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Wegen Ihrer Besorgnisse in Ansehung [von] Seebecks Genialität für eine Lehrstelle vergaß ich das letzte Mal zu schreiben. Von dieser Seite ist wohl nichts zu befürchten. Er ist ein verständiger Mann; wenn sich eine Widerborstigkeit an ihm etwa hervortut, so ist es eben nicht aus Genialität. - Er sprach mir seitdem davon, daß er an Schelver sich für eine außerordentliche Professur bereitwillig erklärt habe, - keine ordentliche, um mit Fakultäts- und Senats-Verhältnissen nichts zu tun zu haben. - Ferner erklärt er sich, wenn er Astronomie (wie Fries) lesen sollte, so wäre es keine Stelle für ihn. - Auf m[ein]e Bemerkung, daß er bei [eine]r außerordentlichen Professur auf keinen beträchtlichen Gehalt Anspruch machen könne, gab er dies zu. Da die Chemie einen eignen Professor hat, so würde er auf e[ine] bloße Vorlesung über die Experimentalphysik beschränkt sein. - Ich habe ihm 100mal geraten, auf e[ine] Universität zu gehen, dort publica oder privata über Teile der Physik oder die ganze zu lesen. Er hätte auch für sich selbst daran die Erfahrung gemacht, wie die Vorlesungen für ihn passen. - Ihnen darf ich wegen der[132]Genialität mein Urteil sagen, daß er ein mittelmäßiger Kopf ist. Mathematik, die dermalen als ein wesentliches Ingrediens der Physik gilt, hat er nur so weit inne, daß er mühselig bei den Gegenständen seiner Versuche vorkommende Elemente herausgebracht hat. Ich sehe eine Möglichkeit, Experimentalphysik ohne oder mit wenig Mathematik zu traktieren. Aber es gehört ein Talent [da]zu, ihr diese gewissermaßen neue Form und Bearbeitung zu geben, und alle Verlegenheit darüber zu beseitigen. Zu seiner Brauchbarkeit vermisse ich, wenn ich meine Stimme geben sollte, nichts, als daß er für sich und andre eine Probe hätte machen sollen. - Dies, aber schlechterdings nur unter uns, nicht in dem Sinne, wie wenn man etwas zu jedermann sagt, unter uns hinzu[ge]setzt. Schelver und Boisserée werden eine ganz andere Ansicht haben; weil Sie aber mich gefragt, so habe [ich] Ihnen die meinige geschrieben.

[...]

Herr von Reizenstein ist, höre ich, in Bayreuth. Minister von Altenstein will, wie mir Seebeck sagte, wegen seiner an ihn schreiben. Von Berlin hofft S[eebeck] dermalen nicht viel für sich. [...]

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2022). Goethes Farbenlehre in Berlin. Repositorium. 13. September 1816. Hegel an Paulus (Auszug). Z_1816-09-13_k.xml. Wirkungsgeschichte von Goethes Werk „Zur Farbenlehre“ in Berlin 1810-1832. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek. https://hdl.handle.net/21.T11991/0000-001C-0DA9-6