne ihres Stuhles fest und that augenscheinlich Alles, was in ihren Kräften stand, den auf sie eindrängenden Gefühlen nicht zu erliegen. Nach kurzem Kampf aber verließ sie das Bewußtsein, und sie wäre zu Boden gestürzt, hätten die Frauen sie nicht in ihren Armen aufgefangen.

Das ganze Schreckliche ihrer Lage war in dem einen Moment, als sie die Stimme des Regulatorenführers erkannte, auf sie eingestürmt, und das Schlimmste fürchtend, da sie wußte, ihr Mann hatte das Schlimmste verdient, brach ihr so schon durch Nachtwache und Angst geschwächter Körper unter dem Schmerz und Bangen zusammen. –

In dem andern Zimmer ging es indessen nicht weniger wild und unruhig her. Kaum hatte Curtis dem Freunde die Warnung zugerufen und beide Männer ihre Posten an den zwei verschiedenen Thüren eingenommen, als ein Sprung auf [] den hohlen Dielenboden in der Verbindungs-Porch der beiden Häuser gehört wurde und auch fast in demselben Augenblick Atkins mit wild blitzenden Augen und fliegenden Haaren hereingestürzt kam. Er war überzeugt, daß die Männer mit zum Complot gehörten, wußte aber auch, daß er ohne Waffen im Walde rettungslos verloren sei, und die mußte er sich jetzt, und wenn es mit Gefahr seines eigenen Lebens geschehen sollte, verschaffen. Auf die erste Ueberraschung daher am meisten zählend, riß er mit kräftiger Hand die Thür auf und sprang in das Zimmer.

Hier aber übersah er schnell genug, daß seine Büchsen in der Gewalt der Feinde seien, das Bett war jedoch nicht besetzt, und mit einem Triumphruf flog er diesem zu, riß die Pistolen hervor und drängte, die gespannte Waffe auf Cook gerichtet, gegen die Thür zurück, die ihm dieser verstellt hatte. Vielleicht wollte er ihn nur zum Weichen bringen, da der Regulator aber ruhig seinen Stand behauptete, drückte er ab, das fremde Leben natürlich dem seinigen opfernd.

Schrecklicher – entsetzlicher Klang für Den, der seine ganze Lebenshoffnung, sein Alles auf dich gesetzt hat, machtloses Schloß, wenn du mit mattem, bleiernem Schlag gegen den Stahl triffst; – erschlafft sinkt die Hand und vermag selbst die treulose Waffe nicht mehr zu halten. – Vorbei – das war die letzte Hoffnung – vorbei.

Atkins schaute wild nach der Thür, durch die er eingetreten, aber in demselben Moment brachen dortherein seine Verfolger, Cook und Curtis warfen sich ihm entgegen und umwanden seine jetzt widerstandslosen Glieder mit festen Seilen.

»Wo ist der Andere?« frug Brown, die Thür zurückstoßend – »weiß ihn Jemand?«

»Drüben in's Haus sprang er,« erwiderte der Kanadienser. »Ich hab' es mit eigenen Augen gesehen – sie wollten ihn aber nicht herausgeben.«

»So will ich selbst versuchen, ob sie auch mir den Eintritt verweigern,« erwiderte der Regulatorenführer und trat an die gegenüberliegende Thür. Wir kennen jedoch den Erfolg, und ohne weiter Zeit und Mühe zu verlieren, traf er [] augenblicklich die sichersten Maßregeln, den Flüchtling zu erfassen, sobald er versuchen würde, in den Wald zu entfliehen.

»Gentlemen,« wandte er sich zu diesem Zweck an die Freunde, – »jener Bursche darf uns nicht entgehen; zu der Bande gehört er auf jeden Fall, und wer weiß, ob er nicht einer der Mörder war, oder in wie weit er mit in die hier vorgefallenen Verbrechen verwickelt ist. – Wir müssen also das Haus umzingeln – aber leise, daß wir ihn zu dem Glauben veranlassen, der Weg sei sicher. Hat man den Mulatten erfaßt?«

»Nein,« sagte Bowitt – »der Schuft muß mitten durch den Wald geschlüpft sein, sonst hätte er uns nicht entgehen können.«

»Bös – bös!« murmelte Brown – »der wird Lärm machen; das läßt sich aber nicht mehr ändern. Wir haben das Nest jener Schufte, ihren sichern Schlupfwinkel aufgestört; von nun an müssen wir uns auf unser gutes Glück verlassen. Also, Gentlemen, auf Ihre Posten – der Regen hat nachgelassen, und der Wind draußen wird uns bald wieder abtrocknen. Nehmt den Gefangenen zum Feuer, Cook – er ist ebenfalls naß.«

»Gut,« sagte Cook – mit Curtis' Hülfe dem Befehle Folge leistend, »dann laßt uns zwei Trockne aber mit Wachtdienste thun, und Stevenson mag mit seinem Jungen hier beim Feuer auf den Gefangenen Acht geben. Wir sind den Beiden schon so viele Verbindlichkeiten schuldig und wollen sie doch nicht gern krank sehen.«

»Nicht mehr als billig,« erwiderte Brown; »aber wo stecken sie?«

Die beiden Stevensons traten eben in die Thür und wurden bald mit ihrer neuen, diesmal bequemeren, wenigstens trockneren Pflicht bekannt gemacht. Die anderen Männer begaben sich dann auf ihre Posten, und Brown, der noch über irgend etwas leise mit dem älteren Stevenson gesprochen hatte, wollte ihnen eben folgen, als er fast erschrocken von der Thür zurückfuhr, denn in dieser stand mit nassen herunterhängenden [] Haaren, mit wildglühendem Blick und stolzer, finsterer Haltung – der Indianer.

»Assowaum!« rief Brown freudig überrascht – »kommst Du endlich? Wir haben indessen für Dich gearbeitet.«

»Es ist gut so – aber – weshalb ergriffet Ihr den da?« sagte der Indianer leise, die Hand, in der er einen Bogen und mehrere Pfeile hielt gegen Atkins hebend.

»Er war der Hehler der Verbündeten; doch Du sollst Alles erfahren. – Kehrst Du erst jetzt zurück?«

»Nein – ich habe einen Gefangenen.«

»Wen? Und wo?«

»Johnson – draußen im Walde.«

»Weißt Du ihn schuldig?«

»Er ahnte einen Panther auf seiner Fährte und fürchtete dessen Fänge. Kennst Du diese Waffen? Die Pfeile sind vergiftet. Mit ihnen schlich er zum Lager Assowaum's und wollte ihn tödten.«

»Die Pest über ihn! – Du hast ihn doch gebunden?«

»Ja.«

»Und er kann nicht entfliehen?«

Assowaum lächelte und flüsterte leise:

»Wen Assowaum bindet, der rührt sich nicht.«

»Wo aber warst Du so lange? Es gab hier Leute, die da behaupteten, Du seiest geflohen!«

»Du warst nicht unter Denen,« erwiderte der Wilde. »Aber glaubt mein Bruder, daß ich in dieser Zeit müßig gewesen? – Ich kenne die Mörder Heathcott's.«

»Du kennst sie? – wer, wer war es? Sprich!« rief Brown in wilder Freude.

»Johnson und – Rowson!« sagte leise der Indianer.

»Rowson – allmächtiger Gott – das ist nicht möglich!« schrie Brown entsetzt – »das ist – das wäre entsetzlich – Rowson ein – Mörder.«

»Johnson und Rowson,« wiederholte Assowaum eben so leise, aber eben so bestimmt. »Der blasse Mann hatte ebenfalls Theil an dem Pferdediebstahl.«

»Mensch, bist Du dessen gewiß?« stöhnte Brown, noch [] immer nicht im Stande, den schrecklichen Gedanken zu fassen, Marion in den Händen eines Verräthers zu wissen, »hast Du wirklich Beweise für solch' entsetzliche Anklage?«

»Der blasse Mann war bei dem Pferdediebstahl, ich weiß es, und neben dem Blute des weißen Mannes stand sein Fuß.«

»Gerechter Gott – Assowaum – weißt Du, wen Du beschuldigst?«

»Den Methodisten,« sagte der Indianer finster. »Vielleicht zertrat er auch die Blume der Prairien; doch umkreiste Assowaum bis jetzt umsonst das Lager. Aber er erschlug den weißen Mann; seit vier Tagen weiß ich es.«

»Und weshalb schwiegst Du?«

»Wenn die weißen Männer den Verbrecher des einen Mordes für schuldig fanden,« lächelte Assowaum mit wildem, fast geisterhaftem Blick, »dann kehrten sie sich nicht an den andern – sie hingen ihn, und Assowaum hätte seine eigene Rache in den Händen Anderer gesehen. Assowaum aber ist ein Mann – er will sich selbst rächen!«

»Wo aber hast Du Deinen Gefangenen?«

»Draußen im Walde; er glaubte einen Häuptling schlafend zu finden. Hat mein Bruder schon einen Panther gesehen, der die Augen schloß?«

»So wollen wir ihn – was ist das? Schon zum dritten Mal tönte der Eulenruf von da herüber, und immer in einer andern Richtung – sollte das ein Zeichen sein?«

Der Indianer horchte – wiederum klang der monotone Ruf des menschen- und lichtscheuen Nachtvogels zu ihnen herüber – dreimal – in langsam abgemessenen Pausen, und dreimal, in demselben Zeitmaß, antwortete ihm der rothe Sohn der Wälder. Aber drüben im Dickicht verstummte von jetzt an der Ruf und wurde nicht weiter gehört.

»Es war eine Eule,« sagte Brown, noch hinaushorchend in die stille Nacht.

»Vielleicht,« erwiderte sinnend der Indianer – »vielleicht auch nicht. – Der Mann da wird das Zeichen wohl kennen.«

Atkins, dem diese Bezeichnung galt, hatte ängstlich verstohlene [] Blicke nach der Thür geworfen und war, als Assowaum dem Ruf antwortete, wie erschrocken emporgefahren. Jetzt aber, als Alles schwieg und der falsche Lockton nicht weiter beantwortet wurde, durchzuckte ein trotzig höhnisches Lächeln seine dunkeln Züge, und ohne weiter ein Zeichen von Theilnahme zu verrathen, kauerte er wieder an der wärmenden Gluth nieder. Er beantwortete aber auch keine einzige der von Brown an ihn gerichteten Fragen und wandte diesem sowohl, als dem Manne, der ihn zuerst verrathen und jetzt sein Wächter war, in zorniger Verachtung den Rücken.

Der Indianer hatte indessen in Begleitung mehrerer Regulatoren die Hütte wieder verlassen, und tiefes Schweigen herrschte wohl eine halbe Stunde lang, als auf einmal ein wilder Angstschrei an dem hintern Theil der Fenz, da, wo diese an den Wald stieß, gehört wurde. Gleich darauf brachten Wilson und Bowitt den gefangenen Weston, der in die Falle gegangen war und seine Flucht versucht hatte, herein.

Nicht viel später erschien auch Assowaum mit zweien der Regulatoren, die den bleichen und scheu die Augen niederschlagenden Johnson in die Stube stießen, wo er sich plötzlich seinem grimmigsten Feinde, dem wilden Husfield gegenüber sah.

»Also doch – Sir?« frug dieser, ihn erstaunt von Kopf bis zu Füßen betrachtend – »doch mit bei der Bande, und wie es scheint in gar verzweifelter Situation? Wer hat den Menschen gefangen?«

»Der Indianer,« sagte Cook, auf ihn deutend.

»Ha, Assowaum!« rief Husfield, diesen erst jetzt erkennend – »das ist brav, daß Du wieder da bist und noch dazu solche Beweise Deines guten Willens mitgebracht hast. Verdamm' mich – Assowaum, wenn ich weiß, was ich Dir dafür Liebes und Gutes erweisen soll – Pest – fünfhundert Dollar wären mir nicht so lieb. Da, da hast Du meine silberbeschlagene Büchse – ich weiß, die Deinige taugt nichts mehr – sie versagt immer und Du hast Dir schon lange ein gutes Gewehr gewünscht. – Nimm sie, und möge sie Dir so gute Dienste leisten, wie sie mir geleistet hat. Und Du, Geselle –« wandte er sich dann an den zitternden Verbrecher [] – »Du sollst diesmal Deiner Strafe nicht entgehen. Als wir uns zum letzten Mal sahen, warst Du verdammt trotzig; jetzt möchte sich das Blatt gewendet haben. Seht nur, wie der Schuft zittert und bebt; die Knie können ihn kaum noch tragen.«

»Gift und Tod über Euch!« fluchte der Gefesselte, sich jetzt zum ersten Mal trotzig emporraffend. »Ihr könnt mich hier fesseln und – lynchen – zum Teufel, aber Ihr braucht mich nicht zu verhöhnen. Hunde Ihr – die Ihr Alle über Einen herfallt.«

Husfield wollte auffahren, Brown wehrte ihm aber und sagte:

»Laßt ihn reden. – Er mag prahlen und schimpfen; daß wir aber ein Recht haben, ihn gefangen zu halten, dafür ist uns der Indianer Bürge, den er heimlich hat überfallen und morden wollen. Das ist die erste Anklage; das Uebrige kommt nach. Sobald wir seine Genossen haben, wird das Gericht, unser Gericht nämlich – das Weitere bestimmen. Jetzt gilt es vor allen Dingen, die zweite Höhle dieser Halunken aufzufinden. Wer kennt den Weg?«

»Ich!« sagte Assowaum; »aber glaubt mein Bruder, daß der Bär in sein Lager zurückkehrt, wenn er die Fährten des Jägers am Eingange wittert? Das Eulenzeichen galt den hier Wohnenden; wir wußten es nicht zu beantworten, und jene Schufte wurden gewarnt – die Höhle ist leer.«

»Du magst in der That Recht haben, Assowaum,« sagte Brown, »den Versuch müssen wir aber machen, und von dort an sei unsere nächste Aufgabe, den – den Zweiten zu finden, den Du für schuldig hältst. Noch ist es, dem Himmel sei Dank, Zeit, aber ich kann mir das Entsetzliche nicht denken.«

»Wer ist denn der andere Mann, von dem der Indianer sprach?« frug Stevenson jetzt.

»Sie sollen ihn morgen kennen lernen,« erwiderte, finster vor sich niederstarrend, der junge Regulatorenführer – »aber – nicht wahr, Mr. Stevenson –« fuhr er dann, wie aus einem Traum aufschreckend, fort – »nicht wahr, Sie bleiben jetzt bei uns, bis wir die Sache zu Ende gebracht haben? [] Sie müssen doch sehen, wie wir hier in Arkansas Recht und Gerechtigkeit üben –«

»Ich bleibe da – versteht sich,« betheuerte der alte Farmer, mit kräftigem Druck den dargebotenen Handschlag erwidernd.

»Dann werden aber Ihre Frauen auch meine Wohnung wenigstens so lange als die ihrige betrachten,« sagte Heinze, dem Alten ebenfalls die Hand reichend. »Wie mir Cook gesagt hat, so lagern sie kaum eine viertel Meile von meinem Hause entfernt, und da ich doch morgen früh einmal hinauf muß, will ich sie selbst herüberholen. Wann ist unser Gericht?«

»Am Montag Morgen.«

»Und wo?«

»Diesmal im freien Walde, dort, wo unterhalb Wiswill's Mühle der steile Fels in den Fluß hineinragt. Oben auf dem Gipfel ist ein offener Platz und dorthin wollen wir die bis dahin gemachten Gefangenen transportiren.«

»Wen sucht ihr noch?« frug Husfield.

»Cotton und – Rowson!«

»Rowson? Den Prediger? Den Methodisten?« riefen Alle erstaunt und überrascht durcheinander.

»Den Prediger und Methodisten,« erwiderte Brown leise.

»Und wer ist sein Ankläger?« frug Mullins bestürzt.

»Assowaum!« sagte der Regulatorenführer, auf den Indianer deutend, dessen dunkle Gestalt ruhig am Kamin lehnte, während er mit nicht zuckenden Wimpern den auf ihn gerichteten Blicken der Menge begegnete.

»Er hat Blut an seiner Hand,« sagte er endlich leise nach kurzer Pause – »er hat Blut in seiner Fährte, und die Wasser des Petite Jeanne – die Wasser des Fourche la fave konnten es nicht verwischen.«

»Und morgen will er des alten Roberts Tochter als sein Weib heimführen,« rief Cook erstaunt – »es ist nicht möglich, der Indianer muß sich irren –«

»Der fromme Rowson,« stöhnte Mullins, noch halb ungläubig, in stummem Entsetzen.

»Hier nützt kein Reden,« sagte Brown schnell entschlossen [] – »hier muß gehandelt werden. Ist es ein bloßer Verdacht, der auf dem Priester ruht, so verlangt es sein eigener guter Ruf, daß er so schnell gehoben werde, als möglich, denn auf seinem Stand darf kein Makel haften, wenn er nicht zehnfache Verdammung auf das schuldige Haupt herabrufen will. Jetzt aber gilt's vor allen Dingen, die Verbrecher einzufangen, die hier in der Nähe und also auch wahrscheinlich schon gewarnt sind. Assowaum mag uns nach Johnson's Hause führen, und von dort brechen wir zusammen nach Roberts' Wohnung auf, die wir noch früh am Morgen erreichen müssen.«

»Das ist auf jeden Fall ein Irrthum,« sagte Mullins, »der Indianer ist ja auch nur ein Mensch, und –«

»Wochenlang hat Assowaum den Fährten nachgespürt und sie gemessen und verglichen,« erwiderte finster der Wilde; »so wahr jener Sturm die alten Bäume schüttelt – der blasse Mann ist ein Verräther.«

»Was nützen die Worte!« erwiderte Brown – »er ist beschuldigt und –«

»Aber von wem?« unterbrach ihn ärgerlich Mullins – »der Indianer, der ihm nie grün war, weil er Alapaha zum Christenthum bekehrte, klagt ihn an. – Sollen wir auf dessen Wort hin einen frommen, gottesfürchtigen Mann ergreifen und auf den Tod beleidigen? Das geht auf keinen Fall. – Bringt erst Beweise, eher gebe ich meine Zustimmung zu solch rascher That nicht.«

»Stellt ihn mir gegenüber,« sagte der Indianer, indem er sich aus seiner ruhenden Stellung stolz emporrichtete – »stellt ihn mir gegenüber, und wenn sein Auge an dem meinigen haften kann – dann hängt mich. Sind die Männer zufrieden?«

»Ja!« sagte Husfield ernst. »Ich sehe nicht ein, warum wir auf das Zeugnis eines weißen Mannes mehr geben sollten, als auf das eines rothen. Ich selbst habe den Methodisten nie leiden können und würde mich gar nicht wundern, wenn jetzt ein Wolf unter dem Lammfell steckte. Er ist so gut wie jeder Andere nur ein Mensch, und daß er predigt, erwirbt ihm, in meinen Augen wenigstens, kein besonderes Verdienst. [] Reinigt er sich vor Gericht von der Beschuldigung, desto besser für ihn. Ich fürchte aber fast, der Indianer hat zu sichere Beweise, denn sein Auftreten ist nicht gerade wie das eines Mannes, der auf bloßen Verdacht hin handelt. Führt uns an, Brown – jeder Augenblick, den wir noch versäumen, ist nie wieder einzubringen. Führt uns an, und so möge Verdammniß und Strafe den Schuldigen treffen, wie wir jetzt unser gutes Recht sichern und bewahren wollen.«

»Und was soll mit diesen Gefangenen geschehen?« frug Cook, auf Atkins, Weston und Johnson deutend.

»Am besten ist's, wir schaffen sie heute Nacht noch fort,« sagte Brown – »das ganze Hans ist voller Frauen, Mrs. Atkins hat also Hülfe und Unterstützung. Wo aber hin mit ihnen?«

»Zu mir,« sagte Wilson – »Curneales wird sich, deß bin ich überzeugt, nicht weigern, die Regulatoren mit ihren Gefangenen aufzunehmen und wir brauchen dann nur für sichere Wacht zu sorgen.«

»Die will ich halten!« rief Curtis, »ich werde Wohl noch Kameraden dazu finden, und daß sie nicht entkommen sollen, dafür bürgt meine Büchse. Aber dann brecht auch auf – es kann nicht mehr so weit bis zum Morgen sein, und ist Cotton wirklich gewarnt, so möcht' es eine schwierige Aufgabe werden, ihn einzufangen. Der ist mit allen Hunden gehetzt. Jetzt also vor allen Dingen eine Abtheilung mit den Gefangenen fort und die andere auf die Suche.«

Schnell und geräuschlos wurden nun die hierzu nöthigen Schritte gethan, um die Frauen nicht unnützer Weise noch mehr zu beunruhigen. Die drei Gefangenen sahen sich in der nächsten Viertelstunde, von sechs schwerbewaffneten Männern geleitet, auf dem Wege nach ihrem einstweiligen Gefängniß. Pelter und Hostler blieben als Wachen in Atkins' Hause zurück, und die Uebrigen, von Assowaum geführt, brachen nach der einsamen Hütte der Verbündeten auf, um dort noch wo möglich den schon so lange Gesuchten zu erfassen, oder doch neue Beweise der Schuld aller bis jetzt Eingebrachten und Gefangenen zu erhalten.

[] Mitternacht lagerte über den Wäldern. Noch rauschten und brausten die mächtigen Wipfel und schüttelten sich die kalten Schauer aus den grünen, wehenden Locken; noch zuckten am fernen östlichen Horizont matte Blitze, und leise – leise grollte und murmelte der ferne Donner hinterher. Da huschte schnell und vorsichtig eine dunkle Gestalt über die Fenz, welche Johnson's niedere Hütte umschloß. Es war Cotton – er glitt durch die offene Thür in den innern Raum der Hütte, raffte dort, was er an Waffen und Kleidern besaß, zusammen, barg mehrere andere Sachen, die er dem Auge der Feinde wahrscheinlich zu entziehen wünschte, in einen hohlen Baum unfern der Hütte, schleppte dann das im Kamin durch ihn schnell wieder angefachte Feuer in eine Ecke der Stube unter das Bett, warf einen flüchtigen, Abschied nehmenden Blick auf den Raum, der ihm so lange Schutz gegen seine Verfolger gewährt hatte, murmelte noch einen bittern Fluch zwischen den dünnen, bleichen Lippen hindurch und verschwand dann, schnell und geräuschlos, wie er gekommen, im dichten, undurchdringlichen Schatten des Waldes.

32.
Die Kreuzeiche.

Die Kreuzeiche war ein bei den Jägern des Fourche la fave allgemein gekannter Platz. Sie stand unfern vom Ufer eines kleinen Sees, am Rande einer der vielen Slews oder Sumpfbäche, die die Niederung durchkreuzen, und nahe bei einem dichten Rohrbruch, der im vorigen Jahre durch die Nachlässigkeit einiger Jäger entzündet worden. Nur verdorrtes und [] halbverbranntes Schilf umgab jetzt noch den Platz, zwischen dem das junge, maigrüne Rohr kaum erst wieder an einzelnen und sehr zerstreut liegenden Stellen anfing sich Bahn zu brechen.

Ein gewaltiger, hochstämmiger Persimonbaum aber, dessen Wipfel der Blitz gespalten, hatte einen seiner Aeste in die auszweigende Hauptgabel des Nachbarstammes, eben dieser Eiche, gelegt und auf solche Art ein rohes, aber leicht erkennbares Kreuz gebildet.

Cotton wie Rowson kannten den Platz genau, und besonders hatte der Letztere an dieser Stelle oft Betversammlungen oder sogenannte Camp Meetings gehalten. Cotton war übrigens heute der Erste am Platz und wohl schon eine Stunde vor der ihm von Rowson bestimmten Zeit am steilen Ufer der Slew auf- und ab gegangen. So ungeduldige Blicke er aber nach der Seite hin warf, von welcher er den Freund erwartete, so scheu und vorsichtig lauschte er bald nach dieser, bald nach jener Himmelsrichtung hin, als ob er irgend eine Ueberraschung oder Gefahr befürchte, und jedes fallende Blatt machte, daß er rasch und ängstlich den Kopf dorthin wandte.

Da krachte ein dürrer Zweig, und schlangenartig glitt der Jäger hinter einen umgestürzten Baumstamm, wo er, still und regungslos wie das Holz, das ihn verbarg, liegen blieb. Es war aber der so ungeduldig Erwartete, und schnell brach der Flüchtling wieder aus seinem Versteck hervor.

»Endlich kommt Ihr,« rief er mürrisch – »seit einer Stunde stehe ich hier Todesqualen aus, und –«

»Ihr dürft Euch nicht beklagen, ich bin noch etwas vor der Zeit da. – Es kann kaum halb nenn Uhr sein, und Ihr wißt, daß wir hier erst um neun Uhr zusammentreffen wollten.«

»Ja, um einander vielleicht nie wieder zu finden.«

»Was ist vorgefallen?« frug Rowson erschrocken, denn erst jetzt fiel ihm das bleiche, verstörte Antlitz des verbündeten Freundes auf. »Ihr seht aus, als ob Ihr eine Todesnachricht brächtet. – Sind die Regulatoren –«

»Ich wollte, beim Teufel, es wäre nur eine Todesnachricht« [] – knirschte, zwischen den auf einander gebissenen Zähnen hindurch, der Jäger; »die Hunde von Regulatoren haben auf irgend eine Art Wind bekommen lind Atkins' Haus überrumpelt.«

»Alle Wetter!« rief Rowson ängstlich – »und hat er gestanden?«

»Ich war nicht neugierig genug, mich danach zu erkundigen,« brummte Cotton. – »Auch Johnson muß in die Hände des verdammten Indianers gefallen sein, denn er ging aus, ihn bei Seite zu schaffen, und – ist selbst nicht wiedergekehrt.«

»Aber woher wißt Ihr, daß Atkins –«

»Wie Johnson nicht wiederkam, ging ich aus, ihn zu suchen, fand aber keine Spur von ihm und strich nun nach Atkins' Haus hinüber, um dem meine Befürchtung mitzutheilen. Dort aber fiel mir schon die Unruhe auf, die in der Farm herrschte. – Die Pferde galoppirten wild und scheu in der Einfriedigung umher, und als ich an der Fenz bis zu dem geheimen Eingang hinschlich, fand ich diesen offen. Hierdurch wurde mein Verdacht nur noch mehr bestärkt; ich wollte aber dennoch einen Versuch machen, mich dem Hause zu nähern, und gab mehrere Male hintereinander das bestimmte Zeichen –«

»Nun?« frug Rowson rasch und gespannt.

»Lange ward es nicht beantwortet,« fuhr der Jäger fort, »und endlich falsch – nur dreimal. Jetzt wußte ich, daß Verrath hinter den scheinbar ruhigen Wänden lauere. Leise umschlich ich nun eine Zeit lang die Farm, wäre aber doch bald, trotz aller Vorsicht, in die Hände der Schufte gefallen, die sich dort herum aufgestellt hatten. Als ich eben um die eine Ecke biegen wollte, sprangen eine Menge dunkler Gestalten aus ihren bisherigen Verstecken hervor und warfen sich auf einen Einzelnen, der, der Stimme nach, kein Anderer als Weston sein konnte. Ihr könnt denken, wie ich jetzt Fersengeld gab. So schnell mich meine Füße trugen, floh ich zu Johnson's Hütte zurück, verbarg dort die für uns werthvollsten Sachen in den hohlen Gumbaum, der nicht weit von dem Hause nach dem Flusse zu liegt, nahm die Waffen und steckte [] das Nest in Brand. Euch zu finden, war jetzt noch meine einzige Hoffnung.«

»Aber was können wir thun?« frug Rowson, den stieren Blick angstvoll auf den Kameraden geheftet. »Wenn uns nun die Gefangenen verrathen? Wo ist Jones?«

»Wahrscheinlich auch in den Händen der Regulatoren,« knirschte Cotton; »jetzt wenigstens glaub' ich's, denn sonst wär' er zurückgekehrt.«

»So müssen wir fliehen,« sagte Rowson – »da bleibt weiter kein Ausweg. – Noch ist es Zeit.«

»Aber wie? man wird uns verfolgen und einholen.«

»Zu Pferde dürfen wir allerdings nicht fort,« erwiderte Rowson. »Jetzt, da die kläffenden Hunde einmal munter sind, möchten wir sie nur zu bald auf den Hacken haben, und nach dem Regen ließen wir zolltiefe Spuren zurück. Aber mein Kahn ist uns sicher, der Fluß noch immer etwas hoch, und da uns auch von Harper's Haus hellte keine Gefahr droht, können wir den Arkansas vielleicht unentdeckt erreichen. Nachher hat es keine Noth weiter. Bis morgen früh müssen wir an der Mündung der Bayou Meter sein, und erst einmal dort, sind wir auch gerettet.«

»Aber Eure und meine Braut! – Ellen wird sich gewaltig grämen,« hohnlachte der rauhe Jäger.

»Wir dürfen nicht mehr an sie denken,« sagte Rowson. »Pest und Gift, sich so den Bissen vor den Lippen weggeschnappt zu sehen! Aber mein Hals ist mir doch lieber, und ich zweifle, daß sie viele Umstände mit uns machen würden, wenn wir erst einmal in ihren Klauen wären. Ja, würden wir den Gerichten überantwortet und ordentlich mit Richter und Advocaten verhört, dann wollt' ich immer noch sagen, laßt es uns abwarten; zur Flucht ist später noch Zeit. So aber mag der Teufel den Canaillen trauen, ich nicht. Glücklicher Weise ist Alles gerüstet, und wir können, sobald wir das Haus – aber alle Teufel – ich bekomme Besuch. – Verdammt! an die hätt' ich beinahe nicht gedacht.«

»Besuch?« rief Cotton erstaunt, »was soll das heißen?«

»Daß ich heute meine Hochzeit feiern wollte,« erwiderte [] Rowson mit einem gotteslästerlichen Fluch. »Die ganze fromme Gesellschaft ist in diesem Augenblick auch schon wahrscheinlich auf dem Wege nach meiner Wohnung, und erreichen sie die früher als wir, so sind wir verloren. – Noch ist es aber vielleicht nicht zu spät – vielleicht treff' ich sie noch unterwegs, und da wird mir schon Etwas einfallen, sie noch einen Augenblick aufzuhalten. Kurze Zeit müssen wir noch zu unseren Vorbereitungen haben. Gewinnen wir aber eine einzige Stunde Vorsprung, dann fürchte ich nichts mehr, dann sind wir gerettet. Eilt Ihr also so schnell Ihr könnt nach meinem Hans, ich werde, obgleich ich erst zu Roberts muß, ziemlich zugleich mit Euch dort eintreffen. Mein Pferd ist gut, und hält es nur noch heute aus, dann mag's zusammenbrechen, wann es will.«

»Aber vielleicht kommt Ihr doch später,« sagte Cotton; »denn glaubt mir, ich werde mich unterwegs nicht aufhalten.«

»So steigt indessen die Leiter hinauf in den oberen Theil des Hauses. Dort steht auch der kleine Koffer, der, für solchen Fall gerüstet, Alles enthält, was wir unterwegs gebrauchen werden.«

»Und das Zeichen?«

»Ihr seht mich schon kommen. Das Haus beherrscht mehrere hundert Schritt weit die es umgebende kleine Waldwiese, auf der ich gebaut habe.«

»Aber unrecht ist's doch, die Kameraden jetzt so im Stiche zu lassen,« sagte Cotton nachsinnend. »Wer weiß denn, ob wir ihnen nicht von Nutzen sein könnten, wenn wir die Nacht noch hier blieben! Es sind manche unter den hier wohnenden Farmern, die es im Stillen recht gut mit uns meinen und uns gern Vorschub leisteten; aber freilich werden sich die nicht rühren, wenn wir selbst beim ersten Schreckschuß die Flucht ergreifen.«

»Oh zum Henker mit Euren Vernunftschlüssen!« rief ungeduldig Rowson aus. »Glaubt Ihr, ich soll jetzt zwischen sie treten, wo vielleicht Johnson oder Weston gestanden haben, um augenblicklich ebenfalls ergriffen und gebunden zu werden? Nein, verdammt will ich sein, wenn ich meinen eigenen Hals [] in eine Schlinge stecke, blos um zu sehen, wie sich ein paar Andere, denen ich doch nicht mehr helfen kann, darin befinden. – Ich gehe – Ihr mögt's jetzt machen, wie Ihr wollt.«

»Ihr wißt ja aber gar nicht, ob Euer Name überhaupt erwähnt wird. Ihr kennt doch unsern Schwur.«

»Ja wohl – Alles recht gut, der Teufel aber traue auf den Schwur, ich nicht. Das wäre nicht der erste, den ein schwarzer Hikorystock gebrochen hätte; – und sagtet Ihr nicht selbst, Johnson habe gefürchtet, von dem rothen, hündischen Wilden verrathen zu werden? Dasselbe droht mir, nur noch in einem viel ärgeren Grade. Hätte sich der Indianer nicht wieder in unserer Gegend gezeigt, vielleicht wagt' ich's dann und bliebe. Der heimlichen Rache eines solchen Burschen mag ich aber nicht ausgesetzt sein, und darum such' ich das Weite. Kommt Ihr also mit oder nicht?«

»Nun natürlich werd' ich die Finger nicht allein im Brei stecken lassen, das könnt Ihr Euch denken,« entgegnete mürrisch der Jäger. »Ich darf ja meine Physiognomie nicht einmal in Little Rock zeigen. – Nein, mir ist's gerade bequem genug auf Gottes Erdboden, und ich habe nicht das Mindeste mit meinem Hals zwischen den Eichenästen zu suchen. Also fort denn – aber wohin wollen wir?«

»Ich gehe auf die Insel,« sagte Rowson entschlossen – »wohin Ihr?«

»Zum Ueberlegen haben wir später Zeit genug unterwegs,« erwiderte ausweichend der Jäger; »jetzt vor allen Dingen hier fort, denn jeder andere Platz, selbst das Zuchthaus von Arkansas, ist in diesem Augenblick sicherer für uns als der Fourche la fave. Also kommt bald nach und laßt mich nicht lange warten. – Mir ist's unheimlich, wenn ich da vielleicht eine Stunde allein sitzen sollte; ich würde jeden Augenblick fürchten, das Haus von Regulatoren umzingelt zu sehen.«

»Habt keine Angst – ich werde schnell genug da sein. Roberts sind hoffentlich noch nicht aufgebrochen, denn deren Gegenwart könnte uns jetzt allerdings gewaltig stören. So rasch mich also mein Pferd trägt, bin ich bei Euch. Uebrigens will ich verdammt sein, wenn ich nicht froh bin, die erbärmliche [] Predigermaske abwerfen zu dürfen. Sie ist mir, besonders in den letzten vierzehn Tagen, schauderhaft lästig geworden.«

»Ich will nur wünschen, daß Euch die Luft in Arkansas unmaskirt besser zusagt, als mit der Maske,« erwiderte Cotton, indem er unter einem dichten Gewirr von Gründornen und Schlingpflanzen sein in eine wollene Decke eingeschlagenes Kleiderbündel hervorholte und es sich aus den Rücken warf – »so – nun bin ich reisefertig,« fuhr er, einen scheuen Blick nach allen Seiten werfend, fort – »folgt also bald – Good bye!«

»Good bye!« antwortete der Priester und schaute ihm sinnend noch eine kurze Zeit nach, bis er ganz hinter den dichten Papao- und Sassafrasbüschen verschwunden war. Dann aber schritt er schnell zu seinem Pferde, das ihn ruhig grasend erwartete, schwang sich in den Sattel, setzte dem Thiere die Hacken in die Seite und galoppirte, so rasch es ihm das dichte Unterholz erlaubte, waldeinwärts, der Wohnung Roberts' wieder zu.

33.
Der entlarvte Verbrecher.

Harper und Bahrens hatten sich ungern der Einladung gefügt. Sie war aber so herzlich gestellt gewesen, daß Beide nicht umhin konnten sie anzunehmen, und nun ihre Thiere sattelten und aufzäumten, um später die Gesellschaft nicht auf sich warten zu lassen.

Marion betrieb mit einer gewissen unruhigen Angst alle Vorbereitungen zu dem Schritt, der sie von nun an für immer [] aus dem elterlichen Hause entfernen sollte, und so auffallend stark war eben dieses Gefühl in ihren Zügen ausgeprägt, daß selbst der rauhe, in solchen Sachen höchst unbekümmerte und sorglose Bahrens es bemerkte und Harper darauf aufmerksam machte. Dieser versuchte jedoch, es ihm auszureden, und schweigend besorgte Jeder das, was er noch zu besorgen wünschte.

Mrs. Roberts hatte aber gar Manches vorzurichten und einzupacken und eine Zeit lang mit augenscheinlicher Ungeduld dem Hin- und Herlaufen der verschiedenen Menschen zugesehen. Endlich aber siegte ihre gewöhnliche Unruhe, mit der sie gern Alles selbst thun, Alles selbst besorgen wollte, und aus dem Stuhl, in dem sie gesessen, aufstehend, wandte sie sich an Marion und Ellen, und sagte, Marion's Bonnet dabei vom Nagel nehmend:

»Kommt, Kinder – zieht Euch an und macht, daß Ihr fortkommt; das Gelaufe wird mir hier zu arg. Ich habe noch eine Masse von Kleinigkeiten zusammen zu räumen und mitzunehmen, die in einer neuen Haushaltung unumgänglich nothwendig sind, in einer Junggesellenwirthschaft aber selten gefunden werden. Unterdessen kommt dann Mr. Rowson zurück, Sam muß die beiden Körbe auf sein Pferd nehmen, und wir Drei folgen Euch so schnell als möglich. Dort mögt Ihr Euch nachher unterhalten, so gut Ihr könnt. Ohnedies lassen wir Euch nicht lange warten.«

Hiergegen hatte Niemand etwas einzuwenden, selbst Harper sträubte sich nur noch schwach, und bald darauf setzte sich die kleine Karawane, von Roberts und Bahrens angeführt, in Bewegung, während Mrs. Roberts, geschäftiger als je, zwischen allen möglichen Krügen und Kästchen und Kisten und Schachteln umherfuhr. Eine ganze Menge von Sachen stellte sie heraus, die sie nachher als gar nicht transportabel wieder wegthun mußte, und hatte schon zum dritten Mal die beiden Körbe ausgepackt, um sie immer wieder auf's Neue zu füllen. Da plötzlich, wie sie noch in bester Arbeit war, erschien die Gestalt des Indianers in der Thür, und so ernst und düster schaute der rothe Krieger unter seinen wild die Stirn umflatternden [] Haaren hervor, daß die Matrone wirklich einen leisen Schrei des Schrecks oder vielmehr der Ueberraschung ausstieß. Sie hätte beinahe das irdene Gefäß mit getrockneten Pfirsichen, das sie in der Hand trug, fallen lassen.

»Ach, Assowaum,« rief sie endlich lächelnd – »bin ich doch beinahe erschrocken, als ich Euch so unerwartet dastehen sah – es war fast wie ein Gespenst. Ihr habt Euch recht lange nicht sehen lassen. Wie ist es Euch gegangen?«

»Hat der blasse Mann das braunäugige Mädchen schon heimgeführt?« sagte der Indianer, ohne ihre freundliche Anrede zu beachten und nur ängstlich forschend im Zimmer umherschauend – »ist Assowaum zu spät gekommen?«

»Was habt Ihr, Mann?« rief die Matrone, jetzt in der That vor den rollenden Augen des Wilden entsetzt; »was wollt Ihr mit Mr. Rowson, den Ihr ja doch wohl immer den blassen Mann genannt habt?«

»Ich will noch nichts von ihm,« flüsterte Assowaum, »noch nicht; aber die Regulatoren verlangen nach ihm!«

»Was geht er die Regulatoren an, er gehört ja nicht zu ihnen – billigt ihre Versammlungen nicht einmal –«

»Das glaub' ich,« lächelte der Wilde, aber so schauerlich durchzuckte selbst dieses Lächeln seine dunkeln Züge, daß die Matrone ernstlich fürchtete, er sei über den Verlust seiner Squaw wahnsinnig geworden. Vorsichtig schaute sie sich auch nach dem Negerknaben um, der eben ihr eigenes Pferd draußen vor der Thür sattelte.

Assowaum mochte lesen, was in ihrer Seele vorging, denn er fuhr mit der Hand über die Stirn, strich sich die herübergefallenen Haare glatt und sagte leise: »Assowaum ist nicht krank – aber er kam hierher, Eure Tochter zu retten. Ist es zu spät?«

»Meine Tochter? Allmächtiger Gott, was ist mit ihr? was sollen Eure räthselhaften Reden? Sprecht das Schreckliche aus – was ist mit meinem Kinde?«

»Ist Marion schon des blassen Mannes Weib?«

»Nein – aber was hat Mr. Rowson –?«

[] »Die Regulatoren sind auf seiner Fährte – er ist der Mörder Heathcott's –«

»Großer Gott!« rief die Matrone entsetzt und wankte zu dem Sessel zurück, während der Indianer ruhig und ernst in der Thür stehen blieb.

»Das ist Verleumdung,« sagte sie endlich, sich ermannend – »schändliche, niederträchtige Verleumdung. Wer ist der Bube, der ihn dessen angeklagt?«

»Ich selbst,« sagte Assowaum leise – »ich selbst,« wiederholte er nach kurzer – athemloser Pause. – »Er mag sich vertheidigen, aber ich fürchte – an seinen Händen klebt auch das Blut Alapaha's – meines Weibes –«

»Entsetzlich – fürchterlich,« stöhnte die unglückliche Frau, »und mein Kind – Aber nein, es ist nicht möglich – es ist ein Irrthum – ein schrecklicher, wahnsinnig machender Irrthum, der sich bald aufklären wird und muß. Er wird rein und unschuldig vor jedem Gericht hervorgehen.«

»Onishin,« sagte der Indianer – »wo aber sind die Eurigen? – wo ist der alte Mann, wo das Mädchen? wo der blasse Mann selbst?«

»Er muß augenblicklich zurückkehren – Marion und Roberts sind vorausgeritten nach seinem Hause; heute Nachmittag soll in des Richters Wohnung die Trauung stattfinden. Mensch – es ist ja nicht möglich – Rowson – der fromme, gottesfürchtige Mann kann kein Verbrecher sein. – Er müßte denn den Regulator, der ihn stets beleidigte und kränkte, in der Hitze erschlagen haben –«

»Und wen beschuldigte er der That?« frug der Indianer ernst; »der blasse Mann hatte zwei Zungen in seinem Munde, die eine sprach mit seinem Gott und die andere zürnte dem Verbrecher. That er recht, wenn er das Blut an seiner eigenen Hand wußte?«

»Ich kann es nicht glauben – ich kann es nicht begreifen,« jammerte die Frau händeringend.

»Denkt Ihr an den Tag nach Alapaha's Ermordung?« sagte Assowaum mit unterdrückter Stimme, indem er den kleinen Tomahawk seiner Squaw aus dem Gürtel nahm und auf [] den Tisch legte. »Mit dieser Waffe,« fuhr er dann, fast noch leiser, aber mit deutlicher, nur hohl und geisterhaft klingender Stimme fort, »mit dieser Waffe wehrte sich die Blume der Prairien gegen den feigen Mörder, und Rowson's Arm war an jenem Tage verletzt. Diesen Knopf« – flüsterte er weiter, die Reliquie dabei aus seiner Kugeltasche nehmend, »wand ich aus den im Tode krampfhaft geschlossenen Fingern Alapaha's. Er muß Rowson's sein – Assowaum hat Leute gesprochen, die da sagten, das sei Rowson's Knopf.«

»Das sind Alles nur noch unsichere, schwankende Vermuthungen,« rief die Matrone, sich erhebend und dem rothen Sohn der Wildniß fest in's Auge schauend – »das ist noch kein Beweis, Mann. – Ich sage Euch, es ist nicht möglich – Rowson ist unschuldig!«

»Onishin! dann fragt ihn selber, denn dort kommt er,« erwiderte Assowaum ruhig. – »Wird der blasse Mann noch blässer werden, wenn ihm die gute Frau sagt, daß er ein Mörder sei?«

Ehe die Matrone einer Antwort fähig war, hatte der Wilde den kleinen Tomahawk wieder an sich genommen und mit geräuschlosem Schritt ein Versteck, das in der Ecke stehende, mit weißem Fliegennetz überhangene Bett, erreicht. Fast in demselben Augenblick hielt auch das Pony des Predigers, ganz mit Schaum bedeckt, an der Fenz. Der Reiter schwang sich aus dem Sattel und betrat gleich darauf die Schwelle, wo er allerdings das bleiche Aussehen der Matrone hätte bemerken sollen. Zu sehr aber mit seiner eigenen Gefahr beschäftigt, frug er nur mit heiserer, fast tonloser Stimme, wo seine Braut, wo die Männer wären; ja, ein Fluch schwebte ihm auf den Lippen, als Mrs. Roberts, zwar noch zitternd, aber doch schon wieder gesammelt, antwortete, sie wären vorausgeritten und erwarteten ihn und sie selbst bald nach. Die alte gewohnte Scheu hielt jedoch noch jedes rauhe Wort zurück, und er wollte sich schon wenden, um Jene noch möglicher Weise zu überholen. Erst einmal das eigene Haus zeitig genug erreicht, durfte er ja doch hoffen, seine Flucht zu Wasser zu ermöglichen, die ihm zu Land vielleicht schon abgeschnitten [] war. Da rief ihn Mrs. Roberts zurück und bat ihn, zu ihr zu treten.

Wohl fühlte er, daß jetzt weitere Verstellung nur unnöthige Zeit vergeude und er vielleicht gar den günstigen Moment versäumen könne. Dann gewann aber auch sein besseres Gefühl, der Frau gegenüber, die er so fürchterlich getäuscht hatte, die Oberhand, und er beschloß, wenigstens in Frieden von ihr Abschied zu nehmen. Schnell schritt er in dieser Absicht zu dem Tisch zurück, an dem sie lehnte, und hier fiel ihm zum ersten Mal ihr ganz verändertes, bleiches Aussehen auf. Ehe er jedoch hierüber eine Frage thun konnte, sagte die Matrone sehr ernst, aber immer noch freundlich:

»Mr. Rowson, wollen Sie versprechen, mir auf Etwas, das ich Sie fragen werde, frei und offen zu antworten?«

»Ja,« sagte der Prediger halb bestürzt und halb verlegen – »doch muß ich Sie bitten, sich zu beeilen, denn ich – ich muß wirklich noch einmal fort – Sie wissen, daß so viele Geschäfte –«

Er hatte nicht das Herz, sein Auge zu ihr zu erheben; ein ihm selbst unerklärbares Gefühl beängstigte ihn, – es war ihm, als ob er vor seinem Richter stände.

»Mr. Rowson,« sagte die alte Dame jetzt mit leisem, aber deutlichem Ton – »Es sind mir heute Morgen wunderbare Sachen von Ihnen erzählt worden!«

»Von mir? von wem?« frug der Prediger erschrocken, »wer war hier?«

»Es sind immer noch bloße Vermuthungen,« fuhr Mrs. Roberts ruhig fort – »und ich hoffe zu Gott, daß es auch nur Vermuthungen bleiben sollen. Aber nothwendig ist es, daß Sie selbst erfahren, was man von Ihnen sagt, um sich dann kräftig und vollständig dagegen vertheidigen zu können.«

»Ich weiß in der That nicht – diese räthselhaften Worte – was ist nur vorgefallen?« stotterte Rowson, immer verlegener werdend, und schon warf er einen scheuen Seitenblick nach der Thür, als sei er ent schlossen, den Faden kurz abzuschneiden und sich durch die Flucht jeder weiteren Frage zu entziehen. Unwillkürlich hatte er indessen mit einer Blume [] gespielt, die auf dem Tische lag, an dem er lehnte, und ebenso nahm er jetzt den Knopf auf, den der Indianer dort zurückgelassen hatte.

»Rühren Sie den Knopf nicht an, Sir – um Gottes willen,« rief die Matrone, die es bemerkte, in einem plötzlichen Gefühl des Schreckes und der Angst – »er ist –«

»Was fehlt Ihnen, Madame Roberts?« frug aber Rowson, der sich rasch gesammelt hatte und entschlossen schien, diesem Gespräch ein Ende zu machen. »Sie scheinen außer sich. Was ist mit dem Knopf? es ist einer der meinigen, der wahrscheinlich –«

»Der Ihrige?« schrie entsetzt die Matrone und hielt sich an der Lehne ihres Stuhles – »der Ihrige?«

»Was ist Ihnen?«

»Den Knopf fand Assowaum in der Hand seines schändlich gemordeten Weibes,« rief jetzt die bis dahin ängstliche und schwache Frau, sich hoch und fast krampfhaft aufrichtend. »Nur der Mörder Alapaha's kann den Knopf verloren haben –«

Des Priesters Hand fuhr wie unbewußt an seine Seite, wo er die versteckten Waffen trug. Als er aber den scheuen Blick im Zimmer umherwarf, begegnete sein Auge dem des Indianers, der, die Büchse erhoben, fest im Anschlag auf ihn lag und ihm donnernd zurief:

»Ein Schritt, und Du bist eine Leiche!«

Rowson hielt sich für verloren. Da bemerkte Madame Roberts die drohende Stellung des Wilden und nicht anders glaubend, als daß dieser hier gleich an Ort und Stelle Rache für das unschuldig vergossene Blut seines Weibes nehmen wolle, warf sie sich von der Seite auf ihn – drückte den todbringenden Lauf in die Höhe und rief entsetzt aus:

»Oh, nur nicht hier – nur nicht hier vor meinen Augen!«

Rowson sah diese Bewegung und wußte, daß dies vielleicht der letzte günstige Augenblick sei, der sich ihm zur Flucht böte. Mit der Gewandtheit eines Panthers sprang er daher, ehe der Indianer die Frau von sich abschütteln konnte, aus der Thür, schwang sich in den Sattel seines Ponys und war [] in der nächsten Secunde in dem Dickicht, das beide Seiten des schmalen Weges begrenzte, verschwunden.

Ihm nach stürmte in wilder Eile der rothe Krieger. Ehe er jedoch die fliehende Gestalt des Feindes wieder auf's Korn nehmen konnte, entzogen diesen schon die dichtbelaubten Büsche seinen Blicken wie seiner Kugel, und der Verbrecher war wenigstens für den Augenblick gerettet. – Aber so rasch entging er dem Verfolger nicht. Mit zwei Sätzen war Assowaum neben dem Reitpferd der Mrs. Roberts, das fertig gesattelt und aufgezäumt, von dem Neger gehalten, vor der Fenz hielt. Im Nu warf er den Damensattel ab, riß den Zügel aus der Hand des ganz verblüfften Schwarzen, schwang sich selbst auf den nackten Rücken des Thieres und folgte, diesem die Hacken wüthend in die Seiten schlagend, den Fährten seines Opfers.

34.
Die Belagerung.

»Seht Ihr wohl, ich hatte doch Recht – das ist das Haus!« sagte Roberts, als die kleine Karawane den Rand der Waldlichtung betrat und nun vor dem einfachen, von hoher Fenz umgebenen Gebäude stand, das mit dem heutigen Tage Marion's ganze Welt in sich fassen sollte.

»Wahrhaftig!« rief Harper verwundert, »aber die Bäume waren nach ganz anderer Richtung hin angezeichnet. Ich glaubte nicht anders, als daß er irgendwo in dem hohen Lande, weiter hinauf, wohnen müßte. Jetzt werden wir ja fast halbe Nachbarn, denn mein Haus liegt gar nicht so sehr weit von hier entfernt, den Fluß hinunter.«

[] »Nun, Marion, wie gefällt Dir der Platz?« frug der alte Roberts, sich zu seiner Tochter wendend – »heh? ein bischen still und schaurig, nicht wahr? Ja, das macht die Nähe des Flusses mit den dichten Sykomoren, den dunkeln Weiden und den einzelnen Baumwollenholzbäumen, die sich hier noch finden; weiter hinauf stehen sie übrigens sehr selten, und Smeirs hat mir neulich versichert –«

»Es ist auch hier recht still und einsam,« flüsterte Marion, Ellen's Hand ergreifend, als ob sie sich selber scheue, die lautlose Ruhe durch ihre Stimme zu stören – »ich weiß nicht, was den Platz so öde, so – schauerlich macht.«

»Weil das Vieh fehlt,« sagte Bahrens. – »Das ist ganz natürlich. Wo keine Kuhglocken läuten und die Hühner und Ferkel nicht auf dem Hofe herumjagen, wo Einem nicht ein paar Hunde entgegenspringen und einen Spectakel machen, daß man sein eigenes Wort nicht hören kann, und eine Herde Gänse immer gerade zu derselben Zeit zu schnattern anfängt, wo man Dem, der uns erwartend im Hause steht, etwas zurufen will, da ist's auch nicht wohnlich und gemüthlich und es würde mir wenigstens stets unbehaglich vorkommen.«

»Wozu sollte sich aber Mr. Rowson Vieh anschaffen,« warf Harper ein, »wenn er vielleicht schon in acht Tagen wieder auszieht.«

»Ach was da,« erwiderte Bahrens. »Wenn ich nur drei Tage auf einem Flecke wohnte, müßte ich wenigstens ein paar Hühner oder Ferkel um mich herum haben, die das liebe Getreide aufläsen, was sonst verwüstet wird. Seht nur, wie's da drin im Hofe aussieht, der Mais liegt dicht gestreut am Boden! ach, wenn das meine Alte sähe!«

»Wird jetzt schon anders werden.« lachte Roberts – »die Frau wird ihm den Kopf schon zurechtsetzen, und es ist nun auch ein möglicher Fall, daß nicht mehr alle Sonntage zweimal, und manchmal Mittwochs einmal gepredigt wird. Für die Bequemlichkeit der Pferde ist übrigens gesorgt, das muß wahr sein – Tröge genug.«

»Was hast Du, Ellen?« frug Marion, selbst beunruhigt, [] als die Freundin einen leisen, halb unterdrückten Schrei ausstieß – »was war da?«

»Oh nichts,« lächelte das Mädchen verlegen und warf dabei einen flüchtigen, aber immer noch scheuen Seitenblick nach dem Hause hinauf – »nichts – es war bloße Täuschung. Mir kam es aber auf einmal vor, als ob da oben, zwischen den beiden offenen Spalten, ein Auge hervorgeleuchtet hätte.«

»Wo? da oben?« lachte Bahrens- »da würde sich wohl schwerlich ein Gast einquartirt haben. Wer hier im Hause wohnen wollte, fände beqemere Plätze – die Thür ist ja offen.«

»Und was für eine Thür!« sagte Harper, der die Pforte jetzt öffnete und das Haus zuerst betrat, »merkwürdig stark, als wenn er wunder wie große Reichthümer hier aufbewahrte. Nun – ziemlich ordentlich sieht's aus,« fuhr er dann fort, sich überall umschauend – »für eine Junggesellenwirthschaft nämlich, denn die Frauen möchten noch Manches daran auszusetzen haben. Das läßt sich aber nicht anders verlangen; bei uns unten bleibt ebenfalls viel zu wünschen übrig. Als freilich Alapaha noch lebte,« seufzte er dann still vor sich hin, »da war es dort auch immer recht wohnlich und hübsch – und da –«

»Es wird schon wieder so werden, Harper,« unterbrach ihn Bahrens freundlich – »vielleicht noch besser. – Brown muß heirathen, und dann braucht Ihr nachher nicht mehr über Junggesellenwirthschaft zu lamentiren; dann haben die Junggesellen ausgewirthschaftet.«

»Nun herein da, Ihr Mädchen!« rief Roberts, der sich jetzt den beiden Männern angeschlossen hatte, »herein da mit Euch.« – Hier beginnt Euer Reich, und Marion mag gleich Besitz nehmen.

»So –« fuhr er fort, als sie seinem Wunsche Folge geleistet, »so – das ist recht. – Nun kommt und wirthschaftet hier nach Herzenslust, und wir wollen indessen draußen ein Feuer anzünden und den eisernen Kessel darüber hängen. Eine Küche ist doch nicht beim Hause, wie ich sehe, und meine [] Alte, die gar nicht mehr lange bleiben kann, denn in solchen Sachen –«

»Hei–ho,« rief Bahrens lachend – »er geht wieder durch. – Hier ist Schwamm; wo aber machen wir das Feuer an? Ein unbequemer Platz für Holz das – wenigstens fünfzig schritt weit zu tragen. Da wollen wir lieber erst ein paar Aeste herbeiholen – ist denn keine Axt auf der Farm? Schöne Einrichtung das!«

»Dort in der Ecke lehnt eine,« sagte Harper.

»Gut, dann bleibt Ihr nur indessen hier.«

»Nein, ich will mit Holz tragen,« meinte Roberts, »Harper mag Feuer anmachen – dürres Laub und Reisig hat ja der Wind genug hergeschafft.«

Die Männer gingen nun lachend und erzählend an ihre Beschäftigungen, und die Mädchen blieben allein im Hause zurück. Ihre Stellung aber veränderten sie nicht, und mit ineinander verschlungenen Händen sahen sie sich ernst und still in die Augen. Da endlich konnte Marion den inneren Gefühlen nicht länger gebieten, und sich an die Brust der Freundin werfend, machte ein lindernder Thränenstrom dem lange und arg bedrängten Herzen Luft.

»Marion, was fehlt Dir?« frug Ellen erschreckt, »was um Gottes willen hast Du? – Dich quält irgend etwas Entsetzliches – ich habe es Dir lange angesehen – Du bist nicht glücklich.«

»Nein,« schluchzte das arme Mädchen und umschlang nur fester die Freundin, die ihre Arme zu lösen suchte, um dem Auge der Weinenden zu begegnen. »Nein – Gott weiß es – ich bin nicht glücklich und – werde es nie werden.«

»Aber was ist Dir? Um des Heilandes willen! so habe ich Dich noch nie gesehen – Du zitterst und bebst – Marion, was fehlt Dir?«

»Was mir fehlt?« frug die Braut des Methodisten, sich wild und krampfhaft emporrichtend. – »was mir fehlt? – Alles – Alles auf der weiten Welt – Vertrauen – Liebe – Hoffnung – ja selbst die Hoffnung fehlt mir, und jetzt [] – jetzt ist es zu spät – zu spät – ich kann nicht mehr zurück.«

»Marion, Du ängstigst mich!« flüsterte schüchtern die Freundin, die sie bebend umschlang – »was sollen all' die räthselhaften Worte? Kannst oder darfst Du mir nicht vertrauen?«

»Noch kann und darf ich,« sagte jetzt entschlossen Marion und strich sich die dunkeln Locken aus der Stirn zurück – »noch sind wenige Minuten mein eigen, noch bin ich Herrin meiner selbst; in einer Stunde vielleicht ist es spät. – So höre denn, Ellen, was mich bis zu diesem Augenblick elend gemacht hat, was mir von diesem Augenblick an mein ganzes zukünftiges Leben verbittern wird – was hast Du? was ist?«

»Sieh nur dort,« sagte das Mädchen erstaunt – »ist das nicht Mr. Rowson? – Großer Gott, das Pferd muß mit ihm durchgehen. – Sieh nur, wie es jagt.«

»Hallo, Rowson!« schrieen Bahrens und Roberts am Waldsaum, die ihn erst jetzt erblickten – »was zum Teufel ist vorgefallen?«

»Alle Wetter!« rief Harper und sprang auf die Seite, denn das keuchende, schäumende Thier hätte ihn fast über den Haufen gerannt – »Rowson, seid Ihr des Teufels? Was zum Henker habt Ihr?«

Dieser aber würdigte keinen der Männer einer Antwort, nicht einmal eines Blickes. Er sprang vom Pferde, stürzte durch die schmale Fenzpforte in das Haus – warf auch diese Thür, zum Entsetzen der beiden Mädchen, in's Schloß, schob zwei eiserne Riegel vor, riß die Büchse von dem Haken herunter und blickte jetzt erst im Zimmer umher, als sei er fest entschlossen, den Ersten, der sich ihm in den Weg stellen würde, niederzuschießen.

»Allmächtiger Gott – Mr. Rowson,« rief Ellen zu Tode erschrocken – »was wollen Sie thun? Ihre Braut ermorden?«

»Cotton!« schrie Rowson mit heiserer Stimme, als er sich überzeugt hatte, daß keiner der Männer in der Hütte weile, und ohne die Mädchen weiter eines Blickes zu würdigen – »Cotton!«

[] »Ja,« antwortete dieser mürrisch von oben herab – »ich bin hier, aber – habt Acht da unten – der Indianer kommt. Höll' und Teufel – war Euch der nicht auf den Fersen?«

»Kommt herunter – schnell!« befahl der Prediger, indem er mehrere kleine Pflöcke aus den Zwischenspalten der Klötze herausnahm und so zu gleicher Zeit Schießscharten und Ausschaulöcher bildete. – »kommt herunter – es wird gleich Arbeit geben. – Wir haben Einquartierung.«

Wie eine Katze glitt jetzt der Jäger an den rauhen Stämmen der Hütte nieder, und Ellen bedurfte nun Marion's Arm, sich aufrecht zu halten, als sie den Mann erblickte, den sie von allen Menschen der Erde am meisten fürchtete, und der jetzt unter so sonderbaren, geheimnißvollen Verhältnissen auf dem Schauplatz erschien.

»Was soll das heißen? – um Gottes willen, Mr. Rowson, lassen Sie uns hinaus,« bat Marion, in diesem Augenblick zum ersten Mal befürchtend, daß sie gefangen und in der Gewalt voll Verbrechern wäre. – »Lassen Sie mich zu meinem Vater – was bedeutet dies Alles?«

»Wirst es bald erfahren, Täubchen,« lachte höhnisch der Jäger, indem er die zweite Büchse über dem Kamin wegnahm – »wirst es bald erfahren. – Aber Gift und Klapperschlangen,« fuhr er dann, sich zu Rowson wendend, zornig fort – »Ihr habt mich hier schön mit in die Falle gelockt – Thor, der ich war, in das Nest hinauf zu kriechen. Jetzt könnt' ich ruhig im Canoe sitzen und eine fünf Meilen sichere Distanz zwischen mir und den Schuften da draußen haben.«

»Zurück da,« schrie Rowson durch die Spalte, ohne etwas auf die Vorwürfe des Gefährten zu erwidern – »zurück, oder Ihr seid des Todes!« und in demselben Augenblick krachte auch sein Schuß durch die Spalte der Hütte, und das entladene Gewehr niederwerfend, war er mit einem Satz am Bett, riß die Matratze her unter und brachte noch vier andere geladene Büchsen zum Vorschein.

»Warte, rothe Bestie!« murmelte er dann vor sich hin – [] »Dir hoff' ich das Spioniren gelegt zu haben. – Zurück von der Thür da!« donnerte er jetzt die Mädchen barsch an: »es ist bitterer Ernst – zurück, wenn Euch Euer Leben lieb ist!«

»Was sollen wir aber mit den Dirnen hier?« frug Cotton ärgerlich.

»Sie als Geißeln behalten,« sagte der Methodist, »ihr Leben bürge uns für das unsrige. – Halten wir uns nur bis zum Dunkelwerden, so sind wir gerettet!«

»Das seh' ich auch noch nicht ein,« antwortete murrend der Jäger, indem er erst vorsichtig nach allen Richtungen umherschaute und dann die abgeschossene Büchse aus der ihm bezeichneten Kugeltasche wieder lud – »Abends werden sie Feuer um das Haus herum anzünden, oder es gar in Brand stecken.«

»Dafür stehen uns die Mädchen,« lachte Rowson, »aber hallo – da kommt der alte Roberts, allein, ohne Büchse – er will sein Kind wieder haben. Kann nicht geschehen, Alter.« –

Die drei Männer, eher des Himmels Einsturz als dem Aehnliches, was sich hier vor ihren Augen zutrug, vermuthend, hatten mit Staunen das Heransprengen des Methodisten bemerkt und im ersten Augenblick wie Ellen geglaubt, das Pferd ginge mit ihm durch. Kaum war aber der sonst so ruhige Prediger im Innern seines Hauses verschwunden, und noch hatten Bahrens und Roberts, der Eine mit der Axt, der Andere mit einem abgehauenen Ast auf der Schulter, die Fenz nicht erreicht, als schon wieder donnernde Hufschläge hinter ihnen laut wurden. Wie sie aber überrascht den Kopf danach wandten, sprengte der Indianer heran, die langen schwarzen Haare im Winde flatternd, die Büchse in der Rechten, den Zügel lose in der Linken, und hinunter gebogen fast bis auf das rechte Knie, um die Fährten, denen er folgte, deutlicher erkennen zu können.

»Assowaum!« riefen Jene erschrocken und überrascht – »was ist vorgefallen? Was willst Du mit dem Prediger? Was hat er gethan?«

»Sein Blut will ich!« knirschte der Wilde – »sein rothes [] Blut – das Herz aus seinem Leibe!« und sich von dem Rücken des mit Schaum bedeckten Thieres werfend, stürmte er gegen die Fenz und kletterte daran empor. In demselben Augenblick ertönte die Stimme des Methodisten, der Schuß krachte aus dem Innern hervor, und Assowaum stürzte von der Fenz, deren oberste Stange er eben erreicht, hinunter. Ehe sich aber die Männer von ihrem Schreck erholen konnten, sprang er wieder empor, floh um die hohe Einzäunung herum und trat dort hinter einen starken Baumstamm, von wo aus er die Rückseite der Hütte beschießen und jede Flucht nach dem Flusse zu abschneiden konnte.

Hierhin folgten ihm Bahrens und Harper. Roberts aber schritt aus das Haus zu, fest entschlossen, sein Kind den Händen des Verfolgten zu entreißen. Er wußte zwar noch nicht, wessen man den Methodisten beschuldigte, aber dessen räthselhaftes Betragen verrieth zu deutlich, wie er sich irgend eines Vergehens bewußt sein mußte.

»Zurück da!« rief ihm Rowson aus dem Hause entgegen – »zurück, wenn Euch Euer Leben lieb ist.«

»Mein Kind gebt mir heraus,« rief Roberts, »die beiden Mädchen laßt aus dem Hause. – Ich schwör' es Euch zu, ich habe nichts gegen Euch, ich begreife nicht einmal, was dies Alles bedeuten soll; aber Ihr habt auf den Indianer geschossen – es ist Blut geflossen, und ich will die Weiber von einem Orte nehmen, wohin sie nicht passen. Gebt mir mein Kind!«

»Zurück da!« schrie Rowson drohend und hob die Büchse. Marion warf sich ihm aber in die Arme und rief flehend:

»Um Gottes willen – Mann – wollt Ihr meinen Vater morden?«

»Schafft mir die Dirnen vom Halse, Cotton!« rief der Prediger ärgerlich – »hört nur, wie der Narr draußen an der Thür rüttelt – ein Glück, daß sie den Sturm nicht zusammen versucht haben, sonst hätt' es uns bös bekommen können. Jetzt an's Werk – die Mädchen müssen gebunden werden – deren Arme dürfen uns nicht mehr hinderlich sein – und schweigen sie nicht, auch geknebelt. Wir haben [] nur noch wenige Minuten freie Zeit, und die müssen wir benutzen!«

»Hülfe! Hülfe!« schrieen und flehten die beiden Jungfrauen, als sie sich von den rauhen Händen der Männer erfaßt und gefesselt fühlten.

»Räuber! Schuft!« tobte der alte Roberts und riß mit der Kraft der Verzweiflung an der eichenen Thür. Auch Bahrens stürmte herbei, dem Freunde zu helfen, und Harper selbst, so sehr er sich auch durch die letzte Aufregung geschwächt fühlte, griff nach einem frisch abgehauenen Ast, um seinen schwachen Arm ebenfalls dem Vater zu leihen. Ehe aber die Männer die Fenz überklettert und die Thür erreicht hatten, waren auch die schwachen, zitternden Glieder der beiden Unglücklichen von starken Seilen umwunden, und Rowson rief drohend aus:

»Oeffnet Eure Lippen noch zu einem Hülfeschrei und ich schieße den alten weißköpfigen Narren wie einen Hund nieder.«

»Gnade! Gnade!« flüsterte Marion leise und zitternd – »Erbarmen!«

»Schießt einmal hinaus, Cotton, verwundet aber Keinen,« rief diesem der Methodist zu. – Er selber trat dabei mit der Büchse an eine der Hinteren Spalten und suchte den Indianer noch einmal zum Schuß zu bekommen. Assowaum hatte aber die Absicht des Priesters errathen und dachte nicht daran, sein Leben leichtsinnig preiszugeben. Deshalb war er, der Kriegführung seines Stammes getreu, hinter einen Baum geflohen, und von dort aus konnte er die Flucht seines Feindes verhindern, bis die ihm aus den Fersen folgenden Regulatoren eintreffen würden. Den Mörder Alapaha's lebendig und unverletzt zu fangen, war jetzt sein einziges Ziel.

Daß übrigens Brown, dem er sonst mit der ganzen Treue seines Volkes zugethan war, Marion liebe, wußte er nicht, wenn er es auch vielleicht geahnt hatte. Trotzdem hätte ihn aber auch das nicht von dem vorgesteckten Ziel abbringen können. Er wollte und mußte sein Weib rächen, und wäre die ganze Welt darüber zu Grunde gegangen.

Eine Kugel, aus Cotton's sicherem Rohre gefeuert, die [] Bahrens den Hut vom Kopfe riß, machte übrigens die Männer auf die Gefahr aufmerksam, der sie sich, unter dem Feuer des zum Aeußersten getriebenen Feindes, aussetzten; Roberts selbst hielt jetzt die Freunde von dem Versuch zurück, die schwere, feste Thür mit Gewalt zu stürmen. Waren sie doch nicht einmal bewaffnet und durften also auf diese Art nie hoffen, den Panther mit Erfolg in seiner eigenen Höhle anzugreifen.

»Ich will ihm allein und unbewaffnet entgegentreten,« sagte er, »er hat in meinem Hause viel Gutes genossen und wird es jetzt nicht wagen, mir die Erfüllung der einzigen Bitte, die Zurückgabe meines Kindes, zu versagen – geht daher,« bat er noch einmal, als er sah, daß Bahrens zögerte und wilde und trotzige Blicke nach dem Hause hinüber warf – »geht – ich hoffe noch Alles im Guten beizulegen und das Räthsel gelöst zu bekommen!«

Mit diesen Worten wandte er sich, als Bahrens und Harper die innere Umzäunung verließen, gegen die offene Spalte, hinter der er den Methodisten vermuthete, und wollte eben seine Anrede beginnen, als dieser höhnisch daraus hervorrief:

»Haltet ein, gestrenger Herr? – Ich habe zu lange selbst gepredigt, um an derlei Salbadereien noch viel Behagen finden zu können. Um aber kurz und bündig zu einem Verständniß mit einander zu kommen, so hört meine Worte, die diesmal nichts weniger als eine Predigt sein sollen, wenn gleich heute Sabbath, der Tag des Herrn, ist.«

»So hab' ich mich doch nicht in Dir geirrt – Bube!« knirschte der alte Mann in bitterem Groll, während er wild mit dem Fuße stampfte, »spotte nur noch unserer Leichtgläubigkeit, mit der wir Deinen glatten Worten trauten. – Aber wehe Dir, wenn Du einem der Mädchen, die ein unglückseliges Geschick in Deine Hand gegeben, ein Haar krümmst; stückweis wird Dir dann das Fleisch von den Gliedern gerissen!«

»Was hilft das Reden, ich –«

»Halt – sprich noch nicht,« rief der alte Mann in höchster [] Aufregung – »sieh, Du hast, wie es scheint, Schreckliches begangen, denn sonst kann ich mir Dein Betragen nicht erklären, aber was es auch sei, noch hast Du Zeit zur Flucht, und ich selbst will Dir dabei behülflich sein. – Nimm eins von meinen Pferden – nimm Geld – aber gieb mir mein Kind – gieb mir die beiden Mädchen zurück. Bedenke, wie freundlich Du bei uns aufgenommen warst – bedenke, daß ich Dich heute Sohn nennen wollte –«

»Nehmt den Vorschlag an,« rietf Cotton – »so wird er uns so bald nicht wieder geboten – versteht sich, wenn ich einbegriffen bin. Ich lasse die Mädchen frei –«

»Halt da,« unterbrach ihn schnell der Methodist – »seid Ihr wahnsinnig? Glaubt Ihr, der Indianer hinter dem Baume dort kehrt sich an das, was der alte Graukopf hier verspricht? Zeigt Guern Scalp an irgend einem offenen Platze und seht zu, wie bald sein Blei hier herüber spritzt. Nein, das sind nur Versprechungen, uns in die Falle zu locken. Vor Dunkelwerden blüht für uns keine Rettung.«

»Warum bahnen wir uns aber nicht jetzt mit Gewalt einen Weg? Die drei Männer sind unbewaffnet, sie können uns nicht aufhalten.«

»Und beschießt der verdammte rothhäutige Schuft hinter der Fichte dort nicht das ganze Flußufer?«

»Wie aber, wenn die Regulatoren hierher kommen sollten?«

»Mich wundert's, daß sie noch nicht da sind,« hohnlachte Rowson – »die Pest über sie – ich trotze ihnen dennoch!«

»Dann möcht' ich wissen, wie Ihr Nachts entfliehen wollt, wenn sie das Haus umzingeln?«

»Mit Wachtfeuern dürfen sie es nicht wagen,« flüsterte Rowson – »wir könnten sie sonst von hier aus auf's Korn nehmen. Lagern sie aber im Dunkeln, so sind wir gerettet. Ein schmaler Gang, den ich und Johnson mit unsäglicher Mühe gegraben, führt unter dieser Diele fort bis dahin, wo das Canoe versteckt liegt –«

»Und warum benutzen wir ihn nicht jetzt gleich? Kann sich denn eine bessere Gelegenheit finden?« rief ärgerlich Cotton.

[] »Blinder Thor!« zürnte Rowson – »jene schurkische Rothhaut steht in diesem Augenblick gerade über der Stelle, unter der im dichten Schilf der Kahn verborgen liegt. Wenn er ihn aber auch von da oben nicht sehen kann, so wäre es doch jetzt unmöglich, ihn, ohne verrathen zu werden, flott zu machen.«

»Aber die Regulatoren!«

»Gift und Tod über sie! Was in ihren Kräften steht, werden sie thun, aber sie dürfen es nicht wagen, das Haus feindlich anzugreifen, so lange wir diese Büchsen und die Mädchen als Geißeln haben.«

»Nun?« rief Roberts draußen – »hast Du meinen Vorschlag überlegt? – Ich sehe, es sind Eurer Mehrere. – Geht Alle – Alle, die Ihr in dem Hause Schutz gesucht habt, frei fort von hier, noch ist es Zeit, denn noch sind die Richter nicht da. Aber gebt mir mein Kind wieder, setzt die unschuldigen Mädchen in Freiheit!«

»Hört meine Antwort!« entgegnete Rowson – »mein Leben ist verfallen, und jener Indianer ist fest entschlossen, es zu nehmen. Könnt Ihr ihn bewegen, in Eure Bedingungen einzugehen, wohl, so bin ich bereit; könnt Ihr das aber nicht, so bedenkt, daß bei dein ersten Versuch, dieses Haus gewaltsam zu erstürmen, die beiden Mädchen von meinen Händen sterben.«

»Der Indianer muß sich fügen,« rief Roberts freudig – »er darf nicht – Allmächtiger Gott – es ist zu spät – dort kommen die Regulatoren!«

Er hatte Recht – das dumpfe Trampeln von einigen zwanzig Pferden ward bald durch das Rascheln und Brechen von Zweigen und dürren Aesten begleitet. Assowaum stieß seinen Schlachtschrei aus, und gleich darauf sprengten die Regulatoren, von Brown und Husfield angeführt, auf den Kampfplatz.

»Mee-eu wau iauyaumbaun!« jubelte der Indianer, als sie, schnell das Ganze übersehend, die Wohnung umzingelten – »jetzt ist er mein – jetzt hab' ich sein Blut!«

Rowson schien aber ganz die Gefahr zu kennen, die ihm [] drohte, wenn er in die Hände dieses Feindes falle; selbst die Regulatoren fürchtete er weniger als ihn. Wie der Indianer daher in der Freude des Augenblicks nur einen kleinen Theil seines Körpers hinter dem Baum sichtbar werden ließ, schoß ein zweiter Blitz zwischen den Spalten des Blockhauses hervor, und des Häuptlings Blut färbte aus einer zweiten Streifwunde die Erde.

In rascher Wuth über diese rasende Keckheit, selbst einem solchen Feinde noch zu trotzen, sprangen die Regulatoren aus den Sätteln und waren im Begriff, die Fenz niederzureißen, als sich ihnen Roberts in den Weg warf und die Noth verkündete, in der sein Kind schmachte.

»Großer Gott!« rief Brown – »Marion in den Händen jener Schurken – was läßt sich da thun?«

»Stürmen,« schrie Husfield wüthend – »stürmen und die Bestien mit Gewalt heraustreiben. – Laßt sie's wagen, den Mädchen ein Haar zu krümmen, und wir brennen ihnen die Glieder stückweis vom Leibe. – Geben sie sich aber gutwillig und auf Gnade oder Ungnade gefangen, so – so sollen sie blos einfach gehangen werden. Hier sind die Stricke.«

»Spart Eure schönen Reden,« lachte Rowson, der die Worte gehört hatte. – »Wer sich auf zehn Schritt der Wohnung naht, ist ein Mann des Todes. Wir sind hier unserer Sechs und haben achtzehn Büchsen. – Solltet Ihr aber dennoch Euer Leben so gering achten – gut, so schwör' ich's bei dem ewigen Gott, zu dem Ihr alle Sonntage heult und betet, daß die Mädchen vorher eines schmählichen Todes sterben – ich spaße nicht!«

»Hol' der Teufel den prahlerischen Schuft,« rief Husfield, indem er die Fenzstangen niederwarf; »mir nach, Kameraden, in fünf Minuten ist das Nest unser!«

»Halt!« schrieen dazwischen springend Brown, Wilson und Roberts – »halt – das wäre Mord – Mord an den unschuldigen Mädchen. Die Buben, zur Verzweiflung getrieben, sind zu dem Schrecklichsten fähig, und noch müssen sich andere Mittel finden, sie zu zwingen, als das Leben Derer, die mir beschützen wollen, so leichtsinnig preiszugeben.«

[] »Nennt Ihr das beschützen, wenn wir sie noch zwei Minuten in den Händen dieser Schufte lassen?«

»Es muß Rath geschafft werden;« schrie Brown – »nur nicht mit Gefahr ihres Lebens – wo ist der Indianer?«

»Gestattet uns freien Abzug – gebt uns wenigstens vierundzwanzig Stunden Vorsprung, und die Mädchen sind frei!«

»Gut! Es sei!« rief Brown schnell.

»Halt, Sir!« unterbrach ihn Husfield – »wir haben die Buben, die so Gräßliches vollführten, wir haben den Mörder des armen Heathcott in unserer Gewalt, und dessen Blut heischt allein schon Rache, blutige Rache; so leichtsinnig dürfen wir die nicht verscherzen. Hierüber hat übrigens die Versammlung abzustimmen. Wollt Ihr also, Ihr Männer, den Schuft entschlüpfen lassen, blos weil er damit droht, ein paar Mädchen, die er in seiner Gewalt hat, zu ermorden? oder –«

»Nein – nein – nein!« schrie die Menge, Harper, Wilson, Roberts und Brown ausgenommen.

»Männer – Ihr seid auch Väter – denkt an Eure Kinder!« flehte Roberts.

»Roberts!« sagte Stevenson, der bis jetzt geschwiegen hatte, vortretend – »seid ohne Sorge, Eurem Kinde soll und darf nichts geschehen; aber leichtsinnig war' es, jenen Verbrechern auf eine solche Drohung hin die Freiheit zu geben –«

»Laßt uns die Höhle stürmen,« riefen Viele, – »er weiß, was ihn erwartet, und wird seine Strafe nicht noch durch ein neues Verbrechen vergrößern wollen –«

»Nein, Ihr Männer von Arkansas!« hielt sie Stevenson auf – »ich bin zwar ein Fremder hier bei Euch, vergönnt aber auch mir ein Wort –«

»Redet, Stevenson!« sagte Husfield, »Ihr habt gehandelt, als ob Ihr zu uns gehörtet, und Euch dadurch alle Rechte erworben, die wir selbst besitzen.«

»Gut denn!« sagte der alte Mann mit unterdrückter Stimme, »so hört meinen Vorschlag – aber vorher stellt Wachen aus, daß uns keiner der Buben entgeht, während wir hier debattiren.«

»Der Indianer hält am Flusse Wache,« sagte Brown – [] »und an jeder Seite nach dem Walde zu stehen Zwei der Unseren; hier sind wir – Flucht wäre für sie unmöglich.«

»So hört meinen Plan,« fuhr Stevenson fort: »die Gefangenen, so viel es auch immer sein mögen, wissen, daß sie auf keinen Fall den Wald erreichen können, so lange es hell ist, und haben also ihre ganze Hoffnung auf die einbrechende Dunkelheit gesetzt. Mit Gewalt können wir, wie die Sachen jetzt stehen, nichts ausrichten, denn ich glaube mit Roberts und Brown, daß sie, zum Aeußersten getrieben, auch das Aeußerste wagen werden. Deshalb müssen wir jetzt zur List unsere Zuflucht nehmen. Sobald es dunkelt, wollen wir also hier vorn unsere Lagerfeuer anzünden, bei denen sich besonders der Indianer zeigen muß, daß sie ihn vom Hause aus sehen können.«

»Er wird sich ihren Kugeln nicht zum dritten Mal preisgeben wollen,« warf Cook ein.

»Hat keine Not,« erwiderte der Alte – »in der Dämmerung ist unsicheres Schießen, und dann wird es Jenen besonders daran liegen, uns ruhig zu halten – sie werden gewiß nicht den Frieden zuerst brechen. Ihre einzige Hoffnung ist dann der Fluß oder der umgrenzende Wald, da ich nicht weiß, ob ein Canoe hier liegt –«

»Nein, es ist keins zu sehen,« sagte Wilson.

»Gut,« fuhr der Alte fort, »dann werden sie um so eher den kleinen Fluß durchschwimmen wollen, um uns von der Fährte abzubringen. Einzelne Wachen müssen deshalb (aber so vorsichtig, daß Niemand vom Haus aus sie sehen kann) an den Waldgrenzen versteckt werden, und ich möchte meinen Hals verwetten, daß wir sie erwischen, wenn sie sich mit Dunkelwerden leise zu dem Flußrande hinabstehlen.«

»Und so viele Stunden noch soll ich mein Kind in den Händen der Mörder und Diebe wissen?« jammerte Roberts.

»Das geht auf keinen Fall an,« warf Husfield ein, »es ist kaum elf Uhr, und – Pest und Gift, ich kann die Zeit nicht erwarten, die betende Canaille hängen zu sehen!«

»Ja, wenn wir so wollen, Mr. Husfield,« lachte der Tennesseer, »dann geht's mir gerade so. Mir wird sie auch [] lang genug werden, aber was dürfen wir anders thun? – Die Halunken frei lassen? Das wollt Ihr selbst nicht, vor den ganzen Vereinigten Staaten könnten wir das auch nicht verantworten; und die armen Mädchen ihrer Wuth preisgeben, geht eben so wenig an. – Aber da kommt der Indianer herbeigeschlichen – seht nur, wie er sich aus dem Bereich ihrer Kugeln hält. Gegen den müssen sie eine ganz besondere Malice haben.«

Stevenson hatte recht – schlangenartig glitt Assowaum hinter niederliegenden Stämmen, Brombeerdickichten und dichten Baumgruppen hinweg, und erst als er nur noch einen offenen Waldfleck zwischen sich und den Männern sah, floh er flüchtigen Laufes über diesen hinweg und deckte durch den hier versammelten Menschenknäuel seinen Körper. Seine Vorsicht zeigte sich auch keineswegs unnütz, denn kaum hatte er den freien Platz betreten, so bewies eine dritte Kugel, wie genau jede seiner Bewegungen von dem Haus aus verfolgt war. Triumphirend aber schwang er diesmal die Büchse und hielt dann den von der zweiten Kugel getroffenen Arm dem Freunde hin, der augenblicklich sein Tuch vom Nacken riß und die blutende, jedoch unbedeutende Wunde verband.

»Weshalb hat denn der Methodist eine solch' entsetzliche Wuth auf Dich?« frug ihn jetzt Brown. – »Er verschießt kein Stück Blei, wenn er es nicht auf Deine rothe Haut abschicken kann.«

»Er kennt mich!« sagte der Indianer, sich stolz emporrichtend, »er weiß auch, daß er meiner Rache verfallen ist – er erschlug Alapaha!«

»Was? Dein Weib? Der Priester? Rowson? Die Indianerin?« riefen die Männer entsetzt und verwirrt durcheinander.

»Er erschlug Alapaha!« wiederholte tonlos der Wilde – »sein Blut war es, das diesen Tomahawk färbte.«

»Das ist eine überreife Frucht!« rief Husfield. »Mir kommt's wie Sünde vor, auch nur noch eine Stunde länger zu warten.«

»Halt,« sagte der Indianer, »stürmt Ihr das Haus, so [] stirbt der ›blasse Mann‹, er kennt sein Loos; er wird tapfer sein. Aber er gehört dem ›befiederten Pfeil‹ und darf nicht sterben. Er ist mein! Wartet, bis die Sonne in ihr Bett ist. Assowaum wird Euch führen!«

»So beschäftigt ihre Aufmerksamkeit wenigstens jetzt,« sagte Brown – »die armen Mädchen müssen ja verzweifeln, wenn sie uns hier draußen wissen und nicht ein Lebenszeichen von uns vernehmen. Sie werden uns der Feigheit zeihen.«

»Allerdings dürfen wir den Canaillen nicht zu viel Luft lassen,« sagte Wilson – »wer weiß, was sie sonst noch aus Uebermuth begehen. Wenn mich nicht Alles trügt, so ist der Schuft, der Cotton, auch mit dort drinnen, und der ist zu Allem fähig.«

»Auch Atkins' Mulatte ist uns entschlüpft,« sagte Cook. – »Möglich kann's sein, daß der dort ebenfalls eine Zuflucht gefunden hat.«

»Rowson redete ja von Sechsen,« warf Curtis ein.

»Prahlerei!« sagte Stevenson – »nichts als Prahlerei – er will uns einschüchtern. – Aber ist denn auch jener Platz wieder besetzt, wo der Indianer stand?«

»Euer Sohn ging nach der Richtung zu,« sagte Husfield, »der wird schon aufpassen.«

»Gut – dann wollen wir die Belagerten noch einmal zur Uebergabe auffordern und mit Sturm drohen, daß wir sie wenigstens in Schach halten,« sagte Brown.

»In was?« frug Bahrens erstaunt.

»Daß wir ihnen nicht zu viel Zeit zum Nachdenken lassen,« lächelte der junge Mann. »Wer will der neue Parlamentair sein?«

»Ich habe nichts dagegen,« sagte Bahrens, »was ich dazu beitragen kann, die Schufte von der rechten Fährte abzubringen, soll gewiß geschehen. Lieber ging' ich aber mit Büchse und Messer auf die Canaillen ein – hol' sie der Henker, mich juckt's ordentlich im Zeigefinger, eine halbe Unze Blei dahinüber zu senden. Wenn man nur nicht fürchten müßte, eins der Mädchen damit zu treffen.«

»Hallo, wer kommt da geritten?«

[] »Es ist Euer Neger, Roberts,« sagte Cook, »die Frau wird Todesangst zu Hause ausstehen, denn wie wir vorbeikamen, sah sie leichenblaß aus und rief uns nur zu, ihr Kind zu retten.«

»Schickt ihr den Burschen zurück und sagt, die Mädchen wären in Sicherheit,« bat Harper – »sie ängstigt sich sonst zu Tode. – Ehe der Junge dort ankommt, hoff' ich, haben wir das Wort wahr gemacht.«

»Natürlich darf ich ihr nicht sagen lassen, wie die Sachen stehen,« meinte kopfschüttelnd der alte Mann, »sie hätte den Tod vor Schreck. Ob sie denn wohl schon weiß, daß Rowson –«

»Sie rief: Rettet mein Kind aus den Händen des Predigers,« sagte Curtis – »wie sie's erfahren hat, weiß ich nicht.«

»Er verrieth sich selbst,« warf Assowaum ein. »Aber die Zeit drängt. Dort oben streichen die Aasgeier – sie kennen ihre Beute. Wir sind jetzt die Aasgeier, bis Abend müssen wir die Hütte umschwärmen. Der blasse Mann hält den Lauf seiner Büchse auf Assowaum gerichtet, wie der Truthahn nach dem Adler blickt, wenn er über ihm kreist. Sobald aber der Whip-poor-will zum ersten Mal schreit, dann verschwimmt das Korn seines Rohres, und er muß nach allen Gegenden hin achten, ob er nicht den Schlachtschrei der Odjibewas höre.«

35.
List und Gegenlist. – Der Ueberfall – Indianer und Methodist.

»Spart Eure Kugeln!« sagte Cotton ärgerlich, als Rowson auf den hinwegschleichenden Indianer im Anschlag lag und [] endlich, als er die schmale Lichtung übersprang, nach ihm schoß – »Ihr möchtet sie besser gebrauchen können. Der Indianer ist uns jetzt nicht gefährlicher, als irgend Einer der Anderen. Fielen wir der Bande in die Hände, so möchten sie die Stricke für uns bereit haben, ehe die Rothhaut ein Wort dazu sagen könnte.«

»Und wär' ich tausend Meilen von hier,« knirschte der Priester, »so würde ich mich nicht sicher glauben, bis ich den rothen Schuft unter der Erde weiß. – Der Anderen lach' ich.«

»Er hat seinen Posten verlassen,« flüsterte Cotton; »wäre es nicht möglich, das Canoe schnell flott zu machen und wenigstens an's andere Ufer zu entkommen?«

»Seid kein Thor und redet keinen Unsinn,« brummte Rowson ärgerlich, während er die abgeschossene Büchse wieder lud und dann die Zündpfannen der übrigen untersuchte. »Ihr wollt uns wohl durch unüberlegtes Handeln den letzten noch gebliebenen Rettungsweg abschneiden? Wagen wir es, das Canoe vorzuholen, so lange noch Tageslicht ist, und werden wir, was unbezweifelt geschehen mag, endeckt, so haben wir unser Fahrzeug eingebüßt und sind dann rettungslos in ihre Hände gegeben. Erreichten wir aber wirklich das andere Ufer, so hätten wir die ganze Bande heulender Schufte aus unserer Fährte. Bedenkt, daß es geregnet hat.«

»Wahr! Aber wenn sie uns so umstellen, daß wir es auch in der Nacht nicht erreichen können, und uns nachher aushungern –«

»Aushungern?« hohnlachte Rowson; »wer stürbe denn da eher, die Mädchen oder wir?«

»Allerdings,« sagte Cotton sinnend – »das dürfen sie schon derentwillen nicht thun – aber ich weiß nicht –«

»So will ich's Euch sagen,« flüsterte Rowson, ihn bei Seite ziehend, daß die beiden Jungfrauen seine Worte nicht vernehmen konnten. »Der Platz dort, wo das Canoe liegt, ist so versteckt und fern von hier, daß sie, wenn es dunkel wird, nicht daran denken werden, einen Posten dorthin zu stellen. Ihren Plan ahne ich. Sie hoffen auf einen Versuch [] von unserer Seite, das Flußufer zu erreichen, sobald es dunkelt, und das müßte auch geschehen, wenn wir nicht glücklicher Weise den unterirdischen Gang hätten.«

»Und was machen wir nachher mit den Mädchen? Verdammt will ich sein, wenn ich nicht jetzt eine ganz besondere Lust verspürte, sie mitzunehmen. Wenn wir Nachts auslagern, könnten sie uns unsere Mahlzeiten kochen, und – hol' sie der Teufel – man ist nachher durch keine großen Heirathsumstände gebunden.«

»Sie müssen mit,« flüsterte Rowson noch leiser – »wär' es auch nur deswegen, uns gegen die Kugeln der Feinde, vom Ufer aus, gedeckt zu sehen, wenn diese unsere Flucht ja zu früh erfahren sollten.«

»Gut,« schmunzelte Cotton, sich die Hände reibend. – »Der Lump – der Wilson ist auch unter den Regulatoren – es wird mir eine ganz besondere Wonne sein, dem den Bissen vor den Zähnen fortzureißen. Wie aber, wenn sie schreien?«

»Dafür sorg' ich schon,« erwiderte Rowson leise. »Natürlich müssen wir sie knebeln, doch damit sie jetzt nichts merken, wollen wir uns gar nicht um sie bekümmern. Ich werde ihnen indessen schon etwas vorlügen, das sie bis Abend ruhig hält.«

»Habt also indessen ein wachsames Auge auf die Burschen, daß sie uns nicht etwa unvermuthet über den Hals kommen,« fuhr er dann laut fort, »und wird es dunkel, so schlagen wir uns durch, den Wald müssen wir erreichen, und dann sind wir gerettet. Ihr aber« – wandte er sich hierauf an die Mädchen – »haltet Euch bis dahin hübsch ruhig, und wenn wir das Haus verlassen und Ihr uns nachher schwören wollt, nicht eher um Hülfe zu rufen, bis wir eine volle Stunde fort sind, dann sollt Ihr Euren Freunden noch heute zurückgegeben werden.«

»Wir wollen für Euer glückliches Entkommen beten,« rief Ellen freudig – »haltet aber Euer Versprechen, und oh – nehmt uns diese Fesseln ab. Ich gebe Euch –«

»Laß das unnütze Schwatzen, mein Täubchen,« sagte Cotton, [] durch die verschiedenen Ausschaulöcher indessen den Feind beobachtend – »seid froh, daß Ihr Eure Zungen frei behaltet, mit den Armen müßt Ihr Euch nun schon einmal bis zum Abend behelfen.«

»Die Stricke schmerzen mich,« bat Ellen, »Ihr habt sie so fest gebunden, sie zerschneiden mir das Fleisch –«

»Nun, dem läßt sich abhelfen,« sagte Rowson, indem er zu den Mädchen trat, die Knoten etwas zu lockern. »Und was macht mein Bräutchen?« fuhr er dann zu dieser gewendet fort, die verächtlich ihr Antlitz von ihm drehte, »so böse, mein kleines Bräutchen?« lächelte er, indem er ihr liebkosend die Locken aus der Stirn streichen wollte.

»Zurück, Verräther!« rief das schöne Mädchen mit funkelnden, zornblitzenden Augen – »zurück – oder ich rufe nach Hülfe und trotze Deinen Drohungen wie Deinen Waffen.«

»Aber, beste Marion –«

»An Euern Posten, Rowson – Gift und Klapperschlangen!« rief ärgerlich der Jäger – »ist's jetzt Zeit zu solchen Possenspielen! Wartet bis – Da draußen vertheilen sich die Regulatorenhunde wieder,« unterbrach er sich schnell. »Fast kommt mir's vor, als ob sie einen Angriff versuchen wollten. Ich hatte verdammte Lust, dem Brown eins auf den Pelz zu brennen – er ist gerade in Schußnähe.«

Marion lehnte sich zitternd an den Bettpfosten, an dem die beiden Mädchen zusammengefesselt standen.

»Nein – haltet Euer Blei zurück!« sagte Rowson, »wir dürfen sie jetzt nicht noch mehr aufreizen. Nur wenn sie in zehn Schritt Nähe kommen und verdächtige Bewegungen machen, dann Feuer! Und in diesem Falle natürlich die Führer zuerst weggeschossen – Brown, Husfield, Wilson und Cook – das sind die gefährlichsten.«

»Und der Indianer?«

»Der ist ausgenommen,« rief Rowson, »wo der ein Stück seines rothen Felles zeigt, da geb' ich Feuer.«

»Dort schleicht der Hund wieder hinter die Büsche,« sagte Cotton, durch die Spalten der Hütte zeigend, »seht nur, wie [] er sich am Boden hinschmiegt. Es ist gar nicht möglich, ein richtiges Visir auf ihn zu bekommen.«

»So zeigt jetzt einmal Eure Kunst im Schießen, mit der Ihr immer prahlt,« munterte ihn Rowson auf – »schickt dem indianischen Teufel dort ein Stück Blei durch die Rippen, und ich gebe Euch zweihundert Dollar.«

»Donnerwetter, Rowson,« sagte der Jäger verwundert, ohne jedoch seine Augen von der nur dann und wann für Secunden sichtbar werdenden Gestalt Assowaum's zu verwenden. »Ihr müßt verdammt reich sein, wenn Ihr zweihundert Dollar –«

Er fuhr mit der Büchse schnell an die Backe, als ob er schießen wollte, setzte jedoch nach einer Weile wieder ab – »zweihundert Dollar für einen Schuß versprechen könnt; aber versuchen will ich's – kommt er mir vor's Rohr –«

Wieder zuckte der Lauf in die Höhe, aber auch diesmal erreichte der »befiederte Pfeil« einen deckenden Schutzort, ehe Jener ihn auf's Korn nehmen und abdrücken konnte.

»Die Pest über seinen Schatten,« rief der Jäger, ärgerlich mit dem Fuße stampfend, »da will ich doch eben so gern mit der Büchse einem Blitz durch eine Hagedornhecke folgen, als diesem Indianer. Wie ein Pfeil, von dem der Schuft ja seinen Namen hat, schießt er über den Boden hin. Was er nur im Sinne hat? Rowson – habt Acht auf die Canaille – sie spionirt uns sonst noch das Boot aus, und dann gute Nacht, Insel.«

Der Indianer hatte übrigens keinen bestimmten Zweck im Auge und ahnte nicht, daß in dem dichten, das Ufer begrenzenden und über den Fluß hinhängenden Rohr ein tüchtiges Canoe verborgen lag. Nur die Aufmerksamkeit der Belagerten wollte er beschäftigen, nach Dunkelwerden gedachte er dann die Feinde zu beschleichen, und mehrere der Regulatoren, unter ihnen Curtis und Cook, hatten fest versprochen, ihm beizustehen. Führten auch die Belagerten ihre Drohung aus, fielen auch die Mädchen zuerst unter ihren Streichen, was kümmerte das den Indianer – auch seine Squaw war ermordet; – Niemand hatte ihr beigestanden – der Mörder [] lag in jener Hütte verborgen, und ehe eine andere Sonne das Dach derselben beschien, mußte er todt oder in seiner Gewalt sein.

So verging Stunde nach Stunde; »das große Licht« hatte den Zenith überschritten und sank tiefer und tiefer. – Schon färbte sich die Landschaft in matteren, rötheren Tinten, und feurig glühten die fernen Gebirgsrücken und die einzelnen Wipfel riesiger Fichten. Raubvögel verließen die schattigen Aeste, in denen sie die heiße Mittagszeit verträumt hatten, und strichen, wie der Hai in spiegelklarer See, durch das grüne, wogende Blättermeer nach Beute; hier und da spielten noch einzelne muntere Eichhörnchen in tollkühnen Sätzen von Ast zu Ast und suchten, als sie vergebens die übrigen Spielkameraden herbeigerufen, die sicheren Höhlen. Kaninchen krochen aus ihren Schlupfwinkeln, hohlen Bäumen und finsteren Erdhöhlen, hervor und spitzten ganz erstaunt die langen Löffel, als sie den Platz von Menschen besetzt fanden, der ihnen bis jetzt, so lange sie denken konnten, zum ungestörten Tummelplatz gedient, während sich hoch oben in klarer, hellblauer Luft ein kleiner Nachtfalke wiegte und dann und wann in kurzen, abgebrochenen Tönen den scharfen, diesen Thieren eigenthümlichen Schrei ausstieß.

Der Abend brach herein und mit ihm die Entwickelung dieses Kampfes, denn bis jetzt hatten die Belagerer nur fortwährend, theils durch gedrohte Angriffe, theils durch plötzliche Bewegungen, bald nach dieser, bald nach jener Seite, die Aufmerksamkeit der Umstellten in Anspruch genommen.

»Sobald die Sonne unter ist,« flüsterte Rowson dem Gefährten zu – »will ich hinabschleichen zu dem Boot und recognosciren. Hoffentlich ist das Canoe flott, es war es wenigstens gestern Morgen, und der Fluß ist nur wenig gefallen. Ihr haltet unterdessen gute Wacht, und kehr' ich zurück, so schaffen wir erst die Waffen hinunter und – knebeln dann die Mädchen – das muß unsere letzte Ladung sein. Zeigen sie sich zu widerspenstig – nun – so habt Ihr gute Knochen – ein Faustschlag mag sie betäuben; schlagt sie mir aber nicht todt.«

[] »Nur keine Angst,« lachte Cotton – »so ein bischen Ohnmacht kann überhaupt nichts schaden, wenigstens bis wir erst einmal fünf Meilen hinter uns haben – nachher –«

»Sprecht leiser – das naseweise Ding, Euer Liebchen – spitzt gewaltig die Ohren. Machen sie zu früh Lärm, so könnte es uns den Spaß verderben. Schreien sie aber nachher beim Knebeln ein bischen, nun so schadet's nichts, dann stürmen die Narren vielleicht, und während sie sich die Schädel an der eichenen Thür zerstoßen, sind wir durch den Gang und haben indessen an unserem Ladungsplatz Luft bekommen.«

»Wir müssen dann auf jeden Fall gleich über den Fluß hinüber,« sagte Cotton – »im Schatten des dichten Schilfes an der andern Seite werden wir unbemerkt hingleiten können – die Dirnen tragen ja glücklicher Weise ebenfalls dunkle Röcke. Was aber fangen wir später mit ihnen an?«

»Mit den Mädchen?« frug Rowson – »Unsinn, zerbrecht Euch jetzt den Kopf nicht darüber; im schlimmsten Fall ist Platz genug auf der Insel, oder – unten im Mississippi. Doch ich will meine Bahn antreten – also habt wohl Acht, Cotton, noch ist es hell genug und Ihr könnt bemerken, wenn die Regulatoren etwas Besonderes unternehmen sollten.«

»Sorgt nicht um mich und kommt bald wieder. Mir fängt der Boden an unter den Füßen heiß zu werden; ich wollte, ich hätte erst das Ruder in der Hand. Dort schleicht der rothe Schuft wieder vom Flusse fort – soll ich schießen?«

»Nein – jetzt ist's zu spät,« sagte Rowson, während er die Dielen aufhob, die den Gang verbargen – »Ihr könnt ihn doch nicht mehr treffen. Zu solcher Tageszeit schießt sich's mit der Büchse am schlechtesten; aber habt Acht aus ihn – seht, wo er bleibt; ich bin bald wieder zurück.«

Er verschwand bei diesen Worten in der künstlichen Höhle, und Cotton wanderte schnellen Schrittes von einer Oeffnung zur andern, um sich keine Bewegung des Feindes entgehen zu lassen und vielleicht noch in den letzten Augenblicken überrascht zu werden.

»Marion,« flüsterte unterdessen Ellen der Freundin zu – »Marion – fasse Muth – ich habe meine Hand befreit – [] als Rowson sie lockerte, rief ihn die Warnung jenes Buben fort, ehe er den Knoten wieder so fest wie früher schürzen konnte – ich bin frei.«

»Oh, löse auch meine Bande!« flehte die Freundin leise – »ich vergehe fast vor Angst und Schmerz.«

»Ruhig – er kommt,« flüsterte die besonnene Ellen zurück, als sich Cotton ihnen, ohne jedoch Acht auf sie zu geben, näherte, damit er auch diese Seite nicht unbewacht ließe. Ellen veränderte übrigens, um keinen Verdacht zu erregen, ihre Stellung nicht im Mindesten, warf aber ängstlich die Blicke umher, wo die nächste Waffe liege, um im Nothfall Messer oder Büchse, oder was es sei, ergreifen und sich und die Freundin vertheidigen zu können.

Auf einem Stuhl, kaum zwei Schritt von ihr entfernt, lag eine lange Pistole, und an jeder Wand – die nächste konnte sie fast erreichen, lehnte eine geladene Büchse, um nach den verschiedenen Richtungen hin augenblicklich in Bereitschaft zu sein.

»Löse meine Bande,« bat stehend Marion – »ich muß verzweifeln, wenn Du mich noch länger –«

»Warte nur noch wenige Secunden,« bat Ellen – »sieh – sobald Cotton wieder in jener Ecke ist, darf ich mich bewegen und Dich befreien; dann nimmst Du die Büchse, die neben Dir steht. Weißt Du damit umzugehen?«

»Ja,« flüsterte die Jungfrau – »mein Vater lehrte es mich.«

»Desto besser – wir schieben nachher die Riegel zurück und vertheidigen den Eingang, bis uns Hülfe wird –«

»Sie werden uns aber überwältigen – Rowson hat uns doch Sicherheit versprochen, wenn wir still und ruhig sind,« sagte Marion.

»Ich traue ihm nicht,« erwiderte eben so leise die Freundin. – »Ich vernahm einzelne Worte, die mich Verrath ahnen lassen. – Jetzt – jetzt hab' Acht – sobald er jene Ecke betritt, kann ich Dir helfen.«

Cotton war mit dem Auge an den offen gelassenen Spalten langsam im Kreise umhergegangen und näherte sich [] nun dem Bett, an welchem die Mädchen standen und dessen Vorhänge sie, wenn er dahintertrat, seinen Blicken entziehen mußten.

Auf diesen Augenblick hatte Ellen gewartet – jetzt verbarg ihn das dichte, dunkelfarbige Mosquitonetz – schon setzte sie den Fuß vor, die Waffe zu ergreifen – da stieg Rowson's Kopf wieder aus der Höhlung herauf, und den Blick fest auf die Mädchen geheftet, stand er in der nächsten Minute, ein Bild der gespanntesten Aufmerksamkeit, in der Mitte der Stube.

»Cotton – hörtet Ihr nichts?« frug er leise, als dieser wieder aus der Ecke vortrat.

»Hören? Wo?«

»Mir kam es vor, als ob Jemand irgendwo ein Stück Brett losbräche – es kann sich doch Niemand an das Haus geschlichen haben?«

»Der müßte schlau gewesen sein,« brummte Cotton – »die hohe Fenz steht noch, und so dunkel ist es doch wahrhaftig nicht, daß man einen darüber Kletternden übersehen sollte. Was würde es aber auch dem, dem es wirklich glücken sollte, helfen? Unsere Schießscharten sind sehr zweckmäßig angebracht, und wenn –«

»Schon gut,« unterbrach ihn Rowson, »seitdem es dunkel geworden, wird es mir ganz unheimlich hier – ich wollte, wir wären auf dem Wasser.«

»Ist das Boot in Ordnung?«

»Fix und fertig – also jetzt fort – die Regulatoren sind größtentheils da vorn gelagert, und wenn sie auch wirklich ihre heimlichen Wachen zwischen hier und dein Flusse haben, wie ich keineswegs bezweifle, so können wir doch leise über den Fourche la fave hinübergleiten und drüben die dunkeln Schatten zu schleuniger Flucht benutzen.«

»Aber die Mädchen –«

»Müssen zur Ruhe gebracht werden; jetzt fürt in's Boot!«

»Und wie schaffen wir unsere Waffen und den Koffer hinab? Wenn wir die Dirnen zu tragen haben, so –«

»Kriecht Ihr voran und nehmt den kleinen Koffer und [] zwei Büchsen mit – Ihr könnt nicht fehlen – die Höhle ist schnurgerade, und dicht davor liegt das Canoe. – Stellt den Koffer so geräuschlos als möglich hinein – die Büchsen auch, und kommt dann schnell zurück. In zehn Minuten muß Alles abgemacht sein.«

»Was für Provisionen nehmen wir mit?«

»Die hab' ich eben hineingetragen. Sie standen in der Höhle und liegen jetzt im Canoe,« sagte Rowson.

»Sehr brav! – Haltet indessen gute Wacht – ich bin gleich wieder da.«

Rowson schritt unruhig im Zimmer auf und ab. Draußen regte sich kein Lüftchen – kein Laut wurde gehört – Todesschweigen lagerte über der Landschaft, und nur um die Lagerfeuer, wohl hundertfünfzig Schritt vom Hause entfernt und nach den Bergen zu, bewegten sich langsam einige dunkle Gestalten.

»Was zum Henker treiben die Schufte? Brüten sie irgendwo Unheil?« murmelte er vor sich hin, während er mit verschränkten Armen an einer der Spalten stehen blieb und hindurchschaute.

Er drehte den beiden Mädchen den Rücken zu.

Ellen trat geräuschlos vor und nahm die Pistole vom Stuhl, glitt aber augenblicklich in ihre frühere Stellung zurück, denn Rowson wandte sich und schritt an die andere Wand der Wohnung.

»Wo nur Cotton bleibt – hol' ihn der Teufel!« fluchte er jetzt ärgerlich, seinen früheren Marsch erneuend, »sollte er falsch –«

Er sprang in die Höhle hinunter und lauschte.

»Hätte ich nur ein Messer, Deine Bande zu lösen,« flüsterte Ellen dem zitternden Mädchen in's Ohr –

»Die Planke, auf der ich stehe, bewegt sich –« sagte diese eben so leise und erschreckt – »was ist das?«

»Das müssen Freunde sein,« rief Ellen mit vor Freude kaum unterdrückter Stimme.

»Was?« frug Rowson, sich wieder aufrichtend, daß sein Kopf eben über dem Fußboden sichtbar ward.

[] »Wir beten,« sagte Ellen.

»Hol' Euch der Henker,« zürnte der Methodist, sich wieder niederbeugend.

»Ich wollte auf ihn schießen,« sagte Ellen bebend, »aber die Hand zittert mir so entsetzlich – ich würde nicht treffen.«

»Es muß Jemand unter der Planke hier sein,« flüsterte Marion – »ich fühle es deutlich –«

»So hebe den Fuß – das sind Freunde,« sagte Ellen – »der Fluß liegt auf der andern Seite, und dorthin muß der geheime Gang führen.«

»Allmächtiger Gott – hätte ich nur meine Hände frei!« klagte die Jungfrau.

»Die Pest über den Buben – ich höre und sehe nichts,« zürnte Rowson, wieder herausspringend. »Soll mich der Teufel holen, wenn ich nicht glaube, daß der Bursche falsch spielt. Aber dann gnade ihm Gott – ich muß ihm nach –«

Die Planke hob sich jetzt in die Höhe, und des Indianers finster drohende Augen blitzten aus der Oeffnung hervor.

Rowson hatte eine Büchse ergriffen und wollte eben wieder in den Gang hinabsteigen, da gab das schwere Brett, unter dem sich der »befiederte Pfeil« hervordrängte, etwas nach und schurrte bei Seite – der Methodist wandte schnell den Kopf und begegnete hier, in dem ungewissen Dämmerlicht der Hütte, dem Blicke seines Todfeindes, der die erste Ueberraschung des Priesters benutzen und schnell aus seiner unbequemen Lage emporspringen wollte.

So erstarrt und erschreckt nun aber auch der Prediger im ersten Augenblick der Ueberraschung gewesen war, so sammelte er sich doch immer schnell genug, um dem noch mit halbem Leibe unter der Planke steckenden Indianer gefährlich zu werden. Dieser konnte nämlich weder schnell genug hinauf noch wieder zurück, und schon war der schwere Kolben gehoben, der ihn wohl sicher genug seinem Weibe nachgesandt haben würde, als Ellen mit einem Muthe, der eines Häuptlings würdig gewesen wäre, vorsprang und die Waffe aus den zum Todesschlag ausholenden Priester abfeuerte.

»Hölle und Teufel!« rief dieser und stürzte zurück; längerer [] Zeit bedurfte aber auch Assowaum nicht, dem engen Raum, der ihm fast so gefährlich geworden wäre, zu entsteigen. Wie der Panther seiner Wälder glitt er daraus empor und sprang im nächsten Augenblick mit wildem Satz nach der Brust des Mörders, der mit einem Schrei der Angst und Verzweiflung machtlos zusammenbrach.

In derselben Minute hob sich die Planke noch einmal, und Curtis tauchte daraus hervor. Zu gleicher Zeit kehrte aber auch Cotton zurück, die Mädchen zu holen, und die Gefahr des Freundes sehend, eilte er schnell entschlossen zu seiner Hülfe herbei.

Ellen war indessen an die Thür gesprungen und hatte die Riegel zurückgeschoben, während der Indianer, kühn der neuen Gefahr trotzend, den Tomahawk aus dem Gürtel riß und diesen, ohne die Linke von der Gurgel seines Opfers zu entfernen, gegen den neu erschienenen Feind schwang.

Dieser aber überzeugte sich rasch, wie die Sachen standen. Auf der einen Seite warf sich ihm Curtis entgegen; von der andern stürmte Brown mit seinen Regulatoren durch die nun offene Thür, und Cotton ersah klug genug seinen Vortheil. Mit Blitzes Schnelle sprang er in den unterirdischen Gang zurück und floh, von der Dunkelheit begünstigt, dem rettenden Boote zu. Curtis über, der den Flüchtling mir verschwinden sah, glaubte, er hätte sich auf die Erde geworfen, dem ersten Anprall zu entgehen und dann vielleicht das Freie zu erreichen. Mit einem Kernfluch auf den Lippen sprang er deshalb gegen ihn an und stürzte im nächsten Augenblick kopfüber in das offenstehende Loch.

»Wah!« schrie der Indianer, während seine Augen vor wilder Feude glänzten – »bin neugierig, wer zuerst wiederkommt.«

»Fackeln her!« schrie Husfield jetzt zur Thür hin aus, »Fackeln her und umstellt das Haus – einer der Schufte hat sich unter den Dielen versteckt.«

Schnell kamen mehrere der Männer mit schon bereit gehaltenen Kienspänen herbei, und Cook, dem Ersten die Leuchte aus der Hand reißend, folgte dem Freunde. Brown sprang [] indessen zur Geliebten, und zitternd vor Siegesfreude und Liebeslust, war er kaum im Stande, mit seinem Jagdmesser die festen Bande des armen Mädchens zu lösen. Marion aber, betäubt von dem raschen Wechsel ihres Schicksals von Angst, Sorge und tödtlicher Gefahr zu Sicherheit und Glück, sank bebend und ohnmächtig in die Arme des theuren Mannes.

Wilson und Ellen bildeten an der Thür eine besondere Gruppe.

»Hier ist ein unterirdischer Gang,« schrie Curtis von unten herauf – »die Anderen sind entflohen. – Nach dem Flusse zu, Ihr Männer – schnell, und schießt auf Alles, was sich regt.«

Fort stürmten die Regulatoren, und gleich darauf krachten fünf bis sechs schnell aus einander folgende Schüsse.

»So haben die Canaillen doch ein Boot gehabt,« sagte Husfield – »und ich und der Indianer glaubten wunder wie genau wir gesucht hätten.«

»Seid Ihr verletzt, Curtis?« frug diesen Cook, der hinuntergesprungen war und ihm im Eingang der Höhle wieder auf die Füße half.

»Ja – nein – ich glaube nicht – Pest und Gift – ich bin Hals über Kopf in das verwünschte Loch hineingefahren und kann Gott danken, so davongekommen zu sein.«

»Hallo,« sagte Cook, indem er sich den Platz etwas näher betrachtete – »künstlich angelegter Spaziergang hier. Nun, jeder alte Fuchs gräbt sich Nothröhren, um im schlimmsten Fall ausbrechen zu können. Das Ding war auch schlau genug angelegt, ich glaube aber, der Indianer kam ein wenig zu früh.«

»Wo ist Rowson?« frug Curtis, der sich jetzt wieder genug erholt hatte, um nach oben klettern zu können.

»Hier!« antwortete der Indianer, während er seine lederne Schnur aus der Kugeltasche nahm und dem Gefangenen damit die Füße zusammenband – »wer hat ein Tuch?«

»Was willst Du mit einem Tuch?« frug Cook, der sich ebenfalls wieder herausgearbeitet hatte.

»Der Methodist ist verwundet,« sagte leise der Indianer. –

[] »Das junge Mädchen dort rettete das Leben des befiederten Pfeils und schoß dem blassen Mann in die Schulter – Inya! Ausruf des Erstaunens. wie blaß er aussieht!«

»Der Indianer hat wahrhaftig Mitleiden,« sagte Stevenson, der eben in die Thür getreten war – »auch eine neue Eigenschaft, die ich an ihn: kennen lerne.«

»Mitleiden?« frug der Häuptling wild, indem er sich hoch emporrichtete und zornige Blicke aus den Sprecher warf. – »Wer sagt, daß Assowaum Mitleiden mit dem Mörder Alapaha's habe? Aber er darf nicht jetzt – nicht hier – nicht an dieser Wunde sterben, die ihm die Hand eines Weibes schlug. Die Rache muß mein sein. Wer hat ein Tuch für die Schulter des blassen Mannes?«

»Hier ist mein Halstuch,« sagte Stevenson, dem Indianer das Verlangte darreichend – »aber – wie ist mir denn,« fuhr er, sich mit der Fackel über den bewußtlosen Körper des Predigers beugend, fort, »das Gesicht hab' ich schon irgendwo gesehen – die Züge sind mir bekannt.«

Rowson schlug die Augen auf und blickte scheu zu dem Sprecher empor.

»Himmel und Erde – das ist der Mörder des Viehhändlers!« rief jetzt der alte Farmer, indem er halb erschreckt, halb in wildem Zorn emporsprang. – »Beim ewigen Gott, das ist das Gesicht des Schurken, der ihn meuchlings niederschoß.«

»Zur Hölle mit Euch!« rief der Verwundete und wandte zähneknirschend das Antlitz zur Seite.

»Wo ist Brown?« frugen mehrere Stimmen.

»Hier,« sagte dieser leise – »kann Niemand etwas Essig schaffen? Miß Roberts ist ohnmächtig.«

»Mein Kind – mein liebes Kind!« rief Roberts, in Todesangst neben dem leblosen Körper des bleichen Mädchens knieend.

»Marion – liebste, beste Marion,« flüsterte ihr Ellen in's Ohr, die sich, als die erste Ueberraschung und Aufregung [] vorüber war, erröthend den Armen Wilson's entzogen hatte.

»Hier ist etwas Wasser und Whisky,« sagte der junge Stevenson, einen Blechbecher mit dem ersten und eine Korbflasche, mit dem letzten Getränk gefüllt, dem Regulatorenführer hinüberreichend. Brown bewies sich auch gar nicht ungeschickt und rieb Stirn, Schläfe und Puls der Geliebten mit einem Eifer, der den dabeistehenden Bahrens in Erstaunen setzte.

»Harper!« flüsterte er dem Freunde leise zu – »ist denn Brown ein Doctor?«

»Nein,« erwiderte dieser lächelnd – »warum?«

»Nun, weil er das Reiben so weg hat; mir wären die Arme lange eingeschlafen. Das geht ja wie mit Dampf!«

»Vater!« flüsterte das Mädchen jetzt, die großen klaren Augen aufschlagend – »Vater!« aber ihr Blick begegnete nicht dem des Vaters, obgleich dieser eine ihrer Hände fest in den seinigen hielt, sondern dem Geliebten, der über sie hingebeugt mit zärtlicher Sorgfalt und seliger Freude in den Zügen das Erwachen des theuren Wesens beobachtete.

»Vater!« hauchte die Jungfrau und schloß die Augen wieder, aber mit so stillem, zufriedenem Lächeln, daß es fast schien, als hielte sie das eben Gesehene für einen schönen Traum und fürchte, ihn im wirklichen Erwachen zu verlieren.

»Habt Ihr keinen der Flüchtigen mehr einholen können?« frug Husfield endlich, der es für seine Pflicht hielt, die Führerpflichten zu übernehmen, wo Brown's chirurgisches Talent so sehr in Anspruch genommen wurde.

»Nein,« erwiderte Hostler – »einholen nicht, aber ich glaube fast, daß unsere Kugeln gewirkt haben. Als wir an den Fluß kamen, sahen wir den dunkeln Schatten eines Bootes am gegenüberliegenden Ufer hingleiten und feuerten unsere Büchsen darauf ab. Gleich darauf hörten wir etwas in's Wasser schlagen und drinnen plätschern; die Dunkelheit war zu groß, mehr erkennen zu können. Ich hoffe übrigens zu Gott, daß unsere bleiernen Botschaften ihre Pflicht gethan und wenigstens Einen umgelegt haben.«

[] »Es war nur noch Einer mit diesem da,« sagte Ellen schüchtern – »Cotton ist sein Name, Ihr kennt ihn wohl Alle.«

»Cotton! Die – Pest,« rief Wilson – »ob ich es mir nicht gedacht habe, daß die Bestie hier zu Bau gekrochen wäre. Daß der uns entgangen ist!«

»Und was soll mit dem Prediger geschehen?«

»Morgen ist Regulatorengericht,« sagte Brown – »und dort muß er verhört werden. – Noch vier seiner Mitschuldigen erwarten ihr Urtheil zu derselben Zeit. – Ihr kennt den Platz. Es wäre mir auch lieb, wenn Sie sich ebenfalls dort einfinden wollten, Mr. Roberts. – Wir brauchen alte und erfahrene Leute zu solch' ernsten Verhören. – Wer ist noch draußen auf der Wache?«

»Nur Wenige,« erwiderte Cook – »der Kanadienser mit ein paar der Unseren. Drei oder Vier sind fort, dem Flüchtling wo möglich den Weg abzuschneiden. Im Nest staken blos die Beiden, und weiter wird sich wohl Niemand hier versteckt gehalten haben.«

»Von dem Mulatten hat man also keine Spur entdecken können?«

»Nein – nichts Erhebliches – der Indianer meinte freilich, heute Morgen –«

»Er ist in die Gebirge,« sagte Assowaum – »ich sah seine Fährte.«

»Nach dem Regen?«

»Er muß nach dem Regen wieder am Hause gewesen sein; – der Vogel, dessen Nest zerstört ist, umflattert noch eine Zeit lang den Baum. Den Gelben schmerzte der Verlust seines Bettes.«

»Wo ist Wilson?« frug Brown, sich nach diesem umsehend.

»Er besorgt wohl die Pferde draußen,« sagte Husfield – »es wird auch das Beste für die Damen sein, aufzubrechen. Einige von uns müssen aber hier bleiben und den Platz morgen bei Tageslicht genau untersuchen.«

»Husfield – wollt Ihr mir den Gefallen thun?« frug[] Brown zögernd und, wie es Jenem vorkam, etwas erröthend. – »Es könnte doch sein, daß ich –«

»Herzlich gern,« unterbrach ihn lachend der Regulator – »Ihr dürft überhaupt Eure Kranke nicht verlassen, und da will ich indessen Euren Rückzug decken. Morgen früh um Elf bin ich am bestimmten Platz. Ihr braucht aber mit dem Verhör nicht auf mich zu warten – fangt nur immer an.«

»Wir nehmen Atkins und Jones zuerst vor,« erwiderte Brown – »werden auch wohl früh beginnen müssen. Kommt also dann, so schnell es Euch möglich ist, nach.«

»Ach, da sind die Pferde,« rief Harper – »nun, Junge – Du Schlingel, hast ja nicht einen einzigen Gruß für Deinen alten Onkel heut Abend. Der ist Dir wohl bei den jungen Damen ganz aus dem Gedächtnis; entschwunden, eh?«

»Onkel!« rief Brown und ergriff des freundlichen alten Mannes Hand – »Onkel – ich bin recht glücklich.«

»Wie transportiren wir denn den Gefangenen?« frug Curtis jetzt – »ein Boot haben wir nicht.«

»Dafür wird der Indianer schon sorgen,« sagte Bahrens – »der sitzt ja neben ihm und schaut ihm wie ein verliebtes Mädchen in's Gesicht. Brrrr – mich schaudert's, wenn ich mir die blutdürstigen Gefühle denke, die bei dem sanften Blick dem Indianer durch Kopf und Herz zucken. Solche Wilde sind doch entsetzliches Volk.«

»Ich möchte nicht in des Methodisten Haut stecken,« murmelte Cook – »nicht für alle Schätze des Erdballs. Wenn den die Regulatoren frei gäben, biß ihm der Indianer, glaub' ich, die Kehle auf und söffe sein Blut.«

»Die Wunde wird ihm nicht erlauben zu reiten,« sagte Stevenson, der Rowson's Arm indessen untersucht hatte – »der Knochen ist zerschmettert.«

»Glaubt Ihr, daß die Wunde gefährlich ist?« frug der Indianer, wie aus einem Traum erwachend.

»Wenn er reiten muß und Erkältung dazu schlägt, ja,« entgegnete Stevenson. – »Die Nacht ist feucht. Ein hinzutretendes Fieber könnte ihn tödten.«

»Ich trage ihn,« sagte der Indianer.

[] »Wen?« frug Bahrens – »den ganzen Prediger?«

»Ja,« erwiderte Assowaum und schlug seine wollene Decke um den Verwundeten.

»Gentlemen,« redete jetzt der alte Roberts die übrigen Männer an – »Einige von Ihnen bleiben, wie ich gehört habe, heute Nacht hier. Diese erwarte ich morgen um die Frühstückszeit, die Anderen aber, welche jetzt mit uns aufbrechen, da der Gefangene doch ebenfalls transportirt werden muß, und mein Haus nicht so sehr weit aus dem Wege liegt, denn meine Frau wird sich bis diese Zeit wahrscheinlich schon schön geängstigt haben –«

»– So ersuche ich Sie Alle mit einander,« fuhr Harper in Roberts' begonnener Rede fort – »heut Abend bei mir einzukehren. Wenn wir auch ein wenig mit Raum beschränkt sein werden, so läßt sich das Alles schon einrichten – wir sind ja in Arkansas.«

»Bravo!« sagte Roberts gutmüthig, »ganz mir aus der Seele gesprochen. Also, Gentlemen, da Sie sich so freundlich meiner annehmen – Brown nämlich meiner Tochter und Harper meiner Rede, so wollen wir denn aufbrechen. Will der Indianer wirklich den Unglücklichen tragen?«

Assowaum beantwortete diese Frage mit der That. Er hob den schweren Körper des Priesters, trotz seiner eigenen doppelten Verwundung, mit der Leichtigkeit eines Federballs empor und schritt, ohne ein Wort weiter zu äußern, auf der schmalen Straße voran. Rowson muhte aber ohnmächtig geworden sein, denn er lag regungslos in den Armen seines Feindes, und sein bleiches Antlitz ruhte, schauerlich von den langen, dunkeln, aneinander klebenden Haarbüscheln umflattert, an der Schulter des Rächers.

»Er wird ihn doch nicht ermorden?« flüsterte Marion ängstlich ihrem Führer zu, auf dessen Arm sie sich bis jetzt gestützt hatte und der ihr nun in den Sattel half.

»Nein, Marion, fürchten Sie kein weiteres Blutvergießen heute Abend,« erwiderte der junge Mann. »Das Gericht der Regulatoren wird aber morgen über den Elenden entscheiden, [] der dreifache schreckliche Blutschuld auf sich geladen hat. Das Maß seiner Sünden ist übervoll.«

Marion schauderte zusammen. Sie gedachte der furchtbaren Gefahr, der sie kaum entgangen: diesem Ungeheuer zur Beute zu fallen – aber sie sagte kein Wort.

»Und wo ist unsere kleine Heldin, unsere Amazone?« frug Bahrens, sich überall nach Ellen umschauend – »Blitz und Hagel, wo steckt sie denn? Zu deren Ritter erklär' ich mich heut Abend.«

»Zu spät,« lachte Brown, »zu spät, Sir – der Posten ist besetzt – Mr. Wilson hatte die Güte, diese Pflicht zu übernehmen, da sich niemand Anderes dazu meldete.«

»Zu spät? so?« sagte Bahrens – »ja, das geht mir manchmal so, und ich könnte darüber eine köstliche Geschichte erzählen, gefröre mir nicht beim Anblick des Indianers da vorn das Blut vor lauter Grauen und Gutsetzen in den Adern. Trägt er nicht sein Opfer so zärtlich und sorgsam, wie eine liebende Mutter ihr Kind im Arme, und hat er irgend einen andern Gedanken dabei, wie Blut?«

»Es ist wahr,« sagte der neben ihm reitende Roberts – »es hat etwas Fürchterliches, wenn man die überlegene Ruhe des rothen Mannes betrachtet, mit der er seiner Rache entgegengeht. Ihm wurde aber auch das Liebste genommen, was er auf der Welt hatte, und wenn er jetzt, wo er, um die Erfüllung seines Schwures, den er damals am Grabe seines Weibes leistete – Ihr waret ja wohl auch dabei, Bahrens –?«

»Ja!« sagte dieser, aus tiefen Gedanken auffahrend – »ja so – ja. – Apropos, Roberts, habt Ihr (unter uns gesagt) nicht einen Tropfen Whisky in Eurem Hause? Ich weiß, Eure Frau kann ihn nicht leiden – aber heut Abend, glaub' ich, würd' ich krank, wenn ich nicht einen tüchtigen Schluck nehmen könnte. Zum Essen hab' ich den ganzen Appetit verloren.«

»Erinnert mich wieder dran, wenn wir nach Hause kommen,« sagte Roberts leise – »aber – laßt es Marion nicht merken. – Die Frauen stecken immer unter einer Decke, [] und wenn sie weiter nichts thäten, so – drehten sie mir einmal die Flasche um und ließen sie auslaufen, und das wäre schade. – Es ist ächter Monongahela.«

»Wißt Ihr, Roberts, wie mir der Methodist da vorn in den Armen seines Feindes vorkommt?« fragte Bahrens nach einer kleinen Pause.

»Nun?«

»Die Pawnees haben eine Sage, nach der ein schurkischer spanischer Händler mit der Leiche des Weibes, das er unglücklich gemacht, auf ein Pferd gebunden wurde und nun für Ewigkeiten, mit dem Elend vor sich, durch die Steppen rast; – ich glaube nicht, daß der Methodist – so lange er noch lebt – etwas anderes sehen wird, als die auf ihm haftenden Augen des Indianers.«

»Kommt, Bahrens, wir wollen voranreiten, meine Frau beruhigen und Quartier bestellen,« sagte Roberts. – »Mir wird's auch unheimlich hier zu Muthe.«

Die beiden Männer galoppirten an dem übrigen Zuge vorbei. Als ihre Fackeln aber das Antlitz des Methodisten und des Indianers für einen Moment erhellten, sahen sie, wie Assowaum erst ängstlich zu seinem Opfer niederschaute, sich jedoch gleich darauf wieder mit triumphirendem Blick aufrichtete und schnell, wie von keiner Last beschwert, weiter schritt. – Der Methodist lebte noch.

[] 36.
Das Gericht der Regulatoren.

Der zu dem jetzigen Gericht der Regulatoren ausersehene Platz lag den Fourche la fave-Niederlassungen etwas [] näher als der vorige, und zwar aus einem steilen Hügel oder »Bluff«, der mit senkrechter Felswand am südlichen Ufer des Flusses emporstieg, und an beiden Seiten, östlich und westlich, von dem niedern Thalland und dichten Rohrbrüchen begrenzt wurde.

Etwa eine Meile weiter stromab kreuzte jene Straße den Fluß, auf welcher damals die Regulatoren von Rowson's List irregeführt waren; und die kleine Hütte, in der Alapaha von Mörderhand fiel, lag, wie der Leser weiß, kaum eine halbe Meile in gerader Richtung von dieser entfernt.

So still und öde jener schroffe Bergesgipfel aber auch sonst gewöhnlich war, da aus viele Meilen im Umkreis, wenigstens auf der Seite des Flusses, kein Haus stand, so lebhaft und bewegt zeigte er sich jetzt. Unter den schlanken Kiefern und dichtbelaubten Eichen und Hickories lagerten, um fünf verschiedene Feuer herum, einige zwanzig kräftige Jäger und Farmer, Prachtexemplare der wirklichen Hinterwäldler, theils mit der Zubereitung ihres Frühstücks, theils mit Verzehrung desselben beschäftigt, und wieder kräuselte der blaue Rauch wie vor Zeiten lustig und wild in die klare Morgenluft hinauf, als noch der Urstamm, die Arkansas, diese Höhen bewohnte.

So gewöhnlich nun aber auch solche Lager in Arkansas oder überhaupt in den westlichen Wäldern Amerikas sind – so sehr unterschieden sich zwei Gruppen, nicht allein von dem Aussehen, sondern auch von dem ganzen freien Benehmen der übrigen Männer. Sie bildeten gewissermaßen den Hintergrund dieses Gemäldes und lagerten am weitesten von dem steilen Abhang entfernt, unter zwei einzeln stehenden Gruppen von Dogwoodbäumen, deren weiße Blüthenzweige sie wie mit einem Blumendach überschatteten. Wenig aber schienen die Hauptpersonen dieser freundlichen Umgebung zu achten, und finster brütend starrten sie auf das gelbe, vorjährige Laub nieder, in dem sie mit gefesselten Gliedern ausgestreckt lagen.

Es waren die Gefangenen Atkins, Johnson, Weston und Jones, von zweien der Backwoodsmen, die neben ihnen auf ihren langen Büchsen lehnten, bewacht.

[] Die andere Gruppe bestand nur aus zwei Personen – dem Methodisten und dem Indianer. – Ueber diesen hin schlängelte sich in reichen, malerischen Windungen eine rothe Feuerliane mit ihren trichterförmigen Purpurblüthen, zwischen denen die Weiße quellende Knospenpracht der Gewürzbüsche und der Dogwoods einen wunderlieblichen Abstand bildeten. Unter dem Laub- und Blumendach diente ein sorgsam zusammengetragenes, mit warmen Decken belegtes Blätterlager dem verwundeten Priester zum behaglichen, weichen Ruheplatz, und daneben kauerte der Indianer. Aber selten wandte dieser seine Aufmerksamkeit von der vor ihm ausgestreckten Gestalt ab, und das geschah dann nur, ein neben ihnen knisterndes Feuer zu unterhalten, um die kühle Morgenluft dem leidenden Gefangenen erträglicher zu machen. Ein Becher, mit Wasser gefüllt, stand neben ihm, den er manchmal an die brennenden Lippen des im Wundfieber Liegenden brachte und seinen Durst damit löschte, während er sorgsam wieder die verschobenen Decken zurechtzog, damit kein rauhes Lüftchen seine Lage verschlimmern oder sie ihm auch nur für Augenblicke unerträglich machen konnte.

Jetzt schlugen in nicht sehr großer Entfernung mehrere Hunde an, und bald darauf kamen die am vorigen Abend bei dem Ueberfall betheiligten Regulatoren, mit Brown, Roberts, Harper und einem Fremden an ihrer Spitze, den Berg herauf und begrüßten hier die schon versammelten Männer. Brown stellte dann den Regulatoren den Fremden als einen Advocaten aus Pulaski County vor, der, zufällig in der Nähe, von ihrer heutigen Gerichtssitzung gehört und dieser, wenn es ihm verstattet würde, beizuwohnen wünschte. Hierauf erklärte Brown, da Husfield erst in etwa einer Stunde eintreffen könne, die Sitzung für eröffnet.

Vor allen Dingen wurde jetzt eine Jury von zwölf Ansiedlern gewählt, wobei den Gefangenen selbst das Recht zugestanden ward, den, den sie in dieser Sache für parteiisch hielten, zu verwerfen. Keiner aber machte von dieser Erlaubniß Gebrauch. Sie wußten gut genug, wie klar ihre Schuld sei, und da Husfield nicht gegenwärtig war, so schien es selbst [] Johnson gleichgültig, wer von seinen Feinden Richter oder Zuhörer wäre. Nur zwei ihm vertraute, freundliche Gesichter sah er unter der Menge; die aber hielten sich wohlweislich sehr zurück und schienen keineswegs geneigt, eine active Rolle in diesem Drama zu spielen. – Es war Curneales und Junnegan, die zusammen an einem Baum lehnten und sich nur dann und wann leise flüsternd ihre Bemerkungen mittheilten.

»Und wer soll für die Gefangenen sprechen?« frug Brown, als zwei Männer vom Petite-Jeanne, Stevenson, Curtis, der Kanadienser und Cook als Kläger gegen die Angeschuldigten aufgetreten waren.

»Mit Ihrer Erlaubnis will ich das übernehmen,« sagte da vortretend der fremde Advokat – »mein Name ist Wharton, ich bin Advocat in Little Rock und glaube nicht, daß Sie jenen Unglücklichen einen Fürsprecher verweigern werden.«

Einige der Regulatoren wollten hiergegen etwas einwenden, doch Brown nahm das Wort und erklärte dem Fremden, daß sie bereit wären, ihm die Vertheidigung der Verbrecher zu gestatten. Er solle aber bedenken, daß sie hier, unabhängig von der Macht des Staates, ein freies Lynchgesetz gebildet hätten und ihren Grundsätzen dabei, was auch immer die Folgen sein möchten, getreu bleiben wollten.

»Vertheidigen Sie aber diese Leute!« fuhr er dann, Mr. Wharton freundlich die Hand reichend, fort. »Giebt es etwas, das zu ihrem Vortheil spricht – desto besser. Fern sei es von uns, Unrecht thun zu wollen; aber wehe auch den Schuldigen. Die Gesetze des Staates waren zu schwach und ohnmächtig, uns zu beschützen – hier stehen wir jetzt, die Bewohner dieser herrlichen Wälder, und schützen uns selber. – Doch die Zeit vergeht und wir haben einen schweren Tag vor uns. Wir wollen beginnen.«

Die Anklagen begannen jetzt; zuerst gegen Atkins und Weston als die Hehler, und gegen Jones als den Stehler oder Zuführer von geraubten Pferden. Da es aber an Zeugen für früher verübte Diebstähle fehlte, beschränkte man [] sich hier ganz allein auf den zuletzt vorgekommenen und entdeckten Fall.

Das geheime Versteck für entwendete Pferde war genau untersucht worden und die Schuld des angeklagten Atkins dabei außer allen Zweifel gesetzt. Hatten sie doch nicht allein die Pferde des Kanadiensers, sondern auch noch zwei andere, vor kurzer Zeit einem Ansiedler am Fourche la fave entführte Thiere bei ihm gefunden, so daß er sich zuletzt zu seiner Schuld selbst bekennen mußte.

Weston wurde dann vorgeführt, leugnete aber standhaft Alles, bis einer der Männer vom Petite-Jeanne darauf drang, ihn zum Geständniß zu zwingen und so lange zu peitschen, bis er bekenne.

Hiergegen protestirte nun freilich Mr. Wharton vollkommen und nannte das »grausam« und »inquisitionsartig«. Es half ihm aber nichts – die Mehrzahl stimmte für »Dogwood«. Der Unglückliche ward denn auch ohne Weiteres an einen dieser Bäume angeschnürt und mit den schwanken Schößlingen eines Hickorybusches gepeitscht, bis ihm das Blut von den Schultern rann und lange schwarze Striemen ihm über die Seiten bis auf die Brust liefen, da die Spitzen des elastischen Holzes sich wie Fischbein herumgelegt hatten.

Der Schmerz preßte ihm endlich das Bekenntniß seiner eigenen Schuld aus. Aber keine Qual der Hölle war im Stande, einen einzigen Namen der Mitschuldigen über seine Lippen zu bringen, und ohnmächtig brach er zuletzt unter den Streichen zusammen.

Die Regulatoren – aufgeregt durch das Blut und entrüstet über das stöckische Schweigen des Verbrechers, wie sie es nannten, dürsteten nach seinem Leben und riefen wild durcheinander:

»Hängt ihn – an die Eiche mit ihm! – Er hat gestanden, daß er Pferde gestohlen hat, was sollen wir uns länger mit ihm aufhalten!«

Brown aber schlug sich hier in's Mittel und erklärte, daß dies gegen das ausgemachte Gerichtsverfahren sei. – Es [] sollten nämlich erst Alle gehört werden, und die Jury hatte nachher über Leben und Tod der Gefangenen zu entscheiden.

Jones' Schuld lag klar und deutlich vor, und es herrschte darüber nur eine Meinung; selbst Wharton vermochte wenig zu seinen Gunsten zu sagen. Jetzt aber galt es, das schwerere Verbrechen, den Mord Heathcott's, zu prüfen, und als Ankläger gegen Johnson und Rowson traten hierbei Curtis und der Krämer Hartford auf, nach dem auf Verlangen des Indianers gesandt war.

Hartford hatte nämlich erst vor wenigen Tagen eine jener Banknoten durch zweite Hand von Rowson empfangen, die er früher bei Heathcott selbst gesehen. Sie war von der Louisiana-Staat-Bank und trug noch als besonderes Kennzeichen den Namen eines früheren Eigenthümers auf der Rückseite.

Johnson's und Rowson's Fährten hatte der Indianer später mit den an seinem Tomahawk bemerkten Zeichen verglichen und übereinstimmend gefunden.

»Johnson hat ferner noch versucht, den Indianer zu ermorden,« sagte Brown, »wir Alle –«

»Wozu die schöne Zeit mit weiteren Anklagen versäumen,« unterbrach ihn Einer aus der Mitte. »Der Schuft hat wegen des einen Mordes das Hängen verdient – spräche ihn aber die Jury wirklich davon frei, was ich sehr bezweifle, so ist's immer noch Zeit zu dem andern.«

Wharton wollte jetzt auftreten und den Angeschuldigten vertheidigen; ehe er aber nur seine Rede beginnen konnte, fuhr dieser, trotz den zusammengebundenen Armen, empor und rief trotzig:

»Schweigt mit Euren Salbadereien. Die Schurken sind einmal entschlossen, mich zu hängen, und werden es thun – die Pest in ihren Hals; ich will ihnen aber wenigstens nicht den Gefallen thun, zu zittern und zu kriechen. Ja, Memmen Ihr –, die Ihr zu zwanzig über einen einzelnen Mann herfallt; ich habe den Regulator erschossen, und Gott soll mich verdammen, wenn ich nicht Eurer ganzen Bande mit Wollust die Kehle durchschneiden könnte.«

»Fort mit ihm an die Eiche – fort – hängt die Canaille!« [] schrieen die Meisten, und Einige sprangen sagar schon auf den Gefesselten zu. Brown warf sich aber dazwischen und rief:

»Halt! Zur Ordnung, Ihr Männer von Arkansas. Wir müssen vorher den Prediger verhören; die Geschworenen sprechen dann das Urtheil.«

»Gut denn – Rowson vor – den Methodisten her!« schrie die Menge und zog sich wieder, den Raum in der Mitte frei lassend, zurück.

Rowson war, als er seinen Namen auf den Lippen der tobenden Menge hörte, erschrocken und leichenblaß emporgefahren. Vergebens bemühte er sich aber aufzustehen, die Banden hielten ihn nieder, und Assowaum mußte diese erst lösen und dann den durch Blutverlust und Angst Geschwächten auch noch unterstützen, ehe er im Stande war, sich in die Höhe zu richten. Doch versagten ihm seine Glieder den Dienst; zitternd und bebend schlugen ihm die Kniee aneinander, und er wäre wieder zu Boden gesunken, hätte ihn nicht sein sorgsamer Wächter gefaßt und aufrecht gehalten. Erst als er sich einen Augenblick gesammelt, führte ihn Assowaum vor die auf dem grünen Rasen gelagerten Männer des Geschwornengerichts.

»Jonathan Rowson,« redete ihn hier ernst und streng der Regulatorenführer an, »Ihr steht vor Euren Richtern. Man hat Euch angeklagt –«

»Halt – halt – nicht weiter,« sagte mit leisem, flüsterndem Ton und wild und ängstlich umherschleifenden Augen der Priester – »nicht weiter. – Ihr sollt mich nicht anklagen – ich will Alles gestehen – Alles verrathen – als ›State's Evidence‹ dürft Ihr mich nicht verletzen. Ich werde dadurch selbst – ich gehöre mit zum Gericht – ich will –«

»Die Pest über Deine feige, erbärmliche Seele,« schrie Johnson entrüstet – »seh Einer, wie die Memme zittert.«

»Wenn Ihr die Zähne noch einmal von einander bringt, ohne daß Ihr gefragt werdet,« rief Hostler, der hier Sheriffs-Dienste versah, »so klopf' ich Euch mit dem kleinen Stück Hickory hier den Schädel ein – verstanden?«

Johnson schwieg zähneknirschend still.

»Ihr dürft mich nicht morden!« rief Rowson, dem der [] klare Angstschweiß in großen Perlen auf Stirn und Schläfen stand – »oder – Ihr müßt mich wenigstens vor dem Teufel hier schützen, der über meinen Körper wacht, als ob er der Seele habhaft zu werden hoffe. Ich will Alles gestehen – ich erkläre mich hiermit für State's Evidence.«

Ein Murmeln der Verachtung durchlief die Reihen der Regulatoren, Brown aber nahm das Wort und sagte, sich zu dem Unglücklichen wendend, der flehend die gefesselten Hände gegen ihn emporhob:

»Zu spät kommt diese Reue, Rowson, selbst das kann Euch nicht retten. Dreimal des Mordes angeklagt, des schändlichen Verrathes gar nicht zu gedenken, mit dem Ihr Euch in die Familien dieser friedlichen Gegend schlichet, seid Ihr dem Gericht verfallen. Habt Ihr noch etwas zu Eurer Vertheidigung zu sagen?«

»Da kommt Husfield mit den Uebrigen,« rief Cook, »von den beiden Entflohenen bringen sie aber keinen zurück.«

Husfield ritt in diesem Augenblick bis ziemlich dicht an die Gefangenen hinan, warf ein Bündel, das er vor sich getragen hatte, zur Erde nieder, sprang aus dem Sattel und überließ das Thier sich selbst.

»Etwas Neues noch, Husfield, was Licht auf die verschiedenen Anklagen werfen könnte?« frug Brown.

»Nichts Erhebliches,« erwiderte der Regulator, »hier den alten Rock, der mir übrigens verdächtig vorkam, weil er so sorgfältig gewaschen schien und versteckt lag.«

»Wah!« sagte der Indianer, der hinzugetreten war und auf die Stelle zeigte, an der einer der hörnernen Knöpfe fehlte – »diesen Knopf erfaßte Alapaha im Todeskampfe – und hier – hier war die Wunde.«

Ohne weiter eine Antwort abzuwarten, schritt er zu dem laut- und regungslos dastehenden Priester, nahm sein Scalpirmesser aus dem Gürtel und schlitzte den linken Aermel bis an die Achsel auf, wo die rothe, kaum geheilte Narbe von dem Tomahawk der Indianerin sichtbar wurde. Ruhig deutete Assowaum darauf hin und sagte leise:

»Er ist der Mörder!«

[] Alles schwieg – es war, als ob sich Jeder scheue, die schauerliche Stille zu unterbrechen, und Rowson's Blicke flogen ängstlich von Antlitz zu Antlitz, nur ein einziges zu finden, aus dessen Zügen Mitleiden und Erbarmen spräche. – Sie standen Alle – Alle starr und kalt, und der finstere Ernst, die zusammengezogenen Brauen verkündeten sein nahes Schicksal.

»Diese Brieftasche,« sagte Brown endlich, »fand man ebenfalls bei dem unglücklichen Mann hier, der, wie es scheint, Verbrechen auf Verbrechen häufte, um seine dunkeln Zwecke zu erreichen. Die Summe, die hierin enthalten ist – elfhundert Dollar –, entspricht etwa der, die jener am Ufer des Arkansas erschlagene Viehhändler bei sich getragen haben soll. Mr. Stevenson hat Rowson als denselben Mann erkannt, den er an jenem Tage, wenige Minuten vor der verübten That, mit dem Ermordeten gesehen.«

»Kennt Ihr dieses Federmesser – Rowson?« frug er dann mit leiser Stimme den bleichen Mörder – »kennt Ihr diese Blutspuren daran?«

Rowson wandte sich schaudernd ab und stöhnte, auf Johnson deutend:

»Der da gab den Rath – warum mir das Alles – warum jedes Verbrechen auf meine Schultern?«

»Und Ihr gesteht ein, daß Ihr schuldig – an dreifachem Morde schuldig seid?« frug ihn Husfield.

»Ja – ja – ich will Alles gestehen – Alles – noch mehr – noch viel entsetzlichere Sachen – ich will Euch vom Mississippi –«

»Ich protestire gegen dieses Verfahren,« sagte der fremde Advocat, schnell vortretend – »Sie entlocken diesem Elenden hier das Geständniß seiner Schuld, während er noch immer in der Hoffnung steht, als State's Evidence begnadigt und auf freien Fuß gesetzt zu werden. Sie haben überdies des jungen Weston, oder wie er heißt, Geständniß mit Gewalt, gewissermaßen durch die Folter herausgelockt, – und –«

»Sir,« unterbrach ihn ruhig Brown – »ich habe Ihnen schon im Anfang gesagt, daß Sie hier vor keinem gesetzlich gebildeten und nach bestimmten Regeln hergestellten Tribunal [] stehen. Eben das hat uns gezwungen, selbstständig aufzutreten, daß vor dem Gesetz des Staates Kniffe und Ränke der Advocaten stets die ärgsten Verbrecher der Strafe entzogen, weil vielleicht irgend eine Kleinigkeit in der Anklage versehen, oder ein Zeuge fehlte, oder sonst ein Haken gefunden werden konnte, mit dem man Den, der im Stande war zu bezahlen, herausriß aus Noth und Strafe. Wir hier sind eine Versammlung von Regulatoren, und die Gewalt, die wir ausüben, ist das Lynchgesetz. Diese Männer wurden angeklagt und werden bestraft, wenn schuldig befunden. – Können Sie uns beweisen, oder auch nur hoffen lassen, daß Einer von ihnen schuldlos, so sei Ihnen im Voraus versichert, daß er frei und ungehindert von dannen gehen soll. – Das ist meines Wissens das Einzige, was Sie bei dieser Sache zu thun haben. – Was beschließen die Geschworenen über Atkins?« –

»Gebt mich frei,« schrie Rowson in Verzweiflung – »gebt mich frei – und ich will Dinge bekennen, die –«

»Schweigt – ich rette Euch!« flüsterte ihm leise der fremde Advocat zu.

Erstaunt und freudig schaute der Elende zu diesem empor, begegnete aber nur noch dem behutsam warnenden Blick desselben, der sich eben von ihm ab und den Geschworenen zuwandte. Diese beriethen in kleiner Entfernung mit einander über das Schicksal der Angeklagten.

Nach kurzer Zeit schon kehrten sie mit dem einstimmigen Ausspruch:

»Schuldig!«

zurück. Atkins sank, das todtenbleiche Antlitz mit den Händen bedeckend, in die Kniee nieder.

»Und Weston?« frug Brown.

»Schuldig!«

»Und Jones?«

»Schuldig!«

»Und Johnson?«

»Schuldig!«

»Und Rowson?«

[] »Schuldig!« tönte es nach, im schauerlichen, marker-schütternden Chor. Weston schluchzte laut, und Johnson knirschte, seinen Richtern giftige Blicke zuschleudernd, wüthend mit den Zähnen.

»Ihr habt es gehört!« sagte Brown nach langer Pause, während Rowson, alles Andere um sich vergessend, nur an jeder Bewegung des Fremden hing. Es war die letzte Hoffnung, die ihm der gegeben, und in seiner Todesangst hielt er den Fremden wie einen Heiligen, der mit überirdischen Kräften begabt sei.

»Das Gericht der Regulatoren erklärt Euch hiermit für schuldig und spricht Euch den Strang für Eure Vergehen zu!« sagte Brown mit fester, tiefer Stimme.

»Fort mit ihnen,« schrieen Einzelne aus der Menge – »an die nächsten Bäume – füttert die Aasgeier mit den Hunden!«

»Halt!« rief Brown dazwischen, seine Hand gegen die Herandrängenden ausstreckend. – »Halt! das Gericht verurtheilt sie – aber, Männer von Arkansas – wir wollen nicht wie die wilden Thiere gegen unsere Nebenmenschen wüthen. – Nicht alle dürfen gleiche Strafe dulden; nicht Alle sind gleich schuldig. Ist Keiner dabei, den Ihr begnadigen möchtet?«

»Atkins' Kind ist heute Nacht gestorben,« sagte Wilson, vortretend – »seine Frau liegt schwer krank darnieder – er hat nach Texas auswandern wollen – ich dächte, wir ließen ihn ziehen.«

Eine augenblickliche Stille herrschte – Atkins blickte mit stieren – thränenleeren Augen von Einem zum Andern.

»Ich stimme für Gnade!« sagte Brown.

»Und ich auch,« pflichtete ihm Husfield bei – »laßt uns überhaupt, Kameraden, unser erstes Gericht nicht als ein zu blutiges beginnen. Ich bitte um Weston's Leben. Der arme Teufel hat Alles, was er selbst verbrochen, bekannt; daß er die Mitschuldigen nicht verrathen wollte, können wir ihm nicht zur Last legen; ich meinestheils finde es brav. Soll er mit der erhaltenen Züchtigung hinlänglich bestraft sein?«

[] »Ja!« sagten die Männer nach kurzem Bedenken.

»Aber er muß versprechen, sich zu bessern!« rief eine feine Stimme. – Alles lachte und schaute sich nach dem Sprecher um.

»Gnade! Gnade!« flehte jetzt auch Jones, der an dem ganzen Betragen der Regulatoren wohl sah, wie sehr sie gesonnen seien, ernst durchzugreifen, und diesen ersten lichten Augenblick zu seinem Vortheil zu benutzen beschloß. »Gnade auch mir – ich habe einmal gefehlt – und gehöre ja überdies in ein anderes County.«

»Das möchte Euch wenig helfen,« sagte Brown – »ich stimme jedoch dafür, diesen Mann, der allerdings weder den Fourche la fave noch Petite-Jeanne angeht, den Gerichten von Little Rock zu übergeben; die mögen über ihn entscheiden. Daß er nicht wieder an den Fourche la fave kommt, davon, glaub' ich, können wir überzeugt sein.«

»Fort mit ihm,« riefen Einige, »gebt ihn dem Sheriff.«

»Es wär' schade um den Strick,« sagte Curtis; »jedoch, Gentlemen, hab' ich gegen das letzte Urtheil noch etwas einzuwenden. Der Bursche hat uns hier in unsere Rechte Eingriff gethan, und stecken sie ihn in Little Rock in's Zuchthaus, und bricht er durch, wie sich das von selbst versteht, so lacht er uns nachher noch aus.«

»Bei meiner Seligkeit nicht!« rief Jones ängstlich.

»Die kauf' ich nicht theuer,« erwiderte ihm Curtis. – »Nein – ich stimme dafür, daß wir ihn erst mit unseren verschiedenen Holzarten, Hickory und Dogwood, bekannt machen; nachher kann er gehen. Er wird dann wenigstens freundlich an unser Flüßchen zurückdenken.«

»Curtis hat Recht,« sagte Brown – »und meiner Ansicht nach ist dieser Jones, wenn nicht so schlimm wie Rowson, doch einer der abgefeimtesten Schufte, die es geben kann. Wenn es also die Männer von Arkansas zufrieden sind, so mag ihm der Neger dort fünfzig Streiche zuzählen.«

»Gentlemen!« bat Jones ängstlich.

»Fünfzig sind eigentlich zu wenig,« rief Bowitt, als die Uebrigen beigestimmt hatten, »doch möchten wir dann einen [] andern Mann als den Neger zum Strafen wählen; ich traue dem –«

»Halt,« unterbrach ihn der Kanadienser. »Ich will ihm die Schläge geben – bin ihm so noch etwas schuldig –«

»Gnade! Gnade!« flehte Jones, der wohl wußte, wie dieser Halbwilde seinen Rücken bearbeiten würde.

»Die ist Euch geworden,« sagte Brown, sich von ihm wendend – »nach Verdienst gebührte Euch der Strang – fort!«

»Und Johnson und Rowson?« frug Husfield jetzt, sich langsam im Kreise umschauend, während der Kanadienser den wimmernden Jones zur Seite führte.

»Den Tod!« schallte es dumpf und eintönig von jeder Lippe.

»Sir – wenn Ihr mich retten wollt,« flüsterte Rowson, mit Leichenblässe im Antlitz, dein fremden Manne zu, »jetzt ist die höchste Zeit – Ihr kennt die Regulatoren nicht –«

»Schweigt und baut auf mich,« sagte ihm eben so leise und vorsichtig der Advokat.

Wilson hatte indessen Atkins' Bande zerschnitten und bot ihm sein Pferd zum nach Hause Reiten an. Dieser nickte auch dankbar mit dem Kopfe, löste den Zügel desselben von dem Zweige, an dem es befestigt stand, und wollte aufsteigen. Da besann er sich noch einmal, blieb einige Secunden über den Sattelknopf des Thieres gebeugt stehen, kehrte dann zurück und reichte erst Wilson, dann Brown und dann Husfield schweigend die Hand – drückte sie herzlich – schwang sich in den Sattel und sprengte mit verhängten Zügeln seiner Wohnung zu.

Brown sah ihm sinnend nach und sagte dann zu Wilson:

»Bei dem hat's geholfen – es sollte mich nicht wundern, wenn Atkins ein ehrlicher Mann würde.«

»Rettet mich, sonst ist es zu spät,« flüsterte Rowson wieder in Todesangst – »Ihr habt es versprochen – Ihr müßt mich retten.«

»Führt die Gefangenen zum Tode!« sagte Brown mit leiser, aber volltönender Stimme.

»Halt!« rief der Advocat jetzt dazwischen tretend. »Halt! [] im Namen des Gesetzes! Diese Verbrecher sind des Todes schuldig – es ist wahr, aber ich protestire hier öffentlich gegen dieses Gerichtsverfahren, was eben solcher Mord wäre, als jene begangen haben. Ueberliefert sie mir und ich will ihr Ankläger vor den Richtern des Staates werden, aber hier –«

»Thut Eure Pflicht,« wiederholte Brown ruhig, ohne den Einwurf zu beachten, »hat einer der Gefangenen noch etwas zu sagen?«

»Ich will Alles entdecken,« schrie Rowson – »hört mich nur – Alles will ich entdecken, wenn Ihr mir mein Leben sichert. – Bis an meinen Tod will ich im Gefängniß arbeiten – aber das Leben schenkt mir – nur das Leben. Ich habe fürchterliche Sachen zu entdecken.«

»Euer Leben ist verwirkt,« erwiderte ernst der strenge Richter. – »Bereitet Euch auf Euren Tod vor!«

»Zurück!« schrie der Elende, als ihn die Regulatoren ergreifen wollten, »zurück mit Euch – ich bin dem Gesetz verfallen – ich –«

»Halt!« flüsterte der Indianer, der bis dahin, wie ein zum Sprung bereiter Panther, neben der gefesselten Gestalt des Methodistenpriesters gekauert hatte, sich jetzt aber zu seiner vollen Höhe emporrichtete und seine Hand auf die Schulter des vor der Berührung zurückbebenden Verbrechers legte. – »Dieser Mann ist mein, Ihr habt ihn schuldig gesprochen – aber ich bin sein Henker!«

»Nein – nein – nein!« schrie der Methodist in Todesangst – »nein – eher Alles – fort – fort, Ihr Regulatoren, fort mit mir – hängt mich – hängt mich hier an diesen Baum! – Nein, nicht hier – weiter fort etwas – hundert Schritt – eine halbe Meile – aber gebt mich nicht in die Hände dieses Teufels – Hülfe – Hülfe!«

Assowaum umschlang, ohne weiter eine Antwort der Regulatoren abzuwarten, die Arme seines Opfers mit der ledernen Fangschnur und nahm den sich wüthend, aber machtlos Sträubenden wie ein Kind in seine Arme.

»Gentlemen – das ist entsetzlich!« sagte der Advocat [] schaudernd – »Sie wollen doch nicht zugeben, daß der Wilde den Mann in den Wald schleppe und dort zu Tode martere?«

Keiner der Regulatoren antwortete eine Silbe – Alle starrten schweigend den Indianer an, dessen Züge aber, unverändert und ruhig, nicht das Mindeste von dem verriethen, was in seiner Seele vorging. Selbst Johnson schien für den Augenblick die Gefahr seiner eigenen Lage vergessen zu haben.

»Erbarmen!« schrie Rowson – »ich bin dem Lynchgesetz verfallen – Erbarmen – rettet mich vor dem Teufel, der mich gefaßt hat.«

Der Indianer trat mit ihm aus dem Kreis und schritt den schmalen Fußpfad, der in die Niederung und von da an den Fluß führte, hinab.

»Nein – das darf ich nicht dulden!« rief der Fremde und eilte dem Häuptling nach, entschlossen, den Unglücklichen wenigstens aus dieser Gefahr zu retten. Als aber Assowaum die Schritte hinter sich hörte, wandte er sein Antlitz dem Advocaten zu und rief drohend:

»Folge mir auf meiner dunkeln Bahn, und Du kehrst nie wieder zu den Deinen zurück – ich kenne Dich!«

»Rettet mich!« flehte Rowson – »rettet mich – bei Eurer Seele Seligkeit!«

Assowaum wandte sich und war im nächsten Augenblick mit seinem Opfer im Dickicht verschwunden. Wharton aber blieb wie in den Boden gewurzelt stehen und starrte träumend und fast bewußtlos der langsam fortschreitenden Gestalt des rothen Kriegers nach.

Aber auch auf dem Hügel wagte Keiner die feierliche Stille zu unterbrechen. Jeder verharrte mit tiefgefühltem Entsetzen in seiner Stellung – kaum zu athmen wagten die Männer und nur Brown schritt leise und geräuschlos an den Rand des Felsens, der den Fluß überragte, und schaute, den Arm um eine junge Eiche geschlungen, hinab auf das Flußbett. Dort aber glitt in seinem Canoe der Indianer mit langsamen, ruhigen Ruderschlägen dahin, und vorn im Boot lag die gebundene Gestalt des Methodisten.

[] Jones' Wehegeschrei weckte die Männer zuerst wieder aus ihrer Betäubung; der Kanadienser, der in dem Rachewerk des Häuptlings weiter nichts Außerordentliches gesehen, hatte die ruhige Zeit indessen dazu benutzt, den kleinen schwächlichen Mann an einen jungen Dogwoodstamm zu binden und ließ nun mit dem besten Willen von der Welt das schwanke Holz auf seinem Rücken herumtanzen. Er kümmerte sich auch wenig darum, daß dieser, sich unter den schmerzhaften Schlägen windend, schrie und jammerte, er habe schon sechzig – einundsechzig – zweiundsechzig – dreiundsechzig Schläge bekommen.

Brown legte sich endlich in's Mittel und befreite den Gezüchtigten von seinem Executor, der keineswegs gesonnen schien, sich an die einmal zugetheilte Anzahl Streiche zu kehren. »Da er doch einmal dabei sei,« wie er aufrichtig genug sagte, »wolle er dem Burschen den Appetit für Pferdefleisch gleich für immer benehmen.«

Eine andere Abtheilung hatte indessen Johnson unter den zu seiner Hinrichtung bestimmten Baum geführt. Bowitt ermahnte ihn, noch einmal zu beten. Als Antwort aber spie ihn der Verurtheilte an und wandte ihm verächtlich den Rücken. Kein Wort, weder Bitte noch Klage, kam über seine Lippen; die Regulatoren aber, durch diesen letzten Beweis von Frechheit empört, warfen ihm ohne weitere Umstände die Schlinge um den Hals, hoben ihn auf ein Pferd – der Neger mußte an dem Baum hinauf und das Seil an einem vorragenden Ast befestigen, und Curtis nahm dem Pony, das ruhig unter der ihm aufgebürdeten Last stand, den Zügel ab.

Johnson's Ellbogen waren ihm auf den Rücken zusammengebunden, und er saß hoch aufgerichtet im Sattel; das Seil richte gerade hinauf. – Sobald das Pferd aber nur einen Schriet vorwärts that, das Gras abzupflücken, das im Ueberfluß auf dem Kamm des Hügels wuchs, war es um ihn geschehen.

Das Pony rührte und regte sich jedoch nicht und schaute mit seinen großen dunkeln Augen von einem zum andern der Männer, als ob es wisse und verstehe, wie alle Blicke, erwartungsvoll an ihm hingen.

[] »Was sollen die Faxen?« rief Johnson jetzt halb ärgerlich – halb ängstlich, während ihm der kalte Angstschweiß auf die Stirn trat – »nehmt das Pferd fort und macht ein Ende!«

Es hätte nur eines Schenkeldrucks von ihm bedurft, und das Pony wäre vorgesprungen – aber er bewegte kein Glied – das Thier, das ihn trug, eben so wenig.

Brown schwang sich in den Sattel und sprengte den Hügel hinunter. – Ihm folgten die Uebrigen, von denen einige jedoch Wharton im Auge behielten. Jones war ebenfalls zurückgeblieben, aber der Kanadienser hütete den schon, daß er das gesprochene Urtheil nicht vereitelte.

Das Pferd des Verurtheilten stand noch immer unbeweglich, und Johnson schaute halb trotzig, halb verzagt nach Jones hinüber.

»Kommt,« sagte der Halbindianer jetzt zu diesem – »was Ihr im Sinne habt, weiß ich wohl – dem Mann sollt Ihr aber den Spaß nicht verderben – fort mit Euch!«

»Aber so laßt doch –«

»Fort mit Euch, sag' ich, oder – wir sind jetzt allein –« er schwang bei diesen Worten einen der noch vorräthig abgeschnittenen Stöcke. Im nächsten Augenblick verließen die Männer den Platz, und Johnson saß allein auf dem immer noch still und regungslos haltenden Thiere – unter seinem Galgen.

37.
Roberts' Haus.

Stille Trauer herrschte indessen, während auf dem Felshügel des Fourche la fave das Lynchgesetz seine Opfer verurtheilte und strafte, in Robert's Hause, wo bis jetzt Marion's [] Mutter bleich und besinnungslos auf ihrem Lager gelegen hatte. Die Regulatorenschaar war mit ihrem Gefangenen aufgebrochen, die Sonne schon hoch über die Wipfel der Bäume gestiegen, und noch immer hatte Mrs. Roberts kein Zeichen ihres zurückgekehrten Bewußtseins gegeben. Da plötzlich, als schon der alte Roberts anfing, mit einem sehr ernsten und bedenklichen Antlitz im Zimmer auf und ab zu gehen, als Marion still weinend am Bett kniete und betete, und Ellen ebenfalls stumm und traurig an ihrer Seite saß und die kalte Hand der alten Frau in der ihren hielt, schlug diese plötzlich die Augen auf, schaute wie erstaunt und verwundert – immer noch nicht recht darüber im Klaren, was eigentlich vorgegangen sei – zu ihrer Marion auf. Diese aber sprang jubelnd auf und flog mit einem Freudenschrei der zu neuem Leben erwachten Mutter um den Hals.

»Kind – liebes Kind –« sagte diese leise, »bist Du mir wiedergegeben? Bist Du wieder zu uns zurückgekehrt? Hat der – Gott sei mir gnädig – mir schwindelt, wenn ich an jenen Augenblick zurückdenke – hat der böse Feind, der in der Gestalt jenes Menschen bei uns erschien, keine Gewalt über Dich gewonnen?«

»Nein, Mütterchen – nein, herziges, liebes Mütterchen,« rief das erschütterte Mädchen – »oh, nun ist Alles gut, da Du die Augen wieder so hell und klar geöffnet hast. Nun wird Alles gut werden.«

»Aber – wie ist mir denn, Kind? Haben wir denn Morgen oder Abend? Mir kommt es vor, als ob ich eine lange, lange Zeit durchträumt hätte. Wo kommen die Leute alle her?«

»Margareth!« sagte jetzt Roberts, der leise und vorsichtig hinzugetreten war und sich auf dem Stuhl neben dem Bett seines Weibes niederließ – »Margareth – liebe, gute Margareth, wie geht Dir's?«

»Roberts hier? und Mr. Bahrens und Harper? und Ellen? – Seid Ihr denn gar nicht fortgeritten?« frug die alte Frau erstaunt und unruhig; »hab' ich denn Alles nur geträumt?«

»Du sollst Alles erfahren, Mütterchen,« flehte Marion, [] bittend ihre Hand streichelnd – »aber jetzt, nicht wahr, jetzt hältst Du Dich recht ruhig und erholst Dich erst wieder!«

»Erholen?« frug die Mutter, sich von ihrem Lager aufrichtend – »erholen? ich bin stark und kräftig – nur der Kopf – der Kopf schwindelt mir noch ein wenig. Aber erzählt mir, oh bitte – erzählt mir, was vorgefallen. Roberts – Bahrens – Harper – was fehlt den Männern? Sie sehen alle so ernst aus.«

»Nichts fehlt ihnen, Mrs. Roberts« erwiderte ihr Bahrens, indem er vortrat und ihre Hand schüttelte – »nicht das Mindeste – jetzt wenigstens nicht mehr. Nur so lange Sie da kalt und bleich wie eine Leiche lagen, so lange war's uns hier nicht geheuer im Zimmer, und da mögen wir wohl noch ein wenig alberne Gesichter schneiden. Harper hier ist überdem selbst halber Patient. Aber heraus jetzt mit der Sprache; am besten erfahren Sie gleich Alles auf einmal, da es überdies nichts Schlimmes ist, und nachher wird Ihnen und uns das Herz leicht.«

Marion mußte nun erzählen; von dem ersten Augenblick an, wie Rowson in das Haus gesprungen und Cotton aus seinem Versteck herabgeklettert sei, wie sie gebunden gewesen und wie sich Ellen befreit; Assowaum's erstes Erscheinen, der Freundin Heldenthat und die Rettung durch die – Regulatoren, unter welchem allgemeinen Namen das holde Mädchen schüchtern die Nennung des geliebten Mannes umging. Dies Alles kündete sie dem aufhorchenden und liebend ihre Hand in die ihre pressenden Mütterchen, das immer noch das theure Kind in Gefahr zu sehen glaubte und nicht von ihm lassen wollte, um es nicht auf's Neue zu verlieren.

»Also Dir, gutes Mädchen, danke ich eigentlich allein das Leben meiner Tochter,« wandte sie sich dann aber zu der erröthenden Ellen und reichte ihr die noch freie Hand hinüber.

»Mir? ach Gott, nein,« entgegnete diese schüchtern – »mein Verdienst ist gar gering dabei – die Pistole – ich weiß nicht – ich glaube, sie muß von selbst losgegangen sein; ich habe mich wenigstens immer vor Feuerwaffen gefürchtet.«

»Ellen war gewiß unser Rettungsengel,« unterbrach sie [] Marion. »Der Indianer wäre verloren gewesen, wenn jener Schuß nicht fiel und nach ihm – vielleicht der – Nächstfolgende. Auf jeden Fall aber würde der Wüthende uns selbst seiner Rache geopfert haben. Ellen ist sicherlich die Heldin jener Nacht.«

»Wo aber sind die Uebrigen? Mr. Curtis, Brown und Wilson?« frug die Matrone – »sie, die neben dem Indianer ihr Leben so kühn und uneigennützig für Euch auf's Spiel setzten, verdienten doch sicher den heißesten Dank.«

Harper hustete bei dem Worte »uneigennützig« bedeutend, und Marion's Antlitz überflog eine Scharlachröthe.

»Die jungen Leute sitzen über die Buben zu Gericht,« sagte Roberts – »und wärest Du nicht so sehr krank gewesen, so hätte ich heute ebenfalls dem Regulatorengericht beigewohnt. Wo solche Schurkereien vorfallen, da muß den Schuften einmal bewiesen wer den, daß der alte Geist in uns Hinterwäldlern noch nicht etwa erstorben ist. Nun – sie werden's auch ohne uns, die wir doch nun einmal hier, wo wir vollauf zu thun haben –«

»Aber sagtet Ihr nicht,« frug Mrs. Roberts schaudernd, – »daß jener Rowson – jener – Rowson –«

»Laß das jetzt sein, Alte,« unterbrach sie schmeichelnd Roberts – »wenn Du wieder recht wohl und kräftig bist, dann wollen wir über die Vorfälle genauer sprechen, bis dahin hören wir auch das Resultat des Regulatorengerichts. Aber nun, Mädchen, schafft einmal an, was Küche und Rauchhaus zu bieten vermögen. Wir feiern heute ein Fest, ein Fest der Erlösung, und zwar ein doppeltes, in geistiger und leiblicher Hinsicht, denn in leiblicher sind uns diese verwünschten Pferdediebe, vor denen kein Huf im Stalle mehr sicher war – Hostlern haben sie neulich versucht, seinen Hengst mitten aus dem Hofraum zu stehlen, und seine Fenz ist über elf Fuß hoch. Uebrigens hat er keine ›Reiter‹ Eine Benennung der obersten, durch besondere Stützen hoch gestellten Fenzstangen. dran, und ich habe es ihm –«

»Und in geistiger können wir unserem Herrgott fast noch [] mehr danken –« unterbrach ihn Bahrens, als er fand, daß Roberts wieder mit verhängten Zügeln nach New-York sprengte – »jetzt wird das Predigen doch einmal ein wenig nachlassen.«

»Aber, Mr. Bahrens,« sagte in vorwurfsvollem Ton die Matrone – »wollen Sie die Schuld aus eine so heilige Sache werfen?«

»Nein, sicherlich nicht«, erwiderte dieser, um Alles zu vermeiden, die noch nicht ganz Genesene zu kränken – »sicherlich nicht – aber das Gute hat es, daß wir künftig in der Wahl der Prediger sehr vorsichtig sein werden, und auch mit Recht. Ein gebranntes Kind scheut das Feuer.«

»Hallo da!« rief Harper dazwischen – »hier ist verboten worden, die Sache weiter zu berühren, bis wir erst einmal eine ordentliche Mahlzeit im Magen haben, und das sind' ich nicht mehr wie recht und billig. Seit gestern Abend sitzen wir hier neben dem Bett und hungern; das mag ein Anderer aushalten.«

»Gleich sollen Sie befriedigt werden, bester Herr Harper,« sagte Marion, ihm lächelnd das Händchen hinüberreichend – »Sie dürfen schon nicht böse sein – Mutter –«

»Bst – bst – keine Entschuldigungen,« lachte der kleine Mann – »ich weiß Alles – habe den Hunger bis jetzt selbst nicht gespürt. Aber nun kommt's, darum meld' ich's auch gleich, eh' es zu spät oder später wird; von Mittag kann's so nicht weit mehr sein.«

»Wie wär's, wenn wir jetzt noch nach der Versammlung hinüberritten?« frug Bahrens – »ich hätte gewaltige Lust, daran Theil zu nehmen.«

»Wir kämen doch zu spät,« erwiderte Roberts; »der Platz ist ziemlich weit, deshalb warten wir's besser ab. Brown und Wilson haben mir Beide versprochen, heut Abend noch hinüber zu kommen und das Resultat zu melden. Es ist sehr gefällig von ihnen.«

»Sehr!« sagte Harper und warf einen Seitenblick nach Marion hinüber. Diese aber schien, mit der Mutter beschäftigt, die Bemerkung ganz überhört zu haben, während Ellen sich [] ebenfalls herumwandte. Mit außerordentlich lobenswerthem Eifer blies sie die fast verglommenen Kohlen im Kamin zur hellen Flamme an und legte Holz nach, um die verspätete Mahlzeit für die Mutter zu kochen.

Der Abend rückte indessen heran; Mrs. Roberts hatte sich wieder vollkommen erholt, und da das Wetter mild und warm war, so saßen Alle unter den blühenden Dogwoodbäumen im kleinen Gärtchen. Der Platz war aber besonders freundlich, denn nicht allein standen hier viele Schattenbämne, sondern Marion's sorgsame Hände hatten hier auch manche wilde Waldblumen heimisch gemacht, die mit ihrem Farbenschmelz das Auge erfreuten.

Wie oft sie aber auch das Gespräch auf fernliegendere, gleichgültigere Gegenstände bringen mochten, immer flogen wieder die Augen hinüber nach der Gegend, aus der sie die Freunde erwarteten, und immer wieder war das wahrscheinliche Resultat jener ernsten Verhandlungen die Axe, um die sich ihre Vermuthungen und Bemerkungen drehten.

»Sie werden ihn Wohl nicht so hart bestrafen,« sagte Mrs. Roberts endlich nach kleiner Pause, in der sie nachdenkend vor sich niedergestarrt hatte – »wenn die Wunde so bös war, ist ja das schon Züchtigung genug –«

»Für solche Verbrechen?« frug ernst und mahnend ihr Gatte. Schaudernd barg die Matrone ihr Antlitz in den Händen.

»Der Indianer hatte Mitleiden mit ihm,« flüsterte schüchtern Marion – »er pflegte ihn mit einer Sorgfalt, deren ich ihn nicht für fähig gehalten hätte –«

»Der Indianer?« frug, staunend zu der Tochter aufschauend, die alte Frau – »der Indianer pflegte den – Mörder seines Weibes?« wiederholte sie dann immer noch ungläubig und verwundert.

»Ja – wie wir das Vieh pflegen, das wir schlachten wollen,« sagte Bahrens mit einem leisen Schauder; »mir ist der Indianer noch nie so entsetzlich vorgekommen, als in seiner zärtlichen Sorgfalt – ich kann sein Bild gar nicht los werden.«

»Und Du – armes – armes Kind,« wandte sich die[] Mutter jetzt liebevoll zu der neben ihr sitzenden Jungfrau; »wer wird Dir je für jene fürchterliche Täuschung Ersatz geben können?«

»Brown! wahrhaftig – dort kommt er angesprengt,« rief der alte Roberts, während Marion erst erschreckt zu ihm aufschaute und jetzt zitternd und erröthend ihr Antlitz an der Brust der Mutter barg.

»Und dort ist auch Wilson,« rief Harper – »nun, jetzt werden wir erfahren, wie Alles abgelaufen ist.«

»Sie sehen ernst und feierlich aus,« sagte Bahrens.

»Ein ernstes und feierliches Geschäft war es auch, das sie beendet,« erwiderte Roberts; »aber ein schönes und herrliches Recht haben sie zugleich dabei ausgeübt, das Recht des Selbstschutzes – der Selbstvertheidigung, und das wollen wir uns in Arkansas bewahren, so lange wir noch Mark in den Knochen und Blut in den Adern haben.«

In diesem Augenblick sprengten die beiden Männer heran, warfen sich von den Pferden, übersprangen die Fenz und begrüßten mit herzlichem Wort und Händedruck die Freunde.

[] 38.
Die Rache des »befiederten Pfeiles«.

Leise und geräuschlos glitt unter dem überhängenden, schwankenden Rohr, unter den wehenden, schaukelnden Weiden, die sich weit hineinbeugten in das grüne Bett des fröhlich plätschernden Stromes, ein kleines, schmales Canoe, von sicherer Hand geführt, dahin. Kein Laut wurde gehört, als sich nach jedesmaligem Schlage das Ruder blitzesschnell aus dem Wasser hob; kein Laut wurde gehört, wenn es eben so rasch wieder eintauchte in die Fluth. Der Hirsch, der zum Wasser heruntergekommen war, trank ruhig weiter; kaum fünfzig Schritt von ihm glitt der dunkle Schatten vorüber, still und geisterhaft – er sah ihn nicht, und erst als er schon [] in weiter Ferne, mit Rohr und Busch, unter dem er hinschoß, verschwamm, stutzte das scheue Wild, warf den schönen Kopf in die Höhe, schnaubte, stampfte das kiesige Ufer, auf dem es stand, mit dem Vorderlauf und trabte dann langsam und stolz in sein kaum verlassenes Dickicht zurück. Die verrätherische Luft hatte den Hauch seines Feindes zu ihm herübergetragen.

Leise und geräuschlos glitt das Canoe dahin, und nur die wirbelnden Luftblasen, die sprudelnd und kochend, von dem kräftigen Ruderschlag gelockt, an die Oberfläche kamen, kündeten die Bahn, die es genommen, wie sie in kleinen, einzelnen Strudeln schnell entstanden und von der Strömung, die sie erzeugt, wieder aufgelöst und vernichtet wurden.

Der Indianer steuerte das Canoe, und im Vordertheil desselben lag, gebunden und ohnmächtig vor Angst und Erschöpfung, der Methodist.

Jetzt richtete sich der Schnabel des kleinen schlanken Fahrzeugs über den Fluß hinüber; wenige Minuten darauf trieb er vorn auf die glatten Kieselsteine der seichten Uferbank und hielt. Rowson schlug die Augen auf und sah umher, aber schaudernd erkannte er die Stelle, wo er in jener Nacht das Weib des Mannes ermordet hatte, dessen Gefangener er jetzt war, und vor dessen Rache ihn keine Macht der Erde mehr schützen konnte.

Das Boot landete und Assowaum sprang an das Ufer, schlang die Weinrebe, die ihm zum Ankertau diente, um eine dort stehende kleine Birke, trat dann zurück neben sein Fahrzeug und hob leise und vorsichtig seinen Gefangenen heraus.

»Was willst Du thun, Assowaum?« flehte dieser mit heiserer, zitternder Stimme. – Keine Antwort ward ihm. – »Rede nur, um aller Heiligen willen, rede!« rief der meineidige Priester in Verzweiflung – »sprich, und laß mich das Schrecklichste wissen.« Schweigend trug ihn sein Henker das Ufer hinauf und in die Hütte, den Schauplatz seines Verbrechens, hinein.

Entsetzt wandte Rowson sein Antlitz von der nur zu wohl bekannten Stätte und schloß die Augen. Ruhig aber legte [] ihn Assowaum in der Mitte der Hütte, dicht neben einem der kleinen dort emporgewucherten Hickory-Schößlinge nieder, und kein Laut unterbrach dann weiter das grabesähnliche Schweigen des Platzes, als das schwere Athmen des Unglücklichen selbst. Es war dieselbe Stelle, auf der Alapaha's Leiche gelegen hatte. Da ertrug der Methodist nicht länger die peinigende Ungewißheit seiner Lage; er blickte empor und sah dicht neben sich den Indianer, niedergekauert wie zum Sprung, und die kleinste seiner Bewegungen aufmerksam und sorgfältig bewachend, sonst aber unthätig und, wie es schien, ganz in dem Anschauen seines Opfers verloren. Ein triumphirendes Lächeln durchzuckte jedoch seine dunkeln Züge, als er den Ausdruck der Angst und des Entsetzens in dem Antlitz seines Opfers gewahrte, und leise hob er sich jetzt empor, nahm von seinem Gürtel das lederne Fangseil und fesselte die schon überdies gebundene Gestalt des Gefangenen sorgsam und unlösbar an den jungen, zähen Stamm, neben dem sein Körper lag.

Vergebens bot ihm der Unglückliche Schätze und Reichthümer; vergebens erzählte er ihm von Gold, das er vergraben, und das er Alles ihm, dem Feinde, geben wolle, wenn er ihn frei ließe, oder wenigstens seiner Qual mit einem Streich des Tomahawks ein Ende mache. Schweigend, als ob er die Worte nicht verstände, die Jener in leidenschaftlicher Rede in sein Ohr hauchte, vollendete der »befiederte Pfeil« das Werk der Rache, und machtlos, Hände und Füße gebunden, durch den jungen Baum aber an den Boden gefesselt, verließ ihn der Indianer auf wenige Augenblicke und kehrte dann mit etwas trockenem Laub und dürrem Reisigholz zurück.

Jetzt durchschoß zum erstenmal eine dunkle Ahnung das Hirn des Unglücklichen. – Er kannte die Sitte der wilden westlichen Stämme, kannte ihre erbarmungslose Grausamkeit, und in wildem, gellendem Schmerz und Angstschrei machte sich seine Brust Luft, während er umsonst gegen seine Banden anwüthete. Der Indianer wehrte ihm nicht – ein Knebel würde jedem weiteren Schmerzensruf ein Ende gemacht haben, [] aber nein, jener Ton war Musik für sein Ohr, und lächelnd bog er sich nieder und blies mit seinem Hauch das qualmende Laub zur Flamme an. Das geschehen, trug er eine Menge schnell gespaltene Kienspäne herbei, und bald loderte im feurigen Kreise, rings an den Wänden der Hütte entzündet, ein Flammenstreifen empor und leckte züngelnd und gierig an den trockenen Stämmen.

Lauter und dröhnender scholl der gellende Hülferuf durch den stillen Wald, aber sorgsamer nur nährte der Indianer die Flamme, daß sie auf keiner Seite verlöschte und bald wie mit einem Feuermeer in weitem Zirkel das Opfer umgab.

Jetzt erst, als die Hitze unerträglich wurde und ihm selbst an mehreren Stellen die Haut in Blasen zog, verließ er das glutherfüllte Gemach und begann draußen mit geschwungenem Tomahawk und in lauten, jubelnden Tönen seinen Sieges- und Triumphgesang.

Schauerlich gellte dazu das Wehgeheul des Priesters – schauerlich knisterten und sprühten dazu die qualmenden, flackernden Stämme, deren Rauch sich schwerfällig in das grüne Laubdach hinaufdrängte und sich dort Bahn brach, in die klare, helle Frühlingsluft hinein. Dort aber blieb er liegen; wie ein düsterer, unheimlicher Schleier lagerte sich der gelblich-graue Qualm auf dem Blättermeer, dem er kaum entstiegen.

Wilder und entsetzlicher wurden die Hülferufe des Gepeinigten, und lauter und jubelnder schallte dazu der Festgesang der Odjibewas, daß ein Wolf, der unfern von dort sein still verstecktes Lager gehabt, scheu emporsprang und entfloh, ein ruhigeres, heimlicheres Bett zu suchen.

Da krachte endlich das Sparrwerk des morschen Daches – hochauf spritzten und sprühten die Funken – ein wilder Schmerzensschrei brach noch aus der emporzüngelnden Gluth – schwarzer Qualm wälzte sich rollend daraus hervor, und – Alles war vorüber.

Blutroth sank hinter dem fernen Bergrücken die Sonne hinab; aber neben der Brandstätte stand mit geschwungener Waffe der rothe Krieger und sang in einförmiger, wilder Weise sein Rache- und Siegeslied:

[]
Alapaha!
Aus dem Grabe, aus dem finstern
Grabe steige,
Eile, eile wie in frühern Zeiten
Zu mir, Liebchen,
Denn Dein Blut, es ist gesühnet;
In der Flamme
Zuckt und stirbt Dein Mörder – Alapaha!
Unten – unten,
Fest am Buden lag ich lauschend
Hier im Thale,
Und ich hörte Deine Stimm' im Grabe
Unten – unten,
Deine leisen, leisen Klagen,
Und sie riefen
Mahnend mich zur Rache. – Sieh, ich folgte.
Aus den Gluthen
Schrill und laut ertönt sein Wehschrei,
Alapaha,
Heulend reißt er an den Banden,
Doch vergebens,
Schwach und schwächer wird sein machtlos Toben,
Und gesühnt ist
Endlich meine Rache! – endlich! endlich!

39.
Schluß.

»Also ernstlich gut seid Ihr dem Mädchen die ganze Zeit über gewesen, Brown, und habt mir nicht ein einziges Wort davon gesagt?« frug diesen der alte Roberts, während er die Hand des jungen Mannes fest in der seinigen hielt.

Brown drückte sie schweigend; dann erwiderte er herzlich:

»Was hätt' es geholfen, Sir? Ich war zu spät gekommen und durfte mich nicht beklagen.«

»Und jener Schurke hätte Euch beinahe –«

»Er ist bestraft,« fiel ihm Brown in die Rede. »Nun [] aber sagt auch Ihr mir gerad' und frei heraus, wollt Ihr mir das Glück Eurer Tochter anvertrauen?«

»Ja – Blitz und Hagel,« lachte der Alte ganz erstaunt – »Ihr fragt mich da, als ob ich überhaupt bei der ganzen Verhandlung ein Wort zu sagen hätte. Bin ich denn bei Rowson –«

»Roberts,« unterbrach ihn bittend die Mutter.

»Aber das Mädchen,« rief dieser kopfschüttelnd – »das ist doch hierbei immer die Hauptperson.«

»Vater,« bat Marion, die bis jetzt ihr Köpfchen am Herzen der Mutter geborgen hatte und nun liebend den Hals des alten Mannes umschlang.

»Ah!« sagte dieser, halb lachend, halb verwundert – »so stehen die Sachen? Ja, wenn das Wild gleich aufbäumt, hat der Jäger leichte Jagd. Uebrigens –« rief er, nach Brown mit dem Finger hinüberdrohend, während er die Stirn seines lieblichen Kindes küßte – »scheint mir der Herr nicht erst seit heute auf der Fährte zu sein.«

»Und die Mutter?« frug Brown, dieser das holde Mädchen entgegenführend.

»Nehmt sie hin, Sir,« sagte die alte Frau zitternd – »sie scheint Euch gut zu sein, und ich – ich habe mir leider das Recht vergeben, für sie eine Wahl zu treffen.«

»Mutter,« bat Marion, »rede nicht so; Du glaubtest ja doch nur für mein Glück zu sorgen.«

»Ja, das glaubte ich, Kind; der Allmächtige ist mein Zeuge. Das glaubte ich mit fester, inniger Ueberzeugung; aber der Herr allein kennt die Herzen der Menschen; wir armen Sterblichen sind schwach und blind.«

»Dank – Dank – herzlichen Dank, Ihr Guten,« rief Brown, indem er die holde Jungfrau an sein Herz schloß. »Sie sollen hoffentlich nie bereuen, mir Ihr einziges Kind anvertraut zu haben.«

»Und mich fragt der Junge gar nicht,« sagte jetzt Harper, der mit nassen Augen vortrat und den Neffen fest an's Herz drückte – »Mordschlingel – thut gar nicht, als ob er einen Onkel hätte.«

[] »Ihre Güte kenn' ich, lieber Onkel,« rief, ihn freudig umarmend, der junge Mann, »und auch für Sie soll hoffentlich jetzt ein freudigeres, fröhlicheres Leben erblühen.«

»Ha,« sagte Harper, indem er sich mit dem Rockärmel schnell über die Augen fuhr, den Neffen losließ und die künftige Nichte beim Kopfe nahm: »es thut auch noth, daß das Leben einmal aufhört. Lange hätt' ich's übrigens so nicht mehr ausgehalten; hier Bahrens und ich, wir wollten schon im nächsten Monat eine Wanderschaft antreten.«

»Wohin?« frug Madame Roberts erstaunt.

»Wohin?« sagte Harper – »nirgends hin, hier bleiben, aber heirathen. Jetzt feixt der Junge wieder, als ob ich zu alt zum Heirathen wäre. Höre, Bursche –«

»Dort kommen Reiter!« rief Bahrens, nach der Flußgegend zeigend, und gleich darauf sprengten auch Stevenson, Hook und Curtis auf den freien, die Farm umgebenden Platz.

Stevenson begrüßte die Frauen, die er als alte Freunde und Nachbarn kannte, herzlich, schüttelte aber lachend mit dem Kopf, als ihm Mrs. Roberts Vorwürfe machte, seine Frau und Töchter nicht einmal zu ihr geführt zu haben. Sie habe die, wie sie meinte, in so langer Zeit nicht gesehen und hätte sie so gern einmal wieder gesprochen.

»Wir können morgen hinaufreiten,« sagte Roberts.

»Ist nicht nöthig!« rief dagegen Stevenson, »Ihr werdet uns schon noch Alle satt und müde werden.«

»Wie so? Ihr bleibt hier?« frug Roberts schnell.

»Ich habe Atkins' Farm gekauft,« sagte der alte Tennesseer. »Die Gegend hier gefällt mir – der arme Teufel wollte fort, und – da bin ich handelseinig mit ihm geworden.«

»Ihr könnt ja aber den Platz noch nicht einmal besehen gaben, denn an jenem Abend –«

»Ist auch nicht nöthig,« lachte Stevenson. »Sagt er mir nicht zu, nun so läuft mir Crawford County immer nicht fort. Ost er aber so, wie ihn Mr. Curtis und Cook hier schildern, dann brauch' ich nicht weiter zu ziehen. Die Nachbarn gefallen mir ebenfalls, und da unter dem Pack der Pferdediebe ein [] wenig aufgeräumt ist, so fange ich an einzusehen, daß der Fourche la fave gar nicht so schlimm sei, als ihn die Leute machen.«

»Brav, Stevenson, brav!« rief Roberts, ihm voller Freude beide Hände schüttelnd. »Heute ist ein Glückstag. Mord – ja so – der Teu – oh – Füchse und Wölfe – höre. Alte, heut mußt Du mir einmal einen Fluch zu Gute halten, es kommt sonst nicht so herzlich heraus, wie ich's meine. Aber verdammt will ich sein, wenn ich die Zeit weiß, wo ich so vergnügt gewesen bin. Kinder – wo ist denn Ellen? das brave Mädchen darf nicht fehlen –«

»Im Hause,« sagte Brown.

»Allein im Hause? ei, weshalb kommt sie denn nicht zu uns? Die gehört von jetzt an mit zur Familie.«

»Daß sie nicht allein ist,« erwiderte ihm lächelnd Brown, »dafür hat, glaub' ich, Mr. Wilson Sorge getragen.«

»Pu – uh!« sagte Roberts – »dort sitzt der Truthahn? Nun so kommt Kinder, da sie nichts von uns wissen will, müssen wir sie aufsuchen. Ihr seid aber Alle meine Gäste, und Stevenson, alle Wetter, wo ist denn Euer Junge?«

»Den hab' ich den Frauen geschickt, um sie zu beruhigen,« sagte der Alte.

»Recht so; also Stevenson muß seine Familie morgen ebenfalls herunterholen; wir schlagen hier ein Lager aus, und in nächster Woche – oder sobald es den jungen Leuten gefällig ist – denn die haben doch wohl dabei die Hauptstimme – oder nehmen sie sich wenigstens, was, wenn man es bei Tage –«

»Betrachtet, vollkommen recht ist,« unterbrach ihn lachend Harper – »halten wir also Hochzeit, und nachher« fuhr er mit einem komischen Seitenblick auf Brown fort, »läßt ein gewisser junger Mann seinen alten Onkel hier allein auf dem Trocknen sitzen, besteigt einen zu diesem Zweck besonders angeschafften Fuchs und reitet nach –«

»Little Rock – Onkelchen,« fiel Brown, ihm die Hand hinüber reichend, ein – »um dort das Land zu kaufen, auf dem er von nun an am Fourche la fave mit eben diesem alten Onkel und seinem jungen Weibchen leben will.«

[] »Und wird Euch Regulatoren der Gouverneur nicht zürnen, daß Ihr seine Gesetze gebrochen?« frug Marion schüchtern den Geliebten, indem sie sich fester und inniger an seine Brust schmiegte.

»Mag er,« sagte lächelnd der junge Mann, die Stirn der holden Jungfrau mit leisem Kusse berührend. »Wir haben unsere Rechte vertheidigt und die Brut vernichtet, die giftgeschwollen diese herrlichen Wälder durchkroch. Seine Machtlosigkeit gerade war es, die jene Verbrecher glauben machte, daß sie, wenn auch nicht unentdeckt, doch ungestraft Unthat nach Unthat begehen könnten. Unser Regulatorenbund hat ihnen aber die Gewalt gezeigt, die der einfache Farmer im Stande ist auszuüben, sobald es die Noth und seine eigene Sicherheit erheischt. Die Gefahr ist vorüber, und gern vertauschen wir wieder das Richtschwert mit dem freundlicheren Ackergeräth des Landmanns.«

Das Uebrige ist bald erzählt:

Was Wilson und Ellen betraf, so hatte diesmal der alte Roberts, nach einem arkansischen Sprüchwort, keineswegs »unter dem falschen Baum gebellt«. Noch in derselben Woche legte der nicht fern wohnende Friedensrichter die Hände beider Paare in einander, und während Brown nach Little Rock ritt, den Kauf seines Landes zu besorgen, schrieb Wilson an seine alte Mutter in Memphis, um diese zu sich einzuladen, damit sie an seinem Herde ihre letzten Tage in Ruhe und Frieden verleben könne.

Atkins verließ schon am nächsten Morgen den Fourche la fave, lagerte jedoch noch eine kurze Zeit in der Nähe, um seinen Handel mit Stevenson in Ordnung zu bringen. Dies geschah jedoch durch Curneales' Vermittelung, da er sich nicht entschließen konnte, wieder freundlich mit dem Mann zu verkehren, durch dessen Hülfe er seiner, wenn auch gerechten, Strafe oder Beschimpfung überliefert worden. Mit Wilson hatte er jedoch noch eine Unterredung, und auch Ellen nahm [] Abschied von ihren Pflegeeltern, ehe sie den Staat auf immer verließen.

Ueber Cotton konnte man nichts Näheres erfahren; ein Canoe war umgeworfen und mit einem Kugelloch in der Seite unterhalb Harper's Hause angetrieben gefunden worden; es lieh sich daher nichts Anderes vermuthen, als daß dies dasselbe sei, in welchem die Verbündeten hatten entfliehen wollen; doch blieb Cotton selbst spurlos verschwunden, und da man auch an keinem der Ufer eine weitere Fährte entdeckte, so gewann das Gerücht bald allgemeinen Glauben, der Verfolgte sei, wenn nicht von einer der nachgeschickten Kugeln getroffen, doch mit dem Boote umgeschlagen und durch die Kleider und vielleicht noch sonstiges mitgenommenes Gepäck am Schwimmen verhindert worden und ertrunken. Eben so wenig war von dem Mulatten zu erfahren, obgleich die Männer, die einige Tage darauf Johnson's Leichnam abschnitten und begruben, behaupten wollten, den Schatten seiner dunkeln Gestalt am Rande jenes Schiffbruchs gesehen zu haben, der sich vom Uferrande des Fourche la fave aus nach dem Hügel zu erstreckte.

Der Advocat von Little Rock hatte sich, gleich nach Beendigung der Versammlung, auf sein Pferd geworfen und war im gestreckten Galopp davongesprengt, doch, nie man später erfuhr, nicht in der Richtung nach Little Rock zu, wo Niemand einen »Wharton« kannte.

Der Indianer lagerte dagegen noch neun Tage nach dem Tode des Methodisten neben dem Grabe seines Weibes, unterhielt dort ein Feuer und brachte ihr nächtlich seine Spenden an Speise und Trank. Am Morgen des zehnten jedoch trat er, mit Decke und Büchse auf der Schulter, marschfertig gerüstet in Harper's Hütte, die, bis ihr eigenes Haus errichtet worden, von den jungen Eheleuten einstweilen bezogen war. Dort reichte er dem Freunde ernst und schweigend die Hand zum Abschied.

»Und will der ›befiederte Pfeil‹ sein Leben nicht bei seinen Freunden beschließen?« frug ihn Brown herzlich; »Assowaum hat Niemanden, der für ihn kochen und seine [] Moccasins nähen wird. Will er das Dach meiner Hütte mit mir theilen?«

»Du bist brav!« sagte der Indianer, indem er freundlich mit dem Kopfe nickte; »Dein Herz hat denselben Sinn wie Deine Worte, aber Assowaum muß jagen. Die weißen Männer haben das Wild am Fourche la fave getödtet; die Fährten der Hirsche sind selten geworden, und Bären kommen nur noch als Wanderer in die Niederungen dieser Thäler. Die Heerden der Weißen haben die Rohrdickichte der Sümpfe gelichtet, und der Bär sieht sich in ihnen umsonst nach einem Lager um. Assowaum ist krank; Büffelfleisch wird ihn gesund machen. Er zieht nach Westen.«

»Dann gehe wenigstens nicht so weit, und wenn Du des Umherwanderns müde bist, kehre zurück zu uns; Du hast hier eine Heimath.«

»Mein Bruder ist gut – Assowaum wird daran denken.«

»Und Ellen? – Hast Du von ihr schon Abschied genommen?« frug ihn Brown.

»Assowaum vergißt nimmer Die, die ihm Gutes erwiesen,« sagte der Indianer. »Das junge Mädchen rettete sein Leben, aber mehr noch – es rettete seine Rache. – Mein Pfad führt an ihrem Hause vorbei – Good bye!«

Noch einmal schüttelte der Häuptling warm und innig des weißen Freundes Hand – ebenso die »seiner jungen Gattin – noch einmal winkte er den letzten Gruß zurück, und im nächsten Augenblick schloß sich das volle Laub der Büsche hinter ihm, als er, die Fenz überspringend, im Wald, im grünen, blühenden, duftigen Wald verschwand.


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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2023). German ELTeC Novel Corpus (ELTeC-deu). Die Regulatoren in Arkansas. Aus dem Waldleben Amerikas : ELTeC ausgabe. Die Regulatoren in Arkansas. Aus dem Waldleben Amerikas : ELTeC ausgabe. . ELTeC conversion. https://hdl.handle.net/21.T11991/0000-001C-EE2C-6