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Euer Hochwohlgeboren!

Vor Allem muß ich Euer Hochwohlgebohrn Auffschluß über
die Ursachen geben, welche die Antwort auf Ihr verehrli-
ches Schreiben vom 10ten d. Mts. so sehr verspätet ha-
ben. Ich war zur Zeit der Ankunft desselben in
München nicht mehr daselbst, sondern schon hier, wohin
ich meine Frau, welche sich langsam von einer todes-
gefährlichen Krankheit erhohlt, begleitet habe. Mei-
ne Dienstleute ließen wahrscheinlich Ihr verehrtes
Schreiben ein Paar Tage liegen, und hierher kommt
die Post jede Woche nur zwei mal.

In Betreff des Herrn Profeßors Gruithuisen werde ich
die mir abverlangten Aufschlüße nach Wissen und
Gewissen Ihnen ertheilen, so wie mich nicht nur
Wichtigkeit der Veranlassung zu selber, nämlich die
Besetzung eines Lehrfaches von so wesentlicher
Bedeutung an einer so ausgezeichneten Lehran-
stallt; sondern auch der Wunsch dazu bestimmt,
Ihr mir so schätzbares Zutrauen mir für die Zukunft
zu erhalten. Ich glaube, ohne mir ein besonderes
Urtheil über die höheren wissenschaftlichen Punkte,
über welche E. Hochwohlgeboren als größerer Kenner
Ihr Urteil abgaben, anmassen zu wollen, über
Gruithuisen in Hinsicht auf die mir vorgelegten
Punkte mit Sicherheit und Bestimmtheit antwor-
ten zu können, da ich seit dem Jahre 1809 in
genauer Verbindung zu ihm stehe, zu welcher
mich zuerst Achtung für sein Wissen und dann
für seinen Charakter bestimten, und in selber
[24v]erhielten.

Gruithuisen ist Autodidakt, und nur unablässiger Eifer
konnte ihn auch bey wahrem Berufe zu den von ihm er-
griffenen Wissenschaften dahin führen, wo er gegen-
wärtig steht, da er mit den widrigsten Schicksalen vo[n]
Kindheit an zu kämpfen hatte, denn jedes Talent
ohne ein gleiches Maaß von Eifer hätte unterlie-
gen müssen.

Den formellen Theil seiner Bildung konnte er
daher auch erst später als irgend ein anderer er-
werben; er ist aber wirklich auch in den Geist diese[s]
Theiles der Bildung so eingedrungen, und hat sich
für seine persönliche Verhältnisse genommen, so viele Sachkenntniß darin verstehtverschafft1, daß man sage[n]
kann, er habe alle ihm eigene Sprachkenntnisse
sich als philosophische eigen gemacht. Er hat so Vie[l]
und in gehöriger Ordnung gelesen, daß er auch sehr
ausgebreitete literärische Kenntnisse und zwar selbs[t]
in Fächern besitzt, welche nicht seine Hauptfächer
sind.

Sein Vortrag ist gut; im Experimentiren habe ich
oft seine Fertigkeit so wie an dem fatalen badärztlich[en]
Institute, an dem ich fünf Jahre mit ihm diente,
seine Fähigkeit bewundert, sich auf höheren und
niedrigern Standpunkten des Unterrichts sehr
verständlich zu machen.

Sein Charakter ist vortrefflich, er lebt nur der
Wissenschaft und seiner Gattin. Man hat ihn in Mü[n-]
chen, weil er anderen in ihrer Gemächlichkeit durch sei-
[25r]ne Thätigkeit lästig fiel, und diese als Lehrer sich
verdienter Massen neben ihm von den Schülern zu-
rückgesetzt fanden, verfolgt und dieß so weit ge-
trieben, daß er bisweilen in Heftigkeit gera-
then mußte. Aber für sich hat er gewiß nie-
mand je beleidiget, sondern seine Liebe zur Wissen-
schaft jederzeit auf seine Collegen übergetra-
gen. Ich habe [mich] vielfältig in dieser Hinsicht seiner
Dienste durch literärische Mittheilungen und An-
leitung zu erfreuen gehabt. Es wird dem Freun-
de, der bey geringern Talenten, aber gleichfalls
widrigen Schicksalen aus ähnlicher Liebe zur
Wissenschaft so mit ihm verbunden hat, erlaubt
seyn, so unter den obliegenden Verhältnissen
und unter deer Verantwortlichkeit zu sprechen,
deren letzteren Gewicht er gewiß in ihrem vol-
len Umfang fühlet.

Der Herr Director des allgemeinen Krankenhauses
Professor Koch, der noch länger mit Gruithuisen
diente, und den ein gleiches Verhältniß ihn zum
nahen Freunde gemacht, würde, hierüber be-
fragt, durch gleich offne Weise ein ähnliches
Urtheil fällen.

Es freut mich sehr, daß E. H. in einer soch wichtigen
Sache mir Ihr Zutrauen geschenkt haben. Bewah-
ren Sie mir ferner Ihre mir so werthe Freund-
schaft.

Ich empfehle mich pp.
|gez:| Dr: Grosse
verstehtverschafft]
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Rechtsinhaber*in
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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2022). Goethes Farbenlehre in Berlin. Repositorium. 21. April 1822. Grossi an Otto (Abschrift). Z_1822-04-26_k.xml. Wirkungsgeschichte von Goethes Werk „Zur Farbenlehre“ in Berlin 1810-1832. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek. https://hdl.handle.net/21.T11991/0000-001C-177F-B